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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Capitel 7
Die Ufer des Mississippi und Ohio

Der Dampfer verfolgte indessen rasch seine Bahn, und erreichte am nächsten Nachmittag die Grenze der Plantagen; die Grenze nämlich insofern, als diese kein geschlossenes Ganzes, Fenz an Fenz mehr bildeten, und den Urwald erst in schmaleren, dann immer breiter werdenden Streifen zum Ufer des Stromes heranließen, bis zuletzt Wald, dichter finsterer mächtiger Wald an beiden Seiten lag, und nur hie und da eine größere Lichtung den Ort verrieth, wo die Axt des Menschen thätig gewesen war sich in das Herz der Wildniß einzuwühlen, und den überreichen Boden sich zinsbar zu machen.

Der Strom gewann hier einen ganz anderen Charakter; noch war das graue wehende Moos an den Bäumen sichtbar, aber es hing nicht mehr in solch gewaltigen prachtvollen Massen von den höchsten Wipfeln bis zur Erde nieder, die Riesen des Waldes in einen weiten Schleier hüllend. Dichte Schilfbrüche füllten dabei den Unterwald bis zum äußersten Rand des eingebrochenen Ufers, von dem ab zahlreiche unterwaschene und niedergeschwemmte Stämme die Verheerung nur zu deutlich verriethen, die hier von den ungestüm reißenden, und noch täglich weiter in das feste Land hineinfressenden Wassern angerichtet worden.

Wieder kamen dann weite, Plantagen bedeckte Flächen, wie die ganze Strecke von Point-Coupée, bis fast zum Atchafalaya – einem Abstrom des Mississippi der sich auf eigene Faust in den Golf von Mexiko ergießt – hinauf; aber das Zuckerrohr wurde hier schon seltner, Mais nahm dessen Stelle ein, und nur die Baumwollenfelder dauerten noch fort.

Weiter und weiter arbeitete das Boot – die Lichtungen wurden schmäler und seltener, auch die Gebäude unansehnlicher, die an den Ufern standen, bis sie zuletzt zu niedere fensterlose, in Sumpf und Rohr gebaute Blockhütten zusammenschrumpften, mit mächtigen Reihen Klafterholz an der Seite, den auf- und abgehenden Dampfern das so nöthige Material zu liefern, und kaum einen halben Acker urbar gemachten Landes dabei, für die Bewohner der Hütte etwas Mais und einige Kürbisse und Melonen zu ziehn.

Mitten aus dem Wald heraus leuchteten den Reisenden dann wieder plötzlich die hellen und oft ganz stattlichen Gebäude eines bald größeren bald kleineren Ortes entgegen, und nirgends läßt sich der Unternehmungsgeist der Amerikaner gerade besser erkennen, als an den Ufern der westlichen Ströme, wo sich der Mensch ordentlich in die Öde mit seinen Bedürfnissen hineinbohrt, weiter und weiter um sich greift, und aus dem Wald heraus, von Wölfen Nachts umheult und von der rauschenden Wildniß dicht begrenzt, seine Städte mit ihrem Handel und Verkehr, Dampfmaschinen und Banken heraufzaubert. Im Anfang sind diese denn auch natürlich nur auf den Strom selber angewiesen, dessen Schiffahrt sie entstehen ließ; nach und nach aber siedeln sich Nachbarn an, Plantagen und Farmen entstehn, Mühlen und Fabriken werden gebaut, Wege angelegt, und das Holz verschwindet unter den unausgesetzten Schlägen der gefräßigen Art.

So passirten sie Natchez und Vicksburg, beide Städte mit prachtvollen massiven Gebäuden, scheinbar an der Grenze der Civilisation gegründet, und ließen die Mündung des gewaltigen Redriver an ihrer Linken, der seine rothen Fluthen, ein fast ebenso mächtiger Strom als der Mississippi selber, in diesen wälzt, ohne dessen Ufer auch nur eines Schrittes Breite auszudehnen. Ebenso hat der »Vater der Wasser« den stattlichen Arkansas, den White River, den breiten Ohio, mit einer Unzahl kleinerer Flüsse aufgenommen, ohne die Breite seines Bettes, von der Mündung des fast noch bedeutenderen Missouri auch nur im mindesten zu ändern. Aber tiefer und reißender wird er, je weiter er sich wühlt, und je größere Kräfte er in sich aufnimmt; weiter hinein in den Grund reißt er sich seine furchtbare Bahn, und die größten Kriegsschiffe würden ihn tausende von Meilen befahren können, dämmte seine Mündung nicht die, den meisten großen Flüssen gefährliche Queerbank, die gerade über sein Fahrwasser wegliegt, und tiefgehenden Schiffen den Eingang hartnäckig weigert.

Weiter, weiter schäumen wir stromauf; dort drüben zu unserer Linken mündet der Arkansas seine Wasser, eine kurze Strecke weiter oben ein Arm des White River, und der kleine Ort, in die Spitze, die beide Ströme miteinander bilden, hineingebaut, heißt Montgomery.

Unser Lootse weiß aber von dem Ort da drüben, und von dem Mann der hier das erste Haus gegründet, viel zu erzählen. Er selber ist früher lange Jahre auf dem Arkansas gefahren und oft an der Spitze die Montgomerys Point hieß und noch heißt gelandet; der aber, der hier den ersten Axtschlag gethan, war Einer jener wilden Charaktere wie sie der Westen leider noch in Masse liefert – Männer die nur das eine Ziel im Auge tragen – Geld – deren Herz und Seele, wenn sie Beides wirklich haben, nur dem einen Trieb sich weiht und eigen giebt, und die selbst Raub und Mord zu Brücken brauchen, das zu erreichen. Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was er dem an das Lootsenhaus gelehnten Passagier halblaut, und mit einem scheuen Blick dort hinüber in's Ohr flüstert, daß es dem Mann eine Eishaut über den ganzen Leib jagt, so hat das Land da drüben Ursache fruchtbar zu sein, denn es ist mit Menschenblut gedüngt.

Wald dehnt sich jetzt zu rechts und links – weiter endloser Wald mit furchtbaren Sümpfen die nur, das Ufer des Stromes verlassend, der Jäger betritt, den Bär in seinem Schlupfwinkel aufzusuchen, oder die hier ziemlich zahlreichen Hirsche zu jagen. Selbst Büffel haben sich, noch etwas weiter zurück vom Mississippi, in diesen furchtbaren Dickichten gehalten, und es ist das der einzige Platz in den, in die Union aufgenommenen Staaten, wo sie noch zu finden sind.

Auch die Vegetation nimmt hier wieder einen etwas anderen Charakter an; das graue Moos ist ganz verschwunden, selbst die Cypressen kommen schon vereinzelter vor als weiter unten, und der mächtige cotton oder Baumwollenholzbaum, nach einer weißen Flocke in der sein Saamen sitzt, so genannt, hat den Ehrenplatz am Ufer, und füllt das flache sumpfige Land mit seinen wahrhaft riesigen Stämmen. Aber während der rastlos schaffende und vernichtende Mississippi an dem einem Ufer den Boden unterwäscht und wühlt, und oft ganze Acker Land, mit hunderten von Stämmen in sein Bett herniederreißt, wirft er am andern wieder weite Sandbänke aus, deckt sie und düngt sie mit dem fruchtbaren Schlamm, den ihm der Missouri aus den weiten Steppen des Westens hernieder führt, und läßt sich vom Wind dann, in den leichten fasrigen Flocken, den Saamen des Baumwollenbaumes niederstreuen auf den jungen Grund. Jedes Jahr legt er sich der Art einen kleinen Streifen um den neugegründeten Besitz, und während das erst besäete Stück schon die jungen Cottonbäume bis zehn und fünfzehn Fuß Höhe trägt, die sich mit den saftgrünen jungen Kronen dicht und fest an den alten Urwald selber anschmiegen, werden sie kleiner und kleiner je weiter sie dem Ufer selbst sich nähern, bis sie in kleinen, kaum sichtbaren Schößlingen, noch von dem Schaum des Stromes bespühlt, nur eben erst die schwachen grünen Keime zeigen, und damit eine förmliche grüne Stufenleiter bilden, bis zum Wasser nieder.

Auch die Alligatoren sind jetzt verschwunden und zeigen nicht mehr die dunklen zackigen Rücken und Stirnen, verbranntem Holze gleichend, über der trüben Fluth; statt dessen sonnen sich weichschalige Schildkröten in Masse auf dem gelben Sand und den in den Strom geschwemmten Stämmen, strecken die langen Köpfe neugierig und scheu herauf, wie sie das heranschnaubende Boot hören, und lassen sich dann schwerfällig nieder gleiten in die Fluth, dem fremden unheimlichen Feinde zu entgehn.

Auch die weißstämmige Sycamora, mit ihrem schweren rothen Holz das nicht im Wasser schwimmt, drängt sich bis zum Ufer vor, gar seltsam gegen die dunklen Stämme der übrigen Waldung abstechend, während bis zu ihren ersten Ästen hinauf, in dreißig und vierzig Fuß Höhe, eine feste grüne Wand emporsteigt, das Mississippi-Rohr (cane) das seine Bambusähnlichen Wurzeln bis in den neben ihnen hinwaschenden Strom hinunter hängt, und eine fast ununterbrochene Mauer bildet gegen das offene Flußbett zu.

Als ob ein einzelner Baum umgeschlagen wäre und da hinein hie und da eine kleine, kaum bemerkbare Lücke gerissen hätte, so sehen die kleinen Lichtungen aus, in die sich ein Holzhauer gedrängt und sein Lager da mitten im furchtbarsten Sumpf, von Wasser und Schlamm rings umgeben, aufgeschlagen hat mit Frau und Kind. Gegen das Gesetz der Vereinigten Staaten, das dem Einzelnen verbietet Holz auf Grund und Eigenthum der Union zu schlagen, macht er ein anderes Recht der Squatter, das preemption right für sich geltend, das dem armen Ansiedler erlaubt Land, ohne es gleich zu bezahlen, so lange zu occupiren und zu bebauen und dann darauf das Vorkaufsrecht zum Congreßpreis (1¼ Dollar pr. acre) zu behalten, bis es vermessen und zum Verkauf dann ausgeboten wird. Dem Staat gegenüber erklären diese Leute, wenn sie je darum gefragt werden sollten, daß sie die Bäume hier fällen um das Land urbar zu machen, und es für sich selber, zu ihrem bleibenden Wohnsitz zu wählen, in Wirklichkeit aber bleiben sie nur bis sie sich eine gewisse Summe baaren Geldes durch den Holzverkauf an die Dampfboote verdient haben, und ziehen dann weiter westlich in gesündere Gegenden, sich dort erst anzukaufen – wenn sie nicht früher schon durch den Verlust von Frau oder Kindern oder durch eigene Krankheit in den bösen Miasmen der Sümpfe verscheucht und gezwungen werden die Hügel aufzusuchen, das eigene Leben zu retten. Von kaltem Fieber geschüttelt, von Mosquitos zerstochen, an Stellen die von giftigen Schlangen wimmeln, vor denen sie die Kinder kaum genug hüten können, verleben die armen Frauen besonders dort eine traurige Existenz. Ja diese wird oft selbst durch den Strom bedroht, der in seinen furchtbaren Überschwemmungen das ganze Land überfluthet, das geschlagene und mühsam aufgeschichtete Holz und nicht selten die niederen Blockhütten selber faßt, und weit hinabschwemmt dem Meere zu, so daß diese Holzhauer, besonders an den niedrigst gelegenen Stellen, stets gezwungen sind ein Boot oder Canoe an ihrem Haus zu haben, in der Zeit der Gefahr wenigstens ihr Leben vor der Gewalt der Wasser schützen zu können, und stromab den Hügeln zuzuflüchten.

 

S'ist eine traurige Existenz die tausende von Menschen auf solche Art führen, und bezeichnend dabei, daß fast nur Amerikaner selber, die abgehärteten und die Wildniß gewohnten Kinder der Pioniere und ersten Vorkämpfer der Civilisation, sie freiwillig wählen. Selten oder nie findet man in diesen Hütten und Sümpfen Deutsche, oder andere fremde Einwanderer, die fast alle geringeren Verdienst und gesünderen Boden vorziehn, auch wohl dieß Klima mit seinen Entbehrungen nicht so ertragen könnten als der Amerikaner.

Weiter wühlt sich das Boot, an Hütte und Wildniß vorbei und was ist das dort drüben, das so weiß und breit da aus dem Wasser ragt? – Ein versunkenes Dampfboot, das in Nacht und Nebel gegen ein snag rannte und sank – »aber die meisten Passagiere wurden gerettet« – und da drüben, das mit den schwarzen Rippen? – das ist ein anderes Boot das mitten auf dem Strom in Brand gerieth und unglücklicher Weise, ehe es das feste Ufer erreichen konnte, auf eine Sandbank lief. Der Steuermann weiß eine furchtbare Geschichte davon zu erzählen, denn er war an Bord, und man hat nie erfahren wie viel Unglückliche ihr Leben dabei einbüßten.

Und weiter da drüben? – lieber Freund das sind auch die Überreste eines Wracks; es ist hier gerade eine etwas gefährliche Stelle, aber überhalb der Mündung des Ohio ist's noch viel ärger, denn dort haben die Bootsleute einem Theil des Stromes den Namen, »Dampfers Kirchhof« gegeben, und manches Menschenleben hat der schon gekostet.

Es ist wahr, auf keinem Strom der Welt ist mit Dampfbooten schon soviel Unglück geschehn, wie gerade auf dem Mississippi mit seinen Nebenflüssen; auf keinem wird dabei trotzdem leichtsinniger gefahren, auf keinem werden, neben den prachtvollsten, besteingerichtetsten Fahrzeugen, schlechtere, untüchtigere Kasten benutzt Waaren und Menschen zu transportiren wie gerade hier, denn der Amerikaner will und muß Geld verdienen, und so lange ein Dampfboot nur eben noch auf dem Wasser schwimmt, so lange die wieder und wieder geflickten Kessel nur noch möglicher Weise halten, wird ihm seine Ladung anvertraut, und drängen sich die Passagiere selber an Bord, nur keine Zeit zu versäumen, und vielleicht einen halben Tag länger warten zu müssen mit einem besseren, neuen Boot dieselbe Fahrt zu machen. Aber wir müssen auch gerecht sein; auf keinem Strom der Welt fahren und kreuzen sich eine solche Masse von Dampfern jeder Größe, jeder Gattung wie hier, von dem stattlichen Boot an das mit acht Kesseln an Deck und jeder ordentlichen Bequemlichkeit ausgestattet, von drei bis vier tausend Ballen Baumwolle im Stande ist zu tragen, bis zu dem kleinen Diminutiv-Boot nieder, das kaum zwölf Zoll im Wasser gehend die zahlreichen kleinen Nebenflüsse befährt und explorirt, mitten in Wald und Wildniß hineindampft allen Gefahren zum Trotz, und nicht selten den Bären und Panther überrascht die zum Trinken herabkamen, und scheu und entsetzt jetzt vor dem fremden Ungethüm zurück fliehen in Dickicht und Gestrüpp. Die Nebenflüsse mitgerechnet, von denen ab die einzelnen Dampfer den Mississippi immer wieder berühren, beträgt die Zahl derselben jetzt weit über sieben hundert, und im Verhältniß ist die Zahl der Unglücksfälle dann noch immer nicht gar so entsetzlich, wie es von solchen, die nur die dunklen Seiten jenes Landes aufzudecken suchen, oft geschildert und beschrieen, nicht beschrieben wird.

An Bord war indessen, seit der Flucht des Diebes, der sich doch nicht hatte der Gefahr aussetzen wollen einen Urtheilsspruch der übermüthigen Reisegefährten abzuwarten, und lieber seine schon gezahlte Passage (Gepäck hatte er gar nicht) im Stich ließ, Alles ruhig und friedlich abgegangen, und Veitel Kochmer besonders hatte seine Zeit gut benutzt, auch oben in der Cajüte mit der Holzharmonika und der Kehle des Kindes Geld zu verdienen.

Professor Lobenstein redete ihn da, als alten Reisegefährten an, frug ob noch andere Passagiere von der Haidschnucke an Bord seien, und erfuhr von ihm, daß sich auch die Weberfamilie auf der Jane Wilmington eingeschifft habe nach Cincinnati zu gehn, dort unter den vielen Deutschen leichter Arbeit zu finden. Nun war es aber dem Professor, jemehr sie sich dem Orte näherten wo er selber ein neues ungewohntes Leben beginnen und Arbeiten unternehmen sollte, die sich doch in der Praxis ganz anders herausstellten als in Büchern, schon mehrfach im Kopf herum gegangen, wo er Jemand passenden gleich herbekam ihm wenigstens in der ersten Zeit zur Hand zu gehn. Auch seine Frau, seine Töchter brauchten eine Hülfe, denn waschen, scheuern, das Vieh besorgen etc. waren ebenfalls Dinge an die er noch nie so sehr gedacht hatte wie gerade jetzt, und die er den Seinigen kaum zumuthen konnte, vom ersten Augenblick gleich an zu übernehmen. Von Hopfgarten, mit dem er darüber Rücksprache nahm war sogar entschieden dagegen, daß den an etwas derartiges gar nicht gewohnten Frauen je dergleichen Beschäftigungen obliegen dürften, und betrachtete es als eine Sache die sich von selbst verstände, daß er Leute engagiren müsse, die eben die gröberen Arbeiten für ihn verrichteten. Da aber solche, wie sie vielfach gehört, in Amerika nicht immer gleich und leicht zu bekommen wären, könnte er auf der Gotteswelt nichts Besseres thun, als gerade die ganze Weberfamilie, die er als ordentliche, rechtschaffene, fleißige Leute kennen gelernt hatte, wenn sie irgend zu bekommen wären, in Dienst zu nehmen.

Der Professor fühlte daß er recht hatte; freilich gehörte das, als schwere Ziffer, zu den »nicht gerechneten Ausgaben«, die er sich bis dahin immer noch eingeredet sie umgehen zu können; so viel Hände mehr verdienten aber auch mehr im Feld – auch der deutsche Landmann hielt ja seine Knechte und Mägde und befand sich wohl dabei – warum nicht er.

Zu solchem Entschluß, zu dem die Weberfamilie auch noch ihre Zustimmung zu geben hatte, war dann aber auch keine Zeit mehr zu verlieren, und um es besser mit ihnen besprechen zu können, ging er gleich am nächsten Morgen zu ihnen hinunter in's Zwischendeck. Hier machte er den beiden Leuten gerade zu den Vorschlag, gegen einen entsprechenden Gehalt über den sie sich einigen wollten, auf ein Jahr bei ihm in Dienst zu treten, wo sie ein kleines Haus für sich bekommen, und ihre Familie, von der der älteste Knabe schon wacker mit zugreifen konnte, bei sich behalten sollten.

Auch für den Weber war übrigens dieser Vorschlag gut und annehmbar, denn er genoß dadurch jedenfalls den sehr großen Vortheil nicht allein in der ersten Zeit das wenige was er an baarem Geld sein nannte, zu sparen, sondern sogar noch etwas dazu zu verdienen und nebenbei, das Wichtigste von Allem, das Land in dem er sich später selber niederlassen wollte, aus eigner Erfahrung kennen zu lernen. Auch für die Kinder hatte er dabei ein Unterkommen, wie für die alte Mutter, die sich auf der Seereise merkwürdig gekräftigt und gestärkt, jetzt aber in dem neuen ungewohnten Leben und Treiben an Bord, still und ängstlich in ihrer Ecke saß, aber doch nicht mehr jammerte und wehklagte, sondern mehr betäubt von all dem Neuen das sie umgab, ruhig abwartete was ihr und den ihrigen die nächste Zukunft bringen würde.

Nun war es dem Mann freilich ein ungewohntes und auch fast drückendes Gefühl hier in Amerika, wo er seine Lage gegen Deutschland hatte verbessern wollen, in Dienst zu treten, während er im alten Vaterland, wenn auch arm und kümmerlich, doch selbstständig, und von Niemandem abhängend, gelebt hatte; aber er sah auch wohl daß er hier in eine ganz fremde ihm vollkommen neue Welt gerathen sei, in der er vor allen Dingen lernen und Erfahrung sammeln mußte, und mit der Schüchternheit sich gleich von vorn herein ein selbstständiges Handeln zuzutrauen, die unseren armen Klassen nur zu sehr eigen ist, mochte er die Hand nicht zurückweisen, die sich ganz unerwartet ausstreckte ihn zu unterstützen. Auch die Frau, die vor Nichts solche Angst gehabt als gerade vor dem ersten Beginn, griff mit Freuden nach diesem Anerbieten – arbeiten, lieber Gott das wollte sie ja gern von früh bis spät, hatte auch noch nichts Anderes gekannt seit sie kaum alt genug geworden die jüngeren Geschwister umherzutragen, und selber wieder ein eignes Haus? ja lieber Himmel, das ging nicht im Handumdrehen, und das was ihnen jetzt und zwar von einer Familie geboten wurde, die sie schon auf dem Schiff hatten achten und lieben lernen, durften sie nicht zurückweisen, wenn sie sich nicht später die bittersten Vorwürfe hätten machen wollen.

Der Lohn freilich, den ihnen der Professor bei weiterer Unterhandlung bieten konnte war gegen das, was sie früher von den Arbeitslöhnen in Amerika gehört, nicht hoch, und betrug für beide Eheleute nur zwölf Dollar monatlich an baarem Gelde, aber sie bekamen auch dabei für sich und ihre Familie die Kost, und hatten in sicherem Verdienst, nach Abschluß des Jahres zu dem was sie schon ohnedieß besaßen und jetzt nicht anzugreifen brauchten, noch eine hübsche runde Summe von 144 Dollar übrig, mit der sich schon etwas anfangen ließ. So schlugen sie denn nach kurzem Besinnen ein, ließen ihre überaus sehr schwankenden Aussichten in Cincinnati fahren, und beschlossen in Grahamstown mit an Land zu gehn – die Passagezahlung blieb sich überdieß nach beiden Orten gleich.

»Du bist doch auch dümmer wie's eigentlich erlaubt ist«, wandte sich übrigens, wie der Professor nur kaum den Rücken gedreht hatte und wieder nach oben gegangen war, ein anderer deutscher Bauer, der ebenfalls erst vor einigen Wochen mit Frau und Kindern von Deutschland gekommen, nach Cincinnati hinauf wollte, an den Weber – »läßt Dich da von dem Breimaul beschwatzen, Dich für sechs Thaler den Monat zu schinden und zu plagen, wo Du so viel die Woche kriegen könntest, und bedankst Dich auch nachher noch bei ihm daß er so gut ist und Dich umsonst arbeiten läßt. Herr Jeses, mir sollte so Einer so etwas bieten, den wollte ich heimschicken.«

Der Mann war aus Kurhessen und sah dürftig aus, hatte auch in der That schon fast alles Mitgebrachte aufgezehrt, und eben noch die Passage für sich und die Seinen auf dem Dampfboot erschwingen können, aber er wußte was ihm die Agenten in Deutschland für Lohn versprochen, und war nicht gesonnen, wie er meinte, für einen Dreier weniger zu arbeiten.

»Aber warum hast Du mir das nicht früher gesagt, wie ich noch mit dem Herrn sprach« meinte der Weber, durch den so bestimmt ausgesprochenen Vorwurf doch etwas kleinlaut geworden.

»Was gehts mich an« brummte der Hesse – »Jeder muß am Besten selber wissen was er zu thun hat.«

»Aber Du weißt auch nicht gewiß, was Du im Ohio zu erwarten hast« sagte der Weber kopfschüttelnd.

»Nun sechs Dollar laufen mir da nicht weg« lachte der Andere, »und überdieß hab' ich's schwarz auf weiß, und zwar von Leuten zu Hause, die die Sache verstehn. Soviel weiß ich aber, ehe ich für sechs Dollar den Monat arbeite, hungre ich lieber, denn mit sechs Dollar könnte ich auch eben nicht mehr thun als mich satt essen, und so spar' ich doch meine Knochen. Übrigens hast Du ja gar keinen festen Contrakt gemacht, und kannst deshalb noch immer thun was Dir am Besten scheint.«

Dem Weber war es ein unbehagliches Gefühl, sich von Jemanden, der schon beinah so viel Wochen im Land war wie er Tage, so direkt tadeln zu lassen, aber er konnte es auch jetzt nicht mehr ändern, denn er hatte sein Wort gegeben, was er wenigstens für ebenso bindend hielt wie einen Contrakt. Dann aber stieß ihn auch seine Frau heimlich an, und flüsterte ihm zu sich nicht irre machen zu lassen von dem Menschen. Sie seien nicht herüber nach Amerika gekommen in einem Jahr reich zu werden – das möchte manchmal glücken, aber auch nicht immer – sondern sich und ihren Kindern nach und nach, aber dann auch gewiß, eine feste Stätte zu erbauen, daß sie glücklich und unabhängig leben könnten, und mit jedem Jahre weiter vorwärts kämen, nicht zurück wie in Deutschland. Damit aber hätten sie jetzt den Anfang gemacht, und wenn es der Andere da drüben, mit dem zerrissenen Rocke und der bleichen kranken Frau, besser wisse und verstehe, so solle er nur hingehn und es versuchen, sie selber wollten lieber »den Sperling in der Hand, wie die Taube auf dem Dache.«

Fünf Tage und Nächte fuhren sie so stromauf, immer in vierundzwanzig Stunden etwa 200 englische Meilen, den Windungen des Stromes nach, zurücklegend, und erreichten endlich die Mündung des Ohio, der, von Osten kommend, seine klaren Wasser mit starker Strömung, deutlich unterscheidbar bis über die Mitte hinaus in die schmutzig gelbe Fluth des Mississippi drängt, und sich erst eine lange Strecke weiter unten mit diesem ganz vermischt. Die Staaten Missouri an der linken, Kentucky an der rechten und Illinois gegenüber, laufen hier in ihren Grenzspitzen zusammen, während der Ohio selber, durch seinen Strom von Ost nach West, die freien und Sclavenstaaten von einander trennt.

 

Aber die Ufer selber bekommen hier einen ganz anderen Charakter; schon Kentucky zur rechten zeigte hohes Land, das mit seinen nordischen Kiefern dem Auge unendlich wohl that, und wenn auch die Spitze von Illinois, auf der ein kleines dem Mississippi zehnmal abgetrotztes, und zehnmal wieder von ihm überschwemmtes und vernichtetes Städtchen liegt, noch flach und öde ausläuft in den Strom, hebt sich doch auch bald an dieser Seite das Land, und mit dem durchsichtig klaren Wasser, das vorn den Bug beschäumt, mit selbst kaum halb so starker Strömung gegen sich als im Mississippi, braust das Boot lebendiger voran, und das Auge hängt mit Wohlgefallen an den freundlichen Ufer-Bergen.

Der Ohiostrom ist schon von vielen Amerikanern mit unserem deutschen Rhein verglichen worden, und nicht ganz mit Unrecht; der breite klare Strom, die meist wellenförmigen, oft schroffen, nicht zu hohen Hügel, die sein Ufer bilden, und mit dem herrlichsten Grün bekleidet sind, haben allerdings viel Ähnliches mit unserem deutschen Strom; auch viele trefflich angelegte Farmen und kleine blühende Städte, die überall den Unternehmungsgeist der thätigen Amerikaner bekunden, geben dem Bild etwas Liebes und Freundliches, im Gegensatz zu dem, von Sumpf und wildem Urwald begrenzten und trüb und reißend dahin strömenden Mississippi. Aber die Burgen fehlen ihm, und nicht allein als Schmuck in der Scenerie, nein auch mit ihnen die alten historischen Erinnerungen, die Sagen und Legenden, die jedem Fels am Vater Rhein, dem Hügelhang, der Waldesschlucht, jeder Thurmspitze und Mauer ihren eigenen, wunderbaren Reiz verleihn. Der Schmuck der Berge, selbst wenn sie in all den wundervollen herbstlichen Tinten prangen, die gerade jener Zone eigen, kann diesen Reiz und Zauber nicht ersetzen – sie bleiben todt und kalt, so schön sie sind, und der Reisende, besonders der Deutsche, wird sie anschaun und sich freun darüber, aber nie sein Herz mit solchen Banden zu ihnen hingezogen fühlen wie zu dem eigenen heimischen Rhein, selbst wenn das eigene Vaterhaus weit, weit von diesem stand.

Rasch fliegt indeß das wackre Boot die klare breite Bahn entlang, und andere Ufer grüßen den Fremden wieder, der mit neugierigem Blick hinüber schaut auf das fremde Land. Cypressen wie Baumwollenholzbäume sind lange in dem mehr südlichen Klima zurückgeblieben und nur die weißstämmige Sycamore begrenzt noch, von Eichen und Kiefern überragt, mit Erlen und Weiden die Ufer des Stromes, und neigt sich oft weit hinaus über die murmelnde, spiegelhelle Fluth.

An diesem Abend, dem ersten im Ohiostrom wollte Veitel Kochmer, der sich indessen wacker auf alle die Amerikanischen Melodieen eingeübt hatte, wieder eine Vorstellung geben. Der gute Gewinnst lockte ihn, und er schien nicht gesonnen eine solche Gelegenheit eben unbenutzt vorüber zu lassen; der Knabe aber, der sich die Tage über zu sehr angestrengt und blaß und leidend aussah, klagte über Schmerzen im Hals und weigerte sich zu singen. Veitel glaubte indeß auch ohne ihn das Publikum befriedigen zu können, und ließ die Leute durch Einen der Englisch redenden Deutschen wieder einladen ihm zuzuhören. Ob diese aber der Holzharmonika schon überdrüßig waren, die den meisten mit ihren weichen sanften Tönen auch außerdem nicht viel Befriedigendes bot, oder ob sie kein Geld mehr an eine Sache wenden wollten, die sie am Ende ebenso gut umsonst zu hören bekamen, da der Pole, wenn er nur für sich selber etwas spielte, das eben an Bord nicht geheim thun konnte, kurz sie erklärten ihm, ohne Flöte mache ihnen die Sache keinen Spaß. Wenn der Knabe nicht wohl sei, möge er das Spielen lieber lassen, oder spielen wenn er Lust hätte, aber sie zahlten ihm Nichts dafür.

»Siehst Du Philippche!« flüsterte da Veitel dem jungen Burschen zu, der in einer Ecke kauerte, und bog sich dabei über ihn und stieß ihn in die Seite – »siehst Du mein Söhnche – Nichts zahlen wollen se – werst Du nu singen?«

»Aber ich kann nicht Vater.«

»Wie heißt, kann nicht, werd ich Dir gleich beweisen, ob Du kannst oder nich; kenn ich doch Deine Mucken, mai Philippche und werd ich Dir kommen mit en Stock – werst Du wohl kennen.«

»Mir brennt der Hals, als wenn ich glühende Kohlen darin hätte.«

»Ich werd' se Dir löschen,« sagte aber der Alte boshaft, »Gott der Gerechte, glaubt das Jingelche, ich soll's fittern vor's reine Vergnigen. Werst Du singen, frag ich Dich jetzt zum letzten Mal, oder werste nicht?«

Der Knabe also getrieben, und in scheuer Furcht vor dem finstern Mann, der ihm wohl schon oft bewiesen haben mochte, daß er im Stande sei seine Drohungen auszuführen, stand langsam auf, wischte sich furchtsam die hellen Thränen aus den Augen und trat zu der Kiste, an der der Alte sein Instrument schon aufgestellt und geordnet hatte.

»Hallo Freund, was fehlt dem jungen Burschen?« frug da ein alter Pensylvanier in seinem wunderlichen Pensylvanisch-Deutsch den Polen, der dem Knaben jetzt mürrisch zuwinkte sich bereit zu halten. Der Pensylvanier saß unfern von ihnen auf einem Koffer, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und schaute mit den scharf geschnittenen aber grundehrlichen Zügen und den kleinen blauen lebendigen Augen bald den Knaben, bald dessen Vater an.

»Was ihm fehlt? – ene Tracht Prügel werd ihm fehlen,« knurrte aber Veitel mürrisch – »faul ist er und will nich singen.«

»Ich bin nicht faul, Vater,« sagte aber der arme junge Bursche, dem das Blut bei der Anklage in Stirn und Schläfe stieg, »ich bin nicht faul, sondern krank, und Du wirst mich so lange zum Singen zwingen, bis ich unter der Erde liege, wie – «

Er schwieg und wandte sich ab, der Alte hatte aber in rücksichtslos ausbrechender Wuth eine Flasche ergriffen, die neben ihm stand, und wollte damit einen Schlag nach dem Kinde führen, holte wenigstens dazu aus, als der Pensylvanier auf und dazwischen sprang, dem Juden die Flasche entriß, und ihn selber fünf oder sechs Schritt zurückschleuderte, daß er taumelte und sich an den nächsten Coyen halten mußte, nicht zu fallen.

»Nichtswürdiger Hallunke!« rief der alte Mann dabei, während ihm edle Entrüstung das Blut in die Wangen jagte, »schämst Du Dich nicht der paar Dollars wegen, Dein eigenes krankes Kind zu quälen und zu mishandeln? untersteh Dich und leg Hand an ihn, so lange wir hier an Bord zusammen sind, und sieh was wir dann mit Dir selber machen.«

»Es ist mein Junge, und ich kann mit ihm machen was ich will,« rief der Alte halb scheu, halb trotzig vor dem unvermutheten Angriff, dem er nicht zu begegnen wagte – »wer hat mer was in mei eigene Familie zu reden?«

»Ich will Dir was sagen, Kamerad,« redete ihn aber jetzt der Pensylvanier an, der mit ein paar flüchtigen Worten den ihm nächst Stehenden und neugierig Herandrängenden die Ursache des Streites erzählt hatte, »wenn Du gescheut bist, dann beträgst Du Dich wenigstens so lange vernünftig, wie wir hier zusammen an Bord sind; was Du nachher thust, mußt Du mit Deinem eigenen Gewissen abmachen. Soviel sag ich Dir aber, wenn Du Deinen Jungen schlecht behandelst und er läuft Dir hier fort – so darfst Du Dich nicht darüber beklagen, und käme er zu mir – und ich wohne im nächsten Haus am Indian Hill bei Cincinnati und heiße Brower – und suchte da Schutz, so wärst Du der letzte, der ihn wieder bekäm. Hast Du mich verstanden?«