Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.», lehekülg 10

Font:

Fünftes Capitel.
Die Indianerin

Was jetzt thun? In ihrer Verzweiflung lief Eva zurück zur Señora Bastiano, aber die alte Dame war schon, mit ihrer unteren Toilette wieder in Ordnung, auf einer ihrer Staatsvisiten begriffen, die hier natürlich den Weißen – als geborenen Honoratioren, zuerst galten. Sie besuchte gerade einen Ecuadorianer, den sie aber just bei einer etwas wunderlichen Beschäftigung traf. Er stand nämlich unten in seinem Hof und hatte einen alten Topf auf dem Feuer stehen, in dem er bemüht schien, eine Hand voll rostiger Nägel, ein zerbrochenes Harpuneneisen und ein paar ausgediente Vorhängeschlösser abzukochen.

»Ave Maria!« sagte die Señora, indem sie vor Erstaunen die Hände zusammen schlug, »das alte Eisen wollen Sie doch nicht weich kochen, Señor?«

»Ah Señora Bastiano – auch einmal in San Lorenzo?« lachte der Mann. – »Sie kommen gerade recht zum Mittagsessen – haben Sie aber keine Furcht, meine Frau wird Ihnen schon etwas Besseres zubereiten. – Ich koche hier eben nur schwarze Dinte.«

»Aus alten Vorlegeschlössern?«

»Aus altem Eisen und grünen Cocosnußschalen – man muß sich zu helfen wissen, Señora, wenn man so weit von einer Stadt abwohnt. Aber wollen Sie nicht hinaufgehen? Manuelita wird sich unendlich freuen, Sie zu begrüßen. Ich komme auch gleich nach.«

Die Señora folgte würdevoll der Einladung, und als Eva den Platz erreichte, war es unmöglich, jetzt ein Anliegen bei ihr vorzubringen. Sie wäre in diesem Augenblick mit Entrüstung über eine solche Unschicklichkeit abgewiesen worden.

Dicht daneben wohnte eine alte Indianerin mit ihrer Tochter. Wie Eva mit niedergeschlagenen und thränenden Augen auf der Straße stand, rief die Alte gutmüthig von oben herunter:

»Was hast Du, Kind? – weshalb weinst Du? komm herauf.«

Draußen in der Bai lag ein Schiff, dasselbe, das die neuen Einwanderer hierher gebracht. Ein paar betrunkene Matrosen kamen lachend und schreiend die Straße herab, und aus Furcht, von ihnen gesehen zu werden, folgte das arme Mädchen der Einladung.

Dort mußte sie jetzt erzählen, was sie hierher geführt, und weshalb sie so traurig sei, und die Alte schüttelte dabei den Kopf und sagte:

»Die Fremden sind schlimm, aber die eigenen Landeskinder sind noch viel schlimmer, wo sie einen von uns, sei es nun ein schwarzer oder ein brauner Mensch, unterdrücken können. Daß ihre Haut von der Sonne gebleicht ist, während die unsere davon gebrannt wurde – ist's unsere Schuld? aber verachten thun sie uns doch, wo wir ihnen in den Weg treten, und prahlen thun sie auch, daß Gott der Herr uns nur erschaffen habe, um für sie zu arbeiten.«

»Aber wie kann ich den armen Menschen jetzt befreien?« bat Eva, die nur dem einen Gedanken folgen mochte.

»Ja mein Herz,« sagte die Alte kopfschüttelnd, »was willst Du da machen? Wäre es hier im Orte, so könnten Dir die Fremden vielleicht dabei helfen, die bringen Manches fertig, was Unsereiner für unmöglich gehalten hätte. Aber während Du hier herumläufst und Deine Zeit verlierst, marschirt der Weiße ruhig seine Bahn fort, und kommt er dann nachher, wo die Trocha ausläuft, oben an den Bogota, so ist er mit einem der dort immer vorbeifahrenden Canoes fort, und wer soll Dir sagen, ob er stromauf oder stromab gegangen.«

»Und mündet der Pfad an keinem Haus aus?«

»Segne Dich Gott, Kind, nein. Blanker, wilder Wald ist's, durch den er läuft, voll von wilden Schweinen und Schlangen und Tigern, so daß sich keiner von unseren besten Männern allein hinein getraut. Es gehen immer nur wenigstens zwei mitsammen hinein, damit sie Hülfe haben, wenn Einem ein Unglück zustößt.«

Eva hatte mit ängstlich klopfendem Herzen der Beschreibung gelauscht, aber vor ihrer Seele stand nur das Bild des Geliebten, der, selbst während sie hier zauderte, weiter und weiter in eben jenen furchtbaren Wald hineingetrieben wurde, während sie ja die Mittel in Händen hielt, ihn der Freiheit, dem Leben wiederzugeben.

»Und kann ich den Weg finden?« sagte sie endlich, und ihr Auge glühte dabei von einem wilden, fast unheimlichen Feuer – »ich fürchte mich nicht vor dem Walde, ich bin ja darin aufgewachsen.«

»Die Trocha, Schatz?« sagte die Alte – »und wer wird mit Dir gehen?«

»Ich habe Niemand,« seufzte das arme Mädchen, »aber Gott ist mit mir.«

Die Alte schüttelte den Kopf.

»Das ist Wahnsinn,« brummte sie. »Wenn Du auch der Trocha folgen könntest, und wirklich von keinem Tiger unterwegs gefressen würdest, was wolltest Du machen, wenn Dich der Weiße nachher wieder unverrichteter Sache fortschickte – was er jedenfalls thut. Wenn er Deinen José hätte losgeben wollen, so würde er ihn nicht von Concepcion mit fortgenommen haben. Wart's ab, Kind, Du bist noch jung, und es fällt Dir schwer etwas aufzugeben, an das Du Dein Herz gesetzt hast – mit den Jahren lernst Du's« – setzte sie seufzend hinzu, »und – wirst es auch zuletzt gewöhnt. Lieber Himmel, was wird uns hier auf der Welt nicht genommen, das wir lieb und theuer hatten, und die Geistlichen, wenn sie einmal zu uns kommen – sagen dann, man müsse dem lieben Gott für Alles danken – auch für Leid und Trübsal.«

»Wenn ich nur den Platz wüßte, wo die Trocha beginnt,« sagte Eva, die keine Sylbe der letzten Rede verstanden, oder auch nur auf den Sinn geachtet hatte.

Das junge Indianermädchen hatte daneben gestanden, und mit mitleidigen Blicken die Fremde betrachtet.

»Ich weiß den Platz im Wald, wo die Trocha beginnt« sagte sie plötzlich – »ich war dort – ich bringe Dich über den Nadadero hinüber, bis zu der Stelle, wo die niedergebrochenen Stämme über den Sumpf führen.«

»Und was soll ihr das helfen, Muchacha,« rief die Alte, »thörichtes Kinderzeug, das Ihr alle beide seid und glaubt, Ihr müßtet Euren Willen haben zu jeder Zeit. Soll das tollkühne Mädchen etwa allein in die Wildniß hineinlaufen, und elend darin zu Grunde gehn? Wer hat sie dann auf dem Gewissen? – Du und ich.«

»Oh fürchtet nicht für mich,« rief Eva rasch, »ich bin stärker als ihr glaubt.«

»Was hilft Dir Deine Stärke, Kind, wenn Du Dich verirrst und in die Sümpfe, oder gar zurück zu der Bai in die Manglaren hinein geräthst – Perdido! es ist ein entsetzliches Wort, und ich möchte Dir nicht wünschen, daß Du seine Schrecken erfährst. Sei vernünftig und füge Dich.«

Eva stand zaudernd – aber wieder tauchte des armen José Bild vor ihr auf.

»Ich gehe,« hauchte sie – »führe mich, gutes Mädchen – thu' mir die Liebe, und zeige mir den Weg. Du bist ja die Einzige, die mir helfen will.«

»So komm,« sagte das junge Indianermädchen entschlossen. »Sie hat Recht, Mutter; ich würde gerade so an ihrer Stelle handeln.«

»So lauft meinetwegen,« rief die Alte mürrisch. »Wer nicht hören will, muß fühlen, caramba und ich will mit Euch beiden tollen Mädchen Nichts weiter zu thun haben. So viel aber prophezeihe ich Dir, Negrilla – Dein Geld nehmen Sie Dir ab, und Deinen José führen sie trotzdem mit fort. Ich kenne die beiden braunen Schufte, die der Ecuadorianer bei sich hat. – Der Eine von ihnen war es, der meines Vaters Haus bei Esmeraldas in Brand steckte, und daß der Andere nicht in Cachavi vor fünf Jahren gehangen wurde, verdankt er nur seiner schnellen Flucht. Es ist böses, böses Volk, dem Du allein nachlaufen willst und – gebe Gott, daß Dir nichts Schlimmeres geschieht.«

»Gott wird mich schützen und die heilige Jungfrau,« sagte Eva fest – »und Ihr, habt Dank für den guten Rath, aber wenn ich José erst erreicht habe, fürchte ich Nichts. – Er wird mich schon schützen, denn sein Arm ist stark wie Eisen.«

Die Alte seufzte tief auf, aber sie sah wohl, daß sie dem fremden Mädchen den einmal gefaßten Entschluß nicht ausreden könne.

»Halt,« sagte sie aber plötzlich – »dort in der Calebasse ist etwas gebackener Reis – den nimm mit – und da, die Bananen binde in Dein Tuch – Du mußt etwas auf dem Weg zum Leben haben, denn im Walde findest Du Nichts als Negritonüsse, und weiter oben drinnen, wilde bittere Castanien.«

»Tausend, tausend Dank.«

»Und noch eins – dort in der Ecke steht eine alte Lanze, die mir einmal ein Strolch von Neu-Granadienser für Branntwein in Pfand gegeben hat. Er soll heute noch wiederkommen, und das alte Ding lehnt schon drei volle Jahr in meinem Hause hier, und ärgert mich jedesmal, wenn ich es ansehe. Nimm es mit.«

»Die Lanze?« lächelte Eva.

»Ja wohl, die Lanze,« sagte die Frau mürrisch. – »Du magst sie als Stock gebrauchen, zum Gehen – sie ist nicht zu lang dazu, oder als Wehr, wenn Dir etwas zustoßen sollte – wer weiß es denn, und zu schwer ist sie auch nicht zum Tragen. – Und noch eins, merke Dir den Weg gut durch den Sumpf, wenn Du allein zurückkehren solltest, daß Du den nachher nicht verfehlst, und dann – dann sprich wieder hier vor.«

»Wie soll ich Euch für Alles danken,« sagte das junge Mädchen schüchtern.

»Für was, für das alte Eisen?« brummte die Frau. – »Am allerliebsten ließ ich Dich gar nicht gehen – ja ich weiß schon,« setzte sie hinzu, als Eva eine bittende Bewegung machte, »all' mein Reden hilft mir doch Nichts – also lauf – und daß Du mir bald wieder zurückkommst, Cherita – bis zum Sumpf magst Du mitgehen, aber weiter keinen Schritt.«

»Weiter kann ich ihr ja auch Nichts helfen, Mutter,« sagte das junge Mädchen – »so komm, Fremde – Du hast einen weiten Weg;« und rasch stieg sie die Leiter hinab, während Eva noch einmal der Alten, statt weiteren Dankes, die Hand schüttelte, und der Vorangegangenen dann freudig folgte.

Es war ein wunderliches Paar, die beiden Mädchen. Die junge Negerin, voll aufgeblüht, mit dem Typus der aethiopischen Raçe, aber alles Unschöne daran gemildert, und mit dem vollen Ebenmaß ihrer Glieder, schlank und hoch gewachsen, während die Indianerin, vielleicht kaum sechzehn Jahre zählend, von lichtbrauner Farbe, wohl schlank, aber kleiner und schmächtiger war als Eva. Ihre Züge trugen den vollen Ausdruck der kaukasischen Raçe. Herrliches langes, schwarzes Haar floß ihr um die Schultern, und die dunklen, seelenvollen Augen wurden von den herrlichsten Wimpern beschattet. Auch ihre Hände und Füße waren zierlich und klein geformt, aber ihr ganzer Körper schien fast zu zart für dieses wilde Leben, und als Eva rasch und rüstig neben ihr hinschritt, faßte sie bittend ihre Hand und sagte:

»Du darfst nicht so rasch gehen, Fremde – mir thut es sonst hier in der Seite weh.«

»Bist Du krank, Herz?« frug Eva freundlich.

»Nein,« lächelte das junge Mädchen wehmüthig. – »Die Mutter behauptet es freilich, aber nur, weil sie sich so übermäßig sorgt. Siehst Du, so geht es ganz gut, und wir kommen doch rasch von der Stelle.«

So schritten die beiden Mädchen durch das Fischerdorf, das nur aus einzelnen, über den Rasen zerstreuten Häusern bestand, und tauchten in ein kleines Dickicht ein, durch welches ein sumpfiger Weg nach den Platanaren führte. Aber was kümmerte sie der Schlamm – beide hochgeschürzt und mit nackten Füßen, schritten sie rasch hindurch, und passirten jetzt die Bananenanpflanzung, in der sie eine Masse gefällter und darin umhergeworfener Bäume überklettern mußten.

Dicht dahinter lag der Nadadero, ein kleiner, reizender Waldstrom mit klarem Wasser, aber überall leicht zu durchwaten, und an dem anderen Ufer desselben betraten sie den eigentlichen Wald, aber hier noch licht und offen, aus Oelpalmen und der Palma real, Negritos und Laubwald bestehend.

Hier zeigte ihr Cherita zuerst den Beginn der Trocha – der sie von jetzt zu folgen hatte, und die hier aus weiter Nichts bestand, als einzelnen Marken an den Bäumen – ein Stück Rinde abgeschlagen oder einen Busch eingehauen, denn kein wirklicher Fußpfad führte hier hindurch. Die Hauptschwierigkeit war aber, den Durchgang durch den nächsten Sumpf zu finden, und die Indianerin hatte sich den gemerkt. Der Platz lag auch nicht mehr weit. Kaum eine Viertelstunde mochten sie so zurückgelegt haben, als sich das Terrain wieder senkte, und bald führte sie ihre Begleiterin seitab von den Marken zu einer Stelle, wo einer der mächtigen Waldriesen querüber in den Sumpf geschlagen war. Hier blieb sie stehen.

»Dort ist Dein Pfad, Schwester,« sagte sie leise, »und mag Gott Dich schützen, daß Du Deinen Zweck erreichst. Cherita wird für Dich beten.«

»Dank, Dank, Du herziges Kind,« sagte das junge Negermädchen gerührt, umschlang sie mit ihren Armen und drückte einen Kuß auf ihre Lippen.

»Und werd' ich es je erfahren?«

»Ich sende Dir Botschaft – verlass' Dich darauf.«

»Sei glücklich!« flüsterte die Indianerin noch einmal, während ein Paar große, helle Thränen ihre Augen füllten. Dann wandte sie sich ab und kehrte nach dem Dorf zurück, während Eva, den Lanzenschaft als Stütze brauchend, auf den alten Baum hinübersprang, und mit flüchtigen Schritten darauf hin eilte, ihrem Ziel entgegen.

Sechstes Capitel.
Im Walde

Es war ein ganz eigenes, fast erdrückendes Gefühl, das Eva's Herz erfaßte, als sie zuerst allein in den düstern Urwald eintauchte, der in keinem Lande der Welt mächtiger und bewältigender auftritt, als in diesen Sümpfen. Aber sie schaute weder rechts, noch links – José war der einzige Gedanke, den sie kannte, und nur ihr Auge flog forschend über die nächsten Büsche, um die angehauenen Zweige und dadurch die einzig richtige Bahn nicht zu verfehlen.

Hier im Anfang war das freilich noch nicht möglich, denn der Zufall hatte da, wo der abgebrochene Wipfel des einen Baumes endete, einen anderen ihm entgegengeworfen, so daß diese beiden den schlimmsten und tiefsten Theil des Sumpfes vollkommen überdeckten. Wo sie den Baum verlassen mußte, sank sie nur noch auf mehrere Schritte weit bis über die Knie in flüssigen Schlamm, und zähes, dicht verwachsenes Wurzelwerk, das durch seine zahllosen und festen Fasern vielleicht eine Brücke über einen unsichtbaren Abgrund bildete, denn der eingestoßene Lanzenschaft fand keinen Grund. Aber dicht vor ihr lag fester Boden, und dort zeigte auch bald ein von einem Popabaum abgehauener Spahn mit der, an dem Stamm hinuntergelaufenen dicken und süßen, aber schon gelb gewordenen Milch deutlich und leicht erkennbar die Stellen, wo sich die Trocha in den Wald hineinzog.

Dicht über ihr ertönte plötzlich ein gellender Schrei, und Eva schrak empor, aber es war nur ein Affenschwarm, den ihr Erscheinen geängstigt hatte, denn die scheuen Thiere flüchteten jetzt über die dicht in einander gewachsenen Wipfel hin, um eine ruhigere Stelle zu suchen, als diese, und doch lag auch hier Todesschweigen auf der Waldung. Doch das Mädchen wendete dem plappernden, davon flüchtenden Trupp keinen Blick zu; nur ängstlich forschte sie nach den spärlichen Zeichen, die das Messer der Weißen hie und da an einem Busch zurückgelassen, und mit den nackten Füßen flog sie dabei leicht hin über niedergebrochene Aeste und weiter hin, als sie die Hügel erreichte, über rauhes Gestein.

Aber je weiter sie kam, desto deutlicher wurde auch die Trocha, die man Anfangs, wie noch unsicher der Richtung, kaum bezeichnet hatte. Durch das ärgste Dickicht fand sie an manchen Stellen eine ordentliche und breite Bahn freigehauen, und brauchte jetzt wenigstens nicht mehr zu fürchten, ihren Weg zu verlieren.

Wie still und geheimnißvoll lag aber der Wald! Wie das rauschte und brauste! Doch Eva war in dem Walde ja daheim, und fürchtete nicht seine Oede und Einsamkeit.

Huhp, Huhp! klang von da drüben her der wie hülferufende Ton einer ängstlichen Stimme.

»Rufe nur!« lachte das Mädchen trotzig vor sich hin, »mich lockst Du nicht von meinem Wege ab, falscher Verirrter!«4 und fester packte sie ihren Lanzenschaft und glitt die steilen, schlüpfrigen Lehmabhänge nieder, watete durch niedere Bergwasser und klomm an feuchten Hängen hinauf, immer und aufmerksam der angezeigten Spur folgend.

Wohl hielt sie dabei den Blick am Boden selber, denn gerade von diesem Theil des Landes waren ihr gar schreckliche Geschichten erzählt worden, wie er von giftigen Schlangen wimmeln sollte. Aber sie fand bald, daß es in ihren heimischen Wäldern grade so viel, oder besser, grade so wenig gab, als hier, denn nur selten einmal sah sie eine kleine Schlange scheu aus der Trocha hinaus in das Dickicht schlüpfen, und wandte den Kopf nicht einmal, um nachzusehen.

Vorwärts lag ihre Bahn, aber wie schwül es hier in dem feuchten Walde war, in den dichten Büschen, während die niederen Negritopalmen mit ihren wunderlich stacheligen Fruchtkugeln den Raum zwischen Unterholz und Palmenkronen vollständig ausfüllten, und dadurch den Wald so dichteten, daß kein Sonnenstrahl auf das dunkelgelbe nasse Laub fallen, und es je abtrocknen konnte.

Und wie das plötzlich raschelte und wühlte, und brach um sie her. Erschrocken hielt sie still und horchte, aber es war nur ein Rudel von wilden Schweinen, von Seynos, von denen sie nichts zu fürchten hatte, wenn sie nicht eines der Jungen angriff, das dann vielleicht durch sein Quietschen die Alten zu Hülfe gerufen. Grunzend, und dann und wann einander bei Seite stoßend, durchwühlten sie quer über die Trocha hinüber den Grund, und Eva blieb dicht vor ihnen stehen, um sie erst vorüber zu lassen.

Da bekam ein alter Keiler Wind von ihr, und hob sichernd den Rüssel.

»Fort mit Dir, Bursche,« rief das Mädchen, und schwenkte die Lanze, und mit einem lauten, halb erschreckten, halb ärgerlichen Grunzen floh die schwarze Gestalt in den dicken Busch hinein, wohin ihm das alarmirte Rudel jetzt flüchtig folgte. Ein wahrhaft mephitischer Geruch erfüllte aber die Luft, durch die sie davon gestürmt.

Und weiter verfolgte das junge Negermädchen ihre Bahn. Ein kleiner, reißender Waldstrom lag quer durch ihren Pfad, aber was kümmerte sie der, sie schwamm hindurch und nahm sich, drüben am anderen Ufer angelangt, kaum Zeit die tropfenden dünnen Kleider nothdürftig auszuringen. Vorwärts mußte sie; überall vor sich im Wege sah sie die deutlichen Spuren der vorangegangenen Männer, den Eindruck von den Stiefeln jenes Guajaquilenen, die Fährten der nackten Füße seiner drei Begleiter, und sie wußte, daß die schmalste davon ihrem José gehörte – vorwärts, denn einen großen Vorsprung hatten diese, und erreichten sie den Bogota vor ihr, dann war auch dieser schwere Gang vergebens, und der Geliebte vielleicht auf immer für sie verloren.

Immer wellenförmiger wurde das Terrain, und gegen Abend umwölkte sich auch der bis jetzt lichte Himmel, und der Regen viel in Strömen herab. Wohl passirte sie jetzt wieder eine der mit Palmzweigen gedeckten Hütten, in denen Wanderer schon übernachtet hatten, und darunter hätte sie im Trocknen ausruhen können. Aber was that ihr das Wasser! Durchnäßt war sie doch schon lange, in ihrem dünnen Zeug, und in dem heißen Klima kühlte sie das eher, als daß es ihr hinderlich gewesen wäre. Weiter strebte sie, weiter, und als der Abend endlich zu dämmern anfing, beflügelte sie ihre Schritte nur noch mehr, als ob sie damit der einbrechenden Nacht hätte entfliehen können.

Umsonst; furchtbar rasch schwand die kurze Dämmerung, und als sie trotzdem ihren Weg noch fortsetzen wollte, sah sie doch bald die Unmöglichkeit eines solchen Wagnisses ein.

Kaum eine Viertelstunde war vergangen, seit sie oben am Himmel durch eine gelegentliche kleine Lücke in den Baumwipfeln die Wolken sich hatte in der Abenddämmerung röthen sehen, und wenn auch der Himmel noch licht, wie ein zartes, helles Gewebe, durch das Baumgewölbe schimmerte, lag doch schon tiefe, undurchdringliche Nacht auf dem Urwald drunten.

Eva sah bald die Unmöglichkeit ein, ihren Weg in dieser Finsterniß zu verfolgen. Sie war nicht mehr im Stande die Zeichen der Trocha zu erkennen. Nur einen riesigen Baumstamm sah sie noch durch das Dunkel schimmern, und eilte jetzt zu dessen Wurzel, um dort und im Schutz seiner Zweige den dämmernden Morgen zu erwarten.

Und wie das jetzt um sie her lebte und sich regte in der Wildniß, denn mit einbrechender Nacht erwachen ja die meisten Waldbewohner erst zu ihrer geheimnißvollen Thätigkeit. Nicht weit von ihr suchte wieder ein Affenschwarm seinen Ruheplatz für die Nacht, und wie das da oben in den alten Wipfeln plapperte und kreischte und zankte und grunzte! Es war ein entsetzlicher Lärm, ehe sie alle einen bequemen Sitz gefunden hatten, und keiner den andern mehr belästigte. Endlich wurde es still, nur ein oder das andere kleine Aeffchen gab noch manchmal einen Schrei von sich, dann verstummte auch das.

Jetzt hämmerte plötzlich, dicht über ihr im Baume ein Specht, der Carpintero, wie ihn die Ecuadorianer nennen. Was suchte der noch in der Dunkelheit? Aber er schwieg rasch, denn nebenan im Gebüsch begann »die verlorene Seele« ihr leises, klagendes Lied, nicht unähnlich dem Ansetzen unserer eigenen heimischen Nachtigall, aber viel stärker, viel seelenvoller, mit einem Ton, als ob er dem furchtbarsten Gram eines bedrückten, kummervollen Herzens Laute gäbe.

Die »verlorene Seele« nennt der Indianer diesen Vogel, und Eva traten die Thränen in die Augen, als sie den klagenden Tönen lauschte, die genau so klangen, als ob sie aus ihrem eigenen Herzen kämen.

Es war völlig Nacht geworden, und mächtige Leuchtkäfer schwirrten durch die Finsterniß und zuckten, wie kleine Miniaturblitze, in gelben und grünen Lichtern von Busch zu Busch. Und jetzt, da bellte eine Schlange, nicht zehn Schritt von ihr entfernt, die wahrscheinlich die Nähe eines Menschen gewittert hatte. Unwillkürlich griff das junge Mädchen nach der am Baum lehnenden Waffe, um das ekle Geschöpf von sich abzuhalten; war es doch auch ein unheimlicher Gast, ihm in der Finsterniß zu begegnen.

Deutlich konnte sie das Ungethüm durch das Laub schlüpfen hören, wie es sich über die feuchten Blätter hinwegwand, aber es kam nicht näher, es scheute die Nähe der Menschen, und nahm die Richtung seitab von dem Baum.

Und das alte faule Holz umher fing an zu leuchten, und nahm phantastische, abenteuerliche Formen an. Von allen Seiten schimmerte es durch den Wald; dort hing ein altes, halbverfaultes Blatt von einer Negritopalme nieder und zeigte in seinem Phosphorschein die skelettgleichen Rippen der Blätter, hier glich ein heruntergebrochener, von feuchtem Moder überzogener Ast in seinen Windungen der Form einer glühenden Schlange.

Jetzt ein leiser, leichter Schritt durch den Wald; eine Tigerkatze vielleicht, die auf Beute ausging, und scheu die fremde, aber auch gefürchtete Witterung umschlich, die sie bekommen, und nun – Eva fuhr entsetzt von ihrem Lager empor, ein lautes Prasseln und Brechen durch die Zweige, und gleich darauf ein schmetternder Schlag, der den Boden selbst erbeben machte, aber ihr drohte keine Gefahr. Nur einer der alten Waldriesen, der vielleicht Jahrtausenden getrotzt, war niedergebrochen, in seinem Fall das ganze, ihm im Wege stehende Unterholz mit sich zu Boden reißend. Die Affen wurden wieder laut und schnatterten und klagten, und die Eule antwortete mit ihrem monotonen, hohlen Ruf dem dumpfen Fall des niedergebrochenen Baumes.

Das junge Mädchen sank wieder auf ihr Lager zwischen den alten Wurzeln zurück, und wenn es sie auch jetzt in dem dünnen, nassen Zeug, trotz der warmen Nacht, anfing zu frösteln, drückte sie sich doch in Moos und Blätter hinein, und war bald sanft und süß eingeschlafen.

Kaum eine Legua von ihr in der Trocha, an einer der schon früher errichteten und mit Palmenblättern gedeckten Ranchos hielt an dem nämlichen Abend Señor Cerro, um dort zu übernachten, und warf sich, als er die Stelle erreichte, todesmüde unter einen Baum, daß seine Leute indessen den Schlafplatz wieder herstellen konnten.

Ein ziemlich starker Baumast war nämlich in der Zeit, in der er nicht gebraucht worden, auf den Rancho gestürzt, und hatte ein Paar von den Stangen zerbrochen und einige Blätter geschädigt. Außerdem mußte auch das alte Laub, was zur Lagerstatt gedient hatte, hinaus- und fortgeschafft werden, ehe sich der Weiße hineinwagte, denn wer wußte, ob es nicht Schlangen, Centipeden, und welches andere Ungeziefer noch beherbergte.

Señor Cerro war gerade nicht bei guter Laune. Er hatte unterwegs einen Affen zu ihrem Abendbrod schießen wollen, dem flüchtenden Trupp aber nicht so rasch nachkommen können, und wie er ihnen im Dickicht den Weg abzuschneiden suchte, war er mit dem Gewehr gestürzt, daß an diesem der Schaft abbrach.

Einer der Mulatten versuchte zwar, ihn mit Bast wieder zusammenzuschnüren, aber es ging nicht, er bekam keinen Halt, und mißmuthig ließ der Ecuadorianer endlich die doch jetzt nutzlose Waffe zu dem übrigen Gepäck in einen der Körbe legen.

Seine drei Diener gingen indessen rüstig daran, das Lager wieder in Ordnung zu bringen, und der Eine von ihnen nahm die Axt und fällte ein paar junge, gut bewipfelte Palmen, während der Andere mit seiner Macheta die einzelnen langen Blätter abhieb.

José, der arme Bursche und Leibeigene seines strengen, mürrischen Herrn, faßte dann das Mittelblatt an der Spitze, riß es von einander und trat zwischen die Hälften, bis er das Hauptblatt dadurch in zwei völlig gleiche Theile schied, die dann sowohl dazu dienten, das Dach des Ranchos wieder auszubessern, als auch zu Schlafmatten verwandt werden konnten. Diese wurden zum Rancho geschleppt und sorgfältig ausgebreitet, und in kaum einer halben Stunde war die Wohnung für diese Nacht wieder völlig regendicht und mit einer neuen Matratze versehen auf's Neue hergestellt.

Der älteste Mulatte hatte indessen noch eine andere stärkere Palme umgehauen, deren Wipfel er von einander hieb, um zu dem Herz oder Kern zu gelangen, denn diese Stelle enthielt ein schneeweißes, vortreffliches Mark, das ausgezeichnet schmeckte und recht gut als Gemüse dienen konnte.

José packte indessen aus dem Provisionskorb den er unterwegs zu tragen hatte, die für den Herrn mitgenommenen Lebensmittel, scharf geröstetes Schweinefleisch und in Fett hart gebratene Bananenscheiben, sowie einige getrocknete Fische aus, und stellte den eisernen Topf zum Feuer, um die Chokolade darin zu kochen.

Es war aber plötzlich vollständig dunkel geworden, und der Ecuadorianer hatte sich auf die am besten ausgepolsterte Seite des Rancho geworfen und suchte die Beendigung der Mahlzeit durch Flüche und Verwünschungen zu beeilen. Um die Langeweile indeß zu tödten, fing er die einzelnen großen Leuchtkäfer, die von dem Feuerschein herbeigelockt, herüber und hinüber durch den Rancho schwirrten, drückte ihnen die Flügeldecken auseinander, daß der darunter leuchtende hellgelbe Punkt deutlich zum Vorschein kam, und mit den beiden grün schimmernden Kugeln, welche die schönen Thiere am Kopf trugen, wie Edelsteine erglänzten. Dann band er sie neben einander an eine der Querstangen des Rancho, so daß sie ordentlich Licht darin verbreiteten, und ließ die armen Thiere dort in all ihrer Pracht sich abzappeln und quälen, bis mit ihrem Tod auch der Feuerschein erlosch.

Aber selbst dieses Licht genügte ihm nicht, seine endlich fertige Mahlzeit dabei zu verzehren, denn während er aß und die beiden Mulatten ihre eigenen Vorräthe heraussuchten, mußte José eine kleine Fackel von zusammengeknetetem Gummi elasticum halten, die ein zwar dunkelrothes aber doch vollkommen helles Licht verbreitete, und – als der Herr endlich abgespeist, wieder ausgelöscht und in ein Blatt gewickelt wurde, um bis zum nächsten Abend aufgespart zu werden.

Die Diener mochten ihre Mahlzeit beim Schein des Feuers verzehren, oder im Dunklen, wie sie wollten.

Seine Decken waren indessen für den Herrn ebenfalls ausgebreitet worden, und eine zum Daraufliegen, die andere zum Hineinhüllen benutzend, war er bald sanft und fest eingeschlafen.

Am nächsten Morgen dämmerte kaum der Tag, als José schon wieder emsig beschäftigt war, das Feuer frisch anzufachen, das ein gegen Morgen gefallener Regenguß völlig ausgelöscht hatte. Er trug zu dem Zweck die trockenen Hülsen einer reifen Cocosnuß bei sich, die wie Zunder fangen und die Gluth bis zur letzten Faser hartnäckig halten. Es war übrigens kein leichtes Stück Arbeit, in diesem nassen Walde, wo Alles bis in das Mark hinein von Feuchtigkeit durchdrungen ist, ein helles Feuer anzufachen, und er gebrauchte eine lange Zeit dazu. Indessen der Herr schlief ja noch, und endlich hatte er es so weit, um den Chokoladentopf wieder an die Gluth setzen zu können. Die Sonne war aber schon lange über den Horizont herauf, als er damit zu Stande kam, und da sich die beiden Mulatten ebenfalls nicht sonderlich beeilten, ihre Morgenruhe zu unterbrechen, war es fast acht Uhr geworden, ehe sie wieder an den Aufbruch denken konnten.

Aber ihr Ziel lag nicht mehr weit. Kaum eine halbe Stunde bequemen Marsches brachte sie an das Ufer des breiten Bogota, und sie fanden hier schon, nachdem sie zuerst ein häßliches Bambusdickicht passirt waren, einen ziemlich großen und freien Platz ausgehauen, der selbst vom Fluß aus deutlich sichtbar war, und die Stelle künden sollte, an welcher die Trocha ausmündete.

Aeußerst vorsichtig schritten aber die Diener über jene Stelle, welche durch den Bambus ausgehauen war, denn den zwar kleinen, aber furchtbar harten und scharfen Dornen, welche an dessen Auszweigungen sitzen, und mit denen der Boden hier bestreut war, boten selbst ihre harten, aber nackten Sohlen nicht hinlänglich Widerstand. Den Lagerplatz dagegen hatten die früher hier Gewesenen vollständig abgeräumt, und es war dort sogar ein großer Rancho gebaut, um unmittelbar am Ufer übernachten zu können.

Schon von Weitem konnten die Wanderer die breite und offene Lichtung im Walde und damit das erste Ziel ihres beschwerlichen Marsches erkennen, denn dort auf dem Strome lag der Sonnenstrahl, der nie in diese dichten Wälder drang, und es war ein ganz eigenthümlich wohlthuendes Gefühl, mit dem sie den offenen, freien Platz betraten.

Der Guajaquilene schien sich aber am wenigsten diesem Genuß hinzugeben, denn so bequem er bis jetzt seinen Weg verfolgt hatte, so rasch sprang er nun an das Ufer und schien dort ein Canoe zu suchen, das, wie man ihm am Pailon gesagt, dort angebunden liegen sollte. Aber nirgends war ein dem ähnliches Fahrzeug zu erblicken, und gerade dort, wo die Trocha am Ufer des Bogota ausmündete, lag weder an dieser, noch an der anderen Seite ein besiedelter und dann auch bewohnter Platz. Wald, dichter, undurchdringlicher Wald deckte beide Ufer, und noch viel dichter in der unmittelbaren Nähe des Wassers, als weiter zurück, denn hier war er noch mit Bambus und Schling- und Schmarozerpflanzen verwachsen.

4.El perdido nennen die Ecuadorianer einen ziemlich großen braunen Vogel, der genau einen solchen Ruf hat, als ob ein Mensch in der Wildniß verirrt wäre, und um Hülfe riefe.
Vanusepiirang:
12+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
28 september 2017
Objętość:
220 lk 1 illustratsioon
Õiguste omanik:
Public Domain

Selle raamatuga loetakse