Tranceperlen

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Atempacing

Ein defokussierter Blick erleichtert das Beobachten der Atembewegungen und des Atemrhythmus der Klientin. Atempacing bedeutet, die Atemräume und den Atemrhythmus der Klientin visuell, vielleicht auch akustisch durch die Atemgeräusche wahrzunehmen und den eigenen Atemrhythmus vorübergehend anzugleichen. Oft passiert das ganz von selbst. Man beobachtet die Atembewegungen, wartet die Einatemphase ab, um dann die zu betonenden verbalen Suggestionen vorwiegend in die Ausatemphase der Klientin zu sprechen. Atempacing kann auch auf dem akustischen Kanal über die hörbare Atmung erfolgen. So kann die Therapeutin ein hörbares tiefes Einatmen der Klientin erst einmal in der eigenen Einatmung pacen, um dann ein hörbares Ausatmen im Sinne eines Leadings anzubieten.

Leadingangebote, die dazu einladen, das Tempo zu reduzieren, wieder mehr Atemraum zuzulassen und den Atem zu vertiefen, schaffen Freiraum für neue Entwicklungsprozesse.

Durch die phasenweise Übernahme des Atemrhythmus und die dadurch entstehende Verlangsamung des eigenen Sprechtempos macht man der Klientin ein nonverbales Angebot, das Gleiche zu tun, um innezuhalten und auf innere Prozesse zu fokussieren.

Wenn eine Atembeklemmung für die Klientin fühlbar oder auch für die Therapeutin hör- und/oder sichtbar ist, kann im Sinne des Pacings zunächst der Atemrhythmus übernommen werden, um dann durch eigene Atemveränderungen neue Leadingangebote zu machen.

Die Atempausen können zusätzlich im Text notiert sein. Wenn es inhaltlich um Ruhe, Innehalten, Lösen, Pausen geht, so folgen 3 bis 4 Atemzüge auf beiden Seiten, in denen tatsächliche Ruhe herrscht.

An dieser Stelle verweise ich auf ein Interview mit meiner Kollegin Ronja Ernsting, die als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin auch in hypnosystemischer Kommunikation ausgebildet ist.1 Dort erläutern wir Fragen zum leichteren Sprechen und Lesen von Trancen, wie z. B.:

•Gibt es eine besondere Trancestimme oder eine Stimme in der Entspannung?

•Wie funktionieren Sprechen, Stimme und Atmung?

•Was macht die Stimme zum »individuellen Fingerabdruck« eines jeden Menschen?

•Wie gestaltet sich ein gesunder Umgang mit dem Sprech- und Stimmorgan?

•Wie bleibt man stimmlich gesund, trotz vieler sprecherischer Belastung?

•Welche Maßnahmen gibt es zur Stimmhygiene?

•Inwiefern unterstützt die Körperhaltung das Gesagte?

•Was sollte man beim Sprechen von Trancen beachten?

1 https://www.carl-auer.de/programm/artikel/titel/tranceperlen

Milton H. Ericksons Hypnotherapie mit Frauen – aus Sicht seiner Tochter

Betty Alice Erickson

Milton Erickson hatte große Freude daran, seinen persönlichen Beitrag zur Hypnose zu leisten. Vor seiner Zeit – und manchmal sogar heute noch – wurde Hypnose als etwas verstanden, das mit dem Klienten »gemacht« wurde, unter Verwendung von direkten Anweisungen. Obwohl es Situationen gibt, in denen dies angemessen sein kann, glaubte, lehrte und demonstrierte Erickson Hypnose stets als eine gegenseitige Erfahrung, als Kommunikation mit dem Unbewussten. Er definierte Hypnose oft als »einen veränderten inneren Bewusstseinszustand, in dem unnötige oder irrelevante äußere Reize in den Hintergrund treten und das Unbewusste zu deinem Nutzen kommunizieren kann«.

Unser Unbewusstes basiert oft auf Reaktionen, die es in der Vergangenheit erlernt hat – auch wenn diese manchmal für einen Erwachsenen nicht besonders nützlich sind. Das, was häufig als »Bauchgefühl« oder »Instinkt« bezeichnet wird, kann Teil eines »Frühwarnsystems« sein. Wir sind aufmerksam oder auch nicht – manchmal zu unserem eigenen Bedauern. Manchmal will unser Bewusstsein nicht akzeptieren, was wir »wirklich« wissen. Wir kennen alle die »Ich hätte es wissen müssen!«-Reaktion. In Wirklichkeit wussten wir es – wir haben nur nicht auf uns selbst gehört. Aber das Unbewusste ist auch offen für neue, nützliche Informationen. In der Therapie wird dies oft als »Heilung« bezeichnet.

Erickson erlernte Hypnose ursprünglich hauptsächlich mit weiblichen Personen. Er praktizierte sie ausführlich an seiner Schwester Bertha und meiner Mutter, Elisabeth. Ich selbst war mehr als dreißig Jahre lang seine Versuchsperson. Er war Mentor vieler Ärztinnen und Zahnärztinnen und erkannte bereits zu seiner Zeit, dass deren Denkweise viel komplexer ist als die typisch männliche. Eine seiner herausragenden Studentinnen, die bereits verstorbene Zahnärztin Kay Thompson, wurde die erste Präsidentin der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Hypnose – eine Organisation, die Erickson mit zwei seiner Kollegen gegründet hatte.

Erickson war sich immer dessen bewusst, dass die Geschlechter sehr unterschiedlich sind, sowohl physisch als auch – aufgrund ihrer Erfahrungen – im Sozialverhalten. Typischerweise fragen Frauen immer nach dem »Warum«. Vielleicht weil wir oft weniger Macht haben als Männer, richten wir viel Aufmerksamkeit auf emotionale Hinweise. Wir reagieren auch oft eher emotional als sachlich – denken Sie nur an den typisch männlich-weiblichen Wortwechsel: »Macht mich dieses Kleid nicht dick?« Oder einfach nur: »Sehe ich so gut aus?« Männern sieht man am Blick geradezu die Verzweiflung an, wenn sie versuchen, die »richtige« Antwort zu finden. Wenn wir eine alte Freundin wiedersehen, knüpfen wir an früher an, bewundern ihr Haar, fragen nach den Lebensumständen, erzählen ihr das Gleiche von uns. Männer klopfen sich einmal gegenseitig auf die Schulter und sagen: »Siehst gut aus, Kumpel!« Damit ist ihr Begrüßungsritual beendet.

Unterschiede ermöglichen aber auch gleichzeitig breitere Perspektiven – eine Grundlage von Ericksons Arbeit. Typischerweise wollen wir Frauen alles genauer wissen – das innerliche »Warum« interessiert uns mehr als die Anwendung von Techniken. Von Kind auf sind wir darauf gepolt, Gefühle zu erschließen. Wir lieben es, Gefühle zu diskutieren – unsere eigenen und die anderer. Erickson wusste dies und respektierte diese Eigenschaften. Er sprach oft von den verschiedenen »Sprachen«, die Frauen und Männer sprechen. Frauen benutzen von klein auf eine »vielschichtige« Sprache. Sogar beim Small Talk wissen Frauen meistens, was andere Frauen »wirklich meinen«. Erickson wusste auch, dass Trancen von Frauen »natürlicher« sind. Wir pusten auf das aufgeschlagene Knie, strahlen und sagen: »Alles wieder gut!«, während das Kind ein wenig verwundert schaut, aber die hilfreiche Information dankend annimmt.

In der Hypnose wendete Erickson zunächst formale Techniken an – »Ich möchte, dass Sie bequem sitzen, und mit jedem tiefen Atemzug kann es sich angenehmer anfühlen … Ja, so ist es gut!« –, um eine Tranceinduktion zu beginnen und dann zu vertiefen. Auch hier achtete er darauf, Worte und »Anweisungen« mit Bedacht zu wählen. »Ich möchte« ist eine Einladung (ein Angebot), keine Anweisung und kein Befehl. Der Klient kann es annehmen oder nicht. »Mit jedem Atemzug« – eine Binsenweisheit, denn jeder muss atmen! – ermöglicht er Autonomie und Kontrolle: »… kann es sich angenehmer anfühlen« – kann, nicht wird! »Wird« ist ein Befehl, »kann« eine Einladung. Der Klient hat es in der Hand, wie er sich fühlen möchte. Das wird subtil, aber in jedem Fall aufgenommen als ein Zeichen von Vertrauen.

Sogar Lob wählte Erickson vorsichtig. Er sagte immer »Genau!« – mit einem Lächeln in der Stimme. Ein Lächeln kann man sogar hören, wenn die Augen geschlossen sind. Dieses nicht wertende »Genau« in Verbindung mit einem Lächeln wird zu einem Lob des Klienten an sich selbst – was immer der beste Weg ist. »Gut!« impliziert immer verschiedene Bedeutungen. Der »Geber« begibt sich damit in eine wertende Position. Viele Menschen meinen, dass sie nicht »gut genug« sind, und wir sollten deshalb gut aufpassen, dass das Lob nicht auf diese Weise verstanden wird. Ich selbst sage auch immer »Genau!« mit einem Lächeln in der Stimme. Die Klienten schwören, ich hätte gesagt, sie machen es gut. Die Zuschauer oder die Videoaufnahme wissen es besser. Bei den Klienten kam immer an, dass das, was sie taten, gut sei – das ist ja auch die Intention –, aber die Bewertung kam von ihnen selbst.

Mit dieser Lesehilfe lassen sich viele von Ericksons veröffentlichten Induktionen untersuchen und weitere Beispiele für gestärkte Unabhängigkeit und Autonomie aufzeigen. Mit der Zeit vollzog Erickson einen kompletten Wechsel seiner Denkmuster hin zu beiläufigen Induktionen, die diese bestimmt noch fördern. Ich habe zunächst auch mit formalen Induktionen begonnen und glaube, dass es wichtig ist, diese zu erlernen. Ich habe Selbsthypnose für Geburten angewendet und auch in einer Hypnose-Geburtsgruppe meiner Hebamme gelehrt. Mir gefiel aber immer die Psychotherapie besser als die medizinischen Aspekte, und jetzt wende ich Hypnose hauptsächlich in der Psychotherapie an. Dabei arbeite ich inzwischen ausschließlich mit beiläufigen Induktionen.

Die Geschichten, für die Erickson legendär wurde, eignen sich hervorragend als Induktionen und tragen oft eine eigenständige therapeutische Aussage in sich. Und man kann ihnen nur schwer widerstehen. Wenn man einer Gruppe von 100 Menschen in gleichmäßigem Tonfall erzählt: »Es war einmal, vor sehr langer Zeit, in einem fernen Land, da lebte ein schöner Prinz …«, wird fast jeder einen tiefen Atemzug nehmen, sich zurücklehnen und auf eine wunderschöne Prinzessin warten, unterwegs einem oder zwei Drachen begegnen, aber sicher sein, dass es ein Happy End gibt. Die meisten haben hier schon eine eigene Trance kreiert.

 

Mit dieser simplen Einführung werden Erinnerungen an Geschichten geweckt – gehörte oder gelesene –, aus einer Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war, egal welche Abenteuer anstanden. Was für ein großartiger innerer Ort für eine Trance! In der Einzelarbeit versuche ich, die Geschichten individuell für den Patienten zu gestalten.

Diese Art von Trance in einem Text wiederzugeben, ist schwierig. Ein wesentlicher Faktor ist die Verbindung zum Gegenüber. Es gibt Menschen, zu denen wir sehr schnell und leicht Verbindung aufnehmen – manchmal wissen wir nicht einmal, warum. Man kann es als Charisma, Wärme, Erreichbarkeit oder mit einer Menge anderer Wörter bezeichnen – wir wissen genau, was gemeint ist, wenn wir es fühlen. Allgemeiner gesprochen: Wenn ein kleines Mädchen ein Bild malt und es mir zeigt, nimmt es Verbindung zu mir auf, und zwar auf die beste Art und Weise, die ihm möglich ist. Das ist sehr schön für uns beide.

Sich zu verbinden setzt voraus, dass man sich öffnet, und das wiederum birgt potenzielle Verletzlichkeit. Das kleine Mädchen ist stolz auf sein Bild, egal wie kritzelig es sein mag. Wenn ich seine Welt betrete, entsteht zwischen uns eine spezielle Verbindung, persönlich und gleichzeitig unpersönlich. Sie vertraut darauf, dass die ihre Version einer glücklichen Welt akzeptiert und wertgeschätzt wird. Die meisten Erwachsenen sind entzückt von kleinen Kindern und das Risiko, das das Kind eingeht, lohnt sich in der Regel.

In der Hypnose ist dies ein wenig anders. Wenn Erickson sich mit jemandem verband oder wenn ich es tue, bieten wir uns – metaphorisch gesprochen – einander an. Wenn dies nicht angenommen wird, hat das nichts mit uns als Person zu tun. Es ist schlicht und einfach in dem Moment nicht das, was die Klientin braucht. Es mag sich persönlich anfühlen, ist es aber nicht. Manche mögen Erdbeereis, manche Vanille.

Wer Hypnotherapeut werden will und den beiläufigen, dialogorientierten Stil lernen möchte, muss dies vor Augen haben: Auch wenn es sich noch so sehr persönlich anfühlen mag, man muss in seinem tiefsten Inneren die Überzeugung haben, dass jegliche »Ablehnung« gegenüber dem Therapeuten nichts mit einem selbst zu tun hat. Gefühle sind nicht unbedingt »richtig«. Fragen Sie irgendeine Mutter, ob ihr Baby niedlicher ist als Ihr eigenes – Sie kennen natürlich »die Wahrheit«. Und das ist noch eine harmlose und bisweilen sogar amüsante »Ablehnung« der Wirklichkeit.

Beiläufig induzierte Trancezustände können enorm kraftvoll sein, besonders für die Therapie. Vor Kurzem hielt ich darüber einen Vortrag an einer Universität. Demonstrationen sind immer besonders anschaulich, und ich arbeite gerne mit zwei Klientinnen. Die beiden Frauen saßen nahe nebeneinander, während ich jede von ihnen fragte, was sie gerne »bearbeiten« würde, wenn sie einen Zauberstab hätte. Eine von ihnen hatte ein harmloses Ziel – sie fragte sich, ob sie ihre Zeit an der Universität vergeudete. Die andere sagte, ihr Vater sei gerade ins Gefängnis gekommen. Sie wisse nicht, wie oder was sie fühlen solle. Sie wusste, warum er dort war, aber sie vermisste ihn, wollte, dass er nach Hause kam, hatte Mitleid mit ihrer Mutter. Sie bekam ihre Gefühle nicht sortiert und war durcheinander.

Ich konzentrierte mich hauptsächlich auf diese junge Frau, während ich sprach. In Kurzform: Ich sprach langsam, in einem freundlichen Ton, aber mit Nachdruck:

»Ich möchte, dass Sie sich beide einen Garten vorstellen – Ihren eigenen Garten. Sie können sich vorstellen, dass es ein magischer Garten ist. Es gibt dort Gras und Bäume und viele wunderschöne bunte Blumen. Alle Arten von Blumen …, … und es sind alles Ihre! Sie können genau die pflücken, die Sie möchten. Ringelblumen, Schwertlilien, Veilchen, so viele Blumen, Lilien, Rosen, Gänseblümchen …, … viele verschiedene Farben und Düfte.« Ich fuhr fort: »Sogar Orchideen! Normalerweise wachsen sie nicht in Gärten, aber hier schon. Weiße, lilafarbene! Sogar Blumen, von denen Erwachsene denken, es sei Unkraut …; … aber für Kinder sind sie wundervoll – wunderschöne leuchtend gelbe Butterblumen– süß duftender Klee.« Meine Stimme wurde sachlicher, blieb aber aufmerksam: »Es gibt auch giftiges Efeu und Brennnesseln und Disteln, die stechen. Sie wollen sich fernhalten vom giftigen Efeu, weil das Brennen lange andauert …, … aber Sie können es verschmerzen. Disteln und Brennnesseln sind noch unangenehmer, aber sie sind trotzdem da. Sogar wunderschöne Rosen haben Dornen.

Sie dürfen pflücken, was immer Sie wollen …, Lilien, Rosen, aber passen Sie auf die Stacheln auf! Sie können Gänseblümchen, scheue kleine Veilchen pflücken– nehmen Sie auch eine oder zwei Orchideen – sie sind selten und wunderhübsch. Und pflücken Sie auch Butterblumen! Sie sind leuchtende, fröhliche kleine Blumen. Nehmen Sie auch eine Brennnessel und ein paar Disteln mit, denn auch die wachsen in Ihrem Garten. Die Blumen sind wichtiger, aber Sie dürfen Sie auch nicht übersehen, also pflücken Sie ein paar hinzu.«

Hier stoppte ich und wartete. Kurz darauf beendeten beide Frauen ihre Trance. Als ich sie wieder reorientierte, fragte ich sie, was sie mir und dem Publikum sagen wollten. Die Frau, deren Vater ins Gefängnis gekommen war, sprach zuerst. Sie hatte ihren Blumenstrauß gepflückt, mit allen Blumen, die sie gerne hatte, wusste genau, wie sie sich nun fühlte, und bedankte sich mit einem großen freudestrahlenden Lächeln. Die Worte der anderen Frau waren viel allgemeiner und mehr Kognition als Emotion.

Als die Zuhörer eine Diskussion starten wollten, entgegnete ich ihnen, dass sie das, was sie gesehen und gehört hatten, reflektieren und zu ihrer eigenen Schlussfolgerung kommen sollten. Diese beiden jungen Frauen hatten gezeigt, wie man mit einer beiläufig induzierten Trance arbeitet, und alles war gut. Ich zerlege keine Lösungen anderer Menschen – erst recht nicht vor anderen. Wie Erickson oft zu sagen pflegte: »Manche Dinge lässt man am besten im Unbewussten – denn da können sie Ihnen wirklich helfen!«

Für mich war es sonnenklar, was die Frau mit dem inhaftierten Vater getan hatte. Sie hatte akzeptiert, dass sie machtlos war, außer bei der Entscheidung, wie sie reagieren wollte, und sie stellte fest, dass sie viel mehr Möglichkeiten hatte, als sie ursprünglich gedacht hatte. Es wäre falsch gewesen, den Gedanken zu verleugnen, »dass er ins Gefängnis gehört«, und tatsächlich konnte sie das auch nicht von der Hand weisen – aber dies konnte ein vorübergehender Schmerz sein oder auch nur ein unangenehmes Gefühl wie der Stich eines Rosendornes oder einer Distel. Jetzt hatte sie Möglichkeiten für sich gefunden, anstatt sich in »angemessenen« oder »richtigen« Gefühlen eingesperrt zu fühlen. Von der Fakultät erfuhr ich später, dass sie fröhlicher geworden war und wieder mehr am Unterricht teilnahm, also glaube ich, dass sie es geschafft hatte, Lösungen für sich zu finden. Die andere hatte ein vergleichsweise kleineres Problem – viele Hochschulstudenten fragen sich, ob sich der ganze Aufwand lohnt. Sie gab an, sie hätte sich entschieden, das Beste daraus zu machen, egal ob es das wert sei oder nicht. Beide hatten ihr Verhaltensrepertoire erweitert.

Hätte es sich um einen Mann gehandelt, hätte ich Bäume hinzugefügt oder Felsen – beide geben etwas her und sind im Kontext nicht so »weiblich«. Ein stattlicher Walnussbaum spendet Schutz und Nahrung für viele …, Felsen sind stark und nützlich, bauen und stützen …

Diese Art von Trance hat bestimmte Vorteile. Dazu gehört, dass sie den Klienten durch Metaphern und eine Geschichte, mit der sie sich identifizieren können – und sei es nur ansatzweise –, Optionen eröffnet, an die sie vorher nie gedacht hätte. Natürlich kann es auch sein, dass sie ihre eigene Lösung »erfindet«, das wäre der Idealfall.

Das Ziel einer Trance, einer Therapie, ist genau dies: Klienten Optionen zu eröffnen, auf die sie vorher nie gekommen wären, und darauf zu vertrauen, dass sie genau das tun werden, was das Beste für sie ist. Fast immer ist das auch der Fall. Außerdem fühlen sich Klienten bereichert und gestärkt, wenn sie sich selbst etwas Gutes getan haben und dafür die Lorbeeren einheimsen können … Und das ist der größte Gewinn, den man sich vorstellen kann.

Nachtrag

Mein Sohn behauptet, noch nie in einer hypnotischen Trance gewesen zu sein, obwohl er von der bereits verstorbenen Zahnärztin Kay Thompson, einer von Ericksons frühesten und talentiertesten Studentinnen, Schmerztherapie erlernt hat. Kay verbrachte mit ihm einige Stunden bei uns zu Hause und sollte mittels einer beiläufig induzierten Trance sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes für immer verändern. Der damals fünf Jahre alte David war auf seinen ersten Zahnarztbesuch gut vorbereitet worden und wollte dem Zahnarzt stolz seine guten, gesunden Zähne zeigen. Der Zahnarzt wies ihn an, sich auf den Stuhl zu setzen, fixierte seine Arme und Beine und befahl ihm, kein Wort mehr zu sagen. Mein Sohn war sehr verängstigt und rief nach mir. Ich ging zu ihm, befreite ihn und rief dann meinen Vater an, erzählte ihm, was passiert war und fragte, was wir tun sollten. Er sagte: »Ruf Kay Thompson an!« Das tat ich. Erfreulicherweise war sie gerade auf dem Weg in die Stadt, in der wir lebten, um auf einer Konferenz zu referieren. Sie sagte, sie wolle sich darum kümmern. Sie bat mich, sie und einige andere zum Abendessen einzuladen. Ich sollte nichts sagen, und ich tat genau, was sie sagte.

Kay kam, begrüßte die anderen Gäste, und setzte sich dann mit David auf den Fußboden. Sie bauten etwas aus seinen Bauklötzen und bewunderten gegenseitig ihre Bauwerke. Kay saß auch beim Abendessen neben David und sprach die meiste Zeit mit ihm. Ein sehr merkwürdiges Abendessen – der »Ehrengast« ignorierte alle außer meinem fünfjährigen Sohn.

Bevor sie sich verabschiedete, nahm sie David auf ihren Schoß. Sie sah ihm in die Augen und sagte in diesem ganz speziellen, nachdrücklichen Ton: »David, weißt du, was ich bin?« Wieder einmal war die Wortwahl ausgesprochen bedeutsam. »Was« klingt seltsam – er weiß, wer: Mamas Freundin; aber »was«? David starrte sie an – offen und bereit für weitere Informationen. Kay fuhr fort: »Ich bin Zahnärztin.« David war verblüfft! Kay sprach weiter mit ihrer eigentlichen Botschaft: »Es gibt männliche und weibliche Zahnärzte. Es gibt gute und schlechte Zahnärzte!« Dann küsste sie ihn auf die Wange, nahm ihn vom Schoß und ging. Ich war genauso verblüfft und sagte kein Wort. Es wurde nie wieder darüber gesprochen.

Fünf Jahre später hatte David heftige Zahnschmerzen und es musste zahnärztlich einiges unternommen werden. Er wollte nie eine Betäubung, er wollte eigentlich immer nur seine Comics lesen. Und das tat er auch. Die Zahnärzte waren sehr zufrieden – ein pflegeleichter Patient, wenn man so will. Einmal sagte ich ihm, dass ich ihn sehr mutig fände, und ich bewunderte ihn dafür, dass er so viele zahnärztliche Eingriffe aushalten konnte, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Er schaute mich bloß an und sagte: »Ich habe Glück gehabt, Mama. Ich hatte immer nur gute Zahnärzte.«

Zwanzig Jahre später, nach Kays Tod, schrieb ich diese kleine Geschichte für ein Buch auf, das ihr zu Ehren herausgegeben wurde. Ich beschloss, sie David zu zeigen, er war zu der Zeit um die dreißig Jahre alt. Er las die Geschichte. Dann setzte er sich und las sie noch einmal. Ich beobachtete, wie seine Augen jedes einzelne Wort erfassten. Dann drehte er das Blatt um und legte es auf den Tisch. Er sagte: »Mutter, das ist niemals so passiert.« Er stand auf und verließ den Raum. Ich habe es ihm gegenüber nie wieder angesprochen. Es gibt, wenn man mich fragt, keinen Zweifel an der Wirkung einer Trance, die von einem Meister (bzw. einer Meisterin) auf beiläufige Weise induziert wurde!