Loe raamatut: «Die Kinder vom Schmetterlingshof»
Die Kinder vom Schmetterlingshof
Impressum
1. Teil
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2. Teil
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3. Teil
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Über die Autorin
Gisela Sachs
Die Kinder vom Schmetterlingshof
Kinderbuch
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96752-107-8
E-Book-ISBN: 978-3-96752-607-3
Copyright (2020) XOXO Verlag
Umschlaggestaltung & Buchsatz: XOXO Verlag
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Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
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Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Hey, kleiner Schmetterling,
wie weit bist Du geflogen?
Wie bunt doch Deine Flügel sind,
warst Du beim Regenbogen?
In liebevoller Erinnerung an
Oma Anna und Opa Wilhelm.
1. Teil
Das Leben auf dem Bauernhof
1
Mein Name ist Anna. Ich bin sieben Jahre alt und wohne mit meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Opa auf einem Bauernhof. Weit entfernt von der nächsten Stadt. Wir haben viele Tiere: Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen, Kühe, einen Gockelhahn, die dicke Katzenmutter Minka, drei getigerte Katzenbabys und den Hofhund Bello. Unser Hof ist umgeben von Wiesen, Wäldern und Feldern. Und vom Frühjahr bis zum Herbst tanzen bunte Schmetterlinge in den Blumenfeldern. Und wegen der vielen Schmetterlinge nennt man unseren Hof Schmetterlingshof.
Wir haben viele Sträucher mit Himbeeren, Johannisbeeren, Brombeeren und Stachelbeeren. Gleich neben der Haustür. Und Erdbeerfelder haben wir auch. Und es gibt saures Gemüse in Gläsern bei uns zu kaufen: Maiskölbchen, Gürkchen, Karotten, Sellerie, Paprika und kleine Silberzwiebelchen. Die Kirschbäume, Birnbäume, Pfirsichbäume, Aprikosenbäume, Pflaumenbäume und Zwetschenbäume stehen etwas weiter entfernt von unserem Wohnhaus. Links und rechts neben den Kartoffelfeldern. Die Apfelbäume stehen hinter der Scheune. Da, wo mein Sandkasten und die Schaukel stehen. In den Sandkasten gehe ich schon lange nicht mehr rein. Schaukeln tue ich aber ganz gerne.
Wir haben auch Walnussbäume, Mandelbäume und Haselnusssträucher. In dem Walnussbaum vor dem Küchenfenster wohnt ein braunes Eichhörnchen. Ich beobachte es jeden Tag beim Frühstück, wie es den Baumstamm rauf- und runterwuselt.
Manchmal kommt eine Elster angeflogen und macht dem Eichhörnchen Stress. Die Elster ist ein Biest, sie macht ein lautes Geschrei und will das Eichhörnchen vom Ast vertreiben. Dabei sind doch noch genug Äste frei.
In unserem Hofladen gibt es auch Kohlrabi, Wirsingkraut, Weißkohl, Rotkohl, Blumenkohl, Radieschen, weißen Rettich und roten Rettich, Gurken, Karotten und rote Rüben zu kaufen. Und Ackersalat und Kopfsalat und Endiviensalat. Und Kartoffeln natürlich. Und Eier und Zwiebeln. Und freitags und samstags betreiben die Mama und der Papa einen Stand auf dem Wochenmarkt in der Großstadt. Der Opa, der Michel und ich führen dann den Hofladen. Und der Opa kocht sogar das Essen. Die Mama und der Papa sind immer sehr hungrig, wenn sie vom Markt heimkommen.
Die Mama und der Papa müssen sehr früh aufstehen an den Markttagen. Bis die Sachen vom Hofladen im Auto verstaut sind, das dauert ganz schön lange. Die Kartoffelsäcke sind schwer. Und die Kisten mit dem Gemüse auch. Der Papa und die Mama fahren ohne Frühstück los zum Markt. Aber der Opa legt immer eine Thermoskanne mit Kaffee und Wurstbrote ins Auto für die Mama und den Papa. Mit anpacken kann der Opa gerade nicht. Er hat schlimme Rückenschmerzen. Auf dem Markt müssen die Mama und der Papa das Obst und das Gemüse schön aufbauen. Und nach dem Markt müssen sie den Stand wieder abbauen und die restlichen Sachen wieder im Auto verstauen. Aber meist ist alles ausverkauft. So müssen die Eltern nur die leeren Holzkisten nach Hause transportieren. Und die Tische. Und die Marktschirme. Und die leeren Eimer. Und die Waage. Und die Kasse. Und die Papiertüten. Und die Wasserkanister. Der Papa besprüht nämlich den Salat immer mit Wasser. Damit er frischer aussieht. Und länger hält. Und wenn die Eltern zuhause angekommen sind, müssen sie die Sachen aus dem Auto raus und in die Scheune rein tragen. Da sind sie immer ganz froh, dass der Opa das Essen schon fertig hat. Und der Tisch in der Küche gedeckt ist.
Heute hat der Opa Gulasch gekocht. Schon in den frühen Morgenstunden. Der Opa schläft schlecht. Da steht er lieber auf und beschäftigt sich. Es wird Nudeln zu dem Gulasch geben. Und gemischten Salat. Mit ganz vielen Tomaten und Gurkenscheiben drin. Und Schnittlauch und Petersilie wird der Opa über den Salat streuen. So, wie es die Oma immer gemacht hat. Und als Nachtisch wird der Opa Vanilleeis mit heißen Himbeeren servieren. Der Opa macht sehr schöne Eisbecher. Er steckt immer ein Schirmchen in die Sahne. So, wie es die Kellnerin in der Eisdiele macht. Er wird dem Michel Schokoladenstreusel über die Sahne streuen. Und mir Mandelsplitter. Ich mag Mandeln sehr. Wir haben vier Mandelbäume. Und sie tragen jedes Jahr viele Früchte. Aber die Mandelsplitter haben wir im Supermarkt gekauft. Wir kaufen nicht oft im Supermarkt ein. Weil wir ja fast alle Dinge selbst haben. Und unsere Lebensmittel auch viel gesünder sind. Wir pflücken das Obst frisch vom Baum. Zupfen die Beeren frisch vom Strauch. Auch die Tomaten. Es ist wunderbar, wie die Tomaten duften. Meine Hände riechen noch lange danach. Und ich schnuppere immer wieder an meinen Händen. Ich liebe den Frischetomatenduft sehr.
Den Salat schneiden wir frisch vom Feld. Kurz vor dem Essen. Auch den Schnittlauch und die Petersilie und die anderen Kräuter. Nur die Kartoffeln und die Zwiebeln holen wir aus dem Keller. Aber Klopapier und Waschpulver und Schreibzeug müssen wir halt doch im Supermarkt kaufen. Der Bello weicht wieder einmal nicht von Opas Seite. Aber er kriegt trotzdem kein Gulasch ab. Er soll sein Hundefutter fressen, meint der Opa. Aber der Bello bettelt so lieb, dass der Opa ihm schließlich doch einen Happen Gulaschfleisch zuschiebt.
Meine Mama ist Blumenbinderin von Beruf. Wie meine Oma. Sie verkauft aber nicht nur Blumensträuße und Blumengestecke in unserem Hofladen, sondern auch viele andere Sachen. Selbst gekochte Marmeladen aus unseren Beeren zum Beispiel. Und eingekochtes Obst. Birnen, Zwetschgen, Pflaumen, Aprikosen, rote Weinbergpfirsiche und Stachelbeeren. So haben wir auch im Winter unser eigenes Obst. Unsere Kellerregale sind voll mit Obst- und Marmeladengläsern. Ab dem ersten Dezember backt die Mama Plätzchen und Stollen für den Weihnachtsmarkt in unserer Scheune: Zimtsterne, Haselnussmakronen, Walnussplätzchen, Butterplätzchen und feines Spritzgebäck. Und es gibt mit brauner Schokolade überzogene Walnüsse und Haselnüsse. Das Trockenobst überzieht die Mama mit weißer Schokolade. Und sie verpackt es in durchsichtigen Beuteln und bindet ein Schleifchen und einen Strohstern an jeden Beutel. Ich mag am liebsten die mit weißer Schokolade überzogenen Aprikosen. Und der Opa und der Papa auch. Schade, dass es diese guten Sachen nur zur Weihnachtszeit gibt. Die Mama versteckt die Weihnachtsnaschereien immer Haus. Aber wo die Schachteln versteckt sind, das verrät sie noch nicht einmal dem Papa. Aber ich glaube, die Plätzchen sind beim Opa im Zimmer. In seinem Wäscheschrank vielleicht? Oder in der großen weißen Schachtel unter seinem Bett? Der Opa verschwindet oft mal für eine Weile in seinem Zimmer. Und wenn er wieder herauskommt, hat er meist volle Backen. Und er hat ein schelmisches Grinsen im Gesicht. So, wie mein Bruder, wenn er einen Streich gemacht hat.
Unser Hofladen ist im Advent auch sonntags geöffnet. Aber nur nachmittags. Von 15 Uhr bis 18 Uhr. Da backt die Mama Waffeln. Und sie kocht zwei große Töpfe mit Weihnachtspunsch. Einen Topf mit Alkohol und einen Topf ohne Alkohol. Die Waffeln gibt es mit Apfelmus oder mit Kirschen und Schlagsahne und Zucker und Zimt. Und es gibt verschiedene Teesorten zum kostenlosen Probieren. Handgepflückt und getrocknet von der Mama: Pfefferminztee, Lindenblütentee, Melissentee, Lavendelblütentee, Hagebuttentee, Kräutertee und Früchtetee und Kamillentee. Es gibt auch Kaffee, aber den muss man bezahlen. Weil der Kaffee von einem anderen Land kommt. Und teuer ist.
Unser Scheunenweihnachtsmarkt ist sehr beliebt. Da kommen die Menschen aus den umliegenden Dörfern nur so angeschwärmt. Und die wunderschönen Weihnachtsgestecke und die schönen Plätzchen meiner Mama sind immer ganz schnell ausverkauft. Die Mama macht die schönsten Weihnachtsgestecke weit und breit. Ich will auch einmal solche kunstvollen Gestecke machen können.
Meine Mama kann auch schön nähen und stricken und basteln. Sie strickt Wollsocken und Schals und Handschuhe und Mützen für Menschen und für Puppen. In allen möglichen Farben und Größen. Die Mama bietet auch getrockneten Lavendel an. Den hat sie in selbst genähte Leinenbeutel verpackt. Die Leinenbeutel hat sie mit goldenen Sternchen bestickt. Die Mama lässt sich immer was Besonderes einfallen für den Scheunenweihnachtsmarkt. Manchmal macht sie sogar Seifen. Und Cremes. Die Mama bastelt auch gerne. Strohsterne für den Speisesaal im Pflegeheim zum Beispiel. Und bunte Girlanden für den Gemeindesaal im Nachbardorf. Dort treffen sich einmal im Monat die Landfrauen mit dem Herrn Pfarrer und schauen sich Filme aus anderen Ländern an. Der Herr Pfarrer ist weit gereist. Er war sogar schon einmal in Peru. Und das ist am Ende der Welt.
In unserem Dorf gibt es noch einen anderen Bauernhof, der gehört der Familie Schmitz. Die Schmitzes haben zwei Kinder. Zwei Buben. Marco und Danielle. Und ganz viele Schweine und Hühner und Ziegen. Sie verkaufen geräucherten Schinken und Leberwurst und Blutwurst in Ringen. Und Bratwurst und andere Wurstsorten in Dosen. Herr Schmitz ist nicht nur Landwirt. Er ist auch Fleischermeister von Beruf. Auf dem Schmitzhof gibt es einen ganzen Kellerraum voll mit Würsten. Die Dosen stehen in Regalen. Die Ringe hängen zum gut durchtrocknen an Stangen in der Luft. Die Schinken auch. Die Schwarzwurst im Ring ist so hart, da habe ich Angst, ich könnte mir einen Zahn ausbeißen. Auf dem Schmitzhof gibt es auch Apfelsaft in Flaschen zu kaufen. Und Holunderbeerensaft. Und Johannisbeersaft. Und Rhabarbersaft mit Erdbeeren. Und Nudeln. Viele verschiedene Sorten von Nudeln. Breite Nudeln, dünne Nudeln, Hörnchennudeln und sogar Spaghetti. Und Tomatensoße, abgefüllt in Gläsern. Manchmal bringt die Mama Schinken und Bratwurst in der Dose und Ziegenmilch und Ziegenkäse mit nach Hause, wenn sie bei der Frau Schmitz zu Besuch war. Ich mag keine Ziegenmilch und auch kein Ziegenkäse und Ziegenfleisch erst recht nicht. Das Ziegenzeugs stinkt. Aber der Schinken von den Schmitzes schmeckt mir gut. Und die Bratwurst auch. Und die selbst gemachten Nudeln erst. Ich könnte jeden Tag Spaghetti mit Tomatensoße essen. Wir tauschen manchmal unsere Sachen. Kartoffeln gegen Nudeln zum Beispiel. Das finde ich sehr lustig. Zwei alte Tanten und ein alter Onkel von Frau Schmitz machen gerade Urlaub auf dem Schmitzhof. Sie kommen aus Italien. Das ist ziemlich weit weg, sagt mein Bruder. Die alten Menschen wohnen im Nebengebäude, im ersten Stock. Und sie sitzen fast immer auf der Bank vor dem Haus und beobachten den Himmel, die Vögel, die Katzen, die Hühner. Und die Schmetterlinge. Nur zu den Essenszeiten gehen sie ins Haus rein. Und zum Mittagsschlaf machen. An den Schmetterlingen haben die alten Menschen die größte Freude. Sie freuen sich auch immer sehr, wenn sie mich und den Michel sehen. Und das ist ziemlich oft. Ein paar Mal am Tag. Sie winken und lachen uns zu. Und wir winken zurück und freuen uns, dass es ihnen so gut gefällt hier. Ich lache, wenn ich mit dem Springseil an den Hühnern vorbei hüpfe und sie erschreckt davon laufen. Und die alten Leute lachen auch. Sehr sogar! Sie halten sich die Bäuche vor Lachen. Und dem alten Mann rinnen oft die Tränen über die Backen beim Lachen. Die drei alten Menschen singen oft italienische Lieder. Das hört sich sehr schön an. Schade, dass ich nicht verstehen kann, was sie singen. Aber ich denke, es sind schöne Liedertexte. Die Musik klingt so lustig. Die Frauen klatschen den Takt mit den Händen mit. Und der Onkel schlägt sich mit beiden Händen auf die Schenkel beim Singen. Ich kann seine Zahnlücke sehen, wenn er singt. Auch wenn er lacht. Vielleicht hat der Onkel Angst vor dem Zahnarzt? Wie unser Opa.
Seit ein paar Tagen wohnt eine Frau auf dem Schmitzhof. Sie kommt aus Polen und heißt Nathalie. Ich habe sie aber noch nicht gesehen. Nur auf Fotos. Die Nathalie kocht und backt und macht die Wäsche für die Familie Schmitz. Weil auf den Äckern gerade so viel zu tun ist. Und irgendwann in den nächsten Tagen wird noch ein junger Mann auf den Schmitzhof kommen. Er heißt Alexander. Und er wird in den Ställen und beim Eierverpacken und auf den Feldern helfen. Das hat mir der Michel erzählt. Alexander kommt auch aus Polen. Da wird die Nathalie sich freuen. Die Nathalie wohnt im Nebengebäude. Direkt unter dem Dach. Da, wo die vielen Schwalbennester sind.
Die Nathalie hat niemand, mit dem sie in ihrer Sprache reden kann. Deutsch sprechen kann sie nämlich nicht viel. Nur, guten Tag sagen, kann sie. Und, guten Morgen. Und, gute Nacht. Und, guten Appetit. Und, danke. Und, bitte. Man muss sich doch miteinander unterhalten können. Sonst wird man ja ganz dumm im Kopf. Aber bald kommen noch mehr Erntehelfer aus Polen auf den Schmitzhof. Und ein Freund des Herrn Pfarrers, wird ihnen Deutschunterricht. Dann können die Menschen endlich miteinander sprechen.
Seit der Verwandtenbesuch auf dem Schmitzhof ist, gibt es bei den Schmitzes noch mehr Spaghetti als sonst. Fast jeden Tag. Und wir werden oft eingeladen, zum Spaghetti mit Tomatensoße essen. Der Opa mag aber nicht so gerne mit auf den Schmitzhof zum Essen. Er isst lieber unsere Kartoffeln. Mit Quark. Und Schnittlauch obenauf. Das mag der Opa ganz gerne. Der Papa hat viele verschiedene Sorten Kartoffeln gepflanzt. Festkochende, mehlige, gelbe, weiße und sogar blaue. Aber die blauen Kartoffeln will niemand kaufen. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht, meint der Papa. Die Mama kneift den Papa in den Arm. Sie mag es nicht, wenn der Papa so daherredet.
Am Waldrand stehen drei Holzhäuser. Sie stehen schon seit vielen Jahren leer. In den Häusern tummeln sich Mäuse und Ratten. Und anderes Getier. Die Wände sind mit Spinnweben überzogen. Und es stinkt. Ganz muffig. Ich mache immer einen großen Bogen um die Mäuserattenhäuser. Ich ekele mich vor Mäusen und Ratten. Auch vor Spinnen und Fledermäusen. Und Blindschleichen. Und Regenwürmern. Aber am allermeisten von Blindschleichen. Und von denen gibt es hier viele. Hinter den Kartoffelfeldern steht ein altes Backsteinhaus, direkt neben dem kleinen See. Darin wohnt mein Religionslehrer, der Herr Kugler. Herr Kugler lebt allein in dem Haus. Seine Söhne können nur zur Ferienzeit kommen. Sie wohnen mit ihren Familien im Ausland. In Frankreich und in Thailand. Mein Religionslehrer nimmt mich in seinem Auto mit zur Schule in den Nachbarort. Und nach dem Unterricht darf ich wieder mit ihm nach Hause fahren. Das ist eine große Erleichterung für meine Mama. Sie spart viel Zeit ein, wenn sie mich nicht zur Schule fahren und dort wieder abholen muss. Und sie kann in aller Ruhe kochen. Mein Papa kann mich nämlich nicht von der Schule abholen. Er muss die Verkaufsläden in den Nachbarorten mit Kartoffeln, Zwiebeln, Gemüse und Salaten beliefern. Der Papa beliefert sogar den Edeka Laden in der Stadt mit unseren Produkten. Und er hat auf den Feldern zu tun. Viele Stunden am Tag. Und in den Ställen und im Garten und im Wald. Gestern hat der Papa hundert neue Tannenbäumchen gepflanzt. Danach hat ihm ganz schön der Rücken geschmerzt und ich habe ihn massiert. Der Papa mag es gerne, wenn ich ihm den Rücken massiere. Und er hält ganz still. Aber nach ein paar Minuten Paparücken massieren tun mir die Finger weh. Und die Mama massiert den Papa weiter. Ich schaue gerne zu, wenn die Mama den Papa massiert. Der Papa grunzt dann wie ein Schweinchen.
Herr Kugler singt während der Autofahrt. Die ganze Zeit. Meist Kirchenlieder. Aber auch andere Sachen. Lieder von der Kelly Family zum Beispiel. Herr Kugler mag die Lieder von der Kelly Family sehr. Schade, dass wir immer so schnell zuhause sind. Ich würde ihm gerne viel länger zuhören. Mein Religionslehrer kommt oft zum Tee trinken zu uns. Und fast immer an einem Samstag, wenn die Mama frischen Hefezopf gebacken hat. Die Mama backt jedes Wochenende Hefezopf und das weiß der Herr Kugler ganz genau. Die Mama backt immer einen großen Hefezopf mit Rosinen und einen kleineren Zopf ohne Rosinen. Der kleine Hefezopf ohne Rosinen ist für meinen Bruder und mich. Mein Bruder und ich mögen nämlich keine Rosinen. Herr Kugler mag die selbst getrockneten Tees und die selbst gekochten Marmeladen von der Mama. Und wie. Ganz dick schmiert er die Marmelade auf den Hefezopf. Er hat keine Frau oder eine Mutter oder eine Tante, die für ihn Hefezopf backen könnte oder Tee und Marmelade kochen. Am allerliebsten mag Herr Kugler den Früchtetee. Den gibt es aber nur zur Weihnachtszeit. Die Mama hat ein Geheimrezept für den Früchtetee. Sie nimmt dafür Pfefferminze, Melisse, Zitronengras, Brenneseln, Johanniskraut, Hagebutten, Lavendelblüten, Apfelschalen, Zitronenschalen und Orangeschalen. Wie viel von allem die Mama in den Früchtetee rein tut, das weiß ich aber nicht. Mein Religionslehrer kann nicht kochen und nicht backen. Der kann noch nicht einmal ein Ei in die Pfanne hauen, meint der Opa. Oder Kartoffeln aufsetzen. Der lässt selbst das Kaffeewasser noch anbrennen. Der Herr Kugler kann aber ganz schön Klavier spielen. Und Trompete und Geige und Mundharmonika spielen kann er auch. Manchmal setze ich mich auf die Bank vor seinem Haus und höre ihm zu. Und der Opa auch. Er hat sich mit meinem Religionslehrer angefreundet. Und sie reden oft die halbe Nacht lang miteinander.
Mein Bruder heißt Michael, aber alle nennen ihn Michel. Der Michel ist fünf Jahre älter als ich. Er geht schon ins Gymnasium. Das Gymnasium ist in der Stadt. Und der Michel fährt mit dem Bus zur Schule. Und er isst auch in der Schule zu Mittag. Aber das Essen dort schmeckt meinem Bruder nicht. Der Michel würde viel lieber zu Hause zu Mittag essen. Weil es bei unserer Mama einfach besser schmeckt. Mein Bruder kommt erst abends wieder von der Schule heim. Und dann hat er immer viel zu erzählen. Von den Schülern, den Lehrern, den Schularbeiten, den Hausaufgaben, der Theatergruppe und dem Chor. Mein Bruder ist total hungrig, wenn er heimkommt. Heute gibt es Linsen und Spätzle und Saitenwürstle. Das ist das Lieblingsessen von meinem Bruder. Und meines auch. Der Michel will einmal Tierarzt werden. Aber nicht für Kühe und Enten und Katzen und Hühner und Hunde und Vögel. Der Michel will Elefanten gesund machen und Giraffen und Löwen und Tiger und Leoparden. Und seine Freunde Danielle und Marco wollen das auch. Bei uns gibt es aber keine kranken Elefanten, Löwen, Giraffen, Leoparden oder Tiger. Auch keine gesunde.
Ich finde Marco und Danielle ganz schön blöd. Die lachen immer, wenn mein Bruder mich ärgert und ich dann weinen muss. Sie sagen Heulsuse zu mir und Prinzessin Weichei und lauter solche blöden Sachen. Aber das sagen sie nur, wenn keine Erwachsenen in der Nähe sind. Sonst bekommen die Gebrüder Schmitz nämlich Fernsehverbot. Und der Michel auch.
Opa Wilhelm bewohnt ein Zimmer im Untergeschoss, gleich neben der Küche mit dem Ausgang zu den Ställen. Die Wohnung im Dachgeschoss steht leer, seit unsere Oma in einem Pflegeheim wohnt. Die Oma ist krank im Kopf. Sie hat vergessen, dass es den Schmetterlingshof, den Opa, die Mama, den Papa, den Michel und mich gibt. Sie hat auch vergessen, dass sie einmal eine Floristin und Schneiderin war. Aber die Oma ist glücklich in dem Heim und das Essen dort schmeckt der Oma auch. Wir beliefern die Pflegeheimküche täglich mit frischem Salat, Obst, Eiern, Kartoffeln und Gemüse. Und wir spenden das ganze Jahr über den Tischschmuck für den Speisesaal. Auch die Kerzen aus Bienenwachs. Vielleicht sind deshalb alle Angestellten so lieb zu der Oma, meint der Michel. Aber ich glaube, die Heimleiterin ist ein bisschen verliebt in den Papa. Und die Köchin und die Krankenpflegerin und die dicke Frau, die mit der Oma Gymnastik macht, auch.
Mein Lieblingstier ist der Hofhund Bello. Der gehört aber meinem Bruder. Der Michel hat den Bello zum zehnten Geburtstag geschenkt bekommen. Der Bello ist ein besonderer Schäferhund. Er ist viel schlauer als die anderen Schäferhunde, die ich kenne. Der Bello kann sogar Fußball spielen. Ich werde auch einen Schäferhund zu meinem zehnten Geburtstag bekommen. Das hat der Opa mir ganz fest versprochen. Ich habe schon den Namen für meine Hündin ausgesucht. Sie soll Bella heißen. Und der Opa wird für meine Hündin eine Hütte bauen. Hinter dem Haus, direkt unter den Apfelbäumen. Das hat der Opa mir auch ganz fest versprochen. Und der Opa hat noch nie ein Versprechen gebrochen. In seinem ganzen Leben nicht. Was man verspricht, das muss man auch halten, sagt der Opa. Aber jetzt muss der Opa erst einmal die Futterhäuschen reparieren. Damit die Vögel Eier reinlegen können. Im letzten Jahr waren die Futterhäuschen zwei Mal belegt. Und der Opa hofft, dass es dieses Jahr ebenso werden wird. Und es hat ja auch noch fast drei Jahre Zeit mit der Hundehütte.
Ich schaue gerne den Meiseneltern zu, wenn sie ihre Kinder füttern. Und die Jungen um die Wette zwitschern im Nistkasten. Bei den Meisenfamilien geht es immer sehr fröhlich zu. Auch am Tag des Auszugs, wenn die Meisenmutter ein letztes Mal ihre Kinder füttert. Es sieht lustig aus, wenn ein Meisenkind nach dem anderen den Kopf aus dem Nistkasten streckt und rauskrabbelt. Und auch die ersten Flugversuche der Meisenkinderchen sehen lustig aus. Die Meisenfamilien verbringen den Tag noch bei uns auf dem Schmetterlingshof, bevor sie uns für immer verlassen. Und wenn die Vögelchen weggeflogen sind, waschen wir die Nistkästen mit heißem Wasser aus. Damit es die nächsten Vögelchen schön sauber haben und nicht krank werden.
Mein Papa heißt Markus. Er ist ein starker Mann, er kann zwei Kartoffelsäcke auf einmal tragen. In jeder Hand einen. Der Papa ist groß und schlank. Er hat hellblaue Augen und strohblonde Haare. Und er lacht und pfeift fast immer, vom frühen Morgen an bis in den späten Abend. Obwohl er gar nicht schön pfeifen kann. Und seine Arbeit ganz schön schwierig ist. Heute hat die Kuh Berta dem Papa den Schwanz um die Ohren gehauen. Die Berta schlägt immer zu, seit sie gekalbt hat. Der Papa hat jetzt ein paar Striemen im Gesicht, aber er ist trotzdem fröhlich. Ich werde einmal einen Mann heiraten, der so schön, so stark und so lustig ist wie mein Papa. Und ich werde unseren Schmetterlingshof nie verlassen. Gar nie, in meinem ganzen Leben nicht!
Meine Mama heißt Jessica, aber alle nennen sie Jessi. Außer dem Michel und mir. Wir sagen Mama zu der Mama. Meine Mama ist die schönste Frau weit und breit. Sie hat lange kastanienbraune Haare und grüne Augen. Die Haare hat die Mama zu einem Zopf geflochten bei der Arbeit. Aber wenn sie mit dem Kochen und Melken fertig ist, öffnet sie die Haare. Dem Papa gefällt es, wenn die Mama die Haare offen trägt. Er mag es auch, wenn die Mama bunte Sommerkleider trägt und Lippenstift und Nagellack benutzt. Und hohe Schuhe anzieht. Der Opa kann es nicht leiden, wenn die Mama sich schminkt und hohe Schuhe anzieht. Aber damit muss der Opa fertig werden, meint der Papa.
Marco und Danielle haben eine italienische Mama. Sie heißt Simona und sie ist mit meiner Mama befreundet. Sie gehen jeden Dienstagabend zusammen in die Gymnastikgruppe. Und manchmal fahren die Beiden mit dem Auto in die Großstadt ins Kino. Oder zum Eis essen. Oder neue Kleider und Schuhe und Handtaschen kaufen. Frau Schmitz hat ganz viele Schuhe und ganz viele Handtaschen. Und auch viele Kleider. Und viel Haarschmuck. Und viele Ketten und viele Schals und viele Hüte. Sie hat sogar mehrere Armbanduhren. Für jeden Tag eine andere. Im Sommer trägt Frau Schmitz riesige Strohhüte, fast so groß wie ein Wagenrad. Und im Winter trägt sie bunte Hüte aus Fils mit Blumen an der Seite. Und im Sommer wie im Winter trägt Frau Schmitz eine riesige Sonnenbrille. Frau Schmitz hat viele Sonnenbrillen in allen möglichen Farben. Grüne, gelbe, rote, weiße, blaue und sogar eine lilafarbene. Und sie riecht immer nach Parfüm. Ich mag Parfümgeruch nicht leiden.
Der Papa von Danielle und Marco heißt Christian. Er spielt zusammen mit meinem Papa Fußball im Fußballverein im Nachbardorf. Und nach dem Fußball spielen gehen sie meist noch ein Bier trinken. Herr Schmitz trinkt gerne mit dem Papa zusammen ein Bier. Oder zwei. Manchmal auch drei. Die Mama mag es nicht, wenn der Papa nach Hause kommt und nach Bier und Zigaretten riecht. Und ich auch nicht. Allemal besser als Parfümgeruch, sagt der Opa. Und der Papa lacht. Dann sind wir uns ja mal wieder einig, Vater.