Der Bierzauberer

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3

Nach dieser interessanten und ungewöhnlichen Entdeckung konnten beide Brauer den Herbst nur mehr mit Ungeduld erwarten. In der Zwischenzeit brachte ein Händler weitere dieser Hopphopflanzen zum Kloster mit. Als die Brauzeit im Spätsommer endlich losging, brauten die beiden praktisch ausschließlich mit Hopfen, wie sie die Pflanze nannten.

Beinahe alle der Mitbrüder wollten gar nichts anderes mehr trinken, und sie lobten neben dem Geschmack des Hopfenbiers besonders dessen Bekömmlichkeit. Nicht, dass die bisherigen Biere nicht bekömmlich gewesen wären, aber der Hopfen machte die Zugabe anderer Kräuter und Wurzeln, die bisweilen seltsame Nebenwirkungen hervorgerufen hatten, überflüssig.

Einige wenige wünschten sich die althergebrachten Biere zurück, die einmal nach Lorbeer, ein andermal dafür eigentümlich nach Kümmel geschmeckt hatten. Nicht so sehr wegen des Geschmacks, sondern aus Furcht vor Veränderung.

»Wir sind ein Ort der Aufbewahrung. Und dazu gehört unter anderem, dass wir nicht immer neue Speisen und Getränke verkosten möchten. Lasst uns bitte beim Althergebrachten bleiben«, sagte zum Beispiel der Prior Karlmann gerne.

Doch sogar die ›Bewahrer‹ beugten sich bald der Mehrheit der Hopfen-Biertrinker.

Nur einmal ermahnte Abt Kilian seine Brauer, nicht zu viel Bier auszuschenken, da einige Brüder das morgendliche Gebet verschlafen hatten. Dies musste Bruder Thomas dann zum Leidwesen seiner Mitbrüder befolgen.

Dadurch, dass das Bier nun länger haltbar war, konnten sich die Brauer die Arbeit ganz neu einteilen. Mussten sie bis dahin immer dann Bier brauen, wenn ein Ende der Bestände in Sicht war, konnten sie jetzt in einem regelmäßigen Ablauf Bier herstellen, sogar etwas auf Vorrat produzieren, unabhängig davon, ob viel oder wenig getrunken wurde; dadurch geschah es nie wieder, dass kein Bier zur Verfügung stand. Das ganze Klosterpersonal war von dieser neuen Entwicklung sehr angetan.

Bis auf Bruder Ansgar von der Backstube. Er wurde von den Brauern immer mit ›Zeug‹ versorgt, das am Ende der Gärung im Bottich liegen blieb. Mit diesem Zeug konnte er die Brote auf bessere Art backen als ohne. Nachdem Bruder Thomas und Niklas jedoch mehr und mehr mit Hopfen brauten, beschwerte sich Bruder Ansgar darüber, dass er das Zeug nicht mehr zum Backen verwenden könne, weil es so bitter sei.

Äußerlich eher das Gegenteil von Thomas, überragte Ansgar Thomas um Kopfeslänge. Die Größe kam allerdings nur von den langen Beinen, sein Rumpf war eigentlich gedrungen. Die Kutte verhüllte dies aber gnädig. Ansgar war kräftig, ohne dick zu sein, sein kurzer, dicker Hals ließ den Kopf wie direkt auf die breiten Schultern aufgesetzt erscheinen. Niklas hatte das Gefühl, dass Ansgar immer an ihm vorbeisah. Seine eng beieinander sitzenden Augen schielten nämlich leicht. Er mochte ihn von Anfang an nicht.

Als Ansgar sich zum ersten Mal beschweren kam, brachte er einen seiner Gehilfen mit. Niklas stellte erfreut fest, dass es der Junge mit den schiefen Zähnen war, den er damals in Hahnfurt getroffen hatte und der ihm, wenn auch nicht bewusst, den Weg nach Urbrach gewiesen hatte. Seine Blässe hatte er immer noch nicht abgelegt, in der dunklen Kutte der Novizen wirkte er wie ein kleines Gespenst.

»Ich bin Niklas, erkennst du mich wieder?«, fragte er verlegen.

Der Junge schüttelte zuerst den Kopf, dann besann er sich und grinste:

»Mein Name ist Bernard. Ich bin der Bäckergehilfe.«

»Und ich der Brauergehilfe«, erwiderte Niklas stolz.

»Hört auf, hier Reden zu schwingen«, fuhr Ansgar dazwischen, »ich habe ein ernstes Wort mit Thomas zu reden.«

Thomas ließ sich jedoch schnell überzeugen, dass die Brote wirklich nicht so gut schmeckten, und versprach Ansgar, in Zukunft gelegentlich einen Bottich nach alter Machart zu brauen.

Für dieses Bier verwendeten sie aber lediglich die bereits ausgelaugten Treber eines normalen Bieres anstatt frisches Getreide. Dadurch wurde das Bier dünn, farblos und labberig.

»Anderswo nennt man dieses Bier Convent, das ist für die Armen und Pilger«, lachte Thomas. »Zum Brotbacken hingegen ist das Zeug daraus genau richtig.«

Niklas hoffte in den kommenden Wochen, Bernard ab und zu einmal zu treffen, jedoch der volle Tagesablauf und die viele Arbeit ließen das nicht zu. Nur beim gemeinsamen Gebet sah man sich gelegentlich.

Das hopfenlose Bier nannten sie Gruit. Diesen Namen hatte Thomas einmal einen reisenden Mönch sagen hören, der zu Besuch im Kloster weilte. Erst später sollte Niklas lernen, dass man unter Gruit in jeder Region etwas anderes verstand. In jeder Region wuchsen andere Kräuter, die sich als Bierwürze eigneten, und so hatte jeder Brauer, wie schon seine Mutter, sein eigenes Gemisch. Eines freilich war allen Gruitbieren gemeinsam: Sie wurden nach alter Machart, ohne Hopfen, hergestellt.

Eines Tages sagte Niklas zu Bruder Thomas:

»Wenn ich einmal größer bin, in ein paar Jahren, dann werde ich diese Hildegard von Bingen besuchen. Sie scheint viel zu wissen, was uns nutzen kann. Ist es weit nach Bingen?«

Thomas fing an zu lachen und erwiderte:

»Es ist nicht nur weit bis nach Bingen, etwa zehn Tagereisen, sondern du kämst auch viel zu spät. Die edle Hildegard ist schon lange tot. Die Menschen verehren sie dennoch fast wie eine Heilige.«

Niklas bat um ein paar Geschichten aus dem Leben von Hildegard. Thomas erzählte, was er wusste. Und das war nicht wenig.

»Wir haben in unserer Bibliothek ein paar Aufzeichnungen und Briefe über sie. Hildegard wurde sehr alt, über 80 Jahre. Sie war Leiterin des Klosters auf dem Rupertsberg bei Bingen und gründete weitere Klöster. Sie schrieb viel, ihre Werke sind sehr bedeutend nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Wissenschaft und die Medizin. Sie schrieb neben Gesängen und Visionen auch über die Heilkraft von Pflanzen, Tieren und Steinen. Ihre Bücher ›Physica‹ und ›Causae et Curae‹ sind in jedem Kloster vorhanden. Zum Fasten hatte sie eine gänzlich andere Einstellung als einige unserer Brüder; obwohl sie gelegentlich gerne Bier trank, schätzte sie das Fasten, weil es ›Türen nach innen öffnet‹.

Was für uns Brauer interessant ist, ist die Tatsache, dass sie als eine der Ersten über diese Hopphopflanze geschrieben hat, der sie diesen Namen gegeben hat. Sie starb nach einem großen Leben im Jahre 1179, also vor 82 Jahren. So, das sollte reichen. Mehr weiß ich im Moment nicht. Wenn du mehr wissen willst, schau in unserer Bibliothek nach.«

Niklas nahm sich das fest vor, kam allerdings in den nächsten Wochen nicht mehr dazu. Das Thema Hopfen beschäftigte ihn nicht weiter; der Gebrauch dieser Pflanze wurde zur Selbstverständlichkeit. Dies sollte noch einige Jahre so bleiben, zumindest, solange er in Urbrach war.

4

Die neue Regelmäßigkeit beim Brauen erlaubte es Niklas, weit schneller und weit mehr, als bis dahin für einen Lehrjungen üblich, zu lernen. Die wiederkehrenden Abläufe des Schrotens mit dem Mörser und des Maischens erledigte er bald schon mit einer Routine, die Bruder Thomas staunen ließ.

Und eines Tages nahm er Niklas mit auf den geheimnisvollen Getreideboden.

Dort angekommen, forderte er Niklas auf:

»Beschreibe mir einmal, was du hier siehst!«

Niklas erkannte einen großen Haufen frischer Gerste, daneben einen zweiten mit der etwas anderen, dunkleren Gerste. Außerdem stand auf dem Boden ein großer Waschzuber und in einer anderen Ecke lag eine Fuhre nasser Gerste, deren etwas modriger und erdiger Duft in seine Nase stieg.

Im Nebenraum sah Niklas einen großen Verschlag, der ein wenig wie ein Ofen aussah und auch ein wenig rauchig, brenzlig roch, jedoch größer war. Auf diesem Ofen befand sich eine Art Plattform. All das teilte Niklas seinem Lehrmeister mit und fragte erstaunt:

»Was geht hier vor, Bruder Thomas?«

Dieser zeigte auf die frische Gerste und meinte:

»Ich nehme hier nur vorweg, was du früher mit deiner Mutter beim Brotbacken mit der Gerste getan hast. Ich weiche die Gerste in Wasser ein und lege sie hier auf den Boden, der auch Tenne genannt wird; daraufhin fangen die Körner an zu leben und zu wachsen. Das Korn wird weich, genau wie beim Backen. Man muss die nasse Gerste nur regelmäßig durch und durch wenden, so wie jetzt«, er nahm eine große Schaufel und wendete die Gerste einmal kräftig von unten nach oben, »sonst wird sie schlecht.«

Danach fuhr er fort: »Nach ein paar Tagen wird die nasse, belebte Gerste auf diesem Ofen getrocknet, den wir Darre nennen. Dadurch wird die Gerste wieder haltbar und ist zum Bierbrauen bestens geeignet. Hier, koste mal davon.«

Er reichte seinem Lehrjungen einige Körner und der erkannte sofort, dass sie süßer schmeckten als normale Gerste.

»Die Körner werden beim Backen süßer und dunkler, dem Bier ähnlich. Und das Gleiche passiert hier, wir können jedoch alles Getreide verwenden und müssen nichts erst außen anbrennen lassen, um das Innere zu nutzen. Außerdem werden die Körner erheblich haltbarer. Ich kann sie noch nach Monaten verwenden!«

Niklas erkannte gleich die große Bedeutung dessen, was Thomas ihm hier gezeigt hatte.

Im zweiten Jahr, als Niklas in Urbrach war, beschlossen die Brüder, eine neue Mühle zu bauen. Die alte Mühle war eine Reibmühle mit zwei runden Steinen. Einer der Brüder hatte auf einer Wallfahrt einen neuen Mühlentyp gesehen und sich Notizen darüber gemacht. Nach dieser Vorlage sollte jetzt gebaut werden. Es dauerte einige Wochen, den mächtigen Ständer mit seinen Kreuzstreben und Kreuzschwellen zu errichten. Die großen Windflügel waren danach aber schon von Weitem zu sehen. Nach Abschluss der Bauarbeiten durfte auch Niklas die neue Mühle besichtigen. Thomas führte ihn herum.

 

»Hier siehst du den Bodenstein mit dem Zapfen, der daraus hervorschaut. Auf diesem Zapfen hängt jetzt der Läuferstein. Der kann nun frei pendeln und dadurch viel besser mahlen. Man nennt diesen neuen Typus Schwenkmühle. Aber die größte Neuerung ist, dass der ganze Raum, in dem wir stehen, dieser Mühlenkasten, sich im Wind mitdreht. Dadurch kann unser Molinarius die Mühle immer in den Wind stellen und ist nicht länger auf die Windrichtung angewiesen.«

Auch hier dachte sich Niklas, dass diese Neuerung ihm in Zukunft in der Brauerei behilflich sein könnte.

Drei Jahre gingen vorbei. Niklas war immer noch mit Leib und Seele Bierbrauer. Die klösterlichen Pflichten verrichtete er mehr schlecht als recht, gerade so, um nicht aufzufallen, er zeigte aber keine übermäßige Begeisterung.

Im Jahre 1264 beschloss Abt Kilian, die Brauerei zu vergrößern und teilweise neu zu bauen. Bei dieser Gelegenheit bat er die Brüder Thomas und Niklas zum Gespräch.

»Ich bin sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie ihr beide die Brauerei betreibt. Aber vergesst ihr nicht manchmal die Dinge der Kirche und des Glaubens? Etwas mehr Freude, Demut und Gottesfurcht hierbei stünde auch euch beiden gut zu Gesicht!«

Die Angesprochenen blickten betroffen zu Boden, entschuldigten sich und versprachen Besserung. Sie wussten, dass ihre Arbeit für das Kloster unabdingbar war und Kilian sie unmöglich aus der Brauerei versetzen konnte. Die Gelegenheit, die Brauerei nach ihren Vorstellungen zu erweitern, musste genutzt werden.

Kilian fragte die Brüder nach ihren Ideen und besonders Niklas vergaß alle Demut und sprudelte nur so über:

Er würde die großen Maischbottiche einen über den anderen stellen, aber trotzdem nebeneinander.

»So, dass wir den oberen noch leichter über einen Hebel umkippen könnten zum Ausleeren in den niedrigeren. Vielleicht finden wir auch einen Weg, um das Abseihen der Maische mit den Weidenkörben zu erleichtern.«

Außerdem würde er einen festen, gemauerten Ofen unter dem niedrigeren Bottich bauen, »damit man gleich gut einheizen kann und nicht immer mit heißem Wasser aufgießen muss«.

Daraufhin staunte Kilian nur und sagte:

»Und wie willst du den Boden machen, wenn auf der unteren Seite das Feuer ist und darüber unsere Maische? Es gibt noch keine Methode, so große Töpfe aus Eisen zu bauen, wie wir sie hier benötigen. Zumindest keine Töpfe, die dicht sind. Wie wir das Abseihen erleichtern wollen, das könnt ihr euch ja in nächster Zeit überlegen. Deine Vorschläge sind gut, aber zu viele Neuerungen erwecken Misstrauen bei unseren Mitbrüdern. Lasst uns daher nur die wichtigsten umsetzen.«

Und so wurde die neue Brauerei nur mit teilweisen Verbesserungen gebaut.

Jedoch besonders die neue Anordnung der Maischbottiche zeigte große Vorteile. Bei den Mengen, die sie mittlerweile produzierten, wäre es nicht mehr so leicht gewesen, einen Bottich in den nächsten umzufüllen, wenn die beiden auf gleicher Ebene gestanden hätten. So aber war es recht einfach.

Nur das Zubrühen mit kochend heißem Wasser war nach wie vor mühsam. Da hatten sie trotz vieler Überlegungen noch keinen anderen Weg gefunden.

Niklas machte sich weiterhin Gedanken, wie man die festen und flüssigen Bestandteile voneinander trennen könnte. Sie und eigentlich alle anderen Brauer fischten mit Körben die festen Bestandteile der Körner aus der heißen Flüssigkeit heraus. Das war nicht nur mühsam, sondern ließ immer viel zu viele Körner in dem Sud zurück.

Als sie mit dem Maischen wieder einmal so weit fertig waren, dass der Bottich praktisch leer war und nur die letzten Reste der festen Bestandteile darin lagen, lehnte sich Niklas wie immer ganz tief in den Bottich, in der Hand einen kleinen Abseihkorb.

Während er mit dem Korb hantierte, blieb sein Blick plötzlich an einem Zeichen hängen, das in den Bottichboden eingebrannt war. Es war ihm vorher noch niemals aufgefallen. Er hielt das Zeichen zuerst für den Stempel des Tischlers, der den Bottich gezimmert hatte.

Aber dann müsste er es schon des Öfteren gesehen haben, da alle Tische, Stühle und Schränke vom gleichen Tischler gemacht waren. Das seltsame Zeichen bestand aus zwei Dreiecken, die so ineinander gelegt waren, dass sie einen sechszackigen Stern bildeten.

Niklas erinnerte sich plötzlich, dass er dieses Zeichen bereits zweimal gesehen hatte. Einmal zu Hause in Hahnfurt, dort hatte seine Mutter eines Tages einen derartigen Stern, aus Holz geschnitzt, über die Tür gehängt. Zum zweiten Mal war ihm dieses Symbol aufgefallen, als er mit seinem Vater nach Urbrach unterwegs gewesen war. Sein Vater hatte auf das Schild gezeigt und gemurmelt: »Dort wohnt ein Geldverleiher, ein Jude, ein Christusmörder.«

Wie kam dieses Zeichen hierher in die Brauerei? Wie passte es zu seiner Mutter? Und wieso deutete es auf einen jüdischen Geldverleiher?

Niklas’ Gedanken schwirrten umher, er wollte nach Antworten suchen.

Aber wo?


Der ›Pyrprew Herrtel‹ aus der Chronik von Konrad Mendel (1388) ist die älteste Darstellung eines deutschen Bierbrauers. Man beachte den Stern links oben.

5

Eine günstige Gelegenheit zum Fragen ergab sich am nächsten Brautag. Niklas ging wie immer zum Maischbottich, um die zerkleinerten Malzkörner hineinzuschütten. Er tat so, als entdecke er das Zeichen zum ersten Mal, und fragte Thomas ganz arglos:

»Wer war denn eigentlich der Zimmermann, der als Zeichen seiner Arbeit hier drin den sechszackigen Stern hinterlassen hat?«

Thomas schaute ernst, zu ernst, wie Niklas fand, und sagte:

»Ich weiß nicht, ob ich dir das schon sagen kann. Es kann sein, dass du bereit bist, aber ich muss noch einmal darüber schlafen. Wenn ich über Nacht zu dem Entschluss komme, dich in dieses Symbol einzuweihen, musst du mir ewiges Stillschweigen versprechen.«

Niklas spürte, wie sein Herz bebte!

Noch ein Geheimnis!

Er antwortete sofort, ohne lange nachzudenken:

»Sicher doch. Was immer das Geheimnis ist, bei mir ist es gut aufgehoben.«

Er schlief unruhig in dieser Nacht und dachte voller Hoffnung an den nächsten Tag.

Sie trafen frühmorgens im Brauhaus ein, doch Thomas nahm ihn gleich mit in die Bibliothek.

»Hier können wir zur Not nachlesen, falls dir nicht ausreicht, was ich dir an Wissenswertem zu diesem Zeichen erklären kann. Aber nun sag mir bitte, ob du ein solches Hexagramm, wie der sechszackige Stern auch heißt, schon einmal gesehen hast?«

Niklas erzählte von seiner Mutter und von dem jüdischen Geldverleiher.

Thomas hielt die Hände vor seinen Bauch, dessen Konturen durch die Kutte gut zu erkennen waren, dann wackelte er mit seinem fast kahlen Kopf hin und her.

»Ich glaube, du hast da etwas verwechselt. Bist du sicher, dass der Stern von deiner Mutter sechs Zacken hatte? Ich vermute, dass sie einen Fünfzack, ein Pentagramm, über die Tür gehängt hat. Dieses Pentagramm ist ein Zeichen des Aberglaubens, eines der ältesten überhaupt. Andere Namen dafür sind Drudenfuß, Nornenstapfe oder Maarfuß. Wenn du später einmal die Namen Signum Sanitatis oder Pentakel hören solltest, auch die sind gleichbedeutend mit dem Pentagramm. Damit du nicht denkst, ich wüsste dies alles auswendig: Die Frist von einer Nacht habe ich gebraucht, um noch einmal alles nachzulesen, was ich dir heute erzählen möchte.«

Er holte tief Luft und fuhr fort:

»Das Pentagramm war bei den alten Griechen ein Symbol für Gesundheit und Kraft, später zusätzlich für Vernunft, Denken und den Wahrheit suchenden Geist.

Die fünf Zacken stehen für die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde und Geist.

Auf dem Kopf stehend, war es jedoch immer ein Symbol für Schwarze Magie und Hexerei.

Und hier hat sich wahrscheinlich deine leichtgläubige Mutter zu einem Aberglauben verleiten lassen.

Sie glaubte wohl, damit böse Geister von eurem Haus fernhalten zu können. Diese dummen Aberglauben sind sogar in heutigen, christlichen Zeiten leider noch weit verbreitet.

Aber in jedem Falle ist das Pentagramm kein Symbol Gottes und der Kirche, im schlimmsten Falle ist es ein Zeichen des Teufels. Also, halte dich davon fern und achte genau darauf, es nicht zu verwechseln.«

Bruder Thomas legte eine kurze Pause ein, trank einen Schluck Bier aus dem Krug, den er mitgebracht hatte, und fuhr weiter fort:

»Das Zeichen, bei welchem dein Vater wohl abfällig ›Jude‹ gesagt hat, ist dieser Sechszack. Lass mich dir erklären, welche Verbindung das Judentum mit unserem Maischbottich hat.

Dieses Zeichen ist uralt, wahrscheinlich älter als das Pentagramm. Es wurde überliefert von den Stämmen der Semiten, aus deren Reihen ja der König David hervorging.

Daher wird das Hexagramm auch Davidstern genannt. Überliefert ist ebenso, dass der Stern im Siegelring König Salomos eingeschnitten gewesen war. Die zwölf Stämme Israels werden durch die zwölf äußeren Ecken des Sterns symbolisiert.«

Niklas gähnte verstohlen, er verstand nicht, was hier so geheimnisvoll sein sollte. Er wollte keine Bibelstunde, er wollte ein großes Geheimnis erfahren – und nun dies!

»Gedulde dich noch kurz, bald wirst du den Zusammenhang verstehen«, versprach Thomas.

»Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Davidstern zum Zeichen des jüdischen Glaubens. Da die Juden bestimmte Berufe ausüben dürfen, die Christenmenschen verboten sind, ist es einfach, dies mit dem Davidstern anzuzeigen. Zu diesen Berufen gehört unter anderem, Geld gegen Zinsen zu verleihen, was guten Christenmenschen zum Glück untersagt ist. Solltest du also einmal Geld brauchen, was Gott verhüten möge, musst du lediglich nach diesem Stern suchen.«

Niklas stand die Ungeduld ins Gesicht geschrieben.

»Warte, gleich bin ich so weit«, sagte Thomas. »Das Hexagramm wird ebenfalls seit langer Zeit als Symbol gegen böse Dämonen verwendet. Dies ist natürlich genauso Aberglauben, aber immerhin keine schwarze Magie. Und damit wären wir am Ende der ersten Lektion. Die diente eigentlich nur dazu, dir zu zeigen, was das Hexagramm in der Brauerei n i c h t ist. Verstehst du?«

Niklas schüttelte enttäuscht den Kopf. Er verstand überhaupt nichts. Nicht mit einem Wort hatte Bruder Thomas ihm erklärt, wie das Zeichen in den Bottich gekommen war, und nichts von dieser Lektion hatte nach einem Geheimnis geklungen.

Thomas lachte und sagte:

»Sei nicht unglücklich, wir sind ja noch nicht fertig. Jetzt kommt der spannende Teil:

Vor etwa 400 Jahren wurde in den ersten Klöstern zum ersten Male Bier gebraut. Was diese Brüder ›Bier brauen‹ nannten, unterschied sich stark von allem, was bis dato als Bier bekannt war.

Und natürlich gab es auch damals schon gute und schlechte Brauer. Ebenso gab es Brauer, die ihr Wissen aus eigenem Antrieb erweiterten, und Brauer, die ihr Wissen lieber von anderen stahlen. Innerhalb weniger Jahre entstand ein Zirkel von Klosterbrauern, die untereinander neue Erkenntnisse, Erfahrungen und Erfindungen austauschten und die sich mit einem Eid vor dem allmächtigen Gott verpflichtet hatten, immer nur das bestmögliche Bier zu brauen und niemals Bier mit neuen Kräutern oder Wurzeln zu versetzen, ohne dass man sie vorher an der eigenen Person ausprobiert hatte.

Auf diese Weise wollte man sich von denen absondern, die Bier als vulgäres, billiges Gesöff betrachteten oder deren Bier so schlecht war, dass die Brauer eine Gefahr für die Menschen darstellten.

Und damit man erkannte, wer zum Zirkel dieser ›Reinen Brauer‹ gehört, brauchte es ein geheimes Zeichen. Aus irgendeinem Grund, frag mich bitte nicht warum, fiel die Wahl auf das Hexagramm.

Ich habe sagen hören, der Stern stehe für unsere wichtigen Brau-Elemente: Die Erde, auf der wir beim Brauen stehen, das Wasser, welches ein wichtiger Teil des Bieres ist, die Luft, die das Bier gären macht und das Feuer, das uns die Würze kocht. Die beiden anderen Zacken symbolisieren angeblich unsere beiden Rohstoffe:

Das Korn, aus dem die Essenz des Bieres kommt, und die Kräuter, beziehungsweise heute der Hopfen, der dem Bier die Würze gibt.

Ich weiß nicht, ob es stimmt. Aber an diesem Stern kannst du erkennen, ob ein Brauer unserem Ethos verpflichtet ist.

Solltest du später in deinem Leben einmal andere Brauhäuser besuchen, schau im Maischbottich nach, ob du das Hexagramm findest.«

 

Dann sah er Niklas mit feierlicher Miene an und nahm ihm das Gelöbnis ab, zu den ›Reinen Brauern‹ zu gehören.

»Dieser Eid bindet dich ein Leben lang.«

Niklas versprach, immer fest zu dieser Verpflichtung zu stehen, obwohl er nicht ahnen konnte, auf wie viele Proben diese Standfestigkeit in seinem weiteren Leben noch gestellt werden würde.