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Loe raamatut: «Die Ahnen», lehekülg 95

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Sie räumte ab, hing dem Rittmeister auf seine Forderung wieder das Tischtuch über den Arm und schüttelte dem Pfarrer, während er seine Segenswünsche aussprach, lange die Hand. »Gute Nacht euch allen, ihr Armen; ihr schlaft in gutem Schutz, der Knabe dieses Herrn wird euch heranholen, was ihr etwa noch braucht.«

Auch als Judith mit Bernhard in ihre Stube zurückgekehrt war, hörte das Schaffen nicht auf; sie fand noch mancherlei, was die Fremden nötig brauchten und was sie entbehren konnte, öffnete die Kasten und trug zusammen, bis Bernhard endlich sagte: »Die Jungfer ist glücklich, gerade das Nötigste geben zu können; gern wollte auch ich etwas tun; wenn Ihr einen Beutel hättet, so möchte ich einen Joachimstaler hineinstecken, damit Ihr ihn beim Abschiede der Frau gebt.« Dieser Gedanke gefiel der Jungfrau, und sie brachte aus einer Ecke der Truhe ein Ledersäcklein herbei, trat vor ihn, hielt es umgestürzt am unteren Zipfel und sagte lachend: »Es ist leer!« – So unschuldig und liebenswert war ihre Freude und der warmherzige Eifer, daß Bernhard ein Entzücken in seinem Herzen fühlte, welches ihm übermächtig wurde; er neigte sich zu ihrem Angesicht und küßte sie herzlich auf den Mund. Sie widerstand nicht, und als er wagte, den Arm um sie zu legen, ruhte sie einen Augenblick an seinem Herzen. Doch während sie sich von ihm löste und ihn liebevoll ansah, rötete sich ihr Antlitz; sie trat schnell zum Tisch, ergriff ihren Kram und verließ das Zimmer.

Bernhard stand allein in der Stube, und ihm kam vor, als ob die Kräuterbündel und Flaschen auf dem Brettergestell hüpften und der Lehnstuhl ihn tanzend umkreiste. Ungeduldig schritt er auf und ab, die Rückkehr des Mädchens erwartend. Als sie nicht kam, eilte er aus dem Hause, sie zu suchen. Er fand sie an der Felswand auf einer Bank sitzen und merkte, daß ihre Augen naß waren. Da ergriff er ihre Hand, und sie zog die Hand nicht zurück, aber sie sah traurig zu ihm auf und sagte leise: »Ihr hättet mich nicht küssen sollen.« – Ihm schlug das Herz hoch, und er bat: »Der lieben Jungfer Judith habe ich etwas zu vertrauen, was ich am liebsten sage, wenn dieselbe im Hause vor mir sitzt auf ihrem Stuhle am Spinnrad, zwischen den Wänden, in denen sie durch die lieben Eltern gesegnet wurde.«

Sie sah ihn groß an und das Blut wich aus ihrem Antlitz, als sie aufstand und schweigend neben ihm in das Zimmer trat. Hier stellte er ihr Stuhl und Spinnrad zurecht und bat sie mit einer Handbewegung, niederzusitzen. Sie gehorchte und hielt die Spindel im Schoß, die Augen fest auf ihn gewandt. Er aber begann feierlich:

»Liebe Jungfer Judith, ich habe mich zu dem Kusse vermessen in herzlicher Neigung, die ich für Euch fühle. Zürnet nicht, wenn ich Euch heut geradeheraus und ohne Freiwerber meine Liebe bekenne und meinen heißen Wunsch, daß Ihr Euch entschließen möget, mein eheliches Gemahl zu werden.«

Das Mädchen stand erschrocken auf, während er bittend fortfuhr: »Ich weiß wohl, was die geliebte Jungfer einwenden wird, daß so voreiliges und stürmisches Werben nicht gezieme, da ich nur seit kurzer Zeit Euch bekannt bin. Auch fürchte ich, daß Euch mein Kriegsamt leidig ist. Höret dennoch meine flehentliche Bitte mit günstiger Gesinnung an, denn von der ersten Stunde, wo ich Euch sah, habt Ihr mir sehr gefallen und seitdem immer mehr, und wenn ich hier Euer Wesen betrachte, so merke ich, daß ich auf Erden nur mit Euch glücklich sein kann.«

Judith atmete tief auf und antwortete mit stockender Stimme: »Der Herr sagte selbst, daß ich ihn erst seit kurzem kenne, dieselbe Rede muß ich dem Herrn zurückgeben, auch von mir ist ihm wenig bewußt; er weiß noch nicht, wie das freundlose Dorfmädchen sich zu seinem Leben schicken würde, und mir bangt, daß ihn bald seine Rede gereuen könnte.«

»Sprecht nicht ungerecht gegen Euch,« rief Bernhard, alle Bedächtigkeit vergessend, »denn ich sehe wohl, in der Jungfer ist ein Geschick und eine Festigkeit, daß sie überall in der Welt bestehen wird. Ich hoffe, dieselbe soll auch finden, daß in meinem Gemüt keine dunklen Winkel sind; ich bin ein einfacher Gesell, wie ich denke, so gebe ich mich; seid Ihr einmal mit mir unzufrieden, herzliebe Jungfer, so sagt es mir gerade heraus, und ich werde mich gern nach Eurem Willen richten, soweit dies dem Manne geziemt. Und wenn Ihr mir einwendet, daß ich Euch zu wenig kenne, so wisset, daß ich zu Euch ein Vertrauen habe, wie niemals gegen einen Menschen, und ich fühle die Sehnsucht, immer in Eurer Nähe zu sein und alles mit Euch zu teilen, Gedanken und Werke.«

Judith verstand die Bewegung seiner Stimme und das Flehen seiner treuen Augen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen, aber sie faßte sich bald. »Ich glaube Euch,« sprach sie, »und ich traue Eurer Redlichkeit. Doch zürnt nicht, Herr, wenn ich in dieser Stunde die Antwort gebe, die mir gebührt. Zu Eurer verlobten Braut kann ich mich nicht bekennen nach solcher Rede, wie Ihr heut zu mir getan. Es ist ein alter Glaube, daß jähe Werbung kurzes Glück gewinnt. Euch treibt Euer Amt in die Ferne, wer weiß, ob ich Euch dort so lieb bleibe, wie ich Euch nach Euren Worten zur Zeit bin. Deshalb bitte ich inständig, schont jetzt meinen einsamen Stand und sehet erst zu, wie Ihr die Ehe, die Ihr beabsichtigt, mit Eurem Amte und Euren Blutsfreunden in Einklang bringt. Werbt Ihr dann um mich, wie Sitte ist, durch Eure Freundschaft, und kommt Eure Schwester, um mich als Hausfrau für Euch zu fordern, so sage ich Euch Bescheid.«

Sie trat zurück und er sah finster vor sich nieder: »Laßt mich nicht unsicher und in Traurigkeit dahinziehen, denn das Zutrauen zu Eurer Liebe wäre mein einziges Glück fern von Euch in der Fremde.«

Da sprach sie leise: »Ist es Euch unlieb, daß ich zögere, mir ist es leid. Tut dennoch nach meinem Wunsche und vertraut unterdes, daß ich Euch zugetan bleibe. Denn ich bekenne Euch, Monsieur Bernhard, was sonst ein Mädchen verbirgt: auch ich bin Euch gut. Und wenn Ihr mich durch Eure Freunde zu Eurer Hausfrau begehren wollt, so gehöre ich Euch, als meinem geliebten Herrn, für Leben und Tod. Wisset auch, daß ich seit dem Morgen, wo ich Euch im Walde zum ersten Male sah, in der Stille des Glaubens lebe, daß der Himmel Euch zu mir gesandt hat, damit ich Euch angehöre.«

Bei diesen Worten bot sie ihm die Hand, er aber zog sie fröhlich an sein Herz und rief: »Allerliebste Herzensjungfer, es soll geschehen, wie Ihr wollt, und ich hoffe, es dauert nicht lange, daß ich die Schwester zu Euch sende, denn mir ist auf dem Wege zu Euch allerlei eingefallen, wie wir unser Leben friedlich einrichten könnten. Ist‘s Euch genehm, so erzähle ich davon.« Als sie aber ihm gegenüber niedersitzen wollte, sagte er: »Jetzt, da Ihr wißt, daß Ihr meine Liebste seid, ist mein Recht, daß ich neben der Jungfer sitze und auch, daß ich Euch vor den Leuten an der Hand führe.« Das mußte Judith zugeben, und er rückte ihren Schemel neben seinen Lehnstuhl, auch gebrauchte er sein Recht, ihre Hand zu halten, und hinderte sie in der Arbeit. Dabei begann er:

»Zuerst bitte ich Euch, daß Ihr das Waisenkind, meinen Buben, bei Euch behaltet und auch das Rößlein der Schwester. Dem Knaben ist Eure Zucht ein Himmelssegen, und er merkt das auch, Euch aber kann er als Bote dienen zur Stadt und wie Ihr sonst wollt, denn er ist über seine Jahre gewitzigt. Den Gaul wird er besorgen, damit Ihr diesen für Eure Wege zu den Kranken gebraucht, oder für die Schwester bewahrt.«

Als Judith damit einverstanden war, berichtete er weiter, wie er neulich auf dem Wege den heimkehrenden Gutsherrn betrachtet und sich an seine Stelle gedacht, die Jungfer Judith aber an Stelle der Hausfrau. Und als er das rosige Licht sah, welches sich über die Wangen des geliebten Mädchens ergoß, schilderte er ihr die ganze Einrichtung des Gutes, erwähnte Gottlieb und Pieps und seine Beutepferde, so daß Judith, hingerissen durch die Beschreibung, auch ihrerseits von der Molkerei anfing, und daß sie eine gute Großmagd wisse; bis sie ihn endlich in die Kammer zog und bat, an die Wand zu klopfen. Sie freute sich, als er ihr bekannte, daß er nichts Auffälliges entdecken könne, und vertraute ihm ein Geheimnis des Hauses, daß die Wand doppelt war nach kluger Einrichtung des seligen Vaters. »Man kann nur vom Dachboden in den Raum, und ich zeige Euch den Zugang, darin aber steht eine große Truhe mit der Leinwand, die wir in all den Jahren gesponnen.« Und sie sagte stolz: »Es ist eine Ausstattung, wie für eine Kaufmannstochter, das ist mein Schatz. Das Haus ist öfter geplündert, mein Geheimnis haben die Räuber niemals entdeckt, für Wäsche brauchtet Ihr nimmer zu sorgen. Doch wir sind töricht,« fuhr sie kleinlaut fort, »denn wie wollt Ihr in diesem Lande zu einem Gute kommen?« Jetzt wurde Bernhard froh, führte sie wieder auf ihren Sitz und gestand ihr, daß es mit seinem Vermögen gar nicht dürftig stand und daß die Geschwister zu Nürnberg in guter Verwahrung noch Geld besaßen und Anteil an einer Handlung; so daß Judith erschrocken sagte: »Ich habe nicht gewußt, daß der Herr so viel vermag, wie darf ich für mich daran denken, in solchen Wohlstand zu treten?« Und er mußte viele Beredsamkeit anwenden, bis er sie wieder dazu brachte, seine Pläne anzuhören.

Als beide eine Weile emsig an dem Garn ihrer Zukunft gesponnen hatten, begann Judith: »Wisset, liebster Monsieur Bernhard, daß Euer Mädchen, wenn die Kriegsnot nicht wäre, Euch auch ein Gütchen zubringen könnte. Denn die lieben Eltern saßen auf einem schönen Freihof in dem Lande Schlesien nahe an dem Riesengebirge bei einem hohen Berg, den man die Eule nennt; dort bin ich geboren, und ich war neun Jahre alt, als wir die Gegend verlassen mußten.«

»Der Herr Vater war doch ein Geistlicher?« fragte Bernhard verwundert.

»Das war er. Von Geburt ein Deutscher, aber er hielt zu den Gemeinden der böhmischen Brüder und stand unter ihnen in Ehren als einer von ihren Bischöfen; meine Mutter aber war eine Böhmin von der anderen Seite des Gebirges und stammte aus einem Geschlecht der Bekenner, welche man in alter Zeit Hussiten nannte. Als nun in Böhmen die grausame Verfolgung aller Evangelischen ausbrach, gelang es dem Vater, der viel Anhang in dem Grenzlande hatte, sich in Schlesien zu behaupten, weil er die Gunst einiger großer Herren besaß. Und da er immer ein Naturkundiger gewesen war, so hielt er sich still auf unserem Gut, das er erworben, half den Kranken, wo er konnte, und übte nur insgeheim sein heiliges Amt. Aber nicht lange bevor der Schwedenkönig ins Land kam, ward er den Jesuiten verraten und sollte in den Kerker abgeführt werden, was damals so viel bedeutete als in den Tod; doch er wurde durch einen Freund gewarnt und wir flohen bei Nacht, zuerst im Wagen, dann zu Fuß durch Schlesien und über die Elbe, bis wir in dieses Land gelangten. Die liebe Mutter starb nach den Schrecken und Anstrengungen unserer Reise, der Vater zog mit mir aus bitterer Not in dies Dorf und ich habe ihm während der Kriegszeit noch als Kind die Wirtschaft geführt.« – Sie legte ihr Haupt an seine Schulter und sah starr vor sich hin, Bernhard wagte nicht das Schweigen zu brechen; er dachte wehmütig, wie unsäglich viel Trübsal und Schmerz das tapfere Herz, welches nahe an dem seinen schlug, in jungen Jahren durchgekämpft hatte. Endlich fragte er, um wieder ihre Stimme zu hören: »Von dem Gut aber, was der Herr Vater zurückgelassen, habt Ihr nie wieder etwas gehört?«

»Zuweilen kam Kunde. Unter dem Schwedenkönig diente ein Oberst, der von unserem Glauben war und mit meiner Mutter verwandt, dieser lag längere Zeit in unserer Heimat; an ihn schrieb der Vater, und er hat uns seine Treue bewahrt. Denn da die Feinde unsere ganze Habe genommen hatten, zwang er sie, den Raub in Gelde zu büßen, ein Teil davon kam in des Vaters Hände, so daß er sich hier festsetzen konnte. Und wegen des Gutes wurde abgemacht, daß es dem Vater als Eigentum bleiben sollte, und der günstige Freund, von dem uns die Warnung gekommen, sollte den Nutzen haben, als wenn es ihm gehörte, bis wir wieder zurückkämen. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her, und der Krieg hat seitdem fast unablässig auch in meiner Heimat gewütet. Wer kann sagen, wie es jetzt dort bestellt ist? Ich aber sehe das alte Steinhaus, in dem wir wohnten, noch deutlich vor mir, einen großen Hof mit hoher Mauer, und auch die Berge, welche in der Nähe stehen, sie sind viel höher als diese hier. Im Traum bin ich zuweilen ein Kind, trage mein Spielzeug durch die Stuben und höre erschrocken den Schlag am Tore in jener Nacht, wo wir gewarnt wurden. Auch die alte Böhmin sehe ich noch vor mir, welche meine Kindermuhme war, sie sah der Ursel sehr ähnlich und galt für eine Frau, welche Gesichte hatte. Als sie mich in der Nacht zu den flüchtigen Eltern in den Wagen hob, segnete sie mich und klagte in ihrer böhmischen Sprache: Du wirst hierher zurückkehren, denn dein Grab schaue ich, aber deiner Eltern Grab vermag ich nicht zu sehen. – Wer weiß, ob sie recht hat?« schloß sie leise und starrte wieder vor sich hin.

»Dient es zu Eurem Glück, daß Ihr hinkommt, so soll es geschehen«, tröstete Bernhard. »Ist der Weg auch weit, meine Hausfrau soll gute Reisegesellschaft haben. Der Knabe schirrt die Pferde auf und mein alter Kampfgenosse begleitet uns, wir ziehen als frische Reiter in Eure Heimat und zwingen die Leute dort, Euch als Herrin zu erkennen.« Judith lachte ihn mit besserer Zuversicht an.

»Ihr habt einen frischen Mut«, rühmte sie.

»Dafür reite ich auch mit kecken Gesellen durch das Land.«

Das Mädchen stand schnell auf. »Wie die Kinder haben wir uns ein glückseliges Leben eingebildet; Ihr aber seid den bösen Geistern des Krieges preisgegeben und auf der Schneide des Schwertes schwebt Euer Geschick und das meine. Ach, lieber Herr, ein Trugbild war die Hoffnung und eitel die Freude.« Die Tränen brachen ihr aus den Augen und sie barg das Angesicht über den Händen auf dem Tisch. »Haltet mich nicht für dreist,« bat sie aufsehend, »und denkt nicht, ich sei liebetoll. Ehe ich Euch kannte, war ich gefaßt, auch Schweres zu tragen, jetzt fühle ich mich hilflos wie ein Kind. Ich sehe die Feinde gegen Euch reiten, die Schwerter zücken, der Feuerstrahl fährt aus dem Rohr, das Pferd rennt dahin ohne den Reiter, und ich harre und weine.« Sie blickte wild wie auf eine Erscheinung.

»Ich schwor einen teuren Eid, bevor ich Euch sah,« sprach Bernhard, ergriffen durch die Leidenschaft der Jungfrau; »ich bin meinen Kriegsgesellen verpflichtet, solange das Tuch an der Standarte weht, mit ihnen zu reiten und ihr Schicksal zu teilen; das ist des Soldaten Los. Wenn es uns bei den Schweden gerät, so muß ich mit meiner Kompanie im Felde liegen. Auch in diesem Falle komme ich wieder zu Euch und bitte, daß Ihr als Offiziersfrau mit mir haushaltet in unseren Quartieren. Ist dort das Leben unsicher, so frage ich Euch, herzliebe Jungfer, habt Ihr im Dorfe größere Sicherheit? Auch hier bürgt uns niemand dafür, daß nicht in der nächsten Stunde die Feinde an das Haus dringen. Das aber gelobe ich Euch, so wahr ich Euch liebe und so wahr ich für uns beide auf eine friedliche Zukunft hoffe, ich löse mich von der Fahne, sobald der Eid und die Ehre dies gestatten.« Er zog das Mädchen wieder an seine Seite, sie aber blieb den Abend still und feierlich und verhandelte draußen leise mit der alten Dienerin. Endlich brach sie das Schweigen: »Heut ist eine heilbringende Nacht und ich möchte in die Berge, ein wohltätiges Kraut zu holen, das man nach Vorschrift der Bücher und klugen Leute nur um Mitternacht aus dem Boden heben darf. Wollt Ihr mich begleiten, doch ohne ein Wort zu sprechen, so wäre mir‘s lieb.«

»Ich bin bereit«, sagte Bernhard verwundert. »Was Ihr wagt, soll mich nicht schrecken. Doch um Euretwillen, liebe Jungfer, warne ich vor der Stunde, welche dem Christen unheimlich ist.«

»Sorgt nicht,« antwortete Judith mit düsterem Lächeln, »ich vertraue, es ist keine Gefahr für Leben und Seligkeit.« Sie setzte sich wieder zu ihm, sprach ruhig und zutraulich und bat ihn, von seinen Kriegsfahrten zu erzählen. Das tat er gern, und schnell vergingen die Stunden, bis sie aufstand und bedeutsam sagte: »Jetzt ist es Zeit zu gehen.« Bernhard eilte in sein Quartier, holte seine Waffen, hüllte sich in den Mantel und weckte den Knaben.

»Der Schreiber hat heut im Hofe der Jungfer spioniert«, berichtete Pieps. »Ich sah ihn im Abenddunkel unter dem Fenster.« »Halt Wache«, gebot Bernhard.

Als er aus der Hütte trat, stand die Jungfer ihn erwartend am Tor und legte warnend die Hand auf den Mund. Sie eilten über den Steg auf die Berge zu. Die Nacht war kühl und still, der volle Mond warf helle Lichter auf den Pfad, welcher der nächsten Höhe zuführte. Judith sah oft nach dem Himmel und hemmte den Schritt, um die rechte Stunde zu treffen. Als sie den Gipfel erreicht hatten, wies sie auf eine hohe Tanne, welche allein am Rande des Abhanges stand; Bernhard verstand, daß er dort zurückbleiben sollte, und das Mädchen trat allein hinaus auf den offenen Raum, welcher, mit jungem Laubholz umfaßt, vom Monde hell beschienen war.

Bernhard merkte nichts von den Schrecken der Geisterstunde. Hinter ihm fiel die Höhe steil zu dem Tale, er erkannte die grauen Dächer des Dorfes im Grunde, auch das Haus der Geliebten und den weißen Schaum des Bergbachs. Vor ihm aber lag friedlich in silbernem Glanz die Bergwiese, der Nachtwind strich leise über die Halme und Blüten, so daß sie sich regten wie im Schlafe, und trieb ihren würzigen Duft weithin durch die Luft. Wo ein Busch oder der Stumpf eines Baumes Schatten warf, bewegten sich wie im Tanze kleine Lichtfunken; sie fuhren auf und nieder, erglänzten und verschwanden zwischen Schatten und Licht. Es war wundersam still, keine Vogelstimme ertönte und kein Wildtier bewegte die Zweige, die Grillen hingen schweigend an den Blättern, die Hummeln saßen geduckt in ihrem Erdloch, und über der strahlenden Erde lag aus Strahlen gewebt die silberne Decke, welche das geheime Leben verbarg. Bernhard, der zum Schutz für sich und eine andere leise sein Gebet gesprochen hatte, bedachte, daß die Stunde und der Ort eher zu frommen Gedanken ermunterten als zu Werken des Teufels. In der Ferne sah er Judith langsam am Rande des Gehölzes dahingehen, auch sie umflossen von dem milden Schimmer der Nacht, und er erkannte, daß sie niederkniete auf dem Grunde. Nicht lange und sie kam mit schnellen Schritten auf ihn zu, zog ihn in den Schatten des Baumes und flüsterte, scheu zurückblickend: »Nicht ohne Widerstand empfing ich die Gabe. Mir war, als schaute ich im Gehölz das Gesicht des bösen Feindes; er sah einem Manne ähnlich, vor dem mir graut. Doch das Trugbild verschwand wieder, und ich halte in meiner Hand, was ich für Euch geholt.« Sie wies ihm den kleinen Beutel, welchen sie aus der Truhe gehoben hatte. »Dies Säcklein, über dem Ihr die Jungfer geküßt habt, bewahrte ich für Euch; die Wurzel eines kleinen Krautes steckt darin, denn es ist ein Glaube, daß diesem die Kraft verliehen sei, den Leib des Mannes, der sie trägt, vor feindlichem Geschoß zu bewahren. Nehmt sie, Geliebter, und bergt sie unter Eurem Kleide. Wir haben ja keine Gewähr, daß sie die große Kraft hat, aber wir hoffen es. Seid Ihr selbst auch stolz und seid Ihr ungläubig, tragt sie doch um meinetwillen, denn in Herzensangst um Euch habe ich sie der Erde abgefordert und geraubt.«

Da empfing er die Gabe, barg sie an seiner Brust und sagte herzlich: »Seither habe ich der Gefahr ohne Furcht ins Auge gesehen und war bereit, in Gottes Namen zu ertragen, was der Krieg dem Reiter bringt. Was mir von Euch kommt, bewahre ich ohne Scheu. Aber ich fürchte fast, daß mir Euer Geschenk das sorglose Wagen vermindert; denn wenn ich es an meinem Herzen fühle, so muß ich jetzt denken, daß ich ein holdes Mädchen besitze, das mehr um mein Leben sorgt als ich selbst. Kräftiger als die Kräuter des Feldes ist der Zauber, den Ihr an mir übt, wenn ich Euch in die Augen blicke und wenn ich Euch in meine Arme schließe, wie ich jetzt wage.«

6. Enttäuschungen

Die hohe fürstliche Teilnahme machte den Gast im Hause des Schloßpredigers zu einem Gegenstand sorglicher Pflege. Der Herzog sandte einen Wildbraten und sogar einen guten Trunk für seinen Schützling, er hielt im Vorbeireiten an und fragte den Hausherrn, welcher vergnügt auf die Schwelle trat, nach dem Befinden der Fremden, ja, er stieg selbst die finstere Treppe hinauf und versicherte Regine mit tröstenden Worten seines Schutzes. Da war natürlich, daß ihr manch gutes Süppchen gekocht wurde, und daß die Schloßpredigerin nicht leiden wollte, wenn ihr Gast an die Waschgefäße trat und in der Küche unter den Töpfen hantierte. Doch Regine beharrte dabei, das Wohlwollen, welches ihr so plötzlich zuteil geworden war, durch treue Hilfe zu verdienen, sie bemächtigte sich der Bäffchen und Kragen des Geistlichen, wußte diese in glänzendem Weiß zu erhalten, machte mit herzlicher Innigkeit die Hausandachten durch und ging bei jedem öffentlichen Gottesdienst schüchtern neben der Schloßpredigerin zur Kirche hinauf; dort saß sie auf einem Ehrenplatz mit niedergeschlagenen Augen und merkte nicht, daß sie der kleinen Schloßgemeinde zu beständiger Verwunderung gereichte und daß auch die hohen Herrschaften vom Chore aus den Verlauf ihrer Andacht genau beachteten.

Sie war glücklicher als seit lange. Aber bei ihrem Wohlbefinden war ein Haken, den sie selbst nicht merkte. Sie erwies sich nicht als das Wunder, das sie doch sein sollte, sie wandelte durch die Stunden des Tages ganz wie ein anderes Mädchen und zuweilen verschönte ihr herzliches Lachen die Räume des Pfarrhauses, wenn Licentiatus Hermann als Gast gegenwärtig war, kleine Abenteuer von der Universität erzählte und dabei die fremdartige Sprache der Süddeutschen possierlich nachmachte. Vielleicht war es das ruhige Glück, welches dem Mädchen die Erweckungen fernhielt; aber solche Enthaltsamkeit war nicht ganz nach dem Sinne ihrer Gönner. Der Herzog begnügte sich, bei dem Geistlichen deshalb vertraulich anzufragen, und sagte: »Haltet das Kind nur gut, das Übrige sei dem Herrn befohlen!« Aber der Schloßprediger fühlte die Verantwortlichkeit und daß die Sache einen Fortgang haben müsse, und es geschah, daß er sich bei Nacht von seinem Lager erhob und in Socken an die Kammertür seines Gastes schlich, um zu horchen, ob sie nicht vielleicht an leere Wände die wertvollen Worte verschwende, so daß die Hausfrau, ebenfalls in Socken, nacheilen und mit kräftigem Protest an seinen Husten erinnern mußte.

Endlich fand der Schloßprediger, daß es notwendig sei, die sibyllinische Tätigkeit seines Gastes, soweit geistlichem Zureden möglich ist, aufzumuntern; er spielte sich eines Tages mit vorsichtigen Worten auf die früheren Zufälle des Mädchens, forschte genau nach den Kennzeichen, an denen das Eintreten dieses Zustandes von dem teilnehmenden Beobachter erkannt werden könne, und beachtete im Amtseifer nicht, daß sein Gast sogleich alle Heiterkeit verlor und hilfeflehend zu ihm aufsah. Zuletzt wagte er sogar den Rat: »Meine liebe Jungfer, da des Herzogs Gnaden ein besonderes Interesse an Euren prophetischen Aussprüchen nimmt, so wäre für uns alle wünschenswert, wenn derselbe einmal davon profitieren könnte.« – Regine versetzte kummervoll: »Ach, ehrwürdiger Herr, ich vermag ja dabei nichts.«

Aber wohlmeinend fuhr der Geistliche fort: »Vielleicht würde durch Gebet, sowie durch ernste Richtung des Willens auf die erwähnte Begabung der erwünschte Effekt zu erreichen sein.«

Regine stand erschrocken auf: »Soll ich meinen lieben Schöpfer bitten, daß er mich träumen lasse, damit dem Herrn Herzog eine Unterhaltung bereitet werde?«

»Die liebe Jungfer möge meine Worte nicht uneben auslegen. Diese Träume könnten manches enthalten, was als göttlicher Fingerzeig für Seine herzogliche Gnaden von hoher Importanz sein würde, insbesondere wenn es der Jungfer gelingen sollte, dem Herzoge etwas wegen der großen Flügelhauben und Bänder, wodurch die Weiber jetzt Ärgernis geben, ans Herz zu legen, sodann wegen des unmäßigen Saufens seiner Kavaliere, vielleicht auch wegen der höchst nötigen Erhöhung der Stolgebühren.«

Regine saß wie vernichtet in tiefem Schweigen, so daß der Schloßprediger den Eindruck seiner Worte merkte und gutmütig fortfuhr: »Die Jungfer ist uns allen wert geworden durch gottesfürchtiges und säuberliches Wesen, auch ohne ihre Träume, von denen wir ja nicht wissen, ob sie eine himmlische Heimsuchung oder Begnadigung sind. Es wäre uns nur lieb, darüber einmal durch eine Beobachtung informiert zu werden.«

Diese Unterredung hatte zur Folge, daß Regine in tiefe Trauer verfiel; sie saß den Tag über schweigsam und abgespannt, und die Schloßpredigerin, die es für passend hielt, selbst die Bewachung zu übernehmen, hörte sie noch am späten Abend in ihrer Kammer weinen. Den anderen Tag war sie bleich und unruhig, die Hände flogen ihr bei einer Arbeit, die sie vergebens zu bezwingen suchte, wie im Fieber, und als sie am Nachmittag der Hausfrau klagte, daß sie sich müde und erschöpft fühle, und von dieser auf einen Lehnstuhl geführt und in warme Decken gehüllt wurde, da konnte der Geistliche zum Herzog eilen und berichten, die Anzeichen seien günstig und es sei wohl möglich, daß der Gast heut allerlei offenbare.

Auch der Herzog wurde durch Wißbegierde getrieben und ließ schnell den Lizentiaten Hermann rufen, damit dieser die Enthüllungen zur Stelle niederschreibe. Als er in die Stube des Schloßpredigers trat, fand er die Kranke im Lehnstuhl zurückgelehnt, mit geschlossenen Augen, die Wangen leicht gerötet, so friedlich und heiter, daß er sich über sie neigte und sie lange mit innigem Wohlwollen ansah. Sie hatte noch nichts geredet. Doch sobald er der Schläferin gegenüber einen Sessel einnahm und das Geflüster der Anwesenden eine gewisse Erregung erkennen ließ, teilte sich die Bewegung der Schlafenden mit, sie rührte die feinen Hände, holte tief Atem und begann deutlich und langsam zu sprechen: »Du lieber Gott, bei dir ist Friede. Wir bitten täglich darum, und ich weiß, du wirst dich unser erbarmen.

»Sorge nicht um mich, mein Bruder, mir geht es wohl auf Erden, die Leute sind gut gegen mich, vor anderen der fromme Herzog. Betet alle für ihn« – der Schloßprediger hob die gefalteten Hände.

»Als er gestern auf die Jagd ritt, stand ich am Fenster und ich ängstigte mich um ihn. Die Wälder sind unsicher; wahret Euch, lieber Herr, denn das Land könnte Euch nicht missen. Ich freue mich, daß der Herzog sich nicht zu einem Kriegsfürsten gemacht hat, wie unsere Reiter begehrten, denn wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden.

»Ich fürchte, er traut zuviel auf den Herrn Schloßprediger, denn dieser ist ein Fuchs; er wollte mich bereden, daß ich dem guten Herzog etwas wegen der Stolgebühren verkünden sollte.«

»Entsetzlich«, seufzte der Schloßprediger. »Das war ein Mißverständnis, herzogliche Gnaden.« – Der Herzog hob strafend den Finger, Regine aber schwieg; es war tiefe Stille, nur der bedrängte Hausherr fuhr nach seinem Sacktüchlein. Endlich begann die Schlummernde wieder: »Ei, da ist ja auch Monsieur Hermann? Hm, hm! – Danke für freundliche Nachfrage, ganz gut.« – Der Lizentiat legte errötend die Feder weg.

»Sie wollen hören, was ich im Traume rede, du lieber Gott! Aber auf dein Wort, welches du verkündet hast, wollen sie nicht hören. Sie berühmen sich hoher Kenntnis der Schrift, aber ihr Herz ist kalt. Wie wollen sie dazu helfen, daß dein Reich und deine Herrlichkeit auf dieser Welt heimisch werde?

O Schöpfer mein, den Augen dein

darf niemand keck erscheinen.

Mein Unverstand ist dir bekannt,

kann seufzen nur und weinen.«

Wieder schwieg sie still und bewegte sich unruhig. »Die Hände werden mir kalt,« murmelte sie, »und ich werde erwachen.« – Sie neigte das Haupt und seufzte noch einige Male, dann öffnete sie die Augen und sah mit starrem Blick auf die Versammlung.

»Des Himmels Segen über dich, du gutes Kind«, sagte der Herzog. »Wir haben diesmal keine Verkündigung vernommen, wohl aber christliche Gesinnung. Was Ihr geschrieben, Hermann, bleibt vertraulich zwischen den Anwesenden. Euch aber, Schloßprediger, ermahne ich, daß Ihr Euch nicht einfallen laßt, Eure Wünsche der Jungfrau in das Ohr zu sagen; Ihr seht, sie kommen schnell an den Tag.«

»Dennoch darf ich Eurer herzoglichen Gnaden nicht verbergen,« sagte der Schloßprediger bedrückt, »daß mir ein Zweifel gekommen ist, ob, was sie hier verkündet hat, irgendwie durch göttliche Erleuchtung gesagt ist. Schon Martinus Luther hat erfahren, daß auch der Satan in leuchtendem Gewande sich zu präsentieren wagt.«

»Haltet Ihr die Andeutung wegen der Stolgebühren für eine teuflische Eingebung?« fragte der Herzog mit Spott.

»Für einen Irrtum, gnädigster Herr«, antwortete der Geistliche feierlich. »Nicht nur ich, sondern alle meine Amtsbrüder sind der Meinung, daß ein neues Edikt über die Stolgebühren für das geistliche Ministerium nötig sei, und ich erinnere mich, daß ich darüber zu der Jungfer gesprochen. Aber keineswegs war die Meinung, daß ich wie ein Fuchs hinterlistig durch solche Rede Eurer Gnaden gute Meinung für diese Angelegenheit gewinnen wollte; und ich wiederhole meine Befürchtung, daß die Aussage der lieben Jungfer eher Traumgespinst einer kranken Person, als eine Offenbarung sei.«

»Was es auch sein mag, Ehrwürden, ich denke, auch Ihr seid der Meinung, daß es aus einem reinen kindlichen Herzen kam; und ich bin willens, die Herzogin zu veranlassen, daß sie der Jungfer auf dem Schlosse ein Unterkommen bereite, damit Euch nicht durch ein neues Mißverständnis das arme Kind verleidet werde.«

So schied Herzog Ernst und die Kranke saß da, gestochen durch die kalten Blicke ihrer geistlichen Wirte. Als aber nicht lange darauf einige Schloßdiener kamen und Regine in einer Sänfte nach dem Friedenstein hinauftrugen und mit ihr ihre Habe, da erkannte der Schloßprediger, daß hier ein ernster Fall vorliege und daß er in einem natürlichen weltlichen Bestreben ein geistliches Unrecht verübt habe. Er ging die ganze Woche schwermütig umher und hielt am nächsten Sonntage in Gegenwart des Hofes eine nachdrückliche Predigt, in welcher er eine Menge Fallstricke bezeichnete, durch welche Satan die Gerechten dieser Welt für sich einzufangen sucht. Zum Schluß aber erhob er in auffälliger Bewegung seine Stimme und klagte sich selbst vor seiner Gemeinde an, daß auch er in Gefahr gewesen sei, einer Versuchung aus eigennützigem Interesse zu unterliegen; und er bat die gesamte christliche Zuhörerschaft, ihn durch Gebet zu unterstützen, damit er Verzeihung erwerbe. Dazu erwies sich die Gemeinde willig, und der geistliche Herr sah mit Befriedigung, daß auch sein Herzog die Hände faltete und für ihn bat. So hatte er die üblen Folgen seines vorschnellen Eifers allerdings von sich weggebetet und durfte wieder mit gehobenem Haupte einherschreiten; aber gegen die fremde Jungfer und ihre begünstigte Stellung im Himmel und auf Erden vermochte er fortan ein gewisses Mißtrauen nicht loszuwerden.

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Ilmumiskuupäev Litres'is:
04 oktoober 2016
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