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Loe raamatut: «Die verlorene Handschrift», lehekülg 14

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In diesem Gespräch kamen sie vor der Thür der Pathe an, Fritz entließ Laura’s Arm und wollte sich verabschieden, sie blieb an der Thürschwelle stehen, die Hand am Griffe, und sagte verlegen: »Wollen Sie nicht wenigstens einen Augenblick hereinkommen, da Sie die Frau Pathe kennen?« – »Mit Vergnügen,« erwiederte der Doctor.

Die Pathe saß in ihrer Sommerwohnung, welche etwas kleiner, feuchter und ungemüthlicher war als ihr Quartier in der Stadt. Als aber die Kinder der feindlichen Häuser miteinander eintraten, erst Laura, immer noch bleich und feierlich, und hinter ihr der Doctor, ebenfalls mit sehr ernsthaftem Gesicht, da erstaunte die gute Dame so, daß sie starr auf dem Sopha sitzen blieb und nur die Worte herausbrachte: »Was muß ich erblicken! Ist das möglich, ihr Kinder bei einander?« Dieser Ausruf löste den Zauber, welcher die jungen Seelen für einen Augenblick zusammenband. Laura ging erkältet auf die Pathe zu und erzählte, daß der Herr Doctor zufällig bei ihrem Unfall herbeigekommen; der Doctor aber erklärte, daß er nur das Fräulein ihr sicher habe übergeben wollen; dann erkundigte er sich nach dem Befinden der Pathe und nahm seinen Abschied.

Während die Pathe stärkende Mittel herbeiholte und beschloß, daß Laura unter dem Schutze des Dienstmädchens auf einem anderen Wege heimkehren solle, ging der Doctor mit leichten Schritten nach dem Walde zurück. Seine Stimmung war gänzlich verwandelt, häufig flog ihm ein Lächeln über das Antlitz. Immer wieder mußte er daran zurückdenken, wie fest ihm das Mädchen in dem Arm lag. Er hatte ihre Brust an der seinen gefühlt, ihr Haar hatte seine Wange berührt und er hatte auf den weißen Nacken und die Büste herabgesehen. Der wackere Junge erröthete bei dem Gedanken und beschleunigte seinen Marsch. Darin wenigstens hatte der Professor nicht Unrecht, ein Weib war immerhin noch etwas Anderes als die Summe der Gedanken, welche man über Menschenleben und Weltgeschichte aus ihr zu entwickeln vermochte. Dem Doctor schien allerdings, als ob etwas sehr Anziehendes in wallenden Locken, rothen Bäckchen und einem hübschen Halse liege. Er gab zu, daß diese Entdeckung nicht neu war, aber ihren Werth hatte er bis dahin noch nicht mit solcher Deutlichkeit gefühlt. Und es war so rührend gewesen, wie sie aus der Betäubung zu sich kam, die Augen aufschlug und sich schamhaft aus seinen Armen löste. Auch daß er sie trotzig vertheidigt hatte, erfüllte ihn jetzt mit heiterem Stolze, er blieb auf dem Schlachtfelde stehen und lachte recht herzlich vor sich hin. Dann ging er in demselben Wege, den Laura aus dem Walde gekommen war, er sah auf den Boden, als wenn er die Spuren ihrer kleinen Füße auf dem Kies zu erkennen vermöchte und er fühlte Glanz und Wärme der Luft, den Lockruf der Vögel, das Flattern der Libellen mit ebenso beflügeltem Muth wie kurz vorher seine hübsche Nachbarin. Dabei summte ihm die Erinnerung an den Freund durch den Kopf, behaglich dachte er auch an die Regungen dieses Gemüthes und an die Erschütterungen, welche Thusnelda darin hervorgebracht. Es hatte dem Professor närrisch gestanden, sein Freund war in dem Pathos der aufgehenden Leidenschaft sehr komisch gewesen. Solch schwerflüssiges ernsthaftes Wesen stach seltsam ab gegen die neckischen Angriffe, welche der Zufall auf das Leben der Erdgeborenen macht. Und als auf dem letzten Busch eine von den kleinen Heuschrecken rasselte, deren Geschwirr er in sorgenvoller Zeit oft gehört hatte, sagte er lustig vor sich hin: »auch die muß noch dabei sein, erst die Schafe, dann die Grillen.« Und er begann halblaut ein gewisses altes Lied, worin die Grillen aufgefordert wurden, dahinzufahren und sein Gemüth nicht weiter zu belästigen. So kam er von seinem Spaziergange in recht leichter, weltmännischer Stimmung nach Hause.

»Heinrich,« begann Frau Hummel am Nachmittage feierlich zu ihrem Gatten, »mache dich gefaßt auf eine fatale Geschichte, ich beschwöre dich, bleibe ruhig und vermeide eine Scene, mühe dich, deinen Widerwillen zu bezähmen, und vor allem, achte auch unsere Gefühle.« Und sie erzählte ihm das Unglück.

»Was den Hund betrifft,« versetzte Hummel nachdrücklich, »so ist durchaus noch nicht bewiesen, daß es unser Hund war. Das Zeugniß des Schäfers genügt mir nicht, ich kenne dieses Subject, ich verlange einen unbescholtenen Zeugen. Es laufen jetzt so viele fremde Hunde um die Stadt, daß die allgemeine Sicherheit darunter leidet, und ich habe schon oft gesagt, es ist eine Schande für unsere Polizei. Sollte es aber doch unser Hund gewesen sein, so kann ich kein besonderes Unrecht darin finden. Wenn das Schaf ihm ein Bein hinstreckt und er ein wenig daran zwickt, so ist das seine Sache und gar nichts dagegen zu sagen. Was ferner den Schäfer betrifft, ich kenne seinen Herrn, so ist das meine Sache. Was endlich den jungen Mann da drüben betrifft, so ist das eure Sache. Ich habe nicht den Willen, das Unrecht seiner Eltern an ihm heimzusuchen, aber ich will mit den Leuten nichts zu thun haben.«

»Ich mache dich aufmerksam, Hummel,« warf die Gattin ein, »daß der Doctor dem Schäfer bereits Geld gegeben hat.«

»Geld für mein Kind, das leide ich nicht,« rief Hummel, »wieviel war’s?«

»Aber Vater –,« bat Laura. – »Wie kannst du verlangen,« rief Frau Hummel vorwurfsvoll, »daß deine Tochter in Todesgefahr die Groschen zählt, welche ihr Retter auslegt.«

»So seid ihr Weiber,« grollte der Hausherr, »für Geschäfte fehlt der Sinn. Konntest du ihn nicht nachträglich fragen? Den Schäfer nehme ich auf mich, der Doctor kümmert mich nicht. Nur das sage ich euch, die Sache wird kurz abgemacht, und im übrigen bleibt’s bei unserm Verhältniß zu diesem Hause. Ich fordere mir glattes Geschäft, und ich will diese Hähne nicht grüßen.«

Nach diesem Entscheid überließ er die Frauenstube ihren Gefühlen. »Der Vater hat Recht,« begann Frau Hummel, »daß er uns die Hauptsache anvertraut. Seinem strengen Sinne würde der Dank zu schwer ankommen.«

»Mutter,« bat Laura, »du bist geschickt in Artigkeiten, könntest du nicht hinübergehen?«

»Mein Kind,« erwiederte Frau Hummel sich räuspernd, »das ist nicht leicht. Dieser unglückliche Vorfall mit den Hunden hat uns Frauen zu sehr auseinandergebracht. Nein, da du die Hauptperson bei dem heutigen Vorfalle bist, mußt du selbst hinübergehen.«

»Ich kann doch nicht den Doctor besuchen,« rief Laura erschrocken.

»Das ist gar nicht nöthig,« begütigte Frau Hummel. »Den einzigen Vortheil hat diese Nachbarschaft, daß wir von unserem Fenster sehen, wenn die Männer ausgehen. Dann springst du zu der Mutter hinüber und richtest an sie noch einmal deinen Dank für den Sohn. Du bist mein kluges Kind und wirst dir zu helfen wissen.«

Darauf saß Laura am Fenster, ohne Freude sah sie sich zur Wächterin der Nachbarn gesetzt, und recht widerwärtig erschien ihr das Auflauern. Endlich trat der Doctor auf die Thürschwelle. Sein Aussehen war wie gewöhnlich, gar nichts Ritterliches darin zu erkennen, die Gestalt war zart und der Wuchs regelmäßig, Laura liebte das Hohe; er hatte geistvolle Züge, aber sie wurden versteckt durch die große Brille, welche ihm einen recht pedantischen Ausdruck gab; wenn er einmal lachte, wurde sein Gesicht recht hübsch, aber sein gewöhnlicher Ernst kleidete ihn gar nicht. Fritz verschwand um die Ecke, und Laura setzte mit schwerem Herzen ihr Hütchen auf und ging in das feindliche Haus, dessen Räume sie noch niemals betreten hatte. Dorchen, die nicht im Geheimniß war, blickte den Besuch erstaunt an, brachte ihn aber scharfsinnig mit der Rückkehr des Doctors in Verbindung und verkündete aus freien Stücken, von den Herren sei Niemand zu Hause, Frau Hahn aber im Garten.

Frau Hahn saß im chinesischen Tempel. Verlegen standen die beiden Frauen einander gegenüber, beide dachten zugleich an ihr letztes Gespräch, und beiden war die Erinnerung peinlich. Aber bei Frau Hahn überwog sogleich der menschliche Schauder vor der Gefahr, welche Laura umzingelt hatte. »Ach, Sie armes Fräulein,« begann sie. Und während sie von Mitleid aufwallte, fühlte sie, daß der chinesische Bau für diesen Besuch kein geeigneter Ort sei, sie steuerte zartfühlend davon ab und lud auf die kleine Bank vor der weißen Muse. Das war der glücklichste Platz des Hauses, hier lachte der Orangenbaum seine Käuferin an, und Laura vermochte sich in dankbare Stimmung zu versetzen. Sie sagte der Nachbarin, wie sehr sich sie dem Herrn Doctor verpflichtet fühle, und daß sie die Mutter bitte, dem Sohne dies zu sagen, weil sie selbst in der Verwirrung diese Pflicht nicht gebührend erfüllt habe. Dazu fügte sie das Geschäftliche wegen des bösen Schäfers. Der Dank vergnügte die gute Frau Hahn, und mütterlich bat sie Laura, ihren Hut ein wenig abzunehmen, weil es im Garten noch warm sei. Laura aber nahm den Hut nicht ab. Sie sprach schickliche Freude aus, wie hübsch der Garten blühe, und hörte mit Befriedigung, daß das Prachtstück im Topfe dem Herrn Hahn von einem Unbekannten geschenkt sei, auch die Früchte seien süß, denn Herr Hahn habe die Rückkehr seines Sohnes durch ein künstliches Getränk gefeiert und dazu die erste Frucht des kleinen Baumes genommen.

Es war bei alledem ein diplomatischer Besuch, er wurde nicht über die nothwendige Zeit ausgedehnt, und Laura war froh, als sie beim Abschied Empfehlung und Dank an den Herrn Doctor wiederholt hatte.

Auch in den stillen Aufzeichnungen Laura’s wurde die Begebenheit des Tages sehr kurz abgefertigt. Sogar eine angefangene Betrachtung über das Glück einsamer Waldbewohner blieb unvollendet. Wie, Laura? Du schreibst ja Alles nieder; wenn ein Holzwurm tickt, oder ein Sperling in dein Fenster schreit, hüpfen dir einige Versfüße auf. Hier wäre ein Erlebniß, gewaltig für dein junges Leben: Gefahr, Bewußtlosigkeit, Arme eines Fremden, der trotz seinem gelehrten Aussehen doch ein hübscher Knabe ist. Jetzt wäre Zeit zu schildern und zu schwärmen. Eigensinniges Kind, warum liegt das Abenteuer als totes Gestein in der phantastischen Landschaft, welche dich umgibt? Geht dir’s wie dem Reisenden, der müde auf die Alpengegend zu seinen Füßen blickt und sich wundert, daß die fremdartige Natur ihn so wenig ergreift, bis allmählich, vielleicht nach Jahren, die Bilder ihn im Traum und Wachen verfolgen und von neuem in die Berge ziehen? Oder hat die Nähe des argen Wichtes, der die Missethat verübt, auch dir die freien Schwingen gelähmt?

Da liegt er vor deiner Thürschwelle, roth und ruppig, und leckt seinen Schnurrbart!

12.
Der Abschied vom Gute

Der Herbst war gekommen, auf den Hügeln des Gutes trugen die Bäume ihr buntes Trauerkleid; zwischen den Stoppeln hing weißes Gespinst und die Tautropfen lagen darauf, bis der Wind das Gewebe zerriß und aus Flur und Thal entführte in die blaue Ferne. Auf dem Gute aber gingen Hand in Hand zwei Glückliche. In diesem Jahr war der Blätterfall dem Professor gar nicht empfindlich, denn in seinem eigenen Leben hatte ein neuer Frühling begonnen, und die Seligkeit dieser Tage war auf sein Antlitz in einer Schrift geschrieben, da auch der Ungelehrteste zu lesen vermochte.

Ilse war Braut. Demüthig trug sie die unsichtbare Krone, welche nach der Meinung des Hauses und der Nachbarschaft jetzt auf ihrem Haupte saß. Immer noch hatte sie Stunden, wo sie an das Glück kaum glauben konnte. Wenn sie sich früh vom Lager erhob und das Schleifen der ausziehenden Pflüge hörte, oder wenn sie im Keller stand und die Milcheimer klapperten, war ihr die Zukunft wie ein Traum. Aber am Abend, wenn sie neben dem geliebten Mann in der Laube saß, seinen Worten lauschte und die Rede über Großes und Kleines dahinflog, dann faßte sie ihn leise am Arm und versicherte sich, daß er ihr gehörte, und daß sie selbst fortan in der Welt leben sollte, in welcher sein Geist heimisch war.

Noch vor dem Winter, ehe die Vorlesungen der Universität begannen, sollte die Hochzeit sein. Denn der Professor hatte flehentlich gegen langen Brautstand Verwahrung eingelegt, und der Landwirth gab ihm Recht. »Gern hätte ich Ilse über den Winter behalten, denn Clara muß einen Theil ihrer Arbeit übernehmen, und dem Kinde wäre die Anweisung der Schwester sehr nöthig. Aber für euch ist es anders besser. Sie, mein Sohn, haben sich meine Tochter nach kurzer Bekanntschaft gefordert, je eher sich Ilse an Ihr Stadtleben gewöhnt, desto besser wird es für Sie beide sein; und ich meine, im Winter wird ihr das leichter werden.«

Es war eine Zeit seliger Unruhe, und es war gut, daß die verständige Sorge um den neuen Haushalt die hohe Empfindung der Verlobten ein wenig zu irdischen Dingen hinabzwang.

Der Professor reiste noch einmal nach der Universitätsstadt. Sein erster Gang war zum Freund. »Wünsche mir Glück,« rief er, »vertraue ihr und mir.« Der Doctor fiel ihm um den Hals und ging ihm in den Tagen seines Aufenthalt nicht von der Seite, er begleitete ihn bei allen Einkäufen und überlegte mit ihm die Eintheilung der Zimmer. Gabriel, dem der Besuch des Landwirths ein Vorgefühl kommender Ereignisse gegeben hatte, und dem um die eigene Unentbehrlichkeit bange geworden war, fühlte sich stolz, weil der Professor ihm sagte: »Wir bleiben die Alten, thun Sie, was in Ihren Kräften steht, sich meiner Frau nützlich zu machen.« Dann kam Herr Hummel, stattete im Namen der Familie seinen Glückwunsch ab und erbot sich aus freien Stücken, noch zwei Zimmer seines Hauses, die er entbehren konnte, dem Professor zu überlassen. Aber unruhiger als alle Andern erwartete Laura die neue Hausgenossin. Und sie brach in die schriftlichen Worte aus: »Wie wird sie sein, erhaben oder niedlich? voll strenger Würde oder lachend friedlich? mir pocht das Herz, und die Gedanken fliegen! wird liebevolles Ahnen mich betrügen?« Und als der Professor sie und ihre Mutter bat, seiner künftigen Frau entgegenzukommen und bei der Einrichtung zu helfen, und als er gegen Laura hinzusetzte, er hoffe auf ein gutes Verhältniß zwischen ihr und seiner Braut, da ahnte er gar nicht, wieviel Glück er in ein junges Herz senkte, welches das unruhige Bedürfniß hatte, sich hingebend anzuschließen. Die unsichern Angaben, welche er über das Wesen seiner Verlobten machte, hüllten die Gestalt immer noch in Nebel, aber sie wurden doch für Laura ein Rahmen, in welchen sie täglich neue Gesichter und Stellungen hineinzeichnete.

Unterdeß saßen in den Nebenräumen des alten Hauses die Frauen emsig um Truhen und Leinwand beschäftigt. Clara war durch den Brautstand der Schwester auf einmal zum erwachsenen Mädchen geworden, sie half und gab guten Rath und erwies sich in Allem brauchbar und verständig. Und Ilse rühmte das am Abend gegen den Vater und darauf schlang sie die Arme um seinen Hals und brach in heiße Thränen aus. Dem Vater zuckte der Mund, er antwortete nicht, aber er hielte die Tochter mit beiden Händen fest an seinem Herzen. Auch für diese Trennung traf es sich günstig, daß die letzten Wochen vor dem Abschied übervoll von Arbeit und Zerstreuung waren. In der Wirthschaft gab es noch viel zu schaffen, und der Vater erließ den Verlobten keinen Besuch bei seinen Bekannten in der Nachbarschaft.

Zu den nächsten gehörte die Familie Rollmaus. Ilse hatte ihre Verlobung der Frau Oberamtmann in besonderm Briefe angezeigt. Darüber war große Erregung entstanden. Die Frau Oberamtmann triumphirte. Rollmaus aber ließ sich sofort das Pferd satteln und kam nach Bielstein geritten, jedoch nicht vor das Haus, er frug am Hofthor nach dem Gutsherrn und ritt zu diesem auf das Feld. Dort nahm er den Landwirth bei Seite und begann seinen Glückwunsch mit der kurzen Frage: »Was hat er?« Diese Frage konnte durch Zahlen beantwortet werden, und die Antwort beruhigte ihn einigermaßen. Denn er wandte sein Pferd kurz um, trabte vor das Haus und brachte der Braut und dem Professor, den er jetzt als ebenbürtig ansah, seinen Glückwunsch dar. Und diesmal wiederholte er dringend seine Einladung. Nach der Rückkehr sagte er seiner Frau: »Ich hätte der Ilse eine bessere Partie gewünscht, indeß der Mann ist nicht ganz übel, freilich auf einem großen Gute müßte er sich mühsam durchschlagen.«

»Rollmaus,« erwiederte die Frau, »ich hoffe, du wirst dich bei dieser Gelegenheit decent beweisen.«

»Wie so?« frug der Oberamtmann.

»Du mußt beim Essen die Gesundheit des Brautpaars ausbringen.«

Der Gatte brummte. »Jedoch ohne unnützes Zeug, wie Redensarten und Steckenbleiben. Ich kenne das, darauf lasse ich mich nicht ein.«

»Die Redensarten müssen die Voraussetzung sein,« rief die Oberamtmann. »Und wenn du nicht willst, so werde ich selbst besorgen, was vorgesetzt werden muß, und du sprichst die Gesundheit.«

Das Haus Rollmaus hatte für den Brautbesuch sein feinstes Tischzeug aufgedeckt, und die Frau Oberamtmann erwies nicht nur ein gutes Herz, auch gute Küche. Sie schlug beim Braten an das Glas und begann aufgeregt: »Liebe Ilse, da Rollmaus in seiner Gesundheit das Kurze und Drakonische äußern wird, so will ich nur vorher erwähnen, daß wir Ihnen aus einem ehrlichen Herzen Glück wünschen als alte Freunde Ihrer Eltern, und da wir immer gute Nachbarschaft miteinander gehalten haben, in allem Unglück, und wenn ein angenehmer Zuwachs zur Familie kam, und ebenso durch Aushilfe in der Wirtschaft. Es ist uns sehr wehmüthig, daß Sie aus dieser Gegend ziehen, obgleich wir uns freuen, daß Sie in eine Stadt kommen, wo man das Geistige zu schätzen weiß, und was ein höheres Streben genannt wird. Ich will nicht voluminös werden, weshalb wir Sie beide bitten, auch in treuer Freundschaft an uns zu denken.« Sie fuhr mit dem Tuche nach den Augen und Rollmaus faßte die Familiengefühle kräftig in den vier Worten zusammen: »Das Brautpaar soll leben.« Beim Abschied weinte die Frau Oberamtmann ein wenig und bat den Hausherrn zu erlauben, daß sie doch zur Trauung kommen dürfe, wenn auch die Hochzeit ohne Gäste sei.

Und noch eine Störung brach herein. Der Landwirth hatte um die Ehre gebeten und sie war ihm gewährt: auf dem Wege zum Jagdschloß wollte der Fürst anhalten und im alten Hause das Frühstück einnehmen.

»Es ist gut, Ilse, daß du noch bei uns bist,« sagte der Landwirth.

»Aber man weiß ja gar nicht, wie so ein Herr das gewöhnt ist,« wandte Ilse zwischen Freude und Sorge ein.

»Er bringt doch einen seiner Köche mit, der in der Oberförsterei das Jagdessen zurichtet, der mag helfen; sorge nur dafür, daß er etwas in der Küche findet.«

Am Tage der emsigen Vorbereitung saßen die Kinder, die Mamsell und Arbeiterinnen zwischen Hügeln von Waldzweigen und Herbstblumen und wanden Kränze und Festgehänge. »Verschont nichts,« befahl Ilse dem alten Gärtner, »er ist unser lieber Landesvater, wir Kleinen bringen ihm unsere Blumen als Steuer dar.« Und Hans verfertigte mit Hilfe des Professors aus Georginen riesige Kokarden und Namenszüge.

Schon am Abend vor der Jagd hielten der Fourier und der Mundkoch ihren Einzug. Der Fourier bat, die Tafel im Garten zu decken, dem Fürsten folge die nöthige Dienerschaft, bei der übrigen Aufwartung könnten die schmucken Hausmädchen helfen, dem Herrn sei das Ländliche gerade recht. Am Morgen der Jagd ritt der Landwirth in seinem besten Staat nach Rossau hinab, den Fürsten zu empfangen; die Kinder drängten sich um die Fenster der obern Stuben und spähten wie Wegelagerer nach der Landstraße. Kurz vor Mittag kamen die Wagen den Berg herauf und fuhren an der alten Hausthür vor, der Landwirth und der Oberförster, welche zu beiden Seiten des fürstlichen Wagens ritten, sprangen von den Pferden. Der Fürst stieg mit seinen Begleitern aus und betrat grüßend die Schwelle. Ein Herr in höherem Mannesalter von mäßiger Größe, einem schmalen feinen Gesicht, dem man noch glaubte, daß er in seiner Jugend den Ruf eines schönen Mannes gehabt hatte, mit zwei klugen Augen, deren Umgebung nur durch zu viele kleine Falten verknittert war. Ilse trat in den Hausflur, der Landwirth stellte in seiner einfachen Weise die Tochter vor, der Herr begrüßte Ilse huldreich mit einigen Worten und gönnte dem Professor, der ihm als Bräutigam der Tochter genannt wurde, einen Blick und eine Frage, worauf der Professor vom Oberjägermeisteraufgefordert wurde, am Frühstück Theil zu nehmen. Dann schritt der Fürst sogleich in den Garten, rühmte das Haus und die Landschaft und erinnerte sich, daß er zum ersten Mal als vierzehnjähriger Knabe mit seinem Vater diese Gegend besucht habe.

Das Frühstück verlief auf’s Beste, der Fürst that dem Landwirth wohlthuende Fragen, welche sein Interesse an den Zuständen der Landschaft erwiesen. Als er sich vom Tisch erhoben hatte, trat er an den Professor und frug nach Einzelheiten der Universität, er kannte den Namen des einen und anderen Collegen. Durch die sichern Antworten und die gute Haltung des Gelehrten wurde er veranlaßt, das Gespräch zu verlängern. Er erzählte, daß er selbst ein wenig Sammler sei, antike Münzen und Gräberfunde aus Italien mitgebracht habe, und daß ihm die Vermehrung seiner Sammlungen viele Freude gemacht. Und ihm war angenehm, daß der Professor bereits von einigem Bedeutenden darin wußte.

Als nun der Fürst mit einer Wendung zum Schlusse den Gelehrten frug, ob er in dieser Gegend heimisch sei, und Felix antwortete, daß ein Zufall ihn hierher geführt, da flog dem Gelehrten plötzlich der Gedanke durch das Haupt, daß hier eine Gelegenheit sei, die wohl so nicht wiederkehren werde, die höchste Gewalt des Landes mit dem Schicksale der verlorenen Handschrift bekannt zu machen, vielleicht Förderung für weitere Nachforschungen in der Residenz zu gewinnen. Er begann seinen Bericht. Der Fürst hörte mit sichtlicher Spannung zu, führte ihn während angelegener Querfragen weiter von der Gesellschaft ab und war so ganz bei der Sache, daß er darüber, wie es schien, die Jagd vergaß. Der Oberjägermeister wenigstens sah oft nach der Uhr und sagte dem Gutsherrn Verbindliches über das Interesse, welches der Herr an seinem Schwiegersohn nehme. Endlich schloß der Fürst die Unterhaltung: »Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilung, ich würdige das Vertrauen, welches Sie mir damit erweisen, kann ich Ihnen darin selbst nützlich sein, so wenden Sie sich direkt an mich, führt Sie der Weg einmal in meine Nähe, so lassen Sie mich das wissen, ich werde mich freuen, Sie wieder zu sehen.«

Als der Fürst durch den Hausflur nach dem Wagen schritt, blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um, der Oberjägermeister gab dem Landwirth schnell einen Wink, Ilse wurde gerufen und verneigte sich wieder und der Fürst dankte ihr in Kürze für die gastliche Aufnahme. Ehe die Wagen zwischen den Hofgebäuden verschwanden, sah der Fürst sich noch einmal nach dem Hause um. Auch diese Artigkeit fiel auf fruchtbaren Boden. »Ganz umgedreht hat er sich und ganz eigen darauf gesehen,« erzählte die Taglöhnerfrau, die sich mit Arbeitern bei dem Laubgewinde an der Scheuer aufgepflanzt hatte. Alles war zufrieden und freute sich der Huld, welche mit gutem Anstand erwiesen und empfangen war. Ilse rühmte die Leute des Fürsten, die ihr Alles so bequem gemacht, dem Professor hatten die gescheidten Fragen des Herrn sehr wohl gefallen, und als der Landwirth am späten Abend zurückkehrte, erzählte auch er, wie gut die Jagd verlaufen, und daß der Fürst ihm noch Freundliches gesagt und vor allen Leuten zu seinem Schwiegersohn Glück gewünscht habe.

Der letzte Tag kam, den die Jungfrau im Hause des Vaters verlebte. Sie ging mit Schwester Clara hinab in das Dorf, sie stand am Fenster des armen Lazarus, sie kehrte in jedem Hause ein und übergab die Armen und Kranken der Schwester. Dann saß sie lange bei dem Herrn Pfarrer in der Studierstube, der alte Mann hielt sein liebes Kind an den Händen fest und wollte sie nicht fortlassen. Bei der Trennung schenkte er ihr die alte Bibel, in welcher seine Frau gelesen hatte. »Ich wollte sie mit mir nehmen in die letzte Behausung,« sagte er, »aber sie ist besser aufgehoben in Ihren Händen.« Als Ilse zurückkam, setzte sie sich in ihrer Stube nieder, und die Mägde und Arbeiterinnen des Gutes traten eine nach der andern ein, von jeder nahm sie unter vier Augen Abschied, sie sprach noch einmal über das, was jeder auf dem Herzen lag, gab Trost und guten Rat, ein kleines Andenken aus ihrer Habe und zuletzt einen guten Spruch, wie er auf das Leben paßte. Am Abend saß sie zwischen dem Vater und dem geliebten Mann, der Lehrer hatte den Kindern einige Verse eingelernt, Clara brachte den Brautkranz und der kleine Bruder erschien als Genius, aber als der Genius seinen Spruch sagen sollte, fing er an zu schluchzen, verbarg seinen Kopf in Ilse’s Schoß und war gar nicht wieder zu beruhigen.

Zur Gutenachtzeit, als sich Alles entfernt hatte, saß Ilse noch einmal auf ihrem Stuhl in der Wohnstube, und als der Vater aufbrach, reichte sie ihm den Leuchter. Der Vater setzte ihn wieder hin und ging auf und ab, ohne zu sprechen. Endlich begann er: »Deine Stube bleibt für dich unverändert, und wenn du zu uns zurückkehrst, sollst du Alles so finden, wie du es verlassen. Dem Gute bist du nicht zu ersetzen, nicht den Geschwistern, auch nicht deinem Vater. Ich gebe dich hin mit Schmerzen in ein Leben, das uns beiden unbekannt ist. Gute Nacht, mein braves Kind, des Himmels Segen über dich. Gott behüte dir dein ehrliches Herz. Sei tapfer, Ilse, das Leben ist schwer.« Er zog sie an sich und sie weinte still an seinem Herzen.

Die Morgensonne des nächsten Tages schien durch die Fenster der alten Holzkirche auf die Stätte vor dem Altar. Wieder umsäumte sie Ilse’s Haupt wie mit überirdischem Glanz und verklärte das glückliche Antlitz des Mannes, in dessen Hand der alte Pfarrer die Hand seines Lieblings legte. Die Kinder des Hauses und die Arbeiterinnen des Gutes streuten Blumen. Ueber den letzten Schmuck des Gartens schritt Ilse mit Kranz und Schleier, das Auge zur Höhe gerichtet. Aus den Armen des Vaters und der Geschwister, unter den lauten Segenswünschen der Frau Oberamtmann und dem leisen Gebet des alten Pfarrers hob der Gatte sie in den Wagen. Noch ein Hoch der Gutsleute, noch ein Blick nach dem Vaterhause, und Ilse faßte die Hand des Gatten und hielt sich an ihm fest.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
06 detsember 2019
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