Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Die verlorene Handschrift», lehekülg 46

Font:

»Du sprichst sehr kalt und verständig,« rief Ilse in innerer Empörung, »trotz deiner Worte fühlst du wenig die Kränkung deines Weibes.«

»Wärest du in der Fassung, die ich sonst an dir ehre, du würdest so ungerechte Klage nicht über deine Lippen bringen,« versetzte der Gatte finster. »Wenn ich dich in Gefahr sähe, ich würde noch diese Stunde mit dir fortziehen; habe ich erst nöthig, darüber gegen dich ein Wort zu verlieren? Aber selbst gegen das Geschwätz der Schwachen ist dir dieser Aufenthalt hier vorläufig der beste Schutz, denn der Prinz ist fern, du aber weilst zurückgezogen bei deinem Gatten.«

»Ich weiß, woher diese Gleichgültigkeit kommt,« murmelte Ilse.

»Du weißt, was mich hier fesselt,« erwiederte der Professor, »und wärst du mir, was du sein solltest, Verbündete bei meinen Hoffnungen, und hättest du dasselbe Gefühl für den Werth des Gutes, das ich suche, du würdest gleich mir empfinden, daß ich keinen ablenkenden Schritt thun darf, wenn ich nicht erkenne, daß er nöthig ist. – Ertrage nur noch für den nächsten Tag diesen Aufenthalt, liebe Ilse, wie unbehaglich er dir heut erscheint,« fuhr er herzlich fort. »Ich bin eingeladen in dem Landschloß der Prinzessin zu suchen, dort wird sich, wie ich ahne, finden, was uns von hier frei macht.«

»Gehe nicht!« bat Ilse vor ihn tretend, »laß mich nicht allein in dieser fürchterlichen Unsicherheit, in einer Angst, die mich schaudern macht vor mir selbst und vor jedem fremden Laut, den ich in diesen Räumen höre.«

»Angst?« rief der Professor unwillig, »eine Angst vor Gespenstern. Selten ist das Leben in der Fremde so leicht und bequem, als uns dieser Aufenthalt. Mißklänge gibt es überall, und nur unser ist die Schuld, wenn wir sie übermäßig empfinden.«

»Gehe nicht!« flehte Ilse von Neuem. »Ja, es sind Gespenster, die mich verfolgen, sie hängen bei Tag und Nacht über meinem Haupte. Gehe nicht, Felix,« rief sie, die Hand erhebend, »dich lockt nicht die Handschrift allein, auch das Weib, das dich dort erwartet. Das weiß ich seit den ersten Tagen in dieser Stadt, ich sehe, wie der Zauber ihrer flüchtigen Seele dich umgarnt. Ich habe die Furcht bis heut in mir niedergekämpft mit dem Vertrauen, das ich zu meinem geliebten Manne haben muß. Gehst du jetzt, Felix, wo ich mich an dich klammern möchte, wo ich jeden Augenblick bei deiner Stimme Trost suche, so kommt mir der Zweifel an dir und der furchtbare Gedanke, daß meine Noth dir gleichgültig ist, weil du selbst kalt gegen mich wurdest.«

»Wohin bist du gerathen, Ilse!« rief der Gelehrte erschrocken, »ist mein Weib, das so spricht? wann habe ich dir je meine Empfindungen verhüllt? Und vermagst du nicht in meiner Seele zu lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch? Das also war es, was so schwer auf dir lag! Gerade das hätte ich nicht für möglich gehalten,« sagte er treuherzig und bekümmert.

»Nein, nein,« rief Ilse außer sich, »ich habe Unrecht, ich weiß es, achte nicht auf meine Worte, ich vertraue dir, ich halte mich an dich, o Felix, ich müßte verzweifeln, wenn dieser Halt mir bräche.« Sie warf sich an seinen Hals und schluchzte. Der Gatte umschlang sie, auch ihm wurden die Augen naß bei dem Jammer seines Weibes. »Bleibe bei mir, mein Felix!« fuhr Ilse weinend fort, »nur jetzt laß mich nicht allein, ich bin immer noch ein kindisches einfältiges Herz, habe Geduld mit mir. Ich bin hier krank, ich weiß nicht, woher das kommt; ich liege an deinem Herzen, und ich zittere davor, daß du mir fremd werden könntest, ich weiß, daß du mein bist, und ich ringe dabei mit der ängstlichen Ahnung, daß ich dich hier verlieren werde. Wenn du zur Thür hinausgehst, ist mir, als müßte ich einen Abschied von dir nehmen auf immer, und wenn du zurückkehrst, sehe ich dich zweifelnd an, als wärst du mir in wenig Stunden verwandelt. Ich bin unglücklich, Felix, und das Unglück macht mißtrauisch, ich bin schwach und klein geworden und ich scheue mich, dir es zu sagen, weil ich fürchte, daß du mich deshalb gering achten könntest. Bleibe hier, Geliebter, gehe nicht zu der Prinzessin, nur morgen nicht.«

Der Gatte faßte ihr Haupt und sah ihr in die verweinten Augen. »Wenn morgen nicht,« entgegnete er herzlich, »dann doch übermorgen oder an anderem Tage. Ersparen kann ich uns die kurze Fahrt von wenigen Stunden nicht, sie aufgeben wäre ein Unrecht, das wir beide nicht auf uns laden dürfen. Je länger ich zögere, Ilse, um so länger sehe ich dich festgehalten in diesen Wänden. Ist nicht klug, schnell zu thun, was uns frei macht, auch in deinem Sinne?«

Ilse löste sich aus seiner Umarmung. »Du sprichst verständig in einer Stunde, wo ich einen andern Ton aus deiner Brust hoffte,« versetzte sie ruhiger. »Ich weiß, Felix, du willst mir nicht wehe thun, und ich hoffe, du bist auch in dieser Rede wahr gegen mich und verbirgst mir nichts. Aber ich fühle mit tiefem Herzen ein altes Weh, das mich an trüben Tagen überfallen hat, seit ich dich kenne. Du denkst anders als ich, und du fühlst anders in manchen Dingen, der einzelne Mensch und sein Leiden gilt dir wenig gegen die großen Gedanken, die du mit dir herumträgst, du stehst auf der Höhe in klarer Luft und hast keinen Antheil an der Angst und Noth im Thale zu deinen Füßen. Klar ist die Luft, aber kalt, und mich friert dabei.«

»Das ist die Art des Mannes,« sagte der Professor, tiefer bewegt durch den gehaltenen Schmerz seines Weibes als durch ihre laute Klage.

»Nein,« antwortete Ilse vor sich hinstarrend, »das ist die Art des Gelehrten.«

In der Nacht, als der Gelehrte längst im Schlummer lag, da erhob sich das Weib an seiner Seite vom Lager und spähte durch die Dämmerung auf das Antlitz des geliebten Mannes. Sie stand auf und ergriff die Nachtlampe, daß der gelbe Schein auf sein ruhiges Antlitz fiel, und große Thränen sanken aus ihren Augen auf sein Haupt. Dann setzte sie sich vor ihn, rang die Hände und bändigte mit Anstrengung das Weinen und den Krampf, welche ihr den Leib erschütterten.

9.
Im Thurm der Prinzessin

Als die Prinzessin von ihrem drängenden Vater in die Heimat zurückgerufen wurde, hatte das erlauchte Haus, dessen Namen sie jetzt trug, nicht nur darauf bestanden, daß sie fortan einige Monate des Jahres an dem Wohnsitz ihres verstorbenen Gemahls zubringe, auch daß ihr in der Residenz des Vaters ein gesonderter Hofhalt eingerichtet werde. Darüber war ein Vertrag geschlossen, welcher allerdings den Zweck hatte, der jungen Fürstin eine gewisse Selbständigkeit zu wahren. Um den Wortlaut des Vertrags zu erfüllen, wurde der Prinzessin ein fürstliches Schloß auf dem Lande als Wohnsitz überwiesen, da in der Residenz selbst kein geeignetes Gebäude vorhanden war. Das Schloß lag eine halbe Tagereise von der Stadt, am Fuße belaubter Hügel, zwischen Wäldern und Dorffluren, im Sommer ein anmuthiger Ruhesitz; die Prinzessin hatte dort bereits einige Monate ihres Trauerjahrs zugebracht.

Es war ein warmer Tag, an welchem der Professor nach dem Schlosse fuhr. Die Luft war durch das Gewitter der Nacht nicht abgekühlt, der strömende Regenguß hatte Furchen in die glatte Kunststraße gerissen, zwischen den Ackerbeeten stand das Wasser an dem üppigen Grün des Rasens, an den Blättern der Wegpflanzen hingen die Tropfen, eine feuchte Brutwärme lag über der Erde, der Wasserdunst färbte die entfernten Höhen mit dunklem Blau. Am Himmel zogen die Wolken flüchtig dahin, bald verhüllten sie neckend die Sonne und warfen ihre Schatten über die sprossende Flur, bald öffneten sie den Lichtstrahlen ein Thor, dann flog ein feuriger Glanz über Baumgipfel, Dächer und den fruchtbaren Grund. Schneller Schatten und heller Schein am Himmel und auf der Erde, erst deckte das Wolkenheer mit grauen Gewändern den geradlinigen Weg, welchen der Gelehrte fuhr, wieder lag die Straße vor ihm als ein goldener Pfad, der zum ersehnten Ziele führt.

Grelles Licht und dunkler Schatten flogen auch durch die Seele des Gelehrten. »Die Schrift wird gefunden; sie bleibt uns verborgen,« rief es in ihm, und sein Auge umwölkte sich. »Wenn sie nicht gefunden wird? Viele werden dann mit Verwunderung lesen, wie täuschend der Schein war, wie nahe die Möglichkeit; mancher wird bedauernd auf seine Hoffnung verzichten, die ihm über den Worten des Klosterbruders aufgeht; doch den Schmerz der Entsagung wird Keiner fühlen wie ich. Ein Gedanke, der durch Jahre die Phantasie unterhalten, die Augen auf einen Punkt gerichtet hat, ist mir übermächtig geworden. Mit tausend Eindrücken aus alter und neuer Zeit spielt des Mannes freier Geist, er bändigt ihre Gewalt durch abwägenden Verstand und Kraft des Willens. Mir aber ist ein kleines Bild aus verloschenen Zügen des alten Buches so tief in die Seele gedrungen, daß die Hoffnung zu erwerben das Blut in den Adern hüpfen macht und die Furcht zu verlieren die Spannung der Muskeln lähmt. Allzugroß ist der Eifer, das weiß ich, er hat mich hart gemacht gegen die kindliche Angst meines Weibes, auch ich bin nicht stärker geworden, seit ich auf dem unsicheren Pfad eines Wildschützen dahinfahre. Jeder hüte sich, daß ihm seine Träume nicht die Herrenrechte des Geistes verringern, auch der Traum guter Stunden, wo die Seele sich arglos einer großen Empfindung hingibt, mag abwenden von dem geraden Wege der nächsten Pflicht.«

Das goldene Licht flog über sein Antlitz. »Wenn sie aber gefunden wird. Es ist nur ein kleiner Theil unseres Wissens aus alter Zeit, der in ihr verborgen liegt. Und doch würde gerade dieser Fund eine verdämmerte Landschaft mit hellem Glanze füllen, und einige Jahrzehnte des alten Lebens würden für unser Auge in festen Umrissen sichtbar werden, als ob sie in nächster Vergangenheit lägen. Der Fund könnte hundert Räthsel lösen und tausend neue aufregen, jedes spätere Geschlecht dürfte der größeren Habe sich freuen und mit besserer Kraft neuen Aufschluß begehren. Auch ihr wünsche ich die Freude eines Fundes, welche dort im Schlosse so warmherzig meine Sorge theilt, auch ihr wäre eine große Erinnerung für immer, daß sie wohlthuenden Antheil gehabt an der ersten Arbeit des Suchenden.«

Höher stiegen die Berge, farbiger wurden ihre Massen. Die Linien der Vorhügel schieden sich von der nebligen Ferne, zwischen dem schwarzen Wald öffneten sich blaue Mündungen der Thäler. Der Wagen rollte in einen wohlgehegten Forst, gedrängte Föhren und Fichten schlossen eine Weile die Aussicht; als die Straße wieder ins Freie führte durch Rasenflächen und Baumgruppen, lag das Schloß gerade vor den Augen des Gelehrten. Ein mächtiger alter Thurm mit Zinnen gekrönt ragte aus niedrigem Gehölz, über ihm stand die Sonne des Nachmittags und malte lange Regenstreifen in den Dunst der Luft. Das braune Mauerwerk hob sich in der einsamen Landschaft wie der letzte Pfeiler eines zertrümmerten Riesenbaues, nur an der hellen Steinfassung der wohlgefügten Fenster erkannte man, daß es wohnliche Räume enthielt. An den Thurm gelehnt stieg das kleine Schloß herauf, mit steilem Dach und spitzbogigen Fenstern, in seiner mäßigen Größe ein seltsamer Genosse des gewaltigen Thurmbaues. Aber trotz dem Mißverhältniß der verbundenen Theile war das Ganze ein stattlicher Ueberrest des Mittelalters, vielen Geschlechtern hatten die festen Mauern zu Schutz und Wehr gedient.

Wilder Wein sandte seine Ranken bis auf das Dach des Hauses und um die Fenster des Thurmes, welcher in sieben Stockwerken aufstieg, durch starke Strebepfeiler gestützt. In der Höhe wuchs Quendel und Gras aus den Fugen des verwitterten Steins, aber die Grashalme, welche noch vor wenig Tagen den Grund bedeckt hatten, waren ausgerissen, Hofraum und Thüren hatten sich für die neuen Bewohner festlich geschmückt, Blumentreppen und Topfgewächse waren reichlich aufgestellt. Nur an einer Ecke war die schnelle Arbeit nicht beendet, der grünliche Schimmer am Boden und ein Schwarm schwarzer Vögel, der um die Zinne des Thurmes flatterte, gaben Zeugniß, daß der Bau leer von Menschen in einsamer Landschaft gestanden hatte.

Der Professor sprang aus dem Wagen, der Marschall winkte ihm von der Rampe Grüße zu und führte ihn selbst in das einfache Gastzimmer. Kurz darauf leitete er ihn durch einen gewölbten Gang des Schlosses in den Thurm. Die Prinzessin stand, von einem Spaziergang zurückgekehrt, den Sommerhut in der Hand, am Eingang des Thurmes. »Willkommen in meiner Solitude,« rief sie dem Gelehrten entgegen, »glücklich sei die Stunde, in welcher dies alte Haus Ihnen die Thüren öffnet. Hier stehen Sie an der Pforte meines Reiches, ich habe mich fast in jedem Stockwerk des Thurmes angesiedelt, er ist unser Frauenzwinger. Wenn diese feste Eichenthür verschlossen wird, können wir Frauen ein Amazonenreich gründen und die ganze Männerwelt, soweit sie hier sichtbar wird, gefahrlos mit Tannzapfen bewerfen. Denn dies ist die Frucht, welche hier am besten gedeiht. Kommen Sie, Herr Werner, ich führe Sie der Stätte zu, auf welcher Ihre Gedanken jetzt mehr verweilen, als bei uns Kindern der Gegenwart.«

Eine steinerne Wendeltreppe verband die Stockwerke des Thurms, jedes enthielt Zimmer und Kabinette, nur das höchste war Bodenraum. Die Prinzessin wies geheimnißvoll die Treppe hinauf. »Dort oben unter der Plattform ist Alles vollgestopft mit altem Hausrath. Ich konnte schon gestern der Neugierde nicht widerstehen, einmal in die Kammern zu blicken, es liegt in wirrem Haufen durcheinander, wir werden Arbeit haben.«

Der Professor sah freudig auf das wohlerhaltene Steinwerk der bogigen Thüren und auf die kunstvolle Arbeit des alten Schlossers. Es war in neuer Zeit wenig gethan, um den alten Schmuck der Wände ansehnlich zu machen und kleine Schäden zu bessern. Aber wer Antheil nahm an Meißel und Schnitzmesser der alten Bauherren, der erkannte überall mit Behagen, daß der Thurm leicht zu einem Prachtstück alten Stils geformt werden konnte. Der Diener öffnete die Thür zu den Zimmern der Prinzessin. Auch diese waren einfach hergerichtet, die zerschlagene Glasmalerei der kleinen Fenster war durch bunte Scheiben kunstlos ausgebessert, nur Bruchstücke der alten Bilder hafteten in dem Blei.

»Hier ist noch viel zu thun,« erklärte die Prinzessin, »das soll in den nächsten Jahren allmählich geschehen.«

Im Vorzimmer klirrten die Schlüssel des Kastellans, der Professor wandte sich nach der Thür. »Einen Augenblick Geduld,« rief die Prinzessin, sie flog in ein Nebenzimmer und kehrte in einem hellen Mantel mit Kappe zurück, der sie faltig umhüllte, nur das feine Antlitz war sichtbar, die großen, strahlenden Augen und der lächelnde Mund. »Das ist die Gnomentracht, in der ich den staubigen Geistern des Bodens zu nahen wage.«

Sie stiegen zu dem höchsten Stockwerk hinauf. Während der Kastellan am Gebund den Schlüssel suchte, befühlte der Professor das Holz der Thür und bemerkte gemessen: »wieder schöne Schlosserarbeit.« Aber sein Auge fuhr unruhig an den Umrissen der Thür umher.

»Ich hoffe,« sagte die Prinzessin leise.

»Alles sieht hoffnungsvoll aus,« versetzte der Gelehrte.

Die dicke Thür ächzte in ihren Angeln. Ein großer Raum öffnete sich dem suchenden Blick. Durch enge Mauerluken fiel ein scharfes Licht auf die geheimnißvolle Stätte, in dem eindringenden Luftstrom wirbelten die Atome des Staubes, davor und dahinter dämmrige Dunkelheit. Hochgethürmt, ineinandergeschoben lag hier alter Hausrath; riesige Schränke mit ausgebrochenen Thüren, plumpe Tische mit Kugeln am Ende der Beine, Stühle mit geradliniger Lehne und Lederpolstern, aus denen das Roßhaar quoll; dazwischen Bruchstücke alter Waffen, Hellebarden, zerfressene Schienen, verrostete Helme. Undeutlich ragten die Formen durcheinander, Stuhlbeine, Holzplatten mit eingelegter Arbeit, eine Rundung von altem Eisen. Es war ein trödelhaftes Gewirr künstlicher Gebilde aus mehren Jahrhunderten. Die Hand berührte den Tisch, an welchem ein Zeitgenosse Luthers getrunken hatte, der Fuß stieß an einen Schrein, dem Kroaten und Schweden die Thür ausgeschlagen, auf dem weißlackirten Sessel mit dem verschossenen Sammetpolster hatte einst ein Hoffräulein gesessen, im Reifrock mit gepudertem Haar, jetzt ruhten sie zusammengeschichtet in wüstem Haufen, die abgethanen Hülsen früherer Geschlechter, halbzerstört und ganz vergessen, leere Puppengehäuse, aus denen die Schmetterlinge geflogen waren. Alles lag mit graulicher Leichendecke überzogen, mit dem letzten Schutt des geschwundenen Lebens. Zu Pulver zerrieben kräuselte sich in der Luft, was einst Form und Körper war, feindlich ballte der Staub seine Wolken gegen die Eintretenden, welche kamen, an seinem Besitzthum zu rühren, das er mit dicken Lagen überzog; er hing sich an Haare und Kleider des neuen Lebens und quoll langsam durch die geöffnete Thür hinab den Räumen zu, wo bunte Farbe und glänzender Schmuck die Menschen umgab, um auch dort den endlosen Kampf der Vergangenheit gegen das Neue zu führen, den stillen Kampf, der sich täglich erneut im Großen wie im Kleinen, der Neues alt macht und Altes auflöst, um zuletzt die Keime jungen Lebens hilfreich zu nähren.

Der Professor sah wie ein Falk zwischen Tisch und Stuhlbeinen in den dämmerigen Hintergrund. »Hier ist vor Kurzem geräumt worden,« sagte er, »über die vordern Möbel ist gefegt.«

»Ich habe gestern versucht, ein wenig zu säubern,« sagte der Kastellan, »weil Ihre Hoheit den Wunsch aussprach, hier einzutreten, aber wir sind nicht weit gekommen.«

»Haben Sie das Geräth des Raumes früher einmal durchsucht?« frug der Professor.

»Nein,« erwiederte der Mann, »ich bin erst im vorigen Jahre durch des Fürsten Hoheit hierher versetzt.«

»Besteht ein Verzeichniß der Sachen?«

Der Mann verneinte.

»Wissen Sie, daß Kisten oder Truhen hier stehen?«

»Ich meine dergleichen bemerkt zu haben,« antwortete der Kastellan.

»Holen Sie die Arbeiter, das Geräth hinauszuschaffen,« befahl die Prinzessin. »Heut wird jedes Stück dieses Bodens betrachtet.«

Der Kastellan eilte hinab, der Professor suchte wieder durch die aufgethürmten Massen zu spähen, aber das grelle Licht in der Höhe blendete die Augen. Er sah auf das Fürstenkind; sie stand im hellen Gewande an der Thür wie die Fee des Schlosses, welche in die Wohnung der altbärtigen Hausgeister gestiegen ist, ihre Huldigungen entgegen zu nehmen.

»Es wird eine lange Arbeit und Ew. Hoheit werden sich an dem Umherschleppen der staubigen Möbel nicht erfreuen.«

»Ich bleibe bei Ihnen,« rief die Prinzessin. »Ist der Antheil, den ich an dem Funde haben kann, auch winzig klein, ich will ihm doch nicht entsagen.«

Beide schwiegen, der Gelehrte rückte ungeduldig über den Stühlen. In der Staubwolke flatterten Motten auf, und eine Mauerschwalbe flog aus dem Nest, das sie an der Fensterluke gebaut hatte. Alles war still, nur ein leises Klopfen klang regelmäßig wie der Pendelschlag der Uhr in dem wüsten Raum.

»Das ist die Totenuhr,« flüsterte die Prinzessin.

»Der Holzwurm thut seine Arbeit im Dienst der Natur, er löst, was abgelebt ist, in seine Elemente.«

Es wurde still im Holz. Nach einer Weile tickte der Wurm wieder, darauf ein zweiter, sie hämmerten und nagten emsig: dahin, dahin, hinab! Ueber den Häuptern der Suchenden aber krächzten die Dohlen, und aus der Tiefe zog leise der Gesang einer Nachtigall in das eifrige Schaffen der Totengräber.

Die Arbeiter kamen, sie trugen ein Stück des Geräthes nach dem andern auf Vorraum und Treppe. Dichter wirbelte der mißfarbige Staub, die Prinzessin flüchtete sich in den Vorsaal, der Professor aber verließ nicht seinen Posten. Er griff selbst zu, hob und rückte in der vordersten Reihe. Er trat einen Augenblick an die Thür, Athem zu holen, lachend empfing ihn die Prinzessin. »Sie sind verwandelt, als hätten auch Sie in der Kammer dieser Auferstehung geharrt. Und mir geht es, wie ich merke, nicht besser.«

»Ich sehe eine Truhe,« meldete der Professor und eilte zurück. Noch ein wirrer Knäuel von Stuhlbeinen und Lehnen wurde abgehoben, dann faßten die Arbeiter einen kleinen Kasten, welcher im Dunkeln stand. »Setzt hin,« rief der Kastellan und fuhr schnell mit dem großen Borstbesen darüber. Das Gefäß wurde an das Licht getragen, es war eine Truhe von Kienholz mit gewölbtem Deckel, die Oelfarbe des Anstrichs an vielen Stellen geschwunden, an den Ecken eiserne Beschläge, ein rostiges Schloß, das den Schließhaken festhielt, aber locker im Holze hing. Auf dem Deckel der Kiste war verstäubt und abgerieben eine 2 in schwarzer Farbe sichtbar. Der Professor ließ die Kiste zu den Füßen der Prinzessin niedersetzen. Er wies auf die Ziffer. »Dies ist wahrscheinlich eine der Truhen, die der Beamte von Rossau nach dem Schloß Solitude geschickt hat,« sagte er mit erkünstelter Ruhe, aber seine Stimme bebte. Die Prinzessin kauerte neben ihm nieder und versuchte den Deckel zu heben, das Schloß löste sich aus dem Holz, die Kiste ging auf.

Oben lag ein dickes Buch in Pergament gebunden. Schnell wie der Löwe nach seiner Beute fuhr der Professor darnach, aber legte es sogleich wieder hin. Es war ein altes Meßbuch, auf Pergament geschrieben, die Deckel schadhaft und zerrissen, die Lagen des Pergaments hingen locker am Bande. Er griff wieder in die Kiste, ein zerrissenes Jagdnetz füllte den übrigen Raum, außerdem einige schadhafte Armbrüste, ein Bündel Bolzen, kleines Eisenwerk. Er erhob sich, seine Wange war entfärbt, aber sein Auge glühte. »Das ist die zweite Nummer, wo ist die erste?« rief er. Er sprang in den Raum zurück, die Prinzessin folgte. »Vorwärts, ihr Männer,« befahl er, »holt die andere Truhe.« Die Männer hoben und räumten. »Dort steht noch etwas,« rief einer der Arbeiter; der Professor eilte vor ihm zur Stelle, hob und zog, es war nur ein leerer Kasten.

Die Arbeit ging fort. Auch den Hofmarschall hatte die Neugierde herbeigetrieben, er musterte eifrig die alten Möbel und ließ zusammenstellen, was nach seiner Ansicht noch ausgebessert und im Schlosse aufgestellt werden mochte. Die Treppe füllte sich mit Hausrath, auch ein Zimmer der Dienerinnen wurde geöffnet und mit alten Sachen besetzt. Eine Stunde war verronnen, der Raum wurde leerer, die Sonne stand tief, ihre Strahlen malten das Bild der Mauerluke roth an die entgegenstehende Wand, die andere Kiste fand sich nicht. »Schafft Alles hinaus,« rief der Professor, »das letzte Holz.« Ein Haufen alter Spieße, zerschlagene Gläser und Thonkrüge wurden aus dem Winkel hervorgeholt, abgefallene Tischbeine, gesplitterte Fourniere, in der Ecke noch ein großer Zinnkrug, der Raum war leer. Auf dem Boden lagen zernagte Holzstückchen, an denen der Totenwurm sein Werk bereits gethan.

Der Professor trat wieder in die Thür. »Diese Kammer ist geräumt,« sagte er mit künstlicher Ruhe dem Kastellan. »Oeffnen Sie den Nebenraum.«

»Ich glaube nicht, daß sich darin etwas findet,« versetzte der ermüdete Mann. »Dort liegen wohl nur alte Breter und Oefen, die früher im Schlosse gestanden haben.«

»Hinein!« mahnte der Professor.

Der Kastellan öffnete zögernd die Thür, eine zweite Kammer, noch größer, noch weniger einladend, bot sich dem Blick, rußige Kacheln, Ziegel und Schieferplatten lagen berghoch am Eingange, darüber hölzernes Rüstzeug, das wahrscheinlich bei der letzten Reparatur des Schlosses gebraucht war.

»Mir ist lieb, daß ich dies sehe,« rief der Hofmarschall, »solche Belastung des Oberstocks ist ungehörig. Dies Zeug muß ganz aus dem Thurm geschafft werden.« Der Professor war auf einen Berg von Schieferplatten gestiegen und suchte in der Finsterniß nach der andern Truhe, aber das Chaos war wieder zu groß.

»Ich lasse sogleich aufräumen,« tröstete der Hofmarschall, »aber das mag längere Zeit dauern, wir kommen heut schwerlich zu Ende.«

Der Professor sah bittend auf die Prinzessin. »Nehmen Sie mehr Leute,« rief sie.

»Auch darüber vergeht die letzte Tageszeit,« bemerkte der Hofmarschall verständig. »Wir sehen, wieweit wir kommen. In jedem Fall soll der Herr Professor morgen bei guter Zeit den Zugang gebahnt finden.«

»Unterdeß schütteln wir den ersten Staub von unsren Gewändern,« sagte die Prinzessin, »und treten in meinem Bibliothekzimmer ab; es liegt gerade unter uns, Sie können von dort die Arbeit der räumenden Leute überwachen. Die Truhe schaffen wir zu meinen Büchern. Ich nehme sie mit mir und ich erwarte Sie.« Zwei Männer trugen die gefundene Nummer 2 in die Bibliothek, widerwillig ging der Professor nach seiner Stube, sich umzukleiden.

Die Prinzessin schritt, den Gelehrten erwartend, über den Teppich, auf welchen die alte Truhe gestellt war. Nicht mit freiem Herzen sah sie dieser Zusammenkunft entgegen, sie barg in ihrer Seele einen Wunsch und einen Auftrag. Ihr Abschied vom Fürsten war diesmal freundlicher gewesen als seit Jahren; der Herr hatte sie vor dem Aufbruch in ein Seitenzimmer geführt und zu ihr über Werner gesprochen. »Du weißt, daß man dem ehrlichen Bergau nicht allzuviel überlassen darf, mir wäre lieb, wenn auch du etwas dazu thätest, den Gelehrten in unserer Nähe zu halten. Ich habe mich in dieser kurzen Zeit an ihn gewöhnt und würde die anregenden Stunden ungern missen. Aber ich denke nicht an mich allein. Ich werde älter, deinem Bruder wäre gerade ein solcher Mann für sein ganzes Leben von höchstem Werth, ein Mann in voller Kraft, der gegenüber unsrem zerstreuenden Treiben immer gesammelt und sicher in seinen Interessen steht. Das Verständniß dafür wünsche ich euch beiden erhalten und gesteigert, auch dir, Sidonie. Ich habe mit besonderer Genugthuung gesehen, wie warm die Empfindung ist, mit welcher du die Studien unserer gelehrten Männer begleitest. Deine Seele wird durch das Zwitschern der artigen Vögel, welche uns umgeben, nicht hinreichend unterhalten, gerade dir mag einige Nachhilfe von kundiger Seite eine edlere Auffassung der Welt öffnen. Suche diesen Mann zu gewinnen, jede Art von lästiger Verpflichtung soll ihm erspart bleiben; was jetzt etwa seine Stellung unsicher macht, hebt sich von selbst, sobald er bei uns eingebürgert ist. Ich fordere nicht, daß du mit ihm sprichst, ich wünsche es nur; und ich möchte dir den Glauben beibringen, daß ich dabei auch an deine Zukunft denke.«

Ohne Zweifel war das der Fall.

Die Prinzessin hatte die Worte des Vaters mit der stillen Kritik gehört, welche diese beiden Blutsverwandten gegenseitig auszuüben gewöhnt waren. Aber der Ton, den die feine Zunge des Fürsten in ihre Seele sandte, klang diesmal so voll in ihr wieder, daß sie ihre Bereitwilligkeit aussprach, mit Herrn Werner zu reden.

»Wenn du etwas dergleichen unternimmst,« hatte der Fürst zuletzt gesagt, »so thue es nicht halb. Benütze den milden Einfluß, den du etwa auf ihn ausüben kannst; laß zu festem Wort und Versprechen werden, was der Gelehrte uns zu bewilligen geneigt ist.«

Jetzt dachte die Prinzessin unruhig dieser Worte. Ach, sie hätte dem werthen Mann gern denselben Wunsch aus eigenem Herzen an das seine gelegt und sie empfand ein Mißbehagen darüber, daß ihr geheimer Gedanke auch Wille eines Andern war.

Der Professor trat in die Bibliothek der Prinzessin, er sah flüchtig auf die Gipsabgüsse und Bücher, welche frisch ausgepackt und ungeordnet umherstanden. »Schwer trägt sich die Erwartung,« sagte er, »wenn sie so heftig aufgeregt ist. Man könnte lachen über den höhnischen Zufall, der uns einen Bruder entgegengetragen, an welchem nichts liegt, und den andern vorenthält, der unermeßlich wichtig wäre.«

Die Prinzessin wies mit der Hand nach der Thür, draußen auf der Treppe klang der Tritt tragender Leute. »Nur noch kleine Geduld, ist’s nicht mehr heut, dann morgen in der Frühe.«

»Morgen,« rief der Professor, »dazwischen liegt eine Nacht. Unterdeß pocht unablässig der Wurm, arbeiten die Kräfte der Zerstörung. Zahllos sind die Möglichkeiten, welche uns von einer Hoffnung scheiden, sicher ist nur der Erwerb, den wir in der Hand halten.« Er betrachtete die Truhe. »Sie ist weit kleiner, als ich wähnte, wie zufällig lag das Meßbuch darin, noch ist nicht einmal ganz sicher, woher sie stammt, und noch ist sehr zweifelhaft, was in der andern Kiste verborgen liegt.«

Die Prinzessin öffnete den Deckel. »Unterdeß halten wir uns an das Wenige, das wir gefunden.« Sie hob den Pergamentband heraus und legte ihn in die Hand des Gelehrten. Einzelne Blätter glitten abwärts, der Professor griff darnach, sein Auge zog sich zusammen, er sprang an das Fenster. »Zwei Blätter, welche nicht hineingehören.« Er las. »Ein Stück der Handschrift ist gefunden,« rief er. Er hielt der Prinzessin die Blätter hin, seine Hand zitterte und die Erschütterung arbeitete so heftig in seinem Antlitz, daß er sich abwandte. Er eilte an den Tisch und suchte in dem Meßbuch, Seite für Seite schlug er heftig um vom Anfang bis zum Ende. Die Prinzessin hielt die Blätter erwartungsvoll in der Hand, sie trat zu ihm; als er das Haupt erhob, sah er zwei große Augen in zärtlichem Mitgefühl auf sich geheftet. Wieder ergriff er die beiden Blätter. »Was ich hier halte,« rief er, »ist zugleich werthvoll und trostlos, man möchte weinen, daß es nicht mehr ist, es ist ein Bruchstück aus dem sechsten Buch der Annalen des Tacitus, das wir bereits einmal in anderer Handschrift besitzen. Dies waren zwei Blätter einer Pergamentlage, zwischen denen mehre verloren sind. Die Schrift ist wohlerhalten, besser als ich gedacht hatte, sie ist den Zügen nach im zwölften Jahrhundert von einem Deutschen geschrieben.« Er suchte im Licht der Abendsonne schnell nach dem Inhalt. Die Prinzessin blickte über seine Schulter neugierig auf die dicken Buchstaben der Mönchshand. »Es ist richtig,« fuhr er ruhiger fort, »der Fund ist von hohem Interesse. Es wird lehrreich sein, diese Handschrift mit der einzigen vorhandenen zu vergleichen.« Er sah wieder nach. »Ob es eine Abschrift ist,« murmelte er, »vielleicht weisen beide auf gemeinsame Quelle. Also auch die Handschrift, welche wir suchen, muß zerrissen sein, diese Blätter sind herausgefallen und vielleicht während des Einpackens in ein falsches Buch geschoben. Noch ist Manches räthselhaft, aber die Thatsache scheint fest zu stehen, wir halten hier einen Ueberrest der Handschrift von Rossau, und dieser Fund darf eine Bürgschaft sein, daß auch das Uebrige nahe. Wieviel?« fuhr er finster aus, »und in welchem Zustande?« Wieder hörte er unruhig auf den Tritt der Männer, welche die Kammer räumten. Er stürmte aus dem Zimmer die Treppe hinan, aber er kehrte nach wenigen Augenblicken zurück. »Das geht langsam,« sagte er, »noch ist nichts zu sehen.«

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
06 detsember 2019
Objętość:
1020 lk 1 illustratsioon
Õiguste omanik:
Public Domain