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Loe raamatut: «Die verlorene Handschrift», lehekülg 52

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Dem Magister fiel sein Hut zur Erde.

»Sie haben den Pergamentstreif des Struvelius geschrieben, jener Händler hat gegen Sie ausgesagt, Ihre Schreibübungen sind mit Beschlag belegt und in Ihrer Vaterstadt unter den Händen der Polizei.«

Immer noch schwieg der Magister, er fuhr nach seinem Taschentuch und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.

»Jetzt wenigstens sprechen Sie,« rief Werner. »Geben Sie mir eine Erklärung des furchtbaren Räthsels, wie Jemand, der zu uns gehört, sich muthwillig Alles zerstören kann, was seinem Leben Halt und Adel gibt. Wie vermag ein Mann von Ihren Kenntnissen in so roher Weise gegen seine Wissenschaft untreu zu werden?«

»Ich war arm und mein Leben voll Plage,« versetzte Knips leise.

»Ja, Sie waren arm, seit Ihrer frühen Jugend haben Sie vom Morgen bis zum Abend gearbeitet, schon als Kind haben Sie auf Vieles verzichtet, was Andere gedankenlos genießen. Sie haben dafür das stille Bewußtsein erworben, daß Sie sich heraufrangen zu innerer Freiheit und zu demüthiger Freundschaft mit dem großen Geist unseres Lebens. Ja, Sie wuchsen zum Mann unter zahllosen Opfern und Entsagungen, welche Andere fürchten. Sie haben dafür gelernt und gelehrt, was der höchste Besitz des Menschen ist. Vor jeder Correctur, die Sie hilfreich für Andere lasen, vor jedem Wörterverzeichnis, das Sie zu einem Klassiker auszogen, haben Sie bei den Worten, die Sie verbesserten, bei den Zahlen, die Sie schrieben, das Bedürfniß gehabt, wahr zu sein. Gerade Ihre Tagesarbeit war ein unablässiger, emsiger Kampf gegen das Falsche und Unrichtige. Doch mehr als das und schlimmer als das, Sie sind kein gedankenloser Lohnarbeiter gewesen, Sie haben ganz und voll zu uns gehört, Sie waren in der That ein Gelehrter, bei dessen Wissen sich oft Anspruchsvollere Rath erholten, Sie bargen nicht nur eine Masse einzelner Kenntnisse in Ihrem Geist, Sie verstanden auch sehr wohl, welche Gedanken aus solchem Wissen aufsteigen. Das alles waren Sie, und doch ein Fälscher. Ganz treue Hingabe und Selbstverleugnung und dicht daneben frevelhafte Willkür; ein zuverlässiger und emsiger Gehilfe und dazwischen ein Betrüger, dreist und höhnend wie ein Teufel.«

»Ich war ein gequälter Mann,« begann Knips, »wer anders gelebt hat, weiß nicht, wie schwer es ist, immer in seiner Wissenschaft zu dienen und fremden Füßen nachzutreten. Sie haben nie für Andere, die weniger wissen als Sie, gearbeitet. Sie verstehen nicht, welches Gefühl es gibt, wenn die Anderen hochfahrend benutzen ohne Anerkennung und ohne Dank, was man ihnen von seinem Wissen gegeben hat. Ich bin nicht unempfindlich gegen Freundlichkeit. Der Herr Professor war der erste, welcher bei dem ersten Autor, den Derselbe herausgab, in den letzten Zeilen der Einleitung meinen Namen genannt hat, weil ich Denenselben bei der Arbeit gedient. Und doch habe ich weniger für Sie gethan als für jeden andern meiner alten Gönner. Das Exemplar, welches Sie mir damals geschenkt, habe ich unter meine Bücher auf den Ehrenplatz gestellt. Sooft ich müde wurde von der Nachtarbeit, habe ich diese Zeilen gelesen. Dergleichen Freundlichkeit habe ich selten erfahren. Aber ich habe die Qual gefühlt, mehr zu wissen als ich bedeute, und mir hat die Gelegenheit gefehlt, mich herauszuarbeiten aus meiner Enge. Da ist’s gekommen.« Er stockte und brach ab.

»Es war Stolz,« sagte der Professor schmerzlich, »es war Neid, der aus einem bedrängten Leben heraufquoll gegen Glücklichere, die vielleicht nicht mehr wußten, es war das Gelüst nach Ueberlegenheit über Andere.«

»Das war’s,« fuhr Knips klagend fort. »Zuerst kam der Einfall, auch über Solche zu lachen, die mich benutzen und verachten, ich dachte, wenn ich will, kann ich euch in meiner Hand haben, ihr Herren Gelehrten. Dann wurde es ein Vorsatz, und es hielt mich fest. Ich habe manche Nacht gesessen und darüber gearbeitet, ehe ich soweit kam, und manchmal habe ich’s wieder weggeworfen, Herr Professor, und unter meinen Büchern versteckt. Aber es lockte mich fortzufahren, es wurde mir ein Stolz, die Kunst zu gewinnen. Als ich sie endlich hatte, machte mir’s Spaß, sie zu gebrauchen. Es war mir weniger um den Gewinn als um die Ueberlegenheit.«

»Es ist leicht,« versetzte der Professor, »Männer von unserer Art da zu täuschen, wo sie gewöhnt sind, sicher zu vertrauen. Wo der Scharfsinn versagt, den wir bei unserer Arbeit gewinnen, da sind Viele von uns wie die Kinder, und wer kälter ist und sie hintergehen will, der mag leicht eine Weile mit ihnen spielen. Es war ein schwacher Ruhm, die Kunst eines Satans gegen Arglose zu üben.«

»Ich wußte, daß es ein Teufel war, mit dem ich umging. Ich wußte es vom ersten Tage, Herr Professor, aber ich konnte mich nicht gegen ihn wehren. So war es,« schloß Knips und setzte sich erschöpft auf die Truhe.

»So war es, Herr Magister,« rief Werner sich aufrichtend, »aber so darf es ferner nicht bleiben. Sie waren einer von uns, Sie dürfen es nicht mehr sein. Sie haben ein Verbrechen begangen an dem höchsten Gut, welches dem Geschlecht der Menschen vergönnt ist, an der Ehrlichkeit seiner Wissenschaft. Sie selbst wissen, daß ein Todfeind unserer Seelen wird, wer diese Ehrlichkeit gefährdet. In unserm Reiche, wo der beschränkten Kraft des Einzelnen täglich der Irrthum droht, ist der Wille, wahr zu sein, eine Voraussetzung, die Keiner entbehren darf, ohne Andere in sein Verderben zu ziehen.«

»Ich war nur der Handlanger,« seufzte Knips, »und wenig hat man sich um mich gekümmert. Hätten mich Andere als einen Gelehrten geachtet, es wäre nicht geschehen.«

»Sie selbst haben sich dafür gehalten,« rief der Professor, »und Sie hatten ein Recht dazu, Sie fühlten den Stolz Ihrer Wissenschaft und Sie kannten wohl Ihren hohen Beruf. Sie wußten sehr gut, daß auch Sie, der demüthige Magister, Theil hatten an dem Priesteramt und an dem Fürstenamt in unserm Reich. Kein Purpur ist edler und keine Herrschaft ist machtvoller als die unsere, wir führen die Seelen unseres Volkes aus einem Jahrhundert in das andere, unser ist die Pflicht, über seinem Lernen zu wachen und über seinen Gedanken. Wir sind seine Vorkämpfer gegen die Lüge und gegen die Gespenster aus vergangener Zeit, welche noch unter uns wandeln, mit dem Schein des Lebens bekleidet. Was wir zum Leben weihen, das lebt, und was wir verdammen, das vergeht. Von uns werden jetzt die alten Tugenden der Apostel gefordert, gering zu achten, was vergänglich ist, und die Wahrheit zu verkünden. Sie waren in diesem Sinn geweiht wie Jeder von uns, Ihr Leben verpflichtet Ihrem Gott. Auf Ihnen lag, wie auf uns allen, Verantwortung für die Seelen unserer Nation. Sie haben sich dieses Amtes unwerth gemacht, und ich traure, ich traure, armer Mann, daß ich Sie davon scheiden muß.«

Der Magister fuhr in die Höhe und sah flehend zu dem Gelehrten auf.

Der Professor redete nachdrücklich: »Mein ist die Pflicht, dies auszusprechen gegen Sie und gegen Andere. Was Sie damals an meinem Amtsgenossen gethan, was Sie noch von ähnlichen Versuchen bereitet haben, das darf kein Geheimniß bleiben. Die Ehrlichen müssen gewarnt werden vor der Kunst, welche zu üben ein Dämon Sie getrieben hat. Aber in der letzten Stunde, wo Sie vor mir stehen, fühle auch ich, daß ich zu wenig gethan, Ihnen Hilfe gegen die Versuchung zu geben. Ohne bösen Willen habe vielleicht auch ich zuweilen mißachtet, was werthvoll in Ihnen war für Andere, auch ich habe wohl vergessen, wie schwer die Arbeit des Tages auf Ihnen lag. Hat meine Härte Sie je gedrückt und verbittert, so büße ich heut dafür. Denn als ich kurzsichtiger, irrender Mensch beförderte, was Sie herausheben sollte aus äußerer Bedrängniß, da lud ich eine Mitschuld auf mich, daß Sie hier der Versuchung auf’s Neue verfielen. Das ängstigt mich schwer, Herr Magister und ich fühle wie Sie die Qualen dieser Stunde.«

Magister Knips saß erschöpft und zusammengekauert auf der Truhe, der Gelehrte stand über ihm, und seine Worte sanken wie Schläge auf des Magisters Haupt. »Ich darf nicht verschweigen, Herr Magister, daß Sie ein Fälscher sind, Sie dürfen nie wieder in unserm Kreise sich lebendig rühren, Ihre Laufbahn als Gelehrter ist durch Ihr Verbrechen geschlossen, Sie sind unserer Wissenschaft verloren, verloren für Alle, welche an Ihren Arbeiten einen Antheil nahmen. Sie sind geschwunden für uns, auf der Stätte, wo Sie unter uns gestanden haben, ist nichts geblieben als ein schwarzer Schatten. Eine Menschenkraft, mühsam heraufgezogen, ein Geist von ungewöhnlichem Scharfsinn und Inhalt ist uns verloren und tot. Und wie über einen Toten traure ich über Sie.«

Der Gelehrte weinte, Knips drückte sein Gesicht in die Hände. Werner eilte zum Schreibtisch. »Brauchen Sie Mittel, Ihr zerstörtes Leben in anderer Umgebung zu erhalten, hier sind sie. Nehmen Sie, was Sie bedürfen.« Er warf Geld auf den Tisch. »Versuchen Sie, Ihr Haupt zu bergen, wo Ihnen Niemand aus unserer Gemeinde begegnet. Möge Ihnen jedes Gut zu Theil werden, das auf der Erde noch für Sie übrig ist. Aber fliehen Sie, Herr Magister, meiden Sie die Stellen, wo man mit Trauer Ihrer denkt und mit dem Widerwillen, den der ehrliche Arbeiter gegen den untreuen empfindet«.

Knips erhob sich, sein Gesicht war noch bleicher als gewöhnlich, er blickte verstört umher. »Ich brauche kein Geld,« sagte er tonlos, »ich habe genug zu meiner Reise. Ich bitte den Herrn Professor, für meine Mutter zu sorgen.«

Der Gelehrte stand abgewandt, und der kräftige Mann schluchzte. Magister Knips ging an die Thür, dort blieb er stehen. »Ich habe den Homer von 1488, sagen Sie meiner Mutter, daß Sie Ihnen das Buch gibt. Wenn Ihnen auch der Gedanke an mich traurig ist, behalten Sie doch das Buch. Es war mir ein Schatz.«

Der Magister schloß die Thür und ging langsam aus dem Hause. Der Wind fegte durch die Straßen, er stieß an den Rücken des Magisters und beschleunigte seinen Schritt. »Er treibt,« murmelte Knips wieder, »er treibt vorwärts.« Auf dem freien Platz blieb er im Winde stehen und sah nach den Wolken, welche in eiligem Fluge unter dem Monde dahinfuhren, unförmliche Gebilde aus grauem Dunst schwebten und glitten über seinem Haupte. Er dachte an die letzte Correctur, welche er in seiner Vaterstadt gelesen, und sprach griechische Worte vor sich hin, es waren Verse aus den Eumeniden des Aeschylus: »Packt an, packt an, packt an, ihr Götterhunde.« Er ging hinauf zu dem Schlosse und blieb vor den erleuchteten Fenstern stehen, die vier Rappen, welche den Fürsten vom Thurmschloß nach der Stadt zurückführten, flogen an ihm vorüber, er ballte die hagere Hand gegen den Wagen. Dann lief er um das Schloß herum auf die Parkseite. Dort drückte er sich unter den Fenstern des Fürsten an einen Baum, sah zum Schlosse hinauf, hob wieder die Faust gegen den Schloßherrn und seufzte. Er blickte auf den dunklen Ast, der über ihm ragte, starrte auf den Himmel und die grauen flatternden Schatten, welcher unter dem Mond dahinzogen, und verzweifelte Gedanken fuhren ihm durch den Sinn. »Wenn der Mond verschwindet, so soll es auch mir ein Zeichen sein.«

Er sah lange auf den Mond. Dabei zog ihm leise unter wilden Gedanken ein lateinischer Satz durch sein gequältes Hirn: »Der Mond und die Erde verhalten sich wie kleine Punkte zum Weltall, das sagt schon Ammianus Marcellinus. Ich habe die Handschriften dieses Römers verglichen, ich habe Conjecturen gemacht zu jeder Seite seines verdorbenen Textes, ich habe Jahre lang über ihm gesessen. Wenn ich hier thue, um diesen unwissenden Fürsten zu ärgern, was dem Haman gethan wurde, so geht der Apparat zu meinem Römer verloren.« Er tauchte unter dem Baume hervor und lief in seine Wohnung. Dort raffte er seine Habe zusammen, steckte sein Handexemplar des Ammianus in die Rocktasche und eilte mit seinem Bündel dem Thor zu.

Man sagt, er sei in dasselbe Land, das vor ihm sein Bruder gesucht, tief hinein gen Westen gezogen.

Er entwich und barg sein Haupt, ein untreuer Diener und ein Opfer der Wissenschaft. Sein Lebelang hatte er über geschriebenem Wort gesessen, jetzt riß ihn aus der Heimat das lebendige Wort, welches von einer andern Seele in die seine drang. Bei Tag und Nacht hatten ihn die Buchstaben der Bücher umgeben und gelehrte Schrift, die aus dem Rohr auf das weiße Blatt geflossen war, aber ihm hatte zu rechter Zeit der Segen des Wortes gefehlt, welches aus dem Munde in das Ohr, vom Herzen zum Herzen klingt. Denn was wir als das Gemeinste gebrauchen, ist uns auch das Höchste. Geheimnißvoll ist uns noch heut, wie unsern Vorfahren, seine Gewalt. Das Geschlecht unserer Schriftzeit, geübt die Laute in ihrem Bilde zu schauen, gewöhnt, die Kräfte der Natur durch Maß und Wage zu schätzen, denkt selten daran, wie mächtig klangvolles Wort der Menschenbrust in uns waltet. Es ist Herrin und Dienerin, es erhebt und zerstört, es macht krank und schafft Heilung. Glücklich der Lebende, dem es voll und rein in das Ohr tönt, der den weichen Laut der Liebe, den herzhaften Ruf des Freundes unablässig empfängt. Wer den Segen der Rede entbehrt, die aus warmem Herzen quillt, der wandelt schon als Lebender unter den Andern wie ein Geist, der vom Leibe gelöst ist, wie ein Buch, das man aufschlägt, benützt, von sich abthut nach Gefallen. Der Magister hat durch geschriebenes Wort gesündigt, ihn hat der Schmerzensruf einer Menschenstimme in die dämmrige Ferne gescheucht.

2.
Vor der Entscheidung

Die Rinder brüllten und die Glöckchen der Schafherde läuteten, in den schossenden Halmen der grünen Saat wogte der Wind. Durch Haus und Garten schritt wieder das älteste Kind des Gutes, umgeben von den Geschwistern. Wo ist der frohe Glanz deiner Augen geblieben und dein herzliches Kinderlachen, Frau Ilse? Ernst ist das Antlitz und gemessen die Geberde, prüfend mißt dein Blick die Menschen und die Wege, auf denen du gehst, und ruhiger Befehl tönt aus deinem Munde. Die Heimat hat dir das Herz nicht leicht gemacht, und nicht wiedergegeben, was du in der Fremde verloren.

Aber eifrig übt sie ihr Recht, Liebe zu fordern und zu erweisen, vertraute Bilder sendet sie in deine Seele, und alte Erinnerungen weckt sie bei jedem Schritt. Die Menschen, die dich in ihrem Herzen treu gehegt, Thiere, die du gezogen, Bäume, die du gepflanzt, sie neigen sich grüßend vor dir und arbeiten geschäftig, mit heiteren Farben zu überdecken, was dir finster im Innern liegt.

Der erste Abend war schwer. Als Ilse in das Haus trat, geleitet von den Nachbarn, eine Flüchtige, die zu verbergen sucht, was sie quält, da warfen bei dem Schreck des Vaters, unter den neugierigen Fragen der Geschwister noch einmal Zorn und Angst schwarze Schatten über ihr Haupt. Aber an der Brust des Vaters, unter dem Dach des festen Hauses, drang mit dem Gefühl der Sicherheit wieder die alte Kraft des Bodens in die Glieder der Landfrau, und sie vermochte den Augen ihrer Lieben zu verbergen, was nicht allein ihr Geheimniß war.

Noch eine schwere Stunde kam. Ilse saß am späten Abend wie vor Jahren auf ihrem Stuhl, gegenüber dem Vater. Nach ihrem Bericht sah der starke Mann ängstlich vor sich hin, sprach ein hartes Wort über ihren Gatten und Fluch gegen einen Andern. Als er ihr sagte, daß auch im Vaterhaus noch Gefahr drohe, als er ihr Vorsicht befahl für Schritt und Tritt, und als er erzählte, wie in ihrer Kindheit ein dunkles Gerücht gegangen, daß schon einmal ein Mädchen vom Steine, ein Kind des früheren Besitzers, das Opfer vornehmer Herren geworden sei, da rang sie noch einmal die Hände zum Himmel. Aber der Vater hatte ihre Hände gefaßt und sie zu sich in die Höhe gezogen. »Unrecht begehen wir, daß wir über unsicherer Zukunft vergessen, wie gnadenvoll die Vorsehung dich behütet hat. Ich halte dich an der Hand, du stehst auf dem Grunde deiner Heimat. Wir thun, was der Tag fordert, und stellen alles Andere größerer Macht an Heim. Um die Reden Fremder sorgen wir nicht, schnell wechselt das Wetter. Halte still und vertraue.«

Die jüngeren Kinder plaudern sorglos, sie fragen nach dem schönen Leben in der Residenz, sie wollen genau wissen, was die Schwester geschaut, und vor Allem, wie der Herr des Landes gegen Ilse war, er, den sie sich denken wie den heiligen Christ, als den unermüdlichen Spender von Freude und beglückender Gunst. Aber die älteren wehren dieser Rede, ohne selbst zu wissen warum, mit dem zarten Gefühl, das Kinder für die Lage Solcher haben, die sie lieben. Ilse begleitet die Schwester Clara durch den Oberstock, sie richtet Zimmer ein für die Gäste, welche erwartet werden, und stellt einen Riesenstrauß ihrer Gartenblumen in die Stube, welche Herr Hummel bewohnen soll. Die Brüder ziehen sie durch den Obstgarten in das enge Thal, sie zeigen ihr den hohen Steg über das Wasser, welchen der Vater weiter oben zu der Grotte gelegt hat und der eine Freude für Ilse sein soll, weil er den Zugang zu ihrem Lieblingsplatz bequem macht. Ilse geht längs dem hochgeschwollenen Bach, das Wasser zieht gelb und trübe über die Felsblöcke, es hat den schmalen Wiesenstreif an den Ufern überschwemmt und fließt in starker Strömung thalwärts auf die Stadt zu. Ilse sucht den Platz, wo sie einst unter Laub und wilden Wegpflanzen verborgen lag, als sie in den Augen ihres Felix das Bekenntniß seiner Liebe gelesen. Auch die heimliche Stelle ist überfluthet, undurchsichtig rinnt der Strom darüber hin, die Blüthendolden sind geknickt und übergossen, die Erlenbüsche bis an die oberen Zweige bedeckt, Rohrhalme und mißfarbiger Schaum hängen um die Blätter; nur der weiße Stamm einer Birke ragt aus der Zerstörung hervor, und um die tiefsten Aeste wirbelt die Fluth. »Der Schwall verläuft,« klagt Ilse; »in wenig Tagen taucht der Boden wieder an das Licht, und wo das Grün verdorben ist, treibt der milde Sonnenstrahl ein neues hervor. Wie aber soll es mit mir werden? Mir fehlt das Licht, solange er nicht bei mir ist, und wenn ich ihn wiedersehe, wie wird er gewandelt sein? Wie wird er, der ernste und eifrige, ertragen, was feindlich in mein Leben gedrungen ist und in das seine?«

Der Vater bewacht sorglich ihre Schritte, er spricht öfter im Hause ein als sonst; sooft er vom Felde zurückkehrt, erzählt er ihr von der Arbeit des Gutes, er denkt immer daran, daß seine Rede nicht an einen Gedanken rühre, der ihr Schmerzen macht, und die Tochter fühlt, wie zart und liebevoll die Aufmerksamkeit des Vielbeschäftigten um sie waltet. Jetzt winkt er ihr schon von weitem zu, neben ihm schreitet eine untersetzte Gestalt mit großem Kopf und wohlhäbigem Aussehen. »Herr Hummel!« ruft Ilse freudig und eilt mit beflügeltem Fuß auf ihn zu. »Wann kommt er?« fragt sie ihm erwartungsvoll entgegen.

»Sobald er frei ist,« versetzt Hummel.

»Wer hält ihn noch dort?« sagt die Frau traurig vor sich hin.

Herr Hummel erzählt. Bei seinem Bericht glätten sich die Falten auf Ilse’s Stirn, und sie führt den lieben Gast in die alten Mauern. Herr Hummel steht erstaunt unter dem hohen Geschlecht, das auf dem Steine wächst, er sieht bewundernd auf die Mädchen und achtungsvoll auf die Köpfe der Knaben. Heut vergißt Ilse nicht, was einer guten Hausfrau gegen den willkommenen Gast ziemt. Herr Hummel aber wird fröhlich unter dem Landvolk, er freut sich über den Blumenstrauß in seiner Stube, er zwingt den drallen Buben Franz, sich auf seine Kniee zu setzen, und läßt ihn aus seinem Glase trinken bis zum Uebermaß. Dann geht er mit dem Landwirth und Ilse durch die Wirthschaft, klug ist sein Urtheil, der Wirth und er, jeder erkennt in dem Andern bedächtigen Verstand. Zuletzt fragt ihn Ilse herzlich, wie ihm ihre Heimat gefalle. »Alles großartig,« erklärt Hummel, »Wuchs, Kopf, Strauß, Viehstand und Häuslichkeit. Es steht zu dem Geschäft von H. Hummel wie ein Kürbis zu einer Gurke. Alles tüchtig und voll, nur für meinen Geschmack zu viel Stroh.«

Der Landwirth ruft Ilse beiseit: »Der Prinz will wieder abreisen, er hat den Wunsch geäußert, dich vorher zu sprechen. Willst du ihn sehen?«

»Heut nicht. Dieser Tag gehört euch und dem Gast. Aber morgen,« sagt Ilse.

Am Morgen des nächsten Tages trat Professor Raschke, zur Reise bereit, in das Zimmer des Freundes. »Der Magister soll verschwunden sein?« frug er ängstlich.

»Er hat gethan, was er mußte,« versetzte Werner finster, »wie er auch lebe, wir haben ihn gestern bestattet.«

Raschke sah unruhig in das gefurchte Antlitz des Andern. »Gern sähe ich Sie auf dem Wege zu Frau Ilse, am liebsten mit ihr vereint auf dem Rückwege zu uns.«

»Kein Zweifel, Freund, ich werde beide Wege suchen, sobald ich Recht dazu habe.«

»Frau Ilse zählt die Stunden,« mahnte Raschke in größerer Sorge, »erst wenn sie den Geliebten bei sich festhält, wird sie ruhig sein.«

»Mein Weib hat die Ruhe lange entbehrt, während sie an meiner Seite war,« sprach der Gelehrte. »Ich habe nicht verstanden, sie zu schützen, ich habe sie den Krallen wilder Thiere überlassen, bei Fremden hat sie den Trost gefunden, den ihr der eigene Mann verweigerte. Die Nichtachtung des Gatten hat sie da geschädigt, wo die Frau am schwersten verzeiht. Ich bin zu einem schwachen Träumer geworden,« rief er, »unwerth der Hingabe dieses reinen Lebens, und ich fühle, was ein Mann nie fühlen sollte, ich fühle Scham, mein gutes Weib wiederzusehen.« Er wandte sein Angesicht ab.

»Zu hoch gespannt ist dies Empfinden,« entgegnete Raschke, »zu hart der Vorwurf, den Sie jetzt zürnend gegen sich selbst erheben. Sie wurden durch listige Winkelzüge Weltkluger getäuscht. Sie selbst haben ausgesprochen, daß es ruhmlos leicht ist, uns da zu hintergehen, wo wir nicht viel klüger sind als die Kinder. Werner, noch einmal bitte ich, reisen Sie mit mir zugleich ab, wenn auch auf anderem Wege.«

»Nein,« versetzte kurz der Gelehrte. »Ich habe mein Lebelang die Beziehungen zu anderen Menschen reinlich behandelt. Halbheit in Neigung und Abneigung ist mir unerträglich. Fühle ich Neigung, so soll mein Händedruck und das Vertrauen, das ich gebe, den Andern keinen Augenblick in Zweifel lassen, wie mir um’s Herz ist. Muß ich ein Verhältniß lösen, auch da habe ich die Rechnung stets ganz und voll geschlossen. Jetzt kann ich nicht aufbrechen wie ein Flüchtling.«

»Wer fordert das?« frug Raschke, »nur wie ein Mann, der die Augen abwendet von häßlichem Gewürm, das vor ihm auf dem Boden kriecht.«

»Hat das Gewürm den Mann geschädigt, so ist ihm Pflicht zu verhüten, daß das Schädliche auch Andern gefährlich wird, und kann er Andere nicht behüten, er wird sich selbst genug thun, wenn er seinen Weg säubert.«

»Wenn ihm aber der Versuch neue Gefahr bringt?«

»Er wird doch thun, was er vermag, sich selbst zu genügen,« rief Werner. »Das Recht, welches ich erhalten habe gegen Einen, ich lasse mir’s nicht rauben. Die Kränkung meines Weibes mahnt, es mahnt das verlorene Leben eines Gelehrten, um welches wir beide trauern. Sagen Sie mir nichts mehr. Freund, mein Selbstgefühl hat in diesen Tagen große Schädigung erfahren, und mit Recht. Ich fühle meine Schwäche mit einer Bitterkeit, die gerechte Strafe ist für den Stolz, mit dem ich auf das Leben Anderer gesehen. Ich habe an Struvelius geschrieben, ich habe ihn um Verzeihung gebeten, daß ich die kleine Unsicherheit, die einst ihn störte, so hochmüthig empfand. Hier ist der Brief an den Collegen; ich bitte Sie, die Zeilen abzugeben und ihm zu sagen, wenn wir uns wiedersehen, dann soll kein Wort über das Vergangene von unsern Lippen fallen, nur er soll wissen, wie schwer ich dafür gebüßt habe, daß ich gegen ihn hart war. Aber wie sehr ich die Geduld und Nachsicht Anderer bedarf, ich würde das Letzte verlieren, was mir den Muth gibt, die Augen aufzuschlagen, wenn ich von hier gehen wollte, bevor ich mit dem Schloßherrn dort oben abgerechnet habe. Ich bin kein Weltmann, der gelernt hat, seinen Zorn hinter einem höflichen Gruß zu verbergen.«

»Wer solche Abrechnung sucht,« warnte Raschke, »muß auch die Mittel haben, den Gegner dabei festzuhalten, sonst mag eine neue Demüthigung werden, was Genugthuung sein soll.«

»Diese Genugthuung gesucht zu haben bis zum Aeußersten,« versetzte Werner, »auch das ist Befriedigung.«

»Werner,« rief der College, »ich will nicht hoffen, daß Ihr erregter Zorn Sie hinabzieht in die gedankenlose Rachsucht der Schwachen, welche ein rohes Spiel mit dem eigenen Leben und dem des Andern Genugthuung nennen.«

»Er ist ein Fürst,« sagte der Professor mit finsterm Lächeln, »ich trage keine Sporen, und der letzte Versuch, den ich mit meiner Kugelform anstellte, war Nüsse darin zu quetschen. Wie mögen Sie mich so verkennen? Aber es gibt Forderungen, welche deutlich ausgesprochen sein wollen, damit sie zur That werden. Noch wohnt in dem Wort eine heilende Kraft, wenn nicht für den, der die Rede hört, doch für den, der sie spricht. Ihm sagen muß ich, was ich von ihm heische. Er mag zusehen, wie er das Wort hinunterwürgt in sein freudloses Herz.«

»Er wird weigern, Sie zu hören,« warf Raschke ein.

»Ich werde suchen, ihn zu sprechen.«

»Er hat der Mittel viele, Sie zu hindern.«

»Er gebraucht sie auf seine Gefahr, denn er nimmt sich dadurch den Vortheil, den er hätte, mich ohne Zeugen zu hören.«

»Er wird das ganze Rüstzeug gegen Sie in Bewegung setzen, das ihm seine hohe Stellung gibt, er wird seine Gewalt rücksichtslos gebrauchen, Sie zu bändigen.«

»Ich bin kein schreiender Wahrsager, der den Cäsar auf offener Straße anfällt, um vor den Idus des März zu warnen. Daß ich weiß, was ihn demüthigt vor sich selbst und seinen Zeitgenossen, das ist meine Waffe. Und ich versichere Sie, er wird mir Gelegenheit geben, sie zu gebrauchen, wie ich will.«

»Er verreist,« rief Raschke ängstlicher.

»Wohin kann er reisen, wo ich ihm nicht nachkomme?«

»Ihn wird die Besorgniß, welche Sie in ihm erregen, zu finsterer That treiben.«

»Er wage sein Aergstes, ich will thun, was mir Frieden gibt.«

»Werner,« rief Raschke, die Hände erhebend, »ich darf Sie in dieser Lage nicht verlassen, und doch machen Sie dem Freunde fühlbar, wie ohnmächtig sein ehrlicher Rath gegen Ihren starren Willen ist.«

Der Professor ging auf ihn zu und küßte ihn. »Leben Sie wohl, Raschke. So hoch als ein Mann in der Achtung eines Andern stehen kann, stehen Sie in meinem Herzen. Zürnen Sie nicht, wenn ich in diesem Fall mehr dem Drang des eigenen Wesens folge, als der milden Weisheit des Ihren. Grüßen Sie von mir Frau Aurelie und die Kinder.«

Raschke fuhr sich über die Augen, zog seinen Rock an und steckte den Brief an Struvelius in die Rocktasche. Dabei fühlte er einen andern Brief, er zog ihn heraus und las die Aufschrift. »Ein Brief meiner Frau an Sie,« sagte er, »ich weiß nicht, wie er mir in die Tasche kommt.«

Werner öffnete, wieder flog ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. »Frau Aurelie bittet mich für Ihr Wohlbefinden zu sorgen. Der Auftrag kommt zu guter Stunde; ich begleite Sie zur Stelle Ihrer Abfahrt, wir wollen auch Mütze und Mantel nicht vergessen.«

Der Professor führte den Freund zu der Reisegelegenheit, die Männer sprachen in der letzten Stunde über die Vorlesungen, welche beide im nächsten Halbjahr zu halten wünschten. »Denken Sie des Briefes an Struvelius,« war das letzte Wort Werners, als der Freund im Wagen saß.

»Ich denke daran, sooft ich Ihrer gedenke,« rief Raschke, die Hand zum Wagen hinausstreckend.

Der Professor ging nach dem Schloß zur großen Abrechnung mit dem Mann, der ihn in seine Hauptstadt gerufen. Ihn empfing die Dienerschaft mit verlegenen Blicken. »Der Herr ist im Begriff zu verreisen und wird erst in einigen Tagen zurückkehren. Wohin er reist, weiß man nicht,« sagte der Hausmeister bekümmert. Der Professor forderte, ihn doch bei dem Fürsten zu melden, sein Anliegen sei dringend; der Diener brachte die Antwort, der Fürst sei vor der Rückkehr nicht zu sprechen, der Gelehrte möge seine Wünsche einem der Adjutanten mittheilen.

Werner eilte zu dem abgelegenen Hause des Obersthofmeisters. Er wurde in die Bücherstube geführt, sah flüchtig auf den verschossenen Teppich des Bodens, auf die alte Tapete, welche durch Kupferstiche in dunklen Rahmen verdeckt war, auf große Bücherschränke mit Glasthüren, von innen verhängt, als wollte der Eigenthümer selbst was er las fremdem Auge entziehen. Der Obersthofmeister trat eilig herein.

»Ich suche vor der Abreise des Fürsten eine Unterredung mit ihm,« begann der Professor, »ich bitte Excellenz um gütige Vermittlung für die Audienz.«

»Verzeihen Sie die Frage, wozu?« frug der Obersthofmeister. »Wollen Sie mit einem Leidenden noch einmal über seine Krankheit sprechen?«

»Der Kranke versieht ein hohes Amt und hat Gewalt und Recht eines Gesunden; er ist seinen Mitlebenden verantwortlich für sein Thun. Ich halte für Pflicht, nicht von hier zu gehen, ohne ihm auszusprechen, daß er nicht mehr in der Lage ist, die Pflichten seiner Stellung zu üben, und ich halte für ein Gebot meiner Ehre, zu bewirken, daß er aus dieser Stellung scheidet.«

Der Obersthofmeister sah den Gelehrten erstaunt an. »Und darum müssen Sie auf dieser Unterredung bestehen?«

»Die Erfahrungen, welche ich seit meiner Rückkehr vom Lande hier gemacht, zwingen mich dazu; ich muß vor Anderm die Unterredung suchen durch jedes Mittel, welches mir erlaubt ist, was auch die Folge sei.«

»Auch die Folge für Sie selbst?«

»Auch diese. Der Fürst kann mir nach Allem, was geschehen, ein persönliches Zusammentreffen nicht versagen.«

»Was er nicht sollte, wird er doch versuchen.«

»Er thut es auf seine Gefahr,« versetzte der Professor.

Der Obersthofmeister stellte sich vor den Professor und begann nachdrücklich: »Der Fürst will noch heut nach Rossau abreisen. Der Plan ist Geheimniß, ich erfuhr zufällig die Befehle, welche für den Marstall ertheilt wurden.« Der Gelehrte fuhr zurück. »Ich danke Ew. Excellenz von Herzen Uefür diese Mittheilung,« sprach er mit erzwungener Fassung, »ich werde versuchen, vorher eine schnelle Warnung hinzusenden. Ich selbst reise ebenfalls dorthin, doch nicht eher, bis Excellenz meinen Versuch unterstützt haben, den Fürsten vor seiner Abreise zu sprechen.«

»Wenn Sie durch mich um eine Audienz nachsuchen,« sagte der Obersthofmeister überlegend, »so will ich als Beamter des Hofes und aus persönlicher Hochachtung für Sie Ihren Wunsch dem Fürsten sogleich vortragen. Aber ich verberge Ihnen nicht, daß ich eine Kritik vergangener Ereignisse durch Sie, Herr Professor, nach jeder Richtung für bedenklich erachte.«

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
06 detsember 2019
Objętość:
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