Nun begann für sie ein Leben der fortgesetzten Qual. Sie arbeitete maschinenmässig, ohne sich etwas bei ihrer Arbeit zu denken. Die einzige Idee, die sie beständig beherrschte, war: »Wenn man es erfahren würde.«
Diese fortwährende Besorgnis machte sie so unfähig, ruhig nachzudenken, dass sie nicht einmal auf ein Mittel sann, um den Skandal zu vermeiden, den sie von Tag zu Tag unwiderruflich und sicher, wie den Tod, herankommen sah.
Jeden Tag, wenn die Andren noch schliefen, stand sie auf und suchte mit ängstlicher Beharrlichkeit den Umfang ihrer Taille in einem kleinen Glasscherben zu studieren, welcher ihr als Spiegel diente; immer fürchtend, dass es der heutige Tag sei, an dem man ihre Schande bemerken würde.
Und tagsüber unterbrach sie alle Augenblicke ihre Arbeit und schaute nach unten, ob ihre zunehmende Stärke nicht schon an der Lage der Schürze kenntlich würde.
Monate vergingen. Sie sprach fast nicht mehr, und wenn man sie nach etwas fragte, so begriff sie kaum, schreckte zusammen, riss die Augen auf und zitterte an den Händen, sodass ihr eines Tages der Herr sagte:
»Armes Mädchen! Wie einfältig bist Du doch seit einiger Zeit!«
In der Kirche verbarg sie sich hinter einem Pfeiler und wagte nicht mehr zur Beichte zu gehen, aus Furcht vor dem Pfarrer, dem sie die übermenschliche Gabe zutraute, im Herzen seiner Pfarrkinder lesen zu können.
Bei Tisch verging sie fast vor Angst, wenn ihre Gefährtinnen sie anschauten, und glaubte sich fortwährend von dem Kuhjungen entdeckt, einem vorlauten, listigen Burschen, dessen lauerndes Auge stets auf ihr ruhte.
Eines Morgens brachte ihr der Postbote einen Brief. Noch niemals hatte sie einen bekommen, und sie war so erschrocken, dass sie sich hinsetzen musste. War er vielleicht von ihm? Aber weil sie nicht lesen konnte, so hielt sie angstvoll zitternd das tintenbefleckte Papier in der Hand. Sie steckte es in die Tasche; da sie Niemandem ihr Geheimnis anzuvertrauen wagte, hielt sie öfters in der Arbeit inne, um längere Zeit diese gleichmässigen Linien zu betrachten, unter welchen sich ein amtlicher Stempel befand; sie hatte eine stille Hoffnung, dass es ihr plötzlich gelingen würde, den Sinn zu erraten. Endlich, da sie vor Unruhe und Ungeduld beinahe verging, suchte sie den Schulmeister auf und dieser las ihr, nachdem er ihr einen Stuhl angeboten hatte, Folgendes vor:
»Liebe Tochter!
Mit Gegenwärtigem wollte ich Dir mitteilen, dass es mir sehr schlecht geht. Unser Nachbar, Meister Dentu, hat es übernommen Dir zu schreiben, dass Du kommen möchtest, wenn Du kannst.
Für Deine treue Mutter
Caesar Dentu, Adjunkt.«
Schweigend ging sie von dannen; aber sobald sie allein war, brach sie am Rande des Weges zusammen, denn ihre Füsse wollten sie nicht mehr tragen. Dort blieb sie bis zum Einbruch der Nacht.
Beim Nachhausekommen klagte sie dem Herrn ihr Leid, und dieser erlaubte ihr, so lange als sie wollte zu verreisen, wenn eine Tagelöhnerin ihre Arbeit verrichten wolle; er versprach ihr auch, sie bei der Rückkehr wieder in Dienst zu nehmen.
Ihre Mutter war bereits bewusstlos und starb am Tage ihrer Ankunft; am nächsten Tage gebar Rose ein Kind von sieben Monaten. Es war ein abschreckendes kleines Wurm von schauderhafter Magerkeit, das fortwährend Schmerzen zu haben schien; so krampfhaft ballte es seine armen Händchen zusammen, die fleischlos wie Krabbenfüsse waren.
Es blieb indessen am Leben.
Sie erzählte, dass sie verheiratet sei, dass sie sich aber jetzt mit dem kleinen Wesen nicht belasten könne; und so ließ sie es bei Nachbarsleuten, die es gut zu pflegen versprachen.
Nach kurzer Zeit kehrte sie in ihren Dienst zurück. Aber nun erhob sich in ihrem so lange gequälten Herzen gleich der Morgenröte eine bis dahin ungeahnte Liebe für das zarte kleine Wesen, das sie da unten zurückgelassen hatte; und diese Liebe war selbst wieder eine Quelle neuer Leiden für sie, denn stündlich, ja fast in jeder Minute fühlte sie den herben Trennungsschmerz.
Was sie besonders quälte war ein geradezu wahnsinniges Verlangen, es zu umarmen, es an ihre Brust zu legen, die Wärme seines kleinen Körpers an sich selbst zu verspüren. Bei Nacht schlief sie nicht und bei Tage dachte sie unausgesetzt daran; abends nach beendeter Arbeit setzte sie sich ans Feuer und blickte stier in die Flammen, wie jemand, dessen Gedanken in der Ferne weilen.
Die Leute fingen schon an, sich darüber aufzuhalten und sie damit zu necken, dass sie gewiss einen Liebhaber irgendwo hätte; man fragte sie, ob er hübsch und groß, ob er reich sei, wann die Hochzeit und wann Taufe sein würde. Oft flüchtete sie sich hinaus, um für sich allein zu weinen; denn diese Fragen schnitten ihr wie ein Dolch ins Herz.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, arbeitete sie wie toll drauf los und war nur bedacht, wie sie möglichst viel Geld für ihr armes kleines Wurm ersparen könnte.
Sie wollte so fleissig arbeiten, dass man ihr den Lohn erhöhen müsste.
Allmählich riss sie alle Besorgungen auf dem Hofe an sich, eine Magd wurde entlassen, da sie für zweie arbeitete; sie sparte am Brote, am Öl, am Licht, am Korn, das man den Hühnern zu reichlich streute, und am Futter für das Vieh, das man bis dahin vielfach verschleudert hatte. Sie geizte mit dem Gelde des Herrn, als sei es ihr eigenes; und damit möglichst billig eingekauft und die Erzeugnisse des Hofes so teuer wie möglich verkauft würden, besorgte sie alle diese Geschäfte selbst. Sie führte die Aufsicht über die Arbeitsleute und über alles, was auf dem Hofe vorging. Sie war so sorgsam, dass der Hof unter ihrer Aufsicht einen sichtbaren Aufschwung nahm. Auf zwei Meilen in der Runde sprach man nur von der »Magd des Meister Vallin« und ihr Herr pflegte oft zu sagen: »Dieses Mädchen ist mehr wie Gold wert.«
Indess, die Zeit verging, und ihr Lohn blieb derselbe. Man nahm ihre übertriebene Arbeit als etwas an, was jede treue Magd tut, als den Beweis eines wirklich guten Willens; und allmählich berechnete sie mit einer gewissen Bitterkeit, dass, während der Herr monatlich fünfzig bis hundert Taler mehr einnehme, sie stets nur ihre zweihundertundvierzig Francs, nicht mehr und nicht weniger, jährlich verdiene.
Sie entschloss sich, um eine Zulage zu bitten. Dreimal suchte sie den Herrn auf, aber jedes Mal, wenn sie vor ihm stand, sprach sie von andren Dingen. Sie schämte sich gewissermassen Geld zu verlangen, als wenn das etwas Unanständiges wäre. Eines Tages endlich, als der Pächter allein in der Küche frühstückte, sagte sie ihm mit verlegener Miene, sie müsse ihm etwas Besonderes mitteilen. Er schaute erstaunt auf, beide Hände auf den Tisch gestützt; in der einen hielt er das Messer mit der Spitze nach oben, in der andren ein Stück Brot. So blickte er unverwandt auf seine Magd. Sie wurde bei diesem Blick ganz fassungslos und bat ihn, auf acht Tage nach Hause gehen zu dürfen, weil ihr nicht ganz wohl sei.
Er erlaubte ihr das sofort und sagte dann selbst etwas verlegen:
»Ich habe übrigens auch mit Dir zu reden, wenn Du wiederkommst.«
*
Das Kind war nun schon acht Monate alt; sie hätte es nicht wiedererkannt. Es war ganz rosig, voll und rund, wie ein kleiner lebendiger Fettklumpen geworden. Seine Fingerchen, die unter kleinen Fettwulsten verschwanden, bewegten sich leise mit einem sichtbaren Ausdruck von Behagen. Sie warf sich darauf wie ein Geier auf die Beute und küsste es so heftig, dass es vor Furcht zu weinen begann. Aber auch ihren Augen entströmten Tränen der Eifersucht, als sie sah, dass es sie nicht wiedererkannte, dagegen seine Ärmchen der Ziehmutter entgegenstreckte, sobald es dieselbe bemerkte.
Am nächsten Tage aber hatte es sich schon an ihr Gesicht gewöhnt und lachte, wenn es sie sah. Sie trug es ins Freie hinaus, rannte wie närrisch mit ihm herum, es vorsichtig wie ein Spielzeug in den Händen haltend und setzte sich schliesslich mit ihm unter den Schatten der Bäume. Dann öffnete sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihr Herz diesem kleinen Wessen, das ja freilich noch nichts von all’ ihrem Leid, ihren Sorgen, ihren Hoffnungen und ihren Arbeiten verstand. Aber es tat ihr doch so wohl, so unendlich wohl, zu ihm zu sprechen, und sie erdrückte es fast unter der stürmischen Gewalt ihrer Küsse.
Sie freute sich selbst wie ein Kind, es auf den Armen zu wiegen, es zu waschen und anzuziehen, ja selbst seine kleinen Schmutzereien zu reinigen, als wenn diese Beschäftigung ihr erst das rechte Bewusstsein der Mutterschaft gegeben hätten. Immer und immer wieder musste sie es anschauen, ob es ihr denn auch wirklich gehöre, und dann schaukelte sie es auf den Armen und flüsterte zärtlich: »Mein Kleinod! mein süsses Kleinod!«
Auf dem Rückwege zum Pachthofe weinte sie die ganze Zeit. Kaum war sie angekommen, als der Pächter sie auch schon zu sich ins Zimmer rief. Sehr erstaunt und eigentümlich bewegt, ohne recht zu wissen warum, folgte sie dem Rufe.
»Setz Dich«, sagte er.
Sie setzte sich und so sassen sie einige Augenblicke nebeneinander, beide sehr verlegen, mit verschränkten Armen und ohne sich anzusehen, wie es eben Landleute zu machen pflegen.
Der Pächter, ein starker Mann in den Vierzigern, zweimal bereits Witwer, gutmütig und eigensinnig zugleich, zeigte diesmal eine Verlegenheit, die man sonst bei ihm nicht gewohnt war. Endlich raffte er sich auf und begann zu sprechen, ohne sie anzusehen, während seine Stimme zitterte und er sein Gesicht zum Fenster hinaus dem Felde zuwandte:
»Rosa«, sagte er, »hast Du niemals daran gedacht, Dir ein Heim zu schaffen?«
Sie wurde bleich wie der Tod; es war ihr unmöglich zu antworten.
»Du bist ein wackeres Mädchen«, fuhr er fort. »Eine Frau wie Du könnte einen Mann glücklich machen.«
Sie regte sich noch immer nicht; ihre Augen waren starr. Sie suchte nicht einmal den Sinn seiner Worte richtig zu verstehen; so sehr verwirrten sich ihre Gedanken wie beim Einbruch einer großen Gefahr. Er wartete noch einen Augenblick, dann begann er aufs neue:
»Ein Hof ohne Herrin, weißt Du, das geht auf die Dauer nicht, selbst mit einem Mädchen wie Du.«
Mehr wusste er für den Augenblick nicht zu sagen und schwieg daher. Rosa starrte ihn so verblüfft an, wie jemand, der einen Mörder vor sich sieht, und bereit ist, bei der ersten Bewegung desselben die Flucht zu ergreifen.
Nach fünf Minuten endlich fragte er:
»Na, sag mal! Passt es Dir also?«
»Was, Herr?« sagte sie mit blöder Miene.
»Nun, mich zu heiraten, Mädchen!« brach er endlich los.
Sie richtete sich plötzlich auf, dann sank sie aber wie gebrochen auf ihren Stuhl zurück, auf dem sie regungslos sitzen blieb, wie jemand, den ein schweres Unglück betroffen hat. Der Pächter wurde schliesslich ungeduldig.
»Nun so lass doch hören, was fehlt Dir denn eigentlich?« Sie betrachtete ihn wie geistesabwesend; dann traten ihr plötzlich die Tränen in die Augen und laut schluchzend rief sie:
»Ich kann nicht. Ich kann nicht!«
»Warum denn nicht?« fragte Jener. »Vorwärts, sei nicht kindisch; ich gebe Dir bis morgen Bedenkzeit.«
Und er ging eilig hinaus, überaus froh, dass er diese heikle Angelegenheit für heute hinter sich hatte. Er zweifelte nicht, dass morgen seine Magd einen Vorschlag annehmen würde, der ihr heute etwas unerwartet kommen musste; für ihn selbst konnte sich ja nichts Besseres finden, als dieser Ausweg, für immer ein Wesen an sich zu fesseln, das ihm sicherlich zehnmal mehr Vorteile brachte, als die beste Mitgift weit und breit.
Das Bedenken einer Missheirat konnte für sie beide nicht existieren; denn auf dem Lande sind alle untereinander mehr oder weniger gleich. Der Herr arbeitet wie sein Knecht, welcher nicht selten seinerseits auch ’mal Herr wird; und was die Mägde anbetrifft, so verwandeln sich diese jeden Augenblick in Hausfrauen, ohne dass in ihrem Leben und ihren Gewohnheiten deshalb eine große Veränderung eintritt.
Rose ging in jener Nacht nicht zu Bett. Sie sass auf demselben und hatte nicht ’mal mehr die Kraft zu weinen; so fassungslos war sie. Regungslos sass sie da; sie fühlte ihre Glieder kaum, und ihre Gedanken waren entschwunden, als hätte sie ihr jemand mit einem jener Instrumente herausgeschnitten, deren sich die Wollkämmer bedienen, um die Wolle der Matratzen auszuzupfen.
Hin und wieder nur sammelte sie mühsam einen Rest von Nachdenken und suchte sich auszumalen, was nun werden sollte.
Ihre Besorgnis wuchs immer mehr, und jedes Mal, wenn durch die tiefe Stille der Nacht die große Küchenuhr langsam den Verlauf einer Stunde ankündigte, brach ihr der Angstschweiß aus. Immer trüber wurde ihr Verstand, immer heftiger der Druck auf ihrem Kopfe, ihr Licht war ausgebrannt; zuletzt fing sie richtig an zu fiebern. Sie verfiel in eine Art leichten Fantasierens, wie man es gerade auf dem Lande bei Leuten findet, die sich von einem schweren Schicksalsschlage bedroht fühlen. Ein wahnsinniges Verlangen, demselben zu entgehen, abzureisen, gewissermassen vor dem drohenden Unheil zu flüchten, wie das Schiff vor dem Orkan, wurde in ihrem Herzen rege.
Vor ihrem Fenster klagte ein Käuzchen; zitternd fuhr sie in die Höhe, strich sich mit den Händen übers Gesicht, griff an ihre Haare und betastete sich wie eine Närrin am ganzen Körper. Dann stieg sie mit den Bewegungen einer Nachtwandlerin die Treppe herunter. Als sie auf dem Hofe ankam, kroch sie in gebückter Haltung weiter, um nicht etwa durch einen Knecht, der von einer Nachtschwärmerei vielleicht heimkehrte, überrascht zu werden; denn der Mond schien hell auf alle Gegenstände. Statt das Tor zu öffnen, kroch sie über die Böschung, und erst, als sie sich im freien Felde befand, wagte sie aufrecht weiter zu gehen. Sie ging geradeaus mit vorgebeugtem Kopf und flüchtigem Schritt, und stiess unwillkürlich von Zeit zu Zeit einen durchdringenden Schrei aus. Ihr Schatten fiel in riesigen Umrissen auf den Boden und verfolgte sie wie ein Gespenst; zuweilen flog ein erschreckter Nachtvogel auf und flatterte mit mattem Flügelschlage über ihrem Haupte. Die Hofhunde bellten, wenn sie ihren Schritt vernahmen. Einer sprang heraus und folgte ihr bissig nach; aber sie wandte sich mit einem solchen Geheul zu ihm herum, dass er mit eingeklemmten Schweif davon rannte, in seine Hütte kroch und sich leise wimmernd ausstreckte.
Auf einem Felde spielte ein ganzes Rudel Hasen; als aber die flüchtige Wanderin gleich einer rasenden Diana daherkam, stoben sie schleunigst auseinander. Die Jungen duckten sich mit der Alten in eine Furche, während der alte Rammler fast nach jedem Sprunge ein Männchen machte und sichernd seine großen Löffel spitzte. Das Licht des untergehenden Mondes warf seinen Schatten in zehnfacher Vergrösserung auf den hellen Acker, sodass er nicht minder gespenstig aussah, wie das dahineilende Weib. Der Mond glich einer riesigen Laterne, die am Rande des Horizontes niedergestellt war.
Am Himmel verlöschten die Sterne einer nach dem anderen; einzelne Vögel begannen zu piepen. Der Tag brach an. Die arme Rose keuchte vor Anstrengung, und als aus dem Purpur-Vorhang des Morgenrotes die Sonne hervortauchte, stand sie still.
Ihre geschwollenen Füsse verweigerten den Dienst, aber sie bemerkte in der Nähe ein Wasser, einen großen Teich, dessen unbewegliche Fläche im Scheine der aufgehenden Sonne blutig-rot schien. Langsam, die Hand auf das heftig pochende Herz gedrückt, hinkte sie auf denselben zu, um ihre Füsse in das Wasser zu tauchen.
Sie setzte sich auf einen Grashügel, zog die dicken, staubigen Schuhe aus, legte die Strümpfe ab und senkte die blauangelaufenen Unterschenkel in die unbewegliche Flut, aus der einzelne Luftblasen aufstiegen.
Eine erquickende Frische drang langsam von den Fussspitzen bis zu ihrem Kopfe herauf, und während sie noch mit irrem Blick in das tiefe Wasser starrte, überkam sie plötzlich ein unbezähmbares Verlangen, ganz in demselben unterzutauchen. Da drinnen würden ihre Leiden für immer ein Ende haben. Sie dachte nicht mehr an ihr Kind; sie wollte Frieden finden, völlige Ruhe, ewigen Schlaf. Sie richtete sich auf und ging mit hochgehobenen Händen zwei Schritte weiter. Schon stand sie bis am Gürtel im Wasser und war im Begriff, sich vorzustürzen, als brennende Schmerzen an den Füssen sie unwillkürlich zurückspringen liessen. Sie stiess einen lauten Schrei aus, denn von ihren Knien bis zu den Fussspitzen tranken lange schwarze Blutegel ihr Leben und blähten sich, an ihr festgesaugt, mächtig auf. Sie wagte nicht, nochmals hereinzugehen, und heulte vor Schreck. Ihre Verzweiflungsschreie riefen einen Landmann herbei, der in der Nähe vorüberfuhr; dieser nahm die Blutegel, einen nach dem anderen, ab, legte Kräuter auf die Bisswunden und brachte das unglückliche Wesen auf seinem Wagen nach dem Hofe ihres Herrn zurück.
Vierzehn Tage musste sie das Bett hüten, dann stand sie wieder auf und setzte sich vor die Haustür, um die schöne Luft einzuatmen. Es dauerte nicht lange, so stand der Pächter auch schon vor ihr.
»Die Sache ist also abgemacht?« sagte er.
Anfangs wusste sie nichts zu sagen; als er aber so vor ihr stand und sie mit erregtem Blick ansah, hauchte sie mühsam hervor:
»Nein, Herr! ich kann nicht.«
Das machte ihn wütend und er rief heftig:
»Du kannst nicht, Du, die Magd; warum denn nicht?«
Sie fing wieder an zu weinen und sagte nochmals:
»Ich kann nicht.«
Er musterte sie scharf und schrie ihr dann ins Gesicht:
»Du hast also einen Liebhaber?«
»Sehr gut möglich, vielleicht«, sagte sie zitternd vor Scham.
Rot wie ein Puter stotterte er fast vor Zorn:
»Ah! Du gibst es auch noch zu, Dirne! Wer ist es denn, Dein schöner Galan? Ein Kerl ohne Strümpfe und Schuhe, ein Bettler, ein Vagabund, ein Hungerleider? Wer ist es denn, sag’s doch, wer es ist!«
Und als sie schwieg, fuhr er fort:
»Aha! Du willst nicht … dann will ich’s Dir sagen: Es ist Jean Baudu?«
»Oh nein, der nicht«, schrie sie auf.
»Dann ist es Peter Martin?«
»Oh nein, Herr!«
Und so nannte er, ganz ausser sich, der Reihe nach alle Burschen der Umgegend, während sie, ganz aufgelöst und sich alle Augenblicke mit dem Schürzenzipfel die Augen wischend, jedes Mal verneinte. Aber er ließ nicht nach, sein starrer Sinn wollte das Geheimnis ergründen, und wenn er ihr das Herz zerreissen müsste. Er war wie ein Jagdhund, der den ganzen Tag eine Fährte verfolgt, um endlich das Tier zu erhaschen, dessen Spur er wittert. Plötzlich schrie er auf:
»Ah! Mädchen! Es ist Jacques, der Knecht im vorigen Jahr! Man wusste ja, dass Ihr Euch traft und dass er Dir die Ehe versprach.«
Rose erstickte fast; eine Blutwelle ergoss sich über ihr Gesicht und ihre Tränen versiegten plötzlich. Sie trockneten auf ihren Wangen, als wären sie über einen heissen Stein gelaufen.
»Nein!« rief sie laut, »der nicht; der ganz gewiss nicht.«
»Ist das ganz sicher?« fragte der Pächter misstrauisch, der eine Spur von der Wahrheit witterte.
»Ich schwöre es Euch, Herr!« antwortete sie hastig, »ich schwöre es Euch …«
Sie suchte nach etwas, worauf sie schwören könnte; denn sie wagte nicht, das Heiligste mit dieser Sache zu vermischen.
»Er folgte Dir aber doch in alle Ecken«, unterbrach er sie, »und verzehrte Dich bei Tisch mit seinen Blicken. Hast Du ihm Deinerseits Treue gelobt, sprich!«
Dieses Mal schaute sie ihrem Herrn offen ins Gesicht.
»Nein, niemals! niemals! Ich schwöre es bei Gott, wenn er heute um mich anhielte, ich würde ihn nicht nehmen.«
Ihre Miene war so aufrichtig, dass der Pächter inne hielt. Er fuhr wie im Selbstgespräch fort:
»Aber was denn dann? Ein Unglück ist Dir nicht widerfahren, das hätte man ja gehört. Und welches Mädchen würde die Hand seines Herrn zurückweisen, wenn keine Folgen von früher da sind? Aber es muss doch etwas vorliegen?«
Von Angst gefoltert konnte sie nicht mehr antworten.
»Du willst nicht?« fragte er nochmals.
»Ich kann nicht, Herr!« seufzte sie.
Und er drehte ihr den Rücken und ging.
Sie glaubte endlich Ruhe zu haben und verbrachte den Rest des Tages fast in heiterer Stimmung, aber geistig doch so stumpf und gleichgültig, als hätte sie an Stelle des alten Schimmels in der Dreschmaschine gehen müssen.
Sobald als möglich legte sie sich nieder und schlief sogleich ein.
Gegen Mitternacht wurde sie durch ein Zupfen an ihrer Bettdecke wach. Sie zitterte vor Schrecken, hörte aber zugleich die Stimme des Pächters, der ihr sagte:
»Nur ruhig, Rose, ich bin’s, um mit Dir ein Wort zu reden.«
Sie war anfangs erstaunt; als er sich aber dann immer noch an ihrer Decke zu schaffen machte, begriff sie, was er wollte und fing noch heftiger an zu zittern. Was sollte sie machen, so allein in der Dunkelheit, noch halb schlaftrunken, im Bett und unbekleidet, mit diesem Manne, der nach ihr verlangte? Sie willigte nicht ein, wahrhaftig nicht, aber sie widerstand auch nicht energisch. Sie bekämpfte zwar die Begierde, die bei diesen einfachen Naturen immer viel lebhafter ist, aber sie war doch nur ein Weib und ihre Willensstärke war nicht groß genug. Anfangs wich sie den heissen Küssen des Pächters aus, indem sie den Kopf bald rechts, bald links wandte, und sie suchte ihn sich auf alle Weise auch sonst fern zu halten; aber schliesslich siegte die rohe Kraft und die wilde Begehrlichkeit des Mannes, und sie gab ihren Widerstand auf, während sie vor Scham das Gesicht mit den Händen bedeckte.
Der Pächter blieb die Nacht über bei ihr. Er kam den folgenden Abend und dann schliesslich jede Nacht.
So lebten sie nun zusammen.
Eines Morgens sagte er zu ihr:
»Ich werde unser Aufgebot verkündigen lassen. Nächsten Monat soll unsere Hochzeit sein.«
Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch noch sagen sollen? Sie wagte keinen Widerspruch; es war ja doch umsonst.