Loe raamatut: «Frau - Männin - Menschin», lehekülg 3

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Was in Kampf und Bezogenheit von Mann und Frau auf der „Erde“ aufscheint, kennt seine Analogie im „Himmel“ oder in der „Unterwelt“. Das Gleichgewicht von Göttern und Göttinnen in den griechischen oder germanischen Theomythen wiederholt spiegelbildlich die beschriebene anthropologische Erfahrung. Auch im göttlichen Bereich herrscht polare Ordnung: In der Ilias entscheidet das Schlachtenglück nicht nur zwischen Griechen und Trojanern, sondern entsprechend zwischen Göttern und Göttinnen verschiedener Parteien. Mehr noch, die Gleichgültigkeit der beiden Hälften ergänzt sich nicht nur im klassischen Rund des Pantheons. Sie kennt auch eine Unentschiedenheit der Werte, eine Auslieferung an alle Möglichkeiten. Gut und Böse, Leben und Tod, Zeus und Hera, aber auch Zeus und Pluto sind nach wie vor notwendig gleich stark, ein spannungsreiches Ganzes. Deus und Devil (Teufel) haben etymologisch denselben Wortstamm deu-, und die griechischen Götter können lügen und betrügen, wie Hermes der Götterbote und der Lügner ist, anhand derselben Botschaft übrigens. Ob der Gott den Menschen täuscht oder der Mensch die Götter – beides gehört zum Ganzen aus Wahrheit und Lüge, Schein und Sein, Ordnung und Chaos, aus dem die Welt unzweifelhaft besteht. Im Letzten lässt sich nicht entscheiden, was stimmt: Was oben gilt, gilt unten, wie es die orphische Tabula smaragdina formuliert, aber auch: Was oben gilt, gilt unten nicht. Und wieder treffen beide Sätze zu; ihre Bedeutung ist übrigens im genannten Sinne gleichgültig. Auch der göttliche Geschlechterbezug – Hera im Widerspruch zu Zeus, Zeus im Kampf gegen Hera – zeigt noch einmal den Unterschied von Kaiser und Kaiserin (als spielten sich ihre verschiedenen Aufgaben auf verschiedenen Ebenen ab und würden sich gleichsam im selben Hause gar nicht treffen) und zugleich das Verweben beider Seiten zum Ganzen der himmlischen Entscheidungen. Welchen Faden immer der betroffene Mensch aus dem Gewebe des Schicksals herauszieht: Er kann versichert sein, dass das ganze Gewebe ihm noch wesentlich anderes als erwartet bescheren wird.

Personales Entschiedensein für etwas Bestimmtes, für einen erklärten Wert, ist ein Zug, der erst in späten Mythen auftritt und diese Welt des Gleich-Wichtigen oder des Gleichgewichts aufreißt. Dieser Zug kündigt sich etwa im Mythos von Athenes Geburt an: Athene49, die jungfräuliche Göttin der Tagesklarheit, die das Dunkle erstmals als Dunkles sieht (die Eule als erstes Attribut), wird Inbegriff des bewussten Denkens, der zielgerichteten Entscheidung (der Speer als zweites Attribut). Sie entspringt als Kopfgeburt (!) dem Haupt des Zeus und hinterlässt darin eine klaffende Wunde: Der Gleichklang des Kreises ist durchbrochen durch das erwachte, ichbewusste, entschiedene Denken.

4. Der Begriff des Menschen und die Frau als „die Andere“. Die mentale Struktur

Der Ausdruck „mental“ ist abgeleitet vom griechischen menis (Zorn, Mut, Kraft, Vorsatz), das in der lateinischen mens (Absicht, Zorn, Verstand, Vorstellung), schließlich im deutschen „man“, „männisch“, „Mensch“ noch durchklingt. Wenn die Ilias mit der Zeile beginnt: „Den Zorn, singe, o Göttin, des Achilles“, so zeigt das erste Wort menin gleichsam das Signalwort eines neu gewonnenen Wirklichkeitsbezuges an. Minerva, die lateinische Entsprechung zu Athene, nennt auch im Namen der Göttin die von ihr geforderte Richtung. Denn im Griechenland des 5. Jahrhunderts v. Chr., um in unserem Kulturraum zu bleiben, bricht ein Denken durch, das die alte mythische Polarität zur Dualität verschärft: Wo zuvor „sowohl – als auch“ galt, gilt nun „entweder – oder“. Diese Welt entwirft Gesetz, Richtung, Entschiedenheit, Recht, das jetzt notwendig wird, um gut und böse eindeutig zu scheiden; Hammurabi, Lykurg, Solon, Mose, Minos sind einige der zum Teil sagenhaften Begründer des Rechts. Zugleich geht damit einher der Sinn für das „Richtige“, das sinnfällig die Wendung zum Recht und nach rechts bedeutet; die griechische Schrift läuft nunmehr von links nach rechts.50

In der Entscheidung des „Herkules am Scheidewege“ geht der Held richtig nach rechts; im Y des Pythagoras drückt dieser in die rechte Hand der Schüler gezeichnete Buchstaben das Bewusstsein der beiden Richtungen aus – überall steht hier rechts für Zukunft, auch für gut, wahr oder lebendig, links für sinister im Sinne von böse, falsch und tödlich.51 Eine den unzähligen Formulierungen für den jetzt notwendig gewordenen „Scheideweg“ ist das mittelalterliche Verschen:

„Nur himel oder hellen,

Der selben weg der sind nur tzwen,

Got geb, daz wir den rechten gen,

und nicht den tzu der linkhen hant!“

Dass diese Aufforderung kein Zufall ist, vielmehr im Gegenteil mit einer Fülle anderer Entscheidungen und Bewertungen zusammenhängt, zeigt ein Text, der in Zusammenhang mit der Geschlechterfrage bisher kaum zur Kenntnis genommen ist. Pythagoras, der Begründer der Philosophie im 6. Jahrhundert v. Chr., hatte gleichsam als Urstiftung der Philosophie eine Gegensatztafel von zehn Prinzipien aufgestellt, die sich unversöhnlich von zehn Gegensätzen abstoßen. Damit sind Unterscheidungen getroffen, die nicht nur Ordnung der Welt, sondern zugleich Wert, Einsicht, Beherrschung bedeuten – ein grundsätzliches „Sich-Zurecht-Finden“ anstelle der bisherigen Richtungslosigkeit des Mythos. Damit beginnt nicht nur Philosophie, es beginnt Bewusstwerdung überhaupt im Sinne von Klarheit, Gültigkeit, Wahrheit, die sich nicht mehr durch das Vergessen ergänzt. Aletheia bestimmt die Wahrheit gerade im Gegenzug zur Lethe, dem Fluss des Vergessens. In der Überlieferung des Aristoteles nimmt sich die elementare Gegensatztafel des Pythagoras so aus:

„Grenze und Unbegrenztes

Ungerades und Gerades

Einheit und Vielheit

Rechtes und Linkes

Männliches und Weibliches

Ruhendes und Bewegtes

Gerades und Krummes

Licht und Finsternis

Gutes und Böses

gleichseitiges und ungleichseitiges Viereck“52

Jeder dieser Gegensätze könnte für sich selbst beleuchtet werden; in Zusammenhang mit der Geschlechterfrage springt aber vor allem die Gleichsetzung des Weiblichen mit ausdrücklich negativen Werten ins Auge. Deutlicher: Die Gegensatzreihe darf nicht symmetrisch gelesen werden; sie ist vom Ansatz her asymmetrisch, da nur eine Seite, die eine, rechte, lichte, gute, männliche Seite qua Definition (= Grenze) sich der Einsicht zuordnet. Über das Weibliche lässt sich nur noch ausgrenzend, deswegen aber nur noch im Unterschied zum Erkennbaren sprechen.

Damit wird die bisherige Verwiesenheit der beiden Hälften aufeinander nicht aufgegeben, aber sie wird neu bewertet, denn nunmehr richtet der Wert den Unwert, bestimmt ihn durch Bändigung. Mythisch ließ sich noch sagen:

„Der Reifen eines Rades wird gehalten von den Speichen,

aber das Leere zwischen ihnen ist das Sinnvolle beim Gebrauch.

Aus nassem Ton formt man Gefäße,

aber das Leere in ihnen ermöglicht das Füllen der Krüge.

Aus Holz zimmert man Türen und Fenster,

aber das Leere in ihnen macht das Haus bewohnbar.“53

Nun wird die Leere, das Unbestimmte, die Potenz von der männlichen Form her gelesen, gehalten, definiert. Nur vom Einen aus lässt sich über Vielheit reden, nur vom Guten aus das Böse aussondern. Der Mann wird zum Wirklichen, die Frau zum Möglichen, das vom Mann verwirklicht wird. Folge (oder Ursache?) dieses Denkens ist eine Zeugungstheorie, worin der Mann als Sämann, die Frau als Ackerfurche auftritt. „Ist die Erde dem Vermögen nach ein Mensch? Doch wohl nicht; vielmehr erst, wenn sie Same geworden ist. Was ist die Ursache im Sinne von Stoff? Etwa die Menstruation?“54 Wenn es bei Parmenides (um 500 v. Chr.) noch heißt: „Auf der Rechten (der Gebärmutter lässt der Same entstehen) die Knaben, auf der linken die Mädchen“55, so ist bei Aristoteles diese räumliche Zuordnung bereits in eine hierarchische Ordnung umgewandelt. Seit daher bestimmt die klassische Philosophie den Mann als den einzigen Erzeuger des neuen Menschen, der im Übrigen wieder ein kleiner Mann ist und nur durch „widrige Umstände“ – so Aristoteles – beim Transport in das passive Gefäß der Frau zu einem Mädchen degeneriert. Bekanntlich folgt noch Thomas von Aquin der Vorstellung von der Frau als dem „Mangelhaften und Zufälligen“56, weil die Schwächung der wirkenden Kraft des männlichen Samens durch die mindere Materialität der Mutter verschuldet sei. Entsprechend sei der Vater ontologisch mehr zu lieben als die Mutter.

Zweifellos geht mit diesem Sinn für das „Richtige“ und Aktive auch das Durchsetzen des Vaterprinzips einher, das hier nicht in allen unerhört wichtigen Folgerungen geistesgeschichtlicher Art benannt werden kann; festgehalten sei nur, dass aus dem bisher richtungslosen Verquicktsein mit der Umwelt oder der Natur nun das Bewusstsein des Raumes durchbricht, der dimensional, also messbar gedacht wird. Raum ist nicht ohne Bewusstwerdung von Richtung zu denken. Bereits in dieser kleinen Beobachtung wird deutlich, zunächst unabhängig von der Geschlechterfrage, dass die mentale Struktur zunächst eine Befreiung aus dem Seelisch-Unentschiedenen, Unpersonalen, dem Kreislauf des Immergleichen darstellt. Noch in ihren so deutlich sichtbaren Ungleichheiten liegt die Größe des Durchbruchs in eine Welt der Einzigkeit und Unverwechselbarkeit, des Wissens gegenüber der bloßen Meinung, der Wahrheit gegenüber dem bloß Stimmigen, der Klarheit gegenüber dem Halbdunkel traumhafter Weltbeziehung. Freilich wird die Eindeutigkeit nur als Einseitigkeit durchgesetzt. Die Identifizierung von Recht und Mann bedeutet geschichtlich auch die Identifizierung von Rechtlosigkeit und Frau; alles Bewusste wird nunmehr auf Kosten des Unbewussten, des Unmessbaren gelebt. Auch die mütterliche, den Ahnen und den Toten zugewandte Vergangenheit wird nun auf das Zukünftige männlicher Ausrichtungen hin überholt. Der Mensch als Mann versteht sich verstärkt herkunftslos, autonom, nicht von der Mutter, sondern aus sich selbst begründet, als „Selbstdenker“.

Solche Formulierungen deuten ein Verhängnis an, das sich in der Spätzeit des mentalen Welt- und Selbstverhaltens deutlich ausprägt. Dennoch wird diese Entwicklung falsch eingeschätzt, ja, es ließe sich sagen, man werde ihrem Rechtsbewusstsein nicht gerecht, solange man die ursprüngliche Befreiung darin nicht als den eigentlich bewegenden Ansatz der Veränderung verstanden hat. Dies entbindet nicht von einer Kritik; sie müsste nur vor dem Hintergrund einer eindringlichen Kenntnis der gewonnenen gedanklichen Leistungen verantwortet werden.

Zu dieser Kritik hier ein Beitrag. In der „Gegensatzwelt“ herrscht grundsätzlich immerwährende Aufklärung mit dem Pathos immerwährenden Fortschritts, aufbauend auf dem gewonnenen Gedanken einer linearen Geschichtsentwicklung, deren Koordinaten der Mann festlegt. Ein Unterscheiden von Ursache und Folge, von Anfang und Ende ist eine Differenzierung, die zunächst hilfreich wird. Eine weitere ist die Entdeckung der Quantifizierung oder Messbarkeit aller Dinge, die aus einer numinosen Unverfügbarkeit in das Teilen und Herrschen des Mannes einrücken: Analyse als Basismethode der Wissenschaft. Über Platons Akademie stand bekanntlich der Satz: „Nur wer der Geometrie kundig ist, möge eintreten.“ Die alte Mutter Gaia wird hier dem Maß ihrer Söhne unterworfen; und nur wer in der Lage ist, die Göttinmutter messend zu behandeln, ist für das geforderte Denken frei. Insofern Wirklichkeit aber im Folgenden auf das Messende und Vermessene abgestellt wird, wird sie ihrer Qualitäten, des Nichtmessbaren beraubt, als Ganzes aus dem Auge verloren und nur noch sektorenhaft beherrscht. Mit dem Einsatz der Neuzeit verstärkt sich diese Richtung auch den Worten nach zu einer Inquisition; Francis Bacon, einer der „Väter“ der modernen Naturwissenschaft, sprach von der Folterbank, auf welcher der Natur im Experiment ihre Geheimnisse abzupressen wären. Galilei forderte ebenso programmatisch, alles messbar zu machen, was nicht messbar sei57, und noch Kant sprach davon, man müsse die Natur zu einer Antwort „nötigen“.

Die Naturwissenschaft war damit endgültig in die Quantifizierung eingetreten – eine Entwicklung, die ungeheure Erfolge aufweist. Zu Beginn der „geometrischen Methode“ mit unwiderstehlicher Selbstverständlichkeit gehandhabt, ist es freilich verdächtig geworden, die Natur nur als „Gegenstand“, also als Widerstand zu nehmen, der zu überwinden, ja zu brechen sei. Dieses Verständnis hat sich in der Tat unerwartet auf den Menschen selbst ausgedehnt und damit die Fragwürdigkeit des rein messenden Verhaltens einsichtig gemacht. Je länger, je mehr sich das mathematisch-geometrische Denken durchsetzte, desto mehr wurde der Mensch im 17./18. Jahrhundert dem Regelkreislauf einer Maschine verglichen. Der französische Aufklärer La Mettrie sprach von l’homme machine (1748); literarischen Ausdruck fand die Menschmaschine, der nur das seelenvolle Auge fehle, in E. T. A. Hoffmanns Menschenpuppe Coppelia. Eine der Spielereien derselben Zeit war der Versuch, Automaten-Tiere und -Menschen herzustellen. Schließlich wurden auch die bisher ausgesparten psychischen Gegebenheiten des Menschen in die Zerlegung mit einbezogen. Kennzeichnend sind die noch primitiven Versuche der französischen Enzyklopädisten, auch seelische Gefühle als Maschinenreaktionen zu deuten. Anspruchsvoller wurde diese Denkrichtung im 19. Jahrhundert, wo die Humanwissenschaften (Historie, Psychologie, Anthropologie, Sprachwissenschaften) bewusst das Konzept der Naturwissenschaften nachvollzogen, die Regelabhängigkeit alles menschlichen Verhaltens und die Handlungsschemata des Individuums darzulegen; seelische Zwänge, gesellschaftliche, historische, ökonomische, erziehungsmäßige Abhängigkeiten wurden unleugbar und zunächst unentrinnbar. Das Wissen, das mit dem Charakter der Erhellung und Beherrschung der Natur begonnen hatte, endete mit der ausweglosen Fixierung des Denkenden auf das Gewusste.

Diese letzte Folge eines ursprünglich entdeckungsfreudig, ja im Namen der Freiheit vollzogenen Ansatzes kann zwar nicht einfach anklagend der mentalen Struktur zur Last gelegt werden; dennoch ist ihre geistige Weichenstellung deutlich auszumachen. Dass die damals verborgenen Rückseiten einer Denkhaltung mit der Technikkritik seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Vorschein kommen, weist auf die Notwendigkeit einer Überholung des einst Gewonnenen hin.

Sofern der Logos die Welt des Mannes durchdringt und durchdringend klärt, wird alles Nicht-Logosbestimmte gerichtet und ausgeschlossen. In dieser Welt des Exklusiven rückt die Frau entschieden auf die Seite des zu Bändigenden, das unter den Schleier gehört, in dieses Dunkel, in dem sie ohnehin „zuhause“ ist, das aber in der Kleidung noch einmal betont wird mit dem Verbinden der Mundpartie, der Unsichtbarkeit ihres Körpers, der Alterslosigkeit unter den schwarzen Gewändern, dem Gesichtslosen. Deutlicher und dualistischer als zuvor gerät die Frau auf die Seite nicht nur des Verborgenen, sondern notwendig des Dienenden. Dies gilt kulturübergreifend auch für die „Achsenzeit“ in China; Konfuzius wird der Satz zugeschrieben: „Nur eine unwissende Frau ist tugendhaft.“58

Wenn sie an der männlich geprägten Welt teilnimmt, dann zweitrangig, falls nötig maskulinisiert, wie die Bildungsgeschichte (oder Legende?) an den mönchisch oder männlich verkleideten mittelalterlichen Frauen zeigt. In einer Reihe von Kulturen, besonders der europäischen, gelangt die Frau auch zu einem gewissen Recht, ohne dass ihr dies jedoch ursprünglich, vielmehr nur abgeleitet zukommt.59 Der Geschlechter„kampf“ kann von mehrfachen Vollzügen her bestimmt sein: vom „Benutzen“ der Frau als Gebärerin, während sich Liebe im individuellen Sinn von Mann zu Mann aufbauen kann wie im antiken Griechenland; vom Einsetzen der Frau als Arbeitskraft oder auch als Mitgiftbringerin (bis zum heutigen Tag finden sich „Mitgiftmorde“ zum Zweck einer zweiten Heirat in Indien). Die starke Geschlechterspannung entwickelt freilich auch den personalen Bezug, etwa im Minnedienst, im Gedanken der Einzigkeit der Geliebten, sogar der unglücklich Geliebten. Und es gelingt auch, die Liebe als die eigentliche „Versöhnung“ des Kampfes zwischen den Geschlechtern zu erfassen, wie es Hegel in den Vorlesungen über Ästhetik II versucht. Dennoch, auch bei Hegel in der Rechtsphilosophie von 1821 (§§ 161 – 169) gilt als Regel die hierarchische Überordnung des Mannes über die Frau als das Gegebene; im Recht wird nur nachvollzogen, was die Natur ohnehin eingerichtet hat.60

Diese (noch) vertraute Welt sei mit den wenigen Hinweisen nur angedeutet; gerade hier ist das Forschungsmaterial überreich und muss deswegen als Porträt einer Denkhaltung nicht gänzlich ausgezeichnet werden.

Für den Gottesbezug des Menschen wird notwendig die Vatergestalt in ihrer befreienden Größe einsichtig und erfahrbar. Gerade, wo die Vaterwelt und das Gottesbild mit ihr neu befragt werden müssen, ist es wesentlich, sich auch den gedanklichen Durchbruch dieser Theologie deutlich vor Augen zu halten, sonst gelangt man in jene Unklarheit, die keine echte Lösung bringt, sondern ein Zurück. So ist zunächst hervorzuheben, dass sich der Vaterwelt, gestützt von Judentum und Christentum, Folgendes verdankt: Die vielen numinosen Mächte und Gewalten werden nun von einem Einzigen, dem Einzigen, in Schranken gehalten, und mehr als das: Sein Gegenüber, der Mensch, muss sich nun ebenso einzeln, ichhaft vor ihm verantworten. Die grundsätzliche Entdeckung nicht nur des Vatergottes, sondern auch der Person findet Ausdruck etwa in der Gestalt des Mose, der gegen das Volk ein Ich setzt in jenem heiligen Zorn, in dem die Gruppe nicht mehr gilt, nicht mehr das bisher gehabte Wir, nicht mehr das Kindhafte, das selber nicht unbedingt entscheiden muss, schon gar nicht entscheiden darf, sondern jenes innerste und tiefste Getroffensein von einem Anruf, für den der Einzelne einzustehen hat, wenn es sein muss bis zum Martyrium. Religionsgeschichtlich kennen nur Judentum und Christentum den Martyrer61, aus dem Grunde, weil die mythisch-religiöse Bindung ein Rücktauchen voraussetzt in das, was alle denken, alle glauben, während hier etwas anderes sein Recht fordert: die Unersetzlichkeit des eigenen Standpunktes, eingefordert vom lebendigen Gott. Es ist wohl nicht einfach eine menschliche Entdeckung, sondern eben tatsächlich Durchbruch der Offenbarung, dass Gott anders ist als die Welt – während in den mütterlichen Kulturen Erde, Sonne, Mond, die Elementarkräfte der Welt immer auch dämonisch-göttliche Mächte waren. Gott ist anders als diese Welt, nicht identisch mit der Erde, nicht identisch mit der Fruchtbarkeit, nicht identisch mit Sexualität: eine Grundaussage Israels gegen Kanaan. Ebenso tief greifend die Offenbarung, die auf diesem unerschütterlichen Element aufruht, dass Gott gut ist, licht, ewig, Einer – Formulierungen, die nicht einer früheren Zeit angehören, wo sich helldunkle, unentscheidbare Potenzen, wo sich religiöse Urangst und religiöses Opfernmüssen mischen, wo ein unbekanntes Dunkel befriedet werden muss.

Gerade am Vater wird nun die entschiedene Eindeutigkeit des Guten offenkundig: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm“ (1 Joh 1,5) – während in der mythischen Polarität Licht und Finsternis in den Göttern (oder Gott und Teufel) sich die Waage halten. Auch die Zeit wird nun in ihrem Entscheidungscharakter erkannt; mit der Sprengung der antiken Kreisform wird das Empfinden der Wiederkehr des Gleichen und damit der Gleichgültigkeit des Geschehens aufgehoben. Geschichte wird unwiederholbar, weil fortschreitende Heilsgeschichte, wie im großen Entwurf des Augustinus in De civitate Dei; dies drückt sich in der Jahreszählung seit Christi Geburt aus. Damit setzt eine ungeheure Befreiung aus dem Ungegliedert-Richtungslosen des bloßen Nacheinanders der Jahre ein. (Demgegenüber ist übrigens das Kirchenjahr auf die gegenwärtige Erinnerung des Immergültigen gegründet.) So bringt die Vatergestalt Gottes das Bewusstsein von Endgültigkeit: nicht zuletzt vom unwiderruflichen Angenommensein im Guten, von der Durchsetzung des Rechtes und der Gerichtetheit, auch der Geistigkeit gegenüber dem Ungeordneten und Doppeldeutigen. Altes wie Neues Testament lassen sich daraufhin durchprüfen, wie verflochten die Bildlichkeit von Recht, Licht, Sonne, Gesetz und rechts sind; als auffälliges Beispiel dient Psalm 96: „Es freuen sich die Städte Judas deiner Urteile wegen, o Herr (. . .), ein Licht geht auf dem Gerechten und Freude den Rechtschaffenen im Herzen.“62 Und in der Apostelgeschichte spricht Paulus einen Pseudopropheten an: „Sohn des Teufels, Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, die rechten Wege des Herrn zu verdrehen? Nun ist die Hand des Herrn über dir, blind wirst du sein und die Sonne nicht sehen.“ (Apg 13,5 – 12)

Paulus spricht von jenem „Vater“, der die „Söhne“ ein für allemal adoptiert hat (Gal 4,5). Er gebraucht damit das Bild des römischen Vaters, der sein Kind nach der Geburt vom Boden aufhebt, es betrachtet und „entscheidet“, ob es rechtlich gesehen das seine ist. Hat er das Kind einmal angenommen – und diese Entscheidung zu Ja und Nein ist möglich –, so bleibt der Entschluss unverbrüchlich. Paulus benutzt die römische Rechtssprache, um die geistige Entschiedenheit, die Nichtumkehrbarkeit dieses Vorgangs auszudrücken, womit der Vatergott die Söhne adoptiert. Damit setzt nicht einfach eine Unterdrückungsgeschichte der mütterlichen Seite in Gott ein, sondern auch ein Durchbrechen von Qualitäten. Denn wenn Gott unerschütterlich zum Menschen entschlossen ist, heißt das wohl, dass auch der Mensch ihn immer ansprechen kann, ohne Angstschrei, ohne Opferzwang. Es ist jene Form des Gegenübertretens in Freiheit, das Nicht-mehr-Ausgeliefertsein, von dem Kierkegaard scharf beobachtend sagte, seit Jesus Christus seien die Menschen „frech“ geworden. In der Tat ist diese „Frechheit“ im Gegenentwurf gegen das Heidentum mitgegeben; denn wo die Treue Gottes so unverbrüchlich wird, wird selbst die Hölle zum Ort menschlicher Willensrichtung, nicht mehr aber – wie in der griechisch-römischen Antike – zu einem aufgezwungenen, unentrinnbaren Ort der schattenhaft Toten. Nochmals Paulus in einem von Grund auf klärenden Text: „Denn der Sohn Gottes (. . .) war nicht Nein und Ja, sondern in ihm war das Ja. Denn alle Verheißungen Gottes finden durch ihn das Ja.“ (2 Kor 1,19 f.)

Auf der Seite des menschlichen Selbstverständnisses antwortet dieser Versicherung das starke Ichgefühl des Einzelnen als eines Einmaligen, woraus sich der Gedanke der Person als des einzigartig Angerufenen entfaltet. Es gibt keine spätantiken Schriften, die derartig vom Gedanken der Freiheit und Unersetzlichkeit jedes einzelnen Menschen getragen sind wie die Paulus-Briefe. Hier sind auch die Kirchenväter mit der Weckung dieses Bewusstseins gegen die magisch-mythischen Kräfte anzusiedeln, ebenso die Rechtsgestalt der Kirche und ihre dogmatische (auf definitive Klarheit und Allgemeingültigkeit bedachte) Lehrstruktur. Was heute als Belastung und Einseitigkeit seines ausschließenden Charakters wegen empfunden werden könnte, ist in seinen geschichtlichen Ursprüngen eher eine Atem verleihende Eindeutigkeit des endlich gefundenen Begriffs und Inhalts der Wahrheit.

Hier setzt auch ein, dass die Frau in diese Personalität einbezogen ist: „Nicht Jude, nicht Heide, nicht Sklave, nicht Freier, nicht Mann, nicht Frau – ihr alle seid Einer in Christus.“ (Gal 3,28) Dieser ungeheure Satz kennt keine Parallele in der Literatur der Zeit. Die Frau wird in ihrer Personalität, d. h. in der Form des Geistigen und Verantwortlichen, präsent.63 Dennoch blieb der geschichtliche Träger des Geistigen, jenes Geschlecht, das gleichsam Klarheit, Gutheit, Wissen, Ordnung (auch in der Kirche) repräsentiert, überwiegend der Mann.

Dass in der Ausfaltung dieser Gedanken die mütterlichen Bilder Gottes in der Bibel nicht nur in der bildenden Kunst, sondern mehr noch im religiösen Bewusstsein weithin verschwanden64, ja dass bereits in der Redaktion der biblischen Texte solche Bilder entschärft wurden, ist ein Vorgang, der vor dem Hintergrund der Vaterkultur insgesamt gesehen werden muss. Noch einmal: Diese Einseitigkeit hat einer wünschenswerten Eindeutigkeit gegenüber den Polytheismen und ihrer mythischen Vieldeutigkeit gedient, ist aber darüber hinaus neu anzufragen.