Loe raamatut: «Der Katzenschatz»

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Buch 2

Der Katzenschatz

Hanna Nolden

Band 2 der Katzenbuch-Reihe


Machandel Verlag

2013

Widmung

Für Jan Paulsen, der nicht locker gelassen hat, bis dieses Buch endlich geschrieben wurde, und für meine Lieblings-Betaleser-Familie, die Bollhörner, die den Schatz bis nach Schottland und wieder zurück trugen.

In liebevoller Erinnerung an Divus und Scheitan, die süßesten Kater der Welt, sowie in großer Vorfreude auf Ramses.

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

Cover-Bildquelle: Moreen Blackthorne u.a./www.shutterstock.com

Innen-Illustrationen: Digital Clipart u.a./www.shutterstock.com

Haselünne

2013

ISBN 978-3-95959-093-8

Kapitel 1


„Jonas!“

Widerwillig machte Jonas die Augen auf. Das Hämmern an der Tür war unerträglich. Sogar die Ratten waren davon wach geworden. Und das, obwohl sie in der Nacht wieder eine ihrer Partys gefeiert hatten.

„Ich hab Ferien“, maulte er.

„Du kannst dir einen Zehner verdienen“, trällerte seine Mutter mit süßlicher Stimme. Jonas schnitt eine Grimasse und setzte sich auf. Er gähnte und fuhr sich durch die wirren braunen Haare. Er hörte das Knarren der Treppenstufen und wusste, dass seine Mutter ihren Posten verlassen hatte, jetzt, da sie ihn erfolgreich geweckt hatte. Einen Augenblick lang blieb Jonas noch auf der Kante des Bettes sitzen. Dann begrüßte er seine Ratten, die ihre kleinen Nasen durch die Gitterstäbe schoben und an seinen Fingern schnüffelten, als ob sie auf Leckereien hofften.

„Guten Morgen, William. Guten Morgen, Ignatio! Legt euch ruhig wieder hin. Nachher gibt's was Feines.“

Unten am Frühstückstisch trug seine Mutter blendende Laune zur Schau. Sie sang bei einem Lied im Radio mit, während sie French Toast in einer Pfanne brutzelte, und so tat, als hätte sie ihre Weckattacke längst vergessen. Erst als sie Jonas das Essen servierte und ihn anstrahlte, hatte er die Gelegenheit, sie zu fragen, worum es bei diesem plötzlichen Geldangebot eigentlich ging.

„Frau Rigby ist krank. Sie hat mich gebeten, für sie einkaufen zu gehen und ihre Katzen zu füttern. Aber wir bekommen heute in der Galerie eine Lieferung. Daher kann ich leider nicht.“

Jonas riss die Augen auf.

„Die Katzenfrau?“ Er erschauderte unwillkürlich. „No way! Das ist es nicht wert.“

„Jonas“, versuchte seine Mutter es liebevoll, aber er fiel ihr ins Wort: „Ich bin allergisch auf Katzen.“

„Du bildest dir ein, gegen Katzen allergisch zu sein“, korrigierte sie.

Die Wahrheit war: Jonas mochte keine Katzen. Und die Katzenfrau war ihm unheimlich.

„Du kannst ja Tabea mitnehmen“, schlug seine Mutter vor. „Tabea mag Katzen. Wolltet ihr euch heute nicht sowieso treffen?“

Ihm entging nicht, wie deutlich und betont seine Mutter den Namen seiner besten Freundin aussprach, und er musste sich auf die Zunge beißen, um sie nicht zu verbessern. Das war ohnehin vergebene Liebesmüh. Tabea war Visu, aber das irgendeinem Elternteil oder Lehrer zu erklären, hatte sie aufgegeben. Jonas selbst sah darüber hinweg. Ihn interessierte japanische Popmusik nicht im Geringsten, und an Tabeas auffälliger Kleidung und ihren ständig neuen Haarfarben und Frisuren hatte er sich derart satt gesehen, dass es ihm gar nicht mehr auffiel. Allerdings hielt er sich daran, sie Delilah zu nennen, wie sie es sich gewünscht hatte.

Jonas sah auf die Uhr. Seine Freundin hatte von 10 – 18 Uhr Internetverbot. Ein großer Teil der Visu- bzw. Visual Kei-Szene spielte sich online ab. Delilahs Mutter sorgte daher dafür, ihre Tochter regelmäßig aus dem Haus zu jagen. Anziehen und Schminken würden aber auch noch einmal eine Stunde in Anspruch nehmen. Zeit genug für ihn, in Ruhe zu frühstücken und duschen zu gehen.

„In Ordnung“, sagte er also. „Ich mach's. Wenn Delilah hier ist.“

Seine Mutter grinste ihn an. „Danke, mein Schatz. Dann bestell Frau Rigby einen schönen Gruß von mir. Ich mach mich jetzt fertig.“

Typisch. Seine Mutter hatte bekommen, was sie wollte. Jetzt ließ sie ihn allein, um sich ihrerseits für den Alltag aufzubrezeln – ganz so, wie Delilah es tat. Bloß eben auf Erwachsenenart.

Jonas hatte bereits geduscht und den Abwasch erledigt, als Delilah klingelte. Schnell versuchte er, etwas Ordnung in sein dichtes Haar zu bringen, aber nach ein paar Mal Drüberstreichen richtete es sich prompt wieder auf. Er seufzte und fragte sich kurz, warum er sich überhaupt die Mühe machte. Delilah allerdings hatte sich Mühe gegeben. Sie trug einen schwarzen Haarreif mit weißen Punkten und einem roten Schleifchen in ihrem schulterlangen, derzeit pinkfarbenen Haar. Dazu ein rot-schwarz gestreiftes, langärmeliges Oberteil und einen schwarzen Faltenrock.

„Süß siehst du aus“, sagte er und versuchte, beiläufig zu klingen, aber nachdem er sie so lange gemustert hatte, wirkte das unecht. Sie lächelte leicht und beugte sich zu ihm vor, wie um ihn zu umarmen oder ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Aber dann zuckte sie plötzlich zurück und richtete sich wieder auf. Jonas lächelte verlegen und tat so, als hätte er nichts bemerkt. Sie waren befreundet, seit sie sieben waren, aber in letzter Zeit war alles manchmal ein bisschen seltsam zwischen ihnen. Delilah hatte Brüste bekommen, die sie mit ihren Visu-Kleidern perfekt in Szene setzte. Und Jonas selbst hatte feststellen müssen, dass ihn diese Brüste längst nicht mehr kalt ließen.

Seine Mutter störte den leicht peinlichen Moment. „Hallo Tabea!“

Delilah verzog säuerlich das Gesicht. Jonas' Mutter hingegen strahlte sie an. Sie wusste ganz genau, dass Delilah es nicht mochte, Tabea genannt zu werden.

„Hat Jonas dir schon von eurem Auftrag erzählt?“

Delilah sah ihn fragend an.

„Wir sollen für die Katzenfrau einkaufen“, verriet er mit rollenden Augen.

„Oh!“ Die Sonne ging auf in Delilahs Gesicht. Das lag wohl zum einen an den Katzen und zum anderen an der Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit eines Supermarkts zeigen zu dürfen. Delilah liebte das Getuschel der Omis.

„Dann lass uns gleich aufbrechen!“, rief sie.

Auf den Straßen war nicht viel los. Es waren Ferien, und die meisten Erwachsenen, die nicht gerade arbeiteten, waren mit ihren Kindern in den Urlaub gefahren. Delilah war heute wenig gesprächig. Sie tauschten bloß ein paar Belanglosigkeiten aus. Jonas kaute unentwegt an seiner Unterlippe Er war nervös wegen der Katzenfrau. Er wusste nicht genau, warum, aber die Frau war ihm unheimlich. Delilah hingegen zeigte keinerlei Nervosität. Manchmal glaubte Jonas, sie hatte vor gar nichts Angst. Vielleicht lag das an ihrer Kostümierung, die sie schützte. Wie eine Rüstung gegen die Welt. Jonas betrachtete seine Freundin heimlich. Sie lächelte vor sich hin und checkte die Bürgersteige, um doch noch ein paar entsetzte Blicke zu erhaschen. Noch vor einem oder zwei Jahren hatte sie ganz anders ausgesehen. Lange, nussbraune Haare hatte sie gehabt und sich auch noch nicht geschminkt. Da hatte er sie auch noch Tabea nennen dürfen. Sie hatte mit ihren Eltern und einigen Katzen in einem schönen Haus mit großem Garten gelebt. Aber ihr Vater war irgendwann ausgezogen. Über Nacht. Einfach weg. Und Tabea war mit ihrer Mutter in eine kleine Wohnung gezogen. Eine Sozialwohnung, denn Tabeas Mutter war arbeitslos. Katzen waren dort nicht erlaubt. J-Pop schon. So hatte alles angefangen. Tabea war in dem Haus mit dem Garten geblieben. Und hier kam Delilah und hatte vor nichts mehr Angst.

Sie blieben vor dem Haus von Frau Rigby stehen. Ein alter Jägerzaun, windschief und morsch, umgab einen verwilderten Garten. Zwei Katzen saßen auf der Türschwelle und sahen die nahenden Gäste an, als wären sie die Torwächter. Aus dem Haus war Radau zu vernehmen. Es wimmelte darin nur so vor Katzen, das wusste Jonas, der schon ein paar Mal mit seiner Mutter hier gewesen war. Es klang so, als würde ein regelrechter Krieg im Haus toben. Delilah schien davon nichts zu bemerken. Schon hatte sie die Pforte aufgeschoben und ging auf die beiden Katzen zu.

„Hallo ihr Schönen!“, sagte sie freundlich und ging in die Hocke. Die erste Katze, schneeweiß und bildschön, kam und schnüffelte an ihrer Hand, so wie die Ratten es am Morgen mit Jonas getan hatten. Sie maunzte leise und stieß Delilah mit dem Köpfchen an. Delilah strahlte. Sie öffnete die Hand und streichelte die Weiße, die sich gleich hinlegte, um sich noch ausgiebiger verwöhnen zu lassen. Die andere Katze, schwarz bis auf eine weiße Pfote, und struppig obendrein, rührte sich nicht. Sie starrte Jonas unverwandt an, als würde sie ihm misstrauen. Jonas bekam eine Gänsehaut. Oh ja! Er wusste schon, warum er Katzen nicht mochte!

„Die haben bestimmt Flöhe“, sagte er und setzte sich ruckartig in Bewegung, um zu klingeln. Delilah erwiderte nichts. Die Weiße schnurrte unter ihren liebkosenden Händen.

Auf das Klingeln folgte eine kurze Stille, dann ging der Radau weiter. Die Stimme der alten Frau Rigby mischte sich unter die der Katzen.

„Komm ja schon. Komm ja schon.“

Die Tür ging auf und da stand sie. Eine kleine alte Frau mit schlohweißen, wirren Haaren. Sie trug ein quietschgelbes Hauskleid mit weißen Blümchen darauf und darüber eine fadenscheinige, weiße Schürze mit tiefen, ausgebeulten Taschen. Frau Rigby musterte Jonas so skeptisch, wie die schwarze Katze es zuvor getan hatte. Delilah schien sie gar nicht zu bemerken. Die alte Dame war allerdings auch ziemlich kurzsichtig, und schwerhörig obendrein.

„Jonas“, sagte sie. „Hallo! Deine Mutter hat schon angekündigt, dass du wohl kommen würdest.“

Sie nahm eine Liste und ein paar Geldscheine aus ihrer Schürze und drückte sie Jonas in die Hand.

„Hier ist die Liste und hier ist das Geld.“

Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, ging wieder ins Haus und schlug die Tür zu, so heftig, dass Jonas zusammenzuckte.

„War's das schon?“, fragte Delilah verwundert und kam langsam in die Höhe. Jonas zuckte die Achseln. „Offenbar.“

Delilah stöhnte, als sie beide mit Tüten beladen vom Supermarkt zurückkamen. Das größte Gewicht hatten die Dosen mit dem Katzenfutter. Jonas fragte sich, warum die Alte sich das Zeug nicht liefern ließ. Er selbst bestellte das Stroh und das Knabberzeug für seine Ratten im Internet. Klar, auf den Namen seines Vaters – aber die Rigby hatte doch gewiss ein Bankkonto. Aber nein, obwohl sie schlecht zu Fuß war und immer andere einspringen mussten, holte sie das Futter beim Supermarkt – der, nebenbei bemerkt, auch einen Lieferdienst hatte. So führte die gut gemeinte Nachbarschaftshilfe von Jonas’ Mutter und anderen zu einer zunehmenden Abhängigkeit der Frau und verhinderte ihre Selbstständigkeit und ihr Ankommen in der Gegenwart. Jonas grinste. Das hätte sich im Ethikunterricht bestimmt gut gemacht. Aber jetzt waren ja Ferien. Er beschleunigte seinen Gang.

„Komm schon, De – wir haben es ja gleich geschafft.“

Er stieß die Gartenpforte mit dem Knie auf. Auf dem Absatz vor der Haustür saßen wieder die beiden Katzen. Die Weiße maunzte freundlich in Delilahs Richtung zur Begrüßung. Die Schwarze starrte Jonas nur wieder misstrauisch an. Darauf schien sie sich der Weißen zuzuwenden und ihr etwas zu sagen. So klang es zumindest. Dann setzten sich beide Katzen in Bewegung und verschwanden durch die Katzenklappe ins Haus. Drinnen verstummte der Lärm und nur wenige Sekunden später ging die Tür auf. Frau Rigby stand dort und beäugte sie mit gerunzelter Stirn. Jonas bekam erneut eine Gänsehaut. Delilah ließ die Taschen sinken.

„Kommt rein, Kinder. Ich habe euch Limonade gemacht.“

Jonas konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. Limonade machen – schon wieder so ein altmodisches Zeug! Wer machte denn schon selber Limonade? Trotzdem: Durst hatte er. Er durchquerte hinter Delilah und Frau Rigby das Wohnzimmer. Überall saßen Katzen, aber sie schwiegen alle, starrten ihn an und ihm wurde trotz der Hitze eiskalt. Sie saßen auf Kratzbäumen, auf den Schränken, in den Regalen, auf dem Sofa, auf dem Couchtisch, sogar auf dem Fernseher. Aber unordentlich war es trotzdem nicht. Irgendwie hatte es Frau Rigby geschafft, trotz der vielen Katzen ein omamäßiges, gemütliches Zuhause zu behalten – bloß, dass alle Sitzmöglichkeiten bereits belegt waren … Das heißt: nicht ganz. Merkwürdigerweise war ein abgewetzter Ohrensessel aus bordeuxrotem Leder mit einem weißen Häkeldeckchen auf der Rückenlehne gänzlich unbesetzt von Katzen. Vermutlich war das der Platz, auf dem Frau Rigby immer saß. Es war seltsam, dass die Katzen ihn nicht einnahmen, wenn die alte Frau nicht da war – aber was verstand Jonas schon von Katzen. Vielleicht hatte sie ihnen irgendwie klar gemacht, dass das ihr Platz war.

Die Küche war sehr ordentlich. Zwei Katzen fraßen aus Näpfen am Boden, aber hier tummelte sich niemand auf den Küchenschränken oder den Borden. Jonas atmete auf. Mit den Tiermessies aus dem Fernsehen hatte Frau Rigby offenbar nichts gemein. Sie schien tatsächlich alles im Griff zu haben.

Sie stellten die Tüten am Boden ab und Frau Rigby begann, sie auszuladen.

„Setzt euch an den Küchentisch, Kinder. Und nehmt euch.“

Sie folgten der Anweisung. Die selbst gemachte Limonade befand sich in einer großen Bowlenschale und Delilah musste zum Einschenken eine Kelle benutzen. Entgegen Jonas’ Erwartungen war die Limonade köstlich! Und tatsächlich kein Vergleich zu dem Zeug aus Flaschen. Überrascht sah er zu Frau Rigby auf, die ihn belustigt ansah.

„Da staunst du, was? Jaja, ich hatte auch mal kleine Kinder.“

Jonas nahm noch etwas nach. Delilah schaute sich um und meinte: „Nett haben Sie es hier, Frau Rigby.“

Jonas staunte immer wieder darüber, wie höflich sie sein konnte, und wie gut sie es verstand, mit Erwachsenen Smalltalk zu betreiben.

„Danke, mein Schatz.“

Delilah lächelte. Während Jonas sie betrachtete, kam sie ihm unglaublich zerbrechlich vor. Er wusste, wie sehr seine Freundin die letzten Jahre gelitten hatte und wie empfänglich sie für freundliche Worte war. Manchmal hätte er sie am liebsten einfach in die Arme genommen oder ihr über die Haare gestrichen, aber das konnte sie nicht leiden. Freundliche Worte dagegen schon, und er gab sich immer Mühe, ihr Komplimente zu machen.

Als Frau Rigby die Einkäufe wegsortiert hatte, drückte sie ihm und Delilah jeweils einen 5-Euro-Schein in die Hand.

„Vielen Dank, Kinder. Das war wirklich sehr nett. Wenn ihr mögt, kommt mich doch mal besuchen. Dann mache ich Limonade für euch. Oder Aprikosenkuchen.“

Delilah strahlte.

„Danke schön! Sehr gerne!“

Jonas verkrampfte sich. Das meinte sie doch wohl nicht ernst! Hier in der Küche war Frau Rigby zwar weniger unheimlich, aber zurück im Wohnzimmer bekam er schon wieder eine Gänsehaut. Auf einmal ging ein großes Gemaunze los und der Radau, den er von draußen gehört hatte, schwoll wieder an. Die Katzen kamen in Bewegung. Überall um ihn wuselte es. Jonas wurde schwindelig. Er konnte nicht sagen, warum, aber er fühlte sich bedroht. Alles drehte sich. Er wollte sich die Ohren zuhalten. Plötzlich kippte die Welt – nein, er kippte! Und dann war alles schwarz.

Kapitel 2


Flatternd öffnete Jonas die Augen und schloss sie gleich wieder. Sein Kopf dröhnte.

„Ich glaube, er kommt zu sich“, drang eine ihm unbekannte, irgendwie fremdartig klingende Stim-me an sein Ohr.

„Es hat tatsächlich funktioniert!“, sagte eine andere ebenso unbekannte und ebenso sonderbare Stimme. „Er ist tatsächlich einer von denen.“

„Beruhigt euch, Kinder“, hörte er Frau Rigby sagen. „Lasst ihn doch erst einmal zu sich kommen.“

Jetzt machte er die Augen auf und sah in die Gesichter der alten Frau und zweier Katzen – der weißen und der schwarzen von draußen.

„Miau!“, machte die Weiße aufmunternd und stieß ihn mit dem Kopf an. Und dann … Jonas konnte es nicht fassen! Sein Sturz musste heftiger gewesen sein, als er zunächst angenommen hatte. Eine andere Erklärung gab es nicht. Die Katze sprach mit ihm. Sie maunzte zwar, aber er konnte sie verstehen! „Wie geht's dir, mein Kleiner?“

Ruckartig setzte Jonas sich auf. Er rieb sich den Kopf. Was war hier los? Die schwarze Katze schien zu lachen – ihn auszulachen!

„Caligula!“, sagte die Weiße streng. „Das ist nicht sehr nett.“

Jonas keuchte und rückte ein Stück von der sprechenden Katze weg, aber sofort waren andere Katzen da, die ihn beschnüffelten und ihre Köpfe und Leiber an ihm rieben und deren Schwanzspitzen seine Nase kitzelten.

„Delilah!“, rief er panisch. „Delilah!“

„Ich komme ja schon!“

Sie kam aus der Küche geeilt und hatte ein Glas Wasser in der Hand. Sie ging neben ihm auf die Knie. „Hast du denn nicht gefrühstückt?“, fragte sie besorgt.

Er rieb sich erneut den Kopf, dann nahm er das Glas entgegen.

„Doch, schon“, murmelte er verwirrt. „Ich weiß nicht …“

„Trink erst mal.“

Er nahm einen großen Schluck Wasser. Die Katzen schwiegen und verharrten jetzt, als würden sie auf etwas warten. Jonas ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.

„Ich will hier raus!“, rief er und stemmte sich hoch. Er stellte das Glas auf einem Tischchen ab und taumelte Richtung Tür. Er hörte noch, wie Delilah ein paar entschuldigende Worte an Frau Rigby richtete, dann waren sie draußen. Eilig durchquerte er den Vorgarten und auf der Straße rannte er fast. Delilah hastete hinter ihm her.

„Jonas!“ Sie schloss zu ihm auf und legte eine Hand auf seine Schulter. „Was ist denn nur los?“

„Ich hasse Katzen“, fauchte er und schüttelte Delilahs Hand ab. Er war sauer und wusste selbst nicht einmal warum. Vielleicht war es einfach seine eigene Angst, die ihn wütend machte. Er sprach nicht mehr mit Delilah auf dem Weg nach Hause. Er ging auch stets zwei Schritte vor ihr, und sie folgte ihm vorsichtig. In seinem Kopf hämmerte immer nur ein und derselbe Gedanke: Die Katze hat gesprochen! Jonas ging so schnell, als würde er vor dem Gedanken fliehen wollen, aber er konnte ihn nicht abschütteln. Sein Herz schlug wie verrückt und wollte sich nicht beruhigen. Als er die Haustür aufschloss, merkte er, dass seine Hände zitterten. Wieder wurde ihm schwindelig. Er schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen die Haustür. Da spürte er Delilahs Hand auf seiner Schulter.

„Soll ich mit reinkommen?“

Jonas nickte schwach und schob die Tür auf. Ihm war nicht nach Reden, aber er hatte Angst und wollte jetzt nicht allein sein. Kaum im Haus rannte er die Treppe hinauf in sein Zimmer, ließ sich auf das Bett fallen und starrte an die Decke. Dieser eine Satz rotierte immer noch in seinem Kopf und ließ keinen anderen Gedanken zu. Delilah setzte sich zu ihm auf die Bettkante und legte fürsorglich eine Hand auf seine Stirn.

„Soll ich deine Mutter anrufen? Vielleicht brauchst du einen Arzt.“

Jonas schüttelte den Kopf.

„Mir geht es gleich besser“, versprach er und versuchte inständig, selbst daran zu glauben. „Keine Ahnung, was das war!“

Das Reden half irgendwie. Ja. Er war ein Mensch und er konnte sprechen. Aber Katzen konnten definitiv nicht sprechen! Das war absolut unmöglich! Delilah strich ihm vorsichtig durchs Haar, aber als er unter ihrer Berührung zusammenzuckte, entschuldigte sie sich und stand auf.

„Ich hol dir was zu trinken“, sagte sie und verließ das Zimmer. Während sie weg war, versuchte Jonas sich zu sammeln. Delilah war hier zu Besuch. Eigentlich wäre es an ihm, ihr etwas zu trinken zu holen. Er setzte sich auf. Delilah war seine beste Freundin, trotzdem scheute er davor zurück, sich ihr anzuvertrauen. Sie würde ihn für verrückt halten. Er war drauf und dran, sich selbst für verrückt zu halten! Die Vorstellung, mit diesem Gedanken, nach diesem Erlebnis, hier ganz allein zu sein, war unerträglich. Delilah durfte jetzt auf keinen Fall nach Hause gehen!

Als Delilah nach einer Weile mit zwei Gläsern, einer Flasche Cola und einer Packung Kekse auf einem Tablett zurück kam, hatte Jonas sich einigermaßen sortiert und beschlossen, das seltsame Ereignis zu verdrängen.

„Danke, De“, sagte er etwas erschöpft. „Wollen wir die Playstation anschmeißen?“

„Okay.“

Delilah stellte das Tablett ab und griff nach der Fernbedienung. Es funktionierte. Das Spielen lenkte Jonas so gut ab, dass die Zeit verflog. Zumindest bis Delilahs Armbanduhr anfing zu piepsen.

„Die Internetsperre ist um“, sagte sie entschuldigend. So spontan fiel Jonas kein überzeugender Grund ein, sie noch länger zum Bleiben zu überreden. Daher machte sich Delilah auf den Nachhauseweg.

Jonas’ Mutter war immer noch nicht zuhause, und er begann ein bisschen unruhig zu werden. Zwar bemühte er sich, nicht an diesen unheimlichen Zwischenfall zu denken, aber der schlich sich trotzdem immer wieder zurück in seine Gedanken. Um sich abzulenken, versorgte Jonas erst einmal seine beiden Farbratten. Während er den Käfig saubermachte, saßen William und Ignatio in einem Pappkarton. Wieder bekam Jonas eine Gänsehaut. Wo die beiden Ratten sonst immer wie wild im Kreis herumrannten, saßen sie jetzt ruhig in einer Ecke des Kartons und sahen ihm bei der Arbeit zu. Gruselig! Jonas fing an zu schwitzen und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.

„Verrückt“, murmelte er. „Verrückter Tag!“

Und er sollte noch viel verrückter werden.

Jonas' Mutter war sehr müde, als sie nach ihrem langen Tag in der Galerie nach Hause kam. Da es schon so spät war, hatte sie Cheeseburger und Pommes mitgebracht.

„Wie war es denn bei Frau Rigby?“, fragte sie, während sie in ihrem Feierabendkaffee rührte. Jonas zuckte zusammen, als hätte sie ihn aus tiefsten Träumen gerissen.

„Ich weiß nicht“, sagte er. „Es war merkwürdig. Ich bin …“ er sah beschämt zu Boden, „… ohnmächtig geworden.“

Seine Mutter ließ den Löffel los, der scheppernd in den Becher zurück fiel.

„Was?“

Besorgt kam sie um den Tisch herum und legte, wie Delilah zuvor, eine Hand auf seine Stirn.

Jonas machte sich los und fragte sich kurz, ob solche Fürsorge Frauen in die Wiege gelegt wurde.

„Bist du krank? Fühlst du dich nicht wohl? Warum hast du mich nicht angerufen? Du gehst gleich morgen zum Arzt!“

„Mama!“, wehrte er ab. „Es war nichts. Wirklich! Vielleicht war es einfach die Hitze.“

Seine Mutter schüttelte den Kopf.

„Trotzdem, Jonas. Ich möchte da lieber auf Nummer sicher gehen.“

Jonas verkniff sich ein genervtes Stöhnen. Auf einen sinnlos beim Arzt vergeudeten Vormittag hatte er nun wirklich keine Lust. Doch er wusste, dass er in diesem Punkt kein Mitspracherecht hatte. Seine Mutter betrachtete schuldbewusst die Papiertüten und die Verpackungen der Burger und Pommes. Dann seufzte sie. „Wir sollten uns besser ernähren.“

„Komm schon, Mama. Das ist okay.“

Er legte tröstend die Arme um sie. Er hatte seine Mama sehr gern und merkte es sofort, wenn sie wieder mal das Gefühl hatte, eine schlechte Mutter zu sein. Das kam häufiger vor, besonders dann, wenn die Ökomuttis vom Elternbeirat der Schule sie mal wieder zu fassen bekommen hatten.

„Wir ernähren uns gut genug“, sagte er und angelte sich demonstrativ einen Apfel aus der Obstschale. Sie lächelte versöhnlich und strich ihm über die Wange.

„Du bist ein lieber Junge, Jonas.“

„Ich weiß“, erwiderte er, biss von dem Apfel ab und fügte mit vollem Mund hinzu: „Trotzdem gehe ich jetzt in mein Zimmer.“

„Tu das. Ich mach auch nicht mehr lange. Ich guck nur noch meine Serien.“

Das war allerdings etwas, das seine Mutter nur tat, wenn sein Vater mal wieder auf Geschäftsreise war. Für die restliche Zeit des Jahres interessierte sie sich keine Spur für Daily Soaps. Aber wenn sie die Abende und Nächte allein verbringen musste, nahm sie sich am Tage alle möglichen Serien auf Video auf und sah sie sich abends zum Einschlafen an. Jonas war sich nicht einmal sicher, ob sein Vater von dieser Eigenart wusste.

Jonas machte sich bettfertig und beschloss, nur noch ein bisschen zu lesen. Als er in sein Zimmer kam, hatte er wieder den Eindruck, die beiden Ratten würden ihn beobachten. Der dicke William saß auf einem Stück Apfel, aber entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten aß er nicht. Er sah ihn bloß aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Und Ignatio, dunkelbraun und weiß, saß in einer Ecke des Käfigs und tat … nichts! Für gewöhnlich waren die Ratten immer in Bewegung. Nur wenn sie schliefen, hielten sie still. Aber die beiden schliefen nicht. Nein, sie starrten ihn an! Das war so unheimlich, dass er einen Moment lang ernsthaft darüber nachdachte, seiner Mutter beim Seriengucken Gesellschaft zu leisten. Er schüttelte den Kopf. So ein Schwachsinn! Über sich selbst verärgert ging er zum Fenster und machte es weit auf. Eine leichte Brise fuhr ihm durchs Haar. Draußen war es inzwischen etwas abgekühlt, während es in dem Zimmer unter dem Dach immer noch unerträglich heiß war. Jonas beschloss, sich abzulenken und machte es sich auf seinem Bett gemütlich. Für die Sommerferien hatte er sich einen großen Stapel Bücher und Comics aus der Bibliothek ausgeliehen. Das Lesen würde ihn ablenken, und er freute sich schon darauf, mit der Nase in einem Buch einzuschlafen.

Genau so geschah es dann auch.

Als Jonas die Augen aufschlug, war es dunkel im Zimmer. Nur die Straßenlaterne draußen vor dem Fenster spendete ein wenig Licht. Die Ziffern seines Radioweckers verrieten ihm, dass es kurz vor halb zwölf war. Dieser verrückte Tag war also noch nicht vorbei. Das Fenster stand immer noch weit offen und der Vorhang flatterte im aufgefrischten Wind. Wieder hatte Jonas das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Und es war auch ungewohnt ruhig in seinem Zimmer. Die Rattenparty sollte längst im Gange sein, aber das Laufrad stand still. Nicht einmal ein Rascheln war zu hören. Jonas starrte zum Fenster. Er wusste, er sollte jetzt aufstehen, es schließen und sich einen Narren schimpfen, aber er konnte sich nicht rühren. Er hatte Angst. Richtig Angst!

Plötzlich huschte ein Schatten auf seine Fensterbank und direkt danach noch einer. Lautlos. Und da saßen sie nun: die sprechenden Katzen von Frau Rigby. Die schwarze und die weiße, die vor der Haustür gesessen hatten. Jonas machte einen Satz nach hinten, die Bettdecke mit sich reißend, und schlug schmerzhaft mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Im Rattenkäfig fing es an, laut zu werden. William und Ignatio hatten den Feind entdeckt. Die schwarze Katze fauchte in Richtung des Käfigs. Jonas zuckte heftig zusammen. Dann hörte er den gleichen maßregelnden Ausruf wie am Nachmittag: „Caligula!“

Das kam von der weißen Katze. Jonas schnappte nach Luft. Aber es war so – genau so! Die Katze hatte gesprochen, und er hatte sie verstanden. Die weiße Katze sah die schwarze an und sagte klar und deutlich zu ihr: „Caligula, wir haben einen Auftrag, und wenn du dich nicht benehmen kannst, fliegst du aus dem Team!“

Die schwarze Katze fauchte erneut. Dann hob sie stolz den Kopf und wandte demonstrativ den Blick ab. Sie tat so, als würde Jonas’ Deckenlampe sie außerordentlich interessieren. Die weiße Katze ließ ein missbilligendes Maunzen erklingen, dann sprang sie mit einem Satz auf Jonas’ Bett. Jonas’ Hände krallten sich in die Bettdecke. Er wollte vor dem Tier zurückweichen, aber er saß ja schon an der Wand. Die Katze schnurrte, offenbar, um ihn zu beruhigen. Das funktionierte aber nicht. Dann sah sie ihn, wie ihm schien, sehr ernst an.

„Hallo Jonas“, sagte sie freundlich. „Ich weiß, dass du Angst hast, aber das musst du nicht. Wir können dir alles erklären. Ich bin Lady. Und das dort drüben“, Sie nickte in Richtung Fenster, „ist Caligula. Er ist noch jung und sehr katzisch. Katerisch, um genau zu sein.“

Jonas schwirrte der Kopf. Erwartete sie, dass er antwortete? Die Katze sah ihn eine Weile lang nur an. Dann stieß sie ihn mit dem Kopf an und meinte: „Alles okay bei dir? Du wirst doch nicht wieder ohnmächtig, oder?“

„Ich …“ krächzte er. „Ich … warum kannst du sprechen?“

„Miau“, machte die Katze und es klang wie ein Lachen. „Das ist die falsche Frage. Alle Tiere können sprechen. Die richtige Frage wäre: warum kannst du mich verstehen.“

Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

„Die Limonade!“

„Helles Köpfchen!“, rief Caligula spöttisch von der Fensterbank, und Jonas fuhr erneut zusammen. Er hatte den schwarzen Kater fast vergessen. Der setzte sich nun in Bewegung und sprang mit einem eleganten Satz neben Lady auf Jonas' Bett. Allerdings rollte er sich am Fußende zusammen und begann zu schnurren, als wäre er eine ganz gewöhnliche Katze … oder war er eine gewöhnliche Katze? Konnten wirklich alle Katzen … alle Tiere sprechen?

Jonas sah Lady an, die wieder angefangen hatte zu schnurren. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus und kraulte sie zögerlich zwischen den Ohren. Ihr Fell war ganz seidig. Während er sie streichelte, begann er langsam etwas lockerer zu werden, was Lady wohl auch beabsichtigt hatte.

„Warum hat es bei Delilah nicht funktioniert?“, fragte er.

„Ach. Das wäre wirklich schön gewesen. Sie ist so ein nettes Mädchen!“

Das hörte Delilah sicher gern, beantwortete aber nicht seine Frage.

„Es funktioniert leider nicht bei jedem Menschen. Man braucht eine Grundbegabung dafür. Vermutlich ist es erblich. Aber da sind wir uns nicht sicher. Durch die Limonade wird die Fähigkeit aktiviert. Naja, natürlich nicht durch die Limonade selbst. Wir haben ein Zauberpulver hineingegeben, das im alten Ägypten entwickelt wurde, als die Katzen noch im Besitz des Schatzes waren.“

Tasuta katkend on lõppenud.

€1,99

Žanrid ja sildid

Vanusepiirang:
18+
Objętość:
127 lk 13 illustratsiooni
ISBN:
9783959590938
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:

Selle raamatuga loetakse