Loe raamatut: «Vatter - es kostet nix», lehekülg 4

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„Aber Hildegard, der ganze Wanderverein wird staunen und unser Tanzkurs doch auch. Und was glaubst Du, wie stolz Klaus und Andrea und die Kinder auf uns sind, wenn wir in der Zeitung stehen“, motivierte Alma ihre Freundin.

Klaus nutzte gleich die Gunst der Stunde und teilte die vier Überraschungsgäste zum Anfeuern an der Strecke ein. Und auch Emil stand mit Mila und Anton an dem Feldweg, während Andrea auf ihre kleine Tochter im Ziel wartete. Uwe, Stephan und Willi wollten etwas vor dem Ziel Emma anfeuern und mussten sich sehr beherrschen, nicht mitzulaufen. Denn dann wäre Emma disqualifiziert worden. Klaus begleitete Emma zum Start und gab ihr noch die letzten Tipps, die Emma aber wegen der großen Aufregung nur nervten.

Mit der Hilfe von so viel Anfeuerung schaffte Emma die drei Kilometer Rennen problemlos, auch wenn sie japsend und mit hochrotem Kopf im Mittelfeld ins Ziel kam.

Nachmittags fuhren nur Klaus und Andrea mit Emma in das Hallenbad zur Schwimmprüfung. Die Jungs wollten lieber Mountain Bike fahren und Alma würde die wertvolle Zeit mit dem Cabrio nutzen und mit ihren Freunden eine Spritztour zum Edersee machen.

Emma belegte bei der Schwimmprüfung den zweiten Platz und war sehr zufrieden mit sich. Auch der Rest ihres Teams hatte gut abgeschnitten und gute Punkte gesammelt.

Abends hatten die Mütter aller Kinder ein Essen im Dorf­gemeinschaftshaus vorbereitet und die Väter hatten gemeinsam die vielen Kästen Getränke besorgt. Die einzelnen Teams hatten jeweils einen Programmpunkt vor­bereitet, sodass der Abend mit allen Teilnehmern aus ganz Hessen lustig und kurzweilig wurde.

Während Klaus half, Bier auszuschenken und Getränke zu verteilen, saß Emma mit Andrea, zwei Freundinnen und deren Müttern am Tisch von Astrid, der Tierärztin, und Jost, dem Hufschmied.

Emma bekam sehr lange Ohren, als Jost erzählte, dass nächste Woche wohl ein Schäfer mit einer großen Herde an dem Reiterhof vorbeiziehen würde. Drei große Wiesen wären für die vielen Schafe reserviert. „Denn die müssen sich ausruhen. Viele Schafe sind trächtig und jetzt ist doch die Zeit, wo die Osterlämmer geboren werden.“ Damit hatte Jost bei den Mädchen den richtigen Nerv getroffen.

„Osterlämmer, oh wie süß. Mama, die müssen wir uns unbedingt ansehen.“

„Sicher, Emma, wir sind doch sowieso fast jeden Tag auf dem Hof, dann reiten wir einfach mal vorbei“, schlug Andrea ihrer überaus tierlieben kleinen Tochter vor.

Am Sonntag ging für das Team von Emma alles glatt. Bei der morgendlichen Dressurprüfung parierte Emmas Pony so gut, dass Emma mit Wertnote 8,0 sehr gut platziert wurde und den dritten Platz belegte.

Mittags zur letzten Prüfung waren nicht nur die Brüder mit Mila wieder mitgekommen. Auch das weiße Cabrio mit den vier Ausflüglern war wieder rechtzeitig auf den Hof gefahren. Alle wollten Emma bei ihrer letzten, spannenden Springprüfung sehen und die Daumen drücken.

Als Emma mit ihrem Pony Schmidtchen aufgerufen wurde, klatschten alle begeistert, hielten aber den Atem an, als Emma nach dem Grüßen an die Richter startete. Und auch hier ließ sich Schmidtchen von Emma hervorragend führen, sprang ohne einen Abwurf über die acht Hindernisse und trug Emma in einer fabelhaften Zeit ins Ziel. Emma hatte das Springen gewonnen. Ihr Team, die ganze Familie Thaler, Fräulein Saurbier, Otto, Waldemar und der ganze Hof standen auf und applaudierten johlend und pfeifend.

Das Team von Emma hatte im Endergebnis, auch durch Emmas gutes Abschneiden, den zweiten Platz im gesamten hessischen Vierkampf belegt. Alle freuten sich sehr und strahlten winkend, als sie ihre Schleifen und ihre Sachpreise bekamen.

Und Andrea, Klaus, die Brüder und Oma Alma waren auch sehr stolz auf Emma, die den Vierkampf so gut überstanden hatte. Sogar Oma Gisela und Opa Herbert riefen am Sonntagabend extra noch aus Spanien an und gratulierten ihrer kleinen Enkelin von ganzem Herzen.

5

In der folgenden Woche stellte Emma mit größtem Interesse fest, dass sich tatsächlich ein Schäfer mit über dreihundert Schafen auf den freien Weiden des Reiterhofs einquartiert hatte.

Auf den Teerwegen lagen überall Schafsködel, das Geblöke der Schafe schallte bis zum Hof, und drei Schäferhunde umrundeten wachsam die große Herde, damit kein Schaf verloren ging. Am Rande einer Wiese hatte der Schäfer seinen Schäferwagen abgestellt. So konnte er direkt bei seiner Herde schlafen.

Emma bettelte und bekniete ihre Mutter, weil sie sich die Schafe und die süßen Lämmer schnellstens ansehen wollte.

„Die nächsten Tage kriegen wir noch mehr kleine Lämmer. Dann wird es für Dich noch interessanter. Kommt einfach nochmal vorbei“, lud der alte knorrige Schäfer die kleine Tierfreundin mit ihrer Mutter ein.

Emma schaute jeden Nachmittag vorbei.

Und endlich waren die kleinen Lämmer geboren. Ganz klein, hilflos und von ihren Müttern liebevoll geleckt und behütet.

Emma war fasziniert und erzählte jeden Abend zu Hause nur noch von den süßen kleinen Schafbabys.

Am vierten Tag erzählte der alte Schäfer, der Pfeife rauchend in seinem grünen Umhang auf seinen Schäferstock gestützt am Rande der Wiese stand, dass ein Schaf in der Nacht gleich zwei Lämmer geboren hatte.

„Das kommt sehr selten vor. Der kleine Bock wird ganz sicher überleben. Der ist kräftig und trinkt schon sehr gut bei seiner Mutter. Aber das andere kleine Lämmchen ist viel zu klein und zu schwach. Das Schäfchen schafft es einfach nicht, allein bei seiner Mutter zu trinken. Ich befürchte, dass das schwache Tier in den nächsten Tagen sterben wird. Vor allem, weil es nachts ja noch richtig kalt wird hier draußen“, erzählte der Schäfer bekümmert Emma und Andrea.

Emma wollte das kleine schwache Lämmchen unbedingt sehen.

„Na dann kommt mal mit, aber erschreckt Euch nicht.“ Der alte Mann führte Emma und Andrea durch die Herde. Die Schafe wichen blökend zur Seite. Einige kleine Lämmer liefen dicht hinter ihren Müttern her. Endlich hielt Adam, der Schäfer, vor einem Mutterschaf. Unter ihrem Bauch stand ein kleiner Bock und saugte schon kräftig Milch. Und daneben lag seine klitzekleine Schwester und war zu schwach, aufzustehen. Ein Häufchen Lammelend schaute Emma und Andrea aus großen Augen hilflos an.

Nackt, dreckig, zitternd und noch blutverkrustet.

Emma musste spontan weinen vor Mitleid.

„Mama, darf ich mich um das kleine Lämmchen kümmern?“

„Aber Emma, wir sind doch nur nachmittags auf dem Hof und Du weißt doch, dass das Schäfchen leider zu schwach zum Überleben ist.“

„Das stimmt wohl“, meinte Adam, „das Lämmchen hätte nur eine ganz kleine Chance zu überleben, wenn es ganz warmgehalten wird und alle zwei Stunden eine Aufbaumilch bekommt. Sogar nachts.“

„Mama, ich schaffe das, glaub‘ mir. Mama, lass uns doch das arme Lämmchen mit nach Hause nehmen, bitte, bitte. Ich baue ihr auch ein warmes Nest und verspreche ganz, ganz fest, dass ich mich ständig um das Schäfchen kümmern werde. Ehrenwort, Mama.“

„Emma, ich glaube Dir das ja. Aber stell‘ Dir doch mal vor, was der Papa sagen wird. Und wo soll das Schäfchen überhaupt wohnen?“

„Mami, ich will auch immer ganz fleißig in der Schule lernen. Und ich will nie, nie wieder irgendein Geschenk haben, wenn wir das Lämmchen mitnehmen. Das wird den Papi doch auch freuen, wenn er die Geschenke für mich spart.“

Andrea musste bei den haltlosen Versprechungen von Emma lächeln.

„Mami, lass uns doch das Lämmchen einfach mal mitnehmen. Hier stirbt es doch sowieso. Und zu Hause könnte es vielleicht überleben. Ich hab‘ doch jetzt Osterferien, da fahren wir ja dieses Jahr nicht weg, weil Anton für sein Abi büffelt. Da hab` ich doch Zeit, mich um das arme Würmchen zu kümmern. Und wenn der Papi das Lämmchen erstmal sieht, findet er es bestimmt auch ganz süß. Und die Brüder auch. Emil hilft mir bestimmt gern mit der kleinen Lotti.“

Emma war so voller Eifer, dass sie dem kleinen, schwachen Bündel Lämmchen spontan einen Namen gegeben hatte: Lotti.

„Aber wie wird unsere Mila reagieren. Stell‘ Dir mal vor, unser Hund wird eifersüchtig“, konterte Andrea immer schwächer

„Also das ist eher unwahrscheinlich. Wenn Euer Hund nicht verhaltensgestört ist, wird er das kleine, schwache Lämmchen eher beschützen. So ist auf jeden Fall meine Erfahrung mit Hunden“, unterstützte der alte Schäfer Emma.

Seufzend und noch voller Zweifel ließ sich Andrea breit­schlagen und holte ein großes Handtuch aus ihrem Wand­schrank im Stall.

Ganz vorsichtig hob Emma Lotti auf und packte das zitternde, ängstliche Lämmchen warm ein. Lotti fiepte hilflos. Ihre Mutter leckte das kleine Böckchen und kümmerte sich nicht um das kleine Lämmchen. Lotti war so klein, dass sie in beide Händchen von Emma passte.

„Mama, lass uns vorher noch bei Astrid vorbeifahren.“

Astrid, die Tierärztin, konnte ihnen bestimmt weiterhelfen und Tipps geben, wie das kleine Elend die nächsten Wochen überstehen könnte.

Also fuhren die beiden Samariter ins Nachbardorf, wo Astrid ihre Praxis hatte.

Astrid war auch ganz gerührt, als sie das kleine, zitternde Wesen in Emmas Armen sah. Sie gab Andrea und Emma Milchpulver für eine Aufbaumilch, eine Flasche und einen kräftigen Sauger mit.

„Viel Glück mit der kleinen Lotti. Vielleicht schafft Ihr es ja, und sie bleibt am Leben. Aber das kostet Euch viel, viel Arbeit.“

Als Emma mit ihrer Mutter nach Hause kam und Andrea die alte Haustür geöffnet hatte, trat Emma zögernd in den Flur.

„Lieber Gott, mach‘ bitte, bitte, dass mein Papi nicht böse wird und Lotti zurückschickt“, betete Emma ganz leise.

„Familie, Familie, kommt mal ganz schnell runter und guckt mal. Wir haben Besuch. Lotti ist da“, flötete Emma aufge­regt im Treppenhaus.

Türenschlagen im Obergeschoß. Getrampel auf der Holztreppe.

„Was schreist Du denn so? Hast Du eine neue Freundin mitgebracht?“

Anton war zwar etwas genervt, aber auch für die Unter­brechung beim eintönigen Lernen dankbar. Hinter ihm kam Emil die Treppe runter. Und Klaus stapfte aus seinem Hobbyraum im Keller die Treppe hoch.

„Deine Freundin kann gern zum Abendessen bleiben. Ist die noch draußen?“ wollte Klaus wissen.

Nur Emil hatte das winzige Köpfchen, das ängstlich aus dem Frotteehandtuch schaute, entdeckt.

„Guckt doch mal, was Emma da mitgebracht hat.“ Emil war sofort ganz hingerissen. Jetzt trottete Mila neugierig schnuppernd in Richtung Emma.

„Na, Emma, dann ist ja auch klar, was Mama Ostern zu essen macht“, lästerte Anton gefühllos, als er das Lämmchen auch entdeckt hatte.

Emma schossen die Tränen in die Augen.

„Das ist Lotti. Und sie ist ganz klein und schwach. Und ich sorge für sie. Lotti wird nie, nie, nie geschlachtet.“

Klaus näherte sich im ersten Moment sprachlos und entsetzt dem Lämmchen. Er war auch etwas beleidigt.

„Also ich finde, da müssen wir aber nochmal in Ruhe drüber sprechen, ob wir das Tier behalten. Wir sind kein Zoo und keine Tierklinik. Außerdem haben wir schon Mila. Und Du hättest mich ruhig vorher mal anrufen können“, knurrte Klaus enttäuscht und vorwurfsvoll Richtung Andrea, weil er sich überrumpelt fühlte.

„Schätzchen, das ging alles so rasend schnell. Und wenn wir dem Tierchen nicht helfen, dann stirbt es. Sie ist viel zu klein und viel zu schwach. Tut mir leid, dass wir Dich nicht angerufen haben.“ Andrea schaute ihren Mann treuherzig an und nahm ihm den Wind aus den Segeln.

Auch Lotti schaute Klaus aus ihren unschuldigen Kuller­augen ganz hilflos an und ließ ein schwaches „Määh“ hören. Klaus war gegen seinen Willen gerührt. Emil hatte sich dem Lämmchen schon genähert und betrachtete begeistert das kleine Wesen.

Anton tat seine rohe Bemerkung schon wieder leid. „Wenn mein Abi durch ist, helfe ich Dir auch, Emma.“

Klaus streckte vorsichtig seine Hand Richtung Lamm­schnäuzchen und begann mit einem zaghaften „Miez, miez, miez, miez“ das Tierchen zu locken.

„Vatter, bist Du denn in der Blüte Deiner Jahre schon voll­kommen senil?“

„Papa, das ist doch keine Katze, die Du so rufen kannst.“

„Also Papi. Wenn Du Lotti rufst, dann mit einem „Määääh“, oder Du gewöhnst sie am besten an ihren Namen.“

„Ja, ja, Ihr habt ja Recht, Kinder. Dann lasst Mila auch mal schnuppern. Die drängelt schon die ganze Zeit an mir vorbei.“

Emma hielt das Handvoll Lämmchen nach unten, sodass Mila endlich schnuppern konnte. Die einfühlsame Hündin spürte sofort, wie hilflos und schwach das kleine Lammbaby war und näherte sich ganz vorsichtig mit ihrer Schnauze dem Köpfchen von Lotti. Ganz sanft leckte Mila das Lämmchen und zeigte der ganzen Familie, dass sie das Lämmchen als neues Mitglied ihres Rudels angenommen hatte. Und sicherlich auch beschützen würde.

Und Lotti reckte ihr Köpfchen noch mehr aus dem Hand­tuch und betrachtete mit wachsendem Interesse ihre neue „Herde“.

„Na, ja, wenn Ihr die Lotti jetzt schon so ins Herz ge­schlossen habt, dann kommt doch alle mit in die Küche. Wir halten mal Familienrat, wie wir dem Tierchen helfen können.“

Während Klaus vorging und die beiden Jungs mit Mila folgten, schaute Emma ihre Mutter dankbar an.

„Ich glaub‘, die erste Hürde hast Du schon mal gut geschafft, Emma“, flüsterte Andrea ihrer kleinen Tochter zu.

Lotti

1

Die ersten Wochen mit Lotti waren sehr hart. Viel härter, als sich das Emma und Andrea hätten träumen lassen. Wenn sie überhaupt Zeit zum Träumen gehabt hätten. Am Anfang hatte Emma Milas erstes Hundekörbchen vom Boden geholt, in den Flur gestellt und mit Decken weich gepolstert. Da sollte Lotti schlafen. Aber das kleine Lämmchen schrie so herzzerreißend nach Emma, ihrer Ziehmutter, dass selbst Klaus nach der zweiten Nacht mit Ohrstöpseln genervt erlaubte, dass das Körbchen in Emmas Zimmer kam. Außerdem brauchte das schwache Lämmchen alle zwei Stunden eine Flasche Milch. Auch nachts.

Und Mila, ihr lieber schwarzer Familienhund, wurde doch eifersüchtig auf die Fürsorge und Liebe für Lotti. Also durfte Mila gegen alle Prinzipien von Klaus auch noch zu Emma ins Zimmer.

„Ein halber Zoo“, dachte sich Klaus resigniert. Aber Hauptsache Mila würde Lotti weiterhin als Familienmitglied akzeptieren und vielleicht sogar beschützen.

Andrea hatte über das Internet gebrauchte Baby Flaschen­wärmer besorgt, in denen die Aufbaumilch warmgehalten wurde. Zwei weitere, vorbereitete Flaschen warteten im Kühlschrank auf Lottis zunehmenden Hunger. Gott sei Dank trank das kleine Lämmchen gierig die Flaschen leer und das kleine Bäuchlein wurde langsam runder.

Aber in Folge pinkelte Lotti auch viel. In der ersten Nacht waren vier Handtücher durchweicht und das Hunde­körbchen musste am nächsten Tag komplett gereinigt werden. Erst jetzt wurde Emma und auch Andrea so richtig bewusst, dass ihr Schäfchen nicht nur als süßes kleines Lämmchen, sondern auch später als ausgewachsenes Schaf niemals stubenrein werden würde.

Klaus bekam einen hysterischen Anfall, als Lotti auf einem der Perserteppiche im Wohnzimmer ganz verklärte Augen bekam, dann sehr entspannt in die Hocke ging und auf den handgeknüpften Teppich mit seinen Naturfarben pieselte.

„Emma, wir müssen uns ganz schnell was einfallen lassen, die Lotti strullt uns das ganze Haus voll.“ Auch wenn Lottis Milchpippi noch kaum roch, ekelte sich Klaus doch über ihre „Geschäfte“ auf den Teppichen und die dunkel gebeizten Flecken auf den Dielen und auf dem Parkett.

Andrea sah das schnell ein. Also fuhr sie mit Emma zum Drogeriemarkt. Emma hatte nämlich die gute Idee gehabt, die allerkleinsten Windeln für neugeborene Babys zu kaufen. Was bei den kleinsten Säuglingen half, würde vielleicht auch bei Lotti dichthalten.

Aber selbst die kleinsten Windeln waren immer noch zu groß für das winzig kleine Hinterteil ihres Lammbabys. Und außerdem hatte Lotti auch einen Schwanz. Und der war nicht kupiert, sondern richtig lang.

„Den schneidet auch keiner ab“, bestimmte Emma schon am zweiten Tag resolut.

Im Gegensatz zu ihrem Vater war Emma allerdings einfalls­reich und praktisch. Sie schnitt mit einer Nagelschere ein Löchlein in die Windel und pulte geschickt das Schwänzchen durch das Loch. Die Windel selbst wurde am Anfang, als Lotti noch sehr klein war, mit Gummis enger an ihrem mageren Körper gehalten.

Mit diesem Provisorium der Miniwindeln mit dem durch­gezogenen Schwanz sah Lotti schon witzig aus. Aber so konnte das Lämmchen, als es nach einer Woche etwas bei Kräften war, halbwegs unbedenklich durchs Haus laufen. Aber nur halbwegs, denn ganz dicht waren die Windeln, auch durch das Schwanzloch, eben nicht. Murrend hatte Klaus seine Perser zusammengerollt und im Keller gelagert.

Lotti folgte Emma, ihrer „Mama“ auf Schritt und Tritt. Emma fand das ja wunderbar, dass so ein kleines Lebewesen sie so bedingungslos liebte, ihr vollkommen vertraute und immer mit einem „Määäh“ zwei Schritte hinter ihr blieb. Diese Nähe forderte Lotti allerdings auch ein, wenn Emma auf`s Klo ging oder im Bad war. Als Emma das erste Mal allein auf dem stillen Örtchen verschwunden war, stand das kleine Lämmchen verzweifelt vor der Tür und schrie zum Steinerweichen. Also ließ Emma Lotti doch mit in das WC und ab diesem Tag auch immer mit ins Bad. Kein anderer, noch nicht mal Andrea, durfte Emma im Bad sehen. Denn als Elfjährige hatte Emma verständlicherweise gewaltige Schamgefühle entwickelt. Und das galt gegenüber ihrer ganzen Familie. Außer bei Lotti.

Nach einigen Tagen wollte Emma ganz gern auch mal vor die Tür gehen. Jetzt war wieder Kreativität gefragt. Als frühere „Puppenmutti“ hatte Emma auf dem Dachboden noch einen Puppenwagen stehen. In dem schlummerte seit einigen Jahren Ella, ihre Puppe mit den Klimperaugen, neben Teddchen, Emmas kleinen Bären. Die beiden wurden gar nicht nach ihrer Meinung gefragt, sondern kurzfristig in Emmas Puppenherd zwischengelagert.

Emil half seiner kleinen Schwester, den Puppenwagen mit Plastikfolie auszukleiden. Wegen der Dichtigkeit und Lottis ungezügeltem Harndrang. Dann wurde der Puppenwagen mit alten Handtüchern vollgestopft und Lotti, die ebenfalls in zwei Frotteetücher eingewickelt war, vorsichtig rein­gehoben. Es klappte. Lotti blieb im Wagen. Aber nur, solange Emma in der Nähe war.

Weil Lotti sich in der ersten Woche durch die Wärme, die Fürsorge und Liebe ihrer Ziehmama und die viele Aufbau­milch so weit entwickelt hatte, dass sie etwas kräftiger geworden war, traute sich Emma, Lotti bei den ersten warmen Sonnenstrahlen mit vor die Tür zu nehmen. Ziel war ein Osterspaziergang mit der ganzen Familie zu Oma Gisela und Opa Herbert. Beide waren letzte Woche bereits aus Spanien zurückgekehrt und hatten ähnliche Maßnahmen wie in ihrem Haus in Fortuna ergriffen. Nämlich ihr Haus in Deutschland gemäß Juttas Vorgaben halbwegs Feng-Shui gerecht umzuräumen und auszustatten, sodass das Chi, ihre positive Lebensenergie, wieder nahezu ungehindert durch alle Räume wehen konnte.

Opa Herbert hatte seinen Enkeln versprochen, in seinem großen Garten wie jedes Jahr zu Ostern Schokoladen­ostereier zu verstecken. Und Herbert war ja bekannt für seine überaus kreativen und lustigen Verstecke. Allerdings konnte es schon mal vorkommen, dass Herbert in seiner bedingungslosen Hingabe beim Eierverstecken das ein oder andere Versteck vergessen hatte. Und er war ja nach wie vor zu faul, sich die Verstecke aufzuschreiben. Wenn die Kinder Pech hatten und nicht alle Eier fanden, freuten sich in den nächsten Wochen die Elstern, die Marder oder die ver­fressenen Waschbären.

Als die Familie das schöne alte Haus verließ, stand Fräulein Saurbier im Vorgarten und dekorierte einen Forsythien Strauch mit bunten Ostereier Attrappen. Es war höchste Zeit, denn es war schon Ostersonntag.

Aber Fräulein Saurbier hatte in der letzten Zeit nur noch an Freizeitaktivitäten mit Alma, Otto und vor allem dem dicken Waldemar gedacht. Mittlerweile wanderten die beiden rüstigen Rentner ebenfalls mittwochs und samstags in Almas Wandergruppe mit. Die vier waren nach dem aufregenden Wochenende mit dem geliehenen, flotten Roadster schon mehrere Male Essen und ins Kino ge­gangen. Und Alma hatte bereits einen Theaterbesuch mit einem Einführungsvortrag des Intendanten an einem Vor­mittag in der nächsten Woche geplant.

Fräulein Saurbier hatte also bisher noch gar nichts von dem Familienzuwachs bei Thalers mitbekommen.

„Frohe Ostern, Fräulein Saurbier“, wünschte Klaus höflich.

„Ja, das wünsche ich Ihnen und Euch auch. Na, Emma, fährst Du denn Deine Ella wieder spazieren? Ist ja auch so schönes Wetter heute.“ Fräulein Saurbier war verwundert, dass Emma mit ihren elf Jahren noch mit Puppen spielte.

Auf einmal erklang aus dem Puppenwagen ein entrüstetes „Määäh“. Fräulein Saurbier stutzte. „Hast Du eine neue Puppe dabei? Die Ella war doch keine Sprechpuppe, oder Emma?“

„Nein, Fräulein Saurbier, im Wagen liegt ja auch die Lotti.“

„Ach, hast Du doch noch zu Ostern eine neue Puppe be­kommen? Aber ein bisschen merkwürdig hat sich das Puppenweinen schon angehört.“

„Lotti ist ja auch keine Puppe. Lotti ist ein Lämmchen.“

„Ein Stofflämmchen mit eingebauter Stimme, na, das passt ja zu Ostern sehr gut.“

Plötzlich rekelte Lotti ihr kleines Köpfchen aus dem Handtuch und schaute zu Fräulein Saurbier interessiert hoch. Die hielt entgeistert mit einem roten und gelben Plastik-Ei in der Hand inne.

„Dein Schaf lebt ja. Das ist wohl echt?“

„Ja, wir haben Lotti letzte Woche von einem Schäfer bekommen und ihr das Leben gerettet. Und wir päppeln sie jetzt mit Milch auf. Im Sommer darf sie dann in unseren Garten zum Spielen. Sie haben jetzt einen neuen Nachbarn, Fräulein Saurbier.“

Emma war ganz stolz, als Fräulein Saurbier ihr Zauntor öffnete und an den Puppenwagen kam. „Na, Ihr seid ja eine tolle Familie. Da muss man sich ja ständig auf neue Überraschungen einstellen.“

Fräulein Saurbier beugte sich über den roten Puppenwagen und schaute sich entzückt das kleine Lämmchen an. Lotti blickte von unten der Nachbarin treuherzig in die Augen und ließ ein Begrüßungs „Määh“ los.

„Die Omas und der Opa kennen Lotti auch noch nicht. Wir machen jetzt einen Spaziergang zu meinen Eltern und stellen Lotti das erste Mal vor“, erklärte Andrea ihrer zu­nehmend faszinierten Nachbarin.

„Da wünsche ich Euch aber einen schönen Oster­nachmittag. Das muss ich gleich Waldemar erzählen. Das gibt‘s doch gar nicht. Thalers haben ein echtes Lämmchen“, verabschiedete sich Fräulein Saurbier winkend. Und dann machte sich die Familie Thaler mit Lämmchen im Kinderwagen und Hund an der Leine auf den kurzen Spaziergang, um die Großeltern zu besuchen.

2

Bei Opa Herbert und Oma Gisela gab es ein großes Hallo, denn die Überraschung mit Lotti war gelungen. Auch Oma Alma war eingeladen. Oma Gisela hatte den Ostertisch liebevoll gedeckt. Es gab Putenbraten und für Herbert und Gisela eine Gemüselasagne.

„Gott sei Dank hab` ich mich gegen Opa Herbert durch­gesetzt und keinen Lammbraten in die Röhre geschoben. Das wäre jetzt wirklich unpassend gewesen“, meinte Oma Gisela mit einem liebevollen Seitenblick zu dem winzigen Familienzuwachs.

„Oma, dann hätte ich bestimmt geheult und nur das Eis zum Nachtisch gegessen.“ Emma streichelte ihr „Baby“ liebevoll über den Kopf und kraulte Lotti dann unter dem Kinn. Denn das hatte Emma schon am zweiten Tag rausbe­kommen. Das kleine Schäfchen ließ sich am liebsten am Hals kraulen und hielt dann das Köpfchen ganz still.

Lotti hatte eine frische Windel bekommen und lag auf einer mitgebrachten Decke. Die schwarze Mila hatte sich hinter das weiße Lämmchen gelegt, sodass Lotti warm und geborgen zwischen Milas Vorder- und Hinterbeinen ruhte.

„Schaut mal. Black and White“, zeigte Opa Herbert lachend auf das harmonische Pärchen.

Natürlich war Lotti das Gesprächsthema bei Tisch. Und weil Kesselmanns und Alma das Schäfchen sofort in ihr Herz geschlossen hatten, traute sich Andrea eine Frage zu stellen, die ihr schon die ganze Zeit auf der Seele gelegen hatte.

„In einer Woche geht doch die Schule wieder los. Und bei uns ist niemand zu Hause. Mit Mila ist das ja kein Problem. Die bleibt allein im Haus, bis die Kinder und ich mittags wieder zu Hause sind. Aber mit der kleinen Lotti funk­tioniert das noch nicht. Die muss noch alle zwei Stunden trinken und bleibt nicht allein.“

Herbert und Gisela sahen sich an. „Also vormittags hätten wir schon Zeit. Vielleicht dürfen wir auch den Puppenwagen benutzen, um mit Lotti und Mila Spaziergänge zu machen.“ Gisela und Herbert waren sofort einverstanden, sich um Lotti zu kümmern.

„Und wenn Ihr mir die Milch und die Flaschen vorbereitet, richte ich es mir an zwei oder drei Tagen ein, Euch zu helfen. Auch nachmittags, wenn Ihr mich braucht. Dann mache ich zusammen mit Hildegard und Euren beiden Haustieren einen Spaziergang zum Wald. Sieht allerdings etwas merk­würdig aus, wenn wir zwei alten Damen mit einem Puppen­wagen durch die Gegend ziehen,“ lachte Alma, die wie immer gern bereit war, zu helfen.

Andrea und Klaus waren sehr erleichtert, denn Emma hatte sich noch überhaupt keine Gedanken gemacht, wie das Lämmchen während ihrer Schulzeit betreut werden sollte.

„Vielen, vielen Dank. Das hilft uns wirklich sehr“, bedankte sich Klaus voller Freude.

„Wir könnten ja nachher im Garten ein paar Fotos von unserem Osterlämmchen machen. Die schicken wir zu Oliver nach London und Michael nach Coburg. Als Oster­gruß“, schlug Emil begeistert vor. Anton und er fanden den Familienzuwachs richtig klasse, zumal sie in ihren Dach­zimmern ruhig schlafen konnten und die nächtlichen Ruhe­störungen von Lotti nicht mitbekamen. Beide erlebten nur die „Schokoladenseiten“ des Lämmchens und freuten sich schon, nach den Osterferien in der Schule mit Lotti etwas anzugeben. Lutscher, Antons bester Freund, hatte Lotti ja schon bei den Lerntreffs kennengelernt und war etwas neidisch. Sein nervendes Drängen, sich auch ein Tierbaby anzuschaffen, stieß bei seinen Eltern allerdings auf Granit. Denn Lutschers Mutter hatte sich vor zwei Jahren bereits einen hypernervösen, sehr kleinen Chihuahua angeschafft, der keifend, knurrend und heiser bellend keinerlei Kon­kurrenz geduldet hätte.

„Mit dem Chihuahua kann Lutscher bei den Mädchen in der Schule überhaupt nicht landen. Da macht er nur Minuspunkte. Aber mit Lotti machen wir fette Pluspunkte“, meinte Emil kumpelhaft grinsend zu seinem älteren Bruder.

Opa Herbert hatte wie jedes Jahr zu Ostern im Garten mal wieder alle Register seines Könnens gezogen und Schoko­ladeneier für seine Enkel versteckt.

Zwei Eier waren schon fast in Herberts „Schäferwagen“ geschmolzen, einem kleinen Wagen mit Dach, zwei Liegen und großen Fenstern aus Plexiglas, den sich Herbert für seinen geliebten Mittagsschlaf in der freien Natur selber gebaut hatte.

Ein Ei lag in einem Plastikbeutel gut verpackt in der Regen­tonne. Zwei Eier waren in der Regenrinne nur über eine Leiter zu erreichen, die Herbert aber schon bereitgelegt hatte, um es den Jungs etwas zu erleichtern. Weitere zwei Eier hatte Herbert in seiner kleinen Werkstatt hinter der Garage versteckt. Davon eines dekorativ in den Schraub­stock gespannt. Zwei Eier lagen gut verborgen unter der Holzkohle im Grill. Zwei Eier hatte Herbert in leeren Vogelnestern und eins im Vogelhäuschen versteckt. Und zwei Eier hatte Herbert als Blüten getarnt auf die Seerosen im Teich und zwischen die Stiefmütterchen im Garten gelegt. Vier Eier waren für Emma ganz einfach zu finden und unter die Auflagen der Liegen und der Gartenstühle platziert worden. Aber das letzte Ei war das Schwerste. Es hing in einem wasserdichten Plastikbeutel im Spülkasten des Gästeklos. Hier wollte Herbert seinen Enkeln dann durch „Heiß und Kalt“ Hinweise entscheidende Hilfen geben.

Obwohl sie so offensichtlich zu sehen waren, hatten die Kinder die „Eier Blüten“ der Seerosen als Letztes entdeckt und waren schon dreimal am Teich vorbeigelaufen. Leider hatte Herbert vergessen, Gisela und Alma von den Verstecken unter den Auflagen zu erzählen. Als sich beide Damen entspannt an den Gartentisch auf die Stühle setzten, gab es ein hässliches Knacken unter dem Allerwertesten der Großmütter und zwei Eier waren leider zerknetscht.

„Moooment mal. Die nehm‘ ich mit und leg‘ sie in den Kühlschrank und esse die noch. Bei mir kommt kein lila Ei in die Tonne“, meldete sich der sparsame Klaus. Oma Alma schüttelte nur etwas peinlich berührt den Kopf. Von wem hatte ihr Sohn das nur geerbt?

Nach einer halben Stunde hatten die Kinder alle Eier gefunden. Emma die Eier in den leichteren Verstecken und Emil und Anton, die in den schwereren Verstecken. Teil­weise schon mit einigen kleinen Tipps von Herbert, der die beiden zerknetschten Eier schnell durch andere in neuen Verstecken ersetzt hatte.

Es war ein lustiger Osternachmittag bei den Großeltern. Lotti lief Emma allerdings immer wieder zwischen den Beinen rum, wenn Emma hochkonzentriert suchend durch den Garten stromerte. Aber dann hatte sich Lotti so an Alma, Gisela und Herbert gewöhnt, dass sie sich von den Großeltern auf den Schoß nehmen und kraulen ließ, sodass Emma doch noch in Ruhe suchen konnte.

Lotti hatte nach einer Woche schon etwas Fell bekommen, war nicht mehr so nackt wie am Anfang, und das kleine Bäuchlein war etwas runder geworden. Emma hatte ihr Lämmchen vor dem Osterbesuch noch fein gemacht und in einer Schüssel mit warmem Wasser gewaschen. Lotti sah jetzt mit frisch gewaschener Wolle noch hübscher aus und roch richtig gut. Auch wenn Emma ihrem Papa strengstens verboten hatte, ihr Lämmchen zur Verbesserung des Geruchs mit Klaus‘ Rasierwasser zu besprühen.

In der Woche nach Ostern kamen Kesselmanns zweimal zu Thalers, um Lotti an sich zu gewöhnen. Und um zu lernen, ihrem neuen „Enkelchen“ die Flasche zu geben. Und auch Oma Alma erschien mit Fräulein Saurbier und den sehr neugierigen Otto und Waldemar, die dann mit Lotti im Puppenwagen ihren ersten Spaziergang machten. Immer wieder erstaunt belächelt von anderen Spaziergängern, die erst beim zweiten Blick erkannten, was es mit dem Inhalt des Puppenwagens so auf sich hatte.

Tasuta katkend on lõppenud.