Loe raamatut: «Das Netz der Freunde»

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Hans-Peter Vogt

Reihe: Die Wächter des Lebens, Band 3

Das Netz der Freunde

(Social Network)

Fantasy, Soziale Utopie

Deutsche Ausgabe

© vogt multimedia verlag, Reinheim

Ungekürzte Ausgabe,

E-Book, 2018

Alle Rechte vorbehalten

Vertrieb: Libreka

ISBN 978-3-942652-66-7

Empfohlen ab 13 Jahren

Autor: Hans-Peter Vogt

Umschlagentwurf: © vogt multimedia design

© vogt multimedia verlag

Dr. Hans-Peter Vogt, Erlenweg 18, 64354 Reinheim

Leser können das Buch in über 1000 E-Book-Shops bestellen:

Vormerkung:

Das Buch beginnt im Jahr 2052

Die Personen der Handlung sind alle frei erfunden.

Ähnlichkeiten zu lebenden Personen bestehen nicht.

Es ist immer schwer eine Heimat zu verlassen und woanders wieder neu zu beginnen. Alte Freunde gehen verloren, neue müssen gefunden werden, und dann ist da noch diese andersartige Sprache der fremden Cliquen.

Hans-Peter Vogt

Das Netz der Freunde

(Social network)

Reihe:

Die Wächter des Lebens / Band 3

Inhaltsangabe:

Titel, Impressum

Vorbemerkung

Index / Inhaltsangabe

Einleitung

Kapitel 1. Immigration. Der Umzug und der Neubeginn in Deutschland... /

... und die Wächter des Lebens

Kapitel 2. Die Eingliederung in bestehende Gruppen ist nicht ganz einfach / über die Notwendigkeit, sich zu erden / gute Freunde sind wie das Salz in der Suppe / Irinas erste Liebe

Kapitel 3. Irina und Dimmy übernehmen Verantwortung

Kapitel 4. Ernste Bedrohungen / die Macht der Kinder / Dimmy ist verliebt

Anhang. 1. Nachwort

2. Die handelnden Personen im Buch

3. Städte und weitere Sachinformationen

4. Der Autor

Einleitung

Helden des Buches sind Irina und Dimmy (der eigentlich Vladimir heißt). Es sind die Kinder von Vera und Frederik, die ein Teil des inzwischen stark angewachsenen „Clans der Auserwählten“ sind. Zu Beginn der Geschichte ist Irina knapp 14 Jahre alt und Dimmy ist zwölfeinhalb. Ihr Großvater ist der schon legendäre Kopf verschiedener multinationaler Firmen, wie die Mac Best Food Company (ein weltweit operierender Nahrungsmittelkonzern mit angeschlossener Fastfoodkette), aber weil Irina und Dimmy jetzt von den USA in das kleine Deutschland umsiedeln, ist für sie alles neu und unbekannt. Sie müssen sich eine Position suchen und sich bewähren.

Dimmy und Irina versuchen diese neue Welt zu entdecken und Grenzen zu überwinden. Es geht um neue Kontakte und darum, Bestehendes nicht zu verlieren.

Irina und Dimmy sind zwar in Mexiko geboren, aber sie haben lange in Detroit/USA gelebt, wo die Mutter ein Ausbildungszentrum für Führungskräfte leitete. Die Amerikaner konnten den Namen Vladimir nicht aussprechen und so wurde der Name einfach in Dimmy abgewandelt. Diesen Namen behielt Dimmy bei. Zuletzt wohnten Irina und Dimmy noch ein Jahr lang in Atlanta/USA. Auch das ist eine recht große Stadt. Sie hat über 500.000 Einwohner und liegt im Nordwesten des US-Bundesstaates Georgia.

Der leibliche Vater von Irina und Dimmy ist Frederik, der Sohn von Leon und Katharina. Irina und Dimmy haben noch andere Halbgeschwister. Das sind alles Kinder, die Fred mit anderen Frauen gezeugt hat. Mit allen seinen Freundinnen war Fred nie verheiratet, auch wenn er stets die Verantwortung für die Kinder übernommen hatte. Das war immer ein besonderer Familienverbund, ganz ohne Streit, und das ist etwas sehr ungewöhnliches. Dennoch ging das auf Dauer nicht gut.

Die Mutter von Dimmy und Irina trennte sich von Fred, und sie verliebte sich ausgerechnet in dessen Vater Leon. Das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Vera und Leon beschlossen zusammenzuleben, und Leon gab die Firmenleitung kurzer Hand an seine Tochter Chénoa ab. Ein Schritt der im Alter von 60 durchaus sinnvoll ist. Chénoa war lange genug die Kronerbin des Unternehmens gewesen. Leon geht jetzt mit Vera nach Deutschland, um sich ganz um die europäischen Geschäfte des Imperiums zu kümmern, und die Kinder Dimmy und Irina begleiten die beiden.

Vera und Dimmy werden in Deutschland eingeschult. Es ist sehr eine kleine und ruhige Stadt mit Namen Wittenberge, an der Elbe, südöstlich von Hamburg. Dort liegt auch das europäische Zentrum der Mac Best Food Company, die überall auf der Welt Fast Food Ketten betreibt. Ganz wichtig für Irina und Dimmy ist aber auch das „Zentrum“ in Berlin, oder auch „Musikakademie“ genannt. Die so etwas ist, wie ein riesiges Jugendzentrum. Dort hat Oma Katharina das Sagen (die frühere Frau von Leon in Berlin).

Die Geschichte in diesem Buch beginnt im Jahr 2052.

Das Gesicht der Welt hat sich verändert. Das Erdöl ist nahezu aufgebraucht. Das Weltklima hat sich aufgeheizt. Die Polkappen sind fast völlig abgeschmolzen, die Meeresspiegel sind um fast einen Meter gestiegen, der Golfstrom hat sein ursprüngliches Bett verlassen. Es gibt jetzt riesige Trockengebiete, Tornados, Flutwellen und neu entstandene Regen-zonen mit verheerenden Regengüssen. Es gibt inzwischen auch völlig neue Technologien. Autos fahren nicht mehr mit Benzin.

Irina und Dimmy haben einen Teil der übersinnlichen Kräfte ihres Vaters Fred geerbt, aber das war in ihren ersten Lebensjahren nur ungenügend ausgebildet. Leon beginnt jetzt mit Irina und Dimmy zu üben. Sie lernen, dass Großvater Leon sich jetzt mehr um sie kümmert, wie ihr leiblicher Vater.

Leon hatte Irina und Dimmy schon gezeigt, wo sie in Deutschland wohnen würden. Diese kleine Stadt Wittenberge an der Elbe hat rund 40.000 Einwohner. Opa Leon hatte dort ein Haus in Auftrag gegeben, wo sie leben werden, in unmittelbarer Nähe zum Werk der Mac Best Food Company.

Fast alles in dieser kleinen Stadt Wittenberge ist von Mac Best Food abhängig. So ist das, wenn es in so einer kleinen Stadt nur einen wirklich großen und bedeutenden Arbeitgeber gibt. Leon hat in dieser Kleinstadt so etwas wie die Allmacht. Typisch für diesen Mann ist, dass er das nie ausnutzt. Wenn er etwas will, dann überzeugt er die Menschen. Er ist ein Mann der leisen Töne, aber sehr wirkungsvoll und sehr nachhaltig. Diese Eigenschaften gibt er an Irina und Dimmy weiter.

In dieser kleinen Stadt war mit Unterstützung von Mac Best Food eine Privatschule entstanden, auf die fast alle Kinder der Stadt gehen. Bald lernen Dimmy und Irina neue Dinge kennen, sie beginnen sich die Umwelt zu interessieren und sie schließen sich mit ihren Geschwistern kurz. Sie gewinnen gute Freunde in der Schule und sie bestehen Abenteuer.

Dieser Band ist aber auch ein ökologischer Roman. Alle Prognosen sprechen heute von gewaltigen Änderungen, die sich in naher Zukunft durch die Klimawandlung ergeben werden. Das hat auch längst eingesetzt. In dem vorliegenden Band sind die Änderungen bereits deutlich spürbar. Irina und Dimmy müssen sich darauf einstellen. Sie werden ihre Macht brauchen, um Bedrohungen zu meistern und sie müssen auch lernen, dass Macht nicht missbraucht werden darf. Auch die potentielle Bedrohung durch sogenannte Cyberkriege wird ansteigen. All das fließt in diesen Band hinein.

In dieser zukünftigen Welt gibt es aber auch liebenswerte Formen des Zusammenlebens. Dimmy und Irina haben ihren Anteil daran. Freundschaft hat für sie einen besonderen Stellenwert. Das bestimmt auch ihr Leben und ihre Erlebnisse in diesem Buch. Noch etwas prägt Dimmy und Elvira ganz gewaltig. Sie wachsen in einer relativ heilen Welt auf, abgesichert durch ein gewaltiges finanzielles und emotionales Polster und den Zugang zu Lernmitteln und Lernchancen, die in unserer Welt nicht allzu viele Kinder haben. In diesem Band ist es das Verdienst der Stiftung, solche Bildungschancen für eine breite Gesellschaftsschicht zur Verfügung zu stellen, und ihr den Zugang dazu zu garantieren, das was man mit Lebensglück umschreibt.

Dort, wo Dimmy und Irina Ungerechtigkeit sehen, da ist das zwar bedrohlich, doch es scheint irgendwie beherrschbar.

Zwar fordert ihre Großmutter immer wieder diese „Erdung“, diese Rückbesinnung auf die Menschen des Alltags, die vom gesellschaftlichen Reichtum zumindestens partiell abgeschnitten sind, aber es scheint, dass diese Welt, in der Dimmy und Irina aufwachsen irgendwie geordnet ist, trotz all der Probleme die da auftauchen. Vielleicht ist das eine gewisse Absicherung, die es in den europäischen Ländern in sozialer Hinsicht nun einmal gibt.

Wer einmal Verbindung zu den Geschehnissen und Zuständen in armen Ländern der sogenannten Dritten Welt hatte, sei es durch Zufall, oder durch persönliches Erleben, der wird angesichts der hier dargestellten „Probleme“ nur lächeln. Sie sind typisch für die westliche Welt der Industriestaaten.

Alles kann und will der vorliegende Roman auch nicht aufwerfen und beantworten.

Ein Kern der Schilderung ist, dass Dimmy und Irina lernen, mit Ungereimtheiten klar zu kommen, und sie aus der Welt zu schaffen. Sie haben die privilegierte Situation vor sich, einmal einer der Leiter einer großen Organisation zu werden.

In weiteren Büchern der Serie werden jeweils andere Fragen angeschnitten werden.

Hilfreich ist das Register am Ende des Buches. Dort findet ihr alle Namen und weitere Erläuterungen.

Das Buch greift zwar direkt auf den Band 2 der Reihe „der Clan der Auserwählten“ zurück, doch ist der Band in sich geschlossen. Das Buch handelt zwar von Jugendlichen, ist aber nicht ausschließlich für diese Altersgruppe konzipiert.

Am Ende des Buches findet der Leser einen Aufstellung aller im Buch handelnden Personen und Sachinformationen.

(die Redaktion)

Kapitel 1. Immigration.

Der Umzug und der Neubeginn in Deutschland

...und die Wächter des Lebens

1.

Irina ist alleine in ihrem Haus in einem der gutbürgerlichen Vororte von Atlanta (USA).

Sie hat sich in einen der Sessel gesetzt, die jetzt mit Laken abgedeckt sind. Vor ihr steht ein riesiger Berg aus Koffern und Kisten. Viele Kubikmeter. Daneben steht noch ein kleiner Berg aus Koffern und Taschen.

Irina wartet. Heute ist der große Tag des Umzugs, aber keiner ist da, außer ihr. Mama war heute früh überraschend noch mal in die Firma gefahren. Es gibt da irgendetwas, was noch zu klären ist. Was, das weiß Irina auch nicht.

Opa Leon, der seit einem Jahr mit ihnen zusammenlebt, war irgendwohin gesprungen. Irgendwas in Deutschland. Auch hier weiß Irina nichts genaues.

Ihr Bruder Dimmy war das Warten leid gewesen. Er hatte sich sein Rad geschnappt und war zu Louis gefahren, einem Schulfreund. Louis war scharf auf das Spezial-BMX von Dimmy.

Vielleicht würde Louis ihm das Teil abkaufen.

Seinen Cruiser hatte Dimmy schon vertickt. Es war einer der Retros, die in den USA gerade wieder voll in Mode sind. Ein echter Hingucker im Stil der 1960er mit richtig breiten Schlappen.

Irina ist knapp 14. Sie hat dunkles langes Haar, das sie heute zu einem seitlichen Pony zusammengebunden hat und grau-grüne Augen. Sie ist mittelgroß und hat schon einen ordentlichen Busen. Diese Veranlagung hat sie von Mama geerbt.

Wieder einmal muss sie sich von Freunden trennen. Sie hatten nur ein Jahr in Atlanta gewohnt, aber weil Irina aufgeweckt, fröhlich und ein auffallend hübsches Mädchen ist, war es ihr nicht schwergefallen, in der Schule Anschluss zu finden. Diesen Zickenkrieg hatte sie allerdings nicht mitgemacht, der dort in einigen Gruppen herrschte. Sie hatte sich lieber an die Mädchen gehalten, die sich für selbstgemachte Musik, Lesen, Natur und für Tiere interessiert hatten. In Atlanta gibt es einen Reitstall, wo sie ein-und ausgegangen waren. Solche praktisch orientierte Kontakte sind komplett anders, als bei dieser anderen Gruppe in der Schule, die sich total aufbrezelte, und sich nur für Partys, Jungens, Kleidung, Wimperntusche und die Farbe ihrer langen Fingernägel interessierte. Sie schwänzelten mit dem Po und streckten den Busen nach vorne, und sie hatten auch keine Hemmungen, andere zu verunglimpfen und in den Dreck zu stoßen, wenn die Laune das gerade so wollte.

Irina hatte es nicht immer leicht gehabt, weil diese „Schicksengruppe“, wie Opa das immer nannte, oft richtig stresste, bis hin zum Cybermobbing. Diese Mädchen fühlten sich als Elite, und sie hatten ein richtiges Vergnügen daran, andere auszugrenzen und zu tyrannisieren. Das Leben war für sie ein Spiel. Streber waren verpönt, oder das, was dafür gehalten wurde.

Manchmal hatte Irina ihr Gesumm anstimmen müssen, das sie von Opa Leon gelernt hatte. Irina hatte in diesem einen Jahr begriffen, wie sie sich in die Köpfe ihrer Mitschüler hacken konnte, um sie zu beeinflussen. Nach den ersten noch zögerlichen Anfängen hatte sie verstanden, dass ihr dieses Talent die nötige Ruhe bricht, die sie braucht, und sie hatte gelernt, nicht nur sich zu schützen, sondern auch ihre Freundinnen.

Es waren wirklich nette Mädchen dabei. Sibyll, die jeden Tag auf dem Klavier übt. Lori, die sich für Literatur interessiert und unendlich viel liest. Doris, die sich für Biologie und Chemie begeistert und Laureen, Blondie und Sofie, mit denen Irina oft in den Ställen zusammen war, um auszumisten, zu striegeln oder zu reiten.

All das muß jetzt wieder einmal neu aufgebaut werden. Irina seufzt. Sie kennt die Schule schon, in die Leon sie schicken wird, dort in dieser winzig kleinen Stadt in Deutschland.

Sie würden fast alles zurücklassen. Das Haus hier in Atlanta war nur gemietet. Die Firma würde die Möbel verkaufen und sie nehmen nur das Wichtigste mit, aber davon gibt es genug.

Kleidung, Laptop, Kamera. Ohne seine Skateboards würde Dimmy nicht mitgehen, hatte er bestimmt. Irina lächelt unwillkürlich.

Dimmy und seine Skateboards. Er hatte sich diese Marotte in Berlin angeeignet, als er mal dort zu Besuch war. Auch hier in Atlanta gibt es Halfpipes, und Dimmy ist ein echter Crack. Er hat mehrere Boards, für Sprünge und Langstrecken. Irina hatte manchmal zugesehen, Interesse hat sie nicht an diesen Dingen. Für Dimmy war das in Atlanta die Eintrittskarte gewesen, um bei all diesen coolen Jungs an der Schule mächtig zu punkten. Dimmy ist aber auch wirklich der Obercrack. Seine ”übersinnlichen” Fähigkeiten erlaubem ihm Sprünge und Drehungen, die für die anderen unnachahmbar sind. Einfach „oberaffengeil“. Naja. In der Szenesprache und auf amerikanisch nennen die Jungs das ganz anders, und Irina weiß, dass solche Ausdrücke alle 2 oder 3 Jahre wechseln, wie die Mode. Irina lächelt wieder. Die Jungs und ihr Kauderwelsch.

Sie döst ein wenig. Sie denkt an die Chattahochee Seen im Norden, an die Wasserfälle und die Rafting Touren, die sie im Frühsommer gemacht hatten. Sie denkt an Deutschland. Ein bisschen kennt sie, aber im Grunde ist alles fremd, auch die Menschen sind so ganz anders.

Dort sind jetzt auch große Ferien. Ihr Haus in Brandenburg ist nicht einmal ganz fertig und für ihre Verhältnisse ist Wittenberge wirklich ein winziges Nest. Dort werden sie bald wohnen, aber sie werden übergangsweise nach Berlin ziehen. Opa Leon hat dort eine Wohnung organisiert.

Ins Musikzentrum, das der Stiftung gehört, und für das Leon und Mama letztlich arbeiten, da wollte Leon nicht hin, obwohl es auch dort mehrere freie Wohnungen gibt, die der Familie gehören. Aber dort lebt Oma Katharina und Leon hatte bestimmt: „Wir tun Katharina seelisch weh, wenn wir alle zusammen ins Zentrum ziehen. Wir können das nicht machen.“ Schließlich hatte Leon „seine Frau“ Katharina verlassen, um mit Irinas Mama zusammenzusein. Ach was ist das Leben manchmal so schwierig.

Aber Leon und Katharina sind nicht im Streit. Irina wird immer zu Oma Katharina springen können. Sie wird in den nächsten vier Wochen sicher viel vom Musikzentrum haben, aber im Zentrum wohnen - das hatte Leon eben nicht erlaubt. Opa Leon, der jetzt genaugenommen ihr Vater ist. Na, so gut wie.

2.

Irina hört gar nicht, als Leon die Treppe herunterkommt, so versunken ist sie in Gedanken. Plötzlich hockt er vor ihr und nimmt ihre Hände. Irina schreckt auf.

„Opa. Ich hab dich gar nicht kommen hören. Bleibst du jetzt hier, oder musst du noch mal weg?“

Leon schüttelt den Kopf. „Ich hab’ alles erledigt. Ist Vera noch in der Firma?“ Irina nickt. „Und Dimmy?“ „Der will sein BMX verkaufen, hat er gesagt.“

Leon nickt wieder. „Und was ist mit dir? Aufbruchsbereit oder traurig?“

Irina schüttelt den Kopf. „Vielleicht ein bisschen traurig. Ich war in Gedanken und hab’ innerlich Abschied genommen, jetzt wird ja alles völlig anders.“

Leon nickt wieder. „Wenn wir zusammenhalten, dann schaffen wir das. Was meinst du, wollen wir den Haufen da ein klein wenig kleiner machen? Ich hab im Werk einen Container aufstellen lassen. Den können wir jetzt mit unseren Sachen füllen, wenn du bereit bist. Das ist eine Übung, die für dich noch ein bisschen schwierig ist, aber zusammen bekommen wir das hin. Wir werden Vera und Dimmy einen Zettel hinlegen und können anfangen, wenn du bereit bist.“

Irina ist einverstanden. Leon geht in die Küche, wo ein Block und ein Stift liegt, und bringt beides zurück.

Er schreibt etwas auf den Block, zieht Irina aus dem Sessel, legt den Block darauf, und führt sie zu dem großen Haufen mit Koffern und Kisten.

„Also gut“, meint Leon. „Erst mal nehme ich zwei Koffer in die Hände, du hältst dich an mir fest, und konzentrierst dich. Schlüpf in mich hinein. Dann springen wir mit den Koffern in den Container. Achte genau auf meine Energieströme. Versuche das später nachzumachen.“

Irina nickt. Opa nimmt die Koffer, Irina hält sich an seinem Arm fest, sie kriecht in Leons Kopf. Sie sieht das Aufflammen der Energie, dann stehen sie in einem großen leeren Stahlcontainer, an dessen Decke zwei Akkuleuchten brennen.

Leon lächelt, stellt die Koffer ab, greift ihre Hände und meint, „und nun zurück. Diesmal krieche ich in dich hinein. Versuche mich mitzunehmen nach Atlanta.“

Das hatte Irina schon geübt. Sie ist gut darin. Sie war schon mehrmals mit Mama in das Wochenendhaus gesprungen, das sie an den Seen hatten. Aber diesmal geht es quer über den Ozean. Eine viel größere Strecke. Sie konzentriert sich, dann merkt sie, wie sich der Tunnel vor ihr öffnet und sie hineinzieht, wie ein Magnet ein Stück Metall. Sie spürt den Druck von Leons Händen. Sie merkt, dass sie ihn mitnimmt auf diese fast 15.000 Km lange Reise, dann landen sie im Zimmer von Irina.

Leon hatte ihr geraten, nicht in das große Wohnzimmer zu springen, wer weiß, wer sich jetzt dort aufhält. Das Geheimnis der Familie muß stets gewahrt bleiben.

Leon lacht sie an, als die sanft landen. Sie hört seine unausgesprochenen Worte. „Prima. Das hast du gut gemacht.“

Dann gehen sie hinunter. Sie sind immer noch alleine.

„Dann wollen wir mal. Diesmal nehme ich einen großen Karton in die Arme und du entscheidest, ob du mich berührst oder ganz alleine mit mir durch den Tunnel gehst. Du probierst es alleine? Also, dann los.“

Irina konzentriert sich, dann landen sie zusammen in dem Container. Erst Leon, dann nur wenige Sekunden später auch Irina. Sie ist glücklich. „lass mich das noch ein paar Mal probieren. Dann zeig mir, wie ich tote Materie mit mir nehmen kann.“

Leon nimmt jetzt immer einen großen Karton in die Arme. Irina springt alleine, und als sie schließlich zur selben Zeit im Container ankommen, lacht Irina. Jetzt hab ich’s begriffen. Ich muss meine Gedanken nur mit deinen völlig verknoten, damit wir gemeinsam durch den Tunnel fliegen.“ Leon lächelt. „Wenn man weiß wie das geht, ist das gar nicht so schwer. Dann lass uns mal an die nächste Aufgabe gehen.“

Innerhalb der nächsten 60 Minuten bringen sie einen Großteil der Kisten und Koffer in den Container. Dann muss Leon erst mal die Akkus der Leuchten wechseln. Er hatte vorgesorgt. An den beiden großen (heute geschlossenen) Stahltoren steht innen ein Karton mit frischen Akkus und Leon bestückt erst die eine, dann die andere Akkuleuchte.

Als sie zurückkommen, ist Dimmy gerade gekommen. „Ich wollte doch helfen“, meint er vorwurfsvoll. Leon nimmt ihn in die Arme. „Ist schon gut. Wir haben noch eine ganze Menge kleiner Kartons hier stehen und deine Lieblingsdinge, wie das Board, die müssen auch noch nach Deutschland. Hast du dein BMX gut losgekriegt?“

Dimmy grinst. „2500 Piepen. Aber Opa, ehrlich, wenn ich nicht wüsste, dass die Eltern von Louis soviel Geld haben, hätt’ ich den Preis nicht so hoch angesetzt.“

Leon nickt. Das hatte er seinen Enkelkindern (die jetzt seine Kinder sind) immer eingeschärft. Solche Dinge muss man notfalls verschenken. Materielle Dinge sind nicht wichtig. Freundschaften sind wichtig. Dimmy würde die Freundschaft von Louis behalten, trotz der 2500 Dollar. Neu hatte es 6 ½ gekostet. Louis war rattenscharf auf das Rad gewesen, und einige andere auch. Das Rad gibt es aber nur einmal. Es hat einen handgemachten verstärkten Freeriderahmen mit Oversize Rohren, Spezialfelgen, Ballonreifen, Nadelkugellager, eine Sonderlackierung und Labels, die heute nicht mehr zu kaufen sind. Das Wettkampfrad ist in den Augen der Kids der Oberkracher, egal ob in der Pipe oder im Gelände. Louis hätte leicht das Doppelte bezahlt, wenn Dimmy das verlangt hätte, und er rechnete es Dimmy hoch an, dass er das nicht ausgenutzt hatte. Dimmy ist ein echter Freund.

Dann beginnen Leon, Irina und Dimmy mit den Übungen, die Irina schon kennt. Für Dimmy ist das bedeutend schwieriger, aber er bekommt das hin. Schließlich kann er einige der kleineren Gerätschaften mit in den Container nehmen. Dann ist plötzlich fast alles weg, und nur das ist übrig, was sie unbedingt in Berlin brauchen, und das, was sie mit in den Flieger nehmen werden.

Auch diesmal nimmt Leon die Kinder erst ohne Gepäckstücke mit in die Wohnung in Berlin. Sie liegt im Stadtteil Moabit, ist ziemlich geräumig, und sie ist voll eingerichtet. Sogar Küchenmesser, Kochtöpfe und solche Altagsgegenstände sind da.

Es gibt zwei Kinderzimmer, ein Schlafzimmer für Leon und Vera, und es gibt eine große Küche, mit Schiebetüren zum großen Wohnbereich. Eine Altbauwohnung, mit hohen Decken und Stuck. So etwas gibt es in den USA nicht. Irina und Dimmy staunen. Es gibt abgeschliffene Dielenböden, die neu lackiert sind. Nicht dieses neue Fertigparkett, das es in den USA überall gibt, sondern ganz breite Dielen mit groben Wachstums-Mustern.

Die Küche ist gekachelt und es gibt ein geräumiges Bad. „Opa“, meint Irina. “Wo hast du denn die Wohnung auf-getrieben?“ Es gibt vierfachverglaste Fenster und als Irina eines davon öffnet, hört sie den Verkehr draussen vorbeibrummen. Hinten ist es auch mit offenem Fenster ganz ruhig.

Sie haben einen Balkon. Es gibt ein großes Geviert aus Wiesen und Bäumen, mit kleinen Gewächshäusern drin und Gartenhäuschen. „Hey, geil“, meint Dimmy, der das alles aufregend findet. Es ist alles so anders als in den USA.

Dann schaffen Sie alles in die Wohnung, was sie dort brauchen werden. Laptops, Skateboard, Kleidung, und auch die Sachen von Mama.

Als sie schließlich wieder in Atlanta stehen, sind nur noch die Sachen für den Flieger da. Ein paar kleine Koffer und Taschen. Mama ist immer noch nicht gekommen.

Leon schaut auf die Uhr. „So langsam wird’s Zeit.“

Er kramt das Handy aus der Tasche und ruft Vera an. Vera ist ganz aufgelöst. Sie ist jetzt auf dem Weg. Ihren Familienvan hatte sie in der Firma verkauft und sie ist jetzt mit dem Taxi unterwegs. „Ist spät, ich weiß, habt ihr schon ein bisschen vorarbeiten können? Chénoa hatte noch so viele Fragen. Es schien kein Ende zu nehmen.“

Chénoa. Das hatte Leon ganz vergessen. Er sieht seine Enkelkinder an. „Habt ihr euch von Chénoa verabschieden können?“ Irina und Dimmy schütteln den Kopf. Irina ist richtig traurig. „Haben wir irgendwie völlig vergessen.“

„Na gut, dann werden wir wohl an einem der nächsten Wochenenden Chénnoa mal besuchen müssen.“ Irinas Blick leuchtet. „Au ja.“

Chénoa ist die älteste Tochter von Leon und niemand, wirklich niemand in der Familie reicht an ihre Kräfte heran. Chénoa hat selbst in ihrer Familie eine einsame Stellung. Sie hatte Leon beerbt. Sie ist die Präsidentin aller Firmen, die der großen Familie von Leon gehören. Leon würde sich mit seiner Arbeit auf Europa beschränken. Er würde dort hoffentlich etwas mehr Zeit für seine (neue) Familie haben.

Als dann das Taxi kommt, staunen sie nicht schlecht. Mama und Chénoa steigen zusammen aus. Irina fällt ihr in die Arme. Tante Chénoa ist wirklich etwas Besonderes.

„Alles schon erledigt?“ fragt Chénoa und Irina strahlt. „Ja. Opa hat uns mitgenommen. Wir haben alles nach Deutschland geschafft. Das was wir hier lassen müssen, das wird die Firma jetzt in die Hand nehmen.“ Chénoa nickt. „Dann mal los. Holen wir das Handgepäck aus dem Haus. Den Schlüssel könnt ihr mir geben. Ich begleite euch noch zum Flugplatz.“

Als sie schließlich im Flieger sitzen, hat Dimmy einen Fensterplatz. Irina sitzt neben ihm. Es ist eines dieser neuen Konstruktionen. Diese kleinen Maschinen, die mit Gas und Solarstrom und Akkus fliegen. Benzin gibt es fast nicht mehr. Die großen Flieger, die früher einmal im Sekundentakt um die Erde geflogen waren, die waren inzwischen alle eingemottet worden. Dafür gibt es keinen Treibstoff mehr. Nur für das Militär hat man noch Dieselöl und Benzin gehortet, für den Fall eines Krieges, der hoffentlich nie eintreten wird.

Vera und Leon sitzen hinter Irina und Dimmy. Die ganze Maschine hat nur 40 Sitzplätze. Diese neuen Konstruktionen verbrauchen aber auch wirklich wenig Energie. Dimmy und Irina waren in ihrem Leben bisher aber nur ein paar mal geflogen. Das war selten geworden. Inzwischen werden die USA von schnellen Fernzügen „durchflogen“, die sich mit Gas und Elektroenergie fortbewegen. Es gibt einige Linien mit Magnetbahnen, die sind noch schneller. Sie fahren aber nur in einigen Gebieten der USA, die sicher vor Hurrikans und Windhosen sind, denn davon gibt es gewaltig viele.

Selbst das Taxi, mit dem sie zum Flughafen gefahren waren, das hat solch einen Elektroantrieb. Auch diese Antriebssysteme werden in den Fabriken hergestellt, die der Familie von Leon gehören. Die Familie ist im Bereich Energieversorgung und Umwelttechnologien weltweit führend. Diese Geschäftszweige sind noch weit gewinnbringender als diese riesige Mac Best Food Company, für die Mama direkt arbeitet.

Irina kennt sich nicht wirklich gut mit diesen Umwelttechnologien aus. Opa hatte ihnen im vergangenen Jahr einiges erzählt und sie weiß, dass Onkel Paco diese Unternehmensgruppe führt. Alles zusammen wird wiederum von Tante Chénoa geleitet, die heute am Flughafen zurück-geblieben ist.

„Ich soll euch einen Gruß von Fred und euren Geschwistern sagen“, hatte Chénoa auf dem Flughafen nachgerufen, bevor sie durch die Schleusentore gingen.

Frederik.

Fred ist ihr eigentlicher Papa. Die ersten Jahre ihres Lebens hatten sie mit Fred zusammengelebt. Eine große glückliche Familie aus vier Frauen und vielen Kindern. Alle von Fred. Irina ist die Erstgeborene, aber die großen Kinder von Tatjana, Sonja und Anastasia (das waren die anderen Freundinnen von Fred), die sind nicht viel jünger. Sie haben alle ein gutes Verhältnis zueinander, auch wenn das in den letzten Jahren etwas gelitten hat, weil sie sich nicht mehr so oft sehen.

Opa Leon hatte versucht, in den letzten 12 Monaten den Kontakt zwischen den Kindern zu verbessern. Sie hatten manchmal ihre „Tante“ Anastasia, manchmal Tatjana oder Sonja besucht. Manchmal hatten sie sich in ihrem gemieteten Ferienhaus in dem großen Seengebiet getroffen, für ein Wochenende.

Was jetzt vor ihnen liegt, wird sie wohl so beschäftigen, dass der Kontakt zu den Geschwistern zurückgehen wird. Irina ist sich sicher. Jeder Umzug hat etwas gewaltiges.

Dank ihrer Kräfte können sie sehr gut deutsch sprechen. Mit dem Schreiben hapert es aber gewaltig und sie werden viel lernen müssen.

Irina wird in die neunte Klasse kommen. In Deutschland wird das allerdings ein ganz anderer Stoff sein, als an ihrer Schule in Atlanta. Es wird nicht leicht werden.

Nur gut, dass Opa Leon sie erst mal mitnehmen wird nach Berlin. Sie werden die nächsten 2 Wochen viel zusammen unternehmen, dann wird sich zeigen, wann sie nach Brandenburg ziehen. Das Haus, was Leon und Vera dort bauen, ist nicht fertig geworden, aber sie werden einen Weg finden.

Leon legt großen Wert darauf, dass sie vom ersten Schultag an in der neuen Schule sitzen werden. „Sonst wird die Eingliederung zu schwierig“, hatte er gewarnt. „Auch so wird das nicht ganz einfach für euch werden.“

3.

Als sie auf dem Airport Berlin-Brandenburg ankommen, staunt Irina nicht schlecht. Sie sieht plötzlich eine Hand durch die Luft wirbeln, an der ein Arm hängt, dann schieben sich Oma Katharina und Tante Lara durch das Gedränge. Na, das ist ja toll.

Oma Katharina ist der gute Geist der Familie. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Sie umarmt Irina und Dimmy. Sie umarmt Leon und Vera. Irina schielt zu Oma hoch. Ist da wirklich nichts, das an Eifersucht erinnert??? Aber Irina sieht nichts dergleichen.

Lara umarmte ihren Vater lange. Irina sieht die Ströme von Energie, die zwischen den beiden hin- und herfließen. Sie schnappt auch ein paar Worte dieser Kommunikation auf, die da lautlos zwischen den beiden stattfindet. Dann umarmt Lara auch Vera und meint. „Seid willkommen in Deutschland.