Loe raamatut: «Wirtschaftsgeographie», lehekülg 14

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4.5Globale Verflechtungen

Klassische wirtschaftsgeographische Analysen sind vielfach auf lokale, regionale oder nationale Wirtschaftsabläufe und Beziehungen fokussiert. Dies ist auf der einen Seite verständlich, da ökonomische Probleme oft lokalisiert sind und ihren Folgen durch territorial begrenzte Politikansätze (z. B. Regionalpolitik) entgegengewirkt wird. Auf der anderen Seite zeigen sich immer deutlicher auch die Grenzen einer solchen Sichtweise, da ökonomische Prozesse international und global organisiert sind und deshalb Bedingungen und Trends in anderen Ländern nicht unbeachtet bleiben können (Haas und Neumair 2006; Giese et al. 2011). Durch die zunehmende Integration weltweiter ökonomischer Bedingungen und Strukturen sind die Produktionskonstellationen in ausgewählten Untersuchungsregionen und -ländern systematisch abhängig von Nachfragetrends, Technologieentwicklungen sowie politischen und institutionellen Bedingungen in anderen Ländern rund um den Globus. Wirtschaftliche Krisen, wie die globale Finanzkrise in den Jahren nach 2007, politische Spannungen, wie etwa in Nordafrika und im Nahen Osten, oder das britische Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit) haben oft auch über große Entfernungen hinweg unmittelbare Auswirkungen auf eine Untersuchungsregion. Im Folgenden werden vor diesem Hintergrund Konzepte der Globalisierung sowie grundlegende Dimensionen globaler Verflechtungen und Beziehungen aufgezeigt.

4.5.1Grundkonzeption der Globalisierung

Globalisierung ist weder Zustand noch Ursache, sondern ein Prozess der Transformation des Zusammenhangs zwischen Territorium und der Organisation sozio-ökonomischer Beziehungen (Waters 1995, Kap. 1). Dieser Zusammenhang ist das zentrale Element der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze, die im Kontext der Globalisierung seit den 1980er-Jahren entstanden sind (McGrew 1992; Waters 1995; Giddens 1997; Held et al. 1999; Sklair 1999). Die zunehmende Entankerung ökonomischen Handelns aus dem physischen Raum (Werlen 1997, Kap. 5) ermöglicht dabei sowohl die globale Verbreitung von Gütern, Leistungen, Wissen, Konsumpräferenzen und kulturellen Einstellungen als auch deren Pluralisierung an einem einzigen Ort. Das Herauslösen von Handlungszusammenhängen aus territorialen Bezügen führt im Sinne von Giddens (1997, S. 85) dazu, dass sich soziale Beziehungen weltweit intensivieren und „entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt.“ Dieser Prozess wird von Giddens (1995; 1997) als räumliche Entbettung bzw. Entankerung im Zusammenhang von traditioneller (vor-moderner) und moderner Gesellschaft thematisiert.

Neue Informations-, Kommunikations- und logistische Technologien ermöglichen seit dem 20. Jahrhundert die verstärkte Loslösung sozialer und ökonomischer Interaktionen aus Zeit und Raum – ein Phänomen, das als time-space compression (Harvey 1990) oder zeitkompakter Globus (Beck 1997) bezeichnet wird. Im Bereich der Logistik hat die Mobilität von Personen und Gütern durch Innovationen in der modernen Luftfahrt und durch Hochgeschwindigkeitszüge auf modernen Schienennetzen sowie durch die Massenmotorisierung der Gesellschaft erheblich zugenommen. Distanzen werden in viel kürzerer Zeit überwunden, sodass Entfernungen technologiebedingt zu schrumpfen (McHale 1969) (→ Abb. 4.10) bzw. Raum und Zeit zu konvergieren scheinen (Blotevogel 2000).


Abb. 4.10 McHale’sche Darstellung des schrumpfenden Planeten Erde (nach Dicken 1998, S. 152)

Innovationen im Bereich der Kommunikationstechnologien wie z. B. Intranet, Internet, social media oder Videokonferenzen erlauben den Austausch von Informationen in Echtzeit und schaffen virtuelle Nähe (→ Kap. 4.2). Wertpapiergeschäfte sind nicht mehr auf die Öffnungszeiten der lokalen Börse beschränkt, sondern können von einem beliebigen Standort aus zu fast jeder Tages- und Nachtzeit an anderen Börsen der Welt getätigt werden. Der räumlich und zeitlich immer weniger limitierte Handel von Kapital in einem weltweit integrierten Finanzsystem wird daher zumeist als ideales Beispiel einer verwirklichten Globalisierung angesehen (Castells 1999, Kap. 2). Dabei stellen technologische Innovationen im Bereich der Kommunikation und der Logistik die vielleicht grundlegendsten Rahmenbedingungen für Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse dar (Rosenau 1990; Sklair 1999; Giese et al. 2011). Zudem gibt es eine Vielzahl institutioneller Veränderungen auf internationaler Ebene (z. B. die Beseitigung von Handelsbarrieren und Deregulierung der Finanzmärkte), die das Fortschreiten von Globalisierungsprozessen erst ermöglicht haben (Schamp 1996; 2000 b, Kap. 3.1; Giese et al. 2011). Jedoch kann der Prozess der Globalisierung nicht einfach als Folge von Rahmenbedingungen konzipiert werden, sondern ist vielmehr das Ergebnis strategischen Handelns von Akteuren.

Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die insbesondere seit den 1980er-Jahren eine neue Dimension (Qualität) des internationalen Austauschs ermöglicht haben, bedeuten aber keineswegs, dass der Prozess der Globalisierung ein gänzlich neues Phänomen ist, wie dies manche Vertreter der Globalisierungshypothese behaupten. Vielmehr setzte der Prozess bereits mit der Industrialisierung ein und wurde schon frühzeitig thematisiert, wie das folgende Zitat von Marx und Engels (1848, S. 23) aus ihrer Analyse der historischen Rolle der kapitalistischen Gesellschaft und ihres Wandels belegt: „Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“ Tatsächlich kann Globalisierung im Sinne von Marx (1890, Kap. 14) aus dem im Kapitalismus verankerten Streben nach der Produktion von Mehrwert abgeleitet oder im Sinne von Giddens (1997) als Konsequenz aus der in der Moderne verankerten Reflexivität gesellschaftlicher Beziehungen verstanden werden.

Doch selbst vor der Industrialisierung bestanden schon einflussreiche internationale Verflechtungen, z. B. im Rahmen der interkontinentalen Kolonialisierung durch die europäischen Königreiche Spaniens, Großbritanniens und Frankreichs (Harvey 1996). Und selbst vor dieser Zeit existierten entfernte Handelsbeziehungen, z. B. über die Seidenstraße zwischen Europa und China. Internationale Beziehungen zwischen territorial definierten Herrschafts- und Wirtschaftsräumen haben somit eine lange Tradition (Held et al. 1999).

Der moderne Globalisierungsbegriff sollte weder im Gegensatz zu dem Begriff der Internationalisierung, der die geographische Ausbreitung von Aktivitäten über nationale Grenzen hinweg betrachtet (Dicken 1998, Kap. 1), noch zu dem der Denationalisierung gesehen werden, bei dem lokalisierte soziale Handlungszusammenhänge in zunehmendem Maße nationale Grenzen überschreiten (Zürn 1997). Vielmehr sollte Globalisierung als ein historischer Prozess verstanden werden (Schamp 1996; Held et al. 1999; Bathelt 2000; Giese et al. 2011), dessen fortwährende Veränderung der Organisation sozialer und ökonomischer Beziehungen in räumlicher Perspektive zu einer zunehmenden globalen Vernetzung von Aktivitäten und wechselseitigen Abhängigkeiten führt. Historische Phasen der Globalisierung bzw. Internationalisierung können anhand von vier Grundcharakteristika umschrieben und von anderen unterschieden werden. In Anlehnung an Held et al. (1999, Kap. 1) sind dies: (1) geographische Ausbreitung, (2) Intensität, (3) Geschwindigkeit und (4) Wirkung der internationalen Verflechtungen. Die Kombination dieser Charakteristika führte zu einer Reihe unterschiedlicher Typen von Globalisierungs- oder Internationalisierungsphasen. Jede Phase der Globalisierung bzw. Internationalisierung ist dabei abhängig von den jeweiligen historischen Kontexten, wie z. B. den technologischen Bedingungen sowie den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen und Interessen (North 1991), sodass diese Typen nicht als Stadien linearen Fortschritts, sondern als Bestandteile eines pfadabhängigen, evolutionären Prozesses zu verstehen sind.

Daher ist es unter Umständen schwierig, sprunghafte Veränderungen der weltweiten Produktions- und Konsumbeziehungen empirisch nachzuweisen. Wir begreifen den gegenwärtigen Prozess der Globalisierung als eine fortgeschrittene Stufe der Internationalisierung, deren besondere Intensität und Dynamik es aufzudecken gilt (Bathelt 2000; Giese et al. 2011). Verschiedene Dimensionen des Globalisierungsprozesses, darunter die informatorische, kulturelle, ökologische, politische, zivilgesellschaftliche und ökonomische Dimension (Beck 1997, Kap. 3; Werlen 1997, Kap. 5), werden in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert. Die nachfolgende Diskussion konzentriert sich auf die wirtschaftliche Globalisierung in ihrer Bedeutung für die Wirtschaftsgeographie.

4.5.2Wider die Hyperglobalisierung

Viele Unternehmen sind mit eigenen Betriebsstätten und Tochtergesellschaften im Ausland aktiv. Diese Unternehmen, die in verschiedenen Ländern Tochtergesellschaften kontrollieren, gelten nach Abgrenzung der Vereinten Nationen als transnationale Unternehmen im weiteren Sinne (→ Kap. 11). Transnationale Unternehmen beschäftigten Anfang des 21. Jahrhunderts gemeinsam über 80 Millionen Menschen allein in ausländischen Tochtergesellschaften. Dies entsprach etwa 4 % der gesamten weltweiten Beschäftigung (UNCTAD 2010). Vergleicht man ihre Wertschöpfung mit großen Volkswirtschaften, so entsteht ein Eindruck von der enormen ökonomischen Bedeutung transnational operierender Unternehmen. Im Jahr 2000 rangierte Exxon Mobilcom als das Unternehmen mit der weltweit größten Wertschöpfung auf Platz 45 der 100 größten Ökonomien (wenn man die größten Unternehmen und Volkswirtschaften zusammen betrachtet). Die Wirtschaftskraft des Konzerns übertraf damit die Produktionstätigkeit ganzer Staaten wie zum Beispiel von Pakistan, Neuseeland oder Tschechien (→ Abb. 4.11). Insgesamt waren demnach 29 der 100 größten Ökonomien der Welt Unternehmen. Obwohl dieser Vergleich problematisch ist (da Volkswirtschaften nicht das Ziel der Gewinnmaximierung haben, jedoch soziale Kosten tragen müssen, die durch Unternehmen verursacht werden), wird dadurch illustriert, welche bedeutende Größe und damit Machtposition einzelne Unternehmen im Vergleich zu Nationalstaaten erlangt haben (→ Kap. 11.3).


Abb. 4.11 Die 100 größten Ökonomien der Welt, gemessen nach der Wertschöpfung in Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 (nach UNCTAD 2002; Glückler 2006 a)

In dem enormen Wachstum großer multinationaler Unternehmen drückt sich zugleich ein interessantes Paradoxon aus. Fischermann (2000) wertet dieses Wachstum als Indiz, dass Planungssysteme (Planwirtschaften) global operierender Konzerne inmitten weltweiter Marktwirtschaften zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Nicht nur die Größe, sondern auch die Zahl multinationaler bzw. transnationaler Unternehmen hat sich exponentiell entwickelt (→ Abb. 4.12). Sie wuchs von 7 000 im Jahr 1970 über 40 000 im Jahr 1995 (Karliner 1997) und 60 000 im Jahr 1998 (UNCTAD 1999) auf 86 000 Unternehmen im Jahr 2016 an (UNCTAD 2010; 2017). Große transnationale Unternehmen erzielen über die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb ihres Stammlands in internationalen Märkten (Sklair 1999). Der Umsatz der ausländischen Tochtergesellschaften aller transnationalen Unternehmen repräsentiert mittlerweile 11 % des globalen Wirtschaftsprodukts. Zwar dominieren nach wie vor Unternehmen aus der Triade (d. h. den großen Märkten Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens) die internationale Organisation der Produktion, aber die Zahl der transnationalen Unternehmen in weniger entwickelten Staaten wächst stetig an. Transnationale Unternehmen aus Entwicklungs- und Schwellenländern erreichen sogar höhere Beschäftigungsanteile in ausländischen Tochtergesellschaften als diejenigen aus der Triade. Neu industrialisierte Staaten, wie z. B. die asiatischen Länder Hongkong (vor dem Anschluss an China), Singapur, Südkorea und Taiwan, haben sich als wettbewerbsstarke Nationen auf den Weltmärkten etabliert (Schamp 1996). Allein in China arbeiteten im Jahr 2009 etwa 20 % aller im Ausland beschäftigten Arbeitskräfte transnationaler Unternehmen (UNCTAD 2010). Zugleich sind die Zuwächse des Welthandels seit den 1970er-Jahren höher als die der Industrieproduktion, und multinationale Unternehmen treiben als global organisierte Akteure das Wachstum ausländischer Direktinvestitionen an (→ Abb. 4.13).


Abb. 4.12 Entwicklung und Verteilung der Zahl transnationaler Unternehmen nach ihrem Hauptsitz in entwickelten oder sich entwickelnden Volkswirtschaften (nach UNCTAD 2010, S. 17)


Abb. 4.13 Globalisierung durch Intensivierung des Außenhandels und der Kapitalverflechtungen (nach Stiftung Entwicklung und Frieden 2003, S. 156)

Hyperglobalisten (Held et al. 1999, Kap. 1) meinen aufgrund dieser Beobachtungen, das Ende des Nationalstaats erkannt zu haben, der durch einen unbegrenzten globalen Markt und weltumspannende Produktions-, Unternehmens- und Finanznetzwerke mächtiger weltweit tätiger Unternehmen zusehends ausgehöhlt werde. Eine grenzenlose Welt (Ohmae 1990) eröffne den Rahmen einer globalen Zivilgesellschaft. Demgegenüber wehren Globalisierungsskeptiker die Globalisierung als Mythos ab und verweisen in historischen Vergleichen auf die begrenzte internationale Ausdehnung ökonomischer Beziehungen in den 1990er-Jahren im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts. So war der durchschnittliche Anteil der Exporte und Importe am Bruttonationaleinkommen 1973 weltweit geringer als noch im Jahr 1913. Eine Reihe von Staaten hat den durch die beiden Weltkriege bedingten Einbruch des globalen Güteraustauschs sogar bis zum Jahr 1994 noch nicht wieder ausgleichen können (Hirst und Thompson 1996; Kleinknecht und Wengel 1998; Hellmer et al. 1999, Kap. 2).

Messbare grenzüberschreitende Austauschbeziehungen können sowohl für den Handel von Vor- und Endprodukten und Diensten als auch für den Austausch von Produktionsfaktoren, wie z. B. Kapital, und Technologien statistisch erfasst werden (→ Tab. 4.1). Die nachfolgende Diskussion dieser internationalen Ströme soll die Intensität und in räumlicher Perspektive die Verflechtung der internationalen Wirtschaft veranschaulichen, um das Ausmaß bzw. die quantitative Dimension der Globalisierung zu prüfen, aber auch um die Grenzen einer Faktorperspektive aufzuzeigen.


Tab. 4.1 Zentrale Dimensionen internationalen ökonomischen Austauschs
Handel von Gütern und Diensteninter- versus intrasektoraler Handel
Handel von Endprodukten versus Zwischenprodukten
Inter- versus Intra-Unternehmenshandel
Kapitalverflechtungenausländische Portfolioinvestitionen
ausländische Direktinvestitionen (ADI)
greenfield-ADI
brownfield-ADI (mergers & acquisitions)
Wissens- und Technologieverflechtungengrenzüberschreitende Forschung und Entwicklung (FuE)
Transfer von Technologien (Lizenzierung, Patentierung)
Transfer von Designs und Marken (Verkauf, Lizenzierung, franchise)

4.5.3Regionalisiertes Wachstum ­internationalen Handels

Das durchschnittliche Außenhandelsvolumen der OECD-Staaten (Organisation for Economic Cooperation and Development) betrug 2007 etwa 70 % ihres Bruttoinlandsprodukts, wobei kleinere Staaten wie Irland, Belgien, die Tschechische Republik und die Niederlande sogar Handelsvolumina erreichten, die über dem eigenen Bruttoinlandsprodukt lagen (OECD 2010). Die wachsende Bedeutung des internationalen Handels zeigt sich für die Bundesrepublik Deutschland im enormen Anstieg der Einfuhr- und Ausfuhrwerte zwischen 1990 und 2010 (→ Abb. 4.14). Im Jahr 2010 betrug der Wert der Einfuhr von Gütern und Dienstleistungen 806,2 Milliarden Euro bei einer Ausfuhr von 959,5 Milliarden Euro und einem Ausfuhrüberschuss von 153,3 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt 2011). In den Jahren 2003 bis 2008 war Deutschland innerhalb der OECD noch vor den USA die größte Exportnation für Waren (OECD 2010).


Abb. 4.14 Einfuhr und Ausfuhr in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 2016 in tatsächlichen Werten (nach Statistisches Bundesamt (Destatis), Außenhandel, 2017)

Gemäß der Globalisierungshypothese ist das ungebrochene Wachstum des Handels ein Indiz für zunehmende globale Verflechtungen. Seit 1970 wächst der Export kontinuierlich stärker an als die Produktion von Gütern (Hirst und Thompson 1996, Kap. 3; Schamp 1996), d. h. Produkte werden immer weniger dort konsumiert, wo sie hergestellt werden. Am Beispiel der Staaten der Europäischen Union (EU) demonstrieren Kleinknecht und Wengel (1998) allerdings, dass das Maß an globaler Handelsverflechtung außerhalb Europas seit den 1960er-Jahren eher stagniert, während sich der innereuropäische Binnenhandel intensiviert hat (→ Abb. 4.15). Sowohl der Anteil der Importe als auch der der Exporte am Bruttoinlandsprodukt hat sich zwischen 1960 und 1995 im Binnenhandel der EU verdoppelt, während der Anteil der Importe und Exporte im Außenhandel nahezu unverändert geblieben ist.


Abb. 4.15 Entwicklung von europäischem Binnen- und Außenhandel der EU-12-Staaten gemessen am Brutto­inlandsprodukt (BIP) 1960 bis 1995 (nach Kleinknecht und Wengel 1998, S. 641)

Damit ist die quantitative Bedeutung der Globalisierung durchaus kritisch zu beurteilen. Entgegen der Globalisierungshypothese tritt die EU letztlich in erster Linie als ein regionaler Wirtschaftsblock in Erscheinung, der 1995 keineswegs stärker in die globale Weltwirtschaft eingebunden war als noch im Jahr 1960. Internationalisierung vollzieht sich aus europäischer Perspektive somit weniger als Prozess der Globalisierung, sondern vielmehr als wirtschaftliche Integration der EU-Staaten. Zwei Drittel des Außenhandelsvolumens der europäischen Mitgliedsstaaten konzentrierten sich im Jahr 2007 auf die Europäische Region, nur ein Drittel auf den Handel mit anderen Weltregionen (OECD 2010).

Ähnliches lässt sich für Nordamerika und Japan feststellen. Im Zeitraum von 1963 bis 1996 hat sich in beiden Fällen das Handelsgewicht auf den eigenen Wirtschaftsblock verstärkt und der Anteil des Gesamthandelsaufkommens mit weniger entwickelten Weltregionen wie Südamerika und Afrika verringert. Nordamerika, Japan und Europa bilden somit zu Recht die drei Zentren oder die Triade der internationalen Ökonomie (Ohmae 1985; Hirst und Thompson 1996; Dicken 1998, Kap. 2 und 3). Auch der größte Teil der transnationalen Unternehmen ist nach wie vor in der Triade ansässig: Im Jahr 2008 stammten 72 % aller transnationalen Unternehmen aus den betreffenden Industrienationen (UNCTAD 2010).

Die Verflechtung der Handelsbeziehungen entwickelt sich zusammengefasst keineswegs global in dem Sinne, dass alle Regionen der Welt gleichermaßen oder überhaupt stärker mit anderen Teilen der Welt vernetzt werden (z. B. Sternberg 1997). Vielmehr erfolgt die Internationalisierung des Handels als Prozess der Integration der industrialisierten kontinentalen Wirtschaftsblöcke (Nuhn 1997; 1998). Mit der Institutionalisierung der regionalen Wirtschaftsabkommen MERCOSUR (Mercado Común del Sur), dem gemeinsamen Markt Südamerikas, und ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), dem asiatischen Äquivalent, nimmt auch der intraregionale Handel in Südamerika und Südostasien stetig zu (OECD 2010). Doch das Wachstum des weltweiten Handels ist nicht nur in räumlicher Perspektive stark konzentriert. Auch hat sich die Struktur des Handels verändert. Eine strukturelle Verschiebung zeigt sich in unterschiedlichen Aspekten des Handels, wobei verschiedene Handelstypen jeweils unterschiedliche Aspekte des Welthandels beleuchten.

(1) Intrasektoraler Außenhandel. Innerhalb der EU verringert sich der Anteil des intersektoralen Außenhandels immer stärker zugunsten des intrasektoralen Handels. Der intersektorale Handel repräsentiert die traditionelle Form des Außenhandels auf der Grundlage komparativer Kostenvorteile. So besagt das Theorem der komparativen Kostenvorteile nach Ricardo, dass es für Länder vorteilhaft ist, sich auf die Produktion derjenigen Produkte zu spezialisieren, die sie im Vergleich mit anderen Ländern am produktivsten herstellen können (Hesse 1988; Schumann 1988). Es müsste sich demnach eine internationale Arbeitsteilung mit entsprechendem intersektoralem Außenhandel entwickeln. Import und Export von Gütern und Dienstleistungen würden dabei wenige Überlappungen aufweisen. Diese klassische Form der internationalen Arbeitsteilung wird jedoch sukzessive durch überlappende Produktionstätigkeiten und einen entsprechenden intrasektoralen Handel abgelöst, bei dem gleiche oder ähnliche Produkte desselben Sektors gehandelt werden. Zwischen 1980 und 1996 erhöhte sich beispielsweise der Anteil des intrasektoralen Handels innerhalb der EU-12-Staaten um etwa 8 % auf über 60 % (OECD 1999 a), bis 2008 in den meisten OECD-Staaten sogar auf über 70 % (OECD 2010). Der wechselseitige Außenhandel vergleichbarer Güter, wie z. B. der deutsche Import ausländischer Autos bei gleichzeitigem Export deutscher Autos, deutet auf eine zunehmende Produktdifferenzierung und Pluralisierung der Märkte hin. Deutschlands Außenhandel bestand im Jahr 2008 zu 78 % aus dem Tausch brancheninterner Güter (OECD 2010).

(2) Außenhandel von Zwischenprodukten. Eine wachsende Bedeutung hat auch der internationale Handel mit Zwischenprodukten. Während in früheren Phasen Handelsbeziehungen mit Rohstoffen und Endprodukten vorherrschten, hat sich inzwischen eine internationale Arbeitsteilung in der Produktion etabliert, bei der immer mehr Zwischenprodukte einzelner Wertschöpfungsstufen in andere Länder exportiert und dort weiterverarbeitet werden. Das Wachstum des Handelsvolumens für Zwischenprodukte ist ein Indiz für die zunehmende internationale Organisation von Wertschöpfungsketten. Zwischen 1995 und 2006 wuchs der Anteil des Handels intermediärer Güter in den OECD-Staaten jährlich um 6 % für Waren und 7 % für Dienstleistungen. Der Handel mit intermediären Gütern machte 56 % des gesamten Warenhandels und 73 % des Handels mit Dienstleistungen aus (OECD 2010). Exportierte und importierte Güter sind folglich seltener für den Konsum und immer häufiger zur Weiterverarbeitung in einer sich fortwährend vertiefenden internationalen Arbeitsteilung bestimmt. Sinn (2005) befürchtet vor diesem Hintergrund, dass sich Deutschland zunehmend in eine Basar-Ökonomie, d.h. in einen Umschlagplatz der Veredelung ausländischer Vorprodukte in finale Exportwaren, wandelt (Handke 2014). Eine geographische Differenzierung der Handelsströme bestätigt die zuvor beschriebene Struktur des regionalisierten Welthandels. 85 % des gesamten Welthandels von Zwischengütern konzentrieren sich auf Handelsbeziehungen zwischen den 34 OECD-Mitgliedsstaaten sowie den Beitrittskandidaten und den Partnern mit verstärkter Zusammenarbeit, darunter Indien, China und Brasilien (OECD 2010). Hierbei sind intraregionale Ströme der Triade jeweils größer als interregionale (→ Abb. 4.16).


Abb. 4.16 Räumliche Struktur der Importe von Zwischengütern (Waren) nach Weltregionen (nach OECD 2010, S. 215)

(3) Unternehmensinterner Außenhandel. Durch die internationale Organisation der Produktion großer multinationaler Unternehmen gewinnt auch der grenzüberschreitende Handel zwischen Unternehmenseinheiten an Bedeutung. Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen beträgt der Anteil des unternehmensinternen Handels weltweit etwa ein Drittel des gesamten Handelsaufkommens (UNCTAD 1995). Aufgrund der schwierigen Erfassung der tatsächlichen Ströme liegen bislang hierzu allerdings nur wenige Studien vor. In einer schwedischen Untersuchung wurde für 300 Industriebetriebe in ausländischem Besitz ermittelt, dass durchschnittlich über 40 % der betrieblichen Exporte an ausländische Einheiten des gleichen Unternehmens gerichtet waren und umgekehrt etwa 30 % der Importe von anderen Unternehmensteilen aus dem Ausland bezogen wurden (Ivarsson und Johnsson 2000). Statistiken der OECD zeigen seit den 1990er-Jahren eine leichte Zunahme des unternehmensinternen Handels für eine Reihe von Ländern, die diesen Handel statistisch erfassen. So nahm der Anteil interner Exporte in den USA, Kanada und den Niederlanden leicht auf 50 % zu, während er in Schwe­den von 35 auf 75 % stark anstieg (OECD 2005 a). Insgesamt tauschen ausländische Tochtergesellschaften mehr Sach- und Dienstleistungen mit unternehmenseigenen Schwesterbetrieben im Ausland als mit anderen Unternehmen. Die Anteile unternehmensinterner Importe und Exporte schwanken erheblich zwischen Unternehmen, Sektoren und Ländern. So tendieren vor allem Unternehmen in technologie- und forschungsintensiven Sektoren zu einem ausgeprägten unternehmensinternen Außenhandel. In räumlicher Perspektive scheint der unternehmensinterne Außenhandel wiederum auf regionale Wirtschaftsblöcke sowie auf die Triade konzentriert zu sein. Umfang und Struktur des unternehmensinternen Außenhandels hängen letztlich maßgeblich von der gewählten länder- bzw. marktspezifischen Strategie der betreffenden multinationalen Unternehmen und somit von deren spezifischer internationaler Produktionsorganisation ab.