Loe raamatut: «Bewegungen, die heilen»

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Dr. Harald Blomberg

Titel der englischen, für das Erscheinen in Deutschland überarbeiteten Ausgabe:

Movements that heal

© Dr. Harald Blomberg, 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

VAK Verlags GmbH

Eschbachstr. 5

79199 Kirchzarten

Deutschland

© VAK Verlags GmbH, Kirchzarten bei Freiburg 2012

Übersetzung: Rotraud Oechsler

Lektorat: Norbert Gehlen

Illustrationen: S. Almenberg, R. Mauler Gruber, E. M. Rodríguez Diez, F. J. C. Rodríguez

Coverfotos: iStockphoto.com

Coverdesign: Sabine Fuchs

Layout: Karl-Heinz Mundinger, VAK

Gesamtherstellung: freiburger grafische betriebe, Freiburg

Printed in Germany

ISBN 978-3-86731-101-4 (Paperback)

ISBN 978-3-95484-140-0 (ePub)

ISBN 978-3-95484-141-7 (Kindle)

ISBN 978-3-95484-142-4 (PDF)


Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung: Wie das rhythmische Bewegungstraining (RMT) entstand
Kapitel 1: Die traditionelle Behandlung von ADHS
Kapitel 2: Eine alternative Sichtweise und Behandlung von ADHS
Kapitel 3: Kinder mit besonderen Herausforderungen – zwei verschiedene Betrachtungsweisen
Kapitel 4: Umfeldbedingte Ursachen von Aufmerksamkeits- und Lernstörungen
Kapitel 5: Das Stammhirn und die rhythmischen Bewegungen
Kapitel 6: Das Kleinhirn und die rhythmischen Bewegungen
Kapitel 7: Das reptilienhafte Gehirn
Kapitel 8: Wichtige primitive Reflexe bei ADHS
Kapitel 9: Primitive Reflexe bei Lese- und Schreibschwierigkeiten
Kapitel 10: Das limbische System und die rhythmischen Bewegungen
Kapitel 11: Der präfrontale Kortex und die rhythmischen Bewegungen
Kapitel 12: Störungen aus dem autistischen Formenkreis und das rhythmische Bewegungstraining
Kapitel 13: Rhythmisches Bewegungstraining und Psychose
Kapitel 14: Was ist Legasthenie?
Kapitel 15: Sehprobleme und Legasthenie
Kapitel 16: Probleme mit der Phonologie und dem Schreiben
Kapitel 17: Das neuronale Netzwerk für das Lesen

Quellenverzeichnis

Über den Autor: Mein Werdegang (von Dr. H. Blomberg)

Das RMT-Übungsprogramm: Die 15 rhythmischen Bewegungsübungen – Anleitungen und Wirkungen

Hinweis des Verlags

Dieses Buch informiert über Hintergründe und Anwendung des rhythmischen Bewegungstrainings (RMT). Die dargestellten Verfahrensweisen haben sich als sicher und effektiv bewährt. Wer sie anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Autor und Verlag beabsichtigen hier nicht, individuelle Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben. Die Informationen in diesem Buch sind nicht als Ersatz für professionelle therapeutische Hilfe bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen zu verstehen.

Vorwort

Dieses Buch ist für alle gedacht, die nach Methoden suchen, die Kindern bei Problemen helfen; Methoden, die Kindern ermöglichen, sich wohlzufühlen, ihren Aufgaben gerecht zu werden und auf Medikamente zu verzichten. In diesem Buch beschreibe ich die von Kerstin Linde entwickelten einfachen Bewegungsübungen, die die Fähigkeit des Gehirns und des Nervensystems stimulieren, sich ständig zu erneuern und neue Nervenverbindungen zu schaffen. Ich werde erklären, wie die Übungen dem Kind helfen, sich körperlich, emotional und geistig zu entwickeln, zu reifen oder zu gesunden. Diese Bewegungen existieren bereits als angeborene motorische Muster, die aktiviert werden müssen, damit ein Kind sich normal entwickeln kann. Ich nenne meine Methode Rhythmic Movement Training [RMT; zu Deutsch: rhythmisches Bewegungstraining. – Anm. d. Übers].

Manchmal hat es den Anschein, als hätten die Übungen innerhalb kurzer Zeit eine sozusagen „magische“ Wirkung. Das soll jedoch nicht heißen, dass ihre Funktionsweise etwas mit Magie zu tun hätte. Ich habe mich nach bestem Wissen bemüht, wissenschaftlich zu erklären, wie diese einfachen Übungen so kraftvoll wirken können, und ich hoffe, Sie als Leser fühlen sich von meinen Erklärungen nicht „erdrückt“.

Diese Übungen habe ich von meiner schwedischen „Kollegin“ Kerstin Linde gelernt und ich wende sie seit 25 Jahren in meiner Arbeit als Psychiater an. (Seit 2001 betreibe ich in Stockholm mein Zentrum für rhythmisches Bewegungstraining.)

Kerstin Linde war ursprünglich Fotografin und erarbeitete ihre Methode, die hauptsächlich durch die spontanen rhythmischen Bewegungen von Babys inspiriert war, indem sie beobachtete, wie Babys, Kinder und Erwachsene sich bewegen. Ich verfolgte ihre Arbeit in den späten 1980er-Jahren ein paar Jahre lang und schrieb darüber in meinem früheren Buch Helande Liv [zu Deutsch etwa: Das Leben heilen].

Die rhythmischen Bewegungselemente sind für ihre Methode besonders charakteristisch. Andere Ansätze, die Kindern mit Problemen im Bereich der Motorik und des Lernens helfen, sind auch durch Bewegungen von Babys inspiriert – ihnen fehlen jedoch die rhythmischen Elemente. Und wie dieses Buch deutlich macht, sind es gerade diese spontanen rhythmischen Bewegungen, die von fundamentaler Bedeutung für die motorische, emotionale und intellektuelle Entwicklung des Kindes werden.

Zu den vielen Auswirkungen von Kerstin Lindes Methode gehört die Integration der frühkindlichen oder „primitiven“ Reflexe. Sie betonte immer, dass die rhythmischen Übungen diese primitiven Reflexe integrierten, wenn sie korrekt ausgeführt würden. Das mag für kleine Kinder gelten, doch bei älteren Kindern und bei Erwachsenen müssen die rhythmischen Übungen durch andere Methoden ergänzt werden. Die russische Psychologin Svetlana Masgutova entwickelte eine andere wirksame Methode zur Integration der primitiven Reflexe; ihre Übungen sind eine wertvolle Ergänzung zu den rhythmischen Übungen von Kerstin Linde.

Seit vielen Jahren gebe ich Kurse in rhythmischem Bewegungstraining und Reflexintegration (in Schweden und in anderen europäischen Ländern, in Asien, Australien und Amerika). In diesen Kursen wende ich mich an Lehrer, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Masseure und andere Fachleute sowie an Eltern von Kindern mit verschiedenen Problemen.

Dieses Buch basiert auf meinen Kursunterlagen. Mein Ziel beim Schreiben war, die bemerkenswerte Wirksamkeit des rhythmischen Bewegungstrainings bei so vielen verschiedenen Beschwerden wissenschaftlich überzeugend zu erklären. Daher enthält das Buch auch etwas kompliziertere Abschnitte über die Struktur und Funktion des Gehirns und des Nervensystems sowie über die primitiven Reflexe. Vor allem aber enthält es viele Fall­geschichten, die veranschaulichen, wie die Methode funktioniert.

Rhythmisches Bewegungstraining kann nicht durch einen einmal unveränderlich abgesteckten starren Rahmen begrenzt werden. Die Unterstützung von Kindern in ihrer körperlichen, emotionalen und geistigen Entwicklung sowie in ihrem Reifungs- oder Heilungsprozess ist zu einer sehr viel größeren Herausforderung geworden, als das zu Beginn meiner Arbeit mit dieser Methode der Fall war. Nach meiner eigenen Erfahrung und nach den Erfahrungen von Lehrern und Therapeuten, die meine Kurse besuchen, haben die heutigen Kinder wesentlich mehr Probleme als Kinder vor 10 oder 20 Jahren. Es gibt einen dramatischen Anstieg von Aufmerksamkeitsstörungen, Autismus, emotionalen Problemen und Lernschwierigkeiten.

Es kommt immer häufiger vor, dass Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom), mit Lernschwierigkeiten und motorischen Problemen nicht mehr so schnelle Fortschritte mit RMT machen, wie ich sie zu Beginn meiner Arbeit mit dieser Methode gewöhnt war. In diesem Buch habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Ursachen der sich so rasch verschlechternden Gesundheit von Kindern nachzugehen und auch der Frage, wie wir dieser Entwicklung in der Arbeit mit RMT Rechnung tragen können. Daher informiere ich auch darüber, wie Kinder durch negative Faktoren aus ihrem Lebensumfeld belastet werden, zum Beispiel durch Mikrowellen, Schwermetalle, Nahrungsmittelzusätze usw.; ich zeige auch den enormen Stress auf, dem das kindliche Immunsystem heutzutage ausgesetzt ist und der bei vielen zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten führt. Stressbelastung durch Mobiltelefone und kabellose Netzwerke (W-LAN) oder durch Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist heute eine maßgebliche Ursache des sich rapide verschlechternden Gesundheitszustands bei Kindern; dieser Belastung muss man Rechnung tragen, wenn man RMT wirksam anwenden will.

Danken möchte ich an dieser Stelle der Soziologin Dr. Sophia Lövgren, die mit ihrem großen Expertenwissen großzügig zu diesem Buch beigetragen hat. Ich danke auch Dr. Mårten Kalling für seine Unterstützung in Form vieler wertvoller Erkenntnisse und wissenschaftlicher Artikel, mit deren Hilfe ich die Wirkungsweise des rhythmischen Bewegungstrainings erklären konnte.

Für ihre Hilfe im Zusammenhang mit den Illustrationen in diesem Buch bin ich Sandra Almenberg, Ricardo Mauler Gruber, Eva María Rodríguez Diez und Francisco Javier Carrasco Rodríguez zu Dank verpflichtet.

Dr. Harald Blomberg

EINLEITUNG
Wie das rhythmische Bewegungstraining (RMT) entstand

Im Jahre 1985 lernte ich hier in Schweden Kerstin Linde kennen, die eine Methode entwickelt hatte, die sie als „rhythmische Bewegungspädagogik“ bezeichnete. Damals arbeitete ich als Psychiater in einer psychiatrischen Ambulanzklinik und nahm an Kursen in Neurolinguistischem Programmieren (NPL) teil. Außerdem absolvierte ich eine zweijährige Ausbildung in therapeutischer Hypnose.

Mich faszinierte, was Kerstin Linde über ihre Arbeit, die rhythmischen Übungen mit Kindern und Erwachsenen, berichtete. Sie erzählte von exzellenten Resultaten bei allen möglichen Klienten, von Kindern mit schweren motorischen Behinderungen bis hin zu Erwachsenen mit Psychosen und Depressionen. Ich bat sie um die Erlaubnis, ihr bei der Arbeit zusehen zu dürfen, um zu lernen und zu verstehen, was sie da tat. Liebenswürdigerweise war sie damit einverstanden und riet mir, die Arbeit mit behinderten Kindern zu wählen, da dies am aufschlussreichsten sei.

Die Fortschritte, die ich dann bei vielen Kindern mit schweren motorischen Behinderungen beobachten konnte, übertrafen bei Weitem alles, was ich mir je hätte vorstellen können oder was ich aufgrund meiner medizinischen Ausbildung für möglich halten konnte. Spastisch gelähmte Kinder, die sich kaum bewegen und nicht sprechen konnten und stark schielten oder weitsichtig waren, entspannten ihre Muskeln und schon nach wenigen Monaten waren einige von ihnen in der Lage zu krabbeln, sich an Möbeln hochzuziehen und sogar Drei- und Vier-Wort-Sätze zu sprechen. Ich beobachtete, wie das Schielen aufhörte und die Weitsichtigkeit durch das Training erheblich gebessert wurde.

Die Eltern dieser Kinder waren wegen der raschen Fortschritte ebenso überrascht wie ich, zumal Ärzte und Physiotherapeuten ihnen gesagt hatten, dass sie von der angebotenen medizinischen Behandlung keine wesentliche Verbesserung zu erwarten hätten. In vielen Fällen hatten die Eltern das Gefühl, dass es Ärzten und Physiotherapeuten mehr darum ging, ihnen die Behinderung ihrer Kinder zu erklären und sie dazu zu bringen, den gegebenen Zustand zu akzeptieren, als ihren Kindern wirklich zu helfen.

Rhythmische Bewegungsübungen mit psychiatrischen Patienten

Ermutigt durch die Verbesserungen, die ich nicht nur bei Kindern mit schweren Behinderungen, sondern auch bei Erwachsenen mit Problemen wie Rückenschmerzen, Osteoarthritis oder psychiatrischen Symptomen erlebt hatte, führte ich die rhythmischen Übungen bei meinen Patienten in der Ambulanzklinik ein, wo ich als Facharzt tätig war. Sie lernten ein paar einfache rhythmische Übungen, die sie einmal täglich nicht länger als 10 Minuten machen sollten. Diese Übungen wurden bald sehr beliebt, denn bei vielen Patienten besserten sich die Depressionen, Angstzustände oder psychotischen Symptome. Ich bemerkte, dass sich viele aufgrund der Übungen an ihre Träume erinnern konnten und dass das für manche so war, als tue sich eine neue Welt auf. Ich stellte auch psychische Weiterentwicklungen fest, die sich in vielen Fällen in den Träumen der Patienten widerspiegelten.

Die Krankenschwestern, die sich um schizophrene und psychotische Patienten kümmerten, bemerkten, dass es diesen in vielerlei Hinsicht besser ging. Sie zogen sich weniger zurück, wurden aktiver und zeigten Interesse daran, Kontakte zu knüpfen. Ihre psychotischen Symptome verringerten sich und verschwanden bei zwei Patienten, die schon mehrere Jahre an Schizophrenie gelitten hatten, sogar völlig.

Die Patienten nahmen diese „Behandlung“ sehr dankbar und glücklich an, doch als mein Vorgesetzter davon erfuhr, untersagte er ihre Fortführung mit dem „Argument“, dass sie „nicht anerkannt“ und „kaum bekannt“ sei. Ich weigerte mich, seiner Forderung nachzukommen, und so sah er sich veranlasst, mich der staatlichen Gesundheitsbehörde zu melden, um mir Einhalt zu gebieten. Im Jahre 1988 wurde eine Untersuchung eingeleitet und ich schrieb zehn Fallstudien, die die Wirkung der Behandlung dokumentierten. Viele meiner Patienten wandten sich schriftlich an die Behörde und drückten ihre Dankbarkeit für die Behandlung aus. Die Behörde stellte in ihrem Abschlussbericht fest, dass die Behandlung von vielen Patienten als sehr positiv empfunden worden sei und dass diese Bewegungstherapie in einer als festgefahren oder stagnierend empfundenen Situation ein lobenswerter Beitrag zur Besserung sei. Zudem wurden meine Vorgesetzten von der Behörde kritisiert, da es an der Koordination bei der Behandlung von stationären und ambulanten Patienten mangele. Danach blockierte mein Chef mich ganz und gar; das machte meine berufliche Situation unerträglich und ich entschloss mich, zu kündigen.

Initiative zu einer wissenschaftlichen Studie

Im Jahre 1989 eröffnete ich eine Privatpraxis und ein Jahr später bat mich ein Kollege, Dr. Mårten Kalling, mein Bewegungstraining mit einigen schwer kranken Schizophreniepatienten durchzuführen, von denen die meisten 10 Jahre oder länger in einer psychiatrischen Klinik waren. Ich begann dort zweimal in der Woche zu arbeiten. Im Jahre 1991 wurde mir angeboten, an einem Forschungsprojekt über diese Arbeit unter der Leitung eines Assistenzprofessors für Psychologie von der Universität Umeå teilzunehmen.

Ich musste einen Antrag stellen, um Forschungsgelder für das Projekt zu erhalten, musste eventuelle vorausgehende Forschungen auf diesem Gebiet zusammenfassen, die Wirkungsweise der rhythmischen Übungen beschreiben und erklären, warum sie bei Schizophrenie Erfolg haben würden. Ich fand aber keine Forschungsarbeit über irgendeine Methode, die den rhythmischen Übungen auch nur entfernt ähnlich war. Ich betrat also Neuland, als ich die Arbeitsweise der rhythmischen Übungen zu erklären versuchte.

Die Studie wurde bewilligt, lief über 2 Jahre und zeitigte positive Ergebnisse: Die mit dem rhythmischen Bewegungen behandelten Patienten hatten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe die größten positiven Veränderungen gezeigt. Sie waren ihrer Umgebung gegenüber aufgeschlossener geworden, konnten an sozialen Aktivitäten sowie an der Beschäftigungstherapie teilnehmen und in sich größerem Ausmaß an den täglichen Aufgaben auf der Station beteiligen.

Die Wirkungsweise der rhythmischen Bewegungen nach Kerstin Linde

Kerstin Linde beschrieb die rhythmischen Bewegungen als rhythmische Ganzkörperbewegungen. Ihrer Meinung nach beruht die Methode auf einer funktional-ganzheitlichen Betrachtungsweise: Beseitigt man Funktionsstörungen des Körpers insgesamt, werden die daraus resultierenden Symptome indirekt behoben. Durch das Training lernt das Gehirn, den Körper und die motorischen Funktionseinheiten zu steuern und automatisch die jeweils erforderliche Muskelspannung anzuwenden. Laut Kerstin Linde ist es das Ziel des Trainings, sicherzustellen, dass Zirkulation und Austausch von „Gasen“ (Sauerstoff, Kohlendioxid u. ä.) in allen Körperteilen gewährleistet sind.

Sie wurde zu dieser Methode durch die rhythmischen Bewegungen inspiriert, die Babys spontan machen, bevor sie sich aufrichten und zu laufen beginnen. Dadurch lernen sie, für alle Bewegungen die adäquate Muskelspannung anzuwenden und automatisch mit der Schwerkraft zurechtzukommen. Wenn wir als Babys unsere Muskelspannung nicht in dieser basalen Weise angepasst haben (– sozusagen eine Art „Feintuning“), kann die Muskelspannung, die wir (auch später noch) automatisch anwenden, unseren Gelenken und der Wirbelsäule schaden und/oder die Zirkulation und den Gasaustausch behindern. Das kann schließlich zu Schmerzen und zur Abnutzung der Gelenke führen, insbesondere an Knien, Hüften und der Wirbelsäule.

Eine ergänzende Erklärung für die Wirkung der rhythmischen Übungen

Kerstin Lindes Theorie über die rhythmischen Bewegungen konnte nicht hinreichend erklären, wie dadurch die Sprachentwicklung bei Kindern mit Zerebralparese stimuliert oder psychotische Symptome bei chronischer Schizophrenie gebessert werden können. Ich musste andere Erklärungen für ihre Wirksamkeit in solchen Fällen finden.

Dazu inspirierte mich die Theorie des dreigliedrigen Gehirns von Paul MacLean [engl.: The Triune Brain. – Anm. d. Übers.], nach der für Motorik, Emotionen und kognitive Funktionen verschiedene Lagen oder Schichten des Gehirns verantwortlich sind. Diese Hirnteile sind beim Neugeborenen schon vorhanden, aber noch nicht voll entwickelt und miteinander verbunden. Dies sollte normalerweise während des ersten Lebensjahres vonstattengehen.

Als ich Kerstin Linde bei der Arbeit mit motorisch schwerbehinderten Kindern beobachtet hatte, war mir aufgefallen, dass andere Funktionen (wie Sprache, Emotionen und Kognition) bei ihnen umso weniger entwickelt waren, je schwerer ihre motorische Behinderung war. Und je schneller sie Fortschritte in der Motorik machten, desto schneller entwickelten sich die anderen Funktionen auch. Aus dieser Beobachtung zog ich den Schluss, dass das Gehirn durch die Motorik stimuliert werden muss, um sich zu entwickeln und zu reifen, und dass eine derartige Stimulation die unterschiedlichen Ebenen des Gehirns miteinander verbindet. Diese Tatsache wird jedoch von Hirnforschern und Ärzten im Allgemeinen nicht anerkannt; sie scheinen zu glauben, dass das Gehirn lediglich Sauerstoff und Nährstoffe brauche und sich sozusagen wie ein Kohlkopf entwickle.

Ich konnte dann auch eine plausible Erklärung dafür formulieren, dass die rhythmischen Übungen sowohl sprachliche als auch psychotische Symptome besserten. Später erklärte ich diese Theorie ausführlich in meinem ersten Buch über das rhythmische Bewegungstraining, das 1998 auf Schwedisch erschien.