Loe raamatut: «Wie Bildung gelingt»
Harald Lesch / Ursula Forstner
Wie Bildung gelingt
Ursula Forstner studierte an der Hochschule für Philosophie in München. Dort lernte sie den Philosophen Alfred N. Whitehead (1861–1947) kennen und bringt nun seine »modern« anmutenden Überlegungen zur Bildung ins Gespräch mit Harald Lesch ein.
Harald Lesch ist nicht nur Professor für Astronomie und Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Dozent für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Durch seine Präsenz in Funk und Fernsehen ist er darüber hinaus als hervorragender »Erklärer« bekannt: In Sendungen wie »alpha Centauri«, »Leschs Kosmos« oder dem Youtube-Kanal »Terra X Lesch & Co« vermittelt er komplizierte Phänomene und Fakten leicht verständlich an ein großes Publikum.
wbg Paperback macht die wichtigsten Titel großer Autor:innen aus dem Programm der wbg in einer jungen und wertigen Edition für alle neugierigen Leser:innen zugänglich. Als wbg Paperback auch erhältlich:
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Lieber Willi (Vossenkuhl), ganz, ganz großen Dank, ohne Dich wäre das Buch nicht entstanden!
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
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wbg Paperback ist ein Imprint der wbg.
© 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
2. erweiterte Aufl. 2021 (1. Aufl. 2020)
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.
Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg
Satz: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt,
Nierstein
Einbandabbildung: Porträt von Harald Lesch, Foto: Gerald von Foris
Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Europe
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-27351-5
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74698-9
eBook (epub): ISBN 978-3-534-74699-6
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Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Impressum
Inhalt
Vorwort zur (Corona-)Neuauflage oder »Seither …«
Die Welt war eine andere
Im Dialog mit der Bildungsforschung
Guter Unterricht ist der Schlüssel
Prolog
Bildung soll unser Thema sein!
Und Whitehead?
Gespräche über Bildung
Gott oder Bildung?
Whitehead weiß gar nicht, was Bildung ist
Vossenkuhl und Lesch wissen nicht, was Wissen ist
Totes Wissen? Ich protestiere!
Exkurs: Fußnoten zu Platon
Lasst uns Menschen verbessern! Oder besser nicht?
Ein besserer Mensch durch Griechisch und Latein?
Kinder lernen durch Kontakt
Naturwissenschaften, denn das hilft gegen das Schicksal
Wissen ist nützlich, wenn es nützlich ist
Wissen ist Macht! Also macht man einfach irgendwas?
Bildungsphilosophie im Anflug
Vorsicht vor dem Schüler: Lebendig!
Erzieherische Gebote oder »Weniger ist mehr!«
Mathematik? Da kannste mich mit jagen!
Für Bildung ist es nie zu spät – oder doch?
Das Beste kommt vor der Schule: Sprechenlernen
Schule mit Erfolgsgarantie: Geht das?
Mathematik? Da führt kein Weg dran vorbei
Von Hebammen, Ärzten und Adalbert Stifter
Wider den dummen Ernst: Spielerische Korridore
Freiheit oder Disziplin: Was macht schlau?
Und die Universitäten? – Ach du je!
Romantiker oder Techniker?
Genauigkeit und Seele
Lebenshunger plus Wissen gleich Universität
Wir brauchen ideenreiche Lehrer
Der gebildete Mensch I
Experten? Aber bitte mit Vielfalt und Stil!
Der gebildete Mensch II – fast schon fromm
Prüfungen, Prüfungen, Prüfungen
Prüfungen? Ohne mich!
Epilog – für unsere Lehrerinnen und Lehrer
Nachwort zur (Corona-)Neuauflage oder »Was getan werden muss«
Wie Bildung gelingt. Ein Plädoyer für lebendige Vielfalt
Bildungsziel I: Hilfe zur Selbstentwicklung oder »Weniger ist mehr!«
Bildungsziel II: Verstehen der Gegenwart oder »Wann nützt Wissen?«
Zum Beispiel Mathematik
Exkurs: Sport, Musik, Kunst
Bildungsziel III: »Experten« mit Vielfalt – Allgemeinbildung und Spezialisierung
Fazit: Mehr Mut zu Vielfalt und Lebendigkeit!
Dank
Literatur
… über Whitehead
… von Whitehead
Anmerkungen
Anhang
Gebet des heiligen Franziskus
Grußwort an meine Schule
Die Gesprächspartner
… des echten Dialogs
… des fiktiven Dialogs
Bildnachweis
Vorwort zur (Corona-)Neuauflage oder »Seither …«
»Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie heute auf Platz 25 der Spiegel-Bestseller-Liste stehen.« Diese Nachricht erreichte uns am 10. März 2020. Mit White-head auf der Spiegel Bestsellerliste – wer hätte das gedacht! Seither …
Die Welt war eine andere
Es scheinen Welten dazwischen zu liegen, zwischen dem Erscheinen der ersten Auflage unseres Buchs im Februar 2020 und dem Nachdenken über eine Neuauflage für den Herbst 2021. Was wir Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, im noch sehr jungen 2020 anboten, waren zwei Themen, die uns besonders am Herzen liegen: Bildung im Gespräch mit Alfred North Whitehead (1861–1947), unserem »Lieblingsphilosophen«.
Warum wir mit einem toten Philosophen sprechen? Noch dazu mit einem wenig bekannten? Weil Whitehead zeitlos ist; weil er eine Philosophie von allem und jedem entworfen hat, die immer noch gilt und immer mehr gilt, je komplexer unsere Welt wird; weil er nie nach einfachen Lösungen gesucht hat; weil wir ihm eine Stimme geben wollten; weil wir ihn gern gekannt hätten; weil wir diese »Weil-Liste« noch sehr lange fortsetzen könnten …
Wir fingen also an, mit Whitehead zu reden, zunächst über das Thema Zeit1 – naheliegend, mussten wir doch der Zeit und dem ewigen Vergehen ein Schnippchen schlagen, um White-head wieder auferstehen zu lassen. Nun ist das Phänomen Zeit in vielerlei Hinsicht so zeitlos, dass sich bei einem Philosophen, der sich mit allem und jedem befasste und sich noch dazu mit moderner Physik – die seither nicht wesentlich moderner geworden ist – hervorragend auskannte, sicher etwas zeitlos Modernes zur Zeit finden ließ.
Wie aber sieht das bei konkreten, aktuellen Themen aus? Denn das ist es, worum es Whitehead immer ging: das Konkrete, das Individuelle, das Lebendige. Hat Whitehead zu aktuellen Themen des 21. Jahrhunderts wirklich noch etwas zu sagen? Unbedingt, meinen wir! Also redeten wir: miteinander, mit Wilhelm Vossenkuhl und mit Alfred North Whitehead über Bildung, ein Thema, das uns aus vielerlei Gründen unter den Nägeln brannte. Was wir in Whiteheads Schriften zur Bildung2 fanden, las sich erstaunlich aktuell, als hätte er Pisa-Studien und Bologna-Reformen vorhergesehen.
Was er geschrieben hat, passte – jedenfalls zur Zeit vor März 2020. Dann begann unsere Welt eine andere zu werden. Es gibt nun eine Welt vor Corona, und es wird – so hoffen wir – eine Welt nach Corona geben. Dummerweise befinden wir uns derzeit in einer Welt mit Corona. Was gilt in dieser Welt (noch)? Was nicht (mehr)? Von heute auf morgen wurde aus dem hoch aktuellen Thema Bildung ein höchst aktuelles – ausgelöst durch die Schließung sämtlicher Bildungseinrichtungen im März 2020. Statt Präsenzunterricht gab es Distanzunterricht für alle, für den Erstklässler ebenso wie für die Informatikstudentin im letzten Semester. Und mit dem Distanzunterricht gelangte ein Thema, das bislang nur eins von vielen war, wenn es um Bildung ging, auf die Pole Position: die Digitalisierung der Bildung.
Hätten wir da nicht passen müssen? Auf welcher Basis sollte Whitehead, ein Vertreter einer durch und durch analogen Welt, die gerade mal Telefon und Radio kannte, da mitreden können? Ob wir einfach so tun, als sei Corona nur ein Intermezzo, nach dem wir die Dinge wieder so sehen können wie davor? Nach dem wir Bücher wieder so lesen können wie davor? Also für eine Neuauflage nichts verändern und auf Beständigkeit hoffen? Das wäre schön – und einfach. Aber so ist die Welt nicht! Nichts, was in der Welt geschieht – und es geschieht ständig etwas –, bleibt ohne Folgen: Das ist die eigentliche Kernaussage von Whiteheads »Philosophie von allem und jedem«. Kurz, eine neue Auflage unseres Buches muss aktuelle Erfahrungen aufgreifen, sonst dürften wir uns gar nicht anmaßen, im Sinne Whiteheads sprechen zu wollen. Muss also ein zusätzlicher Dialog mit Whitehead über Homeschooling, Digitalisierung etc. pp. her? Aber wohin damit? Vornedran, hintendran, mittenrein? Egal wo, es wäre Flickwerk geworden und hätte die ursprünglichen Dialoge entstellt und entwertet. Denn – das sehen wir immer noch so – sie sind zeitlos, also »corona-unabhängig«. Wir haben uns daher dafür entscheiden, sie einzubetten in ein neues Vor- und Nachwort.
Aufgreifen wollten wir auch die unterschiedlichen Reaktionen auf die erste Auflage: »Ja, schon irgendwie gut, aber doch längst Mainstream, eben das gute alte humanistische Bildungsideal.« Aber auch: »Das sollte Pflichtlektüre für alle Lehrerinnen und Lehrer werden.« Oder »Oh, hätte ich Alfred White-head nur schon zu meiner Schulzeit gekannt! Ich hätte ihn mit Freuden zitiert!«3
Ja, was denn nun? »Längst Mainstream!« oder »Warum nicht so?« Oder gar beides? Haben wir es womöglich mit Wissen über das Wie und Warum von Bildung zu tun, das wenigstens hundert Jahre alt, im Jahr 2020 durchaus Allgemeingut, aber immer noch nicht umgesetzt ist? Schon der erste Teil der Frage bringt neue Fragen: Ist das, was wir zusammen mit Whitehead in unserem Buch vertreten, denn wirklich Allgemeingut? Gilt es unabhängig vom philosophischen Hintergrund und vom humanistischen Menschenbild? Ist es mehr als ein schönes Ideal? Wie viel Realität steckt darin?
An dieser Stelle sind wir Whitehead tatsächlich ein Stück voraus, denn wir haben etwas, das es zu seiner Zeit so noch nicht gab: die Bildungsforschung. Eine vergleichsweise junge Disziplin, die aber bereits eine unüberblickbare Menge an Einzelstudien hervorgebracht hat – leider nur zu oft mit widersprüchlichen Ergebnissen. Je nach Fragestellung und Stichprobe lässt sich scheinbar fast jede Aussage zur Bildung rechtfertigen. So sieht das offenbar auch John Hattie4.
Im Dialog mit der Bildungsforschung
Den neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie treibt seit über 25 Jahren die Frage um, was Lernenden wirklich hilft. Seither sammelt er Studien zur Bildung, analysiert diese und arbeitet unterschiedlichste Einflussfaktoren heraus. Seine Forschung umfasst derzeit mehr als 1.600 Meta-Analysen, die ihrerseits auf knapp 100.000 Einzelstudien mit weltweit über 300 Millionen Schülerinnen und Schülern basieren.5 Mittlerweile hat er 277 Faktoren gefunden, denen unterschiedliche Effekte auf die Leistungen der Lernenden zugeordnet werden können: vom hohen positiven Einfluss, über wenig bis kaum nachweisbaren Einfluss, bis hin zum negativen Einfluss. Eine Studie mit solch breiter Datenbasis schien uns geeignet zu sein, um zu prüfen, ob Whiteheads Ansatz für gelingende Bildung mehr ist als ein schönes Ideal, nämlich wissenschaftlich belegbar.
Auch auf die Frage, welcher Stellenwert digitalem Unterricht zukommt, erhofften wir uns Antworten von Hattie. Denn trotz aller Weitsicht konnte Whitehead unmöglich die Forderung, den Unterricht in kürzester Zeit zu digitalisieren, vorausahnen. Obwohl – Whitehead konnte zwar nichts von Covid-19 wissen, aber dafür erlebte er die Spanischen Grippe, die sich vor knapp hundert Jahren in drei Wellen über die Welt verbreitete und mehr Todesopfer forderte als der eben zu Ende gehende Erste Weltkrieg. Whitehead war damals Professor für angewandte Mathematik in London. Inwieweit er seine Vorlesungen und Kurse im Pandemiejahr 1918/1919 geben konnte, dazu weiß leider keiner von Whiteheads Biographen etwas. Vermutlich nicht im gewohnten Umfang, zumal – anders als an Covid-19 – besonders junge Leute an der Spanischen Grippe starben, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Studierende von Whitehead.
Was wir dagegen genau wissen: Whitehead war kein Freund des Homeschoolings. Zu viel hatte er davon abbekommen, zu viel lebendiges Miteinander hat er dadurch verpasst. Denn obwohl sein Vater Schulleiter war, wurde er zu Hause unterrichtet bis er fast 15 Jahre alt war. Seine Eltern waren der Meinung, er sei für den regulären Schulbesuch von zu zarter Gesundheit …6 Was wir auch wissen: Whitehead war alles andere als ein Technikskeptiker, von denen es zu seiner Zeit nicht gerade wenige gab – man denke nur an Heidegger. Whitehead hätte digitale Medien neugierig eingesetzt, aber sicher nicht als Ersatz für Präsenzunterricht, sondern um diesen lebendig zu halten – und damit wären wir wieder bei Hattie und seinen Forschungsergebnissen.
Da Hattie laufend aktuelle Forschungsergebnisse in seine endlose Meta-Studie einbezieht, kommen immer wieder neue Faktoren dazu, während bekannte Faktoren neu gewichtet werden. Hattie ist so stets auf dem neuesten Stand. Die neuesten Entwicklungen im Unterricht haben zweifelsohne mit digitalen Medien zu tun. Entsprechend finden sich bei Hattie inzwischen eine ganze Reihe von Faktoren, die sich auf die Digitalisierung des Unterrichts beziehen, etwa Online- und digitale Hilfsmittel, web-basiertes Lernen, Laptops für jeden Schüler, und ganz aktuell der Einsatz von Technologie im Distanzunterricht. Doch keiner dieser Faktoren schafft es aus dem Mittelfeld heraus. Damit kann ihnen bestenfalls, wenn überhaupt, ein kleiner positiver Einfluss auf das Lernen attestiert werden.
Welche Faktoren sind es nun aber, die Hatties »Hitliste« anführen? Sein Spitzenreiter heißt: »Teacher estimates of achievement«7. Auf deutsch leider nicht weniger sperrig übersetzt mit »Leistungseinschätzung durch die Lehrperson«8. Was damit gemeint ist, ist sehr nah an Whitehead, denn es geht um das konkrete Handeln von Lehrerinnen und Lehrern9, und um jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler. Es geht darum, dass die Lehrperson jeden einzelnen Lernenden so sieht, wie er ist, mit all seinen Stärken und Schwächen, und das als Grundlage nimmt für eine individuelle Förderung. Zu einer realistischen Einschätzung der Lernenden kann eine Lehrperson aber nur kommen, wenn sie ihre Schülerinnen und Schüler auch kennt; sie muss die Möglichkeit haben, sie zu beobachten, sie zu befragen; muss sehen, wie sie arbeiten und wie sie mit neuen Herausforderungen umgehen; kurz, muss sie in natura erleben. Dazu ist direkter persönlicher Kontakt die Grundvoraussetzung. Kein digitales Medium kann das leisten – zumindest keins, das derzeit auf dem Markt ist.
Spannend auch der zweite Platz auf Hatties Liste: »Collective teacher efficacy«, damit ist gemeint, dass die Lehrpersonen einer Schule an das glauben, was sie tun; dass sie daran glauben, eine positive Rolle im Leben junger Menschen zu haben. Schließlich der dritte Platz: »Self-reported grades«. Dahinter versteckt sich die Selbsteinschätzung der Lernenden: Wer seine Stärken und Schwächen kennt, kann gezielt daran arbeiten und das ihm Mögliche daraus machen. Auf einem weiteren Spitzenplatz findet sich: »Teacher credibility«, also die Glaubwürdigkeit einer Lehrperson in den Augen der Schülerinnen und Schüler. Sie können dann optimal lernen, wenn sie einen Menschen gegenüber haben, dem sie vertrauen können, an den sie sich wenden können für Feedback, für Hilfe, für Wissen; der sie versteht und sich um sie sorgt. Schülerinnen und Schüler sind dann in ungleich höherem Maße bereit, Aufgaben und Anforderungen zu erfüllen, die von ihnen verlangt werden.
Was brauchen wir demnach, damit Bildung gelingt? Im Wesentlichen »nur« unser Erleben und Wahrnehmen: die Wahrnehmung der Lernenden durch die Lehrperson, die Selbstwahrnehmung der Lehrpersonen, die Selbstwahrnehmung der Lernenden und schließlich die Wahrnehmung der Lehrperson durch die Lernenden – und nichts dabei, bei dem uns die Technik helfen kann, sondern nur das direkte, beobachtende, wohlwollende Umgehen miteinander und mit sich selbst.
Nichts anderes – und auf keinen Fall weniger – fordern wir zusammen mit Whitehead in unseren Gesprächen – oder mit anderen Worten: Whitehead ist auf dem aktuellen Stand der Bildungsforschung!
Guter Unterricht ist der Schlüssel
Was bedeutet das nun für die Digitalistisierung der Schule? Nun zunächst einmal, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts, das unmittelbare leibhaftige Miteinander von Schülerinnen und Schülern mit Lehrerinnen und Lehrern ersetzen kann. Dieses Miteinander ist es, das den jungen Menschen wirklich hilft, ihren Weg durch die Schule zu gehen und zwar so, dass es ein guter Weg wird. Und wenn unmittelbares Miteinander nicht möglich ist, so wie in Zeiten einer Pandemie? Dann muss man sich erst einmal klarwerden, dass man sich damit sehr weit von dem, was Schule ausmacht, entfernt, und dass es daher auch nicht möglich ist, in solchen Zeiten all das zu leisten, was in normalen Zeiten erreichbar wäre. Klar muss man alle verfügbare Technik einsetzen, die geeignet scheint, die große Lücke bei den persönlichen Kontakten wenigstens ansatzweise zu überbrücken. Dazu muss diese Technik auch vorhanden sein (Laptops bzw. Tablets etc. pp. für alle Schüler) und sie muss funktionieren (schnelles Internet, WLAN etc. pp.), keine Frage – hier hat Deutschland zweifelsohne Nachholbedarf. Aber man muss auch ganz klar die Grenzen des Möglichen und vor allen Dingen des Wünschenswerten erkennen. Whitehead fordert schon für normale Zeiten »Weniger ist mehr« – in Ausnahmezuständen gilt das erst recht.
Was Hattie zeigt und was Whitehead nicht müde wurde zu predigen, ist, dass wir es im gesamten Bereich Bildung mit Lebendigem zu tun haben: mit Kindern und Jugendlichen einerseits und mit Frauen und Männern andererseits, die sich der verantwortungsvollen Aufgabe verschrieben haben, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben zu begleiten. Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer kann gar nicht überbewertet werden. Nur wenn sie in der Lage sind, ihre Schützlinge so zu sehen, wie sie sind, und erkennen, was ihnen helfen kann, und wenn es ihnen zudem gelingt, das Vertrauen der Schüler zu gewinnen, dann kann Bildung gelingen. Und vor diesem Hintergrund sind dann auch sämtliche Medien bzw. Hilfsmittel zu sehen: Bücher oder Internet, Tafel oder Whiteboard, Hefte oder Tablets, Präsenz- oder Distanzunterricht; das alles kann nur so gut sein, wie die Lehrperson, die sie einsetzt. Guter Unterricht ist der Schlüssel. Mit welchen Medien er erreicht wird, ist dabei zweitrangig. Was für eine Aufgabe!
Wir laden Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun dazu ein, unseren Lieblingsphilosophen Alfred North Whitehead und seine hochaktuellen Überlegungen zu Bildung näher kennenzulernen.
Ursula Forstner und Harald Lesch
im Frühjahr 2021