Loe raamatut: «Die Fast Food Falle»

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Harald Sükar

Harald Sükar:

Die Fast Food-Falle

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover und Gestaltung: Isabella Starowicz

Satz: Lucas Reisigl

E-Book-ISBN: 978-3-99001-346-5

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Das Geständnis, das keines sein sollte: »Wir sind Teil des Problems … ähm, der Lösung.«

Der Kampf um das Weiße-Weste-Image Die McSaubermann Company

Fast-Food-Krankheiten und die Sorge um die Kinder Schluss mit lustig: Ausstieg & Wandel

Wenn Weltkonzerne Wissenschaftler kaufen Guter Zucker, böses Fett?

Wie in den Labors über unseren Geschmack bestimmt wird Die Macht der gelenkten Verführung

Wie viel Rind ist wirklich im Burger drin? Fleisch & Fisch: Mythos & Wahrheit

Was Fast-Food-Werbung mit der Jugend anstellt Die Tricks der Kinderfänger

Was zu tun ist (weil es nie zu spät sein darf) Essen & Trinken wie aus dem Feuerwehrschlauch?

»Fast Food ist Kindesmisshandlung«

Harte Worte. Zu hart für den Beginn. Oder doch nicht? Was meinen Sie?

Vor einigen Jahren noch, als ich einer der Motoren dieser bis aufs kleinste Zahnrad harmonisch abgestimmten und perfekt geschmierten Maschinerie war – als ich Teil der großen Familie war – als ich Tag für Tag den Spirit atmete, wäre dieser Satz wahrscheinlich nicht zu mir durchgedrungen.

Ich hätte ihn nicht an mich herangelassen und stattdessen einfach ignoriert. Da hinein, dort heraus und ohne die Botschaft überhaupt wahrzunehmen. Sie wäre zerschellt wie sprödes Glas an einer Wand aus Granit.

Fast Food auf einer Stufe mit Kindesmisshandlung? Was soll das?

Und wenn doch? Was, wenn mich der Satz völlig unvorbereitet getroffen und letztlich doch erreicht hätte? Durch einen Freund womöglich, beim Abendessen bei meinem Lieblings-Italiener? Oder bei mir zuhause, durch meine Familie?

Wenn das jemand in meiner Gegenwart behauptet hätte, es hätte mich empört. Ich hätte das mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen.

Noch im selben Atemzug hätte ich die vielen Argumente pro Fast Food hergebetet. Nicht als auswendig gelernte Phrasen, sondern mit echten Gründen unterlegt. Nachvollziehbar und vernünftig. Weil doch so vieles dafür spricht:

• Fast Food geht schnell: Es macht seinem Namen alle Ehre. Blitzartig hast du, fein verpackt in Papier oder Karton oder meinetwegen auch in Kunststoff, eine warme Mahlzeit, die dich für die nächsten Stunden satt macht. Kein mühevolles Kochen, kein lästiges Warten auf überlastetes, darum meist unfreundliches Servierpersonal. Stattdessen ein komplettes Menü, bestellt und verzehrt in weniger als zwanzig Minuten.

• Fast Food ist immer und überall: auf Bahnhöfen, entlang der Autobahn, auf Shopping-Tour. Wo immer du hinblickst, wo immer du vorbeikommst, dein Essen ist schon da.

• Bei Fast Food weißt du, was du kriegst: Es gibt keine unliebsamen Überraschungen. Die Konzerne wollen keine Negativ-Schlagzeilen. Also sorgen sie vor. Sie setzen auf Kontrolle. Sie optimieren ihre Lieferketten. Sie schaffen Standards in der Produktion. Sie legen sich selbst strenge Hygienevorschriften auf. Allergiker kommen auch auf ihre Rechnung. Es ist Verlass darauf, dass immer genau das drin ist, was draufsteht. Von Abu Dhabi über Krems bis Zürich gilt: Ein Big Mac ist ein Big Mac.

• Der Fast-Food-Geschmack: Die Rezepturen sind perfekt. Sie sind ideal an den Geschmack der Massen angepasst. Oder der Geschmack der Massen an die Rezepturen? Egal. Nichts geht über eins dieser leicht fettigen Menüs mit Burger und Pommes. Schon gar nicht nach dem dritten Bier. Sieh dir bloß die Menschenschlangen zu nächtlicher Stunde an den Schaltern an. Die sind Beweis genug. Und natürlich das Hauptargument:

• Alle Kinder lieben Fast Food: Es gibt nicht einen vernünftigen Grund, seinem Kind nicht ab und zu ein Happy Meal zu kaufen. Die Kinder sind satt und zum Spielen haben sie auch etwas. Es ist wie bei einem Familienurlaub: Wir Erwachsenen können erst dann eine gute Zeit verbringen und glücklich sein, wenn die Kinder es auch sind.

Selbst um drei Uhr nachts hätte das reibungslos funktioniert, hätte mich jemand aus den Federn gerissen und danach befragt. Dazu die Vielzahl weiterer verinnerlichter Begründungen, die so eine unverschämte Behauptung mit einem Schlag entkräftet hätten.

Fast Food und Kindesmisshandlung?

Auch ich habe, wie alle anderen im Team, die Pro-Argumente geatmet. Pur und unverfälscht. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. Ganz automatisch. So wie unsere Lungen sich ihren Sauerstoff holen, ohne bei jedem Zug groß über den nächsten nachzudenken.

Natürlich waren mir die Argumente gegen Fast Food ebenso vertraut. Aber taten wir nicht Tag für Tag unermüdlich alles, um sie zu entkräften? Fast Food ist zu fettig und macht krank? Wer sagt das? Ich kann dir hundert Studien zeigen, die das widerlegen. Die Umwelt? Das Fleisch? Der Klimawandel? Der viele Müll? Wir tun etwas dagegen. Wir präsentieren dir gerne unser neues Recycling-Konzept. Schau auf die Homepage. Bald ist es soweit. 2025 schon werden wir jede Verpackung wiederverwerten. Im Nachhaltigkeitsreport kannst du alles darüber lesen.

Andererseits wusste ich schon auch, dass Burger, Pommes, Softdrinks und Co. dick machen. Logisch. Wer weiß das denn nicht?

Nein, falsch. Mir war klar, dass Burger, Pommes, Softdrinks und Co. dick machen können. Im Fall des Falles. Bei zügellosem Konsum. Weil bekanntlich die Dosis das Gift macht. Weil wir da nur allzu rasch bei der Eigenverantwortung des Einzelnen angelangt sind. Immerhin unternahm mein einstmaliger Arbeitgeber (und tut es heute noch mit derselben Unverdrossenheit wie einst) allerhand, um genau diese Verantwortung genau dort zu parken, wo sie angeblich hingehört: beim Konsumenten. Bei jedem einzelnen.

Das geschieht auf eine ganz eigene Weise. Mit ganz eigenen Begründungen. Die Strategie der gesamten Branche ist seit jeher so einfach wie effizient. Sie stellt der Fehlbarkeit des Kunden die Perfektion des Systems entgegen, indem sie sagt:

Mensch, du bist schwach und disziplinlos. Faul und träge. Aber dafür hast du uns. Deine Fast-Food-Freunde. Deine Familie. Wir helfen dir. Wir liefern dir perfekte Nahrung. Zugleich zeigen wir dir den Weg aus der Falle, die du dir selbst gestellt hast, wenn du womöglich doch ein bisschen zu viel davon erwischst. Gerne schlüpfen wir auch für dich in ein grünes Mäntelchen. So oder so, wir sorgen dafür, dass du gesünder lebst. Wir übernehmen Verantwortung, nicht bloß für dich, nein, für die Gesellschaft. Und wenn es sein muss, oder einfach fein ins Konzept passt, werden wir auch karitativ.

Frei nach dem Motto:

Tue Gutes und sprich darüber. So laut, dass es alle Welt hört.

Selbst wenn es bloß scheinbar Gutes ist. Obwohl – ist es nicht wunderbar, Kindern in Not zu helfen? Wer könnte da schon groß dagegen sein? Was ist schlecht daran, Stiftungen zu gründen, eigene Kinderhäuser mitunter, um einer kleinen Minderheit Bedürftiger ein besseres Leben zu ermöglichen? Vordergründig nichts. Beim zweiten Hinsehen aber drängt sich dieser Gedanke auf: Geschieht diese medienwirksame Wohltätigkeit nicht ausschließlich mit Geld, das zuvor auf dem Rücken von Millionen anderer Kinder verdient worden ist? Kinder, die mit wohl kalkuliertem System von den eigenen Produkten abhängig gemacht worden sind?

Oft konnte ich es nicht glauben, wie leicht manche Medienvertreter zufriedenzustellen sind mit den Brocken, die du ihnen hinwirfst. Und wie zahnlos und gefällig ihre Berichte waren. Natürlich, es gibt ja auch gemeinsame Interessen. Wenn der eine beispielsweise ein sehr guter Inseratenkunde ist und damit Arbeitsplätze des anderen sichert. Aber oft genug ist es einfach nur die Frage, was in den Häppchen drin ist, die du servierst. Die Portionsgröße der Information macht es ebenfalls aus.

Dazu diese Analogie: Will ich als Verkäufer eine sehr große, sehr teure Maschine an den Mann bringen, zerlege ich die Gesamtsumme am besten in Kleinstbeträge. Will ich es umgekehrt machen, wandle ich den kleinsten Vorteil einer in Summe vielleicht nicht so vorteilhaften Gesamtthematik in einen riesengroßen Profit um. Alles eine Frage von Umrechnung und Darstellung. Vor allem der Öffentlichkeit gegenüber. Das funktioniert prächtig. Ich werde Ihnen davon erzählen.

Doch was in der Fast-Food-Welt zählt, ist vor allem dies: gelebtes Selbstverständnis. Die Linie lautet: Was wir tun, hat nicht das Geringste mit systematischem Abhängigmachen zu tun, ohne dass die hochentwickelte Spezies Mensch es bemerkt. Auch nicht mit raffinierter, unterschwelliger Beeinflussung durch Logos, Gratis-Gimmicks und Spielplätze. Wie soll das überhaupt gehen?

Brainwashing?

Niemals. Was wir bis zur Perfektion betreiben, nennt sich Marketing.

Von wegen Fast Food und Kindesmisshandlung also. Wenn schon Misshandlung, dann die, die ihr Menschen an euch selbst betreibt. Aus freier Entscheidung heraus. Ihr Menschen da draußen seid schuld, wenn ihr fett und träge werdet. Niemand sonst. Bewegt euch mehr! Dann könnt ihr in unsere Restaurants kommen und schlemmen, so oft ihr wollt, so viel ihr wollt, und doch bleibt ihr rank und schlank. Mehr Sport, Leute. So einfach ist das. Runter von der Couch. Auf diese Weise könnt ihr jede Art von Nahrung wieder kompensieren. Wer das Gegenteil behauptet und mit irgendwelchen brandneuen, gekauften Studien daherkommt, ist ein Lügner.

Richtig?

Richtig. So habe auch ich das über all die Jahre gesehen. Den vielleicht einzigen, ein klein wenig schalen Beigeschmack, den ich damals schon empfand, war der: Fuhr ich nach einem Besuch beim Drive-In in Salzburg auf die Autobahn nach Linz, so plagte mich am Ende dieser gut 120 Kilometer meist schon wieder ein leichtes Hungergefühl. Auf gesunde Weise anhaltend sättigende und zugleich nährstoffreiche Nahrung schien eben doch anders auszusehen. Damit wackelte eines meiner Pro-Fast-Food-Argumente ein klein wenig.

Doch dann sagte ich mir: Liegt nicht auch genau darin eines der vielen Erfolgsrezepte? Die Menschen sind verrückt nach dem Zeug und süchtig danach, auch deshalb, weil das Sättigungsgefühl nicht allzu lange anhält. Und, dass sie gerade deshalb

a) bald schon wiederkommen und

b) beim nächsten Mal noch mehr konsumieren?

Heute ist meine Welt eine grundlegend andere. Heute kann ich gar nicht mehr anders, als im Kopf mitzurechnen bei Gedanken wie diesem: Mein Kind isst einen Big Mac samt Pommes mittlerer Größe und schlürft dazu ein Cola (0,4 Liter). Dann spendiere ich ihm hinterher noch einen kleinen Eisbecher, den McSundae Crunchy Deluxe zum Beispiel, der mit der verführerisch süßen Erdbeersauce. Wieviel puren Zucker hat mein Sohn, meine Tochter, mein Enkelkind dann zu sich genommen?

Sie könnten nun an dieser Stelle kurz anhalten, auf die Homepage von McDonald’s gehen und es sich mühevoll zusammensuchen. Vorausgesetzt, Sie wissen wo. Transparenz muss man sich oft nämlich erst selbst erarbeiten. Apropos Transparenz: Ich habe dazu, als Kunde getarnt, einen kleinen Selbstversuch gestartet, den ich Ihnen später nicht vorenthalten möchte. Aber bleiben wir noch bei dem erwähnten Menü und dem Zucker. Wie viele Gramm sind es? Ich erspare Ihnen die Suche. Es sind 119 Gramm. Das Ketchup nicht eingerechnet. Da müssten wir pro Esslöffel Zucker noch ein Stück Würfelzucker obendrauf legen.

Für ein gesundes Aufwachsen empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis achtzehn Jahren einen maximalen Zucker-Tagesverbrauch von 25 Gramm. Das sind circa sechs Teelöffel. Je nachdem, wie groß Ihre Teelöffel sind.

Besser wären achtzehn Gramm pro Kind und Tag (bei uns Erwachsenen nicht mehr als fünfzig).

Aber, seien wir nicht kleinlich. Bleiben wir bei der gerade noch vernünftigen, tolerierbaren Obergrenze von 25 Gramm. Mit dem einmaligen Genuss von Big Mac, Cola, Pommes und Eisbecher hat mein Kind fast den Zuckerbedarf von fünf Tagen abgedeckt. Einer Schulwoche. In der strengeren Variante mit 18 Gramm kämen wir sogar auf eine ganze Kalenderwoche minus einen halben Tag.

Zuckerbedarf von Montag bis Sonntag? Ab zu McDonald’s. Erledigt. Mit einem Streich.

Jetzt können Sie natürlich mit Recht einwenden: Welches Kind (vor allem der jüngeren) schafft schon einen Big Mac und Pommes und Cola und ein Eis obendrein? Also gut. Ersetzen wir den Big Mac gegen etwas Kleineres. Handlicheres. Für den Kindermagen Glaubhafteres.

Wie wäre es mit einem der Klassiker? Einem Hamburger? Oder gleich die beliebten Chicken McNuggets? Eine Sechser-Packung?

Die Sache ist die: Es spielt keine Rolle, ob Burger oder paniertes Hühnermischmasch. In punkto Zucker zumindest. Die Ersparnis bei einem Wechsel von Big Mac zu den McNuggets fällt kaum ins Gewicht. Der Big Mac bringt es auf gerade mal 8,5 Gramm Zucker pro Portion. Im Verhältnis zur Gesamtmenge des Menüs sind das Peanuts. Die McNuggets haben so gut wie keinen Zucker. 0,4 Gramm. Wirklich vernachlässigbar.

Die Ersparnis beim Tausch wäre demnach überschaubar. Den wahren Zuckerschock bescheren ohnedies Softdrink und Eis. Das Eis allein bringt es auf 65 Gramm, die etwa dreifache Menge des Tagesbedarfs. Eine Heiligsprechung für Burger und Pommes ist das aber noch lange nicht. Die haben es auf anderer Ebene gehörig in sich. Oder eben nicht in sich. Sie werden schon sehen. Weil der Zucker ja nur das eine ist. Da sind die Fette, die Salze, die Konservierungsstoffe. Und anderes.

Fakt ist auch: Es tut überhaupt nichts zur Sache, bei wem mein Kind, Enkelkind, irgendein Kind (oder ich selbst?) sich die Überdosis einfängt. McDonald’s, Burger King, Kentucky Fried Chicken, Taco Bell, Nordsee und wie sie alle heißen mögen. Edeka etwa. Oder die Restaurants der Möbelketten mit ihren unschlagbaren Fünf-Euro-Mittagsmenüs.

Völlig egal. Sie alle sind Big Player der sogenannten System-Gastronomie. Sie alle spielen in punkto Gesundheit beziehungsweise ihrer Verhinderung, mehr noch, ihrer gezielten Zerstörung in derselben Oberliga.

Gezielte Zerstörung von Gesundheit? Wem soll das nützen?

Um nur die Wichtigsten zu nennen: Da wäre die industrielle Landwirtschaft. Da wäre die Chemieindustrie, die das Ausbeuten der Natur durch die industrielle Landwirtschaft in diesem gigantischen Ausmaß erst ermöglicht. Da wäre die Zuckerindustrie. Da wäre die Fast-Food-Industrie an sich mit all ihren Zulieferern. Und da wäre die Pharmaindustrie, um die angerichteten Schäden an den Menschen so weit wie möglich wieder zu beheben. Eine nahtlose Kette, wo einer dem anderen das Staffelholz weiterreicht.

Anders gesagt: Auf der einen Seite stehen die zig Millionen Geschädigten in aller Welt. Auf der anderen eine Handvoll Konzernbosse und Shareholder mit goldenen Nasen. Das hat nichts mit der x-ten Auflage irgendeiner Verschwörungstheorie zu tun.

Es ist, wie es ist.

Die Resultate sind so allgegenwärtig wie sichtbar. In Schnell-Imbiss-Lokalen. Draußen auf der Straße. In Schulen und Kindergärten. In Büros. In Krankenhäusern. Auf Friedhöfen. Sie begegnen uns überall, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, es sei denn, wir gehen mit geschlossenen Augen durchs Leben.

McDonald’s habe ich übrigens bloß herausgepickt, weil der US-Fast-Food-Gigant so ungeheuer marktbeherrschend ist. Nach wie vor, insbesondere hier in Europa. Und weil ich ein gewisses Naheverhältnis zu dem großen, gelben M habe. Oder sagen wir lieber, hatte. Ansonsten ist McDonald’s nur beispielgebend. Einer von vielen, der kräftig am Kuchen nascht.

Sehen wir uns das Eingangszitat erneut an. Klingt es immer noch so unversöhnlich und hart?

Fast Food ist Kindesmisshandlung.

Geprägt hat diesen Ausspruch Christopher J.T.H. Brewis. Brite, Politiker und Stadtrat in Lincolnshire, der zweitgrößten Grafschaft Englands. Er sagte ihn vor wenigen Jahren in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender BBC Radio.

Ein Satz, der Wellen geschlagen hat und seither viele Male wiederholt worden ist. Natürlich weiß ein erfahrener Mann wie Brewis, dass Reporter auf so markige Sprüche nur warten. Dass der Redakteur im Studio in der Sekunde nachhaken würde. Bei dieser Attacke, diesem Rundumschlag. Immerhin hatte er Fast Food (genauer gesagt: das System Fast Food, das den globalen, massenhaften Verzehr mit Mitteln, und seien sie noch so perfide, auf die Spitze treibt) mit einem Kapitalverbrechen gleichgestellt: Kindesmisshandlung. Ein Delikt, für das selbst das Strafgesetzbuch juristisch exotischer Länder langjährige Haftstrafen vorsieht.

Brewis hatte auch nicht abgeschwächt, indem er bloß einen Vergleich zog und das Wörtchen wie einstreute. Brewis sagt nämlich nicht:

Fast Food ist wie Kindesmisshandlung.

Nein. Er formulierte es wie das einleitende Zitat. So und nicht anders. Weil er es so und nicht anders meinte. Weil er es so und nicht anders transportiert wissen wollte. Weil er in der heillos überzuckerten, mit Unmengen an Fetten, Salzen und künstlichen Phosphaten vollgepumpten, hochgradig ungesunden und obendrein praktisch wertlosen, weil nährwertlosen, Ware Fast Food das Tatwerkzeug sieht. Und die skrupellosen Täter in der endlosen Kette von Produzenten und anderweitig Verantwortlichen.

Darum sagte er:

Fast Food … ist …Kindesmisshandlung.

Dabei stützte er sich auf eine Flut von Fakten und Hintergrundwissen. Hintergrundwissen, weil ein Politikprofi wie Brewis selbstverständlich um die Zusammenhänge weiß. Er kennt die oft schmutzigen Deals hinter verschlossenen Türen, die der Normalbürger immer nur erahnen, doch so gut wie nie belegen kann. Als unabhängiger, weil parteiloser Volksvertreter lässt einer wie Brewis sich nicht so schnell den Maulkorb verpassen, den die meisten seiner Kollegen tragen und dafür auch noch kräftig Schmerzensgeld kassieren.

Wer keinen Fraktionszwang kennt und in keiner Regierung sitzt und auch nicht dem mehr oder weniger sanften Druck von Lobbyisten ausgesetzt ist, bewegt sich bedeutend freier im üblen Spiel aus Abhängigkeiten und Gefälligkeiten zwischen Politik und Wirtschaft. Und Brewis kennt natürlich auch die Fakten. In Zeiten des Internets sind sie für jeden in großem Ausmaß verfügbar. Man muss es nur genauer wissen wollen, tiefer zu wühlen und dabei auch kritisch zu unterscheiden beginnen.

Tatsächlich sind diese Zahlen und Daten so alarmierend wie erschütternd. Sie lassen sich in den Vorstandsetagen der Konzerne und in Ministerbüros bestenfalls klein- oder schönreden. Aus der Welt schaffen lassen sie sich nicht.

Wovon wir sprechen?

Wir sprechen beispielsweise davon, dass heute schon zwei Milliarden Menschen deutlich zu viele Kilos auf den Rippen haben. Jeder Vierte der Weltbevölkerung. Unter ihnen 700 Millionen, die überhaupt als krankhaft fettleibig gelten. Jeder Elfte also bereits.

Wir sprechen davon, dass allein in den USA jedes dritte Kind übergewichtig ist. Tendenz stark steigend. Davon, dass zwei Millionen dieser Kinder überhaupt das Doppelte und mehr des altersgerechten Körpergewichts mit sich herumschleppen. Und davon, dass wir Europäer nicht spöttisch mit dem Zeigefinger in Richtung Atlantik deuten sollten, weil wir mit Vollgas auf der Überholspur unterwegs sind. Neunzig Prozent aller erwachsenen Briten beispielsweise werden bis ins Jahr 2030 als übergewichtig gelten. Bis dahin sind es nur noch elf Jahre.

Im selben Jahr werden es übrigens bereits sechzig Prozent der Weltbevölkerung über achtzehn Jahren sein, die entschieden zu viel auf die Waage bringen. Krankhaftes Übergewicht ist längst auch in den Schwellenländern angekommen. China und Indien ächzen auch schon kräftig unter der Last. In Festland-Europa wiederum ist Deutschland (nach Ungarn) kaum zu schlagen: Jeder vierte Erwachse gilt mittlerweile als stark übergewichtig. In Österreich sieht es etwas besser aus.

Noch.

Wir sprechen ferner davon, dass heute an einem beliebigen Ort Geborene eine statistisch beträchtliche Chance haben, eines Tages an Diabetes zu erkranken. Jeder Dritte nach aktuellen Schätzungen. Wir sprechen auch davon, dass der sogenannte Alters-Diabetes, wie die Zuckerkrankheit des Typs 2 der Generation fünfzig plus einmal hieß, längst nicht nur bei den Mittdreißigern angekommen ist, sondern bei den Kindern. Unter ihnen bereits zahllose im Vorschulalter.

Insgesamt sprechen wir davon, dass es bald schon, in zwanzig, bestenfalls dreißig Jahren, eher die Regel als die schicksalhafte Ausnahme sein wird, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben. Weil die zahllosen Krankheiten im Gefolge unserer stark veränderten Ernährungsgewohnheiten längst begonnen haben dafür zu sorgen, dass wir wieder früher abtreten müssen. Spitzenmedizin hin, Technik her. Das sind keine gefühlten Wahrheiten, denn: In der Supernation – den USA – schlägt sich dies seit kurzem auch messbar nieder. In der Statistik. Die Zahlen deuten genau in diese Richtung. Erstmals seit Jahrzehnten gibt es in einem hochentwickelten Industrieland nämlich eine Trendumkehr. Die Lebenserwartung der Amerikaner hat zum Sinkflug angesetzt. Langsam, aber stetig.

Wo beginnt die Verantwortung des Einzelnen? Und wo endet sie zwangsläufig? Weil dort Manipulationsgeschick und Verführungskraft der Multi-Konzerne einsetzen? Weil der Hebel unter anderem dort ansetzt, wo er die stärkste Wirkung zeigt: bei den Kindern.

Kümmere dich um die Kunden, und das Geschäft wird sich um sich selbst kümmern.

Das Wort Kunden lässt sich in diesem Zitat wunderbar durch Kinder ersetzen. Das Zitat stammt übrigens von Ray Kroc. Aus seiner Autobiographie. Und auch in The Founder (Deutsch: Der Gründer), einem 2016 in bester Hollywood-Manier gedrehten Streifen, kommt der Satz vor. Weil der Film auch von ihm handelt:

Ray Kroc.

Das ist jener Mann, der heute noch als Gründer von McDonald’s genannt wird, ohne es wirklich gewesen zu sein. Allerdings hat er aus der ehemaligen Burger-Bude zweier wenig motivierter Brüder in San Bernadino, einem Kaff nahe Los Angeles, das gemacht, was wir heute kennen: die McDonald’s Company. Einen globalen Fast-Food-Riesen. Das weltumspannende Ergebnis einer ungeheuren Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht und lange Jahre als Synonym für den American Way of Life hergehalten hat.

Fünfzig Persönlichkeiten wurden Anfang der 1980er Jahre im Magazin Esquire gelistet, die den größten Beitrag zu diesem American Way of Life geleistet haben sollen. Das las sich damals so:

»Kolumbus entdeckte Amerika. Jefferson (Anmerkung: Thomas Jefferson, der dritte US-Präsident) erfand es und Ray Kroc hat ihm den Big-Mac-Stempel aufgedrückt.«

Stimmt: Kroc und seine Nachahmer, die nicht lange auf sich warten ließen, haben die Welt tatsächlich aus den Angeln gehoben. Eine kulinarische Weltrevolution. Zu einem besseren Ort haben sie diese Welt allerdings nicht gemacht. Keiner hat so früh und effizient begriffen wie Ray Kroc, was es heißt, Menschen quer über den Globus ans eigene Produkt zu binden. Nämlich von frühester Kindheit an, und von da weg ein Leben lang. Kroc hat mit seinen ersten, durchaus genialen Marketinginstrumenten in Gang gesetzt, was bis zum heutigen Tage immer weiter perfektioniert wurde.

Konzerne wie McDonald’s und Co. nennen es Marketing und Kundenbindung. Andere nennen es Gehirnwäsche. Und neuerdings wurde auch der wissenschaftliche Beweis darüber geliefert, was Kroc intuitiv vor bald siebzig Jahren ohnehin wusste:

Kriegst du die Kinder, gehören sie dir auf ewig.

Und mit ihnen kommen die Erwachsenen.

Ganz von selbst.

An dieser Stelle die erste (garantiert unabhängige) Studie. Eine Untersuchungsreihe der Universität von Missouri-Kansas City sowie dem Kansas Medical Center. Der Titel, Neuroökonomie von kontroversen Lebensmitteltechnologien, ist alles andere als sexy, umso erhellender und aufregender aber die Ergebnisse, nachdem 120 Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und vierzehn Jahren sechzig unterschiedliche Logos vorgelegt wurden. Alle von namhaften Herstellern. Die einen hatten mit Fast Food zu tun. Die anderen nicht.

Die Gehirnströme der Probanden wurden mittels Magnetresonanztomograph (MRT) gemessen und aufgezeichnet. Ziel war es herauszufinden, wie die Belohnungszentren im menschlichen Gehirn, vor allem bei jungen Menschen, reagieren. Weil bekanntlich genau dort darüber entschieden wird, ob der Appetit gezügelt oder angeregt wird. Fazit:

Logos und Markennamen von Fast-Food-Restaurants brennen sich in das Gehirn von Kindern buchstäblich ein.

Wie Daten auf einer frisch bespielten CD-ROM. Oder einer Computerfestplatte. Mitunter die Erklärung, warum es gerade die Jungen sind, die es wie ferngesteuert hinzieht zu den Fast-Food-Tempeln.

Bekommen sie ein Fast-Food-Logo vorgesetzt, werden diese Belohnungszentren in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Dr. Amanda Bruce, die Leiterin der Studie, drückte das in einem Interview für die britische Tageszeitung The Independent mit einiger akademischer Zurückhaltung so aus:

»Die Forschung hat gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit höherer Wahrscheinlichkeit Nahrungsmittel auswählen, deren Logos sie kennen. Besorgniserregend ist das Ergebnis deshalb, weil es sich bei der Mehrheit der Lebensmittel, deren Zielgruppe vor allem Kinder und Jugendliche sind, um sehr ungesunde, kalorienreiche Produkte handelt, die viel Zucker, Fett und Natrium enthalten.«

Das gesundheitsgefährdende Essverhalten Heranwachsender hänge, so Bruce weiter, mit einer gestörten Entwicklung jener Hirnregionen zusammen, die zweierlei steuern: Emotionen und Denkprozesse. Mit anderen Worten: Gerade junge Menschen treffen in Sachen Ernährung viel zu leicht und viel zu oft die absolut falsche Entscheidung.

Für Konzernstrategen ist das wie ein Lotto-Sechser in der Dauerschleife. Was Ray Kroc bereits intuitiv verfolgte und auch alle nach ihm hat Milliarden scheffeln lassen, das haben die Strategen im Jahr 2019 auch noch Schwarz auf Weiß. Sozusagen amtlich bestätigt.

Die richtigen Botschaften richtig formuliert und zur richtigen Zeit zu den Kleinsten gebracht, und die zahlenden Kunden von morgen sind heute schon willenlos.

Unbezahlbares Zusatzwissen.

Von systematisch herbeigeführter Abhängigkeit will man trotzdem nichts wissen. Vielmehr treten Großkonzerne gerne auch mal die Flucht nach vorne an. So zum Beispiel, als es vor knapp drei Jahren in den USA hieß, die Regierung könnte den Lebensmittelriesen bald schon auf die Zehen steigen und die gezielte Werbung in Richtung Kinder und Jugendliche eindämmen.

Immerhin werden laut amerikanischer Bundeshandelskommission FTC Jahr für Jahr in den USA 1,6 Milliarden Dollar allein von Fast-Food-Ketten ins Rennen geworfen, um die Jugend zu ködern (das erinnert an das Märchen mit dem Rattenfänger von Hameln nach den Gebrüdern Grimm. Bloß mit mehr Aufwand).

Also kamen vierzehn der ganz Großen den Regierungsplänen zuvor. Sie schlossen sich zusammen, bildeten eine industrieeigene Koalition und starteten, natürlich äußerst medienwirksam, ein Programm mit diesem klingenden Namen: Better Business Bureau.

Ziel der freiwilligen Selbstregulierung: Bessere Lebensmittel für die Jugend. Dazu andere Werberichtlinien. Mit an Bord waren Riesen wie Coca-Cola, Kellogg’s und andere.

Die FTC zeigte sich einigermaßen zufrieden. Die Sache hat jedoch einen Beigeschmack. Was bessere Lebensmittel sind, wie die Werbung abgeändert wird und so weiter, über all diese Schlüsselfaktoren entscheiden die Firmen selbst. Da macht es mehr Sinn, den ausgehungerten Wachhund vor den vollen Korb mit Knackwürsten zu setzen. Weil bei ihm wenigstens die Hoffnung besteht, dass er sich irgendwann doch sattgefressen hat.

Dem Wachhund lässt sich nicht wirklich ein Vorwurf machen. Es liegt in seiner Natur. Und die Konzerne? Wie ist das nun? Haben wir Konsumenten eine Wahl oder haben wir nicht? Wo enden die eigenen Möglichkeiten? Wo beginnt die Skrupellosigkeit der Industrie? Wo die gezielte Manipulation?

Wer die Last zu tragen hat, ist klar: Die Abermillionen Dicken mit ihren überschüssigen Kilos direkt am Leib. Und die Gesellschaft ebenfalls direkt durch enormen Steuergeldaufwand, um all die Folgen der grassierenden Fettleibigkeit in der Welt abzufedern. Sofern das überhaupt noch zu schaffen ist.

Aber wer trägt die Schuld? Wer die Verantwortung? Ist Fast Food gleichzusetzen mit einem Kapitalverbrechen an der Menschheit oder ist es das nicht?

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