Loe raamatut: «BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil», lehekülg 20

Font:

d) Zweifelsregeln (§ 271)

287

Wenn weder die Parteivereinbarungen noch gesetzliche Bestimmungen Abweichendes bestimmen und auch die Umstände des Einzelfalls nichts Abweichendes ergeben, kommen die Zweifelsregeln des § 271 zum Tragen. § 271 Abs. 1 regelt sowohl die Fälligkeit als auch die Erfüllbarkeit von Schulden. Beides tritt im Zweifel sofort ein: Der Gläubiger kann die Leistung sofort verlangen (sofortige Fälligkeit), der Schuldner kann die Leistung sofort bewirken (sofortige Erfüllbarkeit). Mit „sofort“ ist aber nicht unbedingt der Zeitpunkt gemeint, zu dem die Leistungspflicht entsteht, so dass der Gläubiger die Leistung „auf der Stelle“ verlangen könnte. Vielmehr kann unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte (§§ 133, 157, 242) eine mit Rücksicht auf die konkreten Einzelfallumstände zu bestimmende Zeitspanne des Abwartens einzuhalten sein.[9]

288

Steht der Vertrag unter einer aufschiebenden Bedingung, treten Fälligkeit und Erfüllbarkeit frühestens im Zeitpunkt des Bedingungseintritts ein. Denn erst ab diesem Zeitpunkt entstehen die Leistungspflichten aus dem Vertrag.[10]

289

§ 271 Abs. 2 regelt Fälligkeit und Erfüllbarkeit für den Fall, dass eine Leistungszeit bestimmt ist. Dann gilt für die Fälligkeit im Zweifel: Der Gläubiger kann die Leistung erst ab dem Zeitpunkt der bestimmten Leistungszeit verlangen. Für die Erfüllbarkeit sieht § 271 Abs. 2 Abweichendes vor. Der Schuldner kann im Zweifel die Leistung auch schon vor der vereinbarten Leistungszeit bewirken. Wer etwa ein zinsloses Darlehen erhalten hat, kann das Darlehen im Zweifel schon vor der bestimmten Leistungszeit zurückzahlen. Wenn der Schuldner einer unverzinslichen Geldforderung dementsprechend vorzeitig zurückzahlt, kann er jedoch gem. § 272 keinen Abzug wegen Zwischenzinsen vornehmen. Mögliche Zinsvorteile des Gläubigers muss der Schuldner in diesem Fall also hinnehmen, da seine Zahlung freiwillig erfolgt.

290

Die vorzeitige Erfüllungsmöglichkeit, die § 271 Abs. 2 als Zweifelsregel vorsieht, wird den Parteiinteressen oft nicht gerecht. Deshalb wird beispielsweise in verzinslichen Darlehensverträgen regelmäßig vereinbart, dass die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens ausgeschlossen ist bzw nur unter Zahlung zusätzlicher Entgelte („Vorfälligkeitsentschädigung“) erfolgen darf. Solche Vereinbarungen sind gegenüber der Zweifelsregel vorrangig.[11] Beim verzinslichen Darlehen finden sich auch vorrangige gesetzliche Bestimmungen, die § 271 Abs. 2 verdrängen: So sieht § 488 Abs. 3 S. 3 nur für das nicht verzinsliche Darlehen vor, dass der Darlehensnehmer auch ohne Kündigung zur Rückzahlung berechtigt ist. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Erfüllbarkeit der Rückzahlungspflicht grundsätzlich nicht vor Kündigung des Darlehens (vgl dazu die Kündigungsgründe des § 489) statthaft ist. Auch aus den Umständen kann sich ergeben, dass § 271 Abs. 2 nicht zum Tragen kommt: Dazu sei als Beispiel in Erinnerung gerufen, dass der Verkäufer einer Einbauküche diese regelmäßig nicht vor dem vereinbarten Termin liefern darf.[12]

291

Zwar kann B die Darlehensvaluta in Fall 23 erst am 23.12. zurückfordern (Fälligkeit), aus § 271 Abs. 2 folgt jedoch, dass, selbst wenn eine Zeit bestimmt ist, der Schuldner die Leistung im Zweifel auch vor dieser Zeit bewirken darf (Erfüllbarkeit). Gemäß § 488 Abs. 3 S. 3 muss das (zinslose) Darlehen dazu nicht gekündigt werden. Folglich steht es A frei, das Darlehen auch schon Ende November an B zurückzuzahlen, insbesondere, weil dieses zinslos)gewährt wurde und B daraus keine Nachteile erwachsen (vgl etwa § 272).

3. Besondere Bestimmungen (§ 475 Abs. 1, § 271a)

a) § 475 Abs. 1

292

§ 475 Abs. 1 S. 1 betrifft den Verbrauchsgüterkauf und dient der Umsetzung der Verbraucherrechte-RL. Die Norm lässt § 271 Abs. 2 unberührt, verdrängt aber § 271 Abs. 1. Gem. § 475 Abs. 1 S. 1 kann der Gläubiger die Leistungen nur unverzüglich (vgl § 121: „ohne schuldhaftes Zögern“) verlangen.[13] Soweit es um Ansprüche des Käufers (Verbrauchers) geht, begründet die Norm gegenüber der sofortigen Fälligkeit nach § 271 Abs. 1 eine Verschlechterung der Verbraucherposition, die jedoch wegen der vollharmonisierenden Wirkung der Verbraucherrechte-RL unvermeidbar war.[14] Immerhin werden auch die Ansprüche des Verkäufers nur unverzüglich fällig. Der unternehmerische Verkäufer muss die Sache allerdings spätestens 30 Tage nach Vertragsschluss übergeben (§ 475 Abs. 1 S. 2). Für die Erfüllbarkeit gilt abweichend von § 271, dass die Vertragsparteien die Leistungen sofort bewirken können.

b) § 271a (Wirksamkeit von Zahlungs-, Überprüfungs- und Abnahmefristen)

293

Für die Vereinbarung von Zahlungs-, Überprüfungs- und Abnahmefristen gelten die besonderen Regeln des § 271a. Die Norm dient der Umsetzung der Zahlungsverzugs-RL.[15] Sie dient der Zahlungsdisziplin im Geschäftsverkehr und soll vor allem kleine und mittlere Unternehmen schützen, für die verspätete Zahlungen vor allem auch in ihrer Kumulation mit existenzbedrohenden Gefahren einhergehen.[16] Dieser Schutzzweck spiegelt sich auch in § 271a Abs. 6: Die Normen bieten Entgeltgläubigern einen zusätzlichen Schutz, so dass sonstige Vorschriften, aus denen sich Beschränkungen für Vereinbarungen über Zahlungs-, Überprüfungs- oder Abnahmefristen ergeben, unberührt bleiben. Solche Vorschriften sind insbesondere die § 308 Nr 1a und b. Vereinbarungen, die den Grenzen des § 271a standhalten, sind also nicht ohne weiteres wirksam; sie können vielmehr auch nach anderen Vorschriften unwirksam sein. Wenn Fristvereinbarungen gegen § 271a Abs. 1-3 verstoßen, sind sie gem. § 271a Abs. 4 unwirksam. Daraus folgt, dass das Entgelt sofort fällig wird (§ 271 Abs. 1). Die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen bleibt davon unberührt (§ 271a Abs. 4). Nur das entspricht dem Schutzzweck der Norm, da den Entgeltgläubigern ja nicht daran gelegen sein kann, dass die Anspruchsgrundlage für ihre Entgeltforderungen gänzlich entfällt.

294

§ 271a erfasst individualvertragliche Vereinbarungen ebenso wie AGB. Für letztere gelten zusätzlich die Anforderungen der §§ 307 ff. Insbesondere sehen die §§ 308 Nr 1a und Nr 1b für Zahlungs-, Überprüfungs- und Abnahmefristen strenge Grenzen vor. Ausgenommen sind gem. § 271a Abs. 5 Nr 1 die Vereinbarung von Abschlagszahlungen und sonstigen Ratenzahlungen. Gem. § 271a Abs. 5 Nr 2 gelten die Abs. 1-3 nicht, wenn ein Verbraucher die Entgeltzahlung schuldet. Zugunsten von Verbrauchern können also auch längere Zahlungs-, Überprüfungs- oder Abnahmefristen vereinbart werden.

295

Gem. § 271a Abs. 1 S. 1 ist eine Vereinbarung, wonach die Entgeltforderung (vgl § 286 Abs. 3 S. 1) erst nach mehr als 60 Tagen nach Empfang der Gegenleistung fällig ist, nur wirksam, wenn sie ausdrücklich (also nicht konkludent) getroffen und im Hinblick auf die Belange des Gläubigers nicht grob unbillig ist. Bei der Bestimmung der groben Unbilligkeit sind die Nachteile der Entgeltgläubiger ebenso zu berücksichtigen wie die legitimen Interessen der Entgeltschuldner an einer längeren Frist.[17] Stellen wir uns vor, die Zahlungsansprüche eines kleinen Herstellers von Dachziegeln gegenüber einem Bauunternehmer sollen ausweislich der vertraglichen Einigung erst 90 Tage nach Übergabe der Ziegel fällig werden: In diesem Fall sind keine billigenswerten Interessen erkennbar, die es rechtfertigen, die vom Gesetz genannte Periode von 30 Tagen zu überschreiten, insbesondere dürften Fehler an der Ware bereits nach wenigen Tagen oder spätestens Wochen auffallen. Eine solche Vereinbarung wäre daher als Verstoß gegen § 271a Abs. 3 unwirksam. Wenn der Schuldner nach Empfang der Gegenleistung eine Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufstellung (zu den Begriffen „Rechnung“, „Empfang der Gegenleistung“ und „Zahlungsaufstellung“ s. § 286 Abs. 3) erhält, ist für die Fristberechnung nicht der Empfangszeitpunkt maßgeblich, sondern der Zeitpunkt, zu dem diese Rechnung (oder Zahlungsaufstellung) zugeht (§ 271a Abs. 1 S. 2). Dagegen bleibt es beim Empfang der Gegenleistung als maßgeblichem Zeitpunkt, wenn eine Rechnung (oder gleichwertige Zahlungsaufstellung) schon vor dem Empfang der Gegenleistung zugeht.

296

In § 271a Abs. 2 wird die Regelung des § 271a Abs. 1 noch verschärft, wenn öffentliche Auftraggeber die Zahlung schulden: Dann sind Fristen von über 60 Tagen von vornherein unwirksam (§ 271a Abs. 2 Nr 2) und schon Fristen von über 30 Tagen nur wirksam, wenn die Vereinbarung ausdrücklich getroffen und aufgrund der besonderen Natur oder der Merkmale des Schuldverhältnisses sachlich gerechtfertigt ist (§ 271a Abs. 2 Nr 1).

297

§ 271a Abs. 3 betrifft den Fall, dass eine Entgeltforderung erst nach Überprüfung oder Abnahme der Gegenleistung fällig ist. In diesen Fällen ist eine Vereinbarung, nach der die Überprüfungszeit oder die Zeit für die Abnahme mehr als 30 Tage nach Empfang der Gegenleistung beträgt, nur wirksam, wenn sie ausdrücklich getroffen und im Hinblick auf die Belange des Gläubigers nicht grob unbillig ist.

4. Lösung Fall 22

298

A könnte gegen die B-GmbH einen Anspruch auf Absendung des Gaming Laptops am 23.9. aus § 433 Abs. 1 S. 1 haben.

I. A und die B-GmbH haben einen Kaufvertrag über den Gaming Laptop geschlossen. A kann Absendung schon am 23.9. aber nur dann verlangen, wenn der Anspruch fällig ist.

1. Gem. § 271 Abs. 1 wird die Fälligkeit vorrangig durch Parteivereinbarung bestimmt. Eine solche Vereinbarung haben A und die B-GmbH aber nicht getroffen. Auch aus den Umständen ergibt sich der Fälligkeitszeitpunkt nicht. Die Leistung ist daher nach der Zweifelsregel des § 271 Abs. 1 sofort fällig. „Sofort“ bedeutet nicht „auf der Stelle“; vielmehr kann gem. §§ 133, 157, 242 auch eine gewisse Zeitspanne abzuwarten sein. Wegen des Krankenstands vieler Mitarbeiter spricht viel dafür, dass A schon in Anwendung des § 271 Abs. 1 nicht verlangen kann, dass der Laptop noch am 23.9. abgeschickt wird.

2. § 271 könnte jedoch ohnehin von § 475 Abs. 1 verdrängt sein. § 475 Abs. 1 ist anwendbar, weil ein Verbrauchsgüterkauf iSd § 474 Abs. 1 S. 1 vorliegt. § 271 ist daher verdrängt, die Fälligkeit richtet sich allein nach § 475 Abs. 1. Die Lieferung hat danach lediglich unverzüglich zu erfolgen, also ohne schuldhaftes Zögern (vgl § 121). Die Absendung erst am Folgetag der Bestellung ist kein schuldhaftes Zögern, da die Kapazitäten der B-GmbH wegen der vielen Erkrankungen beschränkt sind und die B-GmbH fair handelt, wenn sie die Bestellungen nach zeitlicher Priorität abarbeitet. Der Anspruch ist daher nicht schon am 23.9. fällig.

Ergebnis: A hat gegen die B-GmbH keinen Anspruch auf Absendung des Gaming Laptops am 23.9.

Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 6 Modalitäten der Leistungserbringung › II. Leistungsort (§ 269)

II. Leistungsort (§ 269)

299

Fall 25:

A kauft bei B zwei Kaninchen und bezahlt diese sofort.

1. Variante: Beide vereinbaren, dass B die Kaninchen dem A bringen soll.

2. Variante: Beide vereinbaren, dass B die Kaninchen dem A schicken soll.

3. Variante: Beide vereinbaren gar nichts.

Frage: Was muss B jeweils tun, um seiner Verpflichtung aus dem Kaufvertrag nachzukommen?

Fall 26 (nach OLG Hamm, NJW-RR 2016, 177): A hat bei der Privatperson B ein Auto in Coesfeld gekauft. Da B allerdings in den Fahrzeugpapieren absichtlich eine zu geringe Laufleistung angegeben hat, erklärt A umgehend den Rücktritt vom Kaufvertrag, als er dies zuhause in Detmold herausfindet. Er fordert B auf, ihm den Kaufpreis in Detmold zurückzuzahlen – Zug um Zug gegen Rückgabe des Autos. Kann B die Rückzahlung des Kaufpreises in Detmold verlangen? Lösung Rn 313

1. Begriff des Leistungsorts

300

Mit „Leistungsort“ iSd § 269 ist der Ort der Leistungshandlung gemeint, also der Ort, an dem der Schuldner seine letzte Handlung zur Erfüllung seiner Pflicht vornehmen muss. Dieser Ort wird in den §§ 447 Abs. 1, 448 Abs. 1 und 644 Abs. 2 auch als „Erfüllungsort“ bezeichnet. Nur, wenn der Schuldner seine Leistung am richtigen Ort erbringt, kann er von seiner Leistungspflicht frei werden. Wenn der Schuldner seine Leistung an einem anderen Ort anbietet, kann der Gläubiger sie zurückweisen, ohne in Annahmeverzug (§§ 293 ff) zu geraten. Der Erfüllungsort ist auch für den Schuldnerverzug[18] und für die Konkretisierung von Gattungsschulden gem. § 243 Abs. 2[19] relevant.

301

§ 269 Abs. 1 ist auf alle Schuldverhältnisse anzuwenden. Bis heute umstritten ist das für den Erfüllungsort der Nacherfüllungspflicht des Verkäufers aus §§ 437 Nr 1, 439. Für die gelebte Praxis des Rechts hat der BGH diesen Streit aber inzwischen weitgehend geklärt: Auch für die Nacherfüllungspflicht des Verkäufers ist § 269 der maßgebliche Regelungsort.[20]

302

Der Leistungsort (bzw. Erfüllungsort) ist von dem Erfolgsort zu unterscheiden. Mit Erfolgsort ist der Ort gemeint, an dem der geschuldete Leistungserfolg eintritt. Der Erfolgsort ist auch für den Gerichtsstand aus § 29 ZPO relevant.

303

Erfolgsort ist etwa für die Pflicht des Verkäufers aus § 433 Abs. 1 S. 1 der Ort, an dem die Übergabe und Übereignung der Kaufsache erfolgt. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass die Terminologie des Gesetzes nicht ganz glücklich ist: Denn der Erfolgsort ist der Ort, an dem die Erfüllung (hier Übergabe und Übereignung) eintritt. Als „Erfüllungsort“ wird aber der Leistungsort bezeichnet, bei dem es gerade auf die Leistungshandlung und nicht den Leistungserfolg ankommt.[21] Die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Erfolgsort ist wichtig, da beide nicht immer zusammenfallen. Bei der Holschuld und der Bringschuld stimmen Erfolgsort und Leistungsort jeweils überein. Dagegen fallen die beiden Orte bei der Schickschuld auseinander: Wenn Schuldner S aus Münster den per eBay an Gläubiger G aus Hamburg verkauften Fernseher vereinbarungsgemäß in Münster verpackt und zur Post bringt, ist Leistungsort Münster, weil S dort die letzte von ihm geschuldete Handlung vornimmt. Erfolgsort ist aber Hamburg, weil G dort den Fernseher in Empfang nimmt. Übergabe und Übereignung erfolgen erst dort.

2. Leistungsort (Erfüllungsort) und Erfolgsort bei Holschuld, Bringschuld und Schickschuld

a) Holschuld, Bringschuld und Schickschuld

304

Bei einer Holschuld fallen Erfolgsort und Leistungsort zusammen: Beide Orte liegen beim Schuldner, der Gläubiger muss sich die Leistung „beim Schuldner holen“. Der Schuldner muss den Leistungsgegenstand (oder die Leistung) also lediglich bereithalten und ggf. den Gläubiger benachrichtigen. Von einer Holschuld ist auch nach der Zweifelsregel des § 269 Abs. 1 auszugehen, wenn sich weder aus der Parteivereinbarung, noch aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die Holschuld ist insofern der gesetzliche Regelfall.

305

In Fall 25 Variante 3 ist also mangels vertraglicher Vereinbarung gem. § 269 Abs. 1 von einer Holschuld auszugehen. B muss die Kaninchen also nur bereithalten und den A uU auffordern, sie zum vereinbarten Zeitpunkt abzuholen.

306

Bei einer Bringschuld liegen Erfolgsort und Leistungsort beim Gläubiger – der Schuldner muss die Leistung eben „zum Gläubiger bringen“. Eine Bringschuld liegt etwa häufig vor, wenn ein Kaufvertrag über Möbel mit einer Montageverpflichtung des Verkäufers einhergeht: Dann ist oft vereinbart, dass der Verkäufer die Möbel zum Käufer bringt und sie gleich vor Ort montiert. Allerdings genügt nach der Auslegungsregel des § 269 Abs. 3 für die Annahme einer Bringschuld nicht, dass der Gläubiger die Transportkosten übernimmt. In diesen Fällen liegt vielmehr oft eine Schickschuld vor. Das gilt auch für den Versandhandel: Hier liegen regelmäßig keine Bringschulden vor, sondern Schickschulden.[22]

307

Ein Beispiel für eine Bringschuld bietet Fall 25 Variante 1. B muss die Kaninchen also aussondern und A vorbeibringen, im Zweifel zu dessen Heimatadresse.

308

Bei der Schickschuld fallen Leistungsort und Erfolgsort auseinander. Der Schuldner muss die Leistung lediglich auf den Weg zum Gläubiger bringen, sie also ordnungsgemäß verpacken und an den Gläubiger schicken. Der Leistungsort liegt in diesen Fällen beim Schuldner. Der Erfolgsort liegt dagegen beim Gläubiger, denn erst dort tritt Erfüllung ein. Wichtigstes Beispiel für eine Schickschuld ist der Versendungskauf (vgl § 447). Die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) trägt beim Versendungskauf gem. § 447 Abs. 1 grundsätzlich der Käufer; anders liegt es in aller Regel beim Verbrauchsgüterkauf, weil dann § 447 Abs. 1 gem. § 475 Abs. 2 nur in einer praktisch seltenen Ausnahmekonstellation anwendbar ist. Auch Geldschulden sind Schickschulden; allerdings sind Verlust- und Verzögerungsrisiko bei Geldschulden besonders verteilt.[23]

309

Fall 25 Variante 2 bildet ein Beispiel für eine Schickschuld. B ist hier angehalten, die zwei Kaninchen auszusondern, tiergerecht zu verpacken und an eine geeignete Transportperson zu übergeben.

b) Vorrangigkeit der Parteivereinbarung

310

Der Leistungsort wird, wenn keine zwingende Bestimmung des Leistungsorts (wie etwa für den Hinterlegungsort in § 374) vorliegt, vorrangig durch die Parteivereinbarung bestimmt. Das folgt aus dem Wortlaut des § 269 Abs. 1. Wenn Sie eine Klempnerin beauftragen, einen Wasserschaden in Ihrer Küche zu reparieren, haben Sie auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen: Er liegt in Ihrer Küche (wo auch sonst). Auch konkludente Vereinbarungen sind selbstverständlich möglich und gar nicht selten: Wenn Sie beispielsweise am Kiosk eine Flasche Mate Tee kaufen, haben Sie mit dem Verkäufer stillschweigend auch eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen – der soll nämlich im Kiosk liegen.[24]

c) Einzelfallumstände (insbes. „Natur des Schuldverhältnisses“)

311

Der Leistungsort kann sich gem. § 269 Abs. 1 auch aus den Umständen des Einzelfalls, insbesondere aus der „Natur des Schuldverhältnisses“ ergeben. Dabei kommt es auch auf die Verkehrssitte und möglicherweise vorhandene Handelsbräuche an. Beispielsweise ergibt sich bei einem Heizöl-Kauf auch ohne ausdrückliche Abrede aus der Natur des Schuldverhältnisses, dass der Leistungsort beim Käufer ist (nicht etwa beim Verkäufer, wozu ja die Zweifelsregel des § 269 Abs. 1 iVm § 269 Abs. 2 führen würde).

d) Wohnsitz des Schuldners/gewerbliche Niederlassung

312

Hilfsweise – also nur, wenn sich weder aus der Parteivereinbarung, noch aus den Umständen etwas anderes ergibt – ist der Ort Leistungsort, an dem der Schuldner seinen Wohnsitz (vgl § 7) hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses. Wenn die Schuld im Gewerbebetrieb eines Schuldners entstanden ist, tritt der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hatte. Im Zweifel liegt also eine „Holschuld“ vor, weil der Gläubiger die Leistung beim Schuldner „einholen“ muss.

3. Lösung Fall 26

313

A. A kann von B Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr 2, 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 verlangen. Der Anspruch ist wegen des Rücktritts des A entstanden. A stand ein Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr 2, 323 Abs. 1 zu; die Fristsetzung war wegen der arglistigen Täuschung des B gem. § 323 Abs. 2 Nr 3 entbehrlich.[25] Der Anspruch besteht gem. § 348 nur Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des Autos.

B. Rückzahlung in Detmold kann A nur verlangen, wenn Detmold Leistungsort für die Rückzahlung des Kaufpreises ist. Der Leistungsort bestimmt sich vorrangig durch Parteivereinbarungen oder anhand der sonstigen Umstände.

I. Eine Parteivereinbarung haben B und A nicht getroffen.

II. Detmold könnte aber wegen sonstiger Umstände Leistungsort sein. Das könnte sich aus der Natur des Rückgewährschuldverhältnisses (§§ 346 ff) ergeben: Die Rückgewährpflichten sind gem. § 348 Zug-um-Zug zu bewirken. Das Auto muss dabei der Verkäufer gem. § 269 beim Käufer abholen, der ja Schuldner hinsichtlich der Rückgewähr des Autos ist. Insoweit ergibt sich weder aus Vereinbarungen noch aus den Umständen anderes. B muss also ohnehin nach Detmold, um das Auto abzuholen. Nach der klaren Vorstellung des Gesetzgebers sollte der Verkäufer im Falle des Rücktritts bei Abholung der Kaufsache – also hier des Autos – zugleich auch seine Rückzahlungspflicht erfüllen. Dieses Vorgehen entspricht der Natur des Rückgewährschuldverhältnisses und ist im Übrigen auch ökonomisch sinnvoll.[26] Detmold ist damit Leistungsort für die Rückzahlung des Kaufpreises.

Ergebnis: B kann von A Rückzahlung des Kaufpreises in Detmold verlangen, freilich nur Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des Autos.

Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 6 Modalitäten der Leistungserbringung › III. Leistung durch Dritte

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
1393 lk 6 illustratsiooni
ISBN:
9783811453562
Kustija:
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip