Die Gemme

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Die Gemme
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Die Gemme

1  Die Gemme

Die Gemme

»Sie finden mich«, rief uns der Hofrat entgegen, als wir durch die weißlackierte Flügeltür den Bibliothekssaal betraten, »Sie finden mich in nicht gelinder Erregung, meine Freunde.«

Im ersten Augenblick zweifelten wir, an welchem Orte des vielwinkligen Gemaches unser Blick den alten Herrn aufzusuchen habe. Wohl fiel von der luftigen Galerie, durch die wir kamen, helles Licht ein. Doch wie mannigfache Gegenstände waren ihm hier in den Weg gestellt! Kreuz und quer bauten sich Büchergestelle, bis nahe zur Decke ragend, Rücken an Rücken oder in rechten Winkeln gegeneinander auf. Oftmals schon waren wir an diesen Schatzhäusern emporgestiegen, um eine wertvolle Handschrift, einen unvergleichlichen Druck des Abraham Wolfgang, Anton Schouten oder Daniel Elzevier vorsichtig herabzulangen, den der Sammler einem Adepten zu zeigen wünschte. Der untere Teil einiger Gestelle wurde von großen Laden eingenommen, in denen Handzeichnungen geschätzter Meister, reinliche Kupferdrucke sorgsam behütet lagen. In der hintersten Gegend des Raumes aber, zu beiden Seiten des breiten Tisches, auf dem zwischen geradlinigen Meißner Vasen und bauchigen Römern ein großer Sèvres-Hund sich über das Tintenfaß ausstreckte – cave canem, pflegte sein Herr zu sagen, mit schmunzelnder Anspielung auf einige Schriften unbekannten Inhalts, die er nie der Öffentlichkeit überliefert hat –, zu beiden Seiten dieses Tisches schlossen sich, auf hohen Stelzbeinen ruhend, einige einfache Kästen aneinander an. Sie wiesen weiße Lackierung nebst Goldkisten auf, das Schlüsselloch bildete eine zierliche Goldrosette. Und sie standen weder zu fern noch zu nah beieinander, als Personen, die ihres Wertes sich wohl bewußt sind. Denn sie bewahrten unter ihren feingeschliffenen Glasscheiben den Herzensstolz des Alten, seine Gemmensammlung.

»In nicht gelinder Erregung finden Sie mich«, so wiederholte der Hofrat Wiedmers, mit seiner etwas kreischenden Stimme, »und doch auch wieder in tiefer Betrachtung.«

Er wendete sich von dem an einer der Bibliothekswände aufgeschlagenen Pulte mit so heftiger Bewegung ab, daß eine Puderwolke um ihn herflog. Näher tretend streckte er uns aus dem mausgrauen Ärmel seines Tuchrockes mit leidenschaftlichem Willkommengruß die Hand entgegen. Dabei fiel wie zufällig die von dem Alten niemals abgeschaffte Spitzenmanschette zurück und entblößte die Hand – seine zarte und wohlgeformte Hand, die durch ihr aristokratisches Wesen dem jungen Diplomaten einstmals, auf dem Wiener Kongreß, beinahe eine vollkommene Gleichberechtigung eingetragen hatte.

»Seit acht Tagen«, fuhr der Greis fort, »lebe ich auf das strengste abgeschlossen von der Welt. Doch da Sie, meine Freunde, mich nun aus meiner Einsamkeit aufscheuchen, begrüße ich es als Fügung, daß Sie, die dessen würdig sind, an meiner Bewegung freundlichen Anteil nehmen sollen.«

»Es ist Ihnen, verehrter Herr Hofrat, etwas Schmerzliches zugestoßen?« riefen Eduard G. und ich wie aus einem Munde.

»Nicht doch.« Er mäßigte seine Stimme zu bedeutsamem Flüstern. »Nicht doch. Es ist vielmehr, was mir begegnet, das freudigste Ereignis meines Lebens.«

Er brachte den zweiten, hinter seinem Rücken verborgenen Arm hervor und öffnete langsam die vorsichtig verschlossene Hand.

»Eine neue Gemme«, riefen wir sogleich und Eduard fügte hinzu:

»Ein Meisterwerk! Welch glückliche Vermehrung Ihres Besitztums, mein verehrter Freund.«

»Ein äußerst sauberer Schnitt«, bemerkte ich.

Mit sanfter Gewalt entnahm ich die Gemme aus des Hofrats Hand, der sich von seinem neuen Eigentum ungern trennen mochte, und betrachtete das Kunstwerk von allen Seiten. Der ovale Stein, der, weiß auf rosigem Grunde, ein weibliches Profil von seltsamem Reize aufwies, lag auf einer dünnen Goldplatte. Die Fassung bildeten in Gold getriebene, zierlich um das Oval gelegte Blätterranken, von schwebenden Putten getragen.

»Wie luftig das kunstvolle Haargebäude herausgearbeitet ist«, äußerte Eduard, dem ich in lebhafter Bewunderung beistimmte.

»Wie natürlich-plastisch fällt doch jene Locke über eine, man möchte sagen, durchsichtige Stirne.«

»Das Auge, wie sprechend.«

»Ich sollte meinen, um den beweglichen Nasenflügel, um den weichen Mund ein rätselhaftes Lächeln spielen zu sehen, das doch nicht da ist?«

Mir war es, als habe der uns aufmerksam beobachtende Hofrat eine unwillkürliche Bewegung geäußert.

»Und der Schnitt des Profils«, sagte Eduard, »so klar ohne Härte. Nichts von dem Maskenhaften, das neueren Arbeiten nur zu leicht anhaftet.« Hier glaubte ich ein unterdrücktes Kichern des Hofrats zu vernehmen. »Wem mag doch dieses Meisterwerk zu verdanken sein?«

»Wer immer der Künstler sei«, so meinte ich bemerken zu müssen, »vermag ich doch nicht einzusehen, Herr Hofrat, inwiefern der glückliche Ankauf dieser Gemme das freudigste Ereignis Ihres Lebens genannt werden sollte. Denn bei allen hohen Vorzügen dieses Stückes scheint doch Ihre Sammlung manches zu besitzen, das sich ihm wohl an die Seite stellen ließe.«

»Lesen Sie!« rief plötzlich der Alte aus, der, während er die Gemme aus meiner Hand zurücknahm, uns an das früher von ihm verlassene Pult zog. Ein Buch lag dort aufgeschlagen. »Lesen Sie!« wiederholte er. »Es ist der neue Katalog meines römischen Freundes Vincenzo Buonvicino, des trefflichen Mannes, der, wenn er mit den Gegenständen seiner Kennerschaft nicht Handel triebe, wohl verdiente, ein Sammler genannt zu werden.«

Wir lasen an der bezeichneten Stelle:

Camei A. 703. Ignoto autore. Detto ritratto della Principessa Foscolini-Winterstein. 1809 (?)

Da wir fragend auf den Hofrat blickten, begann er zu erklären.

»Nicht sobald«, sagte er mit feierlichem Kopfnicken, »nicht sobald hatte ich diese Nummer im Katalog meines Freundes Vincenzo entdeckt, als ich einen dringlichen Auftrag nach Rom ergehen ließ. Ich befand mich nun volle sechs Wochen lang in der peinlichsten Spannung, eine außerordentliche Vermutung, die ich hegte, bestätigt zu sehen. Fragen Sie mich nicht, wie ich das Fieber der langen Erwartung ertrug. Ich ging in Gesellschaft, ohne zu wissen, wen ich traf, ich tat und redete, ich weiß nicht was, begab mich, ich weiß nicht wohin; kaum, daß ich noch lebte. Endlich kommt der gesegnete Morgen, an dem mir der Bote das kostbare Kistchen übergibt. Ich verschweige die unendliche Behutsamkeit, die ich trotz leidenschaftlichster Ungeduld beim Öffnen des zerbrechlichen Gutes anwenden mußte. Endlich liegt dennoch der Schatz vor mir, nach dem ich zwei Dritteile meines Lebens hindurch gefahndet hatte.«

»Aber ich verstehe«, wagte ich einzuwenden, »ich verstehe noch immer nicht –«

»Sie verstehen nicht, welche hervorragende Bedeutung dem in gegenwärtigem Jahrhundert von unbekannter Hand verfertigten Porträtschnitt einer Fürstin Foscolini-Winterstein innewohnen sollte. Allein, meine jungen Freunde, dieses angebliche Bildnis einer unbekannten – mir nur zu wohl bekannten – Dame trägt in Wahrheit –«

Der Alte hatte sein hageres, vor Erregung in die Länge gezogenes Gesicht dem meinigen ganz nahe gebracht. Seine hellen, graublauen und fast wimperlosen Augen waren sehr weit geöffnet und seine dünnen Lippen so fest aufeinandergepreßt, daß hundert kleine Fältchen seiner Wangen strahlenartig auf die Vertiefungen der Mundwinkel zuliefen.

»– trägt in Wahrheit die Züge der Donna Vannozza Orsini, deren übrige Bildnisse zugrunde gegangen sind, und stammt von keinem Geringeren als von dem hochgelobten Meister Benvenuto Cellini.«

»Unmöglich!« rief Eduard G. mit mir wie aus einem Munde, und wir überstürzten uns in Fragen.

»Woher wissen Sie?«

»Haben Sie urkundliche Beweise?«

»Oder welcherlei Merkmale?«

»Die Arbeit trägt irgendeine versteckte Bezeichnung?«

Schon wollte ich die Hand nach der Gemme ausstrecken, doch wehrte mir der Hofrat.

»Nichts von alledem«, entgegnete er mit einem stillen Lächeln. »Sie würden den Ursprung dieses Schnittes niemals entdecken – wäre er denn meinem Kenner Vincenzo verborgen geblieben! –, und mir selbst würde dieser berühmte Ursprung unbekannt sein ohne den seltsamsten Umstand, der ihn mich in höchst glaubwürdiger Weise kennen lehrte. Was ich hier berühre, sind alte Begebenheiten, über die ich nie gesprochen habe und über die in jetziger Zeit außer mir niemand mehr des Näheren unterrichtet sein kann. Allein, da zu bedeutender Stunde das Geschick Sie, meine Freunde, mir zugesandt hat, trage ich kein Bedenken, Sie, falls Sie es lohnend erachten, an meiner freudig und erinnerungsvoll bewegten Stimmung teilnehmen zu lassen.«

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