Loe raamatut: «Beim nächsten Mann bleib ich solo»
Hella Heller
BEIM NÄCHSTEN MANN BLEIB ICH SOLO
Roman
Inhalt
1. Erwachen
2. Heiliger Bimbam!
3. Der Entschluss ist gefallen
4. Annabell, oh, Annabell
5. Der Antrag
6. Mamma Mia
7. Ein Abend mit Olivia
8. Durchblick
9. Hoppla!
10. Schwarze Romantik
11. Arbeit am Lebensglück
12. Die Mauer
13. Fraueninsel
14. Wind um die Wohnung
15. Den Abflug machen
16. Ein Schock
17. Fragen über Fragen
18. Noch ein Schock
19. Play the Opossum!
20. Step by step
21. Lebenslauf
22. Erschütterungen
23. Einen Hugo, bitte!
24. Der schwarze Kontinent
25. Bravo, bella!
26. Hellau!
27. Back to the roots
28. Schreibwut
29. Sonntag, der dreizehnte
30. Eisiger Wind
31. Frühlingserwachen
32. Zu viel des Guten
33. Hirsche und Rehe
34. Der Achtsamkeits-Kurs
35. Nachverhandlung
Lesbisch werden in sieben Tagen
36. Dramaturgischer Absturz
37. Töchter trösten
38. Die Antwort
39. Erste Hilfe
40. Der Tanzbären-Kurs
41. Der Mai ist gekommen
42. Die Blätter schlagen aus
43. Umgang mit Alphatieren
44. Der Untermieter
45. Fronleichnamsfest
46. Kontakte mit Folgen
47. Die Luft wird dünn
48. Erstaunliche Mitteilungen
49. Hausnummer
50. Sommeranfang
51. Alte und neue Bindungen
52. Geist, Esprit, Spirit und Käse
53. Überraschung!
54. Es lebe der Widerstand!
55. Da kommt was in Bewegung
56. Knallharter Deal
57. Es lebe die Unabhängigkeit
58. Briefpost
59. Auftriebe und Umtriebe
60. Glibbergene
61. Ich muss, ich muss
62. Flaschenpost
63. Faktencheck
64. Feuersbrunst
65. Geistesflügel
66. Sahneschnitte, bitte
67. So tickt die Welt
68. Einfach genial
69. Miau!
70. Der Knaller
71. Alter!
72. Diverses
73. Wunderbare neue Welt
74. Hellas!
75. Nach Lage der Dinge
76. Fundstücke
77. Gemeinheiten
78. Nestkoller
79. Bonjour, mamie!
80. Frohe Weihnachten
81. Die Jugend von heute
82. Schlussstriche
83. Begegnungen anderer Art
84. Schmalzvoll
85. Doppelpack-Terror
86. Trennungsfreuden
87. Schlechter Empfang
88. Überraschende Begegnung
89. Morgens am Main
90. Erfolgsstory
91. Träum weiter
92. America first
93. Breaking news
94. Das Fest
Noch mal von vorn
Nachwort und Dank
1. Erwachen
Der Alptraum war vorbei. Ich war nicht mehr Kate Middleton, die sich soeben mit Prinz William verlobt hat. Wobei er mir – dreißig Jahre nach der Verlobung seiner Eltern – den brilliantenbekränzten blauen Saphir der Lady Di auf den Finger steckte. »Kate! Nimm den Verlobungsring von Mum als Zeichen meiner ewigen Liebe! Ich wollte ihn dir schon lange geben, habe aber extra bis heute gewartet, damit wir diesen besonderen Tag im Geiste mit ihr teilen können!«, sagt William.
»O Willy-Darling!«, hauche ich, »how rührend!«
Und da ist es, das legendäre Kleinod, extra erweitert, damit es auf meinen Finger passt! Stolz hebe ich die Hand. Prachtvoll glitzert der Saphir in der Sonne Kenias, wohin unsere Verlobungsreise uns geführt hat.
Leider ist der Ring eine Idee zu weit geraten. Denn als ich die Hand wieder sinken lasse, rutscht er mir vom Finger und schwupp, springt das Mistding davon.
Williams Blick treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn. Entschlossen werfe ich mich auf die Knie und durchwühle den kenianischen Straßenstaub nach der Preziose. Die Paparazzi, diese Aasgeier, knipsen wie blöd, wie ich im Dreck umherkrieche …
Vor Verzweiflung wurde ich wach. Und obwohl ich nun wieder Constanze Wechselburger-Auerbach hieß und mir Royals und Brillis schnurzpiepegal sind, war mir die Sache peinlich. Der Verlust dieses Ringes würde dem armen William das Herz brechen! Wo er doch gerade dabei war, mir das heilige Band der Ehe zu versprechen!
Zum Glück hat Albert mir vor dreißig Jahren genau den gleichen Ring geschenkt. Er ist zwar nicht ganz so teuer gewesen (89,– Mark bei Tchibo), sieht aber richtig echt aus. Falls William in meinen nächsten Träumen weiter um seinen Verlobungsklunker trauern würde, konnte ich ihm den von Tchibo schenken. Gesetzt den Fall, mir fiele ein, wo Alberts Ring war. Weggeworfen hatte ich ihn bestimmt nicht. Schon weil es das einzige geblieben ist, was dieser Geizhals mir überhaupt je geschenkt hat.
Gerade wollte ich beruhigt wieder eindösen, da rief ein Kuckuck. Ich wusste, was nun kam. Im Abstand von je einer Minute würden sechs weitere rufen. Die übrigen lauerten auf ihren Einsatz, mussten aber stumm bleiben. Das war eine meiner Bedingungen dafür, dass Albert im Flur unserer Wohnung achtundzwanzig Kuckucksuhren aufhängen durfte. Albert und ich bemühen uns beziehungstechnisch um Ausgewogenheit.
Unsere Altbauwohnung liegt im Frankfurter Nordend und ist riesig. Als wir von Berlin-Kreuzberg in die Mainmetropole umgezogen waren, weil Albert hier seine erste Stelle als Assistenzarzt bekam, hausten wir anfangs zu siebt in zwei Tür an Tür liegenden Etagenwohnungen. In der WG wohnten lauter Leute, die Medizin studierten oder gerade in der Chirurgie anfingen. Meist war noch ein Haufen Besuch da, der vom Job her auch Körper flickte, deshalb ging es schon beim Frühstück um unappetitliche Themen. Als Frau mit filmischem Auge war das für mich eine Herausforderung. Andererseits könnte ich seither manch eine Operation medizinisch präzise durchführen – gewusst wie!
In den Jahren darauf kamen Rosa und Ben zur Welt. Die WG löste sich auf, wir rissen die Wand zwischen den beiden Wohnungen ein, und ab da verfügten Albert und ich mit unseren Kindern über 155 Quadratmeter. Der einzige Nachteil ist, dass alle sieben Zimmer von einem endlosen dunklen Flur abgehen. An sich läuft man in unserer Wohnung ewig durch diesen Schlauch. Wir nennen ihn darum den langen Jammer.
Im langen Jammer ist die linke Wand über und über mit Kuckucksuhren behängt. Eine Uhr neben der anderen. Ich finde Kuckucksuhren völlig bescheuert, aber ich stamme auch nicht aus dem Schwarzwald. Albert dagegen kommt vom Titisee. Er behauptet aber, er sammele nicht aus Heimatverbundenheit. Das sei echte Uhrmacherkunst. Der internationale Markt lechze nach der schwäbischen Kuckucksuhr. Als Anlageobjekt! Ein Vogelhaus mit Gehängen dran … haha! In meinen Augen war und blieb das billiger Touristenkitsch.
Zum Ausgleich sicherte ich mir die Gestaltungshoheit über die rechte Flurseite. Auf der gesamten Länge der Wand habe ich selbstgefertigte Kunstobjekte verteilt – Gemälde und Zeichnungen. Mein Stil ist sozialkritisch-feministisch, bewahrt dabei aber das mädchenhaft Naive, mit dem ich als Fünfjährige zu malen anfing. Der Flair des Kindhaften steht im bewussten Spannungsbogen mit der Schärfe meiner politischen Botschaft. »Küss mich, ich bin keine Beischlafmaschine« heißt eines meiner Werke, »Henne und Ei« ein anderes. Mein größtes Kunstobjekt ist einen Meter fünfzig breit und behandelt das Thema »Jugendwahn«. Es ist eine Blümchenwiese aus Plastik, die ich mit Gold- und Silberfarbe übergossen habe, und aus dem Ganzen ragt ein dreckigweißer alter Chuck! Das Objekt trägt den Titel »Fit wie ein Turnschuh!«.
Um die sozialkritisch-feministische Note meiner Bilder noch zu unterstreichen, habe ich meine Flurwand plus Deckenhälfte himmelblau grundiert und mit Schäfchenwölkchen bepinselt. Sozialkritische Kunst gegen Wolkenkuckucksheim! Ha!
Vierundzwanzig Minuten nach dem letzten Kuckucksgeschrei hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Albert war weg. Er frühstückt nie, selbst seinen Kaffee trinkt er in der Klinik. Mir blieben die Leere und die Stille.
2. Heiliger Bimbam!
Gegen die Stille half mir immer schon Madonna. Madonna singt für uns, seit Albert und ich zusammen sind. Unsere Tochter Rosa wuchs mit Madonna auf, ebenso Ben, unser Sohn. Ihm ist sie inzwischen oberpeinlich, seine Schwester sieht in ihr eine historische Ikone. Er steht jetzt auf Punk, sie auf Pink.
Nach »Material Girl« fühlte ich mich stark genug, um aufzustehen und auf den Flur hinauszutreten.
An der Lamperie lehnten drei Ölgemälde nebeneinander. Nicht zu fassen! Der Mistkerl hatte doch glatt Bilder von mir abgenommen und an die Wand gestellt!
Von den anderen hingen vier schief. Weil Albert natürlich wieder drangestoßen war! Um beste Sicht auf seine Uhren zu haben, schiebt er sich immer so eng wie möglich an meiner Wandseite entlang. Dabei ist ihm völlig egal, ob er meine Bilder anschrappt und kaputtmacht. Im Grunde glaube ich, dass ihm das sogar recht wäre. Mein Mann verachtet mein Schaffen.
Dafür macht er einen Riesentamtam um seine Uhren. Heiliger Bimbam! Jeden Abend zieht er sie auf. In Latex-OP-Handschuhen! Mir ist das streng verboten. Ich könnte die Unruhe zerstören, sagt Albert. Pah! Kein Hahn kräht danach, dass diese albernen Dinger meine Ruhe zerstören.
Ich schwor Rache für Alberts Übergriff auf meine Kunst.
Auf dem Küchentisch lag ein Post-it für mich.
Post-its sind Alberts Kommunikationsmittel, wenn er mir etwas mitzuteilen hat. In seinem Arbeitszimmer lagern mindestens noch drei Kartons voll mit Pappzettelblöcken. Noch unsere Urenkel werden aus Alberts Post-it-Vorräten schöpfen dürfen. Wobei schon heute kein Mensch außer Albert mehr Notizzettel benutzt. Ich versende Sprachnachrichten und erwäge Alexa. Albert ist eben hoffnungslos unmodern.
Das am Rand verblichene Post-it war mit ärztlicher Krakelschrift bedeckt.
Guten Morgen, Zuckerlämmchen,
Auge um Auge, Zahl um Zahl!
3 Uhren weniger => 3 Bilder weniger!
1:1 für mich!!!!!!
Vergreif dich nie wieder
an meinen Kuckucksuhren!
Dein dich gleichwohl ewig liebender
Albert
Als Beweis für seinen zwanghaften Geiz hatte er das alles auf ein einziges Post-it gekritzelt! Zum Geiz passte, dass er 3:3 auf 1:1 herunterrechnete. Unentschieden bleibt aber unentschieden! Okay, Albert war kein Mathematiker, sondern Mediziner. Und ja, unsere Vereinbarung lautete eigentlich, dass jeden Morgen zehn Kuckucksuhren krähen durften. Gestern hatte ich kurzerhand dreien davon einen Riegel vorgeschoben. Aus Notwehr! Den Lärm hält einfach niemand aus, den muss man abstellen! Genau dafür bauen die Uhrenmacher den sogenannten Schlagabsteller ein! Nichts, aber auch gar nichts gab Albert das Recht, sich aus Rache an meiner Kunst zu vergreifen! Meine Bilder stellen politische Aufschreie dar, aber sie krähen nicht herum!
Ich riss das Post-it ab und schmiss es zusammengeknäult in die Ecke. Auf dem Zettel drunter stand in Krakelschrift:
ALDI Rasierschaum 1,37 EUR!!
PLUS Uhu zum Preis der Woche!!
PENNY Softis-Sonderangebot!!
Ich riss auch dieses ab und pappte es auf den Tisch. Dann schrieb ich, schon weil Albert sich über meine Verschwendungssucht ärgern würde, auf acht blütenreine Post-its nur je ein Wort und klebte sie im sorgfältigen Kachelmuster über das Einkaufszettelchen.
Dann ging ich in mich. Wie lange wollte ich mir das noch antun lassen? Vom eigenen Mann!
Professor Albert Auerbach hatte Karriere gemacht, aus mir war die unpromovierte Frau Doktor geworden: Als Arztgattin und Mutter hatte ich meine schöpferische und berufliche Selbstverwirklichung hintangestellt. Ich hatte meine Begeisterung für Film und Literatur systematisch beschnitten, erst das Studium geschmissen, dann meinen Job als Buchhändlerin aufgegeben und schließlich sogar mein politisches Engagement bei Femmes sans terres gestrichen.
Wollte ich mich bis ans Ende meiner Tage auf die Jagd nach Sonderangeboten schicken lassen? Wollte ich auf ewig als Künstlerin und Intellektuelle gedemütigt werden? Von einem emotional blockierten Kuckucksuhrensammler?
Die Fragen stellten sich mir nicht zum ersten Mal. Ich kannte sie in allen Variationen. Als nagenden Selbstzweifel, als wütenden Aufschrei, als zarten Verdacht, als wilde Verzweiflung. Immer wieder hatte ich sie von mir geschoben und verdrängt. Heute gab ich die Antwort.
Ich war achtundvierzigdreiviertel und eine Leerstelle in meinem eigenen Leben. Ich hing am Tropf des Herrn Professor Doktor Auerbach, war abhängig von seinen Infusionen. Tag für Tag hielt ich still und ließ mir Alberts Wichtig- und Nichtigkeiten einträufeln.
Es reichte.
3. Der Entschluss ist gefallen
Mein Ziel stand fest: Ich würde eine unabhängige Frau sein. Ich würde mich ab sofort an meinen eigenen Interessen orientieren. Ich würde, was Männer angeht, mir Sahneschnitten gönnen und nicht länger die Zähne an vertrocknetem Altbrot ausbeißen. Wenn Sahneschnitten aus waren, würde ich lieber ganz verzichten, das tat der Gradlinigkeit und der Linie gut.
Nun musste ich nur noch überlegen, wie ich den Entschluss in die Tat umsetzen konnte. Meine Trennung von Albert Auerbach sollte ein echter Kracher sein: endgültig, dabei stilvoll und souverän. Ich würde mir Albert amputieren – ein sauberer Schnitt wie mit dem Skalpell. Hoppla!, würde ich sagen, wenn er abfiele. Wer geliebt hat, muss loslassen können.
Ich griff nach Alberts Post-it-Block und notierte die Möglichkeiten, meinen künftigen Exmann in brutalstmöglicher Härte mit meinem Entschluss zu konfrontieren:
•Ausziehen und ALLES MITNEHMEN (auch seine Uhren!)
•Ausziehen und ALLES DALASSEN (außer meinen Bildern!)
Beide Zettelchen zerknüllte ich, es waren natürlich reine Rachefantasien, die bewiesen, wie sehr ich noch auf Albert fokussiert war.
•Was will ICH?, fragte ich mich schriftlich und unterstrich das Ich doppelt.
•Ich will das Maximum für MICH, schrieb ich als Antwort. Natürlich wäre ich nie so dumm, Alberts ganzen Mist mitzuschleppen, bloß um ihn zu ärgern. Oder gar auf meine Sachen zu verzichten, bloß um ihn zu ärgern! Ich kaute am Kugelschreiber, bis ich die Lösung hatte. Ich würde:
•GAR NICHT AUSZIEHEN! Dafür aber:
•Albert NIE WIEDER IN DIE WOHNUNG LASSEN! Und:
•Sein Zeug AUS DEM FENSTER SCHMEISSEN (zuallererst die Uhren!)
Auch diese Zettelchen zerknüllte ich und schnipste die Knäuel vom Tisch. Die Idee war witzig, aber unrealistisch. Ich überlegte, was realistisch war. Dann schrieb ich:
•Mir eine EIGENE EXISTENZ aufbauen!!!
•Einen Mann kennenlernen (gern Villenbesitzer), der mich wertschätzt! Sogar mithilfe seines Portemonnaies!!!
Um mich der historischen Tragweite meines Entschlusses zu vergewissern, ging ich gucken, was für ein Datum war.
Frankfurt, den 13. Januar 2018, schrieb ich auf den letzten Zettel und unterzeichnete ihn schwungvoll.
Weil mich meine neuen Lebensaussichten mächtig unter Strom gesetzt hatten, ging ich zur Beruhigung zu Yolanda ins Yoga. Als ich nach zwei Stunden zurückkehrte, brauchte ich einen doppelten Espresso, um wieder Kreislauf zu kriegen. Nach so viel Entspannung war ich völlig neben der Spur.
Kaum hatte ich ihn getrunken, flog die Tür auf und ein Wirbelsturm brauste durch die Küche.
»Hei Mom! Ich brauch mal eben ‘n paar frische Slips.«
Seit sie im Studierendenwohnheim wohnte, kehrte Rosa gelegentlich spontan in den Schoß der Familie zurück. Sie wusch da auch gleich ihre schmutzige Wäsche. Ich war stolz auf mich, jedes Gluckentum überwunden und darauf bestanden zu haben, dass sie für sich selbst sorgt.
Hinter dem flammendpinken Haarschopf meiner Tochter erschien der kahle Schädel von Achilles. Die beiden hatten sich als Dreijährige in der Kita kennengelernt und vor ein paar Monaten zufällig im Unicafé wiedergetroffen. Da hatte Achilles noch wallendes griechisches Haupthaar, aber das war im letzten Monat verrutscht und hing ihm nun am Kinn. Achilles studierte Kulturanthropologie, Rosa war angehende Soziologin. Die beiden wohnten inzwischen zusammen in einer WG.
»Hallo, Frau Doktor Wechselburger-Auerbach.« So begrüßte mich der Freund meiner Tochter immer. Für mich schwang da ein doppelter Boden mit. Vermutlich fand er Doppelnamen affig und verachtete akademische Titel, die angeheiratet waren. Seine Mama hieß einfach nur Parapopoulos und führte einen kleinen Malerbetrieb, sein Papa war ihr einziger Angestellter.
Alles in allem mochte ich Achilles aber.
»Na, ihr beiden Turteltäubchen? Alles fein?« Bei der Jugend kam es drauf an, den richtigen Ton zu treffen. Ich stupste Rosa mit dem Ellenbogen. »Wie läuft’s an der Uni?«
Was das Intellektuelle anging, brauchte ich mich nun wirklich nicht zu verstecken. Als Filmwissenschaftlerin konnte ich da voll mithalten. Als ich so alt war wie Rosa, hatte ich schon das Vordiplom in der Tasche und saß an den Vorbereitungen für meinen Abschlussfilm! Leider ist er nie fertig geworden, weil mein Dozent Gottfried Schachtschnabel es an Förderung fehlen ließ. Der Mann schenkte seine Aufmerksamkeit nicht etwa mir als seiner begabtesten Studentin, sondern anderen Frauen, ja sogar der eigenen Ehegattin, die mit ihm in Trennung lebte! Kurz verlor ich mich in Erinnerungen. Gottfried Schachtschnabels Augen waren wunderbar jeansblau, genauso wie sein Benz, in dem ich gelegentlich mitfahren durfte. Aber das ist eine andere Geschichte … Man muss die Vergangenheit loslassen, sie gehört uns nicht, sagt Laotse. Wenn sie uns als Bumerang um die Ohren fliegt, gehört sie uns vielleicht doch, oder so ähnlich.
Gottfried gehörte jedenfalls zu dem, was ich seit langem losgelassen hatte. Und nun würde ihm Albert folgen …
Es wurde dann noch ein netter Nachmittag. Rosa erzählte von ihrem Seminar bei Prof. Dr. Dr. Sabine Maier-Rubinski, der Feminismuslegende am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. Thema ihres Seminars sei die heteronormative Matrix.
»Kennst du, oder?«
Ich nickte. Klar kannte ich Sabine! Wir hatten zusammen studiert! Damals war sie aber noch die Bini Maier. Den Doppelnamen legte sie sich erst mit Beginn der Karriere zu. Das fand ich witzig, weil Frauen, die heiraten, oft ja gar keine Karriere machen. Andersrum, erklärte mir Bini: Verheiratete Frauen fänden im Beruf mehr Respekt. Das leuchtete mir irgendwie ein. Die Frau wird dann nicht für Freiwild gehalten, sondern gehört einem festen Halter. Da ließen andere Männer sie eher in Ruhe. So fiel ihr die Karriere leichter.
Da Bini einen Doppelnamen wollte, aber keinen Mann, hängte sie sich den Mädchennamen ihrer Mutter an und verlängerte so gleich noch die matriarchale Linie. Das fand ich gut, aber unnachahmbar. Ich hatte hinter meine Mutter längst einen Schlusspunkt gesetzt – ein Bindestrich kam da gar nicht infrage! Außerdem war meine Mutter eine geborene Würgassel.
Rosa erzählte dann genauer von ihrem Seminar bei Sabine: Der gesellschaftliche Knackpunkt sei Gender.
»Das soziale Geschlecht«, bestätigte ich, um zu zeigen, dass ich auf dem Feld der Theorie Schritt hielt.
»Ob du nun cis bist oder genderunkonform«, dozierte Rosa, »das Wichtigste ist: Geschlecht darf nicht binär gedacht werden. Sonst landest du auf der heteronormativen Matrix, und schwups, bist du mitten in der Zwangsheterosexualität.«
Achilles nickte. Sein Bart nickte auch.
Da ich das Cis bisher der Musik zugeordnet hatte und mir diese Norma Trix nichts sagte, hörte ich aufmerksam zu. Die Geschlechterverhältnisse hatten mich immer schon bewegt, aber wie heute darüber gedacht wurde, klang in meinen Ohren ziemlich verquer. Da gab es L-G-B-T-Q, und wenn überhaupt noch von Frauen und Männern die Rede war, trugen sie Sternchen und performten ihr Geschlecht nur. Nun haben die Verhältnisse zwischen Frau und Mann ja nie einfach gelegen. Allerdings war für uns damals in der Frauenbewegung alles eine Frage der Erziehung. Wie schon Simone de Beauvoir sagte, werden wir nicht als Mädels geboren, sondern dazu gemacht. Aus diesen Mädels machten wir Feministinnen dann Frauen – das meint nicht etwa Eierstockträgerinnen, sondern politische Wesen! Und die konnten so einiges bewegen! Das bot auch mir lange Trost: Powerfrauen konnten sogar Männer zurechtbiegen oder aber sie durch Lesbischsein strategisch umschiffen.
Ich hatte zu der feministischen Fraktion gehört, die mit Männern schlief und sogar mit ihnen redete, weil ich dachte, dass selbst dieser Spezies mit Vernunft beizukommen sei. Im Laufe meiner vielen Ehejahre war ich aber zu der Überzeugung gelangt, dass die Geisteskraft des Mannes oder aber die Erziehungsfähigkeit der Frau oder sogar beides historisch überbewertet wurde. (Zugegeben, ich hätte schneller zu dieser Erkenntnis kommen können.) Jedenfalls hatte ich schon vor Jahren aufgegeben, mit Albert zu reden. Er auch mit mir. Ihm reicht ein Post-it, viel zu sagen hat er sowieso nicht. Albert ist kulturell und politisch desinteressiert, liest nur Medizinisches, hält Feminismus für gaga und Geiz für geil. Für mich war er noch nie ein echter Gesprächspartner. Inzwischen ist er nicht mal mehr mein Partner.
Ich ließ mir von Rosa und Achilles noch ein paar steile Gender-Thesen erläutern, dann war der Trockner fertig und die Wäsche wurde in zwei karierten Riesenplastiktragetaschen verstaut.
»Heut Abend ist Orgatreffen im Café Buntpunkt. Da bereiten wir das Programm für unser Sommercamp vor!«, informierte mich Rosa, die dabei die Öffentlichkeitsarbeit übernommen hatte. »Ich freu mich schon voll drauf!«
Achilles hängte sich bereitwillig rechts und links eine von Rosas Riesenplastiktragetaschen über die Schultern und dann zogen sie wieder los. Sinnend blickte ich ihnen nach.
Ich mag Männer, die aus freien Stücken und nach Kräften ihre patriarchale Dividende zurückerstatten.