Was und wo ist Heimat

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Was und wo ist Heimat
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Helmut Lauschke

Was und wo ist Heimat

Auf der Suche nach Frieden und Geborgenheit

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

Vorwort

Was und wo ist Heimat

Ein- und Durchsicht in die unendliche ‘Leere’

Vor dem Lagertor

Vom Gefühl der Stille der kosmischen Weltenordnung

Auf der Flucht

Der Geist in den Schöpfungsabsichten und Visionen seiner Kräfte

Doktor Allison, Chirurg am Feldlazarett

Yasin und Tarek weiter im Gespräch

Zwei Verletzte werden ins Lager gebracht

Der Geist in seiner Allumfassung zur inneren Vollendung ist unerschöpflich

Menschen, denen der Fluchtweg über die Brücke versperrt wird, kommen zurück

Der am Denken und Tun erscheinende Geist

Streitgespräch unter Männern auf der anderen Seite hinter der Brücke

Der Geist, der aus sich herausgeht, ist zugleich in sich selbst

Am Lagertor in der frühen Morgendämmerung

Von den Weiten und Tiefen des Denkens

Die Grenzenlosigkeit von Raum und Zeit, wo das Bewusstsein sich als Ende und Neuanfang begreift

Sarah und Theron im Lager nicht weit vom Lagertor

Das natürliche Bewusstsein erkennt die Substanz der Wirklichkeit

Am hellen Tag: Im Lager wimmelt es von Menschen

Der Geist erfasst das Selbstbewusstsein in der Absicht, es zu führen

Der Gang über die Brücke

Hinter der Brücke

Der Geist auf der Höhe ist die Wirklichkeit

Sonnenaufgang über dem Platz in der Fremde

Der Geist durchdringt die zellulären Strukturen

Noch auf dem Platz in der Fremde

Der Geist steht über der Dingwelt des Daseins

Zwei hockende Männer halten je ein Kind

Im Geist kommen Gegenstand und Begriff zusammen

Vier Männer tragen den blinden Lehrer

Impressum neobooks

Inhalt

Auf der Suche nach Frieden und Geborgenheit

Glaube und Heimat sind im Alten Testament eng miteinander verbunden.

Heimat prägt die Identität, den Charakter, die Mentalität und Einstellungen zur Welt und Menschheit.

Der Verlust der Heimat zählt zum größten Unglück, dem der Mensch ausgesetzt ist.

Vorwort

Was und wo ist Heimat

Ein- und Durchsicht in die unendliche ‘Leere’

Vor dem Lagertor

Vom Gefühl der Stille der kosmischen Weltenordnung

Auf der Flucht

Der Geist in den Schöpfungsabsichten und Visionen seiner Kräfte

Doktor Allison, Chirurg am Feldlazarett

Yasmin und Tarek weiter im Gespräch

Zwei Verletzte werden ins Lager gebracht

Der Geist in seiner Allumfassung zur inneren Vollendung ist unerschöpflich

Menschen, denen der Fluchtweg über die Brücke versperrt wird, kommen zurück

Der am Denken und Tun erscheinende Geist

Streitgespräch unter Männern auf der anderen Seite hinter der Brücke

Der Geist, der aus sich herausgeht, ist zugleich in sich selbst

Am Lagertor in der frühen Morgendämmerung

Von den Weiten und Tiefen des Denkens

Die Grenzenlosigkeit von Raum und Zeit, wo das Bewusstsein sich als Ende und Neuanfang begreift

Sarah und Theron im Lager nicht weit vom Lagertor

Das natürliche Bewusstsein erkennt die Substanz der Wirklichkeit

Am hellen Tag: Im Lager wimmelt es von Menschen

Der Geist erfasst das Selbstbewusstsein in der Absicht, es zu führen

Der Gang über die Brücke

Das reine Denken schaut in das Innere der Welt mit ihren Ideen

Hinter der Brücke

Der Geist auf der Höhe ist die Wirklichkeit

Sonnenaufgang über dem Platz in der Fremde

Der Geist durchdringt die zellulären Strukturen

Noch auf dem Platz in der Fremde

Der Geist steht über der Dingwelt des Daseins

Zwei hockende Männer halten je ein Kind

Im Geist kommen Gegenstand und Begriff zusammen

Vier Männer tragen den blinden Lehrer

Vorwort

Zur Bedeutung des Lebens bezüglich Würde und Moral – Vom Geist der Schöpfung. Bei all der Enge ist für den Einblick in das Universum noch genügend Freiheit, um durch reflektierendes Denken zu lernen, was die Bedeutung des Lebens im tieferen Sinne ist, sein kann und sein soll.

Was und wo ist Heimat

Daniel. Die Heimat liegt in Trümmern, es gab Tote und Verletzte. Frauen und Kinder stehen und weinen um den Verlust. Was kann ich euch noch raten? Nehmt das Kalifat und die anderen Staaten, da sind wir doch verloren und verraten.

Yasin. Was im Allgemeinen fehlt, das sind Wahrhaftigkeit und Ehre. Da können wir noch Jahre lamentieren, sie werden uns die Faul- und Feigheit voll Bitternis quittieren. Was uns bleibt, das ist das Leben in der Wüste mit den Zelten und der restlichen Spärlichkeit.

Hasan. Selbst das bisschen Wasser ist hier brackig, schmeckt nach bittrem Sand und mehrt den Durst. Es ist das kargste Land ganz ohne Wiesen, auf dem es weder Rinder noch Schafe gibt.

Yasin. Bedenkt, der Frieden ist verspielt, Dörfer und Städte sind verwüstet und verloren, Ganze Völker brechen entzwei. Was uns blüht, wir werden es sehen, auch wenn wir es nicht sehen wollen, und keiner kann sich vor dem verstecken, was uns erwartet mit dem Elend und der Not. Drum geht in eure Zelte zurück und lebt in der Magerkeit, die Nacht wird das Weitere lehren. Ermahnt jene, die da lauthals klagen und wimmern, dass sie die Zeiten, wie sie sind, nicht ändern können.

Sarah. Seht Herr, ich bin schwanger, bringe ein Kind in die zerbrochene Welt. Ich frage euch, wo führt das hin, wenn neues Leben in das Lager kommt, das schon überfüllt mit mageren Menschen ist?

Yasin. Was ich dir sagen kann, ist die traurige Botschaft, denn von der Heimat sind wir getrennt, sind abgeschnitten an den Wurzeln unserer Herkunft, sind verwaist von dem, was uns erzog und uns gehörte.

Sarah. Wer kennt die Menschen, wie sie sind und das hier im Lager mit dem Elend und den Menschen draußen in der Fremde? Die Not drückt, es wird mir angst und bange, je länger wir in der Verlorenheit stehn und hausen.

Yasin. Was du siehst, ich glaub’s, ist doch nicht alles, viel mehr ist’s, was hinter den Hügelhöhen sich verbirgt und unter der ersten Wüstenschicht begraben liegt. Es sind die Wunden der geschundenen Moral, dass auseinanderbricht, ja in Brocken und Stücke zerfällt, was seit Menschengedenken zusammengehört.

Sarah. Wie sollen die Stücke zusammengesetzt werden, dass wieder ein Ganzes daraus wird und das Leben seinen Sinn und wieder seine Ordnung bekommt?

Yasin. Ich sage dir: ich bin weder ein Philosoph noch ein Prophet, doch sehe ich den Himmel ohne Wolken. So sag ich dir aus meiner Sicht, dass es auch in diesem Jahr keinen Regen geben und das Fiasko bleiben wird. Denn ohne Regen gibt es weder Reis noch Korn.

 

Sarah. Das heißt, dass der Schmerz des Hungers bleibt.

Yasin. Ja nicht nur bleibt, sondern bei der Zahl der Menschen größer werden wird. Die Wunden werden schlechter heilen bei der weiten Magerkeit, und die Kinder werden zu Skeletten vertrocknen, denn ohne Milch und ohne Mais und Wasser geht das Leben nicht.

Sarah. Der Herr, was meine Mutter sagt, ist dies: mein Kind bedenke, in einer Zeit wie dieser bringe kein Kind zur Welt, denn es fehlt am guten Boden, dass Hunger das junge Leben zerstört.

Yasin. Die Frau soll auch ans Wasser denken, bedenken soll sie, die Brunnen trocknen aus. Der Weg führt immer weiter weg, um das Wasser herbeizutragen, auch ist der Weg zum Brunnen vermint, wenn er weitab gelegen ist. Was ich damit sagen will, die Zeit ist uns nicht mehr freundlich gesinnt, und wir sind nicht mehr weit entfernt, dass uns alle der Hunger in die Knie zwingen wird, wenn nicht die Cholera und andere Unwesen uns vorher in den Tod geschickt haben.

Sarah. Ja, die Zeit ist uns nicht wohlgesonnen, und das Lager reißt die Würde von den Körpern, sprengt die Hoffnungen aus den Köpfen, zerfurcht die Gesichter immer tiefer, dass die Melancholie unschuldige Kindergesichter schlägt. Meine Tochter Dana sagt: Mutter, das ist kein Leben im Lager, hier wird jeder noch verrückt. Schau, wie die mageren Körper schlürfen, bald werden auch sie abseits der Zelte liegen, wenn ihnen der letzte Atem davongeflogen ist.

Yasin. Das ist, was mich nachts nicht schlafen lässt, weil mir die armseligen Gestalten mit dem fragenden Blick des Wie-lange-noch vor dem inneren Auge stehen und auf Antwort warten und meine Träume arg beschweren, dass an den Schlaf nicht zu denken ist.

Sarah. Da kommt zum äußeren Elend die innere Not dazu im Bewusstsein der verlorenen und zerstörten Heimat und der totalen Hoffnungslosigkeit des Wohin. Die Frage ist: Wo können wir noch menschenwürdig leben?

Yasin. Das ist die Frage des menschlichen Seins, des Daseins mit dem Hiersein, die doch die fundamentale Frage ist, wenn aus dem Flüchtlingsdasein mit all den bitteren Entbehrungen sich ein Sein von Wert und Würde anschließen soll.

Sarah. Und dieses Sein von Wert und Würde soll näher ans Lager herankommen und sich nicht ins Unabsehbare entfernen.

Yasin. Da stimme ich ihnen aus ganzem Herzen zu... Doch fürchte ich, dass ein Näherkommen von Wert und Würde in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Dafür hat sich die Not zu breit gemacht und eine Fläche erreicht, auf der das Elend zum Turm von unvorstellbarer Höhe geworden ist.

Sarah. Dann werden wir in der Wert- und Würdelosigkeit verenden, und die Kinder werden es nicht verstehen.

Yasin. Nein, sie werden fragen, warum sie in diese Welt gebracht wurden, wenn es an Nahrung und an Wasser fehlt, dass magere Menschen traurig blicken und an Stöcken gehen, wo sich alle nach Frieden und den besseren Zeiten sehnen.

Sarah. Und warum das alles so gekommen ist, das kann mit einfachen Worten mir keiner erklären.

Yasin. Außergewöhnliches braucht die besonderen Worte der Erklärung. Denken sie an die Herkunft der Menschen, denken sie an die Schulen, denken sie daran, was wir Traditionen und Kulturen nennen. Die Menschen sprechen unterschiedliche Sprachen und denken deshalb auch unterschiedlich über das Leben.

Sarah. Aber was gut und böse ist, das unterscheiden doch alle, ich meine, da stimmen die Menschen miteinander überein.

Yasin. Weil es traditionelle Unterschiede gibt, verlieren viele Dinge die Gemeinsamkeit, gehen die Meinungen und Kulturen auseinander und machen die Dinge kompliziert, dass es zu Kriegen mit den Morden an unschuldigen Menschen und ihren Kindern kommt. Es ist der Diskonsens mit dem Mangel an Verständnis und Verständigung, warum wir in diesem Lager eingepfercht vegetieren, denn ein Leben mit Würde kann man das nicht nennen, während andere Völkerschaften unsere Dörfer und Städte verwüsten und unsere Kulturen barbarisch schänden und vernichten. Dabei werden die Menschen nicht verschont, sie werden aus ihren Häusern getrieben, werden gefoltert und ermordet.

Sarah. Es ist der Weg des Leidens ohne Ende, dabei hoffen Menschen auf die Wende, denn auch die Entbehrung hat ihre Grenzen mit der Enge, dem Hunger und der Magerkeit. Es sterben die Alten und mit ihnen die Kinder, so bleibt finster auch die Zukunft.

Yasin. Und die Finsternis, sie bringt den Tod, da geht es nicht mehr nur ums Brot, wenn Menschen vor den Zelten liegen, denen der Atem ausgegangen ist. Darum erwarte ich fürs Erste die Geduld, auch wenn wir frei sind von der schweren Schuld. Wir dürfen die Hoffnung und den Mut nicht verlieren, wenn es mit uns weitergehen soll.

Sarah. Weitergehen soll es, sonst sind wir hier am Ende, es wäre fatal, doch wir ersehnen die Wende, ich meine, dass die Kinder ihre Mahlzeiten bekommen sollen und zur Schule gehen, um zu lernen.

Yasin. Ja, die Kinder sollen lernen und besonders das, was wir verlernt und versäumt haben zu lernen, ich meine das Zuhören zur Fähigkeit der Toleranz. Wie anders sähe es aus, wenn wir es gelernt hätten, dass auch andere Traditionen und Kulturen ihre starken und schöpferischen Bildungswerte haben.

Sarah. Doch wir wurden vertrieben durch die Gewalt jener, deren Kulturen der eigenen eng verwandt sind, ich rede von Menschen, deren Sprache um Dialektbreite sich von der unsrigen unterscheidet.

Yasin. Ich verstehe den Einwand und fühle die Trauer, die Toleranz klebt blutig an der Mauer, wo Menschen, ob alt ob jung, gefoltert, geschändet und ermordet werden, denen Wert und Würde auf barbarische Weise geraubt werden. Darunter sind auch die Brüder des Glaubens, was sich für uns kaum fassen lässt.

Sarah. Noch weniger können es alte Menschen fassen, wenn sie mit den Besetzern, den Folterern und Mördern in dieselbe Schule gegangen sind und sich dem selben Glauben täglich hingaben und sich in ihm opferbereit geübt hatten.

Yasin. Das macht die Sache umso schwerer, schneidet aufs Schmerzlichste in unser Leben, dessen Schicksal sich in diesem Lager pfercht mit dem Hunger, der Verlorenheit und Krankheit. Was ich damit sagen will, es fehlt das Licht, das die Hoffnung auf Freiheit aufleuchtet und uns zurückbringt.

Sarah. Das ist das Licht zur tiefinnersten Belebung.

Yasin. Ja, das Licht, das dem Elend seine Grenzen setzt, das Menschen aus ihrer Not befreit und ihnen das zurückgibt, was sie als Menschen auszeichnet, es ist die Würde zum Leben, was mit dem Respekt und der Rückgabe der Freiheit erfolgen kann. Kritische Zeiten hat es gegeben, solange es das Volk gibt, doch die Krise erreicht die Grenze, wenn unsere Kulturgüter als die Wahrzeichen der Herkunft und Geschichte zerschlagen und zerschossen werden. Es geht an die Wurzeln des Volkes, ohne die es kein begründbares Weiterleben der Generationen gibt.

Sarah. Der Drang nach Befreiung ist da, er wächst von Tag zu Tag.

Yasin. Doch mit der Magerkeit der Menschen schwindet die Kraft, der Unmenschlichkeit zu widerstehen und die Befreiung zu erzwingen.

Sarah. Und keiner weiß, wie lange es dauern wird, dass uns das Lager gefangenhält, das Trinkwasser salzig ist und uns der Hunger quält und wir bis aufs Skelett abmagern, dass die letzte Hoffnung schwindet und selbst den Kindern den Atem und ihr junges Leben nimmt.

Yasin. Dennoch müssen wir uns in der Geduld üben. Sieh in das Schwarz der Wolken, sieh, wie Stadt und Dörfer brennen, stell dir die Qualen der Menschen vor, die es dabei trifft, denk dir, was wäre, wenn es dich und deine Kinder getroffen hätte.

Sarah. Als würde Babylon brennen, tiefschwarz ziehen die Schwaden übers Land und verzehren das Leben bis zum jüngsten Spross.

Yasin. Das Prinzip der verbrannten Erde ist so alt wie die Menschen sind, als sie das Feuermachen erfanden. Dass wir es sind, die es nun trifft, das ist der Wahn der Zeit, dem wir nicht entrinnen können. Hört, wie die Granaten übers Lager jagen. Sie schlagen ein, was weit weg nicht mehr ist. Da kann einen der Jammer erschlagen.

Ein- und Durchsicht in die unendliche ‘Leere’

Wie hoch, wie tief gehen die Wege ins klare Himmelsblau aus dem Fenster, von der Tür und so manchem Gedankenbau, ob am Abend oder Morgen, dass die Weite dich macht schlau durch Nächte und durch Tage, keine Frage, die Tangente liegt genau.

Angelegt ist nicht nur eine, viele führen hoch an das gedachte Rund der Welt mit all den großen und den kleinen Dingen hier und bunt mit all den Formen und den Klängen bis ins Tal zu dieser Stund, dass die Stimme der Botschaft von Heil und Frieden tut sich kund.

Durch diese Unendlichkeit blitzt das Licht in Strahlen und gebündelt zur Ein- und Durch- und Tiefensicht fürs Auge, das den Weg nun findet mit dem tiefen Atemzug und vom rasenden Herzschlag eingemündet ins Sein des Daseins, das sich mit Raum und Zeit fürs Leben zündet.

Fast verloren hebt sich der Verstand auf die Plattform des Gedankens, ihm schwirren Lichter und Töne in dissonanten Mächten des Schwankens von einem Pfeiler der Brücke der Begrüßung über den Pfeiler des Rankens vom Heimatboden über fremde Straßen und Plätze zu höchstem Klang.

Der Geist will mehr als den Körper im steifen Schweißgeruch der Arbeit, er will und macht den Dreiklang aus den Liebestiefen zu den Höhen des Glücks. Wer da gescheit sein will, ist meist blind für das Große in der engen Eitelkeit, und das oft in den Längen von Jahren und ganzen Leben in einem Stück.

Aus den Höhen des Fühlens und den noch höheren Stufen des Sehnens fahren die Züge der Hoffnung Tag und Nacht mit den Kräften des Dehnens, denn das Leben hat die Vision mit dem Einfall zur Geborgenheit des Lehnens aus dem Gewölbe des Alltags hoch zum Denkansatz geistiger Erhabenheit.

Der Geist wölbt sich im absoluten Sein, das unendlich ist, wie gern möchten Hände der Arbeit ihn fassen und schaun. Es klopft das Herz, und der Gedanke rennt, als wär er im Wahn, im Spalt der Erwartung fixiert das Auge den alten angelegten Kahn.

Vor dem Lagertor

Tarek. Bist du’s, Sirna, in der späten Dämmerung? Meine Augen tun sich schwer, dich zu erkennen. Doch wenn du es bist, fällt mir ein Stein vom Herzen, dass du lebend den weiten Weg geschafft hast.

Sirna. Ja, ich bin’s und habe dem jungen Mann zu danken, der den kleinen Hasan auf die Schulter nahm und hierher trug.

Tarek. Wo ist der Mann, führe mich zu ihm, dass auch ich ihm danke und meinen Obolus entrichte.

Sirna. Er gab mir Hasan an die Hand und eine Flasche Wasser, lehnte jegliche Bezahlung ab, grüßte freundlich und verschwand.

Tarek. Mein Kind, denkst du nicht, dass er im Lager ist, um die Nacht auch hier zu verbringen? Er kann unmöglich in die Nacht hinein verschwunden sein.

Sirna. Vater, ich weiß es nicht, doch was ich sah, war seine Eile, als ob er anderen Menschen folgte, die ihm auch am Herzen lagen.

Tarek. Ich begreife es als ein Wunder, dass du mit Hasan den weiten Weg geschafft hast, der hart und steinig über die langgezogene Hügelkette geht. Und dieses Wunder ist mir unbegreiflich, denn viele haben auf dem Weg ihr Leben verloren.

Sirna. Ohne Wunder können wir die Tage nicht überleben.

Tarek. Wie meinst du das? Ich verstehe, dass es neben den großen Wundern die vielen kleinen Wunder gibt, die alltäglich sind und uns das Tragen der schweren Bürde leichter und die Stunden der Entbehrung erträglicher machen.

Sirna. Ich gebe dir recht, dass bei dem Mangel an Wasser es an das große Wunder grenzt, dass bei der grimmigen Trockenheit in den Kehlen uns der Atem erhalten geblieben ist.

Tarek. Kann es nicht sein, dass es schon das große Wunder ist, wenn wir die vielen kleinen Wunder nicht mehr wahrnehmen? Denn würden wir jedes kleine Wunder aufmerksam registrieren, der Mensch würde bescheidener werden und durch die Bescheidenheit näher an die Wahrheit herankommen und ihn dadurch reifer machen, was ihn letztendlich an die Grenze zwischen Zeit und Zeitlosigkeit in seinem Leben führt. Das ist es, was ihn die Erfüllung erleben lässt und ihn am Ende glücklich macht.

 

Sirna. Doch wo sind die Menschen der Bescheidenheit mit den helfenden Händen, wenn man sie braucht? Auf dem steinigen Weg hierher waren es vielleicht zwei wie der eine, der Hasan auf die Schultern setzte.

Tarek. Bescheidenheit ist eine hohe Tugend, die zu erlangen nicht jedem gegeben ist. Denn um bescheiden zu sein, bedarf es der Bildung, die doch über das gewöhnliche Maß hinausgeht. Selbst Menschen meines Alters sind nur wenige, die mit dieser Tugend dem Wohle der Menschen dienen. Aber die Zeiten nehmen an Gewalt und Härte zu, dass sie die tugendhafte Milde nicht mehr wahrnehmen.

Sirna. So kommt selbst die Bescheidenheit dem Wunder näher.

Tarek. Du kannst auch sagen, sie kommt dem Wunder gleich.

Sirna. Und dieses Wunder ist kein kleines mehr.

Tarek. Dass zu erfahren schon ein großes Wunder ist. Darin, ich meine in dem Wunderbaren, haben sich die Zeiten zum Nachteil der Menschen verändert. Die Armut, die es auch früher gab, hat sich auf die Seelen ausgedehnt und sich ihrer bemächtigt, dass die Herzen hart, so steinhart geworden sind.

Sirna. So behüte mich Gott, er ist der Menschen Schöpfer, dass mein Herz die Milde weder verachtet noch verwirft und meine Hände helfende Hände für Menschen sind, die der Hilfe zum Leben dringend bedürfen.

Tarek. Mein Kind, du hattest schon immer ein gutes Herz, wofür dir die Menschen dankten und weiter danken werden.

Yasin. Welch ein Zufall, welch ein Tag, dass ich dich hier wiedertreffe, den guten Lehrer der großen Schule, aus der die guten Schüler kommen und als Ärzte und Anwälte den Menschen dienen.

Tarek. Ja, es ist der Zufall, denn lange habe ich dich nicht gesehen und habe mir Sorgen um dich gemacht.

Yasin. Sorgen solltest du dir meinetwegen nicht machen, das Leben hat mich weise bis hierher geführt.

Tarek. Du meinst, weise, weil du am Leben bist und dir kein Geschoss durch Arm oder Bein gejagt wurde. Auch sind dir die Wangen nicht eingefallen wie den vielen, die sich auf den Weg gemacht haben.

Yasin. Es ist der Weg in die Ungewissheit, vor der sich nicht nur die Menschen fürchten, sondern auch die Tiere, die uns tragen und begleiten, denn auch sie dürsten nach dem klaren Wasser.

Tarek. Doch die Esel sind an größere Gewichte gewohnt als an die Säcke von Kleidern und den Mais, die sie nun auf dem Weg in die Ungewissheit tragen.

Yasin. Und wir uns dabei fragen, ob es Sinn hat mit den Kleidern, wenn wir doch nicht wissen, ob wir sie noch tragen werden.

Tarek. Wenn wir sie nicht tragen, dann werden es die andern tun und das mit nicht geringerem Stolz. Denn teure Kleidung steht auch armen Menschen gut, die sich solche Stücke bislang nicht leisten konnten.

Yasin. Was die Zeit uns bringt, es ist das Mehr an Gleichheit, wir haben Haus und Gut verloren, was unsere Väter und Vorväter erarbeitet und geschaffen haben. Wir sind besitzlose Bettler geworden und retten unsere Haut an Kopf und Händen.

Tarek. Das Mehr an Gleichheit bezieht sich auf den Stand der Bettler.

Yasin. Ja, auf jene mit dem letzten Hemd und den leeren Händen, denn in der Besitzlosigkeit gleichen sich die Menschen am meisten und das ganz ohne Neid.

Tarek. Doch der Schmerz in der Besitzlosigkeit ist verschieden, die einst Wohlhabenden empfinden die besitzlose Gleichheit schmerzhafter als die, die schon vorher nur wenig oder nichts hatten.

Yasin. Doch was denkst du von den Händen der Menschen?

Tarek. Da geb ich dir recht, wo sich die großen Hände von den kleinen unterscheiden, was der Gleichheit widerspricht.

Yasin. Und die Ungleichheit wird noch stärker, wenn die Hände sich zu Schalen formen und in Bettelmanier ausgestreckt entgegengehalten werden, um gefüllt zu werden mit Dingen die nötig sind, wenn es den Hunger und Durst betrifft.

Tarek. Da kleine Menschen auch große Hände und große Menschen kleine Hände haben können, treten Ungleichheiten bei der Verteilung auf, die als ungerecht empfunden werden.

Yasin. Hände lassen sich nicht kleiner und nicht größer machen, wenn vom Wachstum kindlicher Hände abgesehen wird. Du siehst, mein Freund, wie die Form mit dem Format die Gleichheit durcheinanderbringt, wenn es um die Hände geht.

Tarek. Und wie ist es mit den Köpfen, die sich in Form und Größe unterscheiden?

Yasin. Der Kopf ist ein besonderer Behälter, der das Gehirn als Inhalt trägt, während die Hand die Muskeln und Sehnen zu den Fingern führt. Was ich damit sagen will, ist, dass im Kopf die Gedanken und der Wille geformt werden, während Muskeln und Sehnen der Hand die Finger in Bewegung setzen, wie es das Hirn schaltet und befiehlt.

Tarek. Dann sind es die Bewegungsläufe, durch die und in denen sich die eine Hand von der andern unterscheidet.

Yasin. Und was für die Hände gilt, gilt nicht weniger für die Füße. Im Gang unterscheiden sich die Menschen, das im Tempo wie in der Art des Gehens im Zusammenspiel der Muskeln.

Tarek. Auf großem Fuße leben, bleibt hier eine Illusion, was die Tage betrachtet den größeren Eindruck hinterlässt.

Yasin. Es zählt nicht mehr das zu tragende Gewicht, es sei denn das Kind und die alte Mutter, die den Weg auf eigenen Füßen nicht schaffen. Da wird die Ungleichheit zur Menschlichkeit, wird Ausdruck der tätigen Liebe am Nächsten. Auf diese Tätigkeit kommt es an, die im tiefsten Sinne auf dem Glauben gründet, dass das Leben, ohne dem anderen zu helfen, wertlos und ein vertanes Leben ist.

Tarek. So sprach auch Sirna, die das Wunder erlebte, dass auf dem langen und steinigen Weg ein freundlicher Mann den kleinen erschöpften Hasan auf seine Schultern nahm und ihn bis zum Lager trug, wo er ihm noch die Flasche Wasser gab.

Yasin. Das ist, was ich sage, edel sei der Mensch, hilfreich und gut, wenn das Leben einen Sinn und Wert bekommen soll. Denn ohne die Güte sitzt der Teufel uns im Nacken, den loszuwerden viele meist junge Leben fordert und das Leben der Unschuldigen kostet und verschlingt. Darum halt ich es den Lehrern vor, nicht nur das Wissen, sondern auch die Güte der Herzensbildung zu vermitteln, denn das Wissen von den Dingen reicht nicht, um einen guten Menschen heranzubilden, der seinem Nächsten eine Hilfe ist, wenn er sie braucht.

Tarek. Es leuchtet ein und gibt ein helles Licht, was du über die Bildung sagst. Doch wo sind die Schulen und die Lehrer, die solch eine Bildung vermitteln?

Yasin. Hier im Lager findest du die Menschen, die durch eine solche Schule gegangen sind. Sie sind zwar oft armselig gekleidet, doch wenn sie sprechen und handeln, dann strömt ein Reichtum aus ihren Herzen, was Menschen aus deren Not heraushilft und ihnen das Leben leichter macht und rettet und den Tag mit der schweren Bürde erträglicher macht.

Tarek. Diesen Menschen zu danken, das soll uns im Verständnis der Dinge dann auch selbstverständlich sein, denn die Werte ihrer Menschlichkeit sind doch unbezahlbar. Es ist ihre Selbstlosigkeit, die einem Wunder gleicht, dem sich Menschen unserer Zeit soweit entfernt haben.

Yasin. Ja, Menschen sind’s, die Not und Freude bringen, meist sind es Menschen in der Altersmitte, die beides tun, weil sie beides können.

Tarek. Ob sie beides wollen, das weiß ich nicht. Doch wie wir ihre Talente und Ziele erfahren, und das in dieser Zeit, neigen sie mehr, und viele ausschließlich dazu, andere Menschen, die schuldlos sind, in Not zu stürzen.

Yasin. Da geb ich dir recht, denn wie anders kann ich die Lage sehen, die uns Vertriebene hier im Lager trifft. Wir haben die Heimat verloren und wissen nicht, ob wir sie jemals wiedersehen werden.

Tarek. Und wenn wir sie wiedersehen, was, so glaube ich, die Ausnahme sein wird, dann werden wir sie nicht wiedererkennen.

Yasin. Die zerstörte Heimat ist wie der gefallene Krug, man kann die Trümmerstücke nicht zusammenbringen, um das gelebte Ganze wiederzubekommen. Es wäre naiv gedacht, denn die Dinge der Welt haben sich weiterentwickelt, um sie in den ursprünglichen Stand wieder herzustellen.

Tarek. Das gibt den Grund zur Trauer, dass die großen Werte, die von den Vätern in härtester Arbeit geschaffen wurden, wenn sie zerschlagen werden und zerbrochen sind, für uns und die folgenden Generationen verloren sind.

Yasin. Das ist, dass es Löcher in den Kulturen gibt, die nicht zu erklären sind. Es gibt Vermutungen, dass Barbaren die hohen Werte geschändet und zerstört haben. Denken wir an die altägyptischen und altgriechischen Skulpturen, denen die Nasen, Ohren, Köpfe und Arme abgeschlagen wurden. Diese Verluste sind nicht mehr zu ersetzen, dass die allgemeine kulturelle Verarmung nicht zu aufzuhalten ist.

Tarek. Was dem Zerschlagen völkischer Wurzeln gleichkommt, dass Folgegenerationen die Orientierung über Herkunft und Zukunft auf bedauerlichste Weise verloren haben.

Yasin. Und weiter verlieren. Denn woher sollen sie die Kenntnis nehmen, wenn die Bau- und anderen Denkmäler zerschlagen sind? Es ist der Teufel der Zeit, der dem Frieden abhold und jeder Friedfertigkeit von Anfang an feindlich gegenübersteht. Es ist der Zweifel mit dem Kampf zwischen Liebe und Hass, der die Völker in den Abgrund zieht und vernichtet.

Tarek. Das heißt, dass alles einen Anfang und eine Geschichte haben muss.

Yasin. Nur muss sie erzählt werden beziehungsweise fürs Auge erkennbar und für das Ohr hörbar sein. Wenn über die Geschichte nichts gesagt und fürs Auge nichts erkennbar ist, dann kann auch die Geschichte nicht verstanden und nicht weitergegeben werden. Und wenn das so ist, dann ist nicht vorstellbar, wo und wie weit zurück unser Anfang geht.

Tarek. Das ist, was mit unseren Städten und Dörfern passiert, die samt ihren Bewohnern dem Hass zum Opfer fallen. Wir, die wir unsere Heimat verlieren und bereits verloren haben, werden auch unsere Geschichte verlieren, weil der durchgehende Faden über Herkunft und Kultur zerrissen und verbrannt ist.

Yasin. Das macht die Sache überaus traurig, weil unsere Geschichte die von Vertriebenen beziehungsweise Verstoßenen beziehungsweise Ausgestoßenen ist, denen die Kraft der Überzeugung durch das Leben mit dem Hunger geschwächt ist und infrage gestellt wird, wenn die Worte mit der Wucht der Wahrheit doch überzeugen sollen.

Tarek. Es ist die Verworfenheit der Geschichte mit dem Verworfensein in die Geschichtslosigkeit, das ist der Untergang der Zivilisation.

Yasin. In der das Unwiederbringliche zerschlagen wird und verloren geht, während wir am Lagertor stehen und den Verlust in unserer Hilflosigkeit betrauern. Es ist das Ende einer Gesellschaft, die den Frieden wagte und nun Opfer ihrer selbst samt ihrer Kinder wird.

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