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Das Glück reich zu sein

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III

Die Nerven des Schornsteinfegers waren durch die Auffindung des Schatzes so aufgeregt worden, daß er, trotz all seiner körperlichen Müdigkeit, kein Auge schließen konnte. Er drehte, kehrte und streckte sich unter peinlichem Seufzen; sein Herz pochte in unregelmäßigen Schlägen, und zuweilen war es ihm, als ränne ihm ein kalter Schweiß über die Glieder.

Es geschah wohl, daß ihn ein leichter Schlummer beschlich, – aber in jenem Augenblick, wo der Mensch vom wachenden Dasein in den Zustand des Schlafens übergeht, sind bekanntlich die Nerven am empfindlichsten und dem Schornsteinfeger sollte es nicht gelingen, diesen Augenblick zu überschreiten; so oft der hereinbrechende Schlaf die Fluth seiner Gedanken unterbrach, sprang er wieder aus und horchte mit Schrecken auf dies oder jenes Geräusch, das er gehört zu haben glaubte . . . Und in der That, die Ratzen auf dem Speicher tobten und lärmten und piepten ganz nach Herzenslust, als wohnten sie noch immer bei armen Leuten, die sich in ihrem Schlummer nicht stören lassen.

Endlich muß es der Schornsteinfeger, nach langem Abmühen, doch zum wirklichen Schlafe gebracht haben, denn er schnarchte.

Aber allmälig wurde sein Athem schwerer und hatte etwas Leidendes, als würde sein Geist von ängstigenden Bildern gepeinigt. Der Schweiß trat ihm in’s Gesicht und krampfhaft spannten sich alle seine Glieder.

Plötzlich brach ihm die Sprache aus der beklemmten Brust hervor und er schrie jammervoll:

»Nein, nein, es ist nicht wahr: ich hab’ kein Geld. Ai, ai, laßt los; laßt los!«

Seine Frau, die dabei aufwachte, griff ihren Mann beim Arm, schüttelte ihn heftig und rief:

– »He, Smet, was hast du? Drückt dich ein Alp6 oder bist du verrückt?«

Ihr Mann schlug die Augen auf und starrte zitternd ins dunkle Zimmer hinein:

»Gott, wo bin ich? schon dünkte mir, ich sei todt . . . Bist du’s, Trese?«

– »Wer sollte es sonst sein, als ich? Das heißt ein- mal schnarchen! Aber was hattest du doch, daß du dich so schrecklich wandest und krümmtest, gleich einem Aal auf dem Bratrost. Das sieht man, daß du das Geld nicht gewohnt bist. Mich hindert es nicht im Geringsten am Schlafen, obgleich ich mich doch nicht weniger darüber freue als du; es zeigt sich jetzt recht deutlich, daß ich von guter Familie bin.«

– »Oh Trese,« klagte Meister Smet, indem er sich den kalten Schweiß von der Stirn wischte, »was ich aber ausgestanden habe, das kann ich dir nicht beschreiben. Ich sage dir, kaum war ich eingeschlafen, so setzte sich mir etwas auf die Brust und ich fühlte, wie es mir mit den Knieen das Herz drücken wollte. Es hatte seine Klauen mir um den Hals geschlagen und schnürte mir die Kehle zu; es glich einem wilden Thier mit langem schwarzen Hals und hielt ein großes Messer in einer der furchtbaren Tatzen. Es wollte mich durchaus nöthigen, ihm das Geld zu weisen, und als ich mich weigerte, knip es mir die Kehle zu und stellte sich an, mir das Messer in die Brust zu stechen . . . Ich fühlte eben, wie mir das Leben ausging; da thaten sich aber unwillkürlich meine Augen auf, ich stieß einen Schreckensschrei aus und merkt dann plötzlich, was es war. Oh, Trese, noch schaudert mir, wenn ich daran denke; es war ein Dieb, ein Mörder!«

– »Geh doch, mit deinen kindischen Grillen!« spottete die Frau. »Warum liegst du auch so mit dem Arm unterm Kopf; das bringt natürlich das Alpdrücken. Doch es wird spät, leg dich nur ruhig hin und störe mich nicht wieder.«

Frau Smet war wenige Augenblicke darauf wieder eingeschlafen. Nicht so der aufgeregte Schornsteinfeger; der gab sich nicht einmal die Mühe mehr, den Schlaf anzulocken, denn es war ihm jede Lust dazu vergangen.

Ueber eine halbe Stunde lag er mit offenen Augen da und träumte wachend von Polizeikommissär und von Räubern, bis er endlich aus dem Bett stieg und so leise als möglich sich in seine Kleider warf.

Dann schlich er auf den Fußspitzen nach der Stelle, wo ein Tisch stand, und störte mit der Hand auf demselben herum.

Ein Seufzer freudiger Ueberraschung entfuhr ihm, da er endlich die Tasche seiner Frau habhaft wurde. Er langte daraus den Kastenschlüssel hervor und begab sich vorsichtigen Trittes nach dem unteren Zimmer.

Hier steckte er ein Licht an, trat an den Kasten, öffnete ihn und betrachtete eine Weile mit seligem Gefühl das aufgeschichtete Geld. Darauf schloß er den Kasten wieder zu und setzte sich tiefsinnig an den Tisch, wo er ungefähr folgendes Selbstgespräch hielt:

»Noch liegt es da, Gott sei Dank! . . . Oh, reich sein, Gold besitzen, welch ein Glück! . . . Aber freilich, es bringt auch Kummer und Sorge, stört Ruhe und Schlaf . . . Meine Frau ist hochmüthig; es gelüstet sie, in einem großen Haus zu wohnen, reiche Kleider zu tragen, Gold und Diamanten zu kaufen! Pauw ist jung; er wird den Herrn spielen, in Saus und Braus das Geld durchdringen wollen . . . Und so wird dieses allmälig dahin schmelzen, wie der Schnee an der Sonne – und das Ende vom Lied wird sein, daß ich in meinen alten Tagen noch auf’s Stroh gerathe, und vielleicht mein tägliches Brod gar erbetteln muß!«

Dieser Gedanke versetzte ihn in die trübsinnigste Stimmung und bleichen Antlitzes stierte er in dem Zimmer herum:

»Oh, es ist doch unglücklich,« begann er wieder, »eine Frau zu besitzen, die ihre Zunge nicht zu bemeistern vermag! Morgen in aller Frühe wird sie bei der Nachbarschaft herumlaufen und von ihrer bevorstehenden Erbschaft Jedem ein Langes und Breites vorschwatzen. Mit Tausenden wird sie sich nicht begnügen; gleich von Millionen wird sie sprechen, so daß bald in der ganzen Stadt nur vom Kaminfeger die Rede sein wird, der so plötzlich reich geworden sein soll. Das wird nothwendigerweise die Diebe anlocken, und über kurz oder lang werden die den ganzen Reichthum davon tragen. Und dann heißt’s wieder arm sein. Wer hätte gedacht, daß der Reiche solche Angst und solchen Verdruß auszustehen habe!«

»Sonderbar!« fuhr er nach einer Pause wieder fort. »Ich war sonst immer fröhlich, wie ein Fisch im Wasser und die Leute nannten mich ja wegen meines guten Humors Hans Spaß. Ich wußte Nichts von Sorge und Verdruß; was mir der Herr zukommen ließ, das war mir lieb und recht; ich sang, sprang, lachte . . . Kein König, dachte ich, wäre glücklicher als ich. Und jetzt? Jetzt schaudere ich zusammen vor dem leisesten Winde; erschrecke vor mir selber, vor Allem; ich kann nicht schlafen; das Herz pocht mir, als stünde mir ein fürchterliches Ereigniß bevor . . . Nun, es wird sich vielleicht bessern? mit der Zeit werde ich mich an den Reichthum gewöhnen, und wenn ich nicht mehr lache und Späße mache, so ist das ja nur, wie sich’s geziemt; einem reichen Mann steht der Ernst gar wohl an. Alles zugleich darf man nicht haben wollen; und am Ende ist Reichthum doch höher zu schätzen, als die muntere Laune, die ich drangeben muß . . . «

Dieser letztere Gedanke schien ihm Trost eingestößt zu haben, denn er lächelte und rieb sich die Hände unter behaglichen Empfindungen.

Da fuhr ihm plötzlich ein neuer Gedanke durch den Kopf und mit sanfterem Tone begann er aufs Neue: »Als ich noch ein schlichter Handwerker war, da bot ich Alles auf, der armen Wittwe drüben hinter der Ecke aufzuhelfen. Das Mitleiden mit dem unglücklichen Schicksal ihrer unschuldigen Kinder ließ mich oft den Wunsch aussprechen, reicher zu sein, um meinem Herzensdrange diesem Elend gegenüber besser Folge leisten zu können. War doch ihr seliger Mann mein bester Freund und auf dein Sterbebett noch versprach ich ihm, für seine Kinder Sorge zu tragen. – Nun bin ich reich. Sollte ich meinem Versprechen untreu werden? O nein; wohlzuthun, Werke der Mildthätigkeit zu üben, darin, jetzt fühle ich es recht lebendig, besteht der Genuß des Reichseins. – Aber was soll ich der armen Wittwe schenken? Fünfzig Gulden? das ist zu viel, sie würden es nur nutzlos vergeuden, und mir selbst, wenn ich mit meinem Gelde so flott umginge, würde bald gar nichts mehr übrig bleiben. Und wer weiß, ob man mir nicht mit Undank lohnen würde. Wie, wenn ich es bei zehn Gulden bewenden ließe? Es dünkt mir, es wäre das genug. Sie haben doch noch nie so viel Geld beisammen gesehen. Es ist ja gefährlich, armen Leuten zu viel auf einmal zu reichen; sie sind’s nicht gewöhnt und werden leicht zur Völlerei und Trägheit verleitet, wenn sie es plötzlich zu behaglich bekommen . . . Man muß der Bettelei keinen Vorschub leisten . . .

Smet verfiel abermals in’s Nachdenken; dann aber überflog ein Ausdruck des Schreckens und der Verachtung sein Gesicht.

»Aber, Jan, was geht mit dir vor,« murmelte er ernst zu sich selber, »als du arm warst und du’s an deinem Tagelohn absparen mußtest, da hast du ihnen stückweise noch weit mehr gegeben. Oftmals hast du der Wittwe die für dein Glas Bier bestimmten Kreuzer in die Hand gedrückt und bist, im stillen Genuß dieser barmherzigen Handlung, statt in die Gesellschaft zu gehen, ruhig zu Hause geblieben. – Welch schrecklicher Gedanke! Sollte der Reichthum einen habgierig und herzlos machen? Wahrhaftig, ich fühle etwas in mir, das mir Grauen erweckt . . . nein, nein, weg mit der Selbstsucht! Fünfzig Gulden will ich für die Wittwe auf die Seite legen und ihr alle Wochen etwas davon verabreichen. Vielleicht wird mir Gott zum Lohne dafür das Reichsein erträglicher machen und mich von der fremdartigen Angst befreien, von der ich gepeinigt werde.«

 

Er stand langsam bedächtig aus, warf einen prüfenden Blick durch’s Zimmer und öffnete den Kasten.

Eine Weile beschaute er schweigsam den Haufen Geld, aus welchem beim matten Scheine der Lampe die Gold- und Silberstücke wie ein Sternengeflimmer ihm in die Augen glänzten. Er zog daraus sieben Zehnguldenstücke hervor, steckte sie zu sich und sagte dann freudig:

»Ich will noch zwei andere dazu fügen; die arme Wittwe ist gar so elend daran, und es ist mir doch ein seliges Gefühl, den Kindern meines seligen Freundes ihr trauriges Loos zu erleichtern!«

Den Schatz näher in’s Auge fassend schien er in Gedanken zu berechnen, wie hoch sich der Geldhaufen im Ganzen belaufen könnte.

Bald jedoch, als hätte er einen schnellen Entschluß gefaßt, – begann er eine ziemliche Anzahl Goldstücke aus der Masse herauszulesen; schloß sodann den Kasten wieder zu, setzte sich an den Tisch und zählte das Geld.

»Fünfzig Stück,« sagte er gedankenvoll, »das macht . . . fünfhundert Gulden, und fünfhundert Gulden Niederländisch machen ungefähr tausend und fünfzig Franken unseres Geldes. Diese Summe will ich an einem Orte verwahren, wo sie weder meine Frau noch mein Sohn finden sollen. Begegnet mir irgend einmal ein Unglück, kommen ja Diebe oder Gensdarmen in’s Haus, verschleudert meine Frau in Pracht und Ueppigkeit das gefundene Geld, so bleibt mir wenigstens noch etwas übrig für unsern Pauw, damit er, wenn er sein gutes Käthchen endlich zur Frau nimmt, doch ein kleines Kapitälchen vorfindet, um sich ein Hauswesen zu gründen und ein eigenes Geschäft zu errichten . . .

Er wickelte das Geld in sein Sacktuch, schob sodann einen Stuhl unter das Kamin und nachdem er daraufgestiegen, steckte er den Kopf tief in den Schlot.

Wahrscheinlich legte er die Summe auf einige vorspringende Steine nieder, von denen er allein Kenntniß hatte. Als er damit zu Ende war, sagte er mit heiterem Lächeln:

»Ach! nun ist’s mir wieder leichter zu Muthe; ich hoffe, ich werde jetzt wieder einschlafen können.«

Eben wollte er das Licht ausblasen und die Treppe hinaufsteigen, als er plötzlich von Angst und Zittern befallen wurde.

Es däuchte ihm nämlich, als ob man sich bemühte, das Fenster nach der Straße von außen aufzubrechen. Und in der That, es ließ sich ein Geräusch vernehmen, als ob an den Fensterrahmen gerückt würde.

Während der Schornsteinfeger den Blick nach dieser Seite geheftet hielt und so von Schrecken ergriffen war, daß ihm das Licht in der Hand wackelte, hörte er die Tritte eines Menschen, der sich vom Fenster entfernte und im Gehen mit rauher Stimme die Worte trällerte:

»Es schmeckt’ uns gar gut und blieben lang da,

Utremi fasolia!«

»Der verfluchte Trunkenbold,« murmelte Baes Smet, »was der mir eine Angst durch den Leib gejagt hat; der lumpige Pflastertreter! Giebt’s denn aber auch keine Polizei mehr! Bezahlen ja doch die Reichen die Polizei; warum sorgt sie nicht dafür, daß sie wenigstens in ihrem Schlafe nicht gestört werden?«

Nachdem er noch eine Zeit lang am Fenster gelauscht, blies er die Lampe aus, schlich sich leise hinauf, steckte den Schlüssel wieder in die Tasche seiner Frau und legte sich wieder, gekleidet, wie er war, aus das Bett.

Endlich schlief er ein; und wohl eine halbe Stunde genoß er eines süßen Schlummers, höchstens verriethen hie und da einige Zuckungen an Armen und Beinen die peinliche Unruhe seiner Seele.

Jetzt aber ertönte auf dem Speicher ein Getöse, als ob etwas Schweres zu Boden gefallen wäre.

Smet wachte erschrocken auf, sprang noch ganz verwirrt aus dem Bette und rannte in diesem schwindeligen Zustande gegen einen Stuhl, daß dieser auf den Boden stürzte.

Da erwachte natürlich auch seine Frau und rief verdrießlich:

– »Aber Smet, hast du den Teufel im Leibe, daß du da im Dunkeln Komödie spielst? Was ist dir schon wieder durch den Kopf gefahren?«

– »Oh, Trese, es sind Diebe im Haus!« seufzte er mit beklommener Stimme. »Wo ist der Säbel?«

– »Geh, das träumt dir wieder!« spottete die Frau. »Glaubst du wirklich, daß die Diebe das Geld riechen können, wie die Katzen den Braten?«

– »Auf dem Speicher sind sie; horch!« flüsterte Smet, indem er am ganzen Leibe zitternd nach oben deutete.

Und wirklich, es erklangen schwere Männertritte auf der Treppe und gleich darauf klopfte es heftig an die Thüre der Schlafkammer.

Außer sich vor Angst, öffnete der Schornsteinfeger das Fenster und rief aus vollem Halse auf die Straße hinaus:

»Zu Hilfe, zu Hilfe; Mörder, Mörder!«

Ja, um die Bürger zu schnellerer Hilfeleistung anzutreiben, fügte er noch hinzu:

»Feuer, Feuers«

In der Ferne jedoch sah er zwei Menschen, die auf sein Rufen Reißaus zu nehmen ansingen und im Nu um die Ecke verschwanden.

Vor der Thüre aber rief es mit ängstlicher Stimme:

»Vater, Vater, macht auf! wo brennt es? bei uns doch nicht?«

– »Mach doch auf, närrischer Kerl,« rief Frau Smet ihrem Manne zu. »Es ist ja der Pauw, merkst du’s nicht? Laß ihn herein: sonst kriegt der Junge noch das Fieber vor Schrecken.«

– »Nun, wo brennt es?« fragte Pauw hastig, sobald ihm die Thüre geöffnet worden.

– »Es ist Nichts; ein Traum war’s blos,« stammelte der Vater.

– »Wissen möcht’ ich aber jetzt doch, was hier vorgeht!« sprach Pauw mit steigender Verwunderung »Denn die ganze· Nacht hat’s in unserm Hause gespukt und ich habe noch kein Auge zugethan. Droben tummeln sich die Ratzen, als wären sie rasend geworden und hier unten höre ich sprechen, Stühle umwerfen, Mordio rufen, Feuerlärm anschlagen . . . Und jetzt, da ich unendlich in voller Angst herbeigelaufen komme, heißt es: Nichts, nichts! Seht, Vater, ihr müßt es mir nicht übel nehmen; aber es kommt mir jetzt vor, als wäret ihr beschäftigt gewesen, »Spaß und Handwerker«7 zu spielen.«

Während dieser Anrede seines Sohnes hatte sich der Schornsteinfeger auf einen Stuhl niedergelassen und suchte sich von der Aufregung, in die ihn der Vorfall versetzt hatte, nach und nach wieder zu erholen.

Pauw indessen wartete vergeblich auf eine Antwort und fuhr dann gelassen fort:

»Nun, da ich es, scheint’s, nicht wissen darf, so will ich nicht weiter darnach fragen; aber, Vater, was werden die Nachbarn zu diesem sonderbaren Spiele sagen . . . Wer weiß, ob nicht ihrer fünfzig auf den angeschlagenen Feuerlärm schon aus ihrem Bette gesprungen sind!«

– »Dein Vater träumt,« bemerkte die Mutter. »Es sitzt ihm die Erbschaft im Kopfe. Geh’ nur wieder ruhig in dein Bett, Pauw!«

– »Was hör’ ich,« seufzte nun der Schornsteinfeger mit neuer Ueberraschung.«

Auf der Straße nämlich rollten schwere Wagen in aller Schnelligkeit durch die Straßen daher.

»Oh, das sind die Kanoniere, die mit ihren Kanonen nach dem Lager von Braschaet8 fahren,« sagte Pauw. »Aber sonderbar ist es freilich, daß sie ihren Weg über unsere Straße nehmen.«

– »Was mag das sein,« rief die Frau, »sie halten, glaube ich, gerade vor unserer Thüre!«

Pauw öffnete rasch das Fenster, schlug einen Blick auf die Straße, trat dann wieder hell auslachend in die Kammer zurück:

»Nun, das giebt eine saubere Geschichte!« sagte er. »Es sind die Feuersoldaten mit ihren Spritzen!«

Sofort pochte es heftig an die Hausthüre und jeder Schlag wiederhallte schmerzlich in der Seele des Schornsteinfegers, der vor Beklemmung kein Wort herauszubringen vermochte.

Pauw steckte abermals den Kopf zum Fenster hinaus und rief zu den Leuten auf der Straße: »He, was giebt’s da unten? Geht eures Wegs und laßt die Leute schlafen!«

– »Wo brennt’s denn hier?« antwortete eine Stimme.

– »Wo es brennt, fragt ihr?« entgegnete Pauw. »Im Ofen des Bäckermeisters Schramoelie, acht Häuser weiter oben neben dem Gemüsemarkt.«

– »Ich will euch das Spotten vertreiben,« drohte der Wachtmeister der Löschkompagnie. »Macht auf oder ich schlage die Thür mit Gewalt ein!«

– »Gelassen, Herr Wachtmeister,« sagte einer der Soldaten. »Seht ihr nicht, es ist ja der Spaß-Pauw; dem darf matt das Schäkern und Necken nicht übel nehmen; seine Natur bringt es mit sich. Aber lassen Sie mich nur machen.«

Hiermit stellte er sich unter das Fenster und rief:

– »He, Pauwken, hat’s wirklich in eurem Haus gebrannt?«

– »Es brennt bei uns alle Tage, eine Stunde vor Mittagszeit!« erhielt er zur Antwort.

– »Scherz bei Seite, Freund! Ich bin da eben über die Straße gelaufen, als dein Vater mit einem Furore »Feuer, Feuer!« zum Fenster hinaus rief, daß an gedacht hätte, das ganze Viertel stehe in Flammen.«

– »Das hat mein Vater im Schlafe gethan.«

Da fuhr der Wachtmeister zornig auf und schrie hinauf:

– »Ich will euch lehren die Polizei zum Besten haben; Korporal, auf der Stelle lauft zum Kommissär; wir wollen die Thüre im Namen des Gesetzes aufbrechen und die Spottvögel zur Strafe ziehen.«

Das Wort Kommissär hatte den Schornsteinfeger so gewaltig betroffen, daß er aufsprang und mit stehender Stimme zum Fenster hinausrief:

– »Meine Herrn Soldaten, bitte, habt nur noch einen Augenblick Geduld; ich werde gleich ausmachen.«

Sofort verließ er mit seinem Sohne die Kammer. Im Hinuntersteigen flüsterte er zu diesem:

– »Pauw, mein Sohn, ich glaube, unser Haus ist verhext. Jetzt wird die ganze Kompagnie hereinbrechen! Gott weiß, was daraus werden wird; mich schüttelt’s am ganzen Leibe.«

– »Nun, Vater, die Soldaten werden uns nicht ausfressen!« antwortete der Sohn.

– »Ja, ja, Kind, du weißt nicht, was dein Vater Alles auszustehen hat!« klagte Baes Smet voll Muthlosigkeit. »Sie werden das Haus untersuchen wollen, um zu sehen, wo es gebrannt hat. Nun, da es einmal nicht zu ändern, so führe du sie in Gottes Namen herum, denn ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten.«

Der Bursche schloß die Thüre auf, während der Vater vor dem Kasten, in dem der Schatz lag, einen Stuhl vorschob und sich erschöpft und keuchend darauf niedersinken ließ.

Fünf bis sechs Soldaten traten herein. Der Wachtmeister erkannte sogleich den jungen Witzbold, griff ihn drohend bei der Schulter und sagte:

– »Ah, du unter-stehst dich, eine Feuerlöschkompagnie für Narren zu halten; ist es dir etwa darum zu thun, einige Stunden im Amigo9 zu erbringen?«

Pauw sprang entrüstet zurück und gab ihm stolz zur Antwort: – »Herr Wachtmeister, sprechen Sie vom Amigo so viel es Ihnen beliebt; aber ich stehe Ihnen als ein freier Mann gegenüber, und wenn Sie noch einmal Hand an mich legen, so werde ich Ihnen das Fliegen lehren, obgleich ich nur ein Kaminfegersgesell bin und keinen messingnen Hut trage wie Sie!«

Als er sah, daß aus dem Jungen kein guter Drath zu spinnen sei, wandte sich der Wachtmeister zu Baes Smet und sprach zu ihm im gebieterischen Ton:

– »Sagt mir, wo hat’s gebrannt?«

– »Mein guter Herr, es ist ein Irrthum; es hat hier gar nicht gebrannt.«

– »Ich sehe, ihr wollt es verhehlen, um euch der Buße, zu entziehen?«

– »O nein, durchaus nicht; ich versichere Sie, es ist hier nicht ein Fünkchen Feuer ausgebrochen. Es thut mir leid, daß Sie sich umsonst herbemüht haben.«

– »Warum habt ihr denn »Feuer« gerufen?«

– »Nun, es geschieht zuweilen, daß man gar sonderbare Träume hat,« sagte verblüfft Meister Smet. »Sie müssen es mir ja ansehen, Herr Wachtmeister, daß in diesem Augenblicke meine Nerven aufs Höchste angegriffen sind.«

– »Keine langen Reden,« befahl der Wachtmeister; »steht auf und zeigt uns die Kantine.«

 

– »Ich kann nicht aufstehen,« klagte der arme Mann; »es hängt mir wie zentnerschwer an den Beinen . . . Pauw, führe du den Herrn Wachtmeister im Hause herum.«

Der Wachtmeister gab dem Korporal einen Wink, daß er dem Jungen folgen solle. Dann sagte er zum Alten:

– »Ihr lehnt euch da vor den Kasten hin, als wäre euch bange, daß wir euch euer Geld wegstehlen möchten!«

Den Schornsteinfeger überlief es eiskalt bei diesen Worten:

– »Macht euch aber nur darauf gefaßt,« begann der Wachtmeister wieder. »Es wird euch diese Geschichte immerhin theuer zu stehen kommen; Feuer oder nicht Feuer, die Buße müßt ihr doch jedenfalls bezahlen!«

– »Wenn es sein muß,« murmelte Smet, »will ich recht gern doppelte oder gar dreifache Buße bezahlen, wofern die Herrn mich nur bald wieder in Ruhe lassen.«

Frau Smet, die sich inzwischen angekleidet hatte, kam nun lachend ins Zimmer herein, und sobald sie nach einigen Fragen erfahren, worum es sich handle, sagte sie ganz unbefangen zu dem Kommandierenden der Kompagnie:

– »Herr Wachtmeister, es ist dieß ein sonderbarer Fall, der sich nicht oft einstellt; Sie müssen es uns nicht übel nehmen, denn es ist ohne alle Absicht geschehen. Ich will Ihnen freimüthig erklären, wie es gekommen ist! Sie müssen wissen, daß wir von meiner Tante in Holland Nachricht erhalten haben . . . «

Der Schornsteinfeger suchte durch alle möglichen Zeichen seine Frau zum Schweigen aufzufordern, allein diese merkte nicht darauf und fuhr fort:

– »Wir würden erben, hieß es in diesem Schreiben; ich weiß selber nicht, wie viel Tausend Gulden. Diese Nachricht ist nun meinem Manne so zu Kopfe gestiegen, daß er das Fieber davon gekriegt hat. Und so ist ihm der Traum gekommen, daß das Haus in Flammen stehe . . . Aber seht, ihr guten Leute, ich will nicht, daß ihr so viel Mühe für Nichte gehabt haben sollt. Trinkt einen Krug auf unsere Gesundheit und seid gewiß, daß wir uns für eure Dienstfertigkeit dankbar erweisen werden.«

Mit diesen Worten drückte sie einem der Pompiers10 einen Fünffrankenthaler in die Hand.

In demselben Augenblick kam auch Pauw mit dem Korporal wieder herunter. Dieser stellte sich vor den Wachtmeister, salutierte militärisch seinen Oberen und sprach mit feierlichem Tone:

– »Wachtmeister, es ist hier nirgends Feuer gewesen!«

Nach einigen Anempfehlungen, fernerhin nicht wieder so laut zu träumen, verließen die Pompiers des Schornsteinfegers Wohnung.

Die Frau schloß die Thüre hinter ihnen zu und schob den Riegel vor.

Mit erhabenen Händen rief der Schornsteinfeger:

– »Gott, wüßten die armen Menschen, was reich sein ist, sie sollten sich’s gewiß nicht anwünschen. Man hat gar schwer daran zu tragen; das merk’ ich.«

Baesin Smet griff ihn bei der Schulter und indem sie ihn nach der Treppe schob, sagte sie halb verdrießlich, halb spöttisch:

– »Du fängst sauber an! Wohl sollte ich mich darüber in Harnisch sehen, aber ich will Mitleiden haben mit deinen kindischen Alfanzereien. Morgen sollen wir mehr darüber sprechen. Schlupf einstweilen in dein Bett zurück, Zebedäus, und wenn du wieder von Dieben und Gensdarmen zu träumen Lust hast, so thue es wenigstens in aller Stille. Das Geld hat dich zu einem rechten Hasenfuß gemacht. Seht nur, wie das elend und lahm die Stiege hinaufschlendert.«

In der That, abgespannt und von der überstandenen Aufregung wie gerädert, schritt Meister Smet nach seinem Bette.

6Im Vlämischen heißt es wörtlich: wirst du von der Marberitten? Aber das deutsche Wort Mar in Nachtmar sehe man Grimm’s Mythologie S. 433. Wir erinnern hier daran, daß es sieh, außer dem engl. nighmare und dem französischen cauchemar (die drückende Mar; cauche vorn lat. calcare) auch im belgisch-wallonischen Dialekte erhalten hat, wo man die korrumpierte Form chaudemarke neben chauquemar antrifft. Anm. d. Uebers.
7So heißt ein Kinderspiel in einer vlämischen Pantomime.]
8Name eines stehenden Uebengslagers für die Artillerie in der Nähe von Antwerpen.
9Amigo ist der Name, den man in Belgien den städtischen Polizeigefängnissen giebt.
10Pompiers ist der in Frankreich und Belgien übliche Name für die Soldaten der städtischen Feuerlöschmannschaft.