Loe raamatut: «Krautrock»
Henning Dedekind
Krautrock
Gegenkultur, LSD und kosmische Klänge
Aktualisierte und überarbeitete Neuauflage.
Erstmals erschienen als
Krautrock – Underground, LSD und kosmische Kuriere
(Höfen 2008)
Zweitausendeins
Erste Auflage 2008.
Vollständig aktualisierte und
erweiterte Neuauflage Winter 2021.
Copyright © 2021 by Henning Dedekind.
Alle Rechte für die deutsche Ausgabe
Copyright © 2021 by Zweitausendeins GmbH & Co. KG,
Karl-Tauchnitz-Str. 6, 04107 Leipzig.
www.zweitausendeins.de
Umschlagsillustration von Christiane Nebel.
Die Rechte einiger Abbildungen konnten
trotz größter Bemühungen nicht geklärt werden.
ISBN 978-3-96318-139-9
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»Es herrschte ein Klima der Veränderung, das sich auch bei uns in der Musik niedergeschlagen hat.«
– Michael Rother; Kraftwerk, NEU! und Harmonia –
»Wir hatten das Bedürfnis, nicht so zu tun, als wären wir in Nashville, Memphis, Brooklyn oder Manchester geboren, sondern in Berlin, München oder Straubing.«
– Irmin Schmidt, Can –
»Es wird höchste Zeit, dass man diese Zeit mal aufarbeitet und ins rechte Licht rückt. Wenn das jemand macht, der nicht dabei war und unvoreingenommen an die Sache herangeht, ist das sicherlich von Vorteil …«
– Peter Leopold, Amon Düül –
Inhalt
Prolog
I. Krautrock – eine Spurensuche
II. Unkraut vergeht nicht: Faszination Krautrock
»German Invasion« in den USA
Überdauern in der Sammler-Nische
Prophet im eigenen Land: Legendenpflege …
Wort und Unwort
Krautrock als Geisteshaltung
III. Was heißt hier Krautrock?
TEIL I: Vorgeschichte
1. Bundesrepublik-Blues: Schlagermuff und Nazi-Erbe
Neubeginn in Trümmern: Die »Stunde Null«
Vakuum im Wirtschaftswunderland
»Keine Experimente«: Braune Altlast und Doppelmoral
»Halbstarke« und »Negermusik«
Identifikationsmodell Beat
2. Vorbilder und erste Gehversuche
Beat-Bands in Deutschland
Offene Musikform: Der deutsche Jazz
Musik für Minderheiten: Blues
3. Totschweigen und Protest: Deutsche Lebensgefühle
»Tiefen ausloten«: Neue Werte und Selbstbefreiung
»Kulturstress«: Atomare Bedrohung und gesellschaftliche Polarisierung
TEIL II: Aufbruch
4. »Etwas Eigenes machen«: Musik und Identität
Schlüsselrolle: Free Jazz
Popmusik mit Botschaft: »Underground«
Neues Selbstverständnis: Vielfalt und Rückbesinnung
»Ami Go Home«: Abkehr von Amerika
Freiheit: Die Free Music Scene
5. Berufsmusiker aus gutem Hause: Eine Szene entsteht
Eine neue Avantgarde …
… und teures Gerät
6. »Ganz neue Klänge«
Abnabelung vom Blues
Bruch mit alten Formen
Der erweiterte Klangbegriff
Offene Ohren
Von der Improvisation zur Innovation
Äußere und innere Emanzipation
Rückkehr zur Form: »Spontankomposition«
EXKURS: Urknall des Krautrock – die Internationalen Essener Songtage 1968
Von der Waldeck nach Essen: Der Traum vom deutschen Monterey
Inhaltliche Freiheit und Idealismus: Die Organisation
»Revolution aus Deutschland«: Das Programm
Manifestation einer Gegenbewegung
Neugier, Vorurteile, Engagement: Essen und das Festival
Eine »pop-musikalische Agitationsveranstaltung«
Rauschen im Blätterwald
Nachwehen
TEIL III: Goldenes Zeitalter
7. »Deutschlands eigene Popmusik«
Dekonstruktion und Klangcollage
»Elektronische Volksmusik«: Muttersprache, Mentalität und Tradition
Deutscher Rock und europäisches Selbstverständnis
8. Aus Entertainern werden Künstler
»Wir machen etwas, und ihr müsst es kapieren«: Publikumsreaktionen
9. Weites Feld: Krautrockszenen
Vielfalt oder Stilwirrwarr?
Die Epizentren des Krautrock
Lokalmatadoren: Die regionale Ebene
Wer mit wem: Personelle Verflechtungen
10. Fremde Töne: Vom Krautrock zur Weltmusik
Exotisches im Trend
Blick in die Ferne
Reisewege zur Selbstfindung
Embryos Reisen: Mit dem Bandbus nach Casablanca und Kalkutta
Sitar, Tablas, E-Gitarre: Neue und alte Instrumente
Kulturschock und Kulturaustausch
11. Dada und Agitprop: Texte
Degradierung der Worte: Text als Beiwerk
»… so viele Interpretationen, wie es Hörer gibt«
Kosmische Themen: Fantasy und Science-Fiction
Wagnis Muttersprache: Deutsche Texte
Aktiv gegen das Establishment: Politische Texte
EXKURS: Kunst-Verwandtschaften
Schwestern im Geiste: Krautrock und die moderne Kunst
Keimzellen: Kunstszene und Krautrock
Kunst-Crossover: Multimedia und Rocktheater
Lukrative Kooperationen: Kraut und Kino
TEIL IV: Experiment Alltag
12. Soundtrack zur Demo: Krautrock und Politik
Hintergrund: Die politische Situation in Deutschland
Agitation und Eulenspiegelei: Politrock
Akustischer Sprengstoff: Klangrevolten
Alles ist Politik: Arbeitsweisen und Auftrittsorte
Zu zahm, zu radikal: Krautrock und die Linke
Leopolds Samthosen: Kraut und Terror
13. Gegenkultur: Eine alternative Szene entsteht
Vom Hippietum zur antiautoritären Erziehung
»Gammler«, Müsli-Esser und Freaks: Provokantes Anderssein
Gepolsterte Nische im Wirtschaftswunderland
14. Experiment Zusammenleben: Die Kraut-Kommune
Ideologie und Mietspiegel
Ruhig, idyllisch, billig: Landluft macht frei
Die Orgel im Grünen: Auswirkungen auf das musikalische Schaffen
»Terrorismuskommune« und Schützenfest: Leben mit der Landbevölkerung
Kraut-Mythen: Freie Liebe
Putzdienst und Streitkultur: Lernprozesse im Mikrokosmos
»Nach der großen Party«: Das Experiment scheitert
15. Im kreativen Rausch: Der Drogen-Trip
Neue Welten im Kopf
LSD
»Elektrischer Schamanismus« und »Kosmische Kuriere«: Drogen und Musik
Vom »Kick« in die Katastrophe: Das Ende der Unschuld
16. Kollektives Musikerlebnis: Die Liveszene
Angebot und Nachfrage
Geld aus der Stadtkasse
Szenetreffs und Publikum
Tücken der Technik: Abenteuer Live-Konzert
Deutsche Woodstocks: Rockfestivals
EXKURS: Gelebte Ideologie: »Umsonst & Draußen« in Vlotho
Beginn einer Bewegung
Das »größte Happening der deutschen Subkultur«
TEIL V: Revolution und Realität
17. Ideale gegen Erfolg: Aus Spontis werden Profis
Böhmisches Dorf: Rockmusik als Beruf
Learning by doing: Rockmusik und Marktprinzipien
Eine deutsche Rock-Industrie entsteht
18. Problembeziehung: Krautrock und Plattenindustrie
Anti-Konsum-Haltung oder Zweckehe?
Die Industrie »entdeckt« die neue Szene
Pionierarbeit: Industriekontakte durch Dritte
Generationskonflikt: Neue Musik und alte Prinzipien
Neue Plattformen: Sub-Labels und Independents
Das Kaiser-Imperium: Ohr, Pilz, Kosmische Musik
Unabhängigkeit: Eigene Plattenfirmen
EXKURS: »Musik im Vertrieb der Musiker«: Schneeball
Netzwerk mit Zugpferden
Schneeballeffekt: Die Independent-Landschaft
19. Balanceakt: Produzenten
Mittler und Mädchen für alles
»Alles verbiegen und verkurbeln«: Conny Plank
20. Fetisch Sound: Die technische Revolution
Achtung, Aufnahme! Die Bedeutung der Studios
(Un-) begrenzte Möglichkeiten
Zeit ist Geld
»Klänge, die nicht typisch sind«: Technik und Musik
»Fetisch der Rockmusik«: Der Sound
Konzerte in HiFi: Der neue Live-Sound
Raus aus der Kostenfalle: Das eigene Studio
21. Sounds aus der Steckdose: Neue Instrumente
Tasten-Revolution: Der Synthesizer
Tücken der Technik
22. Krautrock und die Medien
Zarte Pflänzchen
»Ganz schön was los«: Kraut in Radio und Fernsehen
Politisierung und Generationswechsel
Schwieriges Verhältnis: Musiker und Presse
Der Prophet im eigenen Land
23. Zweiklassenrock?
Düül gegen Purple: Stars und Symbole
Wirtschaftsfaktor Rock: »Gnadenlos hinterher«
24. Exportschlager Krautrock
Faszination Kraut
Inselhüpfen: Krautrock in England und den USA
Export-Import: Bowie und Eno in Berlin
25. Profis ohne Kohle
Aller Anfang ist schwer
Krautrock als Existenzgrundlage
26. Erfolg!
Wie gewonnen …
TEIL VI: Niedergang und Ende
27. Enttäuschte Blumenkinder
Von München bis Mogadischu: Politischer Hintergrund
Rückzug ins Schneckenhaus
Harte Drogen und Heilsuche bei Sekten
Rückkehr ins »bürgerliche« Leben
28. Eine Ära geht zu Ende
Kraut-Schwemme
Das Experiment wird verkauft
Zurück zu Altbewährtem: Neue deutsche Rock-Epigonen
»Nur das kleine Deutschland«: Versäumnisse und fehlende Budgets
»Zu dick aufgetragen«: Ende der Welle
Die Kinder fressen die Revolution: Punk und NDW
29. Ableger und Erben
»Anti-Bild« der 68er: NDW
Punk und Post-Punk
Industrial, Synth Pop
Techno, Hip-Hop, Rap
»Lieblinge des Untergrunds«
Väter und Söhne: Krautrock-Einfluss heute
EPILOG
Was bleibt?
DIE PROTAGONISTEN
Die wichtigsten Krautrock-Bands sowie andere in diesem Buch erwähnte Künstler und Gruppen der Krautrock-Ära (mit Auswahldiskografien)
Außerdem …
Sowie …
QUELLEN
HERZLICHEN DANK!
Prolog
I. Krautrock – eine Spurensuche
Ende der Sechziger befindet sich Deutschland im gesellschaftlichen Umbruch: Eine junge Generation revoltiert gegen Bürgertum, Springer-Presse, den Muff unter den Talaren und amerikanische Vormundschaft. Mit der geistigen Loslösung von der Bundesrepublik der Eltern geht die Ablehnung der bestehenden kulturellen Werte einher. Die angloamerikanische Popmusik bietet einen Ausweg. Doch der Vietnamkrieg zerstört schließlich auch den Freiheitsmythos Rock’n’Roll …
Beseelt von dem Gedanken, über Neugier und Offenheit den Weg zu einer deutschen Identität innerhalb der modernen Popkultur zu finden, machen sich bundesweit Musiker auf die Suche nach einem eigenen Sound. In Köln formieren sich Can, in Düsseldorf Kraftwerk, in Berlin Tangerine Dream, und aus einer Münchener Kommune heraus entsteht die multimedial konzipierte Gruppe Amon Düül. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen: Ash Ra Tempel, Cluster, Faust, Guru Guru oder Kraan.
Die deutsche Rockmusik befreit sich von ihren angelsächsischen Fesseln und setzt zu einem Quantensprung an: Anarchische Klangwände, wirre Elektronik und »kosmische« Musik, nicht selten unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen eingespielt, bereiten den Boden für spätere Stilentwicklungen wie Techno oder Industrial. Auch jenseits des Ärmelkanals wird man bald hellhörig und prägt einen etwas abfälligen Begriff für die erstaunt bis misstrauisch beobachteten Umtriebe der schwerblütigen Teutonen: Krautrock.
Nach einer radikalen Bildersturmphase verliert die Bewegung jedoch rasch wieder an Schwung. Die anfängliche Euphorie weicht leerem Bombast und einer Rückkehr zu traditionellen Formen. Wenig später wird die Republik von der »Neuen Deutschen Welle« überrollt … Ist die Krautrock-Revolution gescheitert? Was ist geblieben? Wie bewerten die Musiker der Ära ihr Schaffen selbst? Welche Ereignisse, Erfahrungen und welche Musik haben sie geprägt?
Diesen und vielen weiteren Fragen geht das vorliegende Buch nach. Interviews mit Mitgliedern richtungweisender Gruppen und Zeitzeugen bilden die Basis der Recherchen und führen den Leser durch den Text. Natürlich können (oder wollen) hier nicht alle zu Wort kommen. Natürlich fehlt für den einen oder anderen DIE beste Schallplatte oder DAS wichtigste Festival. Um eine lückenlose Aufzählung und Katalogisierung geht es aber auch gar nicht. Vielmehr setzt sich während der Krautrock-Spurensuche aus unterschiedlichsten Fundstücken das Bild einer spannenden Zeit zusammen, in der Musik, politische Einstellung und das Lebensgefühl einer ganzen Generation miteinander verschmolzen.
Eine Zeit, die weit mehr als nur eine Fußnote der Musikgeschichte sein sollte, da in diesen wichtigen Jahren der Grundstein für die moderne deutsche Musikszene gelegt wurde. Zwar mag uns vieles von dem, was einst als revolutionär galt, heute antiquiert und überkommen erscheinen, doch liegt dies gerade daran, dass viele Elemente des Krautrock mittlerweile zum festen Bestandteil moderner Pop- und Rockmusik geworden sind. Deutsche Popmusik ist für uns heute etwas ganz Selbstverständliches. Damals war sie ein Aufbruch ins Ungewisse.
II. Unkraut vergeht nicht:
Faszination Krautrock
Im Juli 2006 feierte in London eine Partyreihe Jubiläum, die sich unter dem Banner »The Kosmische Club« einer gänzlich unbritischen Musik verschrieben hatte. Nach der Auftaktveranstaltung 1996 war »die einzige Krautrockdisko der Welt«, wie die Betreiber warben, rasch zu einer Institution im Nachtleben der englischen Hauptstadt geworden, nicht zuletzt durch eine wöchentliche Radiopräsenz beim angesagten Sender Resonance 104.4 FM. Mit alledem trug man einem Trend Rechnung: Eine junge Szene hatte die wagemutigen Experimente deutscher Musiker aus den Sechzigern und Siebzigern für sich entdeckt.
Seit den Neunzigern berufen sich in Großbritannien mehr und mehr klassisch besetzte Rockgruppen auf die Errungenschaften deutscher Soundtüftler. Auch Musikzeitschriften wie The Face, Q-Magazine oder Mojo widmen dem fast vergessenen deutschen Rock-Phänomen seitenweise Aufmerksamkeit: In der Flut gleich klingender Neuerscheinungen versprechen die Aufnahmen von Faust, NEU! oder Harmonia offenbar einen interessanten, kreativen Ausweg. Nick McCarthy, Keyboarder und Gitarrist der schottischen Gruppe Franz Ferdinand, der nach seinem Musikstudium sogar eine Lehrzeit bei der Münchener Kraut-Legende Embryo absolvierte, gibt eine Bestandsaufnahme der Post-Millenium-Popszene:
»Ich finde, dass schon seit ein paar Jahren wieder eine totale Aufbruchstimmung herrscht. Trotzdem sehe ich jetzt aber nicht DIE grandiose NEUE Musik auf mich zukommen. Es gibt ein derart riesiges Angebot, dass keiner mehr weiß, was er eigentlich denken soll. Überall ist Musik, aber was ist wichtig? Keine Ahnung. Ich finde Embryo und die frühen Amon Düül unglaublich. Tonangebend. Und Can natürlich, das ist immer noch ein Riesen-Einfluss.«
Wie nachhaltig dieser Einfluss wirkt, zeigen regelmäßig Veröffentlichungen bekannter und weniger bekannter Gruppen: So kokettieren Coldplay 2002 mit deutscher Schreibweise (»Politik«), und auf dem Debütalbum der Early Years von 2006 findet sich nicht nur eine Variation des NEU!-Stückes »Hallo Gallo« (»All Ones and Zeros«), sondern auch ein eigener Song namens »Muzik der Fruhen Jahre«. Krautrock-Schick.
»German Invasion« in den USA
Späte Würdigung erfahren Amon Düül, Faust oder NEU! zunehmend auch in den Vereinigten Staaten. Schon im Januar 1996 widmete die altehrwürdige Washington Post der »deutschen Invasion« ein Special und betonte, dass britische Bands zwar stets die bessere Presse bekommen hätten, der »teutonische Einfluss« jedoch weit größer gewesen sei – insbesondere auf Musiker in den USA. Auch die junge Musikergeneration atmet gern den Hauch der deutschen Rockgeschichte. Brandon Curtis, Bassist, Keyboarder und Sänger der New Yorker Secret Machines, geriet Ende 2006 ins Schwärmen:
»Bands wie Kraftwerk und NEU! veröffentlichten auf ihren Platten Musik, wie man sie noch nie zuvor gehört hatte. Bis zum heutigen Tage klingt sie, als würde sie erst morgen geschrieben. ›Immer wieder‹ von NEU! etwa ist eine unglaubliche Komposition, und die Instrumentierung ist revolutionär. Die eindringlichen Gesangspassagen, die schillernden Gitarrenfiguren und der pulsierende Rhythmus der Synthesizer und Schlaginstrumente erzeugen ständig wechselnde Stimmungen und Spannungszustände. Das war mehr als nur ein Song, den ich einfach nur nachspielen wollte, sondern vielmehr eine Lehrstunde in Musik, die ich unbedingt verinnerlichen musste. Ich glaube, damals war noch niemand bereit für dieses Maß an Kreativität.«
Überdauern in der Sammler-Nische
Bis zu seiner Wiederentdeckung fristete der Krautrock ein isoliertes, aber relativ unbeschadetes Nischendasein in kleinen kulturellen Biotopen. Altgediente Bands wie Grobschnitt oder Jane tingelten, entgegen sämtlicher Trends, unermüdlich über die Bühnen deutscher Dorfdiskos. Vereinzelt hielten auch jüngere Gruppen die Krautrock-Fahne hoch – etwa die Mitte der Achtzigerjahre in Hamburg gegründeten Passierzettel, die mit ihren »psychedelektronischen Improvisationen« direkt an das Werk ihrer Vorbilder anknüpften. Später trat die Formation regelmäßig mit Lothar Meid auf, der als Mitglied von Embryo und Amon Düül II zum Urgestein des Krautrock zählt.
Derweil reiften die Platten der deutschen Rockveteranen in einschlägigen Secondhandläden weltweit zu gefragten Sammlerstücken heran. Bei Haggle Records im Londoner Stadtteil Islington etwa findet sich unter der Rubrik »German Rock« ein guter Regalmeter mit Aufnahmen von Can, Ash Ra Tempel, Kraftwerk und Faust. »Die seltenen deutschen Sachen sind immer gleich weg«, sagt Lynn Alexander, der hinter einer Theke aus alten Katalogen und Memorabilia als Meister des Chaos residiert. Schallplatten der verschwundenen Krautrock-Labels Ohr, Pilz und Brain werden mit Preisen bis zu 100 Pfund gehandelt. Angelsächsische Zeitgenossen mit vergleichbarer Erfolgskurve – Gong, Touch, Wigwam, Egg, Henry Cow – sind hingegen großteils in Vergessenheit geraten. Ein paar Ecken weiter bei Flashback Records erklärt Nathan Bennett, ein langhaariger Enddreißiger und wandelndes Rocklexikon, mit ernster Miene die Bedeutung des Krautrock: »Diese Künstler haben ihren europäischen Hintergrund akzeptiert und kultiviert. Dadurch erhielt ihre Musik eine sehr direkte und ehrliche Ausdruckskraft, alles klang vollkommen frisch und interessant. In England hat man das schon sehr früh erkannt.«
Nicht nur in England: Bei einem Urlaubsbummel über einen mexikanischen Flohmarkt verblüffte Nick McCarthy das breit gefächerte CD-Angebot: »Da gab es die schwarz gebrannten Greatest Hits von allen möglichen Bands – und mittendrin Embryo.« Lothar Stahl, ehemaliger Schlagzeuger der Polit-Band Checkpoint Charlie, die als eine der ersten Gruppen Rockmusik mit deutschen Texten verband, berichtet von einer Reise in die Türkei: »Vor drei Jahren waren wir in Istanbul. Ein paar Leute, die dort ein Studio haben, haben uns eingeladen, bei ihnen Aufnahmen zu machen. Die haben alles aus der deutschen Krautrockszene gekannt. Da habe ich mich schon gewundert. Auch in Italien gibt es etliche Krautrock-Spezialisten.« Ein besonderes Faible für die kosmischen Klänge aus Deutschland haben sich seit jeher die Japaner erhalten: Die Besucher des inzwischen geschlossenen Tokyo Wax Museum begrüßte – mit starrem Blick und umgeschnallter Gitarre – ein ewig junger Manuel Göttsching, einst Gründer der Berliner Band Ash Ra Tempel.