Business Crime – Skandale mit System

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Business Crime – Skandale mit System
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HERBERT STORN

BUSINESS CRIME – SKANDALE MIT SYSTEM

Über Konzernverbrechen, kriminelle Ökonomie

und halbierte Demokratie


Anlässlich der BCC-Gründung vor 30 Jahren, am 22.03.1991

Herbert Storn

Business Crime – Skandale mit System

Über Konzernverbrechen, kriminelle Ökonomie und halbierte Demokratie

ISBN (Print) 978-3-96317-267-0

ISBN (ePDF) 978-3-96317-807-8

ISBN (ePUB) 978-3-96317-846-7

Copyright © 2021 Büchner-Verlag eG, Marburg

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Bildnachweis Umschlag: pixabay.com © MichaelGaida (Ausschnitt)

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www.buechner-verlag.de

Inhalt

Einleitung

30 Jahre Business Crime Control (BCC)

1.Kontroll- und Steuerungsverlust in Krisenzeiten

2.Ein Blick auf die Schäden von Wirtschaftskriminalität – ›Peanuts‹?

Abfälle

Versalzung von Flüssen, Flächen und Trinkwasser – die Rolle von Unternehmen und Staat

Geldwäsche und kriminelle Immobilienwirtschaft – ein etwas anderer Schadensvergleich

Cum-Ex/Cum-Cum – ein Stück aus dem Tollhaus

Kriminelle Lieferketten – zurück in die Sklaverei?

»Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen… « – Das verbogene Arbeitsrecht

Zwischenfazit

3.Das Kapital strebt nach eigenem Recht: die inhärente Kriminalitätsaffinität

Wenn Kapital zum Fluchtkapital wird …

Die Übergänge zwischen der kriminellen und der legalen Wirtschaft sind fließend

Geldwäsche

Das Beispiel Wirecard

4.Halbierte Demokratie, halbierter Rechtsstaat

Unternehmen treten in den verschiedensten Rollen auf – das potenziert ihren Einfluss noch

Davos-Gipfel 2021

Systemrelevante Großkonzerne – mächtiger als Staaten

Die Corona-Lockdowns haben den ›Big Four aus den USA‹ Riesengewinne gebracht

Der spezielle Machtzuwachs des Finanzsektors

BlackRock ist mehr als ein schwarzer Fels

Die Deregulierung begünstigt die Finanzgeschäfte

Der ungeheure Geldkapitaldruck ist rechtlich kaum abzufangen und erfordert eine umfassende Regulierung

Die Steuerungsmechanismen werden zum Problem für den Rechtsstaat

5.Auch die halbierte Demokratie ist eher Fiktion als Realität

Die extreme Reichtumskonzentration befördert die weitere Oligarchisierung der Gesellschaft

Aus Krisen gehen die führenden Eliten der Gesellschaft reicher und mit mehr Einfluss hervor

Die Reichtums-Debatte ist keine Neid-Debatte! Sie ist eng mit der Demokratiefrage verknüpft

Unsere Oligarchie lebt in einer eigenen Blase

Freistellung von grober Fahrlässigkeit

Exkurs über ›Verschwörungstheorie‹

6.Ohne Regulierung weder Demokratie noch Rechtsstaat – neue Denkansätze werden lauter

›Wirtschaftsdemokratie wagen‹

›Bauen wir Demokratie‹

Das Kapital muss nach ethischen Prinzipen reguliert werden

Demokratische Rechte sind mehr als ›Mitbestimmung‹, erst recht mehr als ›Partizipation‹

Transparenz klingt bescheiden – ist aber ein hohes Gut

Kriminalpräventive Mitbestimmung

7.Flankierende Maßnahmen für Demokratie und Rechtsstaat

Sind Schutz des Eigentums und seine Sozialpflichtigkeit kompatibel?

Privatisierung vergrößert die Reichweite der kriminellen Ökonomie

Privatisierung der Beratung

Die öffentliche Hand stärken, anstatt die unsichtbare Hand (invisible hand) des Marktes!

Ausweitung der Gemeingüter und ihrer Finanzierung

Wo bleibt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums?

›Neustart‹ nach Corona-Lockdown? Vorsicht: der falsche Begriff!

Doppelstandards und Demokratie

8.Brauchen wir Katastrophen, damit sich etwas zum Positiven ändert?

Rückblende: Fukushima – Tschernobyl – Harrisburg

Faschismus, zweiter Weltkrieg und Ahlener Programm der CDU

Weitere Katastrophen und daraus gezogene politische Schlussfolgerungen

Selbstvernichtung scheibchenweise? Kriege und Rüstung als profitable Kapitalverwertung

Nachwort

Interview mit Prof. Hans See

Anmerkungen

Einleitung

»Dreckige Geschäfte – Höchste Zeit für ein hartes Durchgreifen gegen Finanzkriminalität« (FR)

»Fleischbranche – Großrazzia wegen illegaler Leiharbeit« (manager magazin)

»Banken weltweit, darunter auch die Deutsche Bank und die Commerzbank, waren in den vergangenen Jahren in großem Stil in Geldwäsche involviert«

»Mächtig unkontrolliert – die deutsche Finanzlobby« (der Freitag)

 

»Wenn die Miete auf den Cayman Islands landet: Die Wohnungslage in den Großstädten wird immer angespannter, auch wegen Großinvestoren. Die rechnen sich laut einer Studie nicht selten arm – und zahlen kaum Steuern (SZ)

»Geldwäsche: Nix sehen, nix hören, nix sagen – Auch schmutziges Geld sorgt für gute Geschäfte« (Zeit)

»25 Tote durch Wilke-Wurst? Skandal weitet sich wohl dramatisch aus – Staatsanwaltschaft ermittelt« (Merkur)

»Markus Braun bleibt im Gefängnis – Der unter Betrugsverdacht stehende ehemalige Wirecard-Chef muss weiter im Gefängnis bleiben« (FAZ)

»Werraversalzung: Ein Krimi aus der Hand eines Staatsanwalts« (FR)

»Kali + Salz: Verfahren zwar eingestellt, aber in der Begründung erhebt die Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe« (Hessenschau)

So lauten nur einige Headlines von Herbst 2020 bis zum Frühjahr 2021. Kriminelle Praktiken in der Wirtschaft tauchen fast ohne Unterbrechung in den Medien auf. Alles Einzelfälle, alles nur ›Skandale‹?

Oder offenbaren solche Vorgänge eine tieferliegende kriminelle Struktur? Und gehört diese Struktur dann zu unserer Wirtschaftsordnung oder ist sie eine Art Fremdkörper, der vom Rechtsstaat zu bekämpfen ist? Oder beides?

Wie kommt es, dass der Staat so oft als Kontrollinstanz versagt?

Oder versagt er gar nicht, weil er nicht alles kontrollieren will?

Oder werden die kriminellen Praktiken vielleicht sogar in Kauf genommen, weil die Vorteile überwiegen? Welche Vorteile? Für wen?

Und wie können Linke für diese Frage gewonnen werden, wenn sie ohnehin davon ausgehen, dass es das kapitalistische System ist, das von der Ausbeutung menschlicher Arbeit (und der Natur) lebt? Dem man also seine kriminelle Affinität gar nicht mehr nachweisen muss, so dass dann erst die Überwindung des kapitalistischen Systems eine Lösung verheißt. All diesen Aufgaben und Problemen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Anlass ist das 30-jährige Bestehen von Business Crime Control, eine Organisation, die sich diesen Fragen gestellt hat.

Es kann mithin auf eine langjährige Expertise zurückgegriffen werden. Und es sind beileibe nicht nur theoretische Überlegungen. Denn im Raum stehen die wesentlichen Grundfragen: Haben wir (noch) einen Rechtsstaat, der seinen Namen auch verdient? Sind wir vor Willkür geschützt? Geht es gerecht zu?

Dies sind existentielle Fragen, denn sie berühren Grundbedürfnisse des Menschen.

30 Jahre Business Crime Control (BCC)

Hans See ist diesen Fragen nach dem Systemcharakter von Wirtschaftskriminalität und ihrer strukturellen Überwindung sehr gründlich nachgegangen – sowohl theoretisch als auch praktisch-politisch, Letzteres durch die Gründung von Business Crime Control am 22. März 1991 in Hanau.

Das 30-jährige Jubiläum ist ein guter Anlass, die Überlegungen von damals, die zur Gründung von BCC führten, mit der zwischenzeitlichen Entwicklung abzugleichen und den Anspruch zu erneuern, Wirtschaftskriminalität aus ihrer randständigen Betrachtung herauszuholen und sie nicht mit Einzelgesetzen, sondern einem wirtschaftsdemokratischen Reformkonzept wirklich und ernsthaft zu überwinden. Diesen Anspruch hat auch dieses Buch.

Dazu wird an markanten, auch in der breiten Öffentlichkeit diskutierten Beispielen der Systemcharakter herausgearbeitet, der in eben dieser Öffentlichkeit meist aber ausgeblendet wird. Ähnliches gilt für die Schäden, die weit über solche hinausgehen, die mit einem Geldbetrag zu beziffern sind. Sie reichen von der Schädigung der Umweltstruktur bis hin zur Beschädigung von sozialem Zusammenhalt und Demokratie.

Das Buch nimmt den Begriff der ›halbierten Demokratie‹ auf und dehnt diesen auf den Rechtsstaat aus, der Gefahr läuft, zunehmend einzelwirtschaftlichen Interessen unterworfen zu werden.

Weil Analysen allein nicht weiterhelfen, werden Lösungsvorschläge in Form von Weichenstellungen vorgestellt, die dazu dienen sollten, in öffentlichen kritischen Diskursen erörtert zu werden. Solange diese von der Politik gemieden werden, brauchen wir uns über Populismus und Schlimmeres nicht zu wundern. Es wäre aber geradezu fatal, wenn immer erst Katastrophen uns zu besseren Einsichten führen müssten.

Wie aktuell die vorgetragenen Argumente sind, zeigt nicht zuletzt das Interview mit Hans See am Ende des Buches, in dem die letzten 30 Jahre noch einmal Revue passieren und die Botschaft erneuert wird.

Hans See, ehemaliger Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main hat seit Anfang der 80er Jahre das klassische Analyseschema der antikapitalistischen Linken kritisch hinterfragt und sich dem von der Linken insgesamt vernachlässigten Problem der Wirtschaftskriminalität zugewandt. Als sein in dieser Zeit verfasstes Buch KAPITAL-VERBRECHEN kurz vor seinem Abschluss stand, brach die DDR unter dem Druck einer starken Protestbewegung zusammen. Daher konnte in dieses Buch auch noch ein Kapitel über die Wirtschaftskriminalität im real existierenden Sozialismus eingefügt werden.

Kurz nach der Wiedervereinigung (Beitritt der ehemaligen DDR) lernte See in einer Talkshow des Senders Freies Berlin einen ehemaligen Kriminaldirektor des Bundeskriminalamts, Dieter Schenk, kennen, mit dem er im März 1991 die erste gesamtdeutsche zivilgesellschaftliche Organisation der neuen Bundesrepublik gründete. Da sie als internationale Bürger- und Menschenrechtsorganisation geplant war, erhielt sie einen international verständlichen Namen: Business Crime Control (BCC).

Reflexionen über den Begriff ›Kapital-Verbrechen‹ nach Hans See

In den wissenschaftlichen Büchern von See, KAPITAL-VERBRECHEN (2. Auflage erschien als Taschenbuch nach der BCC-Gründung) und WIRTSCHAFT ZWISCHEN DEMOKRATIE UND VERBRECHEN, verwendet der Wirtschaftskriminologe den Begriff ›Kapital-Verbrechen‹. Mit der Schreibweise ist zwar klar angezeigt, dass er die von der Kapitalseite begangenen Gesetzesbrüche meint, aber die Denktradition und die offizielle Verwendung des Begriffs waren stärker, zumal sich der Gedankenstrich nicht sprechen lässt. Er sollte den bis dahin verwendeten Begriff ›White Collar Crime‹ (Weiße-Kragen-Kriminalität) von Sutherland ablösen, hat es aber nicht geschafft, obgleich er sogar einmal als SPIEGEL-Titel (ohne Hinweis auf Sees Buch, das im SPIEGEL besprochen worden war) verwendet und von Peter Sloterdijk (wie später noch einmal von Harald Lesch in einer seiner Fernsehsendungen) als besonders zutreffend gelobt und verwendet wurde.

Kapital-Verbrechen sind Wirtschaftsverbrechen

Der Begriff Business Crime sollte von Anfang an klarmachen, dass damit alle Geschäftsverbrechen gemeint sind. Und dass die Kriminalität der abhängig Beschäftigten (es sei denn, es handele sich um einen Manager mit Arbeitgeberfunktion) eine qualitativ andere ist.

Es gab Gründe, die Kriminalität der Konzerne (und der Verantwortlichen in den Chefetagen, einschließlich der Aufsichtsräte und privaten Kontrollorgane) hervorzuheben, auch wenn damit die der kleinen Selbständigen und Mittelständler nicht verharmlost werden sollte. In den USA spricht man inzwischen von Corporate Crime, der Kriminalität der großen Kapital-Gesellschaften, der Konzerne. Und deren Dominanz, ja Hegemonie, konnte von BCC nicht länger durch das In-eins-setzen mit allen Geschäftsgrößen und Unternehmensformen überzeugend vermittelt und kritisiert werden. Der Begriff Business Crime bleibt von grundsätzlicher Bedeutung, vor allem für Staaten mit demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassung.

Denn hinter den Weltproblemen unserer Epoche – dem Klimawandel und der Umweltzerstörung, der sozialen Ungleichheit, dem Hunger, der globalen Armut, vielen längst heilbaren Krankheiten etc. – stehen nicht zuletzt Wirtschaftsverbrechen, was im Folgenden gezeigt wird.

Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität

In einem seiner ersten Vorträge nach Gründung von BCC ging Hans See auf das Anliegen des Vereins ein:

»BCC will vielmehr die Demokratiefrage – nachdem der Kalte Krieg gegen den Ostblock-Kommunismus gewonnen ist – ganz bewusst mit Blick auf die notwendige Kontrolle der Mächtigen der freien Wirtschaft und der globalen Wirtschaftsmacht ›Kapital‹ noch einmal neu stellen. (…) Dabei geht es um die sehr ernste Frage an die Verfechter einer freien Wirtschaft, ob sie diese für fähig halten, ihr also auch grundsätzlich zumuten wollen, sich den demokratischen Gesetzen einer kritischen und mündiger werdenden Gesellschaft, die mehr soziale Gerechtigkeit und einen wirksamen Umweltschutz fordert, so unterzuordnen, wie es von jedem Mitglied der Gesellschaft in einem Rechtsstaat verlangt werden kann.

Es geht dabei auch um die immer wichtiger werdende Frage der Demokratiefähigkeit der freien Wirtschaft überhaupt. Denn noch verharrt in unserem Wirtschaftssystem die in Festreden durchaus auch von Unternehmern und deren Sprechern gelobte Demokratie vor den Fabriktoren.«1

Die in Deutschland gesetzlich geregelte Mitbestimmung reiche hierfür nicht aus. Mit ihr könnten Wirtschaftsdelikte nicht verhindert werden. Nirgends ist das so deutlich geworden wie am Dieselabgasbetrug der großen Autokonzerne, die nicht nur über Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und über Aufsichtsorgane mit Belegschaftsvertretern nach dem Mitbestimmungsgesetz verfügen, sondern – im Fall von Volkswagen – auch noch über staatliche Kontrolleure. Mehr traditionelle Mitbestimmung geht nicht!

See beklagte die mit der bestehenden Mitbestimmung verbundene Kumpanei zwischen Kapital und Arbeit.

»Das organisierte Verbrechen hätte nur wenig Chancen, in die legale Wirtschaft einzudringen oder auf sie Einfluss zu gewinnen, wenn diese, das heißt das für sie verantwortliche Management, stärkerer öffentlicher, vor allem überbetrieblicher demokratischer Kontrolle ausgesetzt wäre.«2

Denn die Polizei sei für Wirtschaftsverbrechen prinzipiell die falsche Adresse, weil sie damit schlicht überfordert sei. Bei Wirtschaftsverbrechen gehe es um strukturelle Probleme, um kriminelle Kapitalbeschaffung, -verwertung oder -sicherung.

Die schwierige legale Beschaffung von Kapital sei ein Motiv, es verbrecherisch zu erlangen. Unter stark erschwerten Bedingungen werde auch seine Verwertung immer sozialschädlicher und damit seine Sicherung – und sei es durch Etablierung kapitalhöriger Diktaturen – immer notwendiger.

Und bei den Verbrechen gebe es jenseits des Strafrechts auch »Verbrechen in einem nicht justiziablen, in einem moralischen und gesellschaftspolitischen Sinne.«3

»Wenn Kapitalbeschaffung, Kapitalverwertung und Kapitalsicherung zwar legal, aber mit Hilfe sozialschädlicher, umweltfeindlicher und damit auch menschenverachtender Praktiken betrieben werden, nennen wir sie in einem moralisierenden Sinne verbrecherisch. Hier muss die kriminalpolitische Debatte einsetzen und die Frage nach Möglichkeiten der Verhinderung oder Bestrafung solcher Taten aufgeworfen werden.«4

Und angesichts der von Konzernen dominierten Globalisierung ist es nicht vermessen, wenn Hans See davon spricht, dass auch »der Frieden zwischen den Völkern, die Menschen- und Freiheitsrechte und das friedliche Zusammenleben der Bürger … nicht dauerhaft gesichert werden (können), wenn die komplexen wirtschaftsverbrecherischen Ursachen von sozialen Konflikten und ökologischen Katastrophen nicht nachgewiesen und breitenwirksam publik gemacht werden.«5

Im weiteren Verlauf des Vortrags versucht See dann eine begriffliche Unterscheidung von Wirtschaftskriminalität und Organisiertem Verbrechen, die aber zugleich die Überschneidung bzw. gegenseitige Durchdringung klarmacht:

»Das Organisierte Verbrechen zielt von vornherein darauf ab, kriminalisierte Bedürfnisse zu bedienen, um eine hohe Risikoprämie bei doch oftmals niedrigem Risiko zu kassieren.

Wirtschaftskriminalität umfasst dagegen die Straftaten der von vornherein auf legale Geschäfte angelegten Wirtschaft, die aber durch verzerrten Wettbewerb, Krisen, Konkurrenzgefahr und durch die auf der Hand liegenden Wettbewerbsvorteile des illegalen Wirtschaftens in die berühmte Sog- und Spiralwirkung des Wirtschaftsverbrechens gerät.«6

 

Dazu verweist See auf einen 1990 in der Zeitschrift Kriminalistik veröffentlichten Bericht, in dem einige Experten die Auffassung vertraten, dass eine ausschließlich legale Unternehmensführung in Zukunft wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit kaum noch möglich sein werde.

1.Kontroll- und Steuerungsverlust in Krisenzeiten

Wirtschaftskriminalität ist kein ›Kavaliersdelikt‹. Mit einem Begriff wie diesem wird umgangssprachlich gerne die Grenze zwischen legal und illegal aufgeweicht. Und bezeichnenderweise werden Verstöße gegen Steuervorschriften an erster Stelle genannt, wie Umfragen zeigen. Damit ist es denjenigen, die für schwere Steuerrechtsverletzungen verantwortlich sind, gelungen, ihren damit verbundenen Anschlag auf die Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge als (annähernd) legitime persönliche Bereicherung hinzustellen. Die meinungsprägenden Medien waren dabei sehr behilflich. Es ist erstaunlich, wie gut ihnen das gelungen ist. Denn wenn es um die schlechte Ausstattung des Gemeinwesens geht, werden Staat und Kommunen gnadenlos kritisiert und als unfähig hingestellt. Wenn es dagegen darum geht, ihnen Steuergelder abzutrotzen, ihnen also die Hilfsmittel zu entziehen, werden Staat und Kommunen genauso gern als Gegner, noch besser als ›Räuber‹ dargestellt – eine inszenierte Schizophrenie.

Rund um die Bundestagswahl vom 26.9.2021 konnte man dieses ›Spiel‹ bei den Kontrahenten Kevin Kühnert (SPD) und Christian Lindner (FDP) beobachten, als Kühnert dabei Lindner als ›Luftikus‹ bezeichnete, weil er Superreiche steuerlich entlasten wolle, gleichzeitig aber kein seriöses Finanzkonzept habe.7

Wirtschaftskriminalität ist auch keine Angelegenheit, die sich, wie manche vielleicht assoziieren, vornehmlich im Bereich der Buchführung, also quasi ›auf dem Papier‹ abspielt und Menschen nicht wirklich beeinträchtigt. Dass auch dieses gern vermittelte Bild nicht stimmt, soll im Kapitel über die beträchtlichen und – was den ökologischen Aspekt angeht – oft irreversiblen Schäden an einigen Beispielen beleuchtet werden.

Wenn von sozialen Konflikten, persönlichen Schäden und ökologischen Katastrophen gesprochen wird und Wirtschaftskriminalität mit Verbrechen assoziiert wird, dann kommt man der Sache schon näher.

Aber auch das wird von interessierter Seite gern als ›Kollateralschaden‹ bezeichnet, also als bedauernswertes Abfallprodukt einer eigentlich dem Gesamtwohl zuarbeitenden Wirtschaft.

Wenn nun aber tatsächlich neben der Schädigung vieler Einzelpersonen dauerhafte Umweltzerstörung und Kriege die Folge sind, fällt es schon schwer, hier noch von Kollateralschäden zu sprechen! Erst recht natürlich, wenn aus Tausenden von ›Einzelfällen‹ der systemische Charakter sich als Grundgewebe immer deutlicher abzeichnet.

Da hilft es auf Dauer nicht, immer wieder das Wort ›Skandal‹ zu bemühen! Aber die auf Push-Nachrichten getrimmten Medien leben eben eher und mehr von der Ausnahme als der Regel oder gar der Struktur, die zu kritisieren wäre.

Wenn im Folgenden die Kriminalität der großen Wirtschaftsunternehmen in den Blick genommen wird, werden sehr schnell eine Struktur und ein Mechanismus erkennbar, welche es nahelegen, wechselseitige Übergänge von legalen Wirtschaftsoperationen zu illegalen und umgekehrt als Normalzustand anzusehen. So stehen inzwischen fast alle gesetzlichen Maßnahmen, seien es solche zum Umweltschutz, zum Arbeitsrecht oder zur Besteuerung unter dem Verdikt, dass große transnational operierende Konzerne (und das sind praktisch alle) einer gesetzlichen Regelung durch die Verlagerung ihrer Tätigkeit in ein nicht reguliertes Territorium ausweichen können und dies auch tun. Als giftig eingestufte Stoffe werden in all den Ländern weiter eingesetzt, die es nicht verbieten. Die primitivsten Arbeitsschutzregelungen werden durch Produktionsverlagerungen umgangen. Durch Einschaltung immer weiterer Subunternehmen kann die rechtliche Verantwortung so verwischt werden, dass sie dem Ausgangsunternehmen nicht mehr nachzuweisen ist. Diese Problematik spielt nicht zuletzt bei der Lieferkettengesetzgebung eine wichtige Rolle. Auf diese Weise können im Extremfall geheime Firmen mit nicht legalen Operationen betreut werden, was insbesondere bei Rüstungsgeschäften nicht unüblich ist.

Umgekehrt ist die ›Geldwäsche‹ das Mittel, illegale Gelder in legale zu transformieren. Nicht ohne Grund ist das Bankgeheimnis bis heute ein schützenswertes Rechtsgut und kann es fast mit dem Beichtgeheimnis der katholischen Kirche aufnehmen.

Man könnte einwenden, dass das Ausweichen in nicht regulierte Bereiche nicht illegal sei, und dass hier bestenfalls von illegitim, also von einer ethischen Warte aus zu sprechen sei.

Damit wird das Problem aber nicht entschärft, weil

a.diese Grenze fließend ist, wie an den Cum-Ex-Geschäften gezeigt werden kann und

b.die Grenzziehung selbst oft in den Händen der Profiteure liegt oder in dieselben gegeben wird,

c.ein Wirtschaftssystem, das mit Rankings von Maximalprofiten arbeitet, permanenten Druck auf diese Grenzziehung zulasten der Regulierung ausübt.

Solches kann natürlich weder aus der Demokratieperspektive noch aus der Perspektive des Rechtsstaats akzeptiert werden. Die Schäden für Demokratie und Rechtsstaat, aber auch für Gesellschaft und Ökologie wären auf Dauer unerträglich.

Deshalb sollen im folgenden Abschnitt zunächst Streiflichter auf die Schäden geworfen werden, denn mehr als Streiflichter würde den Rahmen sprengen. Es handelt sich dabei nicht, wie oben bereits angedeutet, um abstrakte Schäden, die lediglich ›auf dem Papier‹ begangen werden und ansonsten keine größeren Probleme bereiten. Ganz im Gegenteil: Das Ausmaß dieser Schäden ist beträchtlich und erreicht schwindelerregende Größenordnungen.

All diese Schäden wurden und werden im Übrigen wider besseres Wissen angerichtet, um kurzfristig Profite zu erzielen. Denn die Schäden wären vermeidbar gewesen. An Alternativen mangelt es jedenfalls nicht. Ebenso wenig wie an gesellschaftlichem Engagement in jedem Einzelfall.

Viele dieser Beispiele sind im Übrigen in der Vierteljahreszeitschrift von BCC – BIG Business Crime8 und gegenwärtig als Beilage in Stichwort Bayer – Zeitschrift der Coordination gegen BAYER-Gefahren9 – dargestellt.