Loe raamatut: «Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3», lehekülg 2

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Abkürzungsverzeichnis


a.A.andere Ansicht
Abb.Abbildung
abl.ablehnend
ABRAktenzeichen für Rechtsbeschwerdeverfahren
AGAktiengesellschaft
AGBAllgemeine Geschäftsbedingungen
AiBArbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)
AktGAktiengesetz
a.M.am Main
APArbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung)
ArbGArbeitsgericht
ArbGGArbeitsgerichtsgesetz
ArbR-AktuellArbeitsrecht Aktuell
ArbR.-HBArbeitsrechtshandbuch (Schaub)
Art.Artikel
AuAArbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)
Aufl.Auflage
AuRArbeit und Recht (Zeitschrift)
AZRAktenzeichen für Revisionsverfahren
BAGBundesarbeitsgericht
BAGESammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
BBBetriebs-Berater (Zeitschrift)
BDSGBundesdatenschutzgesetz
BeckOK-ArbRBeck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht
BeckRSBeck-Rechtsprechung
BerlPersVGBerliner Personalvertretungsgesetz
BetrVGBetriebsverfassungsgesetz
BGBBürgerliches Gesetzbuch
BGHBundesgerichtshof
BGHZEntscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
bspw.beispielsweise
BT-Drs.Bundestags-Drucksache
CaAktenzeichen Klagen in erstinstanzlichen Arbeitssachen
DARDeutsches Autorecht (Zeitschrift)
DBDeutsche Bahn
DBDer Betrieb (Zeitschrift)
d.h.das heißt
DSGVODatenschutz-Grundverordnung
DStRDeutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
EFZGEntgeltfortzahlungsgesetz
EntTranspGEntgelttransparenzgesetz
ErfKErfurter Kommentar
ETV FWDEntgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB Fahrwegdienste GmbH
EUREuro
ff.fortfolgende
FSFestschrift
FTEFull Time Equivalent
GewOGewerbeordnung
GGGrundgesetz
GK-BetrVGGemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz
GSGroßer Senat
HGBHandelsgesetzbuch
Hs.Halbsatz
i.S.d.im Sine des
i.V.m.in Verbindung mit
KPIkey performance indicators
KSchGKündigungsschutzgesetz
LAGLandesarbeitsgericht
MAHMünchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht
m.a.W.mit anderen Worten
m.E.meines Erachtens
m.w.N.mit weiteren Nachweisen
MiLoGMindestlohngesetz
MTV FWDManteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB Fahrwegdienste GmbH
NJOZNeue Juristische Online-Zeitschrift
NJWNeue Juristische Wochenschrift
Nr.Nummer
NZANeue Zeitschrift für Arbeitsrecht
o.Ä.oder Ähnliches
OLGOberlandesgericht
RdARecht der Arbeit (Zeitschrift)
REGARahmenentgelttarifvertrag Groß- und Außenhandel Bayern
Rn.Randnummer
S.Seite
sog.sogenannte
SMARTSpecific, Measurable, Achievable, Realistic, Timely
st. Rspr.ständige Rechtsprechung
TaBVAktenzeichen für Beschwerden in Beschlussverfahren
TVGTarifvertragsgesetz
u.a.unter anderem
vgl.vergleiche
VUCAVolatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity
WsAktenzeichen des Oberlandesgerichts für Beschwerden in Strafsachen und Bußgeldsachen
z.B.zum Beispiel
ZPOZivilprozessordnung
zust.zustimmend

Einführung: Ausgestaltung zeitgemäßer Vergütungssysteme

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Die Gestaltung von Vergütungssystemen spielt sich heutzutage in einem komplexen Spannungsfeld aus Unternehmensstrategie, konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen und den Interessen der Betriebsparteien ab. Agile Arbeitsformen, VUCA-Welt und Digitalisierung erhöhen die Dynamik unserer Umwelt und haben zusätzlichen Einfluss auf die Ausgestaltung solcher Modelle. Aber was genau sind die Merkmale eines adäquat ausgestalteten Vergütungssystems? An was sollten Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen denken, wenn es an die Neu- oder Umgestaltung des eigenen Modells geht? Und welche Elemente machen eine zeitgemäße Vergütungsgestaltung aus? Die Eckpfeiler, die im Rahmen der Etablierung eines Vergütungssystems relevant sind, lassen sich als Prozess beschreiben und werden im Folgenden vorgestellt.

I. Zielsetzungen festlegen

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Der erste Schritt bei der Ausgestaltung eines Vergütungsmodells sollte darin bestehen, sich genau über die jeweiligen Zielsetzungen im Klaren zu werden. Die Verständigung auf Ziele ist unverzichtbar, weil diese einerseits bei der konkreten Ausarbeitung handlungsleitend sind und andererseits ein Kernelement im Kommunikationsprozess mit Mitarbeitern und Führungskräften darstellen. Was diese Zielsetzungen anbelangt, so können sie bei den unterschiedlichen Interessengruppen in einer Organisation (Geschäftsleitung, Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsräte) durchaus voneinander abweichen: Gerade deshalb ist es umso wichtiger, sich von Beginn an ein klares Bild der Ziele aller Beteiligten zu erarbeiten. Interviews oder Workshops sind dafür geeignete Formate. Insbesondere bei Beteiligung von Mitbestimmungsgremien sollte auf diesen Schritt ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Nur wenn der Arbeitgeberseite die Ziele und Motive der Betriebsräte klar sind, kann es gelingen, in den mitbestimmten Tatbeständen zeitnah zu einer Verständigung und Einigung zu kommen. Ziele, die bei der Gestaltung von Vergütungssystemen häufig ganz oben auf der Agenda stehen und realisiert werden sollen, sind beispielsweise: Fairness, Transparenz und Nachvollziehbarkeit, Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten, Attraktivität und Bindung von Mitarbeitern, Honorierung von Leistungsträgern, aber auch Kostensteuerung und Kostenflexibilität.

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Der Prozess zur konkreten Entwicklung eines Vergütungssystems umfasst fünf Elemente, wobei jedes auf unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet werden kann (vgl. Abb. 1). Welche der Ausgestaltungvarianten für ein Unternehmen jeweils die passende ist, hängt einerseits von den schon erwähnten Zielsetzungen ab, wird aber auch noch von anderen Faktoren beeinflusst. So prägen beispielsweise Erfahrungen aus der Vergangenheit und Unternehmenshistorie die Wahleiner Variante genauso wie der Reifegrad und die Kultur einer Organisation. Bei der konkreten Ausgestaltung von Instrumenten tut man gut daran, diesen Umständen Rechnung zu tragen. Und nur weil irgendwelche Ideen gerade Trend sind und es andere tun, müssen sie noch lange nicht für das eigene Unternehmen passen.


Abb. 1: Elemente zur Ausgestaltung eines Vergütungssystems. Quelle: Lurse AG

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Eine Reihe von Leitfragen, die nachfolgend aufgeführt werden, kann bei der Wahl des passenden Systems unterstützen.

II. Die Funktions- und Stellenstruktur

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Die Funktions- und Stellenstruktur ist eines der zentralen Elemente eines Vergütungssystems und häufig der Ausgangspunkt für die Gestaltung weiterer Systeme. In der Regel verknüpfen Unternehmen mit der Funktions- und Stellenstruktur die Vergütungsstruktur. Die Anforderungen an Stellen definieren den Maßstab für die Bewertung von Personen im Rahmen des Performance Managements und zusätzlich differenziert nicht selten das variable Vergütungsmodell nach unterschiedlichen Funktionen oder auch Job Leveln.


Abb. 2: Die Funktions- und Stellenstruktur ist ein zentraler Anker für zahlreiche personalwirtschaftliche Instrumente. Quelle: Lurse AG

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Bei der Ausgestaltung der Stellenstruktur geht es um die Frage, nach welchem Verfahren Funktionswertigkeiten ermittelt werden. Grundsätzlich kennt die betriebliche Praxis zwei unterschiedliche Verfahren für diese Ermittlung, die Analytik und die Summarik. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass sie auf Basis definierter Kriterien zu einer Aussage über die Wertigkeit einer Stelle gelangen. Typische Kriterien, die zur Bewertung einer Stelle herangezogen werden, sind beispielsweise die Anforderungen an das zur Ausübung der Stelle notwendige Fachwissen, die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Komplexitäten zu beherrschen oder auch das Ausmaß des Einflusses und die Freiheitsgrade, die mit der Ausübung der Stelle verbunden sind. Bei analytischen Verfahren ist jedes Kriterium explizit definiert, es wird jeweils die Ausprägung der einzelnen Kriterien für eine bestimmte Stelle ermittelt und Punkte vergeben. Die Summe der Punkte führt dann zu einem Job Level oder auch einer Stellenwertgruppe.

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Summarische Verfahren ermitteln keine Punkte, sondern arbeiten mit verbalisierten Beschreibungen von Job Leveln oder Stellenwertgruppen. So stellt beispielsweise jede tarifliche Entgeltgruppenbeschreibung ein summarisches Stellenbewertungsmodell dar. In der betrieblichen Praxis gibt es unterschiedliche Ausprägungen dieser Modelle. Es gibt sehr schlanke, knapp gehaltene Beschreibungen, häufig finden sich aber auch umfassendere Varianten in Form von Job Matrizen. Unabhängig davon, für welche Variante sich ein Unternehmen entscheidet, es braucht am Ende des Tages in irgendeiner Form ein nachvollziehbares Verfahren, mit dem eine Aussage zur Wertigkeit einer Stelle getroffen werden kann. Dieses Verfahren kann sehr einfach sein, oder auch sehr elaboriert. Schaut man in den Markt, so kann man beobachten, dass Unternehmen eher dazu übergehen, summarische Verfahren zu verwenden. Vor dem Hintergrund der Dynamik, mit der sich Strukturen und damit auch Stellen verändern, Hierarchien flacher werden und neue Stellen entstehen, sind diese Verfahren weniger aufwändig in der Anwendung und flexibler an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassbar.

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Aus der praktischen Erfahrung heraus empfiehlt es sich, den Betriebsrat schon frühzeitig sowohl in die Auswahlentscheidung zum Verfahren als auch in den Prozess der Bewertung von Stellen mit einzubeziehen. Dessen Mitbestimmungsrecht greift spätestens bei der Frage, welcher Mitarbeiter denn genau welche Stelle ausübt. Und wenn man in der Diskussion mit der Mitbestimmung zu einer gemeinsamen Verständigung über Verfahren und Stellenwertigkeiten gelangt, erleichtert dies in aller Regel die nachfolgenden Prozesse der Eingruppierung.

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Kann man nun eine Aussage treffen, welches Verfahren für welche Organisation am besten geeignet ist? Dies ist schwer machbar – bestimmte Ausgestaltungen, die in Unternehmen A sehr gut funktionieren, sind für Unternehmen B überhaupt nicht passend. Kultur, Reifegrad und in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen haben letztlich entscheidenden Einfluss auf die Auswahlentscheidung.

III. Die Vergütungsstruktur

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Ist eine Funktions- und Stellenstruktur definiert, kann auf deren Basis die Vergütungsstruktur mit Vergütungsgruppen definiert werden. Die Fragestellungen, die bei der Konzeption einer Vergütungsstruktur beantwortet werden müssen, sind vielfältig. Wie gelange ich als Unternehmen zu einer Aussage, was für eine Stelle bezahlt werden soll? Welche Regeln sollen angewandt werden, um die konkreten Gehälter der Mitarbeiter zu ermitteln? Welche Aspekte sollen mein Vergütungsniveau bestimmen; ist es die externe Perspektive, also der Markt? Oder schaut man eher auf die vorhandenen Einkommen und die interne Vergleichbarkeit? Sind Gehaltsbänder ein geeignetes Instrument und wenn ja, wie breit sollen diese sein? Kann die Organisation mit dem Spielraum bei der Gehaltsfestlegung umgehen, welcher durch ein Bändersystem entsteht? Oder braucht es eher ganz konkrete Aussagen darüber, was ein Mitarbeiter auf einer Stelle verdienen soll? Wie können Fairness und Nachvollziehbarkeit von Vergütungsentscheidungen gewährleistet werden; ein Thema, das insbesondere Betriebsräte sehr deutlich adressieren und das ihnen am Herzen liegt.

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In der betrieblichen Vergütungsgestaltung findet sich heute vorrangig die „Modellvariante“ Gehaltsbänder, die unter Nutzung des berühmten Blicks in den Markt definiert werden. Konzeptionell lässt sich das übliche Vorgehen wie folgt beschreiben: Die eigene Funktions- und Stellenstruktur wird der Job Level- und Job Familienstruktur eines Benchmarks zugeordnet. Der Benchmark liefert Marktgehälter für Job Level und Stellen. Unter Nutzung dieser Marktgehälter werden dann Gehaltsbänder definiert.


Abb. 3: Auf Basis der Funktions- und Stellenstruktur konzipieren Unternehmen ihre Vergütungsstruktur. Quelle: Lurse AG

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Viele Unternehmen definieren dabei für sich eine Art Vergütungsphilosophie in dem Sinne, dass sie eine Aussage treffen, wo sie sich in diesem Markt selbst verorten oder positionieren. Das kann dann beispielsweise darin münden, dass gesagt wird: „Wir positionieren uns in der Mitte des Marktes und vergüten auf dem Niveau des Marktmedians.“ Die Aussage gibt Mitarbeitern Orientierung und schafft Transparenz über die Leitlinien, die bei der internen Vergütungspolitik angewandt werden. In enger werdenden Arbeitsmärkten, die zunehmend zu Arbeitnehmermärkten werden, ist für die betriebliche Vergütungsgestaltung der Blick in den Markt unverzichtbar. Nur wenn Vergütungsniveaus Marktgegebenheiten berücksichtigen, können Unternehmen sicher sein, dass in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischer Entwicklung das eigene Vergütungssystem „wettbewerbsfähig“ ist und man attraktiv bezahlt. Gerade die Knappheit von Fachkräften sorgt heute massiv dafür, dass die Gehälter unter Druck geraten. Sowohl die Einstellgehälter als auch die Gehälter für Spezialistenfunktionen entwickeln sich gegenwärtig rasant nach oben.

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Bei der Festlegung von Gehaltsbändern ist einerseits die Entscheidung zu treffen, mit welchem Ausgangsniveau des ersten Bandes starte ich, andererseits die Entscheidung, wie breit diese Bänder sein sollen. Eine typische Ausgestaltungsform, die sich in der Praxis häufig findet, ist die Definition von Spannen um einen mittleren Wert eines Bandes. Ist das Unternehmen noch frei in der Entscheidung, ob dieser mittlere Wert (als Ausgangsniveau des ersten Bandes) beispielsweise bei 40.000 oder 50.000 EUR liegt, so unterliegt die Definition der Spanne um diesen Mittelwert als auch der Abstand zum Mittelwert des nächsten Bandes der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die marktüblichen Spannen bei der Gestaltung von Gehaltsbändern liegen zwischen +/– 10 % bis +/– 30 % Schwankungsbreite um den jeweils definierten Mittelwert. Sind Gehaltsbänder in unteren Vergütungsgruppen eher schmaler, findet man in höheren Vergütungsgruppen eher breitere Bänder. Aber auch hier gilt: es braucht Verständigung auf die Struktur mit dem Betriebsrat. Daher empfiehlt es sich, die Kolleginnen und Kollegen frühzeitig in die Überlegungen zur Ausgestaltung mit einzubeziehen. Vor allem die Frage, wofür der gehaltliche Spielraum eines Bandes genutzt werden soll, wird von Mitbestimmungsseite immer wieder gestellt. Gibt es Spielregeln, wenn Mitarbeiter neu eingestellt werden, darf so jemand ganz oben im Band positioniert werden? Wie wird die konsistente Handhabung des Systems in der gesamten Organisation gewährleistet und wie bewegt sich ein Mitarbeiter in den Bändern, was muss er ggf. tun, um im Gehaltsband nach oben zu kommen?

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Die Antworten der Unternehmen auf diese Fragen sind vielfältig. Eine häufig anzutreffende Aussage ist „das Gehaltsband bildet unterschiedliche Leistungen von Mitarbeitern auf der gleichen Stelle ab“. Wenn dies der Fall sein soll, braucht es vor allem ein transparentes und belastbares Verfahren der Leistungsbeurteilung, welches einige Anforderungen an dessen Ausgestaltung stellt. Aber nicht nur für die Abbildung von Leistung nutzen Unternehmen den monetären Spielraum des Gehaltsbandes. Auch Faktoren wie persönliche Erfahrung, regionale Marktniveaus, Knappheit der Kompetenz haben einen Einfluss auf die Positionierung eines Mitarbeiters in dem System. Die Regeln, die dabei zur Anwendung kommen, unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrats und sollten nicht nur deshalb, sondern auch aus Transparenzgründen gegenüber Mitarbeitern und Führungskräften in der Organisation bekannt sein.

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Bandbreitenregelungen von Unternehmen können nur als ein einziges Modell existieren. Es finden sich aber in der Praxis auch zahlreiche Beispiele, wo Unternehmen für unterschiedliche Fachlichkeiten separate Bandbreitenregelungen definiert haben. Sehr häufig findet man gesonderte Modelle für Vertriebsfunktionen, die aufgrund der Natur ihrer Tätigkeit andere variable Bestandteile haben und mitunter auch andere Vergütungsniveaus aufweisen als in der Stellenwertigkeit möglicherweise vergleichbare Querschnittsfunktionen. Bei der Einführung von Bandbreitenmodellen müssen die bisherigen Mitarbeiter in das neue Modell überführt werden. Auch dazu müssen Spielregeln verabredet werden, die der Mitbestimmung unterliegen. Was passiert mit den Mitarbeitern, die heute mit ihrem Gehalt unterhalb der definierten Bänder liegen? Werden sie sofort auf die untere Grenze des für sie gültigen Bandes geschoben oder geht dies in mehreren Schritten – insbesondere dann, wenn der Abstand des aktuellen Einkommens zur Banduntergrenze sehr groß ist. Wie lange darf es dauern, bis jemand „im Band“ liegt? Was passiert mit denen, die oberhalb der für sie gültigen Bandobergrenze liegen? Wie werden diese bei künftigen Einkommenserhöhungen behandelt? All diese Fragen sind Gegenstand einer betrieblichen Regelung und müssen im gemeinsamen Prozess zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite geklärt werden.

IV. Performance Management und Prozesse

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Wenn das Thema Leistung bei der Vergütungsfindung eine Rolle spielen soll, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ein von allen Seiten akzeptiertes Verfahren der Leistungsbewertung zu definieren und dann auch mit den Mitbestimmungsgremien zu vereinbaren. Oft fällt für diese Verfahren der Begriff Performance Management, soll es doch vor allem darum gehen, die Performance (Leistung) von Mitarbeitern zu entwickeln und deren Leistungsvermögen zur Entfaltung zu bringen. Das geschieht als Wertbeitrag für die Organisation und auch als persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen. In der Praxis ist festzustellen, dass gerade bei der Entwicklung und Einführung eines solchen Verfahrens der Reifegrad einer Organisation einen ganz zentralen Faktor darstellt. Unternehmen durchlaufen typischerweise unterschiedliche Stadien, was den zielgerichteten Einsatz von Personalinstrumenten und Prozessen betrifft – von Ad-hoc-Maßnahmen über Einzelelemente und Systeme bis hin zu integrierten Prozessen. Die Weiterentwicklung bestimmter Instrumente oder die Etablierung neuer Instrumente muss sich genau mit diesen bestehenden Systemen und Erfahrungen verzahnen: Essenziell für den Erfolg eines Performance Management-Systems ist es, die Organisation nicht zu über-, aber auch nicht zu unterfordern.

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Leitfragen in diesem Zusammenhang sind: Was sind die Zielsetzungen, die mit dem System erfüllt werden sollen? Soll es ausschließlich der Personalentwicklung dienen, sollen Gehaltsentscheidungen begründet werden, soll gar Bonus verteilt werden? Was versteht man als Unternehmen unter Leistung oder „Performance“ – und was ist folglich der Inhalt des Modells? Passen individuelle Zielvereinbarungen, oder ist eine Bewertung der Aufgabenerfüllung sinnvoller? Sollen Verhaltensaspekte oder Kompetenzen mit betrachtet werden? Welche Folgeprozesse sollen durch das Performance Management gesteuert werden? Wie ist die Verknüpfung mit dem Talent Management und Potenzialprozessen?

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Der Fokus der klassischen Verfahren lag lange Zeit auf dem Thema „Beurteilen“ und „Bewerten“. Die Verfahren schauten zurück auf das vergangene Jahr, Skalen und Punkte wurden genutzt um „Noten“ zu ermitteln, die dann auch dazu dienten, Auszahlungen für Bonusbeträge berechenbar zu machen. Detaillierte Kriterien wurden definiert, um möglichst dediziert Aussagen zum Leistungsverhalten zu tätigen, individuelle Ziele mussten nach SMARTen Regeln vereinbart werden. Einmal im Jahr sprachen Führungskraft und Mitarbeiter über das zurückliegende Jahr und kamen im Konsens oder auch nicht zu einer Bewertung.

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Dies alles steht in einer dynamischen Umwelt mit hoher Unsicherheit, komplexen Zusammenhängen und zunehmend agilen Arbeitsformen deshalb auf dem Prüfstand, weil es sich für die heutige Arbeitswelt als zunehmend nicht mehr passend erweist. Arbeitsorganisationen ändern sich, Hierarchien lösen sich zum Teil auf, Ereignisse werden weniger vorhersehbar, und der Einzelne kann oft komplexe Problemstellungen nicht alleine lösen, sondern benötigt das Team. Dieser Entwicklung tragen immer mehr Unternehmen Rechnung, indem sie ihre Beurteilungsverfahren und Zielvereinbarungsmodelle grundlegend reformieren.

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Das beginnt bei den Zielsetzungen der Verfahren, die deutlich stärker auf die Unterstützung kultureller und weicher Faktoren ausgerichtet sind und beispielsweise als Kultur- und Wertetreiber fungieren, oder auch Innovationskraft und Zusammenarbeit stärken wollen. Das hat zur Folge, dass sich auch die Inhalte der Verfahren grundlegend verändern. Moderne Systeme haben eher das Motto „Stärken stärken“. Es geht um Dialog, Austausch und Entwicklung. Statt einer Beurteilung auf Basis einzelner Kriterien soll dem Mitarbeiter aus einer gesamthaften Perspektive heraus Feedback gegeben werden. Auch Feedback von Mitarbeitern an Führungskräfte ist explizit erwünscht, um gemeinsam besser zu werden. Skalen und Ratings werden abgeschafft, aus Individualzielen werden Teamziele, die nicht vorgegeben, sondern gemeinsam festgelegt werden. Dort, wo es noch individuelle Ziele gibt, heben die Unternehmen die Koppelung an eine Bonuszahlung zunehmend auf. All diese Veränderungen gehen einher mit veränderten Prozessen. Unterstützt von technischen Möglichkeiten und digitalen Tools lösen sich Unternehmen von dem „Jahresgespräch“ einmal per anno. Kontinuierlicher Dialog ist gewünscht, Initiativmöglichkeiten liegen auch beim Mitarbeiter, und neben der Führungskraft sollen und dürfen auch Kollegen eine Rückmeldung geben.


Abb. 4: Folgende Veränderungen lassen sich im Performance Management beobachten. Quelle: Lurse AG

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In allen Gestaltungsfragen solcher Systeme gibt es ein originäres Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, der sich mit der Umgestaltung in die soeben beschriebene Richtung nicht immer leicht tut. In früheren Zeiten scheinbar klare Regeln, wie z.B. das Bewerten von Mitarbeiterleistung durch ein Punkteschema, lösen sich auf in den neuen Verfahren. Die Freiheitsgrade für Führungskräfte steigen, gefühlt kann Subjektivität stärker einfließen als bisher. Gerade vor dem Hintergrund dieser Aspekte ist eine umfassende Einbeziehung des Betriebsrats bei der Umgestaltung solcher Modelle unerlässlich. Auch wenn auf allen Seiten die Einsicht in die Notwendigkeit der Abkehr von starren Systemen vorhanden ist, so bleibt doch die Unsicherheit bezüglich einer fairen und sachgerechten Handhabung. Dieser Unsicherheit kann durch verschiedenste Verabredungen entgegengewirkt werden. Denkbar ist hier beispielsweise die Pilotierung neuer Modelle in überschaubaren Bereichen, um mit der Anwendung Erfahrungen zu sammeln. Die Erfahrungen können dann gemeinsam ausgewertet werden. So kann sukzessiv Vertrauen in die Funktionsfähigkeit freierer Prozesse wachsen. Weiterhin macht es Sinn, ganz klare Eskalationsregeln zu vereinbaren, die bei „Missbrauch des Systems“ zur Anwendung kommen. Auch dies gibt den Beteiligten Sicherheit, bei Fehlanwendung intervenieren zu können. Faktisch steht und fällt die qualitative Umsetzung der neuen Performance Management-Modelle mit der Qualität der Führungskräfte. Alles, was Unternehmen hier investieren, um den nächsten Schritt in der Reifegradkurve zu machen, ist lohnenswert und wertvoll.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
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466 lk 11 illustratsiooni
ISBN:
9783800592852
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