Loe raamatut: «Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3», lehekülg 4

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2. Schutzbedürftigkeit in Abhängigkeit der Machtposition des Arbeitgebers

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Die Bewertung der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass auch die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer in diese einfließt. Bedürfen die Arbeitnehmer in bestimmten Situationen keines zusätzlichen Schutzes, wäre es nicht verhältnismäßig, den Arbeitgeber in seinen Rechten zu beschneiden. Im Falle der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kann eine Grenzziehung daher insbesondere dann geboten sein, wenn die Arbeitnehmer auf andere Weise als durch den Betriebsrat hinreichend Einfluss auf die Lohngestaltung nehmen können. Umgekehrt gilt, dass das Mitbestimmungsrecht jedenfalls dann greifen muss, wenn die Arbeitnehmer der Willkür des Arbeitgebers ungeschützt ausgesetzt sind.

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Wann das erforderliche Schutzniveau erreicht ist, hängt daher davon ab, in welchem Maß der Arbeitgeber seine Machtposition ausnutzen kann, die sich daraus ergibt, dass die Arbeitnehmer ihm im Rahmen der betrieblichen Sozialstruktur untergeordnet sind.28 Diese Disparität kann sich in der Anwendung von Vertragsbedingungen ebenso ausdrücken wie in Weisungen oder der sonstigen Gestaltung des betrieblichen Zusammenwirkens. Auf die rechtliche Form kommt es, ebenso wie für eine Benachteiligung im Sinne des § 75 Abs. 1 BetrVG, nicht an. Annuß gebraucht insofern zu Recht den Begriff der „Gestaltungsmacht“ des Arbeitgebers.29

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Das Ausmaß dieser Gestaltungsmacht des Arbeitgebers ist damit wesentliches Kriterium für die Bewertung der Schutzbedürftigkeit. Agiert der Arbeitgeber nicht aus einer betrieblich bedingten Machtposition, bedürfen die Arbeitnehmer keines besonderen Schutzes. In diesem Fall muss das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen sein.

3. Zwischenergebnis

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Entsprechend der Maßgabe des Bundesarbeitsgerichts30 ist die grundsätzliche Reichweite eines Mitbestimmungstatbestands zunächst anhand von Wortlaut und Systematik zu ermitteln. Ergibt sich hieraus kein zwingender Schluss auf eine Grenze der Mitbestimmung, ist zu bewerten, inwieweit die Mitbestimmung in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreifen würde. Dabei ist ein Eingriff insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die Arbeitnehmer der betrieblich bedingten Gestaltungsmacht des Arbeitgebers ungeschützt ausgesetzt sind.

IV. Grenzen der Mitbestimmung

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In § 87 Abs. 1 BetrVG heißt es, der Betriebsrat hat mitzubestimmen, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass in diesem Fall der Schutz des Arbeitnehmers bereits durch eine einschlägige gesetzliche bzw. tarifliche Regelung hinreichend gewährleistet ist.31 Dies ist konsequent, denn dem Gesetzgeber wie auch den Tarifparteien ist zuzutrauen, dass sie bei der Normsetzung den Schutz der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigen. Aus dieser geschriebenen Grenze darf allerdings nicht geschlossen werden, dass die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG keinen sonstigen Schranken unterliegt.

1. Höhe der Vergütung

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Dem Wortlaut nach betrifft das Mitbestimmungsrecht „Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung“. Von besonderer Bedeutung erscheint zunächst die Frage, ob dies dem Betriebsrat eine Mitbestimmung über die Entgelthöhe ermöglicht.

a) Wortlaut und Systematik

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Oberbegriff des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist die betriebliche Lohngestaltung, was eine Mitbestimmung über die Lohnhöhe nicht zwingend ausschließt. Der Gesetzgeber hat seine Vorstellungen dieser Lohngestaltung jedoch in einer nicht abschließenden Aufzählung („insbesondere“) konkretisiert. Dass er dabei den Begriff der Entlohnungsgrundsätze benutzte, deutet darauf hin, dass lediglich die Aufstellung allgemeiner Regelungen der Mitbestimmung unterworfen werden sollte. Sofern der Gesetzgeber auch die Entgelthöhe miteinbeziehen wollte, hätte er die Aufzählung wohl schlicht um ein weiteres Beispiel ergänzt.

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Ein noch stichhaltigeres Argument bietet daneben der Vergleich mit § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Dessen Anwendungsbereich schließt „Geldfaktoren“ ausdrücklich mit ein und gewährt somit in bestimmten Fällen ein Mitbestimmungsrecht auch über die Höhe des Entgelts.32 Diese Regelung wäre überflüssig, wenn die Höhe der Entlohnung bereits nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig wäre.33

b) Unternehmerische Freiheit und Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer

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Daneben spricht für eine Grenze der Mitbestimmung, dass die Festsetzung der Höhe der Vergütung zum Kern der unternehmerischen Freiheit zu zählen ist.34 Eine Einschränkung dieser Freiheit in ihrem Kern verstieße gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit.

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Dieses Ergebnis wird auch durch eine Betrachtung der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer gestützt. Die Vereinbarung der Höhe des Arbeitsentgelts zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht der betrieblichen Eingliederung des Arbeitnehmers voraus. Anders als im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber in diesem Stadium keine betrieblich bedingte Gestaltungsmacht ausüben. Dieser ist der Arbeitnehmer erst dann ausgesetzt, wenn er bereits Teil der Belegschaft geworden ist. Bis dahin ist er jedoch nicht in besonderem Maße schutzbedürftig, er ist durch die eigene Vertragsfreiheit hinreichend geschützt. Es ist namentlich nicht Aufgabe des Betriebsrats, für den Arbeitnehmer insofern als Verhandlungsführer zu agieren.

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Gleiches gilt, wenn sich der Arbeitgeber im Verlauf der Zeit dazu veranlasst sieht, den Arbeitnehmern zusätzliche, freiwillige Leistungen zu gewähren. Auf solche Leistung hat der einzelne Arbeitnehmer keinen individuellen Anspruch und ist daher hinsichtlich des „Ob“ und der Höhe einer zusätzlichen Leistung nicht schutzbedürftig. Entsprechend besteht hinsichtlich dieser Fragen auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.35 Dies gilt umgekehrt auch bei der Kürzung oder Einstellung einer zusätzlichen Leistung.36 Erst wenn es um die Verteilung der Mittel geht, also um das „Wie“ der Leistung, können die Arbeitnehmer der betrieblich bedingten Gestaltungsmacht des Arbeitgebers ausgesetzt sein und auch erst dann kommt ein Mitbestimmungsrecht in Betracht.

c) Innerbetriebliche Lohngerechtigkeit

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Dass die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Entgelthöhe nicht erfasst, entspricht auch der herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung37 und Literatur.38 Geht man mit der herrschenden Ansicht jedoch davon aus, dass der Zweck des Mitbestimmungsrechts in der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit liege,39 fällt es schwer, die Festsetzung der Lohnhöhe als Grenze der Mitbestimmung herzuleiten.

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Der Begriff der Lohngerechtigkeit lässt sich unproblematisch so auslegen, dass er sich sowohl auf das Verhältnis von Arbeitnehmer zu Arbeitgeber wie auch auf das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander bezieht.40 Die Bewertung, ob der Lohn im Verhältnis von Arbeitnehmer zu Arbeitgeber gerecht festgesetzt ist, setzt allerdings eine Betrachtung der Lohnhöhe voraus. Diese soll nach der herrschenden Ansicht der Mitbestimmung jedoch gerade entzogen sein.

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Selbst wenn man den Zusatz der Innerbetrieblichkeit so auslegt, dass nur das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander bewertet werden soll, führt dies nicht automatisch dazu, dass die Lohnhöhe außer Acht gelassen werden kann. Denn der Verdienst eines Mitarbeiters in einer Schlüsselposition kann denjenigen seiner Kollegen um ein Vielfaches übersteigen, ohne dass das innerbetriebliche Lohngefüge notwendigerweise als ungerecht gelten muss.41 In diesem Fall käme man nicht umhin, auch die konkrete Höhe der Vergütung zu berücksichtigen.

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Diese Überlegungen zeigen erneut nachdrücklich, dass der Begriff der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit zur Herleitung der Grenzen des Mitbestimmungsrechts ungeeignet ist. Es ist daher auch wenig wundersam, dass die illustre Formulierung zur Begründung der Grenzziehung kaum jemals herangezogen wird – ironischerweise verzichtet insbesondere die Rechtsprechung darauf, sich mit dem Begriff der Lohngerechtigkeit insofern weiter auseinanderzusetzen.

d) Zwischenergebnis

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Im Ergebnis geht die herrschende Ansicht zu Recht davon aus, dass sich das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht auf die Lohnhöhe erstreckt. Jedoch lässt sich diese wohl wichtigste Grenze der Mitbestimmung nicht mit dem vermeintlichen Zweck der Norm begründen. Dies sollte dem Bundesarbeitsgericht eigentlich Grund genug sein, diese Formulierung in Zukunft aufzugeben oder zu ersetzen.

2. Zweckbestimmung und Festlegung des begünstigten Personenkreises

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Zwar lässt sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut oder der Systematik des Gesetzes herleiten, allerdings muss der Arbeitgeber auch den Zweck einer Leistung mitbestimmungsfrei vorgeben können.42 Auch die Zweckbestimmung muss dem Kern unternehmerischer Freiheit zugeordnet werden.43 Die Erreichung dieses Zwecks ist allerdings nur dann möglich, wenn auch die Festlegung des begünstigten Personenkreises grundsätzlich nicht von der Mitbestimmung erfasst ist. Die Arbeitnehmer sind hinsichtlich der Frage des „Warum“ nicht besonders schutzbedürftig. Oft wird der Arbeitgeber bei der Gewährung einer freiwilligen Leistung darauf abzielen, eine bestimmte Arbeitnehmergruppe an das Unternehmen zu binden. Dieser Zweck könnte nicht im selben Maß verfolgt werden, wenn der Betriebsrat zum Beispiel erzwingen könnte, dass die bewilligten Mittel betriebsübergreifend aufgeteilt werden.

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Diesem Ergebnis entspricht auch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.44 Beachtenswert ist insofern, dass das Gericht scheinbar nicht davon ausgeht, diese Grenzziehung näher begründen zu müssen. In einer anderen Entscheidungen weist das Gericht darauf hin, dass der Arbeitgeber die Tragweite des Mitbestimmungsrechts jedoch nicht dadurch einschränken dürfe, dass er die Belegschaft in beliebige Gruppen von Arbeitnehmern aufspalten und unterschiedliche Entgeltsysteme für diese vorsehen könne.45 Gerechtfertigt sei die Aufspaltung allerdings bereits dann, wenn sie auf sachlichen Gründen beruht. Die Begründung hierzu erschöpft sich in einem Hinweis auf die herzustellende „Verteilungsgerechtigkeit“. Besser lässt sich dies jedoch mit dem hier vertretenen Maßstab begründen. Dass er die Belegschaft in mehrere Gruppen aufspalten und unterschiedliche Entgeltsysteme einführen kann, ist zwar Ausdruck der betrieblichen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Gleichzeitig ist die Zweckbestimmung dieser Aufspaltung jedoch, wie oben ausgeführt, dem Kern unternehmerischer Entscheidungsfreiheit zuzuordnen. Schutzwürdig ist die Ausübung dieser Freiheit allerdings nur solange, wie sie auf sachliche Gründe zurückgeht. Zwar wird dies vom Bundesarbeitsgericht mit Hinweis auf die „Verteilungsgerechtigkeit“ anders verpackt. Im Ergebnis unterzieht das Gericht die Aufspaltungsentscheidung aber zu Recht einer Willkürkontrolle.

3. Fehlender Regelungsspielraum des Arbeitgebers

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Problematisch ist die Anwendbarkeit des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG insbesondere auch bei moderneren Methoden der Vermögensförderung. Prominentes Beispiel hierfür sind Aktienoptionspläne. Eine Aktienoption gewährt ihrem Inhaber das Recht, eine Aktie des gewährenden Unternehmens unter bestimmten Bedingungen zu erwerben. In internationalen Konzernen werden diese Optionen zumeist von der ausländischen Konzernmuttergesellschaft und nicht von der Arbeitgebergesellschaft gewährt. Für die Frage nach der Mitbestimmung ist dies in vielerlei Hinsicht problematisch.46

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Grundsätzlich ausscheiden muss ein Mitbestimmungsrecht, wenn die Bereitstellung des Aktienoptionsplans allein auf einer Entscheidung der Konzernmuttergesellschaft beruht und der Arbeitgebergesellschaft bei der Zuteilung der Optionen kein Gestaltungsspielraum verbleibt. Denn in diesem Fall kann das Mitbestimmungsrecht an keine Handlung des Arbeitgebers anknüpfen.47 Der Arbeitgeber übt mithin keine betriebliche Gestaltungsmacht aus, vor der die Arbeitnehmer zu schützen wären. Dieses Ergebnis ist sachgerecht. Bei einer konzernweiten Regelung unterfiele die Mitbestimmungszuständigkeit dem Konzernbetriebsrat. Ist dieser nicht gebildet oder nicht vorhanden, weil die Konzernmuttergesellschaft keinen Sitz in Deutschland hat, kann dies nicht dazu führen, dass die örtlichen Betriebsräte zuständig werden.48

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Dies bedeutet nicht, dass ein Mitbestimmungsrecht bei Aktienoptionsplänen grundsätzlich ausscheiden muss. Dies wird teilweise mit der Begründung vertreten, es handele sich bei der Gewährung von Aktienoptionen um die Leistung eines Dritten und damit nicht um „Lohn“ im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.49 Maßgebliches Kriterium muss insofern sein, ob die Leistung nach Abrede der Arbeitsvertragsparteien an Stelle oder neben dem zwischen ihnen vereinbarten Arbeitsentgelt erbracht werden soll.50 Dies ist nur dann der Fall, wenn die Arbeitsvertragsparteien die Teilnahme des Arbeitnehmers am Aktienoptionsplan der Konzernmuttergesellschaft ausdrücklich oder konkludent vereinbart haben.51 Sind diese Voraussetzungen gegeben und ist dem Arbeitgeber bei der Verteilung der Aktienoptionen durch die Konzernmuttergesellschaft ein Gestaltungsspielraum eingeräumt worden, kommt ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG – trotz vermeintlicher Leistung eines Dritten – in Betracht.52 Dies lässt sich jedoch durch geschickte Vertragsgestaltung und -umsetzung vermeiden.

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Nach den gleichen Maßstäben besteht auch bei sonstigen Leistungen einer Drittgesellschaft kein Mitbestimmungsrecht. Wird beispielsweise für ein grenzüberschreitend arbeitendes Vertriebsteam von der englischen Konzerngesellschaft ein Commission Plan ausgerollt, der für alle europäischen Vertriebsmitarbeiter gleichermaßen gilt und bei dem ausschließlich die englische Konzerngesellschaft Vertragspartner ist und auch die Zahlungen leistet, besteht hinsichtlich dieses Commission Plans kein Mitbestimmungsrecht des deutschen Betriebsrats. Freilich sind in diesen Fällen auch stets die steuerlichen Konsequenzen für die Konzerngesellschaft zu beachten.

V. Bedeutung für die Praxis

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Die hier aufgezeigten Grenzen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG entsprechen der ständigen Rechtsprechung. Auffällig ist, dass sich das Bundesarbeitsgericht scheinbar scheut, diese Grenzziehungen näher zu begründen. Auf die Bedeutung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit wird nicht ausdrücklich hingewiesen. Indem das Gericht jedoch beispielsweise die Lohnhöhe ohne Begründung von der Mitbestimmung ausnimmt, trägt sie dem Schutz des Unternehmers doch wenigstens im Ergebnis Rechnung. Seine Vorstellung des Normzwecks wie auch der Grenzen des Mitbestimmungstatbestandes vertritt das Bundesarbeitsgericht mit einiger Beharrlichkeit. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass es in näherer Zukunft zu einem Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung zur Mitbestimmung über Fragen der betrieblichen Lohngestaltung kommt.

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Für den Fall, dass die hier aufgezeigten Grenzen nicht greifen, hat der Gesetzgeber die Mitbestimmung in weitreichendem Umfang ermöglicht. Der Begriff der Lohngestaltung stellt insofern eine Generalklausel53 für eine Vielfalt an Mitgestaltungsmöglichkeiten dar. Dabei ist die Mitbestimmung nicht auf bestimmte Lohnbestandteile begrenzt.54 Umso mehr sollten Arbeitgeber darauf beharren, dass die notwendigen Grenzen der Mitbestimmung eingehalten werden. Sofern der Betriebsrat – wie in der Praxis häufig zu beobachten – den Zweck einer zusätzlichen Leistung mitbestimmen möchte, sollte dem beharrlich entgegengetreten werden.

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Im Vorfeld der Verhandlungen lässt sich dies dadurch gewährleisten, dass der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen, den Zweck der Leistung sowie den begünstigten Personenkreis eindeutig vorgibt. Hat der Arbeitgeber bei der Aufstellung eines Aktienoptionsplans (oder eines Commission Plans) aufgrund einer Entscheidung der Konzernmutter keinen eigenen Gestaltungsspielraum, sollte dies dem Betriebsrat offengelegt und auf die neueste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwiesen werden, um Auseinandersetzungen im Kern zu ersticken.

VI. Fazit

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 – Grundtatbestand für die Mitbestimmung in Fragen des Entgelts ist § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dieser kann je nach Fallgestaltung durch das Eingreifen weiterer Mitbestimmungstatbestände erweitert werden.

 – Rechtsprechung und Literatur sehen den Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ohne Begründung in der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit. Indem die Rechtsprechung ihre Entscheidungen nicht auf einen definierbaren Normzweck stützt, verpasst sie die Gelegenheit, die eigenen Entscheidungen zu strukturieren und so vorhersehbar zu machen.

 – Der Normzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG liegt richtigerweise in der Gewährleistung des Schutzes der Arbeitnehmer. Eine weitergehende Konkretisierung ist nicht geboten und würde vielmehr dazu verleiten, den Anwendungsbereich der Norm allzu weit zu fassen.

 – Bei der Grenzziehung muss die grundrechtlich garantierte unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers berücksichtigt werden. Bei der verfassungskonformen Auslegung des Mitbestimmungstatbestandes ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dies hat zur Folge, dass auch die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einfließt.

 – Ungeschriebene Grenzen der Mitbestimmung sind die Festsetzung der Lohnhöhe, die Bestimmung des verfolgten Zwecks sowie die Festlegung des begünstigten Personenkreises. Zudem scheidet ein Mitbestimmungsrecht aus, wenn an keine Handlung des Arbeitgebers angeknüpft werden kann. Dies ist zum Beispiel bei der Festsetzung eines Aktienoptionsplans oder eines grenzüberschreitenden Bonussystems durch die ausländische Konzernmuttergesellschaft der Fall. Arbeitgeber sollten gemeinsam mit ihren Konzerngesellschaften die sich hieraus ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten nutzen.

1 Vgl. GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, Band II, § 87 Rn. 857 f. m.w.N. 2 Vgl. Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 754. 3 Vgl. BGH, 21.10.2003 – I ABR 39/02, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 62. 4 So bereits die amtliche Begründung, BT-Drs. VI/1786, S. 49; siehe auch Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 408. 5 Hesse/Tischer, in: Moll, MAH ArbR, § 23 Rn. 5. 6 Zur Einordnung als Grundtatbestand Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 754. 7 BAG, 16.7.1991–1 ABR 66/90, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 49 unter B.II.3.b). 8 BAG, 3.12.1991 – GS 2/90, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51 unter C.III.1.a). 9 Roloff, RdA 2014, 228 m.w.N. 10 Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 752; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 111; ErfK/Kania, § 87 Rn. 96; Roloff, RdA 2014, 228. 11 Vgl. Annuß, RdA 2014, 193, 194. 12 So Annuß, RdA 2014, 193, 194 m.w.N. 13 Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drs. VI/1786, S. 49. 14 Vgl. Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 542; Annuß, RdA 2014, 193, 205; vgl. auch v. Hoyningen-Huene, NZA 1998, 1081, 1086. 15 Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 752; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 111; ErfK/Kania, § 87 Rn. 96; Roloff, RdA 2014, 228; kritisch zu dieser bedingungslosen Akzeptanz auch Annuß, RdA 2014, 193, 200. 16 So auch Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407. 17 Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 542 geht zu Recht davon aus, dass es der Ermittlung eines spezielleren Zwecks für die einzelnen Mitbestimmungstatbestände nicht bedarf. 18 BAG, 3.12.1991 – GS 2/90, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51 unter C.II.1.a). 19 Vgl. Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 86. 20 BAG, 26.10.2004 – 1 ABR 31/03 (A), AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 113; BAG, 16.7.1991 – 1 ABR 66/90, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 49; BAG, 4.3.1986 – 1 ABR 15/84, AP BetrVG 1972 § 87 Kurzarbeit Nr. 3; BAG, 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8. 21 BAG, 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8 unter B.III.2.a). 22 Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 41 verweist zu Recht darauf, dass die Mitbestimmung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ganz erhebliche unternehmerische Konsequenzen haben kann. 23 BAG, 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8 unter B.III.2.a); krit. hierzu Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 85. 24 Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 86. 25 Vgl. nur Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 41. 26 Roloff, RdA 2014, 228 spricht davon, dass bei der Grenzziehung die unternehmerische Freiheit, die Vertragsfreiheit und das Mitbestimmungsrecht miteinander in Einklang zu bringen seien; so auch Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407; vgl. zum Initiativrecht auch GK-BetrVG/Wiese, § 87 Rn. 148. 27 Arnold, in: Münchener Hdb. zum Arbeitsrecht, § 315 Rn. 48 geht zu Unrecht davon aus, dass bei Berücksichtigung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit die Grenzen des Mitbestimmungsrechts zur Disposition des Arbeitgebers gestellt seien. 28 Annuß, RdA 2014, 193, 202 spricht insofern von einer drohenden „Vergegenständlichung“ der Arbeitnehmer. 29 Annuß, RdA 2014, 193, 202. 30 BAG, 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8 unter B.III.2.a). 31 BAG, 28.5.2002 – 1 ABR 37/01, AP BetrVG 1972 § 87 Urlaub Nr. 10 unter B.II.2.c)cc); BAG, 17.12.2985 – 1 ABR 6/84, AP BetrVG 1972 § 87 Tarifvorrang Nr. 5 unter B.II.3. 32 BAG, 29.3.1977 – 1 ABR 123/74, AP BetrVG 1972 § 87 Provision Nr. 1 unter IV.3.b); GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 1027; ErfK/Kania, § 87 Rn. 117. 33 BAG, 22.1.1980 – 1 ABR 48/77, AP BetrVG 1872 § 87 Lohngestaltung Nr. 3 unter B.II.2.c). 34 Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 86; im Ergebnis auch ErfK/Kania, § 87 Rn. 103; Annuß, RdA 2014, 193, 201; Roloff, RdA 2014, 228. 35 BAG, 13.3.2012 – 1 AZR 659/10, AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 27 Rn. 23; Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 556; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 122; Hesse/Tischer, in: Moll, MAH ArbR, § 23 Rn. 36; vgl. auch ErfK/Kania, § 87 Rn. 108. 36 Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 624; für den Fall, dass sich eine Tariferhöhung vollständig auf die übertarifliche Zulage anrechnen lässt, auch BAG, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81 unter B.II.1. 37 BAG, 17.5.2011 – 1 AZR 797/09, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 138 Rn. 18; BAG, 30.10.2012 – 1 ABR 61/11, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 143 Rn. 22; BAG, 5.5.2015 – 1 AZR 435/13, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 147 Rn. 15. 38 GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 837; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 792; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 117; Hesse/Tischer, in: Moll, MAH ArbR, § 23 Rn. 5; Arnold, in: Münchener Hdb. zum Arbeitsrecht, § 315 Rn. 48. 39 BAG, 3.12.1991 – GS 2/90, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51 unter C.III.1.a); Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 752; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 111; ErfK/Kania, § 87 Rn. 96; Roloff, RdA 2014, 228. 40 So z.B. Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 407. 41 Annuß, RdA 2014, 193, 194 f. 42 So auch Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 624; GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 868; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 795; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 122. 43 GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 869; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 795; Kothe, in: Düwell, BetrVG, § 87 Rn. 122; a.A. Annuß, RdA 2014, 193, 202. 44 Statt vieler, siehe nur BAG, 3.8.1982 – 3 AZR 1219/79, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 12. 45 BAG, 18.11.2003 – 1 AZR 604/02, AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 15 unter I.3.c)dd); krit. hierzu Annuß, RdA 2014, 193, 196. 46 Umfassend hierzu Otto/Mückl, DB 2009, 1594. 47 BAG, 12.6.2019 – 1 ABR 57/17, BeckRS 2019, 18930 Rn. 20. 48 LAG München, 11.8.2017 – 9 TaBV 34/17, BeckRS 2017, 124513 Rn. 49. 49 So LAG Baden-Württemberg, 17.1.2017 – 19 TaBV 3/16, BeckRS 2017, 103514 Rn. 23; offen gelassen von LAG München, 11.8.2017 – 9 TaBV 34/17, BeckRS 2017, 124513 Rn. 45. 50 Otto/Mückl, DB 2009, 1594, 1596; vgl. BAG, 16.1.2008 – 7 AZR 887/06, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 144 Rn. 16. 51 Vgl. zu § 37 Abs. 4 BetrVG, BAG, 16.1.2008 – 7 AZR 887/06, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 144 Rn. 17. 52 Ähnlich zur Mitbestimmung bei der Verteilung von Trinkgeldern auch Hesse/Tischer, in: Moll, MAH ArbR, § 23 Rn. 36. 53 GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 841; Worzalla, in: HWGNRH, § 87 Rn. 534. 54 Eine Auflistung findet sich zum Beispiel bei Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 414; grundlegend auch BAG, 9.12.1980 – 1 ABR 80/77, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 5.

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