Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

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2. Praktische Vorüberlegungen

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Internationale Restrukturierungsmaßnahmen bedürfen von Beginn an einer globalen und koordinierten Herangehensweise. Da eine internationale Restrukturierung verschiedene Etappen durchläuft, ist eine frühzeitige Planung sowohl in praktischer als auch in rechtlicher Hinsicht unumgänglich. Dafür ist es erforderlich, alle (rechtlich) notwendigen Schritte zu identifizieren. Hierzu zählen in der Regel die folgenden Schritte:

 – Planung der internationalen Restrukturierung;

 – Durchführung der Informations- und Konsultationspflichten;

 – Anzeige gegenüber Behörden/Behördenkommunikation (sofern sinnvoll bzw. eine entsprechende Verpflichtung besteht);

 – Implementierung der Restrukturierungsmaßnahme;

 – Durchführung von eventuellen Gerichtsstreitigkeiten.

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Der erste Schritt wird bereits vor Beginn der eigentlichen Restrukturierung relevant, ist aber für deren Erfolg sehr wichtig.

a) Planung der internationalen Restrukturierung
aa) Frühzeitige Mandatierung eines geeigneten Rechtsberaters

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Für Großunternehmen, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, besteht die Möglichkeit, Restrukturierungen auch ohne Inanspruchnahme externer Rechtsberatung umzusetzen. Immer mehr Unternehmen verfügen über große Rechtsabteilungen mit Juristen verschiedenster Rechtsgebiete, einschließlich Arbeitsrechtsexperten, und können mithin Restrukturierungen grundsätzlich mit ihren eigenen Ressourcen stemmen. Ein Trend in Richtung großer Rechtsabteilungen hat sich in den letzten Jahren klar abgezeichnet.

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Manchen Unternehmen mit großen Rechtsabteilungen fehlen teilweise aber auch die personellen Ressourcen, da oftmals mehrere Großprojekte parallel betreut werden müssen. In diesem Fall stellt sich, wie auch in Unternehmen mit keiner oder kleineren Rechtsabteilungen, die Frage, welche Kanzlei am besten für die Umsetzung einer internationalen Restrukturierung geeignet ist. Diese Frage lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten, sondern hängt immer von dem konkreten Vorhaben ab.

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Eine Möglichkeit ist die Mandatierung einer großen internationalen Wirtschaftskanzlei. International agierende Kanzleien sind mehr oder minder weltweit vernetzt und können innerhalb kürzester Zeit ein globales Team aus bestens qualifizierten Rechtsexperten in verschiedenen Rechtsgebieten zusammenstellen. Dies gilt auch für Jurisdiktionen, in denen die Wirtschaftskanzlei selbst keinen Sitz hat. Hier kann in der Regel auf ein weltweites Netz von Partnerkanzleien zurückgegriffen werden. Sofern während des Projektverlaufs neue Jurisdiktionen hinzukommen oder ein weiterer Expertenkreis benötigt wird, kann dies ohne Verzögerung bewerkstelligt werden. Im Gegenzug ist die Mandatierung einer internationalen Wirtschaftskanzlei allerdings in der Regel mit hohen Kosten verbunden – dafür ist die Vorgehensweise sehr effizient.

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Als kostengünstiger kann sich die Beauftragung mehrerer kleinerer Kanzleien erweisen, die jeweils nur für ihre entsprechende Jurisdiktion eingesetzt werden. Dies kann insbesondere für Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung sinnvoll sein, sind diese doch oftmals lediglich in einzelnen Jurisdiktionen auf externe Rechtsberatung angewiesen. Doch auch für Unternehmen ohne eigene oder mit kleiner Rechtsabteilung kann es sinnvoll sein, mehrere kleinere Kanzleien zu mandatieren, wenn nur eine überschaubare Anzahl von Jurisdiktionen involviert ist. Je mehr Jurisdiktionen involviert sind, desto höher ist allerdings das Risiko, dass die Weitergabe von Informationen zwischen den einzelnen Kanzleien zu Verzögerungen führt und gleichzeitig der Überblick über das „große Ganze“ verloren geht.

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Auch die Mandatierung von sog. „Boutiquen“, die auf einen bestimmten Rechtsbereich spezialisiert sind und oftmals in kleineren Einheiten arbeiten, kann sich in bestimmten Fällen anbieten, z.B. wenn die Rechtsabteilung des Unternehmens zwar gesellschaftsrechtlich gut aufgestellt ist, aufgrund der Komplexität der arbeitsrechtlichen Maßnahmen jedoch auf besondere arbeitsrechtliche Expertise angewiesen ist. In solchen Fällen kann sich die Mandatierung einer Boutique für den arbeitsrechtlichen Teil empfehlen. Nachteil ist jedoch, dass die Boutique in der Regel nicht auf andere Fachexpertise zurückgreifen kann, sollten im Laufe der Beratung andere Rechtskreise hinzukommen. Die in den letzten Jahren steigende Zahl an Boutiquen hat andererseits aber auch dazu geführt, dass diese inzwischen immer besser vernetzt sind und immer öfter ebenfalls auf ein Netzwerk von Partnerkanzleien zurückgreifen können.

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Diese Erwägungen zeigen, dass bei der Kanzleiauswahl immer das konkrete Vorhaben, die eigenen Ressourcen sowie die gewünschte Schwerpunktsetzung zu berücksichtigen sind.

bb) Erstellen eines Legal Steps Plans

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Zur Identifizierung aller rechtlich notwendigen Schritte ist es hilfreich, frühzeitig einen sog. Legal Steps Plan zu erstellen. Hier werden einzelne Handlungsschritte gemeinsam mit der Festlegung der Verantwortlichkeiten, einer Zeitachse sowie dem jeweils aktuellen Status aufgeführt. Gerade bei umfangreichen Restrukturierungen, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen auslösen und bei denen eine Vielzahl von Jurisdiktionen sowie unterschiedlichen Beratergruppen betroffen ist, ermöglicht es der Legal Steps Plan, den Überblick zu behalten.

cc) Kommunikationsplan

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Unternehmen sollten auch rechtzeitig einen Kommunikationsplan erarbeiten, der die Kommunikationsabfolge innerhalb des Unternehmens – abseits vom Zeitpunkt der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen (siehe Rn. 181ff.) – vorgibt. Je nach Struktur des Unternehmens wird die Restrukturierungsmaßnahme möglicherweise nicht direkt von der Geschäftsführung des Unternehmens, sondern von dessen Gesellschafter(n), z.B. einer im Ausland ansässigen Muttergesellschaft, getroffen. Oftmals soll das Vorhaben zunächst vertraulich behandelt werden, doch ist man auch auf die Mitwirkung der nationalen Geschäftsführung und bestimmter Mitarbeiter angewiesen. Hier gilt es, den richtigen Spagat zwischen Vertraulichkeit und rechtzeitiger Einbindung von bestimmten Arbeitnehmern zu finden, auf deren Mitwirkung das Unternehmen im Zuge der Umsetzung angewiesen ist.

dd) Berücksichtigung von Kostenfaktoren

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Die Durchführung einer internationalen Restrukturierung und insbesondere der Abbau von Personal ist häufig mit erheblichen Kosten verbunden. Zu berücksichtigen sind nicht nur die eigenen Beraterkosten, sondern möglicherweise auch die Übernahme der Kosten der anwaltlichen Beratung der Arbeitnehmervertretung. Hinzukommen die durch die Umsetzung der Maßnahme entstehenden Kosten, wie z.B. Abfindungszahlungen. Die Höhe der Kosten ist jedenfalls von vielfältigen Faktoren abhängig und kann daher stark variieren. Es empfiehlt sich daher, bereits vorab ein Budget zur Orientierung zu vereinbaren.

(1) Timing

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Wichtiger Kostenfaktor ist das Timing der Restrukturierungsmaßnahme. Während das Unternehmen in der Regel den Zeitplan vorgibt, sollte dieser an die gängige Beteiligungspraxis mit Arbeitnehmervertretungen des Unternehmens (sog. past practice) angepasst werden. Haben sich längere Verhandlungsphasen mit den Arbeitnehmervertretungen etabliert, wird man dies bei der Kostenberechnung einpreisen müssen. Im Rahmen einer Restrukturierungsmaßnahme von der Past Practice abzuweichen, empfiehlt sich ohne triftigen Grund nicht. Dies würde gegenüber den Gremien zu Recht falsche Signale senden und auch im Hinblick auf zukünftige Maßnahmen das Verhältnis nachhaltig stören. Beteiligungsrechte dienen schließlich nicht nur der Erfüllung der gesetzlichen Pflichten, sondern auch dem regelmäßigen und konstruktiven Austausch zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung.

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Im Übrigen können kurze, von dem Unternehmen vorgegebene Deadlines Verhandlungsspielräume gegenüber Arbeitnehmervertretungen schmälern und damit letztlich Kosten erhöhen. Gewinnt die Arbeitnehmervertretung den Eindruck, dass das Unternehmen seine Entscheidung schnell umsetzen möchte und entsprechend Druck auf das Gremium ausübt, steigen in der Regel die Anforderungen, die von Arbeitnehmerseite gestellt werden.

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Ein weiterer, sich auf das Timing auswirkender Faktor sind parallel laufende Beteiligungsverfahren – entweder mit demselben Gremium oder mit einem über- oder untergeordneten Gremium. Konstruktive Verhandlungsrunden in anderen Verfahren können sich positiv auf das Beteiligungsverfahren bzgl. die Restrukturierungsmaßnahme auswirken. Andersherum können sich weniger zielführende und nicht zufriedenstellende Verhandlungsrunden entsprechend negativ auswirken. Jedes Verfahren für sich einzeln zu betrachten fällt oftmals schwer – vielmehr werden einzelne Verhandlungspositionen regelmäßig miteinander verknüpft. So kann es dazu kommen, dass eine Partei für das Entgegenkommen in der einen Sache wiederum ein Entgegenkommen der anderen Partei in der zweiten Sache fordert. Auch hier gilt es daher, wenn möglich, die bisherigen Gepflogenheiten zu berücksichtigen und einzuhalten.

(2) Anwendbare Rechtsordnung

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Auch die jeweils anwendbare Rechtsordnung kann sich auf die Höhe der Kosten auswirken. Dies lässt sich ebenfalls am Beispiel von Personalabbau verdeutlichen: Nach der jeweils anwendbaren Rechtsordnung bestimmt sich unter anderem, ob und welcher Kündigungsschutz Anwendung findet, welche gesetzlichen Kündigungsfristen gelten und ob bzw. in welchem Umfang Abfindungen zu zahlen sind. Da regelmäßig abweichende Regelungen auf kollektiv- und/oder individualrechtlicher Ebene vereinbart werden, ist es notwendig, für jedes einzelne Arbeitsverhältnis zu überprüfen, welche Regelungen jeweils Anwendung finden. Insbesondere individualvertragliche Regelungen, die von der gesetzlichen Regelung zugunsten des Arbeitgebers abweichen, sollten auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Bestehen Zweifel an der Wirksamkeit derartiger Regelungen, kann dies ein zusätzliches Kosten- und gleichzeitig Prozessrisiko bedeuten.

 

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Steht für jedes einzelne Arbeitsverhältnis fest, welche Regelungen anzuwenden sind, ist einzelfallbezogen zu überprüfen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung rechtlich möglich ist. Dafür bedarf es verschiedener Informationen über den jeweils betroffenen Arbeitnehmer. Nach deutschem Recht zählen hierzu in der Regel zunächst alle Informationen, die für etwaigen Sonderkündigungsschutz von Bedeutung sein können, wie etwa Schwerbehinderung, Mutterschutz/Elternzeit, Mitgliedschaft in einer Arbeitnehmervertretung oder Wahrnehmung einer bestimmten Funktion (z.B. Datenschutzbeauftragte/r). Für den allgemeinen Kündigungsschutz können – je nach Jurisdiktion – etwa die Größe des Betriebs, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter sowie etwaige Unterhaltspflichten von Bedeutung sein. Einige dieser Parameter können darüber hinaus für die Berechnung der Kündigungsfristen oder Höhe der Abfindung eine Rolle spielen.

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Anhand dieser Informationen lässt sich bezogen auf den Einzelfall eine Aussage darüber treffen, ob Kündigungen überhaupt möglich sind, welche Kündigungsfristen gelten und ob bzw. in welcher Höhe Abfindungen zu zahlen sind. Eine Kostenkalkulation sollte zudem stets das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten berücksichtigen.

3. Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen

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Beteiligungsrechte spielen auch außerhalb des von der starken Rolle der Arbeitnehmervertretungen geprägten Deutschlands eine wichtige Rolle. Während es in Teilen von Asien, Südamerika und dem afrikanischen Kontinent in der Regel kaum bis keine Beteiligungsrechte gibt, weisen vor allem viele europäische Länder eine hohe Dichte an Beteiligungsrechten auf. Doch auch in den USA werden Arbeitnehmer – je nach Branche, in der Regel denen der Industrie – durch teils sehr mächtige Gewerkschaften vertreten. Auch in Südafrika stehen den Arbeitnehmervertretungen in Teilen Beteiligungsrechte zu.

a) Unterschiedliche Gremien
aa) Nationale Arbeitnehmervertretungen

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Zwischen den nationalen Arbeitnehmervertretungen, die für Maßnahmen auf betrieblicher Ebene zu beteiligen sind, bestehen global betrachtet große Unterschiede. Während das zentrale Arbeitnehmervertretungsorgan für derartige Maßnahmen beispielsweise in Deutschland, Österreich oder Luxemburg der Betriebsrat ist, findet die entsprechende Arbeitnehmerbeteiligung in einigen Jurisdiktionen wie etwa Frankreich oder Belgien zusätzlich auch auf gewerkschaftlicher Ebene statt. In Großbritannien findet die Beteiligung, wenn überhaupt, ausschließlich auf gewerkschaftlicher Ebene statt; in Betrieben, in denen die Gewerkschaften nicht vertreten sind, gibt es daher zumeist auch keine Arbeitnehmervertretung. In China vertritt in der Regel eine Betriebsgewerkschaft die Arbeitnehmerinteressen.4 Diese verfügt über eine vergleichbare Funktion wie der Betriebsrat in Deutschland.5 In den USA gibt es kein Organ, das in seiner Funktion mit einem deutschen Betriebsrat vergleichbar ist; allerdings werden Arbeitnehmer in manchen Branchen der Industrie durch Gewerkschaften vertreten.6 Auch in Kanada7 und Brasilien8 kommt Gewerkschaften eine wichtige Bedeutung zu.

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Teilweise bestehen auch mehrere nationale Arbeitnehmervertretungsorgane, die jeweils entsprechend ihren (gesetzlichen) Aufgaben zu beteiligen sind. So spielt etwa in Deutschland neben dem Betriebsrat der Wirtschaftsausschuss eine wichtige Rolle. Dieser hat allerdings keine eigenen Entscheidungsbefugnisse und ist lediglich Hilfsorgan des Betriebsrats. Er hat eine Doppelfunktion und dient einerseits als Verhandlungsgremium mit der Geschäftsführung und andererseits als Informationsgremium gegenüber dem Betriebsrat.9 In diesen Funktionen berät er den Unternehmer in wirtschaftlichen Angelegenheiten und informiert den Betriebsrat hierüber.10 Anders dagegen verhält es sich seit einer Reform 2017 in Frankreich: In französischen Unternehmen existierten verschiedene Personalvertretungsorgane nebeneinander (Personalvertreter, Betriebsrat, Gewerkschaftsvertreter sowie ein Ausschuss für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen). Seit dem 1.1.2018 sind diese Personalvertretungsorgane in einem Organ, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss (comité social et économique CSE) zusammengefasst.

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Möglicherweise ist auch der Aufsichtsrat zu beteiligen, z.B. wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Soweit dieser paritätisch bzw. drittelparitätisch besetzt ist, befinden sich auch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Mit Arbeitnehmervertretern besetzte Aufsichtsräte findet man neben Deutschland unter anderem auch in Dänemark, Luxemburg sowie einigen osteuropäischen Ländern. Oftmals handelt es sich bei den Arbeitnehmervertretern auch um Betriebsratsmitglieder, sodass eine Personalunion besteht. In solchen Fällen empfiehlt sich ebenfalls eine vorherige Abstimmung in Hinblick auf das Timing. Eine zeitlich leicht verzögerte Unterrichtung von Aufsichtsrat und Betriebsrat wird in der Praxis zwar häufig unvermeidbar sein, allerdings sollte man immer daran denken, das jeweils andere Organ zeitnah zu unterrichten. Ansonsten erfahren Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Funktion im Aufsichtsrat bereits vor Involvierung des Betriebsrats von der geplanten Restrukturierungsmaßnahme mit der Folge, dass den Betriebsräten mehr Zeit eingeräumt wird, über ihre Rechte nachzudenken und dann entsprechende Beteiligungsrechte einzufordern.

bb) Überregionale Arbeitnehmervertretungen
(1) Der Europäische Betriebsrat

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Sobald ein Unternehmen mindestens 1000 Arbeitnehmer in Mitgliedstaaten der EU und davon jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt,11 kann ein Europäischer Betriebsrat („EBR“) gegründet werden. Vor jeder internationalen Restrukturierung ist daher zunächst zu prüfen, ob das Unternehmen über einen EBR verfügt und falls ja, ob der EBR an der beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahme zu beteiligen ist.

(a) Umfang der Beteiligungsrechte

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In der Regel besteht zwischen dem Unternehmen und dem EBR eine Vereinbarung, nach der sich der Umfang der Beteiligungsrechte des EBR richtet. Bei der Gestaltung dieser Vereinbarung sind die Parteien über die gesetzlichen Mindestanforderungen12 weitestgehend frei.13 In der Praxis sehen die entsprechenden Vereinbarungen oft umfangreichere Beteiligungsrechte des EBR vor, als diesem nach den gesetzlichen Regelungen zustehen.

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Fehlt es – wie in der Praxis nur selten der Fall – an einer solchen Vereinbarung, gelten die jeweils anwendbaren gesetzlichen Regelungen über die Beteiligung des EBR (sog. EBR kraft Gesetzes). Insofern kommt es darauf an, welches nationale Umsetzungsgesetz zur Europäischen Betriebsräte-Richtlinie (RL 2009/38/EG) Anwendung findet. Dies hängt davon ab, in welchem Mitgliedstaat das Unternehmen seinen Sitz hat,14 bzw., falls das Unternehmen seinen Sitz außerhalb der EU hat, in welchem Mitgliedstaat der Sitz fingiert wird.15

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Hinsichtlich des Umfangs der Beteiligungsrechte des EBR kraft Gesetzes unterscheiden sich die nationalen Umsetzungsgesetze nicht wesentlich. Sie sehen in der Regel vor, dass die zentrale Leitung des Unternehmens den EBR über außergewöhnliche Umstände oder Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, zu unterrichten und auf Verlangen anzuhören hat. Als außergewöhnliche Umstände gelten insbesondere die Verlegung oder Stilllegung von Unternehmen, Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen sowie Massenentlassungen.16 Die Unterrichtung hat rechtzeitig und unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu erfolgen. Rechtzeitig setzt insbesondere voraus, dass eine Entscheidung über die Angelegenheit noch nicht unumstößlich getroffen worden ist.17 Zu den erforderlichen Unterlagen gehört ein von der zentralen Leitung vorzulegender Bericht, das heißt eine sachlich geordnete Zusammenfassung über die außergewöhnlichen Umstände.18 Darüber hinausgehende Mitwirkungsrechte sehen die nationalen Umsetzungsgesetze nicht vor. Da der EBR – vorbehaltlich weiterer Rechte in der EBR-Vereinbarung – somit nur Anspruch auf Unterrichtung und Anhörung, nicht jedoch auf echte Mitbestimmung hat, gleicht der EBR eher einem deutschen Wirtschaftsausschuss als einem Betriebsrat nach dem BetrVG.19

(b) Sanktionen bei Missachtung der Beteiligungsrechte

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Die Europäische Betriebsräte-Richtlinie gibt nur vage an, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinie vorzusehen haben.20

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In den meisten Mitgliedstaaten, so u.a. in Deutschland,21 handelt ein Unternehmen, das die Beteiligungsrechte des EBR missachtet, ordnungswidrig. Das deutsche Recht sieht Geldbußen bis zu 15.000 EUR vor,22 das französische Recht sogar bis zu 37.500 Euro. Ein Unterlassungsanspruch gegen beteiligungswidrig geplante Maßnahmen steht dem EBR in Deutschland, wie auch beispielsweise im Vereinigten Königreich, indes nicht zu.23

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Etwas anderes gilt gleichwohl in Mitgliedstaaten, deren nationales Umsetzungsgesetz dem EBR einen Unterlassungsanspruch bei Verletzung der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht zubilligt. Dies ist insbesondere in Frankreich der Fall.24 Hier kann der EBR es der Konzernleitung – wie in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen25 – untersagen, das Verfahren der Betriebsstilllegung fortzusetzen, solange die Konzernleitung ihre Verpflichtung zur Information und Konsultation des EBR nicht erfüllt.