Loe raamatut: «Rayan - Sohn der Wüste», lehekülg 3

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2014 - Hotelzimmer in Dubai - Wüstenwind

Carina saß auf dem Bett ihres Hotelzimmers. Ihr mageres Budget hatte es ihr lediglich erlaubt, ein 3-Sterne-Hotel zu buchen, doch trotz der Schlichtheit der Zimmer war es sauber und freundlich eingerichtet, mit farbigen Teppichen auf dem Boden und an den Wänden. Das Bett war ebenfalls frisch bezogen, sie hatte in anderen arabischen Ländern schon schlechte Erfahrungen machen müssen. Vor allem aber war das angrenzende Badezimmer sauber und bot alle notwendigen Annehmlichkeiten.

Eine Dusche und ein anständiges Abendessen hatten ihr geholfen, ihre Benommenheit abzuschütteln. Was machte sie eigentlich hier? Shit - sie hasste es, in einem Hotel alleine zu Abend zu essen. Daher hatte sie beschlossen, ihren Wein mit aufs Zimmer zu nehmen. Das war ohnehin besser, denn Alkohol war hier nicht gerne gesehen und wurde überwiegend für Touristen angeboten.

Ihr war der Brief, den sie von der Stewardess bekommen hatte, wieder eingefallen. Im Wirbel der Ereignisse hatte sie den total vergessen.

In der einen Hand drehte sie gedankenverloren das Amulett an ihrem Hals, in der anderen Hand hielt sie den Brief.

Mit einer überraschend schönen, jedoch energischen Handschrift stand dort „Für Frau Carina“ – worauf wartete sie noch? Eine Einladung, ihn in Zarifa zu besuchen, würde es bestimmt nicht sein. Sie nahm noch einen kräftigen Schluck Wein und riss den Brief dann auf.

Er enthielt ein sehr teures Briefpapier, auf dem oben im Kopf das Emblem des Scheichs in schwarzweiß abgedruckt war; das gleiche, welches sich auch auf der Kette befand.

Liebe Carina,

ich hoffe, Sie sind nicht allzu böse auf mich wegen des kleinen Täuschungsmanövers. Aber als ich Sie derart vertieft in den Artikel sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Als kleine Wiedergutmachung gebe ich Ihnen die Adresse meines Anwalts in der Stadt. Wenn Sie ihm diesen Brief zeigen, wird er Ihnen einige Fragen beantworten.

Wenn Allah es will, werden sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen. Möge er Sie stets auf all Ihren Wegen begleiten.

Rayan“

Weiter unten stand in Arabisch noch ein Satz, den sie nicht lesen konnte. Sie sprach ein paar Brocken, meist Höflichkeitsfloskeln, aber lesen konnte sie es nicht.

Vermutlich war der für den Anwalt gedacht.

Ein Anwalt! Ausgerechnet. Aber was hatte sie erwartet? Sie beschloss, für heute erst einmal zu schlafen und sich am nächsten Morgen Gedanken über ihre weiteren Schritte zu machen.

Nach dem anstrengenden, ereignisreichen Tag fiel sie rasch in einen tiefen Schlaf. Sie träumte vom Wüstenwind, Oasen und den faszinierendsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte …

1989 – Zarifa - Das Entkommen

Die Gruppe der jungen Leute hatte sich eng zusammengekauert, um Rayan herum. Er war so tapfer gewesen, und wofür? Es ging ihm schlecht. Sie hatten Wasser und eine Decke erhalten. Sachra flößte ihm in kleinsten Portionen Wasser ein. Sie war die einzige Frau der Gruppe, klein, zierlich und hatte ihre Haare so kurz wie die Männer geschnitten.

„Wenn er jetzt noch Wundbrand bekommt, übersteht er die Nacht nicht. Ich verstehe das nicht, sein eigener Vater … was für ein Monster.“ Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. Ihr Freund Ibrahim entgegnete leise: „Vielleicht ist er ja besser dran so. Nicht mehr aufwachen, meine ich. Dann muss er das Schauspiel morgen nicht miterleben.“ Sachra starrte ihn wortlos an, was hätte sie auch sagen sollen?

Etwa eine Stunde vor Mitternacht wurde sie wach, weil Ibrahim sie am Arm schüttelte. „Ich habe einen offenen Riegel gefunden. Mensch, das könnte unsere Rettung sein.“ Sachra überlegte einen Moment lang: „Es könnte aber genauso eine Falle sein.“ Doch Ibrahim weckte schon die anderen: „Leise, wir müssen leise sein.“ Und zu Sachra gewandt sagte er: „Und? Was soll‘s? Morgen sind wir tot. Da nehme ich es eher jetzt noch mit der Falle auf, dann sterben wir wenigstens kämpfend.“

Sie dachten darüber nach, was sie mit Rayan machen sollten. Zurücklassen kam nicht in Frage. „Ich weiß, was wir tun können“, sagte Sachra, „nicht weit von hier wohnt seine Großmutter, da bringen wir ihn hin. Dort hat er die besten Überlebenschancen. Selbst wenn er dort gefunden wird, vielleicht kann seine Großmutter ihn vor dem Scheich, der ja immerhin ihr Schwiegersohn ist, beschützen.“ Ibrahim überlegte einige Sekunden, dann nickte er „Gute Idee“.

Leise schlichen die Freunde einer nach dem anderen aus dem Gatter hinaus. Es gelang ihnen, eine der Wachen geräuschlos auszuschalten.

Dann trennten sie sich: die drei anderen schlichen sich nach Norden, um sich in Richtung der Rebellensiedlung durchzuschlagen. Ibrahim, Sachra und ein weiterer aus der Gruppe trugen den noch immer Bewusstlosen in Richtung seiner Großmutter, wobei der größte Anteil des Gewichts bei den beiden Männern lag.

Zwei schwere Stunden später trafen sie bei Rayans Großmutter Eleonora ein. Sie klopften die alte Frau aus dem Bett, die in dem Haus zusammen mit ihrem Mann Youssef wohnte.

Eleonora war der Grund, warum Rayan trotz seiner arabischen Wurzeln blaue Augen hatte. Sie hatte diese an ihre Tochter Miriam vererbt, der Mutter Rayans. Eleonora stammte aus Deutschland und war wegen ihrer Liebe zu Youssef in Arabien geblieben, wo ihre einzige Tochter Miriam geboren wurde. Obwohl sie mindestens 60 war, war sie agil und flink, mit langem, schneeweißem Haar und jeder, der ihr Temperament kannte, hütete sich davor, sie zu reizen.

Nach einer kurzen Erklärung überließen sie der älteren Frau den schwer Verletzten und schlichen weiter, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Eleonora war entsetzt über die große Anzahl der blutigen Striemen auf Rayans Rücken. Als sie mit sanften Bewegungen begann, den Rücken zu säubern, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Selbst wenn Rayan die Tortur überlegen sollte, wäre er sein Leben lang grausig entstellt.

2014 - Gefängnis von Dubai – Die Flucht

Colonel Abbouds Leute machten Feierabend.

Ein paar Stunden schmoren lassen würden dem Gefangenen nicht schaden. Sie würden ihn schon noch mürbe machen.

Morgen war auch noch ein Tag und nach der Ankündigung des Scheichs, trotz der Ereignisse am folgenden Tag gleich in der Frühe noch abzureisen, hatten sie ohnehin alle Zeit der Welt.

Also warfen sie ihn in eine dunkle Zelle, die eher einem stinkenden Loch glich. Das beeindruckte Ashraf jedoch wenig, denn sie hatte das Einzige, was er benötigte: ein Fenster nach draußen.

Ashraf zog sofort sein Hemd aus und hängte es aus dem Fenster. Er hatte zwar einige Mühe an die hohe Öffnung heranzukommen, aber halb kletternd, halb werfend gelang es ihm schließlich. Das war das Zeichen für Ali, wo er zu finden war.

Durch die rüden Verhörmethoden der Polizisten schmerze ihm sein ganzer Körper, doch das war vernachlässigbar und würde heilen. Wenn er allerdings nicht bald hier rauskäme, war seine Gesundheit keinen Pfifferling mehr wert.

Er hoffte bloß, dass Vetter Ali sich an die Absprache halten würde, nachdem er sicherlich gehört hatte, dass das Attentat schief gegangen war. Ali hatte seine Ohren überall.

Kurz vor dem Morgengrauen, als er sich bereits ernsthafte Sorgen machte, hörte er den vereinbarten Pfiff. Er bestätigte. Daraufhin hörte er anstelle des erwarteten Knalls einer Explosion einen Schlüsselbund klingeln. Mit einem breiten Grinsen stand Ali vor ihm. „Na Vetter? Hast schon an dem alten Ali gezweifelt, was?“

„Verdammt was tust du Ali? Bist du noch zu retten?“

Beleidigt machte sich Ali ans Aufschließen der Zelle: „Du könntest ruhig etwas dankbarer sein!“

Doch Ashraf erwartete jeden Moment die Männer des Colonels zu sehen: „Die lassen uns doch nie so einfach hier rausspazieren! Und dann haben sie dich auch noch geschnappt und wir sitzen beide hier! Und wie kommen wir dann raus?“

„Stell dich nicht so an, die Wachen schlafen alle tief und fest. Dies ist hier schließlich eine ganz gewöhnliche Polizeistation und nichts anderes.“ Wo Ali recht hatte, hatte er recht. Die gewöhnlichen Polizisten waren bekannt dafür, dass sie es nicht so genau nahmen.

„Aber was ist mit den Männern des Colonels?“, fragte Ashraf. Die würden sich sicher nicht so leicht übertölpeln lassen.

„Einer vor der Tür draußen hat ins Gras gebissen, den Zweiten hier drinnen hab‘ ich niedergeschlagen. Meinst du denn, ich will in den Knast? Los weg hier, bevor der aufwacht“, erklärte Ali mit stolzgeschwellter Brust.

Ashraf konnte sein Glück kaum fassen. Breit grinsend umarmte er seinen Vetter. „Ali, ich habe dich unterschätzt!“

Fast zu leicht kamen die beiden bis zum Ausgang. Dort standen zwei weitere Männer des Colonels, die sich aber so sicher fühlten, dass sie tief in Konversation versunken zwar ein halbes Auge auf die Außenseite der Polizeistation hatten, jedoch der Innenseite keinerlei Beachtung schenkten. Wieso sollte ihnen von innen Gefahr drohen?

„Und wie kommen wir an denen vorbei?“, flüsterte Ashraf fast unhörbar.

Auch daran hat Ali gedacht! Und führte Ashraf in den Hinterhof des Gefängnisses.

In der Dunkelheit erkannte Ashraf ein Seil, das von der Mauer hing. Mithilfe einiger Müllkisten, die in dem dreckigen Hinterhof herumlagen, war es für den sportlichen Ashraf ein Leichtes, die Mauer zu erklimmen. Ali hatte größere Schwierigkeiten, schaffte es letztlich aber auch und Ashraf zog ihn neben sich auf die Mauer.

Ein letzter Blick zurück auf das Gefängnis und schon war er unten. Erleichtert atmete er auf. Gerade wollte er Ali nochmals beglückwünschen, als er einen gurgelnden Laut aus seiner Richtung hörte und danach einen Fall. Er versuchte die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen, konnte aber in der Dunkelheit der Gasse nichts erkennen. „Ali?“, fragte er halblaut.

Doch Ali antwortete nicht.

Hier stimmte etwas nicht. Doch bevor er überlegen konnte, was er tun sollte, wurde er von hinten gepackt. Er merkte noch einen Einstich im Hals und mit dem Gedanken, dass etwas gehörig schief gegangen war, versank alles in Dunkelheit.

2014 - Dubai – Der Colonel

Colonel Abboud tobte.

Er war ein kleiner Mann, mit Ansatz zur Fettleibigkeit, der ständig zu schwitzen schien. Aber er hatte einen wachen Verstand und den Ruf, dass seine Leute unbestechlich waren. Weder mit ihm selbst, noch mit seinen Leuten, war zu spaßen.

Drei Tage lang hatte er die Anreise des Scheichs vorbereitet. Er hatte alle seine Männer gedrillt und halb in den Wahnsinn getrieben, die Zeremonie geplant und höchstpersönlich dafür gesorgt, dass jeder einzelne Knopf der Uniformen seiner eigenen Männer und auch die der örtlichen Polizei poliert war.

So oft kam dieser einflussreiche Mann schließlich auch nicht hierher. Meistens flog er mit seinem Jet direkt nach Alessia, zumindest nach den Informationen, die man sonst so hörte. Deshalb wollte der Colonel, dass dieses Ereignis etwas Besonderes war.

Er kannte den Ruf des Scheichs ganz genau und wusste auch, wie weit sein Einfluss reichen konnte. Angeblich hatte er schon das Leben von Männern vernichtet, nur weil diese ihn nicht mit genügend Respekt behandelt hatten. Sicher war er sich nicht, ob diese Geschichten lediglich erfunden waren oder den Tatsachen entsprachen, aber er wollte keinerlei Risiko eingehen.

Dann kam die erste Hiobsbotschaft: Der Jet war im Eimer. Wechsel auf einen Linienflieger. Voller Touristen! Was für ein Desaster.

Also musste er die ganze Zeremonie vom hinteren Teil des Flugfeldes, das sonst für die Privatflieger reserviert war, nach vorne auf den offenen Teil verlegen. Aus Sicherheitsgründen ein Albtraum.

Und nun berichteten ihm gerade seine Posten im Gefängnis, dass der Attentäter weg war.

Geflohen? Während der Nacht - einfach so? Aus dem Stadtgefängnis?

Und noch schlimmer war, dass seine Leute zuvor kein Wort aus ihm herausbekommen hatten.

Diese Ratte! Aber dem würde er schon helfen. Dies war seine Stadt und er gab ihm drei Tage. Dann hatte er ihn wieder. Er wusste bereits, dass der Vetter des Attentäters mit im Spiel gewesen war. Ein fetter kleiner Händler namens Ali. Aber auch den würde er schnellstens finden.

Er war bloß froh, dass der Scheich bereits abgereist war. Der hätte ihm noch gefehlt. Ein Grausen packte ihn, wenn er daran dachte, dass er ihm diese schlechte Nachricht hätte überbringen müssen. Aber bis er ihn wieder sah, hatte er beide Männer eingebuchtet. Da war er sich sicher.

Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er mit den drei Tagen goldrichtig geschätzt hatte, jedoch hatte er sich die Umstände des Wiedersehens ganz anders vorgestellt.

Als man am Nachmittag Ali mit durchschnittener Kehle fand, begann der Colonel zu ahnen, dass bei dem Ausbruch etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war.

1989 – Zerstörte Zukunft

Scheich Sedat Suekran war den Spuren bis zum Haus von Eleonora und Youssef gefolgt.

Es war seine Idee gewesen, das Gatter der Rebellen zu öffnen. So konnten sie hoffentlich unblutig doch noch die Rebellensiedlung finden. Und sein Plan war aufgegangen. Der drohende Galgen hatte die sieben Menschen so kopflos werden lassen, dass sie auf direktem Weg dorthin geeilt waren. Er und seine Männer mussten lediglich bis zum Morgen warten und dann den nur sehr spärlich verwischten Spuren folgen.

Erst war er überrascht, Rayan nicht ebenfalls dort anzutreffen, doch dann fiel ihm ein, dass der Weg zu Fuß zu weit war, um einen Bewusstlosen zu tragen.

Schnell kam er auf die richtige Idee.

Obwohl die Rebellen völlig überrascht waren, hatte das Ausheben des Rebellenstandorts Zeit erfordert und so war es fast Abend, als er bei dem Haus ankam.

Er fand Eleonora, in Tränen aufgelöst, am Tisch sitzen. „Ich habe alles probiert, aber es war zu spät.“

Und dann sprang sie auf, streckte ihren mageren Zeigefinger in seine Richtung „und du hast ihn umgebracht, schäm dich – du, du Monster, du Mörder!“ Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er begriff – dann eilte er nach draußen.

Dort war Youssef gerade fertig, die letzten Reste Erde auf ein frisches Grab zu werfen, liebevoll richtete er einige Blumen darauf an. Auch ihm liefen die Tränen übers Gesicht.

Als Sedat beim Grab ankam, blickte Youssef ihn mit Verzweiflung an: „Ich hoffe, er hat jetzt Frieden gefunden, neben seiner Mutter“, und er deutete auf das Grab nebenan.

Doch der Erinnerung hätte Sedat nicht bedurft. Ihm war nur zu deutlich bewusst, dass hier seine Frau Miriam, die Mutter von Rayan lag, die bei der Geburt seines zweiten Sohnes Daoud im Alter von gerade einmal 32 Jahren gestorben war. Die Geburt war kompliziert gewesen und Daoud hatte eine Weile keinen Sauerstoff bekommen, weshalb er geistig zurückgeblieben war.

Somit hatten all seine Hoffnungen auf seinem erstgeborenen Sohn Rayan gelegen, und der war nun tot. Genau wie seine Zukunft.

Schluchzend sank er vor dem frischen Grab in die Knie.

2014 - Dubai – Die Fährte aufgenommen

Carina ahnte nichts von den Ereignissen der Nacht im Gefängnis von Dubai.

Sie war noch einen Moment lang ihren Träumen nachgehangen und hatte dann energisch beschlossen, dem Herrn Anwalt doch einen Besuch abzustatten. Was konnte der mehr tun als sie rauswerfen? In ihren schlimmsten Phantasien sah sie einen wütenden Anwalt ihren Chef in München anrufen, oder gar den Verlag verklagen. Aber diese Ideen verwarf sie wieder, obwohl ein kleiner Zweifel blieb.

Das Hotel, in dem sie untergebracht war, lag zentral in der Nähe des Gewürzmarktes. Sie beschloss also erst einmal, zu Fuß loszugehen.

Wie immer stürzte sie sich voller Begeisterung in das Getümmel der arabischen Welt. Diese vielen Gerüche und Farben, die Stände der Händler. Die exotischen Früchte und Speisen, das alles hatte sie schon immer fasziniert, seit sie als Kind mit ihren Eltern zum ersten Mal in einem arabischen Land gewesen war.

So oft es ihr möglich war, machte sie auf der arabischen Halbinsel Urlaub. Ein paar Brocken Arabisch konnte sie voller Stolz auch aufweisen, jedoch längst keine Konversation betreiben.

Selbst an die Aufdringlichkeit der arabischen Männer, die eine gutaussehende blonde Frau mit grünen Augen nur zu gerne ansprachen und zu allerlei Dingen einluden, hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Freundliches, konsequentes Ablehnen und im schlimmsten Fall ein „Ehering“, den sie bei diesen Gelegenheiten immer trug, wirkten Wunder.

Allerdings wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie noch nie ganz alleine unterwegs gewesen war. Es war meist entweder ihr Freund oder eine Freundin mit dabei gewesen. Na das konnte ja heiter werden.

Einen kurzen Moment hing sie dem Gedanken an ihren Freund Stephan nach, der ebenfalls in München wohnte. Oder vielmehr Ex-Freund. Er hatte keinerlei Verständnis für ihre Reise aufgebracht und ihr höhnisch prophezeit, dass sie nach spätestens einer Woche reuevoll wieder zu ihm zurückgekrochen kommen würde. Na dem würde sie schon helfen. Was für ein arroganter, selbstverliebter Egozentriker! Offenbar kannte er sie nach zwei Jahren noch immer nicht gut genug. Denn selbst wenn die Reise schief gehen würde, war Carina viel zu stolz, um ausgerechnet zu Stephan zurückzugehen. Da ging sie lieber zum Betteln auf die Straße. Sie beglückwünschte sich selbst, dass sie seinem Drängen, bei ihm einzuziehen nie nachgegeben hatte. So hatte sie ihre kleine Wohnung in München und somit ihr eigenes Reich und war unabhängig.

Sie riss sich los von dem Gedanken, sie war in Dubai – mitten im Abenteuer und München so weit weg!

Und so widmete sie sich lieber den Waren, die die Händler lautstark um sie herum anboten. Langsam schlenderte sie durch die engen Zeilen zwischen den Ständen. Eigenartigerweise wurde sie weniger angesprochen und belästigt als sonst. Naja, vielleicht bin ich ja mittlerweile über das interessante Alter hinaus? Mit einem kritischen Blick auf sich selbst blieb sie vor einem Spiegel im Bazar stehen. Obwohl sie keineswegs eitel war, war sie doch mit dem Ergebnis zufrieden:

Ihr dunkelblondes, langes Haar im Nacken locker zu einem Zopf gebunden und ein leichtes, weißes Leinentuch auf dem Kopf, dazu die dunkelgrüne Leinenbluse, die ihre Augenfarbe so schön zur Geltung brachte. Mit 1,65 Metern war sie eher klein, aber das war bisher von ihren arabischen Verehrern immer als Vorteil gesehen worden.

Dazu hatte sie eine helle Leinenhose ausgewählt, knöchellang, und passende Sandaletten. Die Kleidung umschmiegte sanft ihren Körper und betonte nicht zu sehr ihre schlanke, sportliche Figur.

In arabischen Ländern war es besser, lieber mehr bekleidet zu sein, als zu viel Haut zu zeigen. Zur eigenen Sicherheit. Den Männern gefiel die wenige Kleidung (und bloße Haut) sicherlich, die so manche Touristin zur Schau stellte, jedoch verstanden sie dies sofort als Einladung. Das konnte zunächst aufregend sein, wurde bald aber lästig.

Aber im Vergleich dazu erheblich schlimmer waren die arabischen Frauen. Vor allem die Älteren. Die warfen einem Blicke zu, die töten konnten. Das hatte sie schon vor Jahren gelernt, als sie naiv mit kurzer Hose und Spaghetti-Trägershirt über einen Basar in Ägypten gegangen war. Nach wenigen Minuten hatte sie sich wie beim Spießroutenlauf gefühlt. Seitdem achtete sie auf ihre Kleidung.

Sie dachte an den Scheich. Warum hatte er sie einfach so angesprochen? Wirklich nur wegen des Artikels? Sie rief sich sein Äußeres wieder in Erinnerung. Sie schätzte ihn auf fast 1,90 Meter. Dazu war seine Figur umwerfend gewesen - diese Muskeln! Und natürlich kamen ihr wieder diese intensiven, dunkelblauen Augen in den Sinn, deren Intensität sie nicht mehr losließ.

Wieso hat ein Araberscheich eigentlich blaue Augen? Er musste ausländische Vorfahren haben, das ist die einzige logische Erklärung. Der schwarze Rollkragen-Pulli hatte hervorragend zu dem dunklen Jackett gepasst und ahnen lassen, dass sich ein durchtrainierter, muskulöser Oberkörper darunter verbarg.

Jemand rempelte sie im Gewühle des Marktes von hinten an und holte sie so in die Realität zurück. Sie konzentrierte sich mehr auf ihre Umgebung, schließlich gab es auf jedem großen Bazar auch eine Anzahl Diebe. Vorsicht war also geboten.

Als sie deshalb die sie umgebenden Menschen besser beobachtete, fiel Carina auf, dass diese zwar öfter ansetzten, sie in der so typischen Art anzusprechen, sich jedoch meist dann schnell abwendeten, um sich anderen Dingen zuzuwenden.

Erst am Ende des Bazars löste ein Juwelier schließlich das Rätsel für die Münchnerin –„Junge Frau, möchten Sie ihre Schönheit nicht mit einer Kostbarkeit unterstreichen? Eine Kette vielleicht? Oder - Sie haben ja bereits eine Kette – dann vielleicht ein paar Ohrringe passend zu Ihrem Halsschmuck dazu? Darf ich?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, streckte er die Hand nach ihrem neuen Amulett aus. Doch noch bevor sie ihren üblichen Protest für diese Fälle äußern und sich abwenden konnte, verharrte die Hand des Händlers in der Luft. Dann zog er auf einmal seine Hand zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt. „Verzeihen Sie bitte, meine Dame, dass ich Sie belästigt habe“ und er verneigte sich vor ihr und verschwand in seinem Laden.

Da fiel es ihr auf einmal wie Schuppen von den Augen. Sie hatte noch immer die Kette mit dem Emblem des Scheichs um den Hals. Ganz wie dieser Mazin es empfohlen hatte, hatte sie diese nicht abgelegt. Weniger, weil sie sich eine Wirkung erhoffte, als vielmehr weil sie das Schmuckstück für einen Glücksbringer auf ihrer Suche gehalten hatte. Sie konnte kaum glauben, dass der Einfluss des Scheichs offenbar so weit reichte.

Aber das konnte ihr nur nützen.

Ein Stück weiter auf der anderen Seite des Marktes fand sie einen Taxistand und gab dem Fahrer die Adresse der Anwaltskanzlei.

Žanrid ja sildid
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