Loe raamatut: «Rayan - Sohn der Wüste», lehekülg 4

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2014 - Dubai – Ausgerechnet ein Anwalt

Bald erkannte sie, dass der Fahrer das Taxi in die noble Gegend der Stand lenkte. Die Straßen wurden noch breiter, sauberer und leerer.

Fast ausschließlich teure Autos waren am Rande geparkt oder überholten sie in viel zu hoher Geschwindigkeit. Mit kostspieligen Wagen Wettrennen zu veranstalten, schien hier zum täglichen Vergnügen zu gehören.

An einem großen, weißen Gebäude mit großen Glasfenstern, dunklen Glastüren und goldenen Türgriffen hielt das Taxi an. Sie bezahlte den Fahrer und stieg aus. Die Umgebung war beeindruckend, der Luxus war überall förmlich zu riechen.

An dem Gebäude, vor dem sie stand, war auf einer schwarzen Marmortafel in goldenen Lettern der Name der Kanzlei angeschrieben.

"Die lassen dich nicht mal zur Tür rein!", dachte sie. Doch jetzt aufzugeben, kam nicht in Frage. Sie wollte es zumindest probieren. Jetzt, wo sie extra hierhergekommen war, würde sie auch nicht mehr umkehren. Sie holte tief Luft und öffnete die Tür. Ein Pförtner nickte ihr lediglich grüßend zu, bat sie, sich einzutragen und danach ging sie unbehelligt auf den Fahrstuhl zu.

Sie fuhr in die oberste Etage, die offenbar komplett vom Anwaltsbüro in Beschlag genommen wurde, wie ihr ein Schild im Inneren des Aufzugs verriet. Als sie aus dem Fahrstuhl trat, fiel ihr zunächst die angenehme Temperatur auf und dann die tiefen teuren Teppiche, die jeden Schritt verschlangen.

An den Wänden hingen Bilder, die wohl den teuren Eindruck unterstreichen sollten. Sie kannte den Künstler nicht und konnte daher den Wert nicht abschätzen. Aber zugegebenermaßen hatte sie auch sonst keine große Ahnung von Kunst.

Eine europäisch gekleidete Dame kam sofort mit einem freundlichen Lächeln auf Carina zu und begrüßte sie auf Englisch: „Wie kann ich Ihnen helfen? Haben Sie einen Termin mit einem unserer Anwälte?“

„Nein, ich habe leider keinen Termin, aber ich würde gerne mit Herrn Taib Riad sprechen, wenn dies möglich ist. Ich habe eine Nachricht für ihn.“

„Ich verstehe – einen Moment bitte.“

Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und telefonierte von dort.

„Es tut mir leid, aber Herr Riad ist gerade auf dem Weg in ein Meeting, Sie möchten bitte die Nachricht bei mir hinterlassen.“

Doch Carina wollte auf keinen Fall den Brief aus der Hand geben. „Das geht leider nicht, sie ist für ihn persönlich.“

Die Dame hob skeptisch die Brauen, blieb jedoch immer noch äußerst zuvorkommend. „Ist es möglich, dass Sie mir mitteilen, von wem die Nachricht für meinen Vorgesetzten ist?“

„Von Scheich Rayan Suekran al Medina y Nayran persönlich“, antwortete Carina etwas stolz.

Der Dame war ihre Überraschung anzusehen, aber sie hatte sich sehr schnell wieder im Griff und fand zu ihrem entwaffnenden Lächeln zurück.

„Einen Moment bitte noch einmal“ – und wieder griff sie zum Telefon. Diesmal jedoch sprach sie länger.

Als die elegante Frau aufgelegt hatte, stand sie auf: „Herr Riad wird Sie nun empfangen, bitte folgen Sie mir.“

Carina konnte ihr Glück kaum fassen und ging eilig hinter der Assistentin her, den Gang zu ihrer Rechten entlang bis zum Ende, um die Ecke und wiederum bis zum Ende. Die Namen an den Büros, die sie passierten, verrieten, dass offenbar mehrere Anwälte für die Kanzlei arbeiteten.

Schon die Tür zu Taib Riads Büro ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Büro größer und wuchtiger war als alle anderen.

Die Dame klopfte und führte Carina dann hinein. Ohne ein weiteres Wort verließ sie anschließend den Raum und schloss die Tür geräuschlos hinter sich. Einen Moment lang fühlte sich Carina verloren in dem großen Raum.

Er sprach sie in grammatikalisch einwandfreiem Englisch mit eindeutig amerikanischem Akzent an. „Guten Morgen. Mein Name ist Taib Riad. Sie haben eine persönliche Nachricht für mich?“ Sowohl seine Stimme als auch sein Blick verrieten, dass er Zweifel hegte. Er musterte sie von oben bis unten, dann blieb sein Blick auf der Kette haften, woraufhin er die Brauen runzelte.

"Ich mag diesen Kerl nicht", schoss es Carina durch den Kopf.

Auch sie musterte ihrerseits ihr Gegenüber. Er war nur etwa einen halben Kopf größer als sie, von sehr schlanker Statur, aber drahtigen Bewegungen. Er war eigentlich nicht einmal unattraktiv, aber der stechende, unstete Blick aus seinen schwarzen Augen lies vermuten, dass mit diesem Mann nicht zu spaßen war, weil er keinerlei Humor besaß.

„Na toll – und der soll mir weiterhelfen? Da friert eher die Hölle ein", dachte Carina bei sich, aber sie sagte nichts und lächelte tapfer weiter.

„Ist dies die Nachricht?“ Fragte er noch einmal höflich und Carina wurde sich bewusst, dass sie ihn sicherlich unhöflich angestarrt und sich außerdem noch nicht einmal vorgestellt hatte.

„Ja das ist sie. Entschuldigen Sie bitte. Mein Name ist Carina Hartmann. Ich bin aus Deutschland.“

Sie reichte ihm den Umschlag.

Er warf einen kurzen Blick auf den Brief und runzelte wieder die Brauen. „Nun, ich kann bestätigen, dass der Brief tatsächlich vom Scheich ist, auch wenn ich den größten Teil der Nachricht nicht verstehen kann. Deutsch vermute ich? Naja, aber offenbar ist wohl auch eher der letzte, arabische Absatz an mich gerichtet, was?“

Wieder blickte Taib sie abschätzend an, als wollte er ihre Gedanken lesen. „Der Scheich ist einer unserer besten Klienten und außerdem ein Freund. Ich vertrete ihn in vielen Dingen. Der arabische Satz, sollten Sie ihn nicht ohnehin selbst übersetzt haben, heißt, dass ich freundlich zu Ihnen sein und Ihnen Fragen beantworten soll – Fragen worüber Miss Hartmann?“ Der letzte Teil klang mehr nach Verhör als nach „freundlicher Unterstützung“.

Carina seufzte: „Tja, also, ich bin Autorin und schreibe ein Buch über ihn und … na ja …“

„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“ Er gab ein unfreundliches Lachen von sich.

„Und Sie glauben, ich beantworte Ihnen auch nur eine einzige Frage? Damit Sie dann hinterher irgendwelchen Schund über den Scheich schreiben können?“ Er lachte wieder ohne Humor.

„Naja, offenbar glaubte er, Sie würden mir Fragen beantworten, sonst hätte er mich ja kaum zu Ihnen geschickt, nicht wahr? Denn das sind doch wohl Ihre Adresse und IHR Name, die da in seiner Handschrift auf dem Brief geschrieben stehen?“ Carina wurde langsam ärgerlich.

Die Antwort war ein arabischer Fluch, der wohl etwas Ähnliches bedeutete wie „er muss den Verstand verloren haben“.

Er griff zum Telefonhörer und telefonierte kurz.

„Ich habe gerade meine Konferenz um eine halbe Stunde verschoben. Also, was kann ich für Sie tun und was haben Sie mit ihm gemacht, dass er Sie überhaupt erst zu mir schickt?“

Er sah dabei eher aus, als wollte er sagen „und was habe ich gemacht, dass ich das verdient habe.“

Das darauffolgende Gespräch brachte für Carina trotz aller noch so geschickten Fragen nicht viele Neuigkeiten. Einzig die Thematik der Herkunft der blauen Augen des Scheichs beantwortete der Anwalt offen: dass diese von seiner deutschen Großmutter stammten. Daher auch die einwandfreie deutsche Aussprache, er ist zweisprachig aufgewachsen. Ja, seine Großmutter lebte noch, und zwar in Zarifa.

Wo genau befinde sich denn Zarifa?

- Tief in der Arabischen Wüste.

Warum gäbe es keine Bilder davon?

- Weil der Scheich seine Privatsphäre schätzt.

Aber es müsse doch Reporter geben, die versucht haben, Bilder zu machen?

- Paparazzi? Dies sei ihm nicht bekannt.

Interessant war lediglich noch die Verabschiedung des Anwalts: Er ließ sich „aus Sicherheitsgründen“ ihren Ausweis geben und machte Kopien von beiden Seiten. „Mist, jetzt hat er alle meine Daten.“

„Diese Kopien, verehrte Miss Hartmann, habe ich gemacht, damit ich Sie jederzeit wieder finde. Überall.“ Er hielt einen Moment lang inne und ließ das letzte Wort als das wirken, was es war: eine Drohung.

Dann fuhr er fort. „Und ich möchte gleich betonen, dass jedes Buch, das über den Scheich erscheinen sollte, vorher detailliert mit ihm abgesprochen sein muss, sonst verklagen wir Sie, Ihren Verlag, den Verleger, Übersetzer und wer sonst noch beteiligt ist, bis auf den letzten Cent. Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht erleben - Haben wir uns verstanden?“ Auch diesmal war der letzte Satz eindeutig eine Drohung.

Carina würdigte ihn keiner Antwort und auch die Verabschiedung fiel entsprechend kühl aus.

Sie musste ein wenig lächeln, als ihr wie aus heiterem Himmel der Gedanke kam, dass auf den lieben Taib Riad die Kette wohl keinen Einfluss gehabt zu haben schien.

Sie irrte sich, denn die Kette war der Grund, warum sie überhaupt ins Gebäude gelassen worden war … sobald sie dem Pförtner den Rücken zugekehrt hatte, hatte der in der Kanzlei angerufen und den Besuch angemeldet. Aber das erfuhr sie erst einige Monate später.

Wieder zurück im Sonnenschein und der sengenden Hitze, setze sie sich in ein Café, bestellte sich eine der leckeren, arabischen Süßspeisen und dachte über das Gespräch nach.

Was sollte sie jetzt tun? Recht viel Neues hatte das Gespräch nicht ergeben, also wo sollte sie weiter forschen?

Ihren ursprünglichen Plan, die arabischen Ämter abzuklappern, hatte sie lange verworfen. Damals hatte sie auf eine Spur gehofft, aber eigentlich nicht wirklich geglaubt, in so kurzer Zeit so nah dran zu sein.

Dieser verdammte Anwalt. Sie zog ernsthaft in Erwägung zu warten, bis er aus dem Haus kam, um ihn dann zu verfolgen. Aber sie verwarf den Gedanken recht schnell wieder. Einerseits glaubte sie nicht, dass er sie zu einer weiteren Person aus dem Kreise des Scheichs führen würde, andererseits hatte sie seine Drohung noch in den Ohren und sie war sich bewusst, dass dies keine leere Drohung gewesen war.

Das Letzte, was Carina brauchte, war, dass ihr Chef eine Anzeige am Hals hatte und seine Mitarbeiterin aufforderte, wieder zurück nach München zu kommen.

1989 – Zarifa - Ein einsamer Weg

„Du weißt, dass es keinen anderen Weg gibt, mein Liebling?“ Eleonora blickte ihrem Enkel traurig in die Augen. „Hier bist du viel zu gefährdet, dass er dich eines Tages doch sieht und was dann passiert, das weiß nur Allah.“

Rayan nickte zögernd. Er hatte seine Sachen bereits gepackt.

Seit seinem „Tod“ waren sechs Monate vergangen, die er Stück für Stück genutzt hatte, seine Kräfte wieder voll herzustellen.

Es war tatsächlich so, wie Eleonora in der ersten Nacht bereits befürchtet hatte: Sein Rücken war eine hässliche Erinnerung an diesen fürchterlichen Tag.

Schlimmer jedoch als die äußerlichen Narben, waren die Innerlichen. Sein eigener Vater hatte ihn nicht nur foltern, sondern auch noch zum Tode verurteilen lassen! Und trotz des Nebels, der ihn umgeben hatte, konnte er sich noch an die Reaktion erinnern, die er auf seine flehentliche Bitte um Hilfe bekommen hatte: eine weitere Ohrfeige.

Von der Finte seines Vaters, um auf der einen Seite sein Gesicht zu wahren und auf der anderen das Leben seines Sohnes zu retten, wusste er nichts. Er hatte lediglich erfahren, dass fast alle seine Freunde erwischt worden waren und nahm an, dass sie tot wären.

Auch, dass der Mann, den er Scarface getauft hatte, tot aufgefunden worden war, wusste er nicht. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Jeder dachte, es wäre den Rebellen bei der Flucht gelungen, sich an ihrem Peiniger zu rächen.

Und so fühlte Rayan sich hilflos und allein. Bis auf seine Großeltern war ihm keinerlei Blutsverwandte mehr geblieben.

Alles hatte sich verändert mit dem Tod seiner Mutter vor fast neun Jahren.

Er gab sich einen Ruck – Schluss mit dem Selbstmittleid. Er war am Leben und kräftig und gesund. Er wusste, dass seine Großmutter recht hatte und er hier nicht mehr länger bleiben konnte. Wer weiß, was sein Vater ihr und Großpapa Youssef antun würde, wenn der Schwindel aufflog?

Und so machte er sich drei Wochen nach seinem 16. Geburtstag alleine auf den Weg in eine unbekannte Zukunft.

Er war jetzt ein Ausgestoßener, ein Mann ohne Heimat.

2014 - Dubai – Eine neue Spur

Was Carina schließlich weiter half, war purer Zufall.

Sie hatte wieder ein Taxi genommen, das sie in der Nähe ihres Hotels am Markt absetzte.

Wenn sie schon hier festsaß, wollte sie wenigstens das Beste draus machen und die Schätze des Marktes erkunden.

Bald war sie im Trubel gefangen und wieder packte sie die Faszination für dieses Land.

Als die Münchnerin sich an einem Stand etwas Kühles zu trinken kaufte, hörte sie neben sich ein Paar begeistert über ein Ereignis schwärmen, das sie wohl am Morgen erlebt hatten. Ihrem Akzent nach waren es Engländer.

Da Carinas Englisch ganz passabel war, konnte sie nicht umhin, einige Brocken des Gespräches mitzuverfolgen. Als sie die Worte Reiter, Pferde und Gewehre hörte, horchte sie auf.

Sie sprach die beiden an, die ihr bereitwillig Auskunft gaben:

Man hatte ihnen im Hotel empfohlen, als besonderes Highlight auch den Karawanen-Sammelplatz vor den Toren der Stadt zu besichtigen. Besonders am frühen Morgen sei das Treiben dort faszinierend.

So waren sie am heutigen Morgen dort hingegangen und wären Zeuge des Aufbruchs einer Reiterschar gewesen, die sich nicht wie sonst üblich auf Kamelen, sondern auf wunderschönen, arabischen Pferden auf den Weg in die Wüste gemacht hätten. Man hatte gemunkelt, dass das die Männer eines wichtigen Scheichs gewesen seien.

Das sei ein Anblick gewesen – herrlich!

Die vielen tollen Tiere, aber auch ihre stolzen Reiter!

Und da wusste Carina, wo sie als Nächstes hin musste …

2014 – Dubai – Unerwartete Hilfe

Sie hatte die beiden, die tatsächlich aus England waren und hier zwei Wochen Urlaub verbrachten, noch nach dem Weg zum Karawanenmarkt gefragt.

Wie sich herausstellte, war die Strecke, die sie bis dorthin zurücklegen musste nicht weit. Sie kam 20 Minuten später dort an.

Carina brauchte eine Weile um sich zurechtzufinden, doch bald hatte sie herausgefunden, dass es zwei unterschiedliche Gruppen von Menschen dort gab:

Diejenigen, die ihr als Ausflug einen Tagesritt oder Ausfahrt mit dem Jeep in die Wüste anbieten wollten und diejenigen, die gerade damit beschäftigt waren, einen ernsthaften Ritt in die Wüste vorzubereiten.

Problematisch war, dass es in der letzteren Gruppe, die für sie ja die Interessante war, kaum Personen gab, die sich mit ihr abgeben wollten oder die gar mit ihr sprachen. Zum einen Teil, weil sie eine Frau war, zum anderen Teil, weil die Araber schlichtweg kein Deutsch oder Englisch verstanden.

Sie wollte die Suche schon aufgeben, da geriet sie an einen Mann, der sich als sehr hilfsbereit herausstellte. Er sprach ein fehlerbehaftetes, aber verständliches Englisch und erzählte ihr, er wolle noch am gleichen Abend aufbrechen, auf Pferden, weil diese schneller waren als Kamele.

Ja, alle Karawanen mussten zunächst in die Oase von Wahi, denn in der Wüste würde man immer der Spur des Wassers folgen. Er könne sie bis zur Oase mitnehmen. Da sie in einem kleinen Trupp ritten, wären sie schneller als jede Karawane, die mit vielen Kamelen entsprechend langsam war.

Carina konnte ihr Glück kaum fassen! Der Mann war ihr trotz seiner freundlichen Worte zwar nicht wirklich sympathisch, irgendwie wirkte er nicht echt. Aber sie schob das auf die Tatsache, dass er ihr Geld wollte.

Als sie bereits Details besprochen hatten und über den Preis feilschten, platzte plötzlich ein temperamentvoller, rundlicher Araber dazwischen. Eine heftige Diskussion auf Arabisch folgte, woraufhin sich ihr Wüstenführer ganz schnell und ohne Gruß davon machte.

Mit offenem Mund starrte sie ihm hinterher. Sie konnte es nicht fassen! Wo ging er hin?

Auf einmal wurde sie des anderen Mannes gewahr, der anfing, sie in Englisch anzugreifen: „Sind Sie eigentlich wahnsinnig? Haben Sie eine Ahnung, wer das war? Einer der bekanntesten Mädchenhändler hier in der Gegend! Der hätte Sie nie nach Wahi gebracht, sondern in den nächsten Harem! Es gibt hier genügend reiche Araber, die viel Geld für eine blonde, attraktive Frau bezahlen würden!“

Der Ausbruch wurde von wilden Gesten und Kopfschütteln begleitet.

Carina bekam einen roten Kopf – ein Mädchenhändler? Wirklich? Ein Schauer rannte ihr den Rücken hinunter. Wenn das stimmte?!

Aber dann fand sie erstmal ihre Worte wieder: „Wer sind Sie?! Und warum sollte ich ausgerechnet Ihnen glauben?! Vielleicht haben Sie gerade meine einzige Chance vertan. Was haben Sie ihm eigentlich erzählt, dass er so schnell verschwunden ist?“

Der Mann wurde etwas verlegen: „Ich habe ihm gesagt, dass Sie meine Ehefrau sind und ihn auf Ihren Ring am Finger hingewiesen. Sie würden mir weglaufen wollen und er solle sich schnell davon machen, bevor ich die Polizei rufe. Das hat gewirkt. Tut es immer. Ehemänner werden hierzulande respektiert.“ Er grinste frech.

Carina wusste nicht, ob sie lachen oder böse sein sollte. Dann fragte sie nochmals: „Und warum sollten Sie mir helfen wollen?“

Er deutete auf ihre Kette: „Wegen des Amuletts. Ich mache schon seit Jahren gute Geschäfte mit Scheich Suekran al Medina und diese Geschäftsbeziehung will ich mir nicht verscherzen. Wenn er es Ihnen erlaubt, sein Emblem um den Hals zu tragen, müssen Sie ihm wichtig sein. Also sind Sie auch mir wichtig.“

„Dann helfen Sie mir wenigstens! Ich muss ihm nach. Ich heiße übrigens Carina Hartmann. Aus Deutschland.“

„Und mein Name ist Hatem – ich bin wie gesagt Händler hier, seit einigen Jahren bereits. Mein Laden ist gleich dort drüben.“ Er deutete auf einen Laden nur wenige Meter weiter.

„Von dort aus habe ich Sie mit diesem … Abschaum beobachtet", fuhr er fort. „Sie können froh sein, dass ich gerade nichts zu tun hatte und vor meinem Laden saß.“

Und dann fragte er: „Wem wollen Sie unbedingt hinterher?“, und Carina antwortete etwas ungeduldig: „Dem Scheich.“

Wenn sie gedacht hatte, Hatem zu beeindrucken, hatte sie sich jedoch geirrt. Er lachte. Und lachte. Dröhnend, als ob er den besten Witz aller Zeiten gehört hatte.

„Sie müssen wahnsinnig sein. Zu viel Hitze.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen, die ihm vor lauter Lachen übers Gesicht rannen und machte eine eindeutige, kreisende Bewegung mit seiner rechten Hand auf Höhe seiner Schläfe.

Carina war wütend – was bildete der Straßenhändler sich eigentlich ein?! Beleidigt drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und ging forschen Schrittes davon.

Hatem hatte aufgehört zu feixen und kam ihr nach. Er hielt sie am Handgelenk fest und zwang sie so, stehen zu bleiben.

„Hören Sie! Sie haben keine Ahnung, auf was Sie sich da einlassen. Die schneiden Ihnen den Hals auf, bevor Sie auch nur nahe genug heran sind, um zu sagen, was Sie wollen.“

„Ach ja?“ fauchte Carina. „Ich denke dieses tolle Amulett hier wirkt Wunder? Wieso sollten Sie mir dann den Hals aufschneiden?“

Jetzt dachte Hatem einen Moment lang nach. „Da haben Sie natürlich recht. Ok. Aber was wollen Sie denen denn sagen? Glauben Sie, Sie kriegen so einfach eine Audienz beim Scheich?“

„Ja! Ich habe ihn gestern erst kennengelernt. Und wissen Sie was? Ich habe ihm das Leben gerettet! Ihr Wüstenleute liebt doch diesen Begriff der Lebensschuld so sehr! Also! Das ist mein Plan. Helfen Sie mir nun?“

Hatem war beeindruckt. Auch er hatte natürlich die Gerüchte über den Anschlag auf das Leben des Scheichs gehört. Nachdem sie die Kette um den Hals hatte, schien die Geschichte, die sie ihm erzählte, zu stimmen.

Aber dann dachte er weiter nach: „Trotzdem. Was wollen Sie bloß dort? Was glauben Sie denn, was die Reiter tun sollen? Sie mitnehmen? Wohin? Nach Zarifa? Mitten ins tiefe Herz der Rub’al Khali - Wüste? Mit Sicherheit nicht! Haben Sie nicht gehört, dass Fremde dort keinen Zugang haben?“

So genau hatte Carina darüber noch gar nicht nachgedacht. Aus einem Impuls heraus sagte sie deshalb: „Nein, nicht den ganzen Weg bis nach Zarifa, aber immerhin einen Teil der Strecke. Bis ich genug Info für mein Buch über ihn gesammelt habe!“

Hatem gab ein abfälliges Geräusch von sich: „So? Ein Buch schreiben Sie? – na, das wird den Scheich aber freuen. Wie ich gehört habe, liebt er Publicity.“ Seine Stimme triefte vor Hohn.

Carina reichte es jetzt mit diesem aufdringlichen Fremden: „Wissen Sie was? Ich brauche Sie nicht. Ich habe Sie auch nicht eingeladen, mir zu helfen.“ Sie wollte sich schon wieder abwenden, um zu gehen, als ihr noch etwas einfiel, was sie als Trumpf ausspielen konnte:

„Ihr Volk glaubt doch an Schicksal, oder? Nun ich auch! Oder glauben Sie wirklich, dass es Zufall sein kann, dass ausgerechnet ich, die ich aus München in Deutschland hierher reise, um Informationen über den Scheich zu sammeln, ihn im Flieger kennen lerne? Von München hierher - Zufall? Und auch noch sein Leben rette? Wie ich gehört habe, fliegt er sonst immer mit seiner Privatmaschine, doch die war kurzfristig kaputt!“ In Gedanken dankte sie dem unsympathischen Anwalt, der ihr dieses Detail verraten hatte. „Alles Zufall? Wenn Sie das glauben, dann ok. Ich glaube, dass es Allahs Wille war!“

Sie hatte zwar etwas dick aufgetragen, merkte aber, dass sie einen Treffer gelandet hatte.

„So, nun wünsche ich Ihnen noch schöne weitere Geschäfte! Ich habe zu tun, einen Weg zu finden, ihm nachzureisen.“

Hatem merkte, dass sie tatsächlich an das glaubte, was sie da sagte und er sie auf keinen Fall von ihrer fixen Idee abhalten konnte.

Plötzlich änderte Carina ihre Taktik: „Kennen Sie eigentlich den Scheich persönlich?“ Hatem schüttelte den Kopf. Er hatte bisher immer nur mit seinen Männern zu tun gehabt, nie mit ihm persönlich. „Ich verhandle immer mit einem Mann namens Mazin. Er ist der Kontaktmann des Scheichs hier in Dubai. Warum?“

„Würden Sie ihn denn nicht gerne kennenlernen?“

Hatem ertappte sich dabei, dass ihn die ganze Geschichte reizte. Wenn er diese wildgewordene Dame nicht mit etwas betäuben und in einem Zimmer einsperren wollte, musste er ihr irgendwie helfen, damit sie nicht wieder an die falschen Leute kam.

Er erwog einige Sekunden lang noch einmal die doch verlockende Idee, die Frau einfach außer Gefecht zu setzen, aber er hatte Angst, was sie hinterher tun würde. Die Polizei hier verstand keine Witze in solchen Fällen, vor allem, wenn es sich um eine Touristin handelte.

„Also gut, hören Sie zu. Morgen früh geht hier eine Karawane los. Wie Sie von Ihrem sauberen Freund vorhin schon gehört haben, müssen tatsächlich alle, ob mit dem Pferd oder dem Kamel, via Wahi reiten. Ich schaue einmal, ob ich etwas für Sie arrangieren kann. Aber ich verspreche nichts!“

Und die beiden verabredeten sich für den Abend. Carina sollte kurz vor Einbruch der Dunkelheit noch einmal zu ihm an den Laden kommen.

Žanrid ja sildid
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