Loe raamatut: «Ein Briefwechsel»
Vor einigen Jahren besuchte ich Dresden. Vom Morgen bis zum Abend die Stadt durchstreifend, hatte ich keine Veranlassung, mit der Gesellschaft des Hotels, welches ich bewohnte, Bekanntschaft zu machen, bis ich eines Tages zufällig erfuhr, daß in demselben eine Russe krank darniederliege. Ich begab mich zu ihm und fand in ihm einen Menschen, bei dem die Schwindsucht schon den höchsten Grad erreicht hatte. Ich war der Stadt nachgerade überdrüssig geworden und so ließ ich mich bei meinem neuen Bekannten häuslich nieder. Es ist zwar langweilig, einem Kranken Gesellschaft zu leisten, zuweilen jedoch ist auch die Langeweile angenehm; zudem war mein Kranker guten Muthes und immer zur Unterhaltung ausgelegt. Wir waren beide bemüht, uns die Zeit so gut es ging zu vertreiben, spielten Schafskopf und machten uns über den Doktor lustig. Mein Landsmann erzählte diesem deutschen Kahlkopf verschiedene Mährchen über seinen Zustand, welchen Jener stets längst vorhergesehen haben wollte, äffte ihm nach, wenn er sich über irgend ein außergewöhnliches, unerhörtes Symptom wunderte, warf seine Arzneien zum Fenster hinaus und dergleichen mehr. Ich bemerkte meinem Freunde zu wiederholten Malen, daß er gut thun würde, bei Zeiten einen erfahrenen Arzt zu consultiren, daß mit seiner Krankheit nicht zu spaßen sei u.s.w. Alexei aber (mein Bekannter hieß Alexei Petrowitsch S . . .). fertigte mich immer nur mit Witzen über die Aerzte im Allgemeinen und über den seinigen insbesondere ab, bis er einst an einem regnigten Herbstabende auf meine wiederholten dringenden Bitten mit einem so hoffnungslosen Blick, einem so traurigen Kopfschütteln und einem so seltsamen Lächeln antwortete, daß ich einigermaßen darüber erschrak. In derselben Nacht verschlimmerte sich sein Zustand und am anderen Tage starb er. Kurz vor seinem Tode verließ ihn seine gewohnte Heiterkeit, er warf sich unruhig auf dem Bette hin und her, seufzte schwer, blickte wehmüthig um sich, ergriff meine Hand und mit Anstrengung flüsternd: »Es ist doch schwer, zu sterben,« ließ er den Kopf in die Kissen sinken und brach in einen Strom von Thränen aus. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und saß schweigend an seinem Lager. Bald aber besiegte er auch diese letzte Schwäche. »Hören Sie »sagte er, »unser Doktor wird heute kommen und mich nicht mehr am Leben finden, ich kann mir seine Grimasse bei dieser Entdeckung vorstellen!« – und noch in diesem letzten Augenblicke versuchte er, die verwunderte Miene des Doctors nachzuäffen. Dann bat er mich, alle seine Sachen nach Rußland an seine Verwandten zu schicken, mit Ausnahme eines kleinen Päckchens, das er mir zum Andenken schenke.
In diesem Päckchen befanden sich Briefe, Briefe eines jungen Mädchens an Alexei und Abschriften der seinigen an dieselbe, im Ganzen waren ihrer fünfzehn. Alexei Petrowitsch S. . . kannte Maria Alexandrowna B. . . seit langer Zeit, wie es scheint, schon seit der Kindheit. Er hatte einen Vetter und sie eine Schwester. In früheren Jahren hatten sie Alle zusammen gelebt, darauf sich getrennt und sich lange nicht wiedergesehen; später aber hatten sie sich, bei einem Sommeraufenthalte auf dem Lande, zufällig wieder zusammengefunden und in einander – der Vetter Alexei‘s in Maria Alexandrowna, Alexei aber in deren Schwester – verliebt. Der Sommer verstrich, der Herbst kam und sie trennten sich von Neuem. Alexei überzeugte sich als verständiger Mann bald, daß er gar nicht verliebt sei, und gab seine Schöne ganz wohlgemuth auf; sein Vetter stand noch beinahe zwei Jahre im Briefwechsel mit Maria Alexandrowna, kam jedoch endlich auch zu der Einsicht, daß er sich und sie betrüge, und verstummte ebenfalls.
Ich könnte Dir, lieber Leser, Allerlei von Maria Alexandrowna erzählen, Du wirst sie aber selbst aus ihren – Briefen kennen lernen. Alexei schrieb ihr seinen ersten Brief bald nach dem Bruch zwischen ihr und seinem Vetter. Er befand sich damals in Petersburg, reiste von dort plötzlich in’s Ausland, wurde krank und starb, wie schon gesagt, in Dresden. Ich habe mich entschlossen, seinen Briefwechsel mit Maria Alexandrowna dem Druck zu übergeben und hoffe auf einige Nachsicht des Lesers, schon deshalb, weil es keine Liebesbriefe sind – Gott bewahre mich vor solchen! Liebesbriefe werden gewöhnlich nur von zwei Personen – dafür freilich tausendmal nach einander – gelesen, jedem Dritten aber sind sie unerträglich, wenn nicht gar lächerlich.
I.
Alexei Petrowitsch an Maria Alexandrowna
St. Petersburg, den 7. März 1840.
Liebe Maria Alexandrowna!
Wenn ich nicht irre, habe ich Ihnen noch niemals geschrieben, jetzt aber thue ich es . . . nicht wahr, ich habe einen seltsamen Zeitpunkt dazu gewählt? Was mich dazu veranlaßt, ist Folgendes: Mon cousin Théodore besuchte mich heute und, wie soll ich es ausdrücken. . . und theilte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit (anders theilt er überhaupt Nichts mit) . . . daß er in die Tochter eines gewissen hiesigen Herren verliebt und dieses Mal durchaus entschlossen sei, zu heirathen; er habe auch schon den ersten Schritt dazu gethan und – sich erklärt. Natürlich beeilte ich mich, ihm zu einem so erfreulichen Ereigniß zu gratuliren. Man hat ihm schon lange eine solche Absicht angesehen; dennoch aber verwunderte ich mich im Stillen einigermaßen darüber, denn, obgleich ich wußte, daß zwischen Ihnen und ihm Alles zu Ende sei, schien es mir doch . . . mit einem Worte, ich verwunderte mich. Ich hatte mir vorgenommen, heute auszufahren, bin aber zu Hause geblieben, um mit Ihnen zu plaudern. Wenn Sie mich nicht anhören wollen, so werfen Sie diesen Brief,sogleich in’s Feuer. Ich verspreche, Ihnen aufrichtig zu sein, und obgleich ich fühle, daß Sie das volle Recht haben, mich für einen ziemlich zudringlichen Menschen zu halten, bitte ich Sie, wenigstens davon überzeugt zu sein, daß ich die Feder nicht zur Hand genommen haben würde, hätte ich nicht gewußt, daß Ihre Schwester nicht bei Ihnen ist. Sie wird, wie Theodore mir sagt, den ganzen Sommer bei Ihrer Tante, der Frau B. . . zubringen. Gott schenke ihr alles mögliche Glück!
Das also wäre das Ende vom Liede . . . Meinerseits aber will ich Sie nicht jetzt meiner Freundschaft versichern; überhaupt liebe ich keine hochtrabenden Redensarten und Gefühlsergüsse, und indem ich diesen Brief an Sie richte, folge ich einfach einer augenblicklichen Eingebung. Sollte unbewußt ein anderer Beweggrund in mir verborgen liegen, so mag er einstweilen in seinem Dunkel verbleiben.
Ich will Sie auch nicht zu trösten suchen. Die Menschen wollen größtentheils, indem sie Andere trösten, sich nur so schnell als möglich von dem unangenehmen Gefühle eines unfreiwilligen, selbstsüchtigen Mitleids befreien . . . Es giebt ohne Zweifel auch ein aufrichtiges, warmes Mitgefühl, aber dieses nimmt man nicht von einem Jeden entgegen. Es wäre mir lieb, wenn Sie mir zürnen würden, denn dann würden Sie mein Schreiben wahrscheinlich bis zu Ende lesen.
Doch welches Recht habe ich, Ihnen zu schreiben, von meinen Gefühlen, vom Troste zu reden? – Keines, gar keines, ich muß es bekennen, und kann daher nur auf Ihre Nachsicht bauen.
Wissen Sie, womit der Eingang meines Briefes zu vergleichen ist? Er ist, wie wenn ein Herr N. N. in den Salon einer Dame tritt, welche durchaus nicht ihn, möglicherweise aber einen Anderen erwartet hat; er merkt, daß er zu keiner gelegenen Zeit gekommen ist, doch es ist nun einmal nicht zu ändern . . . Er setzt sich, beginnt die Unterhaltung . . . Gott weiß, worüber, über die Poesie, die Schönheiten der Natur, die Vortheile einer guten Erziehung . . . mit einem Worte, er schwatzt den größten Unsinn. Inzwischen ist man über die ersten Minuten, hinweggekommen, er hat sich’s in seinem Stuhl bequem gemacht, – die Dame ergiebt sich in ihr Schicksal, und siehe da, Herr N. N. gewinnt seine Gemüthsruhe wieder, schöpft frischen Athem und beginnt zu reden, so wie er’s , eben versteht.
Mir ist indeß, ungeachtet aller dieser Raisonnements, nicht gerade wohl zu Muthe. Ich sehe vor mir Ihr bedenkliches, ja fast erzürntes Gesicht und fühle, daß es Ihnen fast unmöglich ist, in meinem Briefe nicht irgend welche verborgene Absicht zu vermuthen; daher hülle ich mich, wie ein Römer, der eine Dummheit begangen hat, majestätisch in meine Toga und erwarte schweigend Ihr allendliches Urtheil . . . und zwar insbesondere darüber, ob Sie mir gestatten wollen, daß ich fortfahre, Ihnen zu schreiben?
Ich verbleibe Ihr aufrichtiger und treuergebener
Alexei S . . .
II.
Maria Alexandrowna an Alexei Petrowitsch
Dorf . . ., den 22. März 1840.
Geehrter Herr Alexei Petrowitsch!
Ihren Brief habe ich empfangen und weiß in Wahrheit nicht, was ich dazu sagen soll. Ich würde Ihnen gar nicht geantwortet haben, hätte es nicht den Anschein, als ob sich hinter Ihren Scherzen wirklich ein ziemlich freundschaftliches Gefühl verberge. Ihr Brief hat auf mich einen unangenehmen Eindruck gemacht. Als Antwort auf Ihre »Raisonnements« wie Sie sich ausdrücken, gestatten Sie mir ebenfalls eine Frage: wozu? Welchen Theil haben Sie an mir? welchen ich an Ihnen? Ich setze bei Ihnen durchaus keine schlechten Absichten voraus, im Gegentheil, ich bin Ihnen für Ihre Theilnahme dankbar, aber wir sind einander fremd, und ich fühle, jetzt wenigstens, nicht das mindeste Verlangen, mich irgend Jemandem zu nähern.
Mit wahrer Hochachtung verbleibe ich u.s.w.
Maria B. . .