Loe raamatut: «Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto», lehekülg 5
Tauron verdrehte die Augen und wandte sich an seinen Kapitänsanwärter. „Elende Landratten sind das. Es wird Monde dauern, bis die den Unterschied zwischen abtakeln und abseilen kapieren.“
Gardwain Arkos schüttelte lächelnd den Kopf und machte sich daran, die Matrosen an ihre Plätze zu scheuchen. „Los los los! Ich seh’ hier noch keinen schwitzen!“
„Taue lösen!“, brüllte Tauron, während er, zwei Stufen auf einmal nehmend, zum Poopdeck hochsprang. „An die Riemen! Bringt dieses prachtvolle Weib auf die See hinaus!“
„Aye Käpt’n … Admiral!“
„Das will ich doch meinen. Sobald wir durch das Hafentor sind, Formation einnehmen!“
Tauron ließ seine Augen über den Pier gleiten. Hände und Taschentücher gingen nach oben und flatterten den aus dem Hafen gleitenden Schiffen hinterher. Zurückgelassene Ehefrauen und -männer verabschiedeten sich in traditioneller Manier – manche von ihnen mit ihren Kindern an der Seite. Irgendwo zwischen all den Leuten, da war er sich ziemlich sicher, stand auch die Kleine, mit der er sich gestern Nacht die Zeit vertrieben hatte, was recht vergnüglich, aber nicht sonderlich nachhaltig gewesen war. Ihm selbst war ganz und gar nicht nach Abschiedsschmerz oder gar Tränen zumute. Vor ihm stand das größte Abenteuer, die größte Herausforderung, der er sich je gestellt hatte, und er liebte Herausforderungen.
„Ho sing ich, wenn ich die Segel hisse“, brummte er und stützte sich mit dem Ellbogen auf das Geländer des Poopdecks, von wo aus er einen herrlichen Blick über das Hauptdeck bis hin zum Bug der Meerjungfrau hatte.
„Ho, wenn auf See ich meinen Schatz vermisse“, nahm Gardwain, der gerade an seine Seite getreten war, das alte Seemannslied auf.
„Ho treibt mein Ruf und Wort die Mannschaft an. Ho rufen sie und ziehen die Wanten an.“
Das linke Bein Gardwains begann zu wippen und der Stiefelabsatz schlug einen rasanten Rhythmus an.
„Ho, das Lied der See ist meine liebste Weise, und keine Frau der Welt verdirbt mir diese Scheiii … fenblase.“ Einmal breit gegrinst, einmal tief Luft geholt und der Kapitänsanwärter fand seinen Rhythmus wieder. „Hoja, so lässt sich allen Wettern trotzen, auch wenn uns unsere Köche in das Essen rotzen …“
Und noch während er am Poopdeck sein Liedchen trällerte, fielen die Piraten unten in den Beibooten, wo sie gerade damit begannen, den schweren Schiffsleib der Meerjungfrau auf den Ozean hinausrudern, in den Gesang ein.
„Jaaaaa, das ist es.
Ja, das wollen wir.
Ja, da halten wir zusaaammen!
Das Meer ist unser,
die Weiber können uns,
es gibt auch anderes zum Raaamme … l … n!“
So dröhnte es euphorisch über die Hafenbecken, während das Kommandoschiff, gefolgt von den restlichen neunundneunzig Schiffen der Kommandoflotte, durch den Wassertunnel und das gewaltige Felsentor aufs offene Meer hinausglitt.
Als sie endlich aus dem Hafen waren, lenkte Tauron Hagegard seinen Blick Richtung Horizont.
„Beiboote einholen!“, rief er übers Deck und fühlte, wie der Anblick der endlosen Wasser ihn überwältigte. „Wanten lösen und Segel hissen! Formation einnehmen und Kurs Richtung Nordwesten! Am Ende der Bucht – Kurswechsel Richtung Süden!“
Er zog seinen Admiralshut vom Kopf, ließ ihn um seine Hand rotieren und lächelte.
„Admiral Tauron Hagegard“, murmelte er leise und fuhr sich genießerisch durch sein dichtes braunes Haar. Ja, das ist es.
Als Chara ihren Rucksack in den Winkel ihrer neuen Kajüte geschleudert, ihre Zweililie abgelegt und sich samt Stiefel auf ihr Bett hatte fallen lassen, war ihr, als hätte sich gerade ihr Sargdeckel geschlossen. Eine Tür, eine Truhe, ein kleiner, auf den Planken festgenagelter Tisch und zwei Stühle, zwei Stockbetten … Nok und Iti standen links und rechts der Tür, steif wie zwei jungfräuliche Priester vor ihrer ersten Liebesnacht. Vermutlich fragten sie sich, ob sie heute auch brav ihr Frühstück gegessen und die Drogen rationiert hatte. Überraschend, dass sie nicht täglich ihren Nachttopf prüften, um anhand ihrer Scheiße etwaige Verdauungsprobleme auszuschließen. Auf der anderen Seite der Tür hielten zwei weitere Dad Siki Na Wache. Kurz, ihr Sargdeckel hatte sich geschlossen. Die Segel waren gesetzt, die Luken verriegelt, die Anker gelichtet. Es gab kein Zurück.
„Sik!“, knurrte Nok und machte einen Schritt auf sie zu.
„Was?“, fauchte Chara.
Da war er auch schon neben ihr, zog irgendetwas von ihrem Kopfpolster und wedelte damit vor seiner Nase herum.
„Was ist das?“ Chara setzte sich auf.
„Hoi!“
„Gib her.“ Sie griff nach dem Gegenstand, aber Nok riss ihn an sich.
„He, das lag auf meinem Kopfpolster! Mein Kopfpolster, mein … Ding, alles klar?“
Offenbar stufte Nok den Gegenstand als ungefährlich ein, denn nach einem weiteren, forschenden Blick sagte er „Od!“, drückte ihr diesen in die Hand und verzog sich wieder neben die Tür.
Argwöhnisch öffnete Chara ihre Finger. Ein gläsernes Gefäß dunkelvioletter Farbigkeit kam zum Vorschein, eine kleine, schmale Phiole. Sie war mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt, die etwas dicker als Wasser war, einen Hauch sämiger. Folglich handelte es sich nicht um Gift. Was dann? Eine Art Heiltrank? Mit Heiltränken kannte sie sich nicht aus.
Da war kein Verschluss. Das Glas war verschweißt. Sie hätte die Phiole schon zerschlagen müssen, um an den Inhalt zu kommen. Suchend spähte Chara auf ihr Kissen und fand ein kleines Pergamentröllchen. Sie nahm es an sich und entfaltete es. Es war Al’Jebals Handschrift. Sie erkannte die feine Linienführung sofort.
Du bist mein.
Es war also nicht vorbei. Er mochte sie fortgeschickt haben, und doch ließ er sie nicht gehen.
Dies ist ein Teil von mir. Kehr heil zu mir zurück. Al’Jebal.
Chara hob die Phiole vor ihr Gesicht und kniff die Augen zusammen. Blut … Es war Blut! Nicht irgendeines, es war sein Blut. Und es hatte nur deshalb diese tiefviolette Färbung, weil der Behälter aus indigoblauem Glas war. Rot und Blau … Das Resultat war ein tiefes, sattes, Feuer und Eis einendes Violett.
Sie schloss die Finger fest um die Phiole, ließ sich auf die Matratze fallen und starrte an die Decke. Der Zorn, der sie den ganzen Tag über begleitet hatte, stahl sich auf leisen Sohlen davon.
Kehr heil zu mir zurück …
Chara schob den Unterarm über ihre Augen. „Ich verspreche es.“
Schwarze Segel
Ceaddag, 1. Trideade im Trollmond, 347 nGF – TAG 1
Kühle Temperaturen
Windstärke: 3
Windrichtung: N
Kurs: SW
6 Knoten Fahrt
Zurückgelegte Strecke: 60 VALM
Flotte hat Fahrt aufgenommen. Erhalten Benachrichtigung, dass uns Herkul Polonius Schroeder und seine Schiffe vorläufig folgen werden – als Geleitschutz, als Sicherheitsnetz …
Daradag, 1. Trideade im Trollmond, 347 nGF – TAG 2
Milde Temperaturen
Windstärke: 2
Windrichtung: SW
Kurs: WSW (Kreuzen aufgrund der Windverhältnisse)
2 Knoten Fahrt
Zurückgelegte Strecke: 22 VALM
Die magischen Versetzkreise und Kommunikationszentren auf den Kommandoschiffen sind vollständig eingerichtet und aktiv. Das Expeditionskommando verschickt Nachricht an alle Vizeadmiräle und Kapitäne über den Auftrag dieser Mission: Wir suchen Verbündete. Keine Informationen zu den Einzelheiten und das genaue örtliche Ziel unserer Reise. Bis jetzt wurde nur ich darüber aufgeklärt, dass wir den Großen Abgrund überwinden sollen.
Triudag, 1. Trideade im Trollmond, 347 nGF – TAG 3
Kühle Temperaturen
Windstärke: 2
Windrichtung: O
Kurs: WSW (Kreuzen aufgrund der Windverhältnisse)
4 Knoten Fahrt
Zurückgelegte Strecke: 44 VALM
Keine besonderen Vorfälle.
Catrudag, 1. Trideade im Trollmond, 347 nGF – TAG 4
Kühle Temperaturen
Windstärke: 2
Windrichtung: S
Kurs: WSW (Kreuzen aufgrund der Windverhältnisse)
3 Knoten Fahrt
Zurückgelegte Strecke: 33 VALM
Das Expeditionskommando hält Sitzung. Informationen bezüglich des Großen Abgrunds werden zusammengetragen. Bisher keine hilfreichen Erkenntnisse.
(Logbuch, Tauron Hagegard)
Es war der fünfte Tag auf hoher See, als Tauron am frühen Morgen das Magierquartier im Heck des Mannschaftsdecks verließ und die Treppe zur Steuermannskajüte hochsprang.
Schroeders Nachricht war besorgniserregend. Wenn man es genau nahm, war einiges an dieser Expedition nicht, wie es sein sollte. Wenn das, was ihm das Expeditionskommando erst kürzlich anvertraut hatte, wahr war, gab es da draußen noch unerforschtes Land. Es war einfach nicht zu glauben. Und selbst wenn diese neue Welt tatsächlich existierte, wenn es dort tatsächlich Leute gab, mit denen man reden konnte … Was, wenn sie keine Lust hatten, zu reden? Was, wenn sie mächtiger waren als alle Einwohner Amaleas zusammen?
Tauron zerrte den Knoten seines Kopftuchs fest, während seine Gedanken Haken schlugen.
Kurs Richtung Süden, hatte es geheißen. Über den Abgrund!, hatten sie gesagt. Land finden!, lautete die Devise.
„Ha!“ Als wäre er nicht selbst scharf darauf, die Grenzen dieser Welt zu überwinden. Aber was hatten sie tatsächlich an Hinweisen auf eine Welt außerhalb von Amalea? Geschichten, Mären, Seemannsgarn … Wir haben genug Informationen, hatten sie behauptet. Aber was hatten sie wirklich?
Irgendwelche Vögel, die in den Süden verschwanden und während der kalten Monde wie vom Erdboden verschluckt waren, um im Bärenmond wieder aufzutauchen. Die Geschichte eines Entdeckers, der wohl jedem Piraten ein Begriff war, aber dessen Mären auch niemand glaubte, nicht einmal der Verrückteste unter ihnen. Sanduran der Seefahrer … Klar kannte Tauron den, weil das Buch mit Sandurans Abenteuergeschichten so ziemlich jedem Freibeuter bekannt war. Was da drin stand, war spannend, elektrisierend, aber auch hanebüchener Schwachsinn. Verbrannte Menschen im Süden … Was hatte Sanduran noch erzählt? Er war auf Hühnern so groß wie Gryphen geritten, nachdem er von Wichteln angegriffen worden war, die ihn mit Säuregeschossen attackierten … Na klar!
Doch Chara schien an die verbrannten Menschen zu glauben, ebenso wie Siralen und Lucretia L’Incarto.
Egal. Was auch immer sie da draußen finden würden, jetzt stand Schroeders Warnung an der Tagesordnung und sollten sie dieses Problem nicht lösen, brauchten sie sich keine Sorgen mehr um das Ende der Welt zu machen.
„Kurs halten“, gab Tauron dem Steuermann im Vorübergehen weiter. Ohne auf eine Reaktion zu warten, trat er von der Steuermannskajüte aufs Hauptdeck, sprang die Treppe zum Poopdeck hoch und öffnete die Tür zur Offiziersmesse.
„Wir werden verfolgt!“, schmetterte er, warf die Tür hinter sich zu und unterbrach damit das Frühstück der ehrenwerten Expeditionskommandanten.
Löffel wurden zur Seite gelegt, die Schüsseln mit Hafergrütze zurückgeschoben und alle Köpfe wandten sich ihm zu.
„Schroeders Schiffe …“, gab die hübsche Elfenkommandantin zu bedenken, doch Tauron unterbrach sie.
„Nicht die Schiffe des Admirals. Die Schiffe, von denen ich spreche, haben schwarze Segel.“
„Schwarze Segel?“, hauchte Lucretia und vergaß, den Mund wieder zu schließen.
„Seid Ihr Euch sicher?“, hakte Siralen nach. Tauron schenkte ihr ein Lächeln, lehnte sich gegen den Türstock und spähte zu Chara. Das Schätzchen-Flottenoberkommandantin schob sich doch tatsächlich in aller Ruhe ein Drogenpfeifchen in den Mund. Was soll man dazu sagen?
„Wie viele und wo sind sie?“, fragte sie.
„Elf. Sie folgen uns in einer Distanz von gut hundertzehn VALM.“ Tauron biss sich auf die Lippen. Verdammt.
„Seit wann können wir Schiffe in hundertzehn VALM Distanz ausmachen?“, kam die erwartete Frage.
Siralens schmale Brauen wanderten nach oben. „Ja, Herr Admiral? Wie kommt das?“
Tauron grinste. Meistens grinste er, wenn er sich seiner Sache nicht sicher war. Sollte er die anderen ins Bild setzen? Immerhin handelte es sich um ein streng gehütetes Geheimnis der Piraterie.
„Wir haben da so unsere Methoden …“, bemerkte er vage, doch Charas Blick nagelte ihn fest.
„Ich kenne das magische Artefakt, Tauron. Also raus mit der Sprache. Wir haben diese Seekarte, richtig? Die der Anbari … die Karte, auf der man in einem bestimmten Umkreis Schiffe und ihre Bewegungen ausmachen kann.“
„Stimmt, haben wir. Genauer gesagt, Admiral Schroeder.“ Er klang irgendwie kleinlaut. „Also, wie lauten deine Befehle, Schätzchen?“, schob er betont lässig hinterher.
„Wer kommandiert die letzte Flotte?“
Sein Grinsen löste sich in Wohlgefallen auf. Das sollte sie eigentlich wissen … als Flottenoberkommandantin.
„Hadschif Ibn’Damahr“, erwiderte er.
Chara tauschte einen Blick mit Siralen. Tauron war längst aufgefallen, dass die beiden unterschiedlichen Frauen sich bislang unerwartet einig waren.
„Er soll sich mit Schroeder kurzschließen und die Verfolger zusammen mit seinen Schiffen in die Zange nehmen“, befahl sie, ohne Siralen aus den Augen zu lassen.
Siralen nickte kaum merklich und Lucretia erhob sich würdevoll aus ihrem Stuhl. „Ich werde Stowokor über unser Vorhaben informieren. Er wird Admiral Schroeder kontaktieren und ihm den Plan übermitteln.“
Zugegeben, das war der Vorteil an den Robenträgern. Ihre magischen Versetzkreise machten es möglich, von einem auf das andere Kommandoschiff und damit in alle zehn Flotten zu reisen, ohne dafür die vallandischen Drachenboote bemühen zu müssen – die Informationsmagier unter ihnen hatten außerdem die Möglichkeit, über eingeschränkte Distanzen Kontakt mit anderen Informationsmagiern zu halten. So konnten sie sich auch mit Schroeder absprechen. Sie hatten also den vollen Überblick. Jedenfalls solange sie innerhalb des Wirkungsbereichs der Magie blieben.
„Wo genau befindet sich Schroeder? Zwischen uns und den Verfolgern oder hinter unseren Verfolgern?“, fragte Chara.
„Hinter denen.“
„Dann soll er zu ihnen aufschließen, während die letzte Flotte unter Ibn’Damahrs Kommando auffächert. Und päng! Irgendwelche Einwände?“
Schweigen.
Siralen stand auf, trat vor eines der drei heckseitigen Fenster der Offiziersmesse, und Tauron blieb mit seinem Blick an ihrem wohlgeformten Hintern hängen. Hätte er gerade nichts Dringenderes zu erledigen gehabt, er hätte die Gunst des Augenblicks genutzt und sie angemacht – mit einem lässigen Spruch, einem lasziven Wackeln seiner Brauen … irgendetwas in der Art.
„Klingt nach einem guten Plan“, gab sie Chara recht, und die Flottenoberkommandantin nahm ihn erneut ins Visier.
„Dann hast du deine Befehle. Erteil Ibn’Damahr den Auftrag, seine Schiffe aufzufächern, während Olschewski Schroeder unseren Plan bekannt gibt.“
Im Grunde gab es nichts gegen Charas Anweisungen einzuwenden. Bedenklich war nur, dass sie ihre Vizeadmiräle nicht kannte.
„Gut, Schätzchen“, gab er provokant zurück. Mit einem letzten Blick auf Siralens Hintern drückte er sich vom Türstock ab und verließ zusammen mit der Magierin die Messe.
Siralen musterte die Assassinin. Chara hatte ihre Pfeife zur Seite gelegt, ihren Fuß auf die Sitzfläche gezogen und schien nicht mehr anwesend zu sein. Hinter ihrem Stuhl standen wie in Stein gegossen ihre beiden Leibwachen vom Stamm der Goygoa.
Kurz war Siralen danach, Chara auf ihr Verhältnis zu Al’Jebal anzusprechen, sie danach zu fragen, wie es war, als Assassinin zu dienen. Doch dieses Thema schien privater als man annehmen mochte, und über Privates sprach sie nur mit ihresgleichen. Umso schmerzlicher war es, dass sie Sajan in Isahara verloren hatte.
„Wir benötigen jeder einen Stellvertreter, Chara“, kehrte sie gedanklich in die Messe zurück. „Wir brauchen jemanden, der uns bei einem möglichen Ausfall ersetzen kann.“
Chara räusperte sich. „Ja“, gab sie ihr anteillos recht.
„Man hat mir bereits jemanden empfohlen …“
„Man? Wer hat dir jemanden empfohlen?“
„Ein Mann, auf den die Elfen innerhalb der Flotte hören.“
Chara legte die Stirn in misstrauische Falten.
„Auch wir Elfen haben Geheimnisse“, rechtfertigte Siralen sich.
„Das muss ich respektieren, oder? Bei allem Vertrauen in dein Volk – was nicht etwa daran liegt, dass ich den Elfen traue, sondern vielmehr daran, dass Al’Jebal ihnen traut … “
„Vertrau denen, von denen du denkst, dass sie dein Vertrauen verdient haben.“
„Ich muss trotzdem darauf beharren, jedes neue Besatzungsmitglied der Meerjungfrau zu prüfen. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Internen Sicherheit.“
Siralen spürte, wie ihre Züge erhärteten. „Prüfen? Wie?“
„Keine Sorge, Siralen. In diesem Fall sehen wir von einer peinlichen Befragung ab.“
Was sie nicht besonders komisch fand. „Du kannst dich gerne mit meinem neuen Stellvertreter unterhalten und damit etwaige Zweifel an seiner Integrität ausräumen. Bleibt noch die Frage – wen wählst du als deinen Stellvertreter?“
„Kerrim“, kam es wie aus der Armbrust geschossen. „Und Lucretia hat ihre Rechte Hand zu meinem Bedauern bereits gefunden – Magus Primus Major Ahrsa Kasai.“
„Was hast du gegen den Magus?“
„Nichts. Ich kenne ihn nicht. Aber ich ahne, dass ich ihn nicht werde leiden können.“
Siralen trat zurück an den Tisch und ließ sich in ihren Stuhl gleiten. „Woran machst du dieses Urteil fest?“
„An seiner steifen Haltung, seinem knöchernen Arsch, seinem blasierten Gesicht …“
Fast hätte Siralen gelächelt. „Er ist korrekt, hält sich an die Regeln und sieht zu, dass alles seinen geordneten Gang geht. Das ist für eine Mission dieser Größenordnung unabdingbar. Andernfalls könnte alles im Chaos versinken.“
„Mal sehen.“
Siralen stellte erstaunt fest, dass sie versuchte, besänftigend auf die Assassinin zu wirken und dass sie damit offensichtlich erfolgreich war. Interessant. „Ich plädiere auf jeden Fall dafür, dass unsere Stellvertreter in Zukunft bei den meisten unserer Besprechungen anwesend sind“, setzte Siralen fort. „Sie müssen wie wir über alles informiert sein.“
„Sicher.“ Chara drücke ihren Pfeifenstopfer in den Pfeifenkopf und erstickte die Glut.
„Davon abgesehen bin ich auf das Ansuchen der Elfen eingegangen, ein eigenes Schiff innerhalb der Kommandoflotte zu bekommen“, lenkte Siralen das Gespräch auf das problematischere Thema.
Charas Augenbraue hob sich. „Ich nehme an, dieses Ansuchen kam von demselben Elfen, dessen Namen du nicht erwähnen willst.“
Als Siralen nicht antwortete, stand sie auf. „Ich möchte eines klarstellen. Dein Volk mag der Ansicht sein, es hätte im Vergleich zu meiner Rasse besondere Privilegien. Das ist ein Irrtum. Die Elfen sind Teil der Allianz. Meinetwegen sollen sie ihr eigenes Schiff bekommen. Aber damit hat es sich dann auch schon. Am Besten du klärst das mit dem Admiral.“
Sie zog ihren Mantel von der Stuhllehne, warf ihn sich über und nickte Siralen zu. Mit einem knappen „Hoi!“ nahmen die beiden Goygoa sie in ihre Mitte und geleiteten sie aus der Messe.
Siralen lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nüchtern betrachtet hatte Chara ihr gerade etwas durchgehen lassen, das sie als Flottenoberkommandantin auch hätte ahnden können. Siralen hatte über ihren Kopf hinweg entschieden, dass die Elfen ein eigenes Schiff in der Kommandoflotte bekamen und diese Entscheidung ihrem Volk gegenüber bereits kundgetan. Dabei lag die Angelegenheit nicht in ihrer Verantwortung – sie bedurfte der Zustimmung des Flottenoberkommandos.
Wie dem auch sei … Die Elfen würden in Zukunft allesamt auf der Meeresschildkröte einquartiert sein, ganz so, wie der Lichtjäger es gewollt hatte. Als Siralen ihn vor zwei Tagen besucht hatte, hatte sie feststellen müssen, dass der Mann sie verunsicherte. Natürlich, die Lichtjäger waren Grenzgänger, Nonkonformisten, die sich einer Sonderstellung in den Reihen der Elfen erfreuten, und dementsprechend befremdlich wirkten sie auf alle anderen ihres Volks. Lindawens Augen hatten etwas Durchleuchtendes, etwas, das so gar nicht zu dem zeitlosen Blick des Weisheitsliebenden, sondern zu dem berechnenden Blick des Erkennenden passte – zu jemandem, der sich auf das konkrete Hier und Jetzt konzentrierte und dabei Dinge sah, die für das Auge anderer unsichtbar waren.
Er hatte sie ungerührt angesehen und ihr mitgeteilt, dass er ihr jemanden als Stellvertreter schicken würde. Danach hatte er ihr die volle Unterstützung seiner Lichtjäger zugesagt und seine Forderung nach einem gemeinsamen Schiff für alle Elfen gestellt. Und schließlich hatte er das Gespräch mit einem knappen Abschied für beendet erklärt. So, als würde er bestimmen, was wann zu geschehen hatte.
Siralen störte sich nicht daran. Er war der Anführer aller in der Flotte befindlichen Lichtjäger und hatte damit eine Vormachtstellung. Sie störte sich vielmehr daran, dass sie sich in seiner Gegenwart ihrer selbst nicht sicher war. Darüber reden konnte sie allerdings nicht mit ihm. In einem Gespräch hätte sie Fragen stellen müssen. Aber man fragte einen Lichtjäger nicht. Seine Berufung verlangte es, inkognito zu bleiben. Hätten die Lichtjäger, wie andere Elfen auch, Beinamen, die bezeichnend für das waren, was sie in ihrem bisherigen Dasein getan hatten, hätte sie ihre Schlüsse ziehen können. Aber Lichtjäger operierten nur unter ihrem eigentlichen Namen. Und niemand wusste, ob sie, abgesehen von diesem, auch noch andere hatten.
Entschlossen drückte Siralen ihren Rücken durch und stand auf. Wie sehr werde ich deinen Rat in den nächsten Jahren vermissen, Lenyanemara.
Es war Nachmittag. Die Sonne hatte ihren glühenden Leib über den Zenit geschoben und strahlte angenehm auf die Matrosen herab. Tauron Hagegard stand im Krähennest – Arme auf das dicke Seil des Geländers gestützt, die glitzernden Wasser des Ozeans betrachtend, Schiffe zählend … Naja, er zählte sie nicht wirklich, er war nur fasziniert von dem sich ins Uferlose erstreckenden Teppich der Allianzflotte. Weiße Segel so weit das Auge reichte. Und dabei konnte er vom Heck der Meerjungfrau aus nur die Schiffe der dritten Flotte erkennen. Von der gesamten Armada sah er nur dunkle Flecken in der Ferne.
Die Allianzflotte segelte in Doppelkeilformation, ebenso wie alle ihre zehn Teilflotten. Chara hatte außerdem eine Formation gewählt, die eine möglichst große Fläche abdeckte, sodass sie bei ihrer Suche auf dem endlosen Ozean bessere Aussichten hatten, auf Land zu stoßen.
Er musste sich eingestehen, dass die Flottenstruktur ganz gut geworden war. Es sah so aus, als würde zumindest Charas Verstand funktionieren, wenn sie schon keine Erfahrung mit der See hatte.
Eine Landratte als Flottenoberkommandantin. Er schüttelte den Kopf.
L’Incarto … ob die was taugte, war zumindest nicht sein Problem. Die gehörte in einen anderen Zuständigkeitsbereich.
Und Siralen? Die Elfe war auf jeden Fall sein Problem. Nicht, weil sie als Kommandantin im Zweifelsfall über ihn bestimmen konnte, vielmehr, weil sein triebgesteuertes Ich ganz eigene Pläne mit ihr hatte. Siralen hatte es ihm angetan. Er kannte sich selbst ziemlich gut. Wenn eine Frau mal in seinen Träumen auftauchte, dann war sie fällig. Dann musste er sie haben – wenigstens für ein kleines Abenteuer.
Die kleine Pause hier oben im Hauptmast war herrlich. Hin und wieder brauchte man Ruhe, auch wenn man sonst eher der gesellige Typ war. Im Augenblick war alles auf Kurs – in Flotte Acht war Hadschif gerade dabei, seine Schiffe aufzufächern, während Schroeder volle Fahrt machte und den Schwarzseglern bald am Arsch kleben würde. Und weil die Schwarzen Schiffe in einer großen Distanz zur Allianzflotte segelten, würden sie Hadschifs Manöver erst sehen, wenn es schon zu spät war. Alles ganz geschmeidig.
Tauron warf einen letzten Blick auf blaues Wasser, weißes Segeltuch und durch die Wellen brechende Schiffe. Dann wandte er sich der Takelage zu und kletterte nach unten. Am Hauptdeck angekommen, erspähte er Chara bei ihren Trainingseinheiten. Sie hing in schwarzen Beinkleidern und Unterhemd in den Wanten und machte Klimmzüge. Das machte sie ständig … als wüsste sie nicht, wohin mit ihrer Kraft.
Siralen betrat das Hauptdeck durch die Luke zu den Mannschaftsunterkünften, und Tauron verlor das Interesse an der Assassinin. Lässig ließ er sich mit der Schulter gegen den Großmast fallen und beobachtete die Elfenkriegerin. Ein ordentlich gefaltetes Handtuch in der Hand steuerte sie zielstrebig auf das größte der Wasserfässer am Hauptdeck zu. Wollte sie sich etwa waschen? Hier, vor versammelter Mannschaft?
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass mit dem Expeditionskommando weibliches Frischfleisch an Bord gekommen war. Das konnte unter Umständen kleinere Probleme heraufbeschwören. Sicher, es gab auch Frauen in seiner Mannschaft, aber Piraten hatten ihre eigenen Regeln und Rituale. Die meisten Matrosinnen waren hart gesottene Bräute. Waren sie auf ein Techtelmechtel aus, präsentierten sie sich bei der Waschung an Deck auch dementsprechend, was die Kapitäne, im Gegensatz zur Mannschaft, manchmal zur Weißglut trieb. Sexuelle Anspannung und Arbeit vertrugen sich einfach schlecht.
Wer den Kopf beim Weibe hat, hält das falsche Tau in der Hand. So lautete eine alte Seemannsweisheit und die traf buchstäblich ins Schwarze.
Verstohlen beobachtete Tauron Siralen dabei, wie sie ihr mitgebrachtes Tuch und ein Stück Seife neben das Fass legte und damit begann, sich völlig unbeschwert aus ihrer Tunika zu schälen. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, ihr hilfreich zur Hand zu gehen und seine schon jetzt starrende Mannschaft zur Raison zu bringen.
Lexora lass die Wellen schwellen, murmelte er, als sie auch die letzte Hülle fallen gelassen hatte. Jep! Das war vielleicht eine Frau. Elfen hin oder her – eines musste man denen aus Albion lassen: Sie hatten Haut wie Seide, Beine so lang und schlank wie die schönsten … er hätte fast Masten gesagt, besann sich dann aber eines Besseren. Es gab kein passendes Wort dafür. Auf jeden Fall war Siralen mehr als eine Sünde wert.
Als sie sich eine Pütz griff, Wasser aus dem Fass schöpfte und sich das kühle Nass über ihren Kopf und ihren Prachtkörper schüttete, hatte Tauron sich so weit im Griff, dass er eingreifen konnte. Entschlossen stieß er sich vom Mast ab und stand kurze Zeit später vor der nackten Pracht der Elfe.
Ein Räuspern, dann hatte er die Kurve gekratzt. „Ich find’s ja ganz nett, nich’? Aber das geht so nicht. Meine Männer können sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Die … naja … Ihr wisst schon. Die müssen Euch ansehen. Die können gar nicht anders.“
Siralen ließ den Eimer sinken und blickte sich um. „Tatsächlich“, stellte sie verblüfft fest. „Was ist an einem nackten Körper denn so aufregend?“
„Äh … jo …“ Tauron starrte auf ihre kleinen, festen Brüste und arbeitete hart daran, sich von diesen wieder loszureißen. „Ich weiß ja nicht, wie das bei euch Elfen so ist, aber uns Menschen macht das ziemlich heiß“, rang er sich eine halbwegs vernünftige Antwort ab. „Ihr seht ziemlich einwandfrei aus, wisst Ihr? Wärt Ihr schwabbelig, pickelig und hässlich … dann könnt’ ich noch mal ein Auge zudrücken. Seid Ihr aber nicht.“
Die eigentlich schmalen Augen wurden annähernd rund. „Das verstehe ich nicht. Ist meine Nacktheit ein Problem für Euch oder mein Aussehen?“
Tauron atmete tief durch. „Beides, wenn Ihr’s genau wissen wollt … in Kombination“, schob er schnell hinterher.
„Wir Elfen zeigen uns sowohl nackt als auch angezogen. Es gibt keinen Grund, warum wir einen Teil von uns nicht zeigen sollten. Und es gibt auch niemanden, der sich daran stört oder davon irritieren lässt …“
„Irrittititi …“ Er fuhr sich nervös durch sein dichtes Haar. „Was ich meine ist, wir lassen uns nicht irri-tie-ren. Es ist vielmehr so …“
„Es ist Euer Schiff“, unterbrach sie ihn. „Ihr macht die Regeln. Ich halte mich daran. Gibt es denn eine Möglichkeit, mich von Eurer Mannschaft unbeobachtet zu waschen?“
„Na klar!“ Jederzeit bei mir in meiner Kajüte. „Also, noch nicht, aber ich werde eine Lösung finden. Betrifft ja auch die anderen Damen des Kommandos, nich’?“ Er grinste.
Siralen grinste nicht. Anscheinend sah sie den Witz an der ganzen Situation nicht. Zu seinem tiefen Bedauern hob sie das Handtuch auf und der wunderschöne Körper verschwand aus seinem Blickfeld.
„Ich kümmere mich sofort drum“, gab er sich galant und brüllte übers Deck „Gardwain! Die Männer sollen hier ein Segeltuch aufspannen oder was weiß ich! Irgendetwas, um den Waschbereich uneinsichtig zu machen. Und zwar jetzt sofort!“
„Zu Befehl!“, kam prompt die Antwort und kurz darauf schlenderten ein paar Matrosen mit Leinen und Segeltuch auffallend lässig auf ihren Kapitän und die Elfe zu.
„Ich danke Euch“, sagte Siralen unbeeindruckt.
„Jep. Keine Ursache.“
„Admiral!“, vernahm er die Stimme seines Kapitänsanwärters.
„Bei der Arbeit!“, schmetterte Tauron unbarmherzig zurück.
„Dringende Nachricht von Schroeder!“
Mist. „Auf dem Weg!“
Tauron bedachte Siralen mit einem untröstlichen Blick und machte dann, dass er in die Gänge kam. Wenn Schroeder rief, musste man parieren.
„Was?“, fragte er schroff, nachdem er Gardwain in die Steuermannskajüte zitiert hatte.
„Die Schwarzen Schiffe haben abgedreht, gerade als sich unsere Schiffe in Bewegung gesetzt haben. Schroeder konnte nicht zugreifen, ebenso wenig wie Ibn’Damahr mit seinen Schiffen.“
Das verschlug ihm doch tatsächlich die Sprache. „Und was macht Schroeder jetzt?“
„Er hat Verfolgung aufgenommen.“
„Gut, danke“, antwortete er endlich und stieß die Tür zum Hauptdeck auf. Chara war nirgendwo mehr zu sehen. Tauron trabte los und entdeckte sie schließlich im ersten Unterdeck auf dem Weg in ihre Kajüte.
„Wir haben ein Problem“, kam er unvermittelt zum Punkt. In knappen Worten wiederholte er, was Gardwain ihm gesagt hatte. Als er fertig war, stierte Chara nachdenklich auf ihre Tür. „Sind sie geflohen, sobald unsere Schiffe aufgefächert haben oder bevor“, fragte sie.
„Was spielt das für eine Rolle? Sie hätten nicht sehen dürfen, dass die achte Flotte eine Änderung der Formation vornimmt.“