Loe raamatut: «Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto», lehekülg 9
Doch etwas in ihr hatte sich auf Weigerung eingestellt. Sie weigerte sich, Lucretias Befehl nachzukommen. Sie weigerte sich, Stowokor dabei zuzusehen, wie er sich den Gnadenstoß verpasste. Dabei wollte sie nichts so sehr, wie diese Situation beenden. Doch da war dieser Knoten in ihrem Bauch. Und da war der Gedanke, dass dieser Moment einer der lehrreichsten in ihrem erbärmlichen kleinen Leben sein könnte. Plötzlich fühlte sie eine tiefe Abneigung gegen Lucretia.
„Chara?“, vernahm sie Stowokors gebrochene Stimme und sie sah zurück in seine Augen. Er schwieg und hielt ihr seine freie Hand entgegen. Da war kein Zorn in seinem Blick. Nur tiefe Trauer, ein Schmerz, der ins Bodenlose zu gehen schien. Ein Schmerz, den sie nie fühlen wollte.
Sie griff nach seiner Hand und blickte zurück auf das Meer. Eine Welle schlug die Bordwand hoch und zog sich glucksend wieder zurück. Dann ein Ruck, und Stowokors Finger schlossen sich schmerzhaft um ihre. Chara ließ es zu, dass er sich an ihr festhielt. Sie ließ es zu, dass sie ihn festhielt. Als seine Hand aus ihrer glitt, als er den Halt verlor und Richtung Boden sackte, packte sie seine Unterarme und ging mit ihm in die Knie. Ihre Blicke kreuzten sich. Ein letztes Zwinkern. Dann löste sich die verkrampfte Hand von dem Dolch in seiner Brust. Stowokors Augen wurden glasig, die Finger um ihre Arme erstarrten.
Sachte ließ sie seinen Körper auf die Planken gleiten. Sie zog den Dolch aus seiner Brust und drehte die Spitze der Klinge nach unten. Stowokors Blut floss in einem Rinnsal durch die Hohlkehle ab und tropfte auf die Planken. Einen Augenblick blieb sie hocken und beobachtete, wie sich die dunkelrote Lache in das spröde Holz soff.
Als sie aufstand, herrschte eine fast greifbare Stille über dem Deck der Meerjungfrau. Chara drehte sich zum Poopdeck um, hob langsam die blutige Klinge über den Kopf und rief:
„Deine Leiche, L’Incarto!“
Bei nächtlichem Glas, da halte ich Wacht
Die Besprechung, die am Tag nach Olschewskis Ableben gehalten wurde, verlief so, wie man es hätte erwarten können. Lucretia L’Incarto saß steif wie die Präparation einer Leiche an der Tafel und wunderte sich darüber, warum ihre Haut an Geschmeidigkeit verloren hatte. Von ihrer eigenen Starre in tiefe Besorgnis gestürzt, versank sie mehr und mehr in sich selbst. Sie ließ sich von ihren Gedanken fortreißen. Die Gefühle hatten mit einem Mal an Attraktivität verloren, fühlten sich an wie abgestorben. Was beinahe ein Hohn war. Also denken, nicht fühlen. Doch der Gedanke, oder besser, die Frage, die unablässig wiederkehrte, war keine willkommene:
War es tatsächlich geschehen? War der einzige, der sie je erreicht, der sie je wirklich geliebt hatte, von ihr gegangen?
Jedes Mal, da Lucretia sich diese Frage stellte, bestand die Antwort aus einem lauten, herzlosen Ja. Und jedes Mal, da sie dieses Ja als gegeben akzeptierte, verabschiedete sie sich mehr von dieser Welt.
Ja, Stowokor ist tot. Und nein, das war so nicht geplant. Und überhaupt, das konnte doch unmöglich ihre Welt sein. Richtig, sie hatte sich diese ja auch nicht ausgesucht. Oder doch? Nein, nein. Sie war nur ihrer Wege gegangen. Vielleicht war sie kurz unaufmerksam gewesen, war falsch abgebogen und direkt in Al’Jebals Welt geraten. Genau. Das war Al’Jebals Welt, nicht ihre. Al’Jebals und Charas und Siralens und Ahrsa Kasais. Apropos Kasai … Er beschwerte sich wieder einmal. Zu Recht, wie man meinen mochte. Man höre nur hin! Die Beweiskraft war ja geradezu erschlagend!
„Frau Pasiphae-Opoulos, die Entscheidung lag ohne jeden Zweifel bei Euch, nicht wahr? Ihr wart dort an der Reling. Ihr wart die Einzige, die genauestens mitverfolgen konnte, was der Verdächtige dort tat und sagte. Ihr wusstet, dass er sich selbst das Leben nehmen wollte, und Ihr hättet dies verhindern können. Stattdessen habt Ihr ihm dabei zugesehen, wie er sich eine vergiftete Klinge ins Herz stieß. Wodurch es mir ein Ding der Unmöglichkeit war, seinen entmaterialisierten Geist zu befragen, um mit Hilfe dieser allerkompliziertesten magischen Methode die Wahrheit über ihn ans Licht zu bringen.“
Lucretia nickte zustimmend, stierte dabei aber weiterhin schweigend auf die Tischplatte. Hochkompliziert, dieser Spruch, in der Tat. Die Geistbefragung beherrschten nur die wenigsten Zauberkundigen. Und wäre Stowokor nicht so unvernünftig gewesen … hätte er sich nicht in eine vergiftete Klinge geworfen, hätte Ahrsa noch eine Gelegenheit gehabt, seine Unschuld zu beweisen. Es war ein sehr seltenes Gift, das Stowokor zum Einsatz gebracht hatte. Es zersetzte rapide die Organe, einschließlich Herz und Gehirn. Stowokors Geist hatte nichts mehr gehabt, woran er sich festhalten konnte. Und schwuppdiwupp, war er dahin.
„Ich dachte, die Magie, mit Hilfe derer man den Geist eines Verstorbenen befragt, schließt nicht aus, dass besagter Verstorbener lügt“, hielt Chara dagegen. „Was hätte die Befragung dann gebracht, Kasai? Für den Fall, dass Stowokor tatsächlich ein Verräter war, hätte sein Geist wohl kaum eingelenkt und den Verrat gestanden.“
Lucretia nickte stoisch. Das war ein berechtigter Einwand.
„Völlig korrekt, Frau Pasiphae-Opoulos. Aber es wäre doch möglich, dass Stowokor Olschewski kein Verräter war, oder wenn doch, dass er nach seinem Ableben Reue gezeigt hätte, nicht wahr? Oder wollt Ihr diese Möglichkeit etwa ausschließen?“
„Nein.“ Charas Blick zuckte zu ihr und Lucretia spannte sich an. Schau mich bloß nicht so an, Assassinin. Das Messer lag in deiner Hand. Am Ende. Am Ende hattest du sein Blut an den Fingern, nicht ich. Du hättest ihn aufhalten können, oder nicht? Die Klinge, die blutige, du hast sie mir einfach vor die Nase gehalten, als wäre ich seine Mörderin. Diese vergiftete Klinge … Oh, das war ja beinahe poetisch. Vergiftete Klinge … mein Gift, dein Gift, unser Gift.
„Wie dem auch sei“, beendete Ahrsa das unleidige Thema. „Wir wissen nicht, ob Stowokor Olschewski ein Verräter war. Wir wissen nichts. Infolgedessen ist es erneut an Euch und der Internen Sicherheit, den Fall aufzuklären. Ich hoffe sehr, dass Ihr in absehbarer Zukunft Ergebnisse vorweisen könnt, denn mir und meinen Kollegen sind im Augenblick die Hände gebunden. Ihr müsst daher ohne unsere Unterstützung zu Rande kommen.“
Wohl gesprochen, geschätzter Magus. Und? Was sagst du jetzt, Chara?
Sie sagte gar nichts. Stattdessen rückten Stühle und es wurde unangenehm laut in der Messe. Unwillkürlich hielt sich Lucretia die Ohren zu. Sie wollte nur noch allein sein. Allein, allein, allein.
Schwarz wie der Mantel des Todes hing die Nacht über der Meerjungfrau und nur die kleinen Lichtpunkte der Feuerschalen zuckten über die Besatzung, die sich zum Gebet am Hauptdeck versammelt hatte. Während er vom Admiral der Allianzflotte nach dem Erklimmen des Fallreeps in Empfang genommen wurde, verschaffte er sich einen Überblick und stellte fest, dass es zu viele Feuer waren, die das Deck erhellten. Und wenn er bei einer Totenfeier etwas nicht dulden konnte, dann war es zu viel der Hitze, die dem Feuernehmer gehörte. Das Feuer verbrannte die Todeskraft, die in jedem weste und von welcher die sterbenden Seelen abhängig waren, wollten sie zu Monoch gehen. Die Hitze ließ den Körper verfaulen und trieb die Seele zu früh aus dem Leib hinaus. Noch bevor die Kraft des Todes zur Entfaltung kommen konnte, entriss sie sie dem viel zu schnell verfallenden Körper und trieb sie in die Arme Uldins.
„Willkommen an Bord meines Schiffes, Oberhohepriester Laurin MacArgyll“, begrüßte ihn Tauron Hagegard.
„Die Sterne leuchten, der Himmel ist wolkenlos“, erwiderte er. „Löscht die Öllampen bis auf die Feuerschale, die am Hauptmast hängt. Es wird reichen.“
Der Admiral gab seine Zustimmung und erteilte den Befehl zum Löschen der Feuer. Es wurde deutlich dunkler am Hauptdeck.
Die fünf Ordenskrieger, die Laurin begleiteten, eskortierten ihn zum Hauptmast, unter dem der verstorbene Informationsmagier Stowokor Olschewski aufgebahrt worden war. Mit wenigen Blicken hatte er die Kommandanten der Mission erfasst. Er kannte sie alle von der Schlacht um Caeir Isahara – den Oberhohepriester Telos Malakin mittlerweile sogar sehr gut. Doch gegen eine von ihnen hatte er Vorbehalte.
Das Sandkorn auf der Schicksalswaage hatte sich äußerlich nicht verändert. Sie stand im Reigen ihrer Leibwächter nahe der Luke und beobachtete ihn und seine Eisbären. Doch egal, wie groß seine Vorbehalte auch waren, Monoch hatte ihr seinen Segen ausgesprochen, als sie ihm, um Lucretia L’Incartos willen, einen Schwur geleistet hatte. Einen Schwur, der kurz darauf vom Obersten der Monoch-Priesterschaft Freon Eisfaust aufgelöst worden war, was nur unter einer Wiedergutmachung durch Eisfaust selbst möglich gewesen war. Was Eisfaust auf sich genommen hatte, um Chara Pasiphae-Opoulos auszulösen, musste schwer lasten. Chara hatte geschworen, den mächtigsten noch lebenden Nekromanten Podfol zu beseitigen. Es stand außer Frage, dass der Oberste Hohepriester Monochs eine schwere Bürde auf sich geladen hatte, um diesen Eid aufzuwiegen.
Töte nicht, was du nicht begraben kannst.
Die Flottenoberkommandantin kannte die Gebote Monochs nicht, mehr noch, sie schien diesen fast diametral gegenüberzustehen, wenn man davon absah, dass sie ganz fähig darin war, anderen den Tod zu bringen.
Laurin trat vor Lucretia L’Incarto und reichte ihr die Hand.
„Der Tod wäre erfreut, Euch zu sehen“, sagte er und fand in ihren Augen eine Bestätigung dieser Wahrheit. Die Sprecherin der Zauberkundigen war dem Tode deutlich näher gerückt. Laurin konnte es spüren – sah es in ihrem leeren Blick, fühlte es in ihrem laschen Händedruck, fühlte es in der Stille, die wie ein alles verschlingendes Ungetüm aus ihr herauskroch. Die Todeskraft … sie war schwach in ihr. Sie fürchtete den Tod und damit war sie noch weit entfernt von einem würdigen Ende ihrer Reise.
Ein Blick zur Seite und die Elfenkriegerin rückte in Laurins Gesichtsfeld.
„Der Tod steht Euch gut, Siralen.“ Er wusste, dass seine Stimme wie geschliffenes Eis klang – hart, scharf und kalt. Es gelang ihm nur selten, ihren Klang zu erweichen und viele zuckten bei diesem Klang innerlich zusammen. Die Elfenkriegerin zuckte nicht. Als er ihr die Hand reichte, spürte er die angenehme Kühle ihrer Finger. Wahrlich, die Elfe stand noch am Beginn ihrer Suche. Sie war voller Lebenswillen und bereit, für ihre Ziele zu kämpfen. Der Tod war noch jung in ihrem kühlen Leib, doch er war da und kurz davor, sich ihrer glasklaren Augen zu bemächtigen. Siralen hatte den Tod bereits gesehen und verstanden. Würde sie auch bereit dazu sein, in sein Angesicht zu blicken, damit die Kraft des Todes auf sie übergehen und in ihr wachsen konnte?
Mit einem leichten Neigen des Kopfes erwiderte sie seinen Gruß. „Tin salu ecra, Laurin MacArgyll.“ Die Elfen behandelten gerne jeden als Freund, auch wenn sie nicht jeden als Freund betrachteten.
Als er Chara Pasiphae-Opoulos gegenübertrat, rückten ihre beiden Leibwächter näher an sie heran.
„Der Tod ist Euer Begleiter“, begrüßte er sie, obwohl es im Grunde ein ritueller Abschied war. Doch nichts stand dem Sandkorn mehr ins Gesicht geschrieben als der Tod, der in ihr allgegenwärtig schien.
„Ja, ich weiß“, gab sie zurück und war sich vermutlich gar nicht darüber im Klaren, was genau es bedeutete, den Tod als Begleiter zu haben. Der Tod war stark in ihr und sie war stark im Tode. Doch war es, als wüsste sie von alledem nichts. Wie sollte sie die Macht des Todes dann nutzen?
Als er ihre Hand ergriff, spürte er Kraft. Und er spürte die Hitze, die durch ihren Körper wallte und über ihre Hand unangenehm auf ihn abstrahlte.
Jetzt erinnerte er sich. Chara Pasiphae-Opoulos vereinte den Tod und das Feuer in sich und diese Vereinigung war wider die göttliche Natur. Das war es, was er an ihr nicht verstand. Monochs Gesetz konnte man nicht trotzen. Der Tod war Winter, Eis und Kälte. Das Feuer gehörte dem Leben, dem, das vergehen musste, damit man heil und ganz werden konnte im Tod. Das Feuer gehörte Uldin, der es unrechtmäßig an sich gerissen hatte und dachte, über Mairgen und Monoch zu stehen.
Chara verkörperte Tod und Feuer. Als würde sie gegen das Leben in den Krieg ziehen, obwohl sie ganz und gar Leben war. Als würde sie dem Tod trotzen und doch in ihm zu Hause sein. Doch Telos Malakin respektierte sie und Laurin respektierte Telos Malakin.
„Agramons Hammer zerschmettere Eure Feinde, Oberhohepriester MacArgyll“, empfing dieser Laurin und reichte ihm die Hand.
„Möge Euer Körper im Tode zu Eis werden, Oberhohepriester Malakin.“
„So möge es sein, bevor Agramon mich in seine Hallen holt.“
Malakin hätte ein Mitglied des Expeditionskommandos werden können, aber er hatte es abgelehnt. Jetzt war er der Sprecher der Priesterschaften, besprach aber alle seine Entscheidungen mit ihm und Hohepriesterin Ischara. Er schien sich in erster Linie darauf konzentrieren zu wollen, seinen Hammer im Dienste der Agramon-Priesterschaft zu schwingen und seinen Anhängern ein guter Anführer zu sein. Er hatte Laurin erklärt, dass er in früheren Zeiten seinem Ehrgeiz zum Opfer gefallen war und er daraus seine Lehren gezogen hätte. Er wollte nicht mehr, als seinem Gott Agramon dienen und er tat es vorbildhaft. Was genau passiert war, um ihn von seinem unerbittlichen Ehrgeiz abzubringen, darüber hatte er nie gesprochen. Es musste sich dabei um etwas Privates handeln, und offensichtlich war er in seinem Vorhaben gescheitert. Denn das Scheitern war es, das einen Demut lehrte.
Als Laurin mit seinen Ordenskriegern einen Halbkreis um den aufgebahrten Toten gezogen hatte, erstarb das Gemurmel an Deck. Köpfe senkten sich, Hände falteten sich vor dem Bauch oder hinter dem Rücken, Gesichter wurden ernst. Der Tod flößte sogar den Piraten Respekt ein.
„Im Anfang war das Dunkel“, begann Laurin MacArgyll. „Im Anfang herrschte das Nichts. Dann trat Laigd auf und sprach die Worte des Lichts. Und als das Licht leuchtete, fand die Weltendreherin Mairgen den rechten Geist, um Leben zu erschaffen. Sie formte Amalea und ließ gedeihen, was da gedeihen wollte. Dann trat Aoifen in die Welt und gab dem Leben das Wissen.
Nun war das Leben reich und von Wissen beseelt. So kam Monoch und nahm das Eis, um die Seelen der Wissenden in ihrer Ganzheit zu bewahren. Es kam Uldin und nahm das Feuer, um die Seelen der Wissenden in die Flammen zu werfen und aufzulösen, auf dass alles Wissen auf ihn übergehen möge und seine Macht zur Vollendung komme. Und es kam Dhardhiun und nahm die Dunkelheit, um die Seelen der Wissenden mit Blindheit zu strafen und in sein Chaos zu führen.
Monoch gab den Seelen einen Leib, damit sie ihn mit der Kraft des Todes anreichern konnten. Damit sie nicht in Uldins Feuer zerfielen und nicht in Dhardhiuns Chaos ertranken. Als Uldin dies sah, brachte er sein Feuer über die Welt und überzog sie mit Verderben und Krieg. Die Kraft des Todes konnte in den Seelen der Lebenden nicht zur Vollendung kommen, und so verlor der Eisnehmer Monoch seine Kinder an den Feuernehmer Uldin. Uldin wiederum erkannte seine eigene Sterblichkeit nicht. Im Zorn über die Vergänglichkeit aller Dinge zerstörte er die Kraft des Todes in den Körpern der Lebenden und mit ihr die Seelen. So kam es, dass auch Uldins Macht schwand, die von der Kraft der Seelen, die sich aus der Kraft des Todes speiste, abhängig war. Uldins Feuer folgte die Dunkelheit und mit ihr kam Dhardhiun und übernahm die Macht.
Die Kraft des Todes, von Uldin fast restlos verbrannt, war schwach in jenen Tagen, und Monoch war kurz davor, aus der Welt zu schwinden. Da trat seine Zwillingsschwester Enimonoch in die Welt und rettete ihren Bruder, indem sie ihm dabei half, jene Seelen, die Uldins Feuer nicht verzehrt hatte, um sich zu scharen. Schließlich war es Monoch, der mit seinem Gefolge Dhardhiun die Stirn bot. In einem letzten Kampf gegen das allgegenwärtige Chaos erstarkten die Seelen, die ihm folgten und sie brachten der Welt die Kraft des Todes zurück. So kam es, dass Monoch und sein Gefolge das Chaos und mit ihm Dhardhiuns Dunkel besiegten. Sie brachten der Welt das Licht zurück, das am Morgen aufging, um am Abend unterzugehen. So wie es auch der natürliche Lauf allen Lebens war.“
Laurin ließ seinen kalten Blick über die Menge gleiten, die in ein tiefes, sattes Schweigen gefallen war.
„Der Tod ist allgegenwärtig und die Seele lebt nur, weil die Kraft des Todes in ihr west. Wer den Tod bekämpft, den verzehrt Uldins Feuer. Wen das Feuer verzehrt, der kann nicht zur Ewigkeit im Eis finden.“
Laurin sah, wie manch einer seinem Blick unbehaglich auswich.
„Wen das Feuer verzehrt, der kann nicht zur Ewigkeit im Eis finden“, wiederholte er und seine Augen blieben an Chara haften. Fast konnte er sehen, wie sie ihm Paroli bot.
„Tötet nicht, was ihr nicht begraben könnt. Denn nur, wenn ihr die Augen der Toten schließt und ihre Körper mit Eis und Schnee bedeckt, können ihre Seelen zu Monoch finden. Und nur in Monochs Reich können sie ewig fortleben.“
Er ließ ab von den schwarzen Augen, durch die das Feuer Uldins züngelte, und doch wiederholte er nur für sie, was er bereits gesagt hatte.
„Tötet nicht, was ihr nicht begraben könnt.“
Damit trat er neben den Kopf des verstorbenen Stowokor Olschewski, legte seine Linke über die geschlossenen Augen und sprach:
„Bei nächtlichem Glas, da halte ich Wacht,
wo ich ersinne, bedenke und wende,
und dieser Tag geht schon zu Ende,
die Fledermaus wispert: Es ist Nacht.
Bei Eiseskälte, da halte ich Wacht,
wo ich ersinne, bedenke und wende,
und dieser Herbst geht schon zu Ende,
draußen der Eisbär knurrt: Es ist Winter.
Unter dem Eis ist alles im Lot,
da ich ersinne, bedenke und wende,
und dieses Leben geht schon zu Ende,
draußen der Wolf heult: Es ist tot.“
Als Laurin das Totengebet beendet hatte, wurde es kalt um ihn und den Leichnam. Unter den gebannten Blicken der Besatzung zog er seine Hand zurück und beobachtete Monochs Licht, das sich in einem blauen Schimmer um den Körper bildete, zu kaltem Nebel wurde und sich schließlich in Eis verwandelte. Es ist getan.
Mit einem Nicken gab er Stowokor Olschewski frei, auf dass die Besatzung seinen Eissarg dem Meer übergeben konnte. Als der schwere Eisklotz mit dem Leichnam des Magiers im Wasser versank, sagte er: „Magus Terzus Minor Stowokor Olschewski war eine Stütze der Allianz. Erinnern wir uns seiner, indem wir seine Taten sehen und das Gute, das ihm bei seinen Taten wegweisend war. Es gibt keine Beweise für seine Schuld. Darum bleibt er unschuldig in den Augen derer, die seinen Tod betrauern. Stowokor Olschewskis Augen mögen sich im Tode fest schließen, damit seine Seele zu Monoch finde.“
Es war Mitternacht. Lucretias Hände zitterten, als sie die Tür schloss, sich auf das Bett setzte und das Siegel der Schriftrolle brach, die Chara ihr zugeschoben hatte. Zweimal begann sie zu lesen und musste dann unterbrechen, um die Tränen fortzuwischen, die drohten, auf das Pergament zu tropfen. Erst beim dritten Mal gelang es ihr, Stowokors Brief zu Ende zu lesen.
Meine liebe Lucretia,
wenn du diesen Brief liest, kann ich dir keinen Trost mehr spenden, wie ich es bisher getan habe. Ich werde nicht da sein, um dich zu halten oder dir das Haar zu streicheln, aber sei gewiss, dass sich nichts an meinen Gefühlen für dich geändert hat. Der Tod kann meiner Liebe nichts anhaben, denn die Liebe währt ewiglich.
Ich weiß, du wirst dir Vorwürfe machen, aber das darfst du nicht. Was geschehen ist, ist geschehen. Du hast nur versucht, deine Pflicht zu tun. Wir beide wissen, es ist nicht leicht, an der Spitze zu stehen und Entscheidungen zu treffen. Wenn man sich das Gelingen einer Mission dieser Größe zum Ziel gemacht hat, ist jede Entscheidung eine schwere Bürde. Du hast dich entschieden und in deinen Augen war es die richtige Entscheidung. Selbst wenn ich hier und jetzt sage „Ich bin kein Verräter“, änderte dies nichts daran, dass du der Sache auf den Grund gehen musstest. Und doch, ich beschwöre dich, mir zu glauben! Ich habe nie Verrat an dir, der Allianz oder dieser Mission begangen!
Aber gleich, was geschehen ist, es ist nicht deine Schuld. Ich bin gegangen, weil ich es nicht ertragen konnte, dass unsere Liebe deinem Pflichtgefühl zum Opfer fiel. ICH war schwach, nicht du, Lucretia.
Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Vertrau deinem Urteil und beweise der Welt deine Größe.
In unsterblicher Liebe,
dein Stowokor
Die Hand mit dem Pergament fiel zur Seite. Lucretia sank auf ihr Kissen, rollte sich zusammen und schlang ihre Arme um die Knie. Die Ohnmacht, die sich bleiern auf sie niedersenkte, dämpfte den Schmerz. Doch zurück blieb nichts als gähnende Leere. Es wurde dunkel um sie herum. Sie fühlte, wie sie abdriftete, fortglitt, weit weg von allem, was sie am Morgen noch gewesen war. Der Schlaf kam über sie. Er streckte seine dürren langen Finger nach ihren leeren Gedanken aus und nahm sie mit in die dumpfe, dunkle Ödnis des Nichts. Das Nichts war gut. Das Nichts tilgte den Schmerz. Und wäre da nicht dieses Flüstern, das sie nicht verstand …
„Bitte“, murmelte sie in das Nichts und spürte, wie sich das Leinen des Polsters zwischen ihre Lippen schob, „bitte helft … mir.“
Das Flüstern wurde lauter, wurde zu einer hohlen Stimme. Und obgleich sie etwas Tröstliches hatte, zerstörte die Stimme mit jedem Wort ein wenig mehr der Hoffnung, die Lucretia einst eine so starke Verbündete gewesen war.
Er ist verloren, trieb die Stimme die Hoffnungslosigkeit tief in ihre Seele.
Er ist verloren.