Loe raamatut: «Koste Es Was Es Wolle»

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Jack Mars

Jack Mars ist ein begeisterter Leser und Zeit seines Lebens großer Anhänger des Thriller-Genres. KOSTE ES WAS ES WOLLE ist Jacks erster Thriller. Jack würde sich freuen von Ihnen zu hören. Dafür einfach auf www.Jackmarsauthor.com mit Ihrer Email-Adresse registrieren und ein kostenfreies Buch und Geschenk erwerben. Wir sind auch auf Facebook und Twitter zu finden.

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TEIL EINS

Kapitel 1

5. Juni, 1.15 Uhr

Fairfax County, Virginia – Vorort Washington DCs

Das Telefon klingelte.

Luke Stone befand sich in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Bilder kreuzten seine Gedanken. Es war Nacht auf einem leeren regennassen Highway. Das Wrack eines Autos. Aus der Ferne näherte sich in schnellem Tempo ein Krankenwagen. Die Sirene heulte.

Er öffnete die Augen. In der Dunkelheit seines Schlafzimmers klingelte neben ihm auf dem Nachttisch das Telefon. Eine Digitaluhr stand neben dem Telefon auf dem Tisch. Er schaute kurz auf die roten Ziffern.

“Verdammter Mist”, brummte er. Er war erst vor einer halben Stunde eingeschlafen. Die schlaftrunkene Stimme seiner Frau Rebecca murmelte: „Geh nicht ran.“ Einige Strähnen ihres blonden Haars schauten unter der Bettdecke hervor. Der schwache Schein des blauen Nachtlichts aus dem Badezimmer drang in den Raum. Er nahm den Hörer ab. „Luke“, sagte eine Stimme. Die Stimme war tief und rau, ihr Südstaatendialekt kaum wahrnehmbar. Luke kannte diese Stimme nur allzu gut. Es war Don Morris, sein einstiger Boss beim Spezialeinsatzkommando.

Luke fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ja?“ „Hab ich dich aufgeweckt?“, fragte Don. „Was glaubst du wohl?“ „Ich hätte dich nicht zu Hause angerufen, wenn dein Handy nicht ausgeschaltet wäre.“ Luke schnaubte. „Genau deshalb ist es aus.“

„Wir haben hier Ärger, Luke. Ich brauch dich hier.“ „Schieß los“, sagte Luke. Er lauschte der Stimme. Er hatte schnell wieder dieses Gefühl, dass er in solchen Momenten immer bekommen hatte – ein Gefühl, sein Magen würde in einem Fahrstuhl fünfzig Stockwerke nach oben rasen. Vielleicht war das der Grund, weshalb er den Job hingeschmissen hatte. Nicht wegen der Flut von Anrufen, nicht weil sein Sohn so schnell größer wurde, sondern weil er dieses Gefühl im Magen nicht ausstehen konnte.

Es war das Wissen um die Dinge, das ihm zu schaffen machte. Dieses Wissen erdrückte ihn. Er dachte an die vielen Millionen Menschen in der Welt, die ihr Leben glücklich lebten, voll glückseliger Unwissenheit über die Dinge, die in der Welt vor sich gingen. Luke beneidete ihre Ahnungslosigkeit.

„Wann ist das passiert?“, fragte er.

„Wir haben noch keine Ahnung. Vor einer, vielleicht zwei Stunden. Das Krankenhaus hat den Sicherheitsverstoß vor etwa fünfzehn Minuten entdeckt. Einige Mitarbeiter werden vermisst, es sieht also nach einem Insider Job aus. Das könnte sich allerdings ändern, wenn neue Geheimdienstinformationen reinkommen. Die New Yorker Polizeidirektion ist völlig aus dem Häuschen, aus offensichtlichen Gründen. Sie haben zwei tausend Extraleute aufgestellt und so wie ich das sehe, wird das nicht reichen. Die meisten von ihnen werden vor dem Schichtwechsel noch nicht einmal vor Ort sein können.“

„Wer hat die Direktion angerufen?“ fragte Luke. „Das Krankenhaus.“ „Wer hat uns angerufen?“ „Der Polizeichef.“

„Hat er sonst noch jemanden angerufen?“ „Nein. Damit ist es an uns.“

Luke nickte.

“Okay, gut. Dabei sollten wir es auch belassen. Die Polizisten müssen den Tatort absperren und sichern. Aber sie müssen dem direkten Umkreis fernbleiben. Sie dürfen da nicht rein. Sie müssen auch die Medien da raushalten. Wenn die Zeitungen das herausbekommen, dann wird das ein riesen Zirkus.“

„Schon getan.“

Luke seufzte. „Wir können von einem zwei Stunden Vorsprung ausgehen. Das ist alles andere als gut. Kaum wieder aufzuholen. Sie könnten überall sein.“

„Ich weiß. Die Direktion überwacht alle möglichen Brücken, Tunnel, U-Bahnen, den Pendlerverkehr. Sie überprüfen die Daten der Highway Mautstellen, aber es ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wir haben nicht genug Leute.“

„Wann wirst du hochfahren?“ sagte Luke. Don antwortete ohne Zögern. „Jetzt. Und du kommst mit.“ Luke schaute erneut auf die Uhr, 1.23 Uhr. „Ich kann in einer halben Stunde am Helikopter sein.“ „Ich habe schon ein Auto geschickt“, sagte Don. „Der Fahrer hat gerade Bescheid gegeben. Er ist in zehn Minuten bei dir.“ Luke legte auf. Rebecca war nun halb wach, ihren Kopf auf einen Ellenbogen gestützt, schaute sie ihn eingehend an. Ihr langes Haar fiel über ihre Schultern. Dicke Wimpern rahmten ihre blauen Augen. Ihr hübsches Gesicht war schmaler als damals, als sie sich am College kennengelernt hatten. Sorgen hatten im Laufe der Jahre feine Linien in ihrem Gesicht hinterlassen.

Luke bereute dies. Es trieb ihn um, dass seine Arbeit ihr so viel Schmerz bereitet hatte. Das war ein weiterer Grund gewesen, seinen Job aufzugeben.

Er erinnerte sich daran, wie sie war, als sie noch jung waren, so ausgelassen, immer ein Lachen auf den Lippen. Sie war so unbeschwert damals. Es war viel Zeit vergangen, seitdem er sie das letzte Mal so gesehen hatte. Er dachte, dass diese Becca vielleicht wieder zum Vorschein käme, wenn er seinen Job aufgäbe. Die Veränderung machte sich jedoch nur langsam bemerkbar. Es gab mit Sicherheit immer wieder Momente der wahren Becca, aber die waren schnell vorüber.

Er wusste genau, dass sie der Situation nicht traute. Sie traute ihm nicht. Sie wartete nur auf diesen Anruf mitten in der Nacht, den er entgegen nehmen musste. Derjenige, nachdem er auflegte, aufstünde und das Haus verließe.

Sie hatten heute einen schönen Abend gehabt. Für einige wenige Momente waren fast die alten Zeiten wieder eingekehrt. Und nun das. „Luke…“ begann sie. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Er sagte ihm, dass sie es ihm schwer machen würde.

Luke sprang aus dem Bett, teils weil es die Umstände so forderten, teils weil er aus dem Haus sein wollte, bevor Becca ihre Gedanken geordnet hatte. Er huschte ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und betrachtete sich flüchtig im Spiegel. Er fühlte sich wach, seine Augen jedoch waren müde. Sein drahtiger Körper war stark – ein Zeichen seines Trainings vier Tage die Woche. Neununddreißig Jahre, dachte er. Nicht schlecht.

Er zog eine lange stählerne Kassette von einem der oberen Regalplatten des begehbaren Kleiderschranks. Aus dem Gedächtnis tippte er die zehnstellige Zahlenkombination ein. Das Schloss ploppte auf. Er entnahm der Kassette seine Neun-Millimeter-Glock und steckte sie in ein ledernes Schulterholster. Er hockte sich hin und befestigte eine kleine 25 Kaliber Pistole an seiner rechten Wade sowie eine etwa 13 Zentimeter lange gezahnte Klinge, dessen Griff auch als Schlagring herhalten konnte, an seiner linken Wade.

“Ich dachte, du würdest keine Waffen mehr im Haus haben.”

Er blickte hoch, es war natürlich Becca, die ihm zusah. Sie trug einen Morgenmantel, den sie eng um ihren Körper geschlungen hatte. Ihre Haare hatte sie hinten zusammengenommen. Ihre Arme waren verschränkt. Ihr Gesicht war angespannt und ihre Augen auf der Hut. Die lustvolle Frau der frühen Abendstunden war verschwunden. Lange schon.

Luke schüttelte seinen Kopf. „Das habe ich nie gesagt.“

Er stand auf und begann sich anzuziehen. Er zog seine schwarze Cargo-Hose an und ließ einige Schussmagazine mehr in seiner Hosentasche verschwinden. Er streifte ein tailliertes Hemd über und steckte die Glock in den Bund darüber. Er schlüpfte in seine Stahlkappen-Stiefel, schloss die Waffenkiste wieder und verstaute sie an ihrem angestammten Platz im oberen Teil des Schranks.

„Was wäre, wenn Gunner die Kiste finden würde?“

„Sie steht so weit oben, dass er sie nicht sehen, geschweige denn erreichen könnte. Selbst wenn er sie irgendwie herunter bekäme, wüsste er noch immer den Zahlencode nicht. Nur ich kenne die Kombination.“

Ein Kleidersack mit Wechselkleidung genug für zwei Tage hing auf dem Kleiderständer. Er schnappte ihn. Eine kleine Tasche gefüllt mit Toilettenartikeln in Reisegröße, Lesebrille, einigen Energie-Riegeln, und einem halben Duzend Dexedrine Pillen stand auf einem der Regalbretter. Auch diese griff er.

„Stets bereit, nicht wahr Luke? Deine Kiste mit Waffen und deine Klamotten-Tasche und deine Pillen und du bist bereit in jedem Moment zu gehen, sobald dich dein Land braucht. Habe ich nicht recht?“

Er holte tief Luft. „Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.“

„Warum sagst du nicht: Ich habe mich dafür entschieden, nicht zu gehen. Ich habe mich dafür entschieden, dass meine Frau und mein Sohn mir wichtiger sind als mein Job. Ich will, dass mein Sohn einen Vater hat. Ich will nicht, dass meine Frau Nacht um Nacht sich schlaflos fragt, ob ich noch am Leben bin oder ob ich jemals zurückkomme. Kannst du dich das bitte einmal  fragen?“

In solchen Momenten spürte er die wachsende Distanz zwischen ihnen. Er konnte es fast sehen. Becca war ein winziger Schatten in einer unendlichen Wüste, der am Horizont zu verschwinden drohte. Er wollte sie zu sich zurückholen. Er wollte es so sehr, aber er wusste nicht wie. Die Arbeit rief.

„Geht Papa wieder weg?“ Beide erstarrten. Gunner stand auf dem Absatz der drei Stufen, die in sein Zimmer führten.

Luke verschlug es für eine Sekunde den Atem, als er ihn sah. Er sah aus wie Christopher Robin aus Winnie Pooh. Seine blonden Haare standen in Büscheln von seinem Kopf ab. Er trug eine blaue Schlafanzughose mit gelbem Mond und Sternen darauf sowie ein Walking Dead T-Shirt.

„Komm mal her du Monster.“ Luke stellte seine Taschen ab, ging zu seinem Sohn und hob ihn hoch. Der Junge umschlang seinen Hals. „Du bist das Monster Papa. Nicht ich. “Okay, ich bin das Monster.“ „Wohin gehst du?“ „Ich muss zur Arbeit für vielleicht ein oder zwei Tage. Aber ich werde so schnell wie möglich wieder zurück sein.“ „Wird Mama dich verlassen, so wie sie es gesagt hat?“ Luke hielt Gunner mit ausgestreckten Armen vor sich. Der Junge wuchs und Luke erkannte, dass er ihn bald so nicht mehr halten würde können. Aber dieser Tag war noch nicht gekommen. „Hör mir mal zu. Mama wird mich nicht verlassen und wir werden noch ganz lange alle zusammenbleiben. In Ordnung?“ „In Ordnung, Papa.“

Er stieg die Treppen herauf und verschwand in seinem Zimmer.

Nachdem er weg war, blickten sich die beiden an. Die Distanz erschien nun geringer. Gunner war wie eine Brücke zwischen ihnen.

„Luke…“

Er hob seine Hände. „Bevor du etwas sagst, will ich etwas sagen. Ich liebe dich und ich liebe Gunner, mehr als alles andere in der Welt. Ich will bei euch sein, jeden Tag, jetzt und immer. Ich gehe nicht, weil mir gerade danach ist. Mir ist ganz und gar nicht danach. Es ist mir zuwider. Aber dieser Anruf heute Nacht… das Leben von Menschen steht auf dem Spiel. Ich mache diesen Job nun schon so viele Jahre. In den Nächten, in denen ich so aufbrechen musste wie jetzt, lag Gefahrenstufe zwei vor, das war genauer gesagt zwei Mal. Meistens war es Stufe drei.“

Beccas Gesicht schien sich ein wenig zu entspannen. „Welche Gefahrenstufe ist es dieses Mal?“ fragte sie. „Stufe eins.“

Kapitel 2

1.57 Uhr

McLean, Virginia – Zentrale des Spezialeinsatzkommandos

„Verzeihen Sie?“, fragte jemand. „Verzeihen Sie, wir sind da.“

Luke fuhr hoch. Er richtete sich auf. Das Auto parkte bereits am Gate der Abflugstelle. Ein leichter Regen fiel. Er schaute zum Fahrer. Es war ein junger Mann mit kurz geschorenen Haaren, der wahrscheinlich gerade erst seinen Militärdienst abgeleistet hatte. Der Bursche lächelte.

„Sie sind eingedöst.“

„Wohl wahr“, sagte Luke. Das Gewicht seines Jobs machte sich bereits bemerkbar. Er wollte zurück nach Hause ins Bett mit Becca aber er war nun einmal hier. Er wollte in einer Welt leben, in der Schwerstverbrecher keine radioaktiven Materialien stahlen. Er wollte schlafen und von angenehmeren Dingen träumen. Gerade konnte er sich nicht einmal vorstellen, wie diese angenehmen Dinge aussehen könnten. Sein Schlaf war vergiftet, denn er wusste zu viel.

Er stieg mit seinen Taschen aus dem Auto, präsentierte dem Wächter seinen Ausweis und passierte den Scanner.

Der schwarz glänzende Bell 430 Helikopter stand auf der Startfläche, der Hauptrotor drehte sich bereits. Luke lief geduckt über den Asphalt auf den Helikopter zu, dessen Motor nun an Fahrt gewann. Sie waren zum Abflug bereit. Die Tür der Passagierkabine wurde aufgeschoben und Luke kletterte hinein.

Sechs Leute waren an Bord, vier in der Passagierkabine, zwei im Cockpit des Helikopters. Don Morris saß neben dem Fenster. Der Sitz gegenüber von ihm war leer. Don deutete auf ihn.

„Ich bin froh, dass du gekommen bist, Luke. Setz dich. Willkommen im Team.“

Luke schnallte sich an, während der Helikopter gen Himmel wankte. Er blickte zu Don. Don war alt geworden, sein Flattop Haarschnitt grau. Seine Bartstoppeln waren grau. Sogar seine Augenbrauen waren grau. Dennoch sah er immer noch wie der Delta Force Kommandeur aus, der er einst gewesen war. Sein fester Körper hatte an nichts eingebüßt und sein Gesicht wirkte wie eine Wand aus Granit, dessen felsige Vorsprünge scharf abfielen. Seine Augen waren wie zwei Laser. In einer seiner steinernen Hände hielt er eine noch unangezündete Zigarre. Zehn Jahre lang hatte er keine mehr geraucht.

Als der Helikopter an Höhe gewann, folgte eine kurze Vorstellung der Leute in der Passagierkabine. „Luke du hast hier das Nachsehen, alle anderen hier wissen, wer du bist, aber du kennst die anderen wahrscheinlich noch nicht. Trudy Wellington kennst du, Wissenschafts- und Geheimdienstbeamter.“

Luke nickte der hübschen jungen Frau mit den schwarzen Haaren und der großen runden Brille zu. Er hatte mit ihr viele Male zusammengearbeitet. „Hallo Trudy.“

„Hallo Luke.“

„Okay ihr Turteltauben, soviel dazu. Das hier ist Mark Swann Luke, unser Computerexperte. Zusammen mit Ed Newsam zuständig für Waffen und Taktik.“

Luke nickte den Männern zu. Swann war weiß, hatte blondes Haar und trug eine Brille, er war vielleicht fünfunddreißig oder vierzig. Luke hatte ihn zuvor ein oder zwei Mal getroffen. Newsam war schwarz und Luke kannte ihn nicht, wahrscheinlich Anfang dreißig, barhäuptig, kurz-geschorener Bart, Muskeln wie gemeißelt und eine breite Brust, eine sechzig Zentimeter Python prangte auf seinem weißen T-Shirt. Er sah so aus, als hätte er jede Menge Schießereien hinter sich oder schlimme Straßenkämpfe. Mit „Waffen und Taktik“ meinte Don offensichtlich „Muskelkraft“.

Der Helikopter hatte seine endgültige Flughöhe erreicht; Luke schätzte etwa 3000 Meter. Der Helikopter brauchte einen Moment um sich auszutarieren und bewegte sich dann mit 240 Kilometern pro Stunde weiter. Gute neunzig Minuten konnten sie bei diesem Tempo auf New York City schauen.

„Trudy“, sagte Don. „Was kannst du uns sagen?“

Das Tablet in ihrer Hand leuchtete in der Dunkelheit der Kabine auf. Sie fixierte es. Ihr Gesicht wirkte in diesem Licht unheimlich, wie das eines Dämons.

„Ich starte einfach mal von ganz vorne“, sagte sie. „In Ordnung.“ Sie begann. „Vor weniger als einer Stunde hat uns die Anti-Terrorismus-Einheit der New Yorker Polizeidirektion kontaktiert. Es ging um ein großes Krankenhaus – das Center Medical Center – gelegen auf der Upper East Side von Manhattan. Dort lagert in einem Sicherheitsgewölbe in sechs Stockwerken Tiefe jede Menge radioaktives Material. Größtenteils handelt es sich dabei um Abfälle von Chemotherapien, andere Materialien kommen beispielsweise aus dem Röntgenbereich. Zu einem nicht genau festzustellenden Zeitpunkt in den letzten Stunden haben Unbekannte das Sicherheitssystem überlistet und den erwähnten radioaktiven Müll entfernt.“

„Wissen wir, um welche Menge es sich handelt?“ fragte Luke.

Trudy konsultierte ihr Tablet. „Das Material wird alle vier Wochen von einem LKW abgeholt und in eine Endlagerstätte im Westen Pennsylvanias gebracht, wo es unter der gemeinsamen Aufsicht vom Ministerium für Innere Sicherheit und der Umweltbehörde Pennsylvanias steht. Die nächste Ladung hätte in zwei Tagen abgeholt werden sollen.“

„Das heißt, es handelt sich um den radioaktiven Müll von etwa sechsundzwanzig Tagen“, sagte Don. „Wie viel ist das genau?“ „Das weiß das Krankenhaus nicht“, sagte Trudy. „Das wissen sie nicht?“ „Sie führen mit Hilfe einer Datenbank Buch über die Menge an Müll, die dort lagert. Nun, jemand hat sich Zugang zu der Datenbank verschafft und sie gelöscht. Je nach Behandlungsplan variieren die Mengen jeden Monat. Sie sind in der Lage mit Hilfe der Behandlungspläne die Listen wiederherzustellen, aber das kann noch ein paar Stunden dauern.“

„Sie haben keine Backup-Kopie?“, fragte Swann, der für die Technologie zuständig war.

„Haben sie, aber auch die wurde unschädlich gemacht. Die Daten des letzten Jahren fehlen somit.“

„Da weiß jemand, was er tut“, sagte Swann.

Luke ergriff das Wort. „Wie können wir wissen, dass es sich hier um einen Notfall handelt, wenn wir nicht einmal genau wissen, was gestohlen wurde?“

„Es gibt verschiedene Gründe“, sagte Trudy. „Das war nicht nur ein Diebstahl. Es handelt sich um einen wohlorganisierten und geplanten Angriff. Die Videoüberwachung in strategisch wichtigen Teilen des Krankenhauses wurde ausgeschaltet. Das schließt einige Ein- und Ausgänge, Treppenhäuser und Lastenaufzüge, das Sicherheitsgewölbe und das Parkhaus mit ein.“

„Hat schon jemand mit der Security gesprochen?“ fragte Luke.

„Die zwei Sicherheitsbeamten, die die Aufsicht für die Überwachung hatten, wurden beide tot in einem Ausrüstungsschrank aufgefunden. Sie hießen Nathan Gold, vierundfünfzig Jahre, männlich, weiß, geschieden, drei Kinder, keine bekannten Verbindungen zu organisierter Kriminalität oder Extremisten. Auch Kitty Faulkner, dreiunddreißig Jahre alt, weiblich, schwarz, unverheiratet hatte keine bekannten Verbindungen zu Extremismus oder organisierter Kriminalität. Faulkner hat acht Jahre dort gearbeitet. Beide Leichen wurden ohne Kleidung gefunden, von ihren Uniformen fehlt jede Spur. Beide wurden erwürgt, offenkundige Verfärbungen im Gesicht, Schwellungen, HWS Trauma, Würgemale von Strangulation oder Ähnlichem, die zum Tod geführt haben. Ich habe Fotos, falls ihr einen Blick darauf werfen wollt.“

Luke lehnte ab. „Ist okay. Lasst uns für den Moment annehmen, es handelt sich bei den Tätern um Männer. Tötet ein männlicher Täter eine Frau und zieht dann ihre Unform an?“

„Faulkner war für eine Frau recht groß“, sagte Trudy. „Sie war fast ein Meter achtzig und stämmig. Ein Mann hätte leicht in ihre Uniform gepasst.“

„Ist das alles, was wir haben?“

Trudy fuhr fort. „Nein. Ein Krankenhausmitarbeiter, der Schicht hatte, ist momentan nicht aufzufinden. Der Angestellte gehört zum Wachpersonal und heißt Ken Bryant. Er ist neunundzwanzig Jahre alt, schwarz, männlich und hat ein Jahr in Untersuchungshaft in Rikerts Islands gesessen und dann dreißig Monate in der Clinton JVA in Dannemora, New York. Er war wegen Diebstahl und einfacher Körperverletzung verurteilt. Nach seiner Entlassung hat er eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und ein Jobtraining abgeleistet. Er arbeitet seit fast vier Jahren im Krankenhaus und hat eine saubere Akte. Zuverlässig, keine Verhaltensauffälligkeiten.

„Als Wächter hat er Zugang zum Sicherheitsgewölbe wo der gefährliche Müll aufbewahrt wird und kennt außerdem die Sicherheitsabläufe des Krankenhauses und Personals. Er hatte Verbindungen zu Drogendealern und zu einer afroamerikanischen Gefängnisgang, der Black Gangster Family. Bei den Drogenhändlern handelt es sich um Kleinkriminelle aus der Nachbarschaft, in der er aufwuchs. Er hat sich wahrscheinlich aus Angst um die eigene Sicherheit auf diese Gefängnisgang eingelassen.“

„Du glaubst eine Gefängnis- oder Straßengang steckt dahinter?“

Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich erwähne Bryants Umgang nur, weil noch unklar ist, wo er steckt. Um eine Datenbank zu knacken und zu löschen und in ein Überwachungssystem einzudringen, das erfordert technisches Knowhow, das typischerweise nicht auf der Straße oder im Gefängnis erworben wird. Dieses Level an professioneller Herangehensweise und die Art der Beute lässt auf eine ruhende Terrorzelle schließen.“

„Was könnten sie mit den Chemikalien anfangen?“ fragte Don. „Die Warnhinweise auf den Materialien sind nicht zu übersehen“, sagte Trudy. „Eine schmutzige – eine radioaktive Bombe,“ sagte Luke. „Bingo. Welchen Grund könnte es sonst geben radioaktiven Müll zu stehlen? Das Krankenhaus hat keinen Schimmer, wie viel gestohlen wurde, aber sie wissen was es war. Iridium-192, Caesium-137, Tritium und Fluor sind unter den Chemikalien. Iridium ist höchst radioaktiv und in der Konzentration kommt es bei Kontakt zu Verbrennungen und Verstrahlungssymptomen innerhalb von Minuten oder Stunden. Experimente haben gezeigt, dass eine geringe Dosis Caesium-137 einen 20 Kilogramm schweren Hund innerhalb von drei Wochen töten kann. Fluor ist ein ätzendes Gas, das besonders für weiches Gewebe wie Augen, Haut und Lungen gefährlich werden kann. Geringe Dosen führen zu tränenden Augen. Eine hohe Konzentration schädigt die Lunge massiv und führt innerhalb von Minuten zum Tod durch Atemstillstand.“

„Na wunderbar”, sagte Don.

„Was für uns hier wichtig ist“, sagte Trudy „ist das Stichwort hohe Konzentrationen. Als Terrorist wirst du nicht versuchen, ein möglichst weitflächiges Gebiet zu finden. Das würde zu keinem wirksamen Kontakt mit den Stoffen führen. Du würdest eine Bombe mit dem radioaktiven Material bauen und sie mit konventionellen Sprengstoffen wie Dynamit kombinieren und du würdest sie in einem möglichst geschlossenen Gebiet detonieren lassen, mit vorzugsweise vielen Menschen. In einer überfüllten U-Bahn oder U-Bahn Station zur Hauptverkehrszeit. An Knotenpunkten des Pendlerverkehrs wie dem Grand Central Terminal oder der Penn Station. An einem großen Busbahnhof oder Flughafen. An einer Sehenswürdigkeit wie der Freiheitsstatue. Die Abgeschlossenheit wird die Strahlungskonzentration maximieren.“

Luke rief sich die enge Treppe, die zur Spitze der Freiheitsstatue führte, ins Gedächtnis. Jeden Tag war sie voller Menschen, meist Kinder auf Schulausflügen. Er sah Liberty Island vor seinem inneren Auge, wie die Insel mit tausenden Touristen gefüllt war, er sah die Fähren, die fast noch verstopfter waren als die Insel selbst, so wie Flüchtlingsboote aus Haiti.

Dann sah er die U-Bahnsteige des Grand Central Terminals morgens 7.30 Uhr, so voll von Pendlern, dass man kaum einen Platz zum Stehen fand. Ungefähr hundert Menschen würden auf den Treppen stehen und auf den nächsten Zug warten, der Menschen aufnehmen würde, um dem Bahnsteig Platz für die nächste Gruppe Menschen zu geben. Er stellte sich vor, wie eine Bombe in dieser Menge hochgehen würde.

Und dann die Lichter ausgingen.

Ein Welle Abscheu überrollte ihn. Es würden mehr Menschen in dem panischen Gedränge sterben, als durch die eigentliche Explosion.

Trudy fuhr fort. „Das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, ist, dass es zu viele potentielle Angriffsziele gibt. Außerdem muss die Attacke nicht notwendigerweise in New York stattfinden. Wenn der Diebstahl tatsächlich vor drei Stunden stattgefunden hat, dann haben wir bereits einen möglichen Operationsradius von wenigstens 240 Kilometern. Das schließt ganz New York City, seine Vororte, Philadelphia und alle größeren Städte in New Jersey, also Jersey City und Trenton mit ein. Wenn die Täter auch in der nächsten Stunde nicht gefasst werden, können wir den Radius bis Boston und Baltimore ausweiten. Die gesamte Region ist dich besiedelt. In einem Gebiet dieser Größenordnung können wir von Zehntausenden leicht verwundbaren Angriffszielen ausgehen. Selbst wenn sie sich an die bekanntesten Hausnummern halten würden, sprechen wir immer noch von mehreren Hundert.“

„Okay, Trudy“, sagte Luke. „Du hast die Faktenlage präsentiert. Was sagt euch jetzt euer Bauch?“

Trudy zuckte die Schultern. „Ich denke, dass wir davon ausgehen können, dass es sich um eine dreckige Bombe handelt, die im Zuge eines Anschlags zum Einsatz kommen soll und davon, dass dieser Anschlag mit Mitteln eines anderen Landes finanziert wird. Möglicherweise handelt es sich auch um eine unabhängige Terrororganisation wie ISIS oder Al-Qaida. Amerikaner und Kanadier mögen involviert sein, doch gesteuert wird die Sache von anderer Stelle. Es ist definitiv keine Gruppe, die ihre Wurzeln hier bei uns hat, wie im Falle von Umweltschützern oder weißen Rassisten.“

„Warum? Warum nicht von hier?“, fragte Luke. Er wusste bereits warum, aber es war wichtig, dass es auch ausgesprochen wurde, damit ein Schritt nach dem anderen gegangen werden konnte ohne etwas entscheidendes zu übersehen.

„Die Linken brennen Hummer Niederlassungen mitten in der Nacht nieder. Sie verhindern die Rodung von Wäldern und bemalen die Bäume, sodass niemand verletzt wird. Doch haben sie niemals auch nur den Versuch unternommen einen Anschlag auf eine dicht besiedelte Region zu verüben, geschweige denn jemanden umzubringen. Außerdem hassen sie alles, was mit Radioaktivität zu tun hat. Der rechte Flügel ist gewaltbereiter und Oklahoma City hat gezeigt, dass sie bereit sind die Zivilbevölkerung sowie Regierungswahrzeichen anzugreifen. Aber keine der Gruppen hätte das notwendige Training hierfür. Und es gibt einen anderen Grund, warum sie es wahrscheinlich nicht sind.“

„Und der wäre?“, fragte Luke.

„Iridium hat eine sehr kurze Halbwertszeit“, sagte Trudy. „Der Großteil wird in wenigen Tagen nutzlos sein. Wer auch immer diese Chemikalien gestohlen hat, muss schnell handeln, bevor sie selbst Opfer der Verstrahlung werden. Für die Muslime beginnt heute bei Sonnenuntergang der heilige Monat Ramadan. Ich denke, wir haben es hier mit einem Anschlag zu tun, der absichtlich so gelegt ist, dass er mit dem Beginn des Ramadans zusammenfällt.“

Luke atmete schon fast erleichtert aus. Er kannte Trudy seit einigen Jahren und hatte mit ihr zusammengearbeitet. Ihre Informationen waren immer gut und ihre Fähigkeit in Zusammenhängen zu denken war außergewöhnlich. Sie hatte viel öfter Recht, als dass sie daneben lag.

Er sah auf seine Uhr. Es war 3.15 Uhr. Die Sonne würde heute wahrscheinlich gegen 20 Uhr untergehen. Er stellte eine schnelle Berechnung an. „Du denkst also, wir haben mehr als sechzehn Stunden zur Verfügung, um diese Leute aufzuspüren?“

Sechzehn Stunden. Nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen war die eine Sache. Aber sechzehn Stunden dafür zur Verfügung zu haben samt der allerbesten Leute und Technologie war eine andere. Es war fast zu viel zu hoffen.

Trudy schüttelte ihren Kopf. „Nein. Das Problem ist, dass Ramadan mit Sonnenuntergang beginnt, aber mit welchem? In Teheran wird die Sonne heute um 20.24 untergehen, 10.54 Uhr unserer Zeit. Aber was wäre, wenn sie sich auf den Beginn des Ramadan anderswo beziehen würden, zum Beispiel den in Malaysia oder Indonesien? Das hieße für uns 7.24 Uhr morgens, was nicht völlig abwegig wäre, denn das ist der Beginn der Hauptverkehrszeit.“

Luke schnaubte. Er stierte durch das Fenster auf die weite Lichterflut der grenzenlosen Stadt unter ihm. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr. 3.20 Uhr. Vor ihm am Horizont konnte er die hohen Gebäude Lower Manhattans sehen und dort die zwei blauen Lichtstrahle, die anstelle des einstigen World Trade Center hoch in die Luft ragten. In drei Stunden würden die U-Bahnen und Zugstationen sich mit Pendlern zu füllen beginnen.

Und irgendwo dort draußen waren Menschen, die Pläne schmiedeten, diese Pendler sterben zu lassen.

Vanusepiirang:
16+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
10 september 2019
Objętość:
340 lk 1 illustratsioon
ISBN:
9781632916204
Allalaadimise formaat:

Selle raamatuga loetakse