Lesen in Antike und frühem Christentum

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Weil er eine detaillierte Einsicht in LesepraktikenLese-praxis in der Antike bietet, ist jedoch im Folgenden noch der ausführliche Rat Senecas zur Lektüretätigkeit und -auswahl zu besprechen, den er LuciliusLucilius in einem seiner Briefe gibt:

„2 Gib aber darauf acht, daß Deine Lektüre vieler AutorenAutor/Verfasser und aller möglichen Werke nicht eine gewisse Oberflächlichkeit und Unbeständigkeit mit sich bringt (ne ista lectiolectio auctorum multorum et omnis generis voluminumvolumen habeat aliquid vagum et instabile)! Man muß sich an bestimmte große Geister halten und an ihnen wachsen, wenn man etwas gewinnen will, das tief im Herzen Wurzel schlägt. Nirgends ist, wer überall ist. So ergeht es Leuten, die ihr Leben auf ReisenReise verbringen: Sie sind viel zu Gast, aber niemands Freund. Und dasselbe muß unweigerlich denen widerfahren, die sich nicht vertrauensvoll an einem der Großen orientieren, sondern durch alles hastig und schnellLese-geschwindigkeit hindurcheilen (sed omnia cursim et properantes transmittunttransmitto). 3 Eine Speise (cibus) ist nutzlos und schlägt nicht an, die man, kaum daß man sie zu sich genommen hat, wieder von sich gibt. Nichts verhindert so sehr die Genesung, als häufiger Wechsel der Heilmittel. Keine Wunde vernarbt, an der man Medikamente ausprobiert. Keine Pflanze gedeiht, die man häufig versetzt – kurz: Nichts ist so nützlich, daß es schon bei flüchtiger Berührung nützen könnte (ut in transitu prosit). Nur Verwirrung kommt aus einer Überzahl von Büchern (distringit librorum multitudo.). Da Du nicht alles zu lesen vermagst, was Du hast, genügt es, soviel zu haben, wie du lesen kannst (itaque cum legerelego non possis, quantum habueris, satis est habere, quantum legas). 4 ‚Aber‘, wendest Du ein, ‚ich möchte bald dieses BuchBuch auseinanderrollen (evolvoevolvo), bald jenes!‘ Es verrät einen übersättigten Magen, wenn man von vielem nur kostet (fastidientis stomachi est multa degustaredegusto). Sobald es viele verschiedene Speisen sind, machen sie nur Beschwerden und sind nicht nahrhaft. Lies also stets anerkannte Autoren, und wenn es Dich einmal lockt, Dich anderen zuzuwenden, dann kehre zur früheren Lektüre zurück (ad priores redi). Verschaffe Dir täglich ein wenig von dem, was Dir in der ArmutArmut oder beim Sterben helfen kann, desgleichen bei den übrigen Übeln. Und wenn Du durch vieles hindurchgerannt bist, greife Dir einen Satz heraus (o. exzerpiere einen Satz), den Du an diesem Tag weichkochst (et cum multa percurrenspercurro, unum excerpe, quod illo die concoquas). 5 Ich halte es selbst ebenso: Aus recht vielem, das ich lese, suche ich mir etwas zu eigen zu machen (ex pluribus, quae legi, aliquid adprehendo). Heute ist’s der folgende Satz, den ich zufällig bei Epikur gefunden habe – ich gehe (transeotranseo) nämlich gern auch einmal ins gegnerische Lager, nicht als Überläufer, sondern als Kundschafter. ‚Ehrenwert‘, sagt Epikur, ‚ist heitere Armut.‘ (6) Doch es ist gar keine Armut, wenn sie heiter ist: Nicht, wer zu wenig hat, sondern wer zu viel begehrt, ist arm“ (Sen. ep.Seneca, Lucius Annaeus (d. J.) 2,2-6; Üb. FINK, mod. JH).

Dieser BriefBrief gehört wohl zu den bildreichsten Reflexionen antiker LesepraxisLese-praxis, in denen verschiedene Bildfelder (u. a. BewegungBewegung/ReiseReise, Kontakt/Berührung, Krieg) interagieren, wobei aber die Bewegungs- und Speisemetaphorik dominieren. Die Quelle belegt idealtypisch zwei verschiedene Konzepte individuell-direkteLektüreindividuell-direktr Lektüre. Zum einen singulärenFrequenzsingulär, schnelle und oberflächlicheAufmerksamkeitoberflächlich/flüchtigLese-geschwindigkeit Lektüre vieler BücherBuch, die hier vor allem durch Bewegungsmetaphern (vagum et instabile; sed omnia cursim et properantes transmittunttransmitto [Sen. ep.Seneca, Lucius Annaeus (d. J.) 2,2]; et cum multa percurrens [Sen. ep. 2,4]) konzeptualisiert ist. Insbesondere das Verb percurropercurro (durchlaufen, durcheilen) scheint eine gängige LesemetapherMetapher im Lateinischen zu sein und ein eher oberflächliches, „überfliegendes“ Lesen zu bezeichnen.20 Eine solche Lektürepraxis bewertet Seneca kritisch und begründet dies unter anderem speisemetaphorisch: Verschiedene Speisen, von denen man nur kostet, sind nicht nahrhaft (Sen. ep. 2,4). Damit bringt Seneca eine Erfahrung der Begrenztheit kognitiverkognitiv Verarbeitbarkeit von Gelesenem bei einer solchen oberflächlichen Form von Lektüre zum Ausdruck. Entsprechend ist auch sein Rat zu früheren Lektüren zurückzukehren (redeoredeo), also wiederholt zu lesen bzw. einzelne LesefrüchteLese-frucht für sich selbst festzuhalten, möglicherweise durch ein schriftliches ExzerptExzerpt, und sich anzueignen, also das intensiv zu Verarbeitende zu selektieren, wofür die Lektüre vermutlich auch unterbrochenLese-pausen/-unterbrechungAufmerksamkeitvertieft werden muss.21 Interessant ist ferner noch, dass Seneca die Auswahl seiner Lektüren ebenfalls durch eine innovative Bewegungsmetapher zum Ausdruck bringt: das Hinübergehen (transeotranseo) ins feindliche Lager (Sen. ep. 2,5). In einem anderen Buch verwendet er für die von ihm kritisierte LeseweiseLese-weise das Verb erroerro, um das ziellose Umherirren in den Büchern vieler AutorenAutor/Verfasser zum Ausdruck zu bringen (Sen. tranq. 9,4).

Zuletzt und überleitend zum nächsten Punkt sei noch auf eine besondere Form der Bildlichkeit der BewegungBewegung hingewiesen und zwar auf solche Fälle, wo sich nicht – wie in den meisten bisher besprochenen Quellen – der LeserLeser durch den Text bewegt, sondern explizit die AugenbewegungAugen-bewegung thematisiert wird. Besonders aufschlussreich im Hinblick auf die vorliegende Studie ist in dieser Hinsicht ein Redebeitrag von Aristobulos in Plutarchs Dialog über den Verstand von Land- und Wassertieren:

„Wir können oft Schriften mit den AugenAugen durchlaufen, und es können RedenRede in das OhrOhr fallen, ohne daß wir etwas davon auffassen und behalten, weil wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas Anderes gerichtet haben (καὶ γὰρ γράμματαγράμματα πολλάκις ἐπιπορευομένους τῇ ὄψει καὶ λόγοι προσπίπτοντες τῇ ἀκοῇ διαλανθάνουσιν ἡμᾶς καὶ διαφεύγουσι πρὸς ἑτέροις τὸν νοῦν ἔχοντας). So wie aber diese zum Gegenstand zurückkehrt, gehen wir denkend alles Vorbeigelassene noch einmal durch. Daher heißt es auch: ‚Der Verstand sieht, der Verstand hört; alles andere ist taub und blind (νοῦς ὁρῇ καὶ νοῦς ἀκούει, τἄλλα κωφὰ καὶ τυφλά),‘ [Epicharmos, PCG 1 214]. Denn der Eindruck auf Augen und Ohren bringt, wenn nicht das Denken dabei ist, keine Empfindung hervor“ (Plut.Plutarch soll. an. 3 [mor. 961a]; Üb. OSIANDER/SCHWAB)

Autobulos siniert hier eindrucksvoll über den Zusammenhang zwischen Lesen und kognitiverkognitiv Verarbeitung. Seine Ausführungen beruhen allem Anschein nach nicht nur auf der Selbstwahrnehmung seiner eigenen LesepraxisLese-praxis, sondern spiegeln ein in der Antike weiter verbreitetes Bewusstsein wider. Zur Beschreibung des Lesens verwendet er das Motiv „BuchstabenBuch-stabe mit den AugenAugen durchmarschieren/-reisen“ (ἐπιπορεύομαιἐπιπορεύομαι τῇ ὄψει), womit eindeutig ein (unbewusster) individuell-direkteLektüreindividuell-direktr Leseprozess gemeint ist. Und zwar verweist er damit spezifisch auf die physiologischen Prozesse des Lesens, die darauf angewiesen sind, dass auch der Verstand auf das Gelesene gerichtet wird. Denn wenn die Aufmerksamkeit des LesersLeser auf etwas anderes gerichtet ist, kann der Leser den Inhalt des Textes kognitiv nicht weiterverarbeiten, was etwa auch Augustinus reflektiert.22 Allerdings scheint der zweite Satz „So wir aber …“ auf eine Erfahrung hinzudeuten, dass auch bei einem Leseprozess, bei dem der Leser gedanklich abschweift, unterbewusst doch etwas wahrgenommen werden kann, das einem im Nachhinein durch Zurücklenkung der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, bewusst gemacht werden kann. Dass hier außerdem zwischen dem Auge als primärem RezeptionsorganRezeption für das Lesen und dem OhrOhr als primärem Rezeptionsorgan für die RedeRede unterschieden wird, deutet in diesem Kontext außerdem eher darauf hin, dass er nicht-vokalisierendeStimmeinsatznicht-vokalisierends Lesen voraussetzt.23 Im ZitatZitat von Epicharmos zeigt sich zudem ein Bewusstsein für das „innere Auge“ und das „innere Ohr“ als Beschreibungskategorien für die kognitiven Verarbeitungsprozess beim Lesen, die schon an anderer Stelle angesprochen wurden.

Bei HorazHoraz (sat. 2,5,51–55) findet sich eine eindrucksvolle Szene, in der es um das Lesen eines Testamentes geht. In einem Dialog mit Teiresias rät Odysseus diesem, er möge, wenn jemand ihm sein Testament zu lesen geben wolle, es dankend zurückweisen. Dabei möge er sich jedoch bemühen, unbemerkt einen Seitenblick auf die zweite Zeile der ersten Seite (der tabulae) zu werfen (ut limis rapias, quid prima secundo ceracera velit versu; Hor. sat. 2,5,53f), in der die Erben namentlich erwähnt werden. Mit schnellem AugeAugen solle man dabei rennen (veloci percurrepercurro oculo), um zu schauen, ob er allein oder mit anderen erbt (Hor. sat. 2,5,54f). Hier ist eindeutig eine beiläufige individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre im Blick, die schnellLese-geschwindigkeit und unbemerkt ablaufen muss und eindeutig rein visuellvisuell konzeptualisiert ist. Die weite Verbreitung der Wahrnehmung des Lesens als visuelles Phänomen wird nun im Folgenden zu thematisieren sein.

 

3.8 Lesen als Sehen des Textes

EsSehen finden sich zahlreiche Belege in den Quellen, die zeigen, dass Lesen in der Antike als visuellvisuell orientiertes Phänomen wahrgenommen und beschrieben wurde.1 Dies spiegelt sich darin wider, dass zahlreiche Verben der visuellen Wahrnehmung (im Folgenden: verba vivendi) zur Beschreibung von LeseaktenLese-akt verwendet werden konnten. Im Folgenden wird eine Auswahl der aussagekräftigsten Quellenstellen exemplarisch besprochen.

Die auffälligste Beobachtung am Quellenbefund besteht darin, dass das Lesen von InschriftenInschriften, das auch ikonographischLese-ikonographie dargestellt wird,2 eng mit der visuellenvisuell Wahrnehmung verknüpft ist.3 Dies zeigen a) sowohl selbstreferenzielleselbstreferenziell Verweise in den Inschriften selbst als auch b) literarische Quellen, in denen in unterschiedlicher Form das Lesen von Inschriften reflektiert wird, das in den meisten Fällen wohl eine Form des zufälligen Lesens darstellt.4

ad a) Eine außerordentlich detailreiche Reflexion des Lesevorgangs von InschriftenInschriften findet sich in einer Inschrift aus Alexandria aus dem 3./2. Jh. v. Chr.: „… der Stein wird dir den Toten bezeichnen (σημανεῖ), als wer und wessen Sohn er in den Hades ging. Aber beuge mir, Freund, das totengeleitende Knie [d. h. das dich zu den Toten/zur Inschrift führt?] auf den Boden und beschaue mit beiden Pupillen die gravierte Inschrift (ἄθρει γράμμα διπτύχοις κόραις)“ (GVI 1620,1–5).5 Die HaltungHaltung des Kniens, die Verwendung des Verbes ἀθρέωἀθρέω und der Hinweis auf die Pupillen zeigen eindeutig, dass der LeseaktLese-akt visuellvisuell konzeptualisiert ist. Dies korrespondiert damit, dass der Stein selbst nicht spricht, sondern durch das Verb σημαίνω eher der visuelle Charakter des GeschriebenenSchriftGeschriebenes hervorgehoben wird. Die eindeutig individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Rezeption des in der Inschrift enthaltenen Textes ist also mutmaßlich nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend zu denken. Es finden sich zahlreiche weitere Grabinschriften, in denen der intendierte LeserLeser der Inschrift direkt im ersten Satz aufgefordert wird, das Grabmal zu beschauen, wahrzunehmen bzw. darauf zu sehenSehen (ἀθρέω). Aus dem Befund geht eindeutig hervor, dass nicht nur ein Sehen des materiellenMaterialität Steins gemeint ist, sondern das Verb metonymischMetonymie zum Lesen der Inschrift selbst auffordert. Ein schönes Beispiel findet sich in einer Inschrift aus Telos, die ins 1. Jh. v. Chr. datiert wird: „Reisender, beschaue dieses Grabmal Philons aus Kallipolis …“ (σῆμα Φίλωνος ἄθρησον ὁδοιπόρε, Καλλιπο[λ]εί[ας] …; IG XII 3 48,1 f).6 In einer christlichen Inschrift aus der ersten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. aus Lykaonien findet sich analog: „Wenn du dieses Grabmal beschaust, wirst du wissen, wen das Grab festhält: den edlen Sohn des Photinos, den vortrefflichen Diomedes, der mit seinem Tod sein Vaterland betrübte.“ (σῆμα τόδ’ ἀθρήσας εἴσῃ τίνα τύνβος ἐρύκι· Φωτινοῦ τέκος ἐσθλὸν ἀρίζηλον Διομήδην …; MAMA 7 560,1–4 = ICG 349, Üb. HUTTNER [leicht modifiziert JH]). Aus der syntaktischen Konstruktion geht eindeutig hervor, dass ἀθρέω hier bedeuten muss, dass der Betrachter die Inschrift liest, damit er wissen (οἶδα) kann, wer hier begraben liegt. S. die ganz ähnliche Formulierung in SEG 6 297,1f = ICG 352. Vgl. außerdem exemplarisch SEG 40 1105,2f; MAMA 7 553,1f (=ICG 345); MAMA 7 558,1 (=ICG 347).7 S. ferner außerdem die oben schon besprochene Bestimmung zur Veröffentlichung im Edikt über das Aurum Coronarium in P.Fay. 20 col. 2, Z. 23, in der mit σύνοπτος ein Adjektiv der visuellen Wahrnehmung verwendet wird.8

ad b) Schon bei Herodot findet sich ein verbum vivendi in Bezug auf eine InschriftInschriften: „Ich selbst habe gesehen solche BuchstabenBuch-stabe aus der Zeit des Kadmos [scil. phönizische Buchstaben] (εἶδονεἶδον δὲ καὶ αὐτὸς Καδμήια γράμματαγράμματα) im Tempel des Apollon Ismenios im boiotischen Theben“ (Hdt.Herodot 5,59).9 Es ist zwar richtig, dass Herodot hier in erster Linie auf das archaische Aussehen der Schrift verweist. Wie das nachfolgende ZitatZitat einer der auf einem Dreifuß eingeritzten Inschriften zeigt, impliziert das SehenSehen allerdings auch das Lesen derselben.10 In Aristophanes’ Σφήκες sagt Xanthias über seinen Herren: „Wenn er irgendwo an einer Tür geschriebenSchriftGeschriebenes sieht ‚Schön ist Demos, der Sohn Pyrilampes’ (ἢν ἴδῃ γέ που γεγραμμένονγράφω υἱὸν Πυριλάμπους ἐν θύρᾳ Δῆμον καλόν), wird er darunter schreibenSchreiben ‚Schön ist Cemos,‘“ (Aristoph.Aristophanes Vesp. 97). Das Sehen impliziert hier eindeutig, dass das Graffito auch gelesen wird.11 In den Mimiamben des HerodasHerodas aus dem 3. Jh. v. Chr. findet sich eine Szene, in der zwei Frauen ein Opfer in das Asklepieion von Kos bringen und während der Opferung über die Kunstwerke sprechen. Dabei fällt der Freundin Kynnos zunächst ein großes Marmorwerk ins Auge und sie fragt, wer es geschaffen und wer es aufgestellt habe. Darauf antwortet Kynno: „Die Söhne des Prexiteles; siehst Du nicht jene Inschrift auf dem Sockel? (οὐκ ὀρῆις κεῖνα ἐν τῆι βάσι τὰ γράμματ’) Euthies aber hat es aufgestellt, der Sohn des Prexon“ (Herodas 4,23–25; Üb. MEISTER). Das Verb ὁράωὁράω meint hier so viel wie: „Hast Du noch nicht gelesen?“ Denn Kynno geht anscheinend selbstverständlich davon aus, dass ihre Freundin die Inschrift potentiell lesen kann, diese bisher aber offensichtlich nur noch nicht wahrgenommen hat. Dies ist insofern aufschlussreich, als es sich bei den Frauen – wie insgesamt in den Mimiamben – um Personen aus den mittleren und unteren Schichten handelt, wie in diesem Fall an der Opfergabe sichtbar wird (vgl. Herodas 4,10–19).12 Auch die bemerkenswerte Kombination aus Bewegungsbildlichkeit und visuellervisuell Wahrnehmung (s. o. 3.7) findet sich in Bezug auf das Lesen von Inschriften in den Quellen. So finden sich die folgenden Ausführungen in Plutarchs Περὶ πολυπραγμοσύνης: „Ein Hauptmittel, sich von dieser Leidenschaft [der Neugier] zu befreien, liegt in der Gewöhnung, wenn wir schon von früh her anfangen, uns selbst zu dieser Enthaltsamkeit zu üben und anzuleiten; […] Wir wollen erst mit den geringsten und unbedeutendsten Dingen den Anfang machen. Ist es etwas Schweres, auf den Wegen die Inschriften an den Gräbern nicht zu lesen? (τί γὰρ χαλεπόν ἐστιν ἐν ταῖς ὁδοῖς τὰς ἐπὶ τῶν τάφων ἐπιγραφὰς μὴ ἀναγιγνώσκειν) Oder ist es schwierig, bei Spaziergängen mit dem Blick über die Schriften an den Mauern herüberzulaufen? (ἢ τί δυσχερὲς ἐν τοῖς περιπάτοις τὰ κατὰ τῶν τοίχων γράμματαγράμματα 2 τῇ ὄψει παρατρέχειν) Wir brauchen nur daran zu denken, dass nichts Nützliches und Angenehmes darauf geschrieben steht“ (Plut.Plutarch curios. 11 [mor. 520d/e]; Üb. OSIANDER/SCHWAB, mod. JH). Gerade weil hier das Nicht-Lesen der Inschriften mit der BewegungBewegung des Blickes konzeptualisiert ist, erscheint diese Stelle interessant und belegt indirekt das Konzept VISUELLE WAHRNEHMUNG VON SCHRIFT IST LESEN. Die Stelle impliziert außerdem, dass es nicht selbstverständlich ist, Inschriften am Wegesrand zu ignorieren, sondern einer (wenn auch leichten) Übung bedarf. Dies deutet darauf hin, dass es durchaus gängig war, Inschriften im „Vorbeigehen“13 wahrzunehmen und zumindest mit einem flüchtigenAufmerksamkeitoberflächlich/flüchtig Blick das Geschriebene (teilweise) zu lesen (ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω). Vgl. ferner Plin. nat.Plinius der Ältere 35,3,12.

Die ikonographischenLese-ikonographie Darstellungen sowie die angegebene Auswahl an literarischen Reflexionen der Wahrnehmung von InschriftenInschriften zeigt – zusammen mit den oben schon angegeben Belegen zum Lesen von Inschriften (vgl. 3.1.1, S. 111 f)14 –, dass die Einschätzung von R. Höschele zu revidieren ist, die Rezeption von Inschriften würde in der antiken Literatur kaum thematisiert. Zusätzlich zu hinterfragen ist dann ihre daraus abgeleitete Schlussfolgerung, die Menschen in der Antike hätten Texte auf Inschriften nicht gelesen bzw. weitgehend ignoriert.15

Die weitere exemplarische Durchsicht durch den Quellenbefund ist, soweit dies sinnvoll darstellbar ist, chronologisch orientiert, wobei auf später erneut zu findende, analoge Formulierungen vorgezogen verwiesen wird und zuletzt summarisch solche Quellen genannt werden, an denen zwar das Lesen selbst nicht direkt metonymischMetonymie als SehenSehen konzeptualisiert ist, aber der enge Zusammenhang zwischen Sehorgan und Lesen deutlich wird.

Schon im 5. Jh. v. Chr. findet sich eine aufschlussreiche Szene in Aristophanes’ Ἱππῆς, in welcher der SklaveSklave des Demos Demosthenes seinen Mitsklaven Nikias darum bittet, ihm das entwendete Schriftstück (vgl Aristoph.Aristophanes Eq. 110–115) mit einem Orakel (χρησμός) zu geben:

„Gib’ es mir, damit ich es lese (φέρ᾽ αὐτὸν ἵν᾽ ἀναγνῶ)! Schenk mir fleißig ein inzwischen! Gib’, damit ich sehe, was darin steckt (φέρ᾽ ἴδω τί ἄρ᾽ ἔνεστιν αὐτόθι). [Anm. JH: LesepauseLese-pausen/-unterbrechung] Oh Prophezeiungen (ὦ λόγια)! Gib mir, gib den Becher schnellLese-geschwindigkeit“ (Aristoph.Aristophanes Eq. 118–120).

Das individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lesen (ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω) – Demosthenes bekommt das Schriftstück in die Hand – ist hier eindeutig visuellvisuell konzeptualisiert, εἶδονεἶδον wird gleichsam synonym zu ἀναγιγνώσκω verwendet. Der Ausruf ὦ λόγια bezieht sich auf das Gelesene. Es ist also eine LesepauseLese-pausen/-unterbrechung impliziert. Sodann geht aus dem Kontext eindeutig hervor, dass Demosthenes das Schriftstück nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend liest.16 Denn in der Fortsetzung des Dialogs fragt Nikias mehrfach nach dem Inhalt des Orakels (vgl. Aristoph.Aristophanes Eq. 121ff).

In einem andern Stück von Aristophanes, den Νεφέλαι, bittet Strepsiades nach dem Aufstehen einen SklavenSklave darum, Licht (es ist noch dunkel) und sein Geschäftsbuch (γραμματεῖον) zu holen. „[D]amit ich es nehme und lese (ἵν᾽ ἀναγνῶ λαβὼν), wem ich etwas schulde und die Zinsen berechne. Gib’, dass ich sehe, was ich schulde. (φέρ᾽ ἴδω τί ὀφείλω) [Anm. JH: liest] Zwölf Minen dem Pasias. [Anm. JH: blickt auf und spricht nicht mehr lesend:] Zwölf Minen dem Pasias? …“ (Aristoph.Aristophanes Nub. 19–22). Wie schon bei der vorhergehenden Stelle, wird εἶδονεἶδον hier gleichsam synonym zu ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω verwendet, wobei Strepsiades das Geschäftsbuch aus dramaturgischen Gründen vokalisierendStimmeinsatzvokalisierend liest und seinen Leseprozess für kommentierende Anmerkungen jeweils unterbricht.

 

Eine ähnliche Szene findet sich bei Demosthenes, der ebenfalls εἶδονεἶδον verwendet, um die Einsicht in GeschäftsbücherBuchGeschäfts- zu beschreiben. Und zwar berichtet Demosthenes, dass Kallipos in einer Bank um Einsicht in die Geschäftsbücher bittet, um zu überprüfen, ob der gestorbene Phormion Geld hinterlassen habe (ἀξιῶ δή σε δεῖξαί μοι τὰ γράμματαγράμματα, ἵν᾽ εἰδῶ εἴ τι καταλέλοιπεν ἀργύριον; Demosth.Demosthenes or. 52,5). Die Bücher werden ihm auf der Stelle gebracht. Als er sie gelesen und einen bestimmten (für ihn unangenehmen) Eintrag gesehen hat (ἀναγνοὺς αὐτὸς καὶ ἄλλος οὐδείς, καὶ ἰδὼν γεγραμμένονγράφω ἐν αὐτῷ …; Demosth. or. 52,6), verlässt er die Bank ohne einen Ton zu sagen.17 Die individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre der Geschäftsbücher – Kallipos hat sie selbst in der Hand – ist hier eindeutig visuellvisuell konzeptualisiert. Nichts im Kontext deutet auf vokalisierendeStimmeinsatzvokalisierend Lektüre hin. Die hier zu findende Wendung „etwas Geschriebenes sehenSehen“ findet sich spätestens seit dem 5./4. Jh. v. Chr. vielfach als MetonymieMetonymie für Lesen,18 etwa auch im Hinblick auf das Lesen von BriefenBrief19 und ist für die Interpretation einiger Stellen im NT relevant (vgl. insb. den eigenhändigen Briefgruß von Paulus, der eindeutig für visuell wahrgenommen werden musste).20

Schon im 4. Jh. v. Chr. findet sich auch eine Stelle, an der θεωρέωθεωρέω im Sinne von „lesen“ verwendet wird, und zwar bei Alkidamas, dem Gegner von Isokrates. Dieser gibt in seiner (schriftlich publizierten; s. u.) RedeRede „Über die Schreiber von geschriebenen Reden oder über die Sophisten“ zu bedenken, dass „die geschriebeneSchriftGeschriebenes Rede (ὁ γεγραμμένοςγράφω λόγοςλόγος), […] wenn sie aus einem BuchBuch heraus betrachtet wird (ἐκ βιβλίου <μὲν> θεωρούμενος), Ehrfurcht hervorruft“ (Alkid.Alkidamas Soph. 28) aber sonst keinen wirklichen Nutzen habe. Die Formulierung „aus einem Buch heraus betrachten“ impliziert m. E. ganz eindeutig individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre einer in einer RolleRolle (scroll) aufgeschriebenen Rede, wie sie z.B. auch bei Isokr.Isokrates 12,216.246, Plut.Plutarch Pomp. 79 oder Plin. ep.Plinius der Jüngere 1,16,3 (s. o.) vorausgesetzt wird, und nicht eine vermeintliche Situation, in der die Rede vor einem PublikumPublikum (s. auch Lesepublikum) vorgelesen wird.21 Dies zeigt insbesondere der argumentative Kontext (vgl. Alkid. Soph. 27), in dem Alkidamas geschriebene Reden, die für ihn eher den Charakter eines Abbildes, eines Musters oder einer Imitation von Reden hätten, mit Bronzestatuen, Steinmonumenten und der Darstellung von Lebewesen vergleicht, die eben von Individuen visuellvisuell wahrgenommen werden und, wie er selbst betont, beim Betrachten Vergnügen bereiten (καὶ τέρψιν μὲν ἐπὶ τῆς θεωρίας ἔχει). Dieser Vergleich zeigt, dass Alkidamas die von ihm kritisierten geschriebenen Reden in Rollenform in seiner Zeit – er hat die Reden von Isokrates im Blick22 – nicht (primär) als Vorlagen für den performativen Vortrag versteht,23 sondern als Werke für die fortlaufende, individuelle Rezeption. Dies entspricht im Übrigen dem, wie etwa L. van Hook die Intention von Isokrates’ Reden charakterisiert:

„It was his aim in written discourse, which was to be read, to produce work of lasting value, to be thorough, and to be honest; not merely to educate youths as speakers and litigants, but to prepare them for actual life and as leaders of public opinion.”24

Da Alkidamas in der vorliegenden RedeRede selbst auf das Format der schriftlichen PublikationPublikation/Veröffentlichung einer Rede zurückgreift, muss er angesichts seiner Kritik an Isokrates einigen argumentativen Aufwand zur Selbstrechtfertigung betreiben (vgl. Alkid.Alkidamas Soph. 29–32). Er selbst nutze das Format der schriftlichen Rede, damit seine Darlegungen zu den Massen herausgetragen werden kann (εἵνεκα τῶν εἰς τοὺς ὄχλους ἐκφερομένων; Alkid. Soph. 31), d. h. er hat einen breiten Rezipientenkreis im Blick, der über den eines Auditoriums weit hinausgeht und den er ebenfalls in Alkid. Soph. 31 nicht mit einem PartizipPartizip eines verbum dicendiverba dicendi, sondern mit dem Partizip von ἐντυγχάνωἐντυγχάνω als „meine RezipientenRezipient/LeserLeser“ (s. o. 3.4) anspricht. In diesem Kontext verwendet er mit der Formulierung „Hinabsehen in das Geschriebene“ (εἰς δὲ τὰ γεγραμμέναγράφω κατιδόντας; Alkid. Soph. 32) im Übrigen eine weitere, visuellvisuell konnotierte Umschreibung einer Form individuell-direkteLektüreindividuell-direktr Lektüre, bei welcher der Leser auf das in der RolleRolle (scroll) Geschriebene hinabschaut.

Eine weitere eindrückliche Szene findet sich im Hauptwerk von Dionysios von Halikarnassos, in der er die Geschichte Roms erzählt. In Buch 5 beschreibt Dionysios, wie die Konsuln aus der Frühzeit der Römischen Republik eine Verschwörung aufdecken und Briefe der Verschwörer finden (vgl. Dion. Hal.Dionysios von Halikarnassos ant. 5,7,2–4). Nach der nächtlichen Aufdeckung der Konspiration setzt sich der Konsul Brutus am Morgen auf den RichterstuhlGericht (καθίσας ἐπὶ τὸ βῆμα).

„Und er sahSehen die Briefe der Verschwörer durch (καὶ τὰς ἐπιστολὰςἐπιστολή τῶν ἐν τῇ συνωμοσίᾳ διασκεπτόμενος), wobei er fand (εὑρίσκωεὑρίσκω), dass diese von seinen Söhnen geschriebenSchriftGeschriebenes worden waren, was er jeweils an den Siegeln erkannte“ (Dion. Hal.Dionysios von Halikarnassos ant. 5,8,2).

Das Verb διασκοπέωδιασκοπέω (durchsehen, genau betrachten, untersuchen)25 zeigt an, dass die individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre im SitzenHaltungsitzen eindeutig visuellvisuell konzeptualisiert ist. Zudem geht aus dem Kontext hervor, dass Brutus die Briefe nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend liest. So befiehlt er im Folgenden, dass die Briefe vorgelesen würden (ἀναγιγνώσκωἀναγιγνώσκω), damit auch den anderen Anwesenden der Inhalt zu Gehör gebracht wird. Sehr ähnlich ist eine Szene in der in der ersten Hälfte des 3. Jh. geschriebenen Vita des Apollonios von Tyana von Philostrat. Der Ich-ErzählerErzähler vermutet hier, dass der KönigKönig keine Nahrung zu sich genommen hätte, weil er Gerichtsakten durchgesehen habe (διοράωδιοράω). „Er habe nämlich eine SchriftrolleRolle (scroll) in der Hand gehabt und bald mehr, bald weniger Zorn gezeigt“ (Philostr.Philostratos, Flavius v. Apoll. 8,1; Üb. MUMPRECHT). Auch hier erscheint es plausibler anzunehmen, dass der König die Gerichtsakten nicht-vokalisierendStimmeinsatzvokalisierend durchsieht. Das Verb wird außerdem in einem Fragment von AlexisAlexis Stück Linos eindeutig zur Kennzeichnung von nicht-vokalisierendem Lesen verwendet. In einer Szene fordert Linus Herakles dazu auf die an den RollenRolle (scroll) außen angebrachten TitelTitel der großen Menge seiner BücherBuch mit Ruhe und Muße durchzusehen (διασκοπῶν ἀπὸ τῶν ἐπιγραμμάτων ἀτρέμα τε καὶ σχολῇ. Alexis, Linus fr. 140: Athen.Athenaios deipn. 4,57 [164c]). Epikur verwendet in seinem BriefBrief an Herodot das Verb διαθρέωδιαθρέω (durchsehen), um das individuelle StudiumStudium seiner umfangreichen FachbücherBuchFach- zu bezeichnen, wenn er schreibt, er habe eine Epitome erstellt „für diejenigen […], die nicht alles genau erforschen (ἐξακριβόω) können, was ich über die NaturNatur geschriebenSchriftGeschriebenes habe, oder die längeren Bücher der Werke durchsehen zu können (μηδὲ τὰς μείζους τῶν συντεταγμένων βίβλους διαθρεῖν)“ (Diog. Laert.Diogenes Laertios 10,35).26

PlutarchPlutarch kommt in seiner Biographie des spartanischen Feldherrn Lysandros auf ein Verschlüsselungssystem für schriftliche Botschaften in der Kommunikation mit Militärs zu sprechen – die sog. SkytaleSkytale (vgl. Plut. Lys.Lysias 19; s. auch Polyain.Polyainos strat. 7,19).27 Dabei kommen auf der Sender- und Empfängerseite zwei identische Rundhölzer zum Einsatz, um die herum ein PapyrusPapyrus- oder Lederstreifen gewickelt und mit einer Nachricht beschrieben wird. Die Nachricht auf dem Streifen wird ohne das Rundholz an den Empfänger geschickt.

„Er nimmt also die bei ihm befindliche SkytaleSkytale und wickelt den Briefstreifen um sie, so dass, wenn nun die Wickelung in die gleiche Lage kommt, wie zuvor, das zweite an das erste schließt, das AugeAugen im Kreise herumführt und es so den Zusammenhang auffinden lässt (κύκλῳ τὴν ὄψιν ἐπάγειν τὸ συνεχὲς ἀνευρίσκουσαν)“ (Plut.Plutarch Lys.Lysias 19,7; Üb. ZIEGLER).

Das Lesen der Botschaft ist hier eindeutig visuellvisuell konzeptualisiert, wie sprachlich-syntaktisch vor allem daran deutlich wird, dass der Blick (ὄψις) Hauptbeteiligter des Lesevorgangs ist, der wiederum als Auffinden des Zusammenhangs beschrieben wird (τὸ συνεχὲς ἀνευρίσκω).

Interessant ist außerdem, dass der Herausgeber im PrologProlog der Oracula Sibyllina formuliert, er habe die vorher zusammenhangslosen Weissagungen als ein einheitliches und zusammenhängendes Ganzes herausgegeben, „damit sie für die Lesenden leicht einzusehen sind (ὡς ἂν εὐσύνοπτοι τοῖς ἀναγιγνώσκουσινἀναγιγνώσκω)“ (Sib. Prol.). Die Semantik des Adjektivs εὐσύνοπτος hat eine eindeutig visuellevisuell Konnotation. In Kombination mit der zuvor zu findenden MetapherMetapher ARBEIT IST LESEN (ἐκπονέω/πονέω) ist es eindeutig, dass der Herausgeber eine intensiveAufmerksamkeitvertieft individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre seiner Sammlung antizipiert.

KaiserKaiser/Princeps Iulian formuliert in einem BriefBrief an den RhetorRedner Euagrios:

„Tiefe Stille herrscht rings um den Ort, wenn du dich niederläßt, um in ein BuchBuch zu sehenSehen (ἡσυχία δὲ πολλὴ κατακλινομένῳ καὶ εἴς τι βιβλίονβιβλίον ἀφορῶντι). Willst du dazwischen einmal dein AugeAugen ausruhen lassen, so ist es überaus wohltuend, auf die Schiffe und das Meer hinauszuschauen“ (Iul.Iulianus, Flavius Claudius (Kaiser) ep. 25 [427b]; Üb. WEIS).

Diese Stelle bietet zahlreiche interessante Einsichten im Hinblick auf LeseweiseLese-weise und LesesituationLese-situation. Iulian imaginiert eine Lesesituation auf einem Stückchen Land, das er Euagrios zum Geschenk macht, in der Euagrios draußen in der NaturNatur, im LiegenHaltungliegen (κατακλίνω) und in großer Stille (ἡσυχία δὲ πολλὴ) liest.28 Die Verwendung von ἀφοράω als LeseverbLese-terminus29 konzeptualisiert die individuell-direkteLektüreindividuell-direkt Lektüre eindeutig visuellvisuell und zeigt in Verbindung mit der Betonung der Stille, dass diese nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend vorzustellen ist. Der Verweis auf das Ausruhen der AugenAugen zeigt sodann ferner, dass es sich um eine längere Lektüresequenz handeln muss, welche die Augen anstrengt, sodass Erholungsunterbrechungen notwendig erscheinen.