Seewölfe - Piraten der Weltmeere 634

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 634
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-048-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Der Galgen wartet auf Sam Roskill

In Havanna ist der Teufel los – die Spanier greifen hart durch

Die Frau war entweder von üblem Lumpenpack überfallen worden oder beim Reiten gestürzt. Sie lag mitten auf dem Weg, das schulterlange dunkle Haar umspielte ihr Gesicht.

Der Kutscher hatte Mühe, die Pferde zu zügeln.

„Warum hältst du an, Pedro?“ erklang eine weibliche, aber durchaus befehlsgewohnte Stimme aus der Kutsche.

„Jemand liegt auf dem Weg, Doña.“

„Sieh nach, ob diese Person noch lebt!“

Pedro Carvena sprang vom Kutschbock und lief zu der reglos daliegenden Frau.

Aus der Nähe erkannte er, daß sie verdammt hübsch war. Leider hatte sie eine doppelläufige Pistole, deren Mündung unmißverständlich auf seinen Bauch zielte.

In einem Anfall von Heldentum glaubte Pedro, es mit zehn Gramm Blei aufnehmen zu können. Er sah noch die grelle Stichflamme, aber dann versank die Welt in blutroten Farben. Er war schon tot, als er unter die Hufe der scheuenden Pferde geriet …

Die Hauptpersonen des Romans:

Irene Hardenberg – gehört angeblich einer alten Lübecker Handelsfamilie an und hat es mehr als faustdick hinter den Ohren.

Maria de Pasajes – als Mätresse des verschwundenen Gouverneurs von Kuba hat sie noch gewisse Beziehungen, die sie ausnutzt.

Rodrigo Martinez – läßt sich als Teniente auf ein Degenduell ein und verliert dabei einen Teil seiner Nase.

Sam Roskill – verhält sich zwar wie ein edler Ritter, landet aber dennoch unter einem Galgen, um zum Tode befördert zu werden.

Philip Hasard Killigrew – muß wieder einmal Himmel und Hölle in Bewegung versetzen, um Sieger zu bleiben.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

In den Tagen der letzten Septemberdekade des Jahres 1598 glich die Inselhauptstadt Havanna einem Pulverfaß mit glimmender Lunte. Jede Sekunde konnte der Funke überspringen und in einer verheerenden Explosion alles zerstören, was in Jahrzehnten mühevoll aufgebaut worden war. Gesetzlosigkeit und das Recht des Stärkeren würden jede Ordnung hinwegfegen.

Die Gerüchteküche brodelte. Spekulationen über den Tod seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II., König von Spanien und Portugal, waren in aller Munde.

Daß die Dons nicht nur nervös reagierten, sondern gerade jetzt eine selten gekannte Wachsamkeit an den Tag legten, hatten die Seewölfe am eigenen Leib erfahren. Die Schebecke, in einer einsamen Bucht vor Anker liegend, war von einer Patrouille aufgespürt und angegriffen worden. Ben Brighton, der in Abwesenheit von Philip Hasard Killigrew das Kommando führte, hatte sich zur Flucht nach Great Abaco entschlossen, zum Stützpunkt des Bundes der Korsaren. Natürlich nicht, ohne dem Seewolf und seinen Begleitern durch Gary Andrews eine entsprechende Nachricht überbringen zu lassen.

Daß die vier Arwenacks – Hasard, Dan O’Flynn, Sam Roskill und Gary Andrews – vorerst in Havanna festsaßen, war noch kein Beinbruch. Zum einen ahnte kein Spanier etwas davon, zum anderen hatten sie im Handelshaus Arne von Manteuffels sicheren Unterschlupf gefunden. Der deutsche Kaufherr galt als loyal, hatte er sein Kontor auf Kuba doch seinerzeit mit Billigung des Gouverneurs Don Antonio de Quintanilla eingerichtet.

Daß Philip Hasard Killigrew, der Seewolf und Schrecken spanischer Kapitäne, und Arne von Manteuffel Vettern waren, wußten nur Eingeweihte. Beide glichen einander wie ein Ei dem anderen, waren hochgewachsen und breitschultrig, hatten die gleichen eisblauen Augen und ähnelten sich auch in ihren Charakterzügen frappierend. Lediglich Hasards schwarze Haarfarbe kontrastierte zu von Manteuffels blondem Haar.

„Wir gehen rauhen Zeiten entgegen“, sagte der Deutsche wie beiläufig. „Das Ableben Seiner Majestät dürfte in der Folge für einige Unruhe sorgen.“

„Du befürchtest umwälzende Veränderungen in den spanischen Kolonien?“

Arne musterte seinen Vetter Hasard. Er zuckte mit den Schultern.

„Welche Vermutung willst du zuerst hören? Die gute oder die schlechte?“

„Die gute.“

Arne von Manteuffel trat hinter sein Schreibpult, wirbelte den Federkiel hoch und zielte damit auf des Seewolfs Brust.

„Man spricht von hundert Millionen Dukaten Staatsschulden, die Philipp hinterlassen haben soll. Wir haben das schon diskutiert, und das ist weiß Gott kein Pappenstiel. Der Konvoi aus elf Gold- und Silberschiffen, der demnächst unter Segel geht, wird nur der Anfang sein. Die Dons werden alles dransetzen, um Neu-Spanien, Yucatán und Venezuela bis hinunter nach Neu-Kastilien und Neu-Toledo noch intensiver auszuplündern als bisher.“

„Wir können ihr Tun schwerlich unterbinden.“ Hasard seufzte. Mitleid mit den bedauernswerten Sklaven, die für die Spanier schuften mußten, war aus seiner Stimme herauszuhören. „Wir können lediglich unseren Teil dazu beitragen, daß die Reichtümer Spanien nicht erreichen.“

„Damit wären wir bei dem weniger Angenehmen“, sagte Arne von Manteuffel unbewegt. „Der Hof wird die fähigsten Männer und vermutlich schwer armierte Kriegsgaleonen in die Neue Welt entsenden, um das Piratenunwesen zumindest einzudämmen.“

„Natürlich“, erwiderte Hasard lächelnd. „Warum auch nicht?“

Sein Vetter stutzte. „Du tust, als ginge das alles dich herzlich wenig an, dabei solltest du eine solche Entwicklung keineswegs auf die leichte Schulter nehmen.“

„Ich habe nie einen Don gefürchtet“, sagte Hasard. „Außerdem siehst du zu viele Sturmwolken hinter der Kimm. Ein umfassender Schlag gegen die Karibik-Wölfe wird den Spaniern nicht gelingen, denn die meisten ihrer hohen Beamten kochen ihr eigenes Süppchen. Warum ist unser ehrenwerter Gouverneur Jorge Martinez Hals über Kopf aus Havanna verschwunden?“

„Weil ihm nach dem Tod Philipps eine Menge Ärger droht.“

„Ihm, Arne, nicht uns. Das ist ein bedeutsamer Unterschied. Die Spanier haben mit sich selbst hinreichend zu tun.“

Der hellhaarige Deutsche, dessen Ähnlichkeit mit dem Seewolf vor einigen Jahren Don Juan de Alcazar fast zur Verzweiflung getrieben hätte, denn damals war der Spanier noch Hasards erklärter Gegner gewesen, setzte zu einer Erwiderung an. Da in dem Moment jedoch die Tür zum Kontor aufgestoßen wurde, unterbrach er sich jäh.

Auch Philip Hasard Killigrew musterte die bucklige Alte, die suchend um sich blickte.

„Wer hat Sie eingelassen?“ fragte Arne von Manteuffel.

„Hä?“

„Wollen Sie zu mir?“

„Wo ist ein Bier?“ Die Alte mußte auf dem einen Ohr taub und auf dem anderen schwerhörig sein. Außerdem lispelte sie derart, daß die Vettern sich anstrengen mußten, sie zu verstehen.

Ihr Alter war unmöglich zu schätzen, schon deshalb, weil ihr Gesicht hinter einem schwarzen Schleier verborgen lag. Aschgraues Haar hing ihr bis tief in die Stirn und war im Nacken zu einem Knoten geschlungen.

„Dies ist ein Handelshaus, Señora“, sagte Arne. „Sie haben sich offenbar in der Adresse geirrt.“

Die Alte stützte sich auf einen gedrechselten Stock. Unvermittelt schlug sie damit auf den ihr am nächsten stehenden gepolsterten Sessel.

„Nennen Sie mich gefälligst Señorita!“ keifte sie. „Ist das ein Benehmen einer Jungfrau gegenüber?“

Arne stand da wie vom Donner gerührt, während Hasard zu grinsen begann. Hinter der „Señorita“ erschien jetzt der Sekretär Jörgen Bruhn, er traf jedoch keinerlei Anstalten, sie aus dem Haus zu bugsieren.

„Sie verkennen die Situation, Señor de Manteuffel“, sagte die Frau lispelnd. „Natürlich sind Sie an einem Geschäft mit mir interessiert, Sie wissen es nur noch nicht. Wie viele Goldstücke bieten Sie, damit die Spanier nicht erfahren, daß Seewölfe in Ihren Mauern wohnen?“

Arne schnappte nach Luft, während Hasards Grinsen einzufrieren schien. Zugleich löste die „Señorita“ ihren Schleier.

Der Deutsche stöhnte verhalten. „Ich habe es geahnt“, sagte er. „Trotzdem war ich mir nicht sicher.“

Es mag durchaus Jungfrauen von männlicher Statur geben, aber bestimmt keine mit sichelförmigem Schnauzbart. Jussuf, der aus Beirut stammende Türke, der seit langem zum Handelshaus von Manteuffel gehörte, grinste breit. Mit einer blitzschnellen Bewegung fischte er ein kleines Leinensäckchen aus seinem Mund hervor, das dazu gedient hatte, seiner Stimme den lispelnden Klang zu geben.

 

„Die Feuerprobe ist bestanden“, sagte er. „Nachdem selbst der Meister mich nicht erkannt hat, darf ich mich bedenkenlos unters Volk mischen.“

Jussuf war schon immer ideenreich, wendig und äußerst geschickt vorgegangen. Besonders in schlechten Zeiten schaute er den Leuten aufs Maul, denn im allgemeinen lebte der am längsten, der am besten informiert war. Das galt für Havanna noch mehr als für andere Orte in der Karibik.

„Warum die ungewöhnliche Verkleidung?“ fragte Arne. „Willst du dich der Stadtwache anbiedern?“

Jussuf spuckte in den kupfernen Napf neben dem Schreibpult. Aufreizend langsam wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen.

„Diese Hurenböcke sind keineswegs der richtige Umgang für eine Lady wie mich“, sagte er. „Mir steht der Sinn eher nach der Mätresse des Gouverneurs.“

„Jorge Martinez hat es vorgezogen, Kuba den Rücken zu kehren“, sagte Arne von Manteuffel. „Ich gehe davon aus, daß ihn Doña Maria de Pasajes begleitet.“

Jussuf zwirbelte die Enden seines Schnauzbarts. „Eben nicht“, erklärte er. „Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, daß sich Doña Maria eine Zeitlang im Innern der Insel aufhielt. Sie dürfte von den umwälzenden Ereignissen nichts mitgekriegt haben.“

„Señora de Pasajes gilt als unnahbar“, erinnerte Arne. „Du wirst wenig Erfolg habe, Jussuf. Außerdem verstehe ich nicht, warum du das Risiko eingehen willst, ausgerechnet ihr auf den Zahn zu fühlen. Wegen ihr wurden schon genug Männer in Eisen gelegt.“

Der stämmige Türke zuckte mit den Schultern. Die Geste sollte entschuldigend wirken, drückte aber zugleich aus, daß er entschlossen war, sich keinesfalls von seinem Vorhaben abbringen zu lassen.

„Wissen ist Macht“, sagte er. „Gerade in Zeiten wie diesen. Schon im Koran, in der Sure Zwanzig, steht geschrieben: Und sag: Herr, laß mich an Wissen zunehmen.“

„Laß meine Neugierde aber nicht zu groß werden, daß ich deshalb den Kopf verliere“, spottete Jörgen Bruhn.

„Ungläubiger!“ zischte Jussuf.

Doña Maria de Pasajes war alles andere als furchtsam. In ihrem bewegten Leben hatte sie ziemlich alle Höhen und Tiefen ausgekostet und dabei gelernt, daß sie sich nur auf einen einzigen Menschen verlassen durfte, nämlich auf sich selbst. Als der Kutscher abstieg, griff sie nach der einschüssigen Steinschloßpistole, die sie stets bei sich führte, und spannte den Hahn.

Vergeblich versuchte Doña Maria zu erkennen, was sich vor dem Gespann abspielte. In dem Moment krachte der Schuß. Die Pferde wieherten erschreckt, scheuten und galoppierten los. Maria de Pasajes wurde quer durch den engen Innenraum der Kutsche geschleudert und krachte unsanft gegen die Rückwand. Die Pistole fiel auf das Sitzpolster und von da zu Boden. Zum Glück ging sie nicht los.

Gleich darauf verlangsamte sich die höllische Fahrt über Stock und Stein wieder. Doña Maria glaubte eine Stimme zu hören, die beruhigend auf die Tiere einredete. Eine Verwünschung auf den Lippen, bückte sie sich nach der Waffe, und noch ehe sie Zeit fand, Kleid und Haare zu richten, hielt die Kutsche erneut an.

Wütend stieß die Frau die Tür auf und sprang nach draußen.

„Pedro, du Trottel!“ rief sie. „Wenn du nicht mehr fähig bist, die Pferde im Zaum zu …“

Sie verstummte, denn der Kutschbock war verwaist, die Zügel schleiften lose unter der Deichsel. In der Mähne eines der Pferde hatte sich eine Frau verkrallt, sie hing halb auf dem Rücken des Tieres und zerrte am Zaumzeug. Ihr war es offensichtlich zu verdanken, daß die Kutsche nicht zwischen den Bäumen oder am Fuß des nächsten Abhangs zerschellte.

Doña Maria verspürte Dankbarkeit. Doch als die Fremde absprang und sich ihr zuwandte, wurde erst Überraschung und dann Zorn daraus. Dieses ebenmäßige Gesicht mit den vollen, sinnlichen Lippen, den hohen Wangenknochen und den leuchtenden Augen, das von leicht lockigem, braunem Haar eingerahmt wurde, kannte sie. Doña Maria hatte diese Frau in Havanna wiederholt in ihrer Nähe bemerkt. Das abermalige Zusammentreffen konnte kein Zufall sein.

„Keinen Schritt weiter!“ warnte sie. „Es würde mir leichtfallen, Sie niederzuschießen.“

„Ich weiß.“ Die Fremde lächelte überlegen, beinahe so, als gäbe es die Waffe nicht, deren Mündung auf ihren Bauch zielte. Dabei war es auf die Entfernung von nur sechs oder sieben Schritten nahezu unmöglich, vorbeizuschießen.

„Was soll das?“ fragte Maria de Pasajes scharf. „Warum verfolgen Sie mich?“

Sekundenlang wirkte die Fremde überrascht. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, erkannt zu werden.

„Sie sind eine reiche Frau, Doña“, sagte sie dann. „Mir erscheint es nur gerecht, wenn Sie von Ihren Schätzen einen Teil abtreten. Den größeren Teil, um genau zu sein.“

„Pulver und Blei kannst du haben!“

Zu spät fragte sich Maria de Pasajes, warum die Fremde keine Furcht zeigte. Einfach aus dem Grund, weil sie nicht allein war. Selten genug verließen sich Schnapphähne und Wegelagerer ihres Kalibers nur auf sich selbst. Bei männlichen Opfern mochte das Aussehen der Frau ihre beste Waffe sein, aber Doña Maria hätte dafür nicht einen vertrockneten Pfifferling gezahlt.

Sie fuhr herum, als sie das Rascheln hinter sich vernahm, reagierte aber zu langsam, um dem kraftvollen Hieb noch auszuweichen. Ein Pistolenlauf krachte gegen ihre Schläfe, sie hatte das Gefühl, als würde sich jäh der Boden unter ihren Füßen auftun. Sie stürzte in einen endlosen düsteren Schacht.

Irgendwann verlangsamte sich die Bewegung. Fest zupackende Hände zerrten sie hierhin und dahin, und gleich darauf zeigte sich die erste fahle Helligkeit inmitten der Finsternis. Ein von Vorhängen überdecktes Viereck wurde daraus. Als Doña Maria fühlte, daß sie auf weichen Polstern kauerte, schlug sie die Augen vollends auf. Ihr gegenüber saß die Fremde, deren Blick gleichermaßen Geldgier und Verachtung zeigte.

„Wird Zeit, daß Sie wieder zu sich finden, Doña. Sie waren beinahe eine halbe Stunde ohne Besinnung.“

Der Verschlag wurde aufgerissen. Maria de Pasajes blinzelte geblendet in die hereinflutende Helligkeit. „Pedro!“ stieß sie überrascht hervor. Aber der Kutscher war wohl tot. Eine Frau hatte seinen Platz eingenommen, und das so verdammt gut, daß nicht einmal ihr der Unterschied sofort aufgefallen war. Die Stadtwache in Havanna würde ebenfalls nichts bemerken.

„Sie sollten nicht mit dem Gedanken spielen, uns bei der erstbesten Gelegenheit zu verraten“, sagte die Braunhaarige warnend, als könne sie Gedanken lesen. „Sie würden uns auf dem Weg in die Hölle vorangehen.“

Maria de Pasajes nickte zögernd. Hinter ihrer Fassade der Resignation beobachtete sie allerdings genau.

„Du wirst mit ihr fertig, Irene?“ fragte die Frau, die Pedros Kleidung und seinen Hut trug. Der Kutscher war jung gewesen, ohne Bartwuchs und mit weiblichen Zügen. An seine Stelle zu treten, fiel dem Weib bestimmt nicht schwer. Je mehr Doña Maria darüber nachdachte, desto weniger erschien ihr der Überfall als zufällig. Die Frauen wußten genau, was sie taten. Aber gerade das ließ sie gefährlicher werden als andere Wegelagerer.

Die mit Irene angeredete vollführte eine geringschätzige Handbewegung. Auch sie war höchstens dreißig Jahre alt und schlank, hatte aber genau jene Rundungen, nach denen Männer sich umdrehten. In der Hinsicht war sie üppiger ausgestattet als ihre Kumpanin.

Die Fahrt ging weiter – in einem Tempo, das Pedro Carvena niemals gewagt hätte. Oft schlingerte die Kutsche, einmal raste sie so gefährlich nahe an einem Abgrund vorbei, daß Maria de Pasajes unwillkürlich aufschrie.

„Keine Angst“, sagte Irene. „Wir haben nicht vor, Sie umzubringen. Wenigstens vorerst nicht.“

„Glauben Sie ernsthaft daran, daß der Gouverneur Sie laufen läßt? Geben Sie Ihren Plan auf, bevor Jorge Ihnen höchstpersönlich den Strick um den Hals legt.“

„Ich muß Sie leider enttäuschen, Doña. Ihr Jorge Martinez, auf den Sie so große Stücke halten, wird uns bestimmt nichts antun.“

„Was soll das heißen?“ Maria de Pasajes fuhr jäh auf.

„Der Gouverneur ist spurlos verschwunden.“ Irene betonte jedes Wort. „Er hat Sie sitzenlassen, Doña. Ist das eine Art? Selbst ein Gouverneur darf so nicht mit uns Frauen umgehen.“

„Sie lügen.“

„Ich dachte schon, daß Sie mir nicht glauben würden. In spätestens einer Stunde erreichen wir Havanna, vielleicht lassen Sie sich dann überzeugen.“

Maria de Pasajes stieß ein kurzes, schrilles Lachen aus. „Warum sollte Jorge etwas so Dummes tun?“

„Weil König Philipp tot ist und ein neuer Gouverneur eingesetzt werden soll“, erwiderte Irene. „Er hat Hals über Kopf sein Heil in der Flucht gesucht.“

Doña Maria schwieg betreten. Ihr war nicht anzusehen, was sie dachte. Irene beobachtete sie eine Weile, lehnte sich anschließend bequemer in die Ecke und warf Jorge Martinez’ Mätresse nur noch hin und wieder unter halb gesenkten Lidern einen forschenden Blick zu.

Die Doña schien sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben und döste vor sich hin. Langsam sackte ihr Kopf vornüber. Bei jeder heftigeren Erschütterung wurde sie hin und her geworfen. Nach einer Weile gewann Irene den Eindruck, daß ihre Gefangene eingeschlafen war. Die schnelle Fahrt durch monotones Gelände wirkte ermüdend. Ihr fielen ebenfalls immer öfter die Augen zu.

Irene entging, daß Maria de Pasajes vorsichtig ihr Sitzpolster nach vorne schob. Ebenso lautlos griff sie in den engen Hohlraum hinter dem Sitz.

Das Knacken, das entsteht, wenn jemand einen Hahn spannt, schreckte sie auf.

„Keine törichte Bewegung“, sagte Maria warnend. „Ich würde es bedauern, dich Miststück mit einer Kugel ins Jenseits befördern zu müssen.“ Mit der Linken fuhr sie sich demonstrativ über die Kehle. „Der Galgen eignet sich besser für deinen Schwanenhals. Und jetzt erzähle!“

„Was?“

„Ich will mehr von dir und deiner Kumpanin wissen – wer ihr seid, woher ihr stammt.“

„Das interessiert Sie nicht wirklich.“

„Doch.“ Maria de Pasajes unterstrich ihre auffordernde Handbewegung mit der Pistole. „Außerdem ist es gut, wenn du redest, das vertreibt dumme Gedanken.“

In Irenes Augenwinkeln schimmerten plötzlich Tränen. „Wir gehören nicht zu dem üblen Pack von Wegelagerern und Halsabschneidern, denen man überall begegnet“, sagte sie. „Im Gegenteil. Vor einem Monat wurden wir selbst überfallen und unserer Habe beraubt. Nicht einmal den Schmuck, der in unserer Familie von Generation zu Generation vererbt wurde, haben uns die Piraten gelassen.“ Von der Erinnerung gequält, legte sie eine kurze Pause ein, während der sie sich mehrmals die Augenwinkel auswischte. Bedrückt fuhr sie fort: „Mein Name ist Irene Hardenberg, ich gehöre einer alten Lübecker Handelsfamilie an. Mit fünf Schiffen wollten mein Vater und meine Brüder versuchen, den Handel mit der Neuen Welt aufzubauen, nachdem bislang nur wenige hansische Schiffe Brasilien anliefen. Wir wurden von englischen Piraten aufgebracht. Nach mehr als einer Woche unglaublicher Demütigungen gelang mir in der Nähe einer kleinen Insel die Flucht. Aber wahrscheinlich wäre ich an Land verhungert, hätte mich nicht ein Fischer aufgenommen. Er übergab mich – oder sollte ich besser sagen, er verkaufte mich? – an den Kapitän eines spanischen Sklavenschiffs. Señor Montigo behandelte mich aber noch schlechter als die Piraten.“ Sie schüttelte sich in Gedanken daran, was auf dem Schiff geschehen war. „In jenen Tagen schwor ich bei allen Heiligen, Rache für die Demütigungen zu nehmen. Maria erging es ähnlich wie mir, sie litt ebenfalls unter Montigos Fuchtel.“

„Maria ist jene, die auf dem Bock sitzt?“ fragte Doña de Pasajes.

Irene nickte verbissen.

„Tagsüber waren wir wie die schwarzen Sklaven unter Deck eingesperrt. Aber nahezu jede Nacht wurden wir in die Kapitänskammer geholt, um Montigo und seinen Offizieren zu Willen zu sein. Wenn es eine Chance für uns gab, dann nur bei einer solchen Gelegenheit. Maria Orlando und ich verabredeten uns, es gelang ihr tatsächlich, den Degen eines Offiziers an sich zu bringen und zwei oder drei der Kerle so schwer zu verletzen, daß sie auf absehbare Zeit keine Gelüste mehr empfinden werden. In der Verwirrung konnten wir über Bord springen. Das war bei den Florida Keys. Die Galeone kreuzte noch zwei Tage lang zwischen den Inseln, ehe Capitán Montigo die Lust verlor und weiter westwärts segelte.“

„Sie haben einiges durchgestanden“, sagte Doña Maria, die ihre Waffe in den Schoß gelegt hatte, die Finger allerdings noch immer am Abzug. „Nur rechtfertigt das nicht Ihr weiteres Vorgehen. Sie haben meinen Kutscher getötet, betätigen sich als Straßenräuber …“

 

Irene Hardenberg unterbrach sie wütend. „Fragen Sie lieber, was die Spanier mir angetan haben. Wahrscheinlich wurde meine ganze Familie ausgelöscht.“

„Das ist tragisch, aber weiß Gott kein Grund, um selbst zur Mörderin zu werden.“

„Sie würden anders reden, wären Sie an meiner Stelle.“

Maria de Pasajes zuckte mit den Schultern. Nachdenklich ruhte ihr Blick auf der jungen Frau, die jetzt sichtlich zerknirscht wirkte.

„Ich weiß nicht“, sagte sie. „Ich hätte Angst vor dem Galgen und würde schon deshalb versuchen, ein neues Leben anzufangen.“

„In die Heimat zurückkehren, wo auf Schritt und Tritt Erinnerungen warten?“ Irene Hardenberg schüttelte den Kopf. „Das wäre schlimmer als der Tod.“ Tränen rollten über ihre Wangen. Sie begann heftig zu schluchzen. „Was soll ich tun?“ stieß sie zwischendurch hervor. „Ich kenne niemanden auf Kuba. Und wer einmal zum Wegelagerer wurde, dem haftet dieser Makel immer an.“ Vergeblich suchte sie nach einem Tuch, um ihre Wangen abzutrocknen.

Doña de Pasajes ließ sich täuschen. In dem Moment fiel die Zerknirschung von Irene ab wie schlechter Putz von einer Steinfassade. Sie packte abrupt zu, zerrte die Spanierin zu sich heran und glitt gleichzeitig, trotz der holperigen Fahrt, geschmeidig zur Seite. Instinktiv krümmte Doña Maria den Zeigefinger. Das Pulver zündete, die Kugel klatschte aber nur ins Polster und hinterließ ein daumengroßes schwarzes Loch.

Irene Hardenberg kannte kein Erbarmen. Mit aller Kraft rammte sie ihren Ellenbogen in den Nacken der Gegnerin, die sich daraufhin den Schädel an der Rückwand der Kutsche anrannte. Trotzdem zeigte sich die Doña hart im Nehmen, sie schaffte es noch, sich umzudrehen und die nutzlos gewordene Pistole zum Schlag zu heben, aber fast im selben Moment schmetterte ihr Irene die ineinander verschränkten Hände unters Kinn. Seufzend sank die Spanierin auf den Sitz zurück und verlor das Bewußtsein.

Irene Hardenberg nahm ihr die Pistole ab und durchsuchte sie nach weiteren Waffen. Ihrer Kumpanin auf dem Bock rief sie zu, daß alles in Ordnung sei, anschließend lehnte sie sich zurück und genoß die Fahrt durch die hügelige Waldlandschaft. Hin und wieder schimmerte aus der Ferne schon das Meer herüber.

Doña Maria de Pasajes verschlief nahezu die halbe Fahrt nach Havanna.

„Sie haben mich belogen“, war das erste, was sie sagte, als sie endlich die Augen wieder aufschlug.

„Natürlich“, entgegnete Irene Hardenberg ironisch. „Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie gutgläubig Menschen sein können. Aber hoffen Sie nicht auf eine zweite Chance, Doña, die erhalten Sie nicht. Vor allen Dingen: Verhalten Sie sich ruhig, wenn wir die Stadt erreichen, sonst …!“ Ihr Grinsen war wahrhaftig diabolisch.

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