Seewölfe - Piraten der Weltmeere 643

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 643
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-057-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Schwelbrand

Ist die Silbergaleone noch zu retten?

Obwohl die Rauchwolke längst verweht und die Gefahr einer Feuersbrunst gebannt war, herrschte an Bord der „Respeto“ eine äußerst bedrückte Stimmung. Denn alle hatten gesehen, wie die Ratten das Schiff verließen.

Quietschend waren die Tiere in den Tod gesprungen, und selbst der abgebrühteste Decksmann hatte sich dabei eines eisigen Schauders nicht erwehren können.

Kein lautes Wort fiel. Männer, die sich unbeobachtet fühlten, bekreuzigten sich.

Lag ein Fluch auf der „Respeto“?

Die Hauptpersonen des Romans:

Jorge Zapata – der Decksmann der „Respeto“ wird erpreßt und weiß sich nicht anders zu helfen: er begeht einen Mord.

Mario Morales – ist süchtig nach Alkohol, vor allem Rum, obwohl seine Leber bereits zum Teufel ist.

Miguel Pigatto – der Kapitän der „Respeto“ erlebt auf seinem Schiff noch einen Schwelbrand – und dreht durch.

Philip Hasard Killigrew – tut alles, um die „Respeto“ zu retten, aber das Schicksal ist gegen ihn.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Kapitän Miguel Pigatto, ein muffiger Querkopf mit stechendem Blick und unangenehmen Launen, verstand es, seinen Leuten derartige Gedanken auszutreiben, in dem er sie bis zum Umfallen schuften ließ. Mit jedem Tag kehrte er mehr den Schinder heraus, den die Crew allmählich zu hassen lernte.

Mario Morales, im Begriff, in den Wanten des Großmastes aufzuentern, spuckte wütend aus, als der Kapitän unter ihm wieder neue Befehle brüllte.

„Sklaventreiber“, murmelte er heiser und mit ausgedörrter Kehle. „Die Krätze wünsche ich dir an den Hals!“

Für die Dauer einiger Atemzüge verschwammen der Mast und die Taue vor seinen Augen. Instinktiv klammerte sich Mario an den Webeleinen fest, den dünnen, geteerten Tauen, mit denen die Wanten horizontal ausgewebt waren, so daß Stufen entstanden. Ihm brach der Schweiß aus allen Poren, im nächsten Moment begann er verkrampft zu zittern. In seinen Eingeweiden schienen Dolche zu bohren. Jeder dieser Anfälle war schlimmer als der vorangegangene, und die Abstände zwischen ihnen immer kürzer.

Morales atmete kurz und hastig, um das Prickeln zu vertreiben, das sich in seinem Brustkorb ausbreitete. Aber diesmal wollte es ihm nicht gelingen. Sein Kopf fiel nach hinten. Ein knackendes Geräusch im Nacken löste einen zweiten Schweißausbruch aus. Trotz seiner Benommenheit fühlte der Decksmann, daß seine feuchten Hände abglitten. Mit letzter Kraft warf er sich wieder nach vorn und hakte die Arme bis zu den Ellenbogen in die Webeleinen ein. Die Wanten waren steif durchgeholt und prellten ihn bretthart zurück.

Verzweifelt kämpfte er gegen die Übelkeit an. Alles um ihn herum war in einem wilden Reigen begriffen – Spieren und Taue, Segel und sogar die Decksplanken verschmolzen zu einem Wirbel von Sinneseindrücken, die er nicht mehr auseinanderzuhalten vermochte.

Dröhnend pochte das Blut durch seine Adern. Mario stieß einen halb erstickten Aufschrei aus und sackte in sich zusammen. Daß auf der Kuhl Männer aufmerksam wurden und zu ihm aufenterten, bemerkte er schon nicht mehr.

„Morales soll sich zusammennehmen!“ brüllte Kapitän Pigatto vom Achterdeck her. „Verdammt, tut denn neuerdings jeder, was er will?“

Jorge Zapata, ebenfalls Decksmann, turnte über das Besanstengestag heran. Er war als erster bei Morales und schaffte es gerade noch, ihn am Kragen zu packen. Augenblicke später erhielt er Unterstützung von den anderen.

„Vorsicht!“ sagte er warnend. „Mario ist ein schwerer Brocken.“

Das stimmte allerdings. Morales war ein Fleischkloß, nicht sehr groß, aber stämmig, mit einem Schmerbauch, der weit über den Gürtel hing, und aufgequollenem Gesicht. Während der letzten Monate hatte er sich zusehends zu seinem Nachteil verändert, war noch fetter geworden als früher, und unter seinen ungepflegt wirkenden Bartstoppeln zeichnete sich ein bläulichrot aufgeplatztes Adernetz ab. Die kleinen, unruhig blickenden Augen lagen tief in den Höhlen. Sie waren von dunklen Ringen gezeichnet.

Besinnungslos hing er wie ein nasser Sandsack in den Wanten. Endlich schlug jemand ein Tau an und verknotete das eine Ende in mehrfachen Schlägen unter Morales’ Achseln. Auf diese Weise fierten die Männer ihn ab wie eine sperrige Last.

Kapitän Pigatto hatte seinen Platz auf dem Achterdeck verlassen und stieg auf die Kuhl hinunter.

„Was ist mit ihm?“ fragte er.

Sein Tonfall ließ weniger Sorge um die Gesundheit seiner Leute erkennen als vielmehr um den raschen Fortgang der Arbeiten im stehenden Gut. Einige Pardunen – Hanftaue, die die Stengen seitwärts und schräg nach achtern abstagten – waren mürbe geworden und drohten beim nächsten Sturm zu brechen. Nur fragte die Crew sich, ob das angekokelte Tauwerk aus der Vorpiek, das Pigatto durchholen ließ, tatsächlich mehr Vertrauen in seine Haltbarkeit verdiente.

Die Männer zögerten mit der Antwort. Schließlich war nicht zu übersehen, daß Morales schlichtweg abgenippelt war. Jorge Zapata schlug dem Bewußtlosen mit der flachen Hand ins Gesicht.

„Seid ihr schwerhörig?“ rief der Kapitän wütend.

„Morales ist krank“, sagte endlich Juan Barbara, der Segelmacher.

„Krank?“ Pigatto schnaubte verächtlich. „Überfressen hat er sich. Der Kerl wird jeden Tag fetter, kein Wunder, daß er die Arbeit nicht verträgt.“

„Sie tun ihm unrecht, Capitán“, widersprach Zapata.

„Ich weiß, was ich sehe.“

„Kaum ein Tag vergeht, an dem sich Mario nicht erbricht.“

Der Kapitän vollführte eine unmißverständlich herrische Handbewegung. „Das soll er mir selber sagen. Na los, holt ihn aus seinen faulen Träumen zurück!“

Juan Barbara kippte eine Pütz voll Seewasser über dem Bewußtlosen aus und reichte den Eimer zur Verschanzung weiter, damit die Männer dort ihn nochmals füllten.

Der zweite Schwall brachte Morales endlich so weit, daß er sich stöhnend herumwälzte.

Er schlug die Augen auf, sein Blick fiel auf den Kapitän, und noch halb wirr im Kopf, fragte er: „Bin ich in der Hölle?“

Das hätte er besser nicht getan, Miguel Pigatto hörte schlagartig auf, die aus seiner Knubbelnase herauswachsenden schwarzen Haare auszureißen. Drohend zog er die Brauen zusammen.

„Ich werde dir einheizen, Bursche, dir Feuer unter dem Arsch anzünden, daß du dir wünschen wirst, wirklich in der Hölle zu sein. Ist das klar?“

Morales nickte schwer.

„Bist du krank?“ fragte Pigatto lauernd.

Der Decksmann stieß einige hilfreiche Hände zur Seite und stemmte sich hoch.

„Es geht schon wieder“, sagte er.

„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Bist du krank, Decksmann Morales?“

Mario zögerte. Dann schüttelte er stumm den Kopf.

„Dann verstehe ich nicht, was du auf der Kuhl zu suchen hast. Dein Platz ist in den Großstengewanten.“

Morales preßte die Lippen zusammen. Eine aschgraue Blässe überzog sein Gesicht, auf der Stirn perlten dicke Schweißtropfen, dennoch ging er schwankend zum Schanzkleid und schwang sich in die Wanten.

„Ihr anderen steht gefälligst nicht herum wie die Ölgötzen!“ Der Kapitän klatschte auffordernd in die Hände. „Soll ich euch ebenfalls auf den Sprung helfen?“

ausnahmsweise keine besonderen Vorkommnisse, schrieb Philip Hasard Killigrew ins Logbuch der Schebecke und beendete damit die Eintragung. Sorgfältig verschloß er das Tintenfaß und verstaute den Federkiel.

Vorübergehend lehnte er sich zurück, verschränkte die Hände und lauschte den vielfältigen Geräuschen von Deck, die sich mit dem gleichmäßigen Rauschen des Kielwassers vermischten.

Der Atlantik zeigte sich von seiner ruhigen Seite. Ein handiger Wind ließ die Schatzgaleonen und ihre drei Begleitschiffe mit guter Fahrt nahezu exakt auf Nordkurs segeln. Die Azoren lagen hinter ihnen. Die letzte Positionsbestimmung hatte ergeben, daß der 40. Breitengrad überschritten war. Momentan befand sich der Konvoi ungefähr auf der Höhe von Madrid.

Hasard warf einen kurzen Blick aus dem geöffneten Fenster seiner Kammer. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lief querab und keine vierhundert Yards entfernt unter vollen Segeln. Ihrer kostbaren Ladung wegen lag sie ebenso wie die anderen neun spanischen Galeonen tief im Wasser. Achteraus folgten die „Patricia“ und die „Fortuna“.

 

Ein Lächeln entstand auf den Zügen des Seewolfs. Er dachte daran, welche Gründe umlaufen würden, sobald seine Flotte die Themsemündung erreichte. Angesichts der alles übertreffenden Schätze mußte die königliche Lissy schier aus dem Häuschen geraten. Dagegen verblaßten die „Überraschungen“, die Francis Drake von seinen Reisen mitgebracht hatte.

Aber bis dahin war noch ein langer und gefahrvoller Weg. Die Begegnung mit der spanischen Kriegskaravelle „El León“ unter Capitán José de Freitas und zuvor der Zwischenfall mit der schwer armierten „Aguila“ hatten gezeigt, daß es trotz aller Vorkehrungen keine absolute Sicherheit gab. Ein winziger Zufall konnte alles in Frage stellen.

Zumindest war der Schwelbrand auf der „Respeto“ gelöscht. Die Qualmwolke hätte sicher noch weitere ungebetene Gäste angelockt. Daß der Konvoi abseits der üblichen Routen segelte, war also kein Freibrief.

„Masten an der Kimm!“

Der Ruf schreckte den Seewolf aus seinen Überlegungen auf. Er griff sich den Kieker und eilte hinaus auf das Oberdeck.

Dan O’Flynn, der Mann mit den schärfsten Augen der Crew, stand an Steuerbord und blickte starr nach Osten. Die portugiesische Küste lag jedoch viel zu weit entfernt, als daß auch nur ein Hauch von ihr zu ahnen gewesen wäre.

Dan hörte am Klang der Schritte, daß der Seewolf neben ihn trat. Ohne sein Spektiv abzusetzen, sagte er: „Ein Dreimaster, Sir, eine Karavelle. Sie segelt auf Parallelkurs.“

„Wie lange schon?“

„Wenn ich das wüßte …“ Dan O’Flynn seufzte leise.

Durchs Spektiv zeigte sich die Kimm in leichtem Dunst, die Trennlinie zwischen Ozean und Himmel wirkte milchig verschwommen. Zum Teil vermischten sich das Blaugrau des Atlantiks und das Grau tiefhängender Wolkenbänke.

Hasard suchte den Horizont ab, ohne fündig zu werden. Erst nach eigner Weile entdeckte er den fahlen Punkt in der endlosen Wasserwüste.

„Ja, es ist eine Karavelle“, wiederholte Dan O’Flynn.

Egal ob es sich um Spanier, Portugiesen oder sonstwen handelte, wer immer querab segelte, hatte den Konvoi wohl kaum gesichtet. Trotzdem ließ Hasard Ruder legen und den Galeonen einen entsprechenden Befehl signalisieren. Wenig später liefen alle Schiffe nach Nordnordwest.

„Die Karavelle fällt ab“, meldete Dan. „Sie wäre um einiges schneller als wir.“

Er sah die Masten noch als winzige Striche am Horizont, als kein anderer mehr etwas wahrnahm. Danach waren die spanischen Seeleute und die Korsaren wieder allein.

Die Webeleinen verwandelten sich unter seinen Händen in züngelnde Nattern, die sich hartnäckig seinem Griff zu entwinden trachteten. Der Schweiß brach Morales aus allen Poren. Außerdem wurden die Schmerzen in seinem rechten Oberbauch wieder stärker, als durchbohre jemand mit glühenden Messern die Eingeweide.

Er biß die Zähne zusammen, damit er nicht laut aufschrie.

Weiter! drängte alles in ihm. Laß dir die Schwäche nicht anmerken! Hinauf in den Mars und dann in die Stengewanten!

Er war nicht krank. Das ganz bestimmt nicht. An seinem Zustand war vor allem Kapitän Pigatto schuld, schließlich hatte er zugelassen, daß die Rumvorräte von Bord geschafft worden waren. Seither verschlimmerte sich Marios Befinden mit jedem Tag. Kein Wunder, solange es nur abgestandenes, schales Wasser zu saufen gab. Damit löschte kein Seemann auf Dauer seinen Durst.

Mario fragte sich jedoch zunehmend häufiger, warum nicht auch die anderen solche Wirkungen zeigten.

Weiter!

Der Capitán brachte kein Verständnis für derartige Mangelerscheinungen auf. Er war einer von denen, die Wasser wie Wein soffen und vermutlich wegen der in ihrem Magen nistenden Läuse oft aufgekratzt wirkten. Wie ein Furz, der die Därme blähte, aber den Ausgang nicht fand. Der Vergleich, der sich ihm aufdrängte, erheiterte den Decksmann. Ein gequältes Lachen drang über seine Lippen.

Er hatte den unteren Rand des Marses fast erreicht, als ihn eine neue Schmerzwelle in die Wanten warf. Im Nu war er klatschnaß geschwitzt.

Er hörte seltsame, abgehackte, schrille Laute, aber er begriff nicht, daß er selbst sie ausstieß. Ein krampfhaftes Würgen ging von seinem Magen aus und abscheulich bittere Galle stieg in ihm hoch.

Seine Hände verkrampften sich um die Leinen. Aus eigener Kraft war er weder fähig, die beiden Schritte zu tun, die ihn von der viereckigen Bodenöffnung des Großmarses trennten, noch wieder abzuentern.

Diesmal verlor er nicht die Besinnung. Scheinbar eine kleine Ewigkeit verging, bis endlich Männer neben ihm waren, um ihm auf die Kuhl zu helfen. Mario Morales zitterte wie Espenlaub.

„Schafft ihn unter Deck!“ bestimmte Tomas d’Alvarez, der Bootsmann der „Respeto“. „Gebt ihm zu trinken und eine Extraration Pökelfleisch.“

Morales hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Zapata und der Segelmacher stützten ihn und führten ihn den engen Niedergang hinunter. Bis er in seiner Koje lag, schien das Schiff in einen Orkan geraten zu sein, so sehr drehte sich alles um ihn her.

„Mir war noch nie so mies.“ Er stammelte kurzatmig. „Das ist wie Sterben …“

Jorge Zapata musterte ihn halb besorgt, halb ungläubig. Daß ausgerechnet der stämmige Mario so etwas behauptete, wollte ihm nicht in den Sinn.

Juan Barbara brachte eine Kruke voll Trinkwasser und ein großes Stück Pökelfleisch.

Morales trank hastig. Er verschüttete so viel dabei, daß wohl nur ein kleiner Teil wirklich durch seine Kehle lief. Anschließend rülpste er laut und biß von dem Pökelfleisch ab, auf dem er herumkaute, als sei es zäh wie Leder.

Die Röte, die ihm jäh ins Gesicht schoß, wirkte nicht weniger unnatürlich als die vorangegangene Blässe. Morales wollte etwas sagen – er schaffte es nicht, denn von einem krampfhaften Würgen geschüttelt, übergab er sich.

„Was hat er?“ fragte Barbara überrascht.

Jorge Zapata zuckte mit den Schultern. Als er sich Morales wieder zuwandte, erschrak er. Der Decksmann hatte sich erneut verfärbt. Ein unnatürliches Gelb überzog seine Haut und ließ die Wangenknochen kantig aus dem sonst aufgequollenen Gesicht hervorstehen.

„Sieht nach Fischvergiftung aus“, sagte Zapata.

„Unsinn.“ Der Segelmacher winkte heftig ab. „Wir haben seit Tagen keinen Fisch gegessen.“

„Mario ist krank, sieh ihn dir an. Hoffentlich ist das nicht der Ausbruch einer Seuche, die uns alle erwischt.“

Zapata wollte einen Schritt beiseite treten, aber völlig unerwartet schossen Morales’ Hände vor und die Finger verkrampften sich in Jorges Hemd und um seinen Gürtel. Der Kranke entwickelte ungeahnte Kräfte, er zog Zapata einfach zu sich herunter.

„Du mußt mir helfen!“ raunte er.

Im letzten Moment fing Jorge sich an der Koje ab, sonst wäre er neben Morales auf die Decken gefallen.

Ohne darauf zu achten, fuhr Mario drängend fort: „Ich brauche Rum, Jorge. Das Wasser widert mich an.“

„Wir haben nicht ein Fäßchen mehr an Bord.“

„Ich weiß.“ Morales unterbrach sich gequält und rang nach Luft. Fahrig wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Du mußt mir eben welchen besorgen.“

„Das ist unmöglich.“ Jorge Zapata wollte sich erheben, aber der Kranke ließ ihn nicht los.

„Tu mir den Gefallen“, verlangte Morales.

„Der Kapitän läßt mich auspeitschen, wenn er mich erwischt.“

Abgesehen davon, daß die gelbe Gesichtsfarbe blieb, ließ allein schon der Gedanke an den Rum den Kranken sichtlich wieder aufleben. Sein Blick wanderte zu Juan Barbara hinüber.

„Du wirst an Deck gebraucht, ich kriege hier schon alles klar.“

Obwohl der Segelmacher verstand, daß Morales ihn nur loshaben wollte, drehte er auf dem Absatz um und verschwand.

Mario versuchte ein Grinsen. Sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze.

„Ein Fäßchen Rum“, sagte er noch einmal eindringlich. „Mehr verlange ich nicht von dir. Das ist bestimmt ein akzeptables Angebot.“

„Akzeptabel?“ Jorge Zapata verstand tatsächlich nicht, auf was der Kranke hinauswollte.

„Eine Hand wäscht die andere. So ist das unter guten Freunden. Oder siehst du das anders?“

„Der Capitán hat angeordnet, sämtlichen Rum …“

„Scheiß drauf!“ Morales winkte heftig ab. „Eine Galeone ohne Rumvorräte ist ein halbes Totenschiff. Ich bin zu schwach, um allein zu einem der anderen Schiffe zu pullen …“

„Du redest im Fieber“, unterbrach ihn Zapata. „Ich werde dir jedenfalls nicht helfen und dabei die Peitsche riskieren.“

„Der Capitán hat auch das Rauchen verboten“, sagte Morales scharf. „Ich verstehe ohnehin nicht, wie ein vernünftig denkender Mensch den Qualm von brennendem Tabak in sich hineinschlucken kann.“

„Na und?“ Zapata gab sich arglos.

„Was meinst du“, fragte Morales lauernd, „wie viele Männer rauchen heimlich in der Vorpiek? Ich kenne einen.“

Jorge Zapatas Miene erstarrte zu Eis. Aber sein Gegenüber war noch nicht am Ende angelangt.

Erstaunlich munter fuhr er fort, und es war die Aussicht, endlich wieder Rum zu erhalten, die ihn neue Kräfte gewinnen ließ: „Der Capitán dürfte höchst erfreut sein, zu erfahren, daß du deine Pfeife noch längst nicht der See übergeben und daß du erst vor wenigen Stunden einen abscheulichen Tabakgeruch in der Achterpiek hinterlassen hast.“

Diesmal war es Zapata, der sich verfärbte. Er riß sich endlich los und griff nach dem Dolch hinter seinem Gürtel. Morales lachte überheblich.

„Das tust du nicht, Jorge, du bist kein Mörder – eher schon ein Brandstifter. Aber keine Sorge, kein Sterbenswort geht über meine Lippen, sofern du mir den Rum besorgst.“

Zapata kniff die Brauen zusammen. Nachdenklich musterte er den Mann, der jetzt die Hände hinter dem Kopf verschränkte und zu den Deckenbalken hinauf starrte.

„Warum hast du mich nicht verraten?“ fragte er.

„Wenn die Glut sich ausgebreitet hätte, wären wir abgesoffen“, sagte Morales. „Ich weiß das. Aber wir sind doch Freunde. Und Freunde helfen einander.“

2.

Das gute Wetter und der handige Wind schienen tatsächlich anzuhalten, obwohl die dichte Wolkendecke eher eine Verschlechterung erwarten ließ. Wahrscheinlich regnete es über dem Festland.

Die Sonne stand inzwischen tief über dem westlichen Horizont. Zu sehen war sie nicht, wohl aber färbte sie die Wolken mit einem düsteren, bis in den Zenit reichenden Rot.

Die Schebecke segelte an Steuerbord der Schatzschiffe. Wie Hunde eine Schafherde, so hielt Philip Hasard Killigrew mit der „Wappen von Kolberg“ und der „Isabella“ die spanischen Galeonen zusammen. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit galt es, die Augen offenzuhalten. Der Verlust der „Nobleza“ hatte diesbezüglich Zeichen gesetzt.

Mit prall geblähten Lateinersegeln glitt der schlanke Mittelmeerdreimaster majestätisch an den plumperen Schatzschiffen vorbei.

„Sollten uns wirklich einige Tage der Ruhe gegönnt sein?“ fragte Don Juan de Alcazar zögernd. Er stand neben Hasard auf dem Achterdeck und genoß den Anblick der Schiffe. Einst waren der Seewolf und er erbitterte Gegner gewesen, doch das lag lange zurück und mutete unwirklich an.

Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lag querab. Als Folge ihres großen Tiefgangs gischtete die Bugsee bis zur Galionsfigur hoch. Bei stürmischerem Wetter schlugen die Brecher sogar auf die Back über.

„Ich habe mir auf diesem Törn abgewöhnt, den Tag vor Mitternacht zu loben“, erwiderte Hasard auf Don Juans Frage. Er dachte an die Zwischenfälle mit der „Nobleza“ und dem Sklavenschiff „Aguila“, an den Schwelbrand auf der „Respeto“ und die dadurch angelockte Kriegskaravelle „El León“.

„Alles hätte noch viel schlimmer ausfallen können“, sagte der Spanier. „Daran denkst du im Moment. Oder sollte ich mich irren?“

Stumm schüttelte der Seewolf den Kopf. Voraus segelten die „Honestidad“ und die „Respeto“ in exakter Kiellinie. Das Rot des Himmels schien selbst ihre Segel zu färben.

Zum erstenmal seit Stunden riß die Wolkendecke auf. Irrlichternd huschten Sonnenstrahlen über den Atlantik. Aber nur vorübergehend, denn gleich darauf lichtete sich der Dunst über der Kimm endgültig.

Das Tagesgestirn erschien als aufgeblähter Glutball, dessen unteres Drittel schon im Meer versunken war. Auf der Wasseroberfläche vermischten sich lila Farbtöne mit der bleiernen Schwärze der länger werdenden Schatten.

Die Schebecke segelte an der „Honestidad“ vorbei. Vierhundert Yards voraus stampfte die „Respeto“ durch die Wellen.

 

Hasard wollte sich gerade abwenden, als er ein flüchtiges Aufblitzen auf der Kampanje der Galeone bemerkte. Aber selbst ein Drehbassenschuß wäre deutlicher zu erkennen gewesen, davon abgesehen, daß sich bestimmt kein Spanier hinreißen ließ, auf die Schebecke zu feuern. Jedenfalls nicht auf die augenblickliche Distanz und nur mit einem einzigen Rohr.

Hasard zog sein Spektiv auseinander und blickte hindurch.

Neben der Hecklaterne der „Respeto“ stand eine einsame Gestalt, der Kleidung nach ein einfacher Decksmann. Mehr war auf die Entfernung nicht zu erkennen.

Im nächsten Moment blitzte es erneut auf. Zweimal kurz hintereinander.

„Was ist das?“ fragte Don Juan.

Der Mann auf der Galeone hielt ein poliertes Stück Metall oder etwas Ähnliches in Händen, mit dem er die Strahlen der sinkenden Sonne auffing und reflektierte.

„Signale“, sagte der Seewolf. Er zweifelte nicht daran, daß die Zeichen tatsächlich für die andere Galeone bestimmt waren.

Der Decksmann zeigte sich hartnäckig. Je näher die Schebecke aufschloß, desto deutlicher wurde, daß er eine Metallscheibe benutzte.

Endlich wurde ein auf der Back der „Honestidad“ hantierender Kerl aufmerksam. Die Blinde hatte ihn zeitweise in seiner Sicht behindert. Er schwenkte ein Tuch zur Antwort.

Der Decksmann auf der „Respeto“ bückte sich und hob ein seltsames Bändel auf den Handlauf der Balustrade. Wegen des schwindenden Tageslichts mußte Hasard zweimal hinblicken, ehe er erkannte, daß es sich um eine große Tauschlinge handelte, an der ein weiß gestrichenes Holzstück und offenbar eine Flasche befestigt waren.

Das Bündel flog mit Schwung außenbords.

Hasard richtete das Spektiv auf die Heckwelle der „Respeto“. Tatsächlich schwamm das Holz schnell auf. Inmitten der schäumenden Welle war es nur schwer zu erkennen.

Der Seemann auf der „Honestidad“ griff sich einen Bootshaken und kroch auf den Bugspriet. Währendessen warf der Decksmann auf der voraussegelnden „Respeto“ ein zweites Bündel über Bord. Auch dieses trieb genau der nachfolgenden Galeone entgegen.

„Ich möchte wissen, was die Burschen für Nachrichten austauschen“, sagte Don Juan. „Möglicherweise kriegen wir darin unser Fett ab.“

„Du siehst zu schwarz“, antwortete Hasard.

Der Spanier zog die Brauen hoch. „Harmlos ist das wohl nicht“, sagte er.

Sie beschränkten sich wieder aufs Beobachten. Der Mann auf der „Honestidad“ beugte sich so weit über, daß schon die kleinste Unregelmäßigkeit im monotonen Stampfen des Schiffes genügt hätte, ihn über Bord gehen zu lassen. Geschickt hantierte er mit dem Bootshaken, aber doch nicht geschickt genug, denn er verfehlte die treibende Tauschlinge, weil der Bug der Galeone just in dem Moment in die Höhe stieg.

Durchs Spektiv konnte Hasard die Enttäuschung des Mannes sehen, als das treibende Bündel von der Bugwelle gepackt und zur Seite geschleudert wurde. Im Nu wurde die Entfernung zu groß, als daß ein Nachfassen mit dem Peekhaken möglich gewesen wäre.

Der Kerl spuckte aus, fuhr sich mit dem Handrücken durch das bärtige Gesicht und blickte scharf voraus, wo das zweite Bündel auf den Wellen schaukelte. Das Schiff hielt genau darauf zu, und wenn er Pech hatte, würde die Tauschlinge mit den Anhängseln unter den Kiel gezogen werden.

„Er schafft es“, meinte Don Juan.

„Du brennst darauf, zu erfahren, welche Nachricht auf diese Weise übermittelt wird“, sagte Hasard, ohne den Kieker abzusetzen.

Der Spanier lachte leise. „Klar will ich wissen, was bei meinen Landsleuten vorgeht.“

„Dann geht es dir nicht anders als mir“, gestand Hasard. „Ich könnte zwar wenden lassen und versuchen, das verlorene Treibgut aufzufischen, doch würden wir damit nur verraten, daß wir die Sache bemerkt haben. Und wenn wir warten, bis die Galeonen vorbei sind, finden wir das Ding bestimmt nicht mehr. Die Nacht bricht schnell herein.“

Er hatte sich kurz ablenken lassen. Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf die „Honestidad“ konzentrierte, war der Bärtige schon im Begriff, das Bündel hochzuziehen. Die Tauschlinge hing sicher an dem eisernen Haken.

Tau und Holzstück flogen in hohem Bogen in die See zurück, Augenblicke später folgte die entkorkte, um ihres Inhalts beraubte leere Rumflasche. Der Kerl auf der Galion entfaltete einen Zettel, drehte und wendete ihn mehrmals unschlüssig und schob ihn schließlich unter sein Hemd. Anscheinend war er des Lesens nicht oder nur sehr unvollkommen mächtig.

„Bestimmt gibt er den Wisch seinem Kapitän“, sagte Don Juan. Er konnte nicht wissen, daß genau das allen Beteiligten viele Unannehmlichkeiten erspart hätte.

Guillermo Corel hatte sich unbeobachtet geglaubt. Deshalb zuckte er wie ein ertappter Sünder zusammen, als er die Back verließ und unerwartet angesprochen wurde.

„He, Guillermo“, sagte Rufino Vaquero, der Fockmastgast der „Honestidad“, „was hast du aus dem Wasser gezogen? Das war bestimmt kein Fisch.“

„Fisch?“ Corel konnte bis zum Umfallen arbeiten, aber im Denken, wenn er den anderen Rede und Antwort stehen mußte, war er um einiges langsamer. „Wovon sprichst du?“

„Von deiner Liebschaft mit der Seejungfrau“, sagte Vaquero grinsend.

„Hä?“ Mehr brachte der Bärtige nicht heraus.

„Spiel nicht den Unschuldigen“, sagte der Fockmastgast. Mit einem raschen Rundblick stellte er fest, daß sich bereits mehrere Männer um sie scharten. Wenn es darum ging, Guillermo zum besten zu halten, waren alle da.

Spöttisch fügte er deshalb hinzu: „Eine Seejungfrau sieht ungefähr so aus: ein Riesenbusen“, mit den Händen demonstrierte er die üppige Wölbung, die er meinte, „Haare so grün wie Seegras bis zum Po und ein Unterleib – du glaubst es kaum – so anschmiegsam wie …“ Er suchte nach Worten. „Wie … na, eben wie der schuppige Schwanz eines Fisches.“

Das Gelächter der Männer war umwerfend. Verdattert stand Guillermo Corel zwischen ihnen und versuchte vergeblich zu begreifen, ob Rufino es ernst meinte oder nur einen seiner berüchtigten Späße vom Stapel ließ.

„Ich kenne keine Jungfrau“, sagte er vorsichtshalber. Daß er rasch hinzufügte „Keine Seejungfrau“, ging in dem noch lauter aufbrandenden Lachen unter.

Erst als der Kapitän und der Erste Offizier an der Balustrade des Achterdecks erschienen, winkte Vaquero ab. Die allgemeine Heiterkeit verstummte schlagartig.

„Genug der Belustigung!“ rief der Capitán. „Geht an eure Arbeit, Männer!“

Guillermo Corel wollte schnurstracks nach achtern laufen. Aber der Fockmastgast hielt ihn mit eiserner Faust zurück. „Nicht so schnell, mein Freund“, raunte er ihm zu. „Erst will ich wissen, was du aufgefischt hast.“

„Einen Brief“, antwortete Guillermo. „War in einer Flasche drin.“

„Zeig her!“

„Ist für den Capitán bestimmt.“

„Warum? Was steht drin?“

Guillermo wirkte irritiert. „’ne ganze Menge“, sagte er. „Ist mächtig viel geschrieben.“

Vaquero rieb sich das Kinn. „Ich dachte immer, du kannst nicht lesen“, sagte er nachdenklich. „Woher willst du wissen, daß der Brief für den Capitán geschrieben wurde?“

„Ich weiß es eben.“

„Der Brief ist für mich“, behauptete Vaquero. „Er wurde auf der ‚Respeto‘ ins Wasser geworfen, nicht wahr?“ Das war unschwer zu erraten.

Guillermo Corel sperrte Augen, Mund und Ohren auf. Erst nach einer Weile klappte er den Mund wieder zu und schüttelte bedächtig den Kopf. Die Folgerung, zu der er gelangte, war durchaus logisch.

„Wenn dem so wäre, hättest du das sofort gesagt.“

„Stell dich nicht so an!“ drängte der Fockmastgast. „Mein Name steht auf dem Wisch. Ganz oben sogar, wo er hingehört.“

„Hm“, brummelte Guillermo, noch immer mißtrauisch. Trotzdem zog er das Papier unter seinem Hemd hervor und faltete es auf.

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