Loe raamatut: «Frau hinter Hecken»
Jana
Revedin
Frau hinter
Hecken
Roman
IMPRESSUM:
ISBN 9783990402443
© 2014 by Styria premium
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien · Graz · Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten
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Lektorat: Angelika Klammer
Buchgestaltung: Bruno Wegscheider
Coverbild: Yarrow Summers
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Zitat
Frau hinter Hecken
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Quellen
Für Isolde Schwartz, die sich in Behandlung begab.
Dearest, I feel certain that I am going mad again. I feel we can’t go through another of those terrible times. And I shan’t recover this time. I begin to hear voices, and I can’t concentrate. So I am doing what seems the best thing to do. (…)
Virginia Woolf Abschiedsbrief, März 1941
„Ich bin’s, Isolde“, sagte eine Stimme am Telefon.
Sylvie war bis zum Apparat in der dunkelsten Ecke der Küche gelaufen, sie war allein im alten Bauernhaus und schrieb auf der Längslaube. Es war noch nicht wirklich warm für April und ziemlich windig.
Von den wilden Kirschen, die über dem Bachgrund blühten, wehten Birken und Haseln in hellgrünen Büscheln den Haselweg hinauf.
Sylvie hielt den Hörer in der Hand und wartete, etwas atemlos noch. Das Haus war groß und die Wege lang. Wer rief da an? Wer kannte diese nie gebrauchte Telefonnummer?
Eine alte, kurze Nummer, vier Zahlen nur, sicher aus der Zeit, als die Häuser hier im Dorf noch ihre Flurnamen, keine Straßennamen trugen.
Was sollte sie sagen?
Sie war ja nicht zuhause hier, nur zu Gast in Österreich, dem Sommerfrischeland, einer wacklig in Seen dümpelnden Operettenbühne, auf der die Heldentaten eines untergegangenen Kaiserreichs und einer visionär sich selbst zersetzenden Jahrhundertwende inszeniert wurden, in memoriam, Sommer für Sommer, seit über hundert Jahren. Ein Land, das sich in der Vertuschung seines Schon-lange-nicht-mehr-Weltmacht-Komplexes nicht geheuer war – noch heute schwebte K.-u.-k.-Nostalgie wie Topfenstrudelduft durch jeden Wiener Innenhof. Das seine sich dann selbst gehauenen braunen Flecken nie geheilt hatte und das doch aufgebrochen war in tolerante Offenheit, in ein Den-Anderen-und-das-Andere-leben-Lassen.
Sylvie war gerne hier.
„Ich bin’s, Isolde“, sagte die Stimme noch einmal.
Was sollte Sylvie antworten?
„Hier bei Breil“, konnte sie nicht sagen, das stimmte nicht mehr, Teds Mutter und deren Mann, die hier dreißig Jahre lang gewohnt hatten, waren im vergangenen Jahr gestorben.
„Hier bei Ted Tessenow“, der dieses heruntergekommene Anwesen samt seiner Schulden und Tücken für seine Mutter übernommen hatte, kam ihr zu privat vor.
Sie musste irgendetwas antworten, jetzt, wo sie den Hörer abgehoben hatte, also sagte sie:
„Sylvie Vaughan.“
„Isolde Schwartz.“
Die Stimme machte ihren eigenen Tonfall nach. Das war komisch, Sylvie musste unweigerlich lächeln. „Isolde Schwartz? Aus München?“
„Ja, ebendiese. Sie erinnern sich, Sylvie? Das Symposium in Boston letzten Monat zu, Macht oder Tod‘. Sie haben aus Ihrem neuesten Text über den Tod gelesen. Wunderbar, ich zitiere Sie seither ständig. Ich bin Edith Zuckermanns Philosophen-Kollegin, die, die über, Ethos der Macht‘ sprach.“
Die große Schwartz, hier an diesem Telefon!
Die einzige und letzte Romano-Guardini-Schülerin, die nach seinem Tod den Lehrstuhl in München übernommen und seine Lehre von kirchlicher Unterwürfigkeit gesäubert, radikal gültig gemacht hatte.
„Still werden, mitten darin“, wie oft hatte sich Sylvie diese Guardini-Zeile, auf die die Schwartz ihre gesamte Ethik aufgebaut hatte, im Trubel der Städte, der Flughäfen und U-Bahnen vorgesagt!
Isolde Schwartz, die schon am zweiten Symposiumstag alles von dem Wenigen, was man über Sylvie wissen konnte, wusste und auf dem Heimweg vom Abendessen in Edith Zuckermanns Campuswohnung ihre, wie sie sagte, „endlich gefundene Analogie“ ansprach. Gekonnt nebenbei erwähnte. Ein ausgeworfener Köder, den Sylvie zunächst nicht verstand.
Philosophenjargon? Oder eher aus der Tiefenpsychologie?
Eine „Analogie“ zwischen wem oder was?
Und: Wie „fand“ man die?
Vielleicht hatte die Schwartz ihre turbulenten letzten Jahre verfolgt, in denen sich Sylvies Leben vom Eremitentum auf ihrer patagonischen Insel zum Nomadendasein gewandelt hatte? Tatsächlich, sie wanderte ihren endlich nicht mehr unterdrückten Gefühlen nach.
Sylvie hatte an jenem Abend nicht nachgefragt, doch sie hatte sich den Begriff der Analogie mitgenommen, ihm dann in der ruhigen Weite dieses Hauses nachgeforscht.
Ana-Logos, die Gesetzmäßigkeit, das Gleichwertige, das, was vor dem Wort kommt, durch das Wort hindurchscheint, ihm eine Bedeutung – oder auch zwei, drei Bedeutungen – gibt. Das also, was unter der Oberfläche verborgen ist, unter die Haut geht.
Aldo Rossis Analoge Stadt war ihr aus dem Bücherregal in der großen Stube in die Hände gefallen, sie war eine der Grundreferenzen von Teds partizipativer Gestaltungstheorie, die dem öffentlichen Raum, dem Entstehungsraum jeglicher Selbst-Entwicklung viel mehr an Symbolik, an emotionaler Bindung und sozialer Kraft zuschrieb als je eine Theorie zuvor.
Analogie war bei Rossi das Wiedererkennen kultureller Archetypen mit dem gleichzeitigen Formulieren neuer Bedürfnisse und entsprechender Bauformen gewesen. Die analoge Stadt hatte das „Sich-heimisch-Fühlen“, eine Identifikation durch Altbekanntes, zugelassen und war doch ein offenes Werk, die stete Baustelle kollektiver Wünsche.
Rossi hatte Rom, die Ewige Stadt, und ihre Typologien einer klassischen, dann frühchristlichen, dann barocken, schließlich futuristischen Kultur als Fallbeispiel genommen. Zwischen ihre Texturen und Zeilen hatte er imaginäre Mosaikstücke gefügt, Hohlräume durch Neues gefüllt, das nicht erschreckte, sondern schon immer dagewesen schien und das Alte in ungeahnte Spannung versetzte.
So hatte er Geschichte weit über die Reihung simpler Tatsachen und Spuren hinweg definiert, nämlich als ein Reservoir von Gefühlen, mit denen unsere Erinnerung arbeiten und experimentieren kann.
Hatte Isolde Schwartz „Analogie“ also so gemeint?
Wusste sie, dass in Sylvies Lebensmosaik über Jahrzehnte Stücke, sprich Menschen, ein Mensch, gefehlt hatte und dass jetzt endlich ein Muster erkennbar wurde, das Sinn ergab?
Auch Michelangelo hatte, niemals zufrieden, gesagt, er setze den Meißel erst von seinen Figuren ab, wenn er an der Haut angelangt sei. An der Haut, die seine Sehnsucht, seine Besessenheit war.
Die zweite mögliche Bedeutung von Analogie: das Gleichwertige und doch Andere, die direkte und doch gewagte Beziehung zwischen feinstem Marmor und zartester Haut. Lacans Spiegel, das Sich-spiegeln-Können im Gleichwertigen – und doch Anderen. Auch das hätte Isolde Schwartz andeuten können. Tatsächlich war Sylvies überraschende, doch andauernde Affäre mit Ted, dem für sie viel zu jungen Architektenrebellen, sicher keinem in ihren Schreiber- und Denkerkreisen verborgen geblieben.
Isolde Schwartz also war hier an ihrem Apparat.
„Ja, natürlich erinnere ich mich, Isolde!“, sagte Sylvie. „Verzeihen Sie mein Stocken, ich dachte nach. Macht? Oder besser: Tod? Weiterhin eine schwere Wahl!“
Beide lachten.
Sylvie sah Isolde Schwartz vor sich, während ihres Vortrags in Boston, ihr flatterndes Lachen, wenn sie sich bei immer wieder eintretenden Gedächtnislücken ans Mikrofon klammerte –
Wie kam Isolde Schwartz an diese Telefonnummer?
Wo war sie?
Und wie klang sie so nah?
Hatte sie nicht bei jenem Abendessen erzählt, seit dem Tod ihres Mannes widme sie ihre gesamte freie Zeit den Streetworkern in der Bronx?
Da sprach Isolde Schwartz schon weiter – sie hatte eine schmeichelnde Stimme am Telefon, bemerkte Sylvie, gar nicht hart wie in ihrer Erinnerung –, ob sie ihr wohl einen Moment ihrer Zeit schenke, sie habe da eine ziemliche Überraschung.
Sylvie war gespannt, auch wenn draußen auf der Längslaube ein Satz auf ihrem Laptopbildschirm im Nichts hing, nein, nicht nur ein Satz, eine ganze gedankliche Ableitung.
Sei’s drum, man hatte nicht jeden Vormittag eine Isolde Schwartz samt Überraschung am Telefon. Sie setzte sich hin. Dies würde vielleicht ein echtes Gespräch.
Ein Strohstuhl mit hoher Lehne stand an der Blockwand, er bildete mit der alten Milchtruhe eine Art „Büroecke“ für das elfenbeinfarbene Telefon aus den siebziger Jahren und ein dickes gelbes Telefonbuch, das niemand je geöffnet hatte.
Sylvie atmete ein, um, wie jedes Mal beim Beginn eines Gesprächs, ihre Scheu zu überwinden, denn seit ihrer Kindheit empfand sie das gemeinsame Sprechen und gemeinsame Denken – und das Abwarten dazwischen – als den intimsten Austausch zweier Wesen. In gut dreißig Jahren des akademischen Diskurses hatte sie zwar Vortrag und Diskussion gut gelernt, doch niemals die unverfängliche Unterhaltung, die nicht wehtat und nichts preisgab, ja sogar berechnend interessant machen konnte und die die meisten Menschen, gleich welcher Herkunft oder Bildung, anscheinend von unbeschwerten Kindertagen an beherrschten.
Sylvie waren unbeschwerte Kindertage fremd.
Sie hatte mit Christl, ihrer Mutter, auf ihrer Andeninsel gelebt. Allein. Ihr Vater war verunfallt, als sie drei war. Christl, die Mutter, hatte sich im See ertränkt, als sie dreizehn war.
Wahrscheinlich war das der Grund.
„Sylvie, ich rufe Sie aus meinem Haus in den Bergen an, besser gesagt meinem Haus zwischen den Bergen und Seen, nämlich, um an unsere Unterhaltung letztens beim Abendessen anzuknüpfen und es nicht analog, sondern ganz faktisch auszudrücken, bei Ihnen den Haselweg hinunter und ein Stück nach links dem Dorf zu, da, hinter der Bachsenke, wo früher die große Rieplscheune stand. Wir sind Nachbarinnen, Sylvie, und ich weiß das, seit wir im März gemeinsam von New York nach Wien zurückgeflogen sind und Sie, ohne mich zu sehen, ohne überhaupt jemand zu sehen – Sie waren ja ganz in Gedanken, in wohligen Gedanken, schreiben Sie an einem neuen Buch? –, in denselben kleinen Flieger nach Klagenfurt einstiegen. Sie nahmen am Flughafen einen klapprigen Defender und fuhren mir voraus, bis vor mein Haus, dann ein Stück weiter noch die Talsenke hinunter und bogen schließlich rechts ab, den Haselweg hinauf.“
Isolde Schwartz wartete einen Moment ab, ob da eine Reaktion folgte, doch Sylvie hörte nur gespannt zu.
„Dachte ich’s mir doch, Sie hatten keine Ahnung von mir hier! Wie die meisten. Seither schaue ich jeden Tag zu, wie bei Ihnen oben am Hang die Lichter angehen, frühmorgens. Die Rehe steigen durchs tauige Riedgras in der Talsenke und wechseln hinüber zu den Wiesen vom Bodnerbauern, wenn Sie durch den Garten gehen und im Zeitungsrohr bei Ihrer Garage die Zeitung holen. Auch ich bin dann schon wach, Sie müssten Licht in meinem Küchenfenster sehen, wenn Sie herüberschauten.
An hohen, windigen Morgen wie heute sitzen Sie dann, stelle ich mir vor, geschützt vom sonnenwarmen Holz“, sie hielt kurz inne, „in Ruhe auf Ihrer schönen Längslaube und schreiben.“
Sie waren Nachbarinnen. Das unbewohnt wirkende Haus unten in der Talsenke hinter finsteren Hecken, gleich neben der Straßenlaterne.
„Das ist wirklich eine Überraschung!“, sagte Sylvie abwartend, denn der Ton von Isolde Schwartz hatte sich geändert. Das anfänglich Schmeichelnde war ab dem „in Ruhe“ ihres letzten Satzes der bekannten Härte gewichen.
„Sie haben das wunderbar erkannt, ich schreibe hier flüssig wie –“, ließ Sylvie ihre Antwort unvollendet, um Isolde Schwartz wieder in die schon aufgebaute Vertrautheit zurückzuholen. Doch da war Stille.
„Ja Sie, Sie schreiben“, sagte die Schwartz jetzt, „in Ruhe.“
Die Stille danach wurde zum Abgrund.
War das ein Vorwurf?
Oder ein Hilferuf?
Oder einfach Müdigkeit? Kam sie von einer längeren Reise zurück? Von New York und den Streetworkern?
Und doch hatte sie gerade erzählt, sie sehe jeden Morgen oben am Hang Sylvies Lichter angehen. Sie schien sie in den Wochen seit ihrer Rückkehr aus Boston ja sehr genau beobachtet zu haben. Sylvie lehnte den Kopf an die oberste Querstrebe der Rückenlehne ihres Strohstuhls und schloss die Augen.
Was kam hier auf sie zu?
„Sylvie“, sagte da Isolde Schwartz, „bitte verzeihen Sie. Ich habe Sie bei unserem Abendessen angelogen. Deshalb rufe ich eigentlich an. Ich habe Ihnen die Geschichte erzählt, die ich mir zurechtgelegt habe für die Welt da draußen, denn mein Leben ist seit einigen Jahren nicht mehr das, was es vorgibt zu sein. Streetworker in der Bronx? Eine Lüge! Oder besser: ein alter, nie gelebter Traum. Menschen fraglos und ohne Anspruch auf ihrem Weg zu begleiten, irgendwo echten Sinn zu stiften, nicht nur hohle Worte.
Mein Mann Fred, Sie erinnern sich, der Spielzeughändler, starb nicht erst kürzlich, wie ich das gerne erzähle, sondern er ist schon seit zehn Jahren tot. Er war nicht meine große Liebe, doch er füllte mein Leben aus. Eine Tag und Nacht besetzte Kommandozentrale.
Nach seinem Tod, dem eine lange Krankheit vorausgegangen war, Pflegefall, ans Haus gebunden, fühlte ich mich befreit, frei für die Forschung und endlich konnte ich reisen!
Endlich veröffentlichte ich, Ethos der Stille‘, dann ,Ethos der Tat‘, schließlich, Ethos der Macht‘, schrieb Abhandlung nach Abhandlung, Vortrag nach Vortrag. Alles, was ich als junge Forscherin unter dem kranken Guardini zwar zu denken, doch nicht zu sagen gewagt hatte. Und ich genoss das Echo.
Endlich die öffentliche Anerkennung nach Jahren und Jahren der Arbeit im Verborgenen. Ich war plötzlich überall gefragt. Eröffnete drei große Symposien – in der Woche! Auf drei Kontinenten!
Saß in den elitärsten Gremien. Schlief kaum mehr.
Doch ich fühlte mich gut. Gebraucht. Ich war meine Ethik.
Das hielt natürlich nicht an. Denn ich hatte keine Ruhe, diese Lehre weiterzuentwickeln. Ich spürte, wie ich langsam hohl wurde, hörte meinen Wiederholungen sprachlos zu. Für die Kollegen war ich zu berühmt und unerreichbar, als dass mich jemand kritisch hergenommen hätte. Ich floh in die Flucht: zweihundert Podien im Jahr, ich mutierte zum perfekten Showgirl.
Wenn ich die Uni hie und da betrat, wurde mir der zurückgelegte Weg bewusst. Besser gesagt der Irrweg. Auf den Gängen wichen mir die Studenten aus.“ Sylvie hörte ein scharfes Seufzen.
Das war die Vorgeschichte, jetzt käme der Grund dieses Anrufs.
„Ich begann ein Verhältnis mit einem Kollegen, einem Österreicher“, fuhr sie fort, „galanter Junggeselle, einer, den alle wollten, auch die viel jüngeren, und den ich bekam. Nur um mich abzusichern. Die immer abwesende Schwartz brauchte einen Statthalter.
Er vertrat mich glühend in den Gremiensitzungen, wie ich in Erfahrung brachte. Er huldigte meiner Lehre. Er war anerkannt und profund, ein echter Pädagoge, die Studenten vergötterten ihn – dass er verkappt asexuell war, musste ich ja niemandem erzählen. Bald lud ich ihn hierher ein.“
Isolde Schwartz unterbrach sich, sie schien jetzt beim Sprechen zu gehen, unruhig wie ihr flatterndes Lachen, vielleicht rauchte sie dabei?
Ein Schiebefenster oder eine Tür waren zu hören, das charakteristische Scheppern eines etwas locker im Rahmen sitzenden Fliegengitters, dann, jetzt musste sie auf einer Terrasse sein, kam frühlingshaftes Vogelgezwitscher dazu, eine kleine Schar von Spatzen.
„Ich rufe Sie an, Sylvie, weil ich mit Ihnen sprechen muss. Sie werden mir helfen, wo ich nicht weiterweiß.“
Ein kurzes Ächzen im Hintergrund, sie hatte sich auf eine Gartenbank gesetzt oder lehnte an einer Holzwand, die nachgab.
Die Spatzen wurden lauter.
„Ich komme Sie besuchen, morgen“, sagte sie, der harte Befehlston war wieder da, „um diese Zeit.“
Sylvie holte Luft.
Nein!
Bloß nicht um diese Zeit, gegen elf, wo sie sich doch immer im kleinen Nebengebäde eingestellt hatte, um Ahmed Abdullah zum Spaziergang abzuholen. Die wichtigste Stunde des Tages mit dem Menschen, der sie am meisten brauchte.
Wohin führte diese Geschichte?
Und warum erzählte Isolde Schwartz sie ausgerechnet ihr?
Sie war eine einfache Schrifstellerin und konnte dieser Frau, einer Koryphäe, die in einer ganz anderen Liga spielte, sicher nicht helfen. Sie konnte ihr vielleicht zuhören, aber nicht raten.
Doch der Ton dieser Frau erwartete mehr. Er machte ihr Angst.
„Nein“, sagte Sylvie.
Sie wollte sagen: „Ich kann Sie nicht sehen.“ Doch sie hörte sich sagen:
„Wenn, dann um neun.“
Es war Punkt neun Uhr, als Isolde Schwartz den Haselweg heraufkam.
Wieder ein windiger Morgen, in den Wipfeln der hohen Birken rauschte es, doch der bucklig gepflasterte Hof des Bauernhauses war voller Sonne.
Sylvie war früh in den Garten gegangen, um aus dem ehemaligen Mistbeet, das mitten vor dem Torbogen lag und der schönste Blickfang sein könnte, endlich einen kleinen Bauerngarten zu machen. Sie wollte Lupinen, Pfingstrosen, Lavendel, Buchskugeln und Kapuzinerkresse einsetzen, die sie gestern beim Dorfgärtner zusammengesucht hatte.
Gestern – da war sie nicht mehr zum Arbeiten gekommen, der Satz stand noch jetzt unerlöst auf dem Laptopbildschirm wie vor dem Anruf von Isolde Schwartz. Dabei musste das Konzept spätestens in einer Woche raus, sie hatte Edith Zuckermann für ein Gastseminar im kommenden Herbst zugesagt und die wartete auf ihr Kursprogramm.
Stattdessen hatte sie sich in diese Geschichte verwickeln lassen und kam nicht mehr los davon. Fragmente der Sätze aus dem Telefon waren durch ihre Gedanken gehuscht, das bittere „ja Sie, Sie schreiben, in Ruhe“ – und immer wieder das „ich komme Sie besuchen, morgen“ im Schwartz’schen Kommandoton, der keine Widerrede zuließ.
Tasuta katkend on lõppenud.