Loe raamatut: «Ayahuasca und Tabak», lehekülg 2

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Rauchende Schamanin

»Und rauchst du manchmal diese Zigaretten aus der Packung?«, fragte ich.

»Nein, die rauche ich nicht. Denn einmal hatte ich keinen mapacho und kein Geld, um mir welchen zu kaufen; ich ging zu einer Ayahuasca-Zeremonie in der Nähe von Nauta, um dort Ayahuasca zu trinken, und auch dort hatte niemand welchen. Meine Freunde meinten, ‹Hier sind ein paar Caribe-Zigaretten, lass uns Caribe rauchen.› Also rauchte ich Caribe, und das Ayahuasca sagte zu mir: ›Diese Zigarette tut nicht gut, wenn man Ayahuasca trinkt, sie ist nicht gut für den Menschen, denn sie ist Müll.› Es meinte zu mir, ›sie ist Müll, einfach Müll. Tabak ist eine Ergänzung zur Medizin. Tabak ist Medizin‹.«

»Das Ayahuasca hat dir gesagt, dass die Zigarette Müll ist?«, fragte ich nach, weil ich sicher sein wollte, dass ich richtig verstanden hatte.

»Ja, das Ayahuasca sagte, dass der Tabak in den industriellen Päckchen Müll ist. ›Was du da rauchst, ist Müll.‹ Deshalb hat es mich bestraft, weil ich geraucht hatte …«

»Wie hat es dich bestraft?«, fragte ich und unterbrach ihn.

»Indem es mir eine sehr starke Vision schickte, ein Gefühl des Todes, in diesem Sinne hat es mich bestraft. Es sagte mir also, dass dies Müll sei, dass es sich nicht lohne. Wenn man Ayahuasca trinkt, braucht man mapacho, um die Medizin zu ergänzen.«

Ich merkte an, dass die meisten regelmäßigen Tabakraucher weltweit Zigaretten rauchen, die er wahrscheinlich für »Müll« hielt. Dann fragte ich ihn noch einmal, ob er einen Rat für Leute habe, die den Tabak besser kennenlernen möchten.

»Ich würde raten, dass man sich besser einfachen, normalen Tabak besorgt, bevor man irgendeine industriell gefertigte Zigarette raucht. Es braucht nicht der starke, präparierte Tabak zu sein. Und davon kann man langsam bis zu drei Stück am Abend rauchen, wenn man schlafen gehen will. Das hilft auch, sich zu stabilisieren, wenn man aufgeregt ist, wenn man zu emotional ist. Manchmal kommen Depressionen oder Wut, da hilft der Tabak auch, diese zu minimieren, sich zu kontrollieren.«

»Und wenn die Leute einfachen Tabak rauchen wollen, wie sollen sie rauchen? Sollten sie aufstehen oder sich hinsetzen? Sollten sie allein rauchen? Hast du dazu eine Meinung?«, fragte ich.

»Ja. Es ist wichtig, einen bestimmten Ort dafür zu haben, denn nicht jeder kann Tabakrauch einatmen; die Nasen der Menschen sind darauf nicht vorbereitet, manche sind allergisch, andere haben Schnupfen; es ist wichtig, die Gesundheit anderer Menschen zu respektieren. Also muss man sich einen Raum suchen, in dem man andere Leute nicht verschreckt, wo drei oder vier Leute rauchen können, sitzend und konzentriert. Man sollte auch nicht fernsehen, denn diese Tätigkeit legt einen Zauber über einen. Also, rauchen und sich konzentrieren, darüber nachdenken, was man tut. Das wäre der Rat: ein Raum für diejenigen, die rauchen möchten, wo keine Leute sind, die nicht rauchen, weil das deren Nasen beeinträchtigen würde. Und damit aufhören, anderen Tätigkeiten nachzugehen, um sich ganz dem Rauchen des mapachozu widmen. Denn wir haben es mit einer Pflanze zu tun, die Macht hat, einer Pflanze, die einen Geist oder eine Seele hat, also ist es wichtig, das zu respektieren. Es ist nicht einfach eine gewöhnliche Sache, die man raucht. Das wäre der Rat, den ich geben würde.«

Fußnote

1Gow 1991, S. 80.




KAPITEL 2
Heilmittel und Gift

Wissenschaftler haben den Tabak gründlicher erforscht als jede andere Pflanze in der Geschichte der Wissenschaft. Das liegt an seiner natürlichen chemischen Komplexität. Die Tabakpflanze produziert etwa 4000 verschiedene organische Substanzen – nicht zu verwechseln mit den Hunderten von industriellen Chemikalien, die Zigarettenhersteller ihren Produkten beigeben.1

Tabak produziert insbesondere eine Reihe von Substanzen, die man Alkaloide nennt und die Stickstoff enthalten und starke körperliche Wirkungen auf Tiere und Menschen haben. Nikotin ist das bei weitem wichtigste Alkaloid, das in den meisten Tabaksorten enthalten ist, einschließlich der beiden im Amazonasgebiet gebräuchlichen Arten Nicotiana tabacum und Nicotiana rustica. Es ist eine der giftigsten botanischen Substanzen in der Natur, da ein oder zwei Tropfen reines Nikotin, auf der Zunge oder der Haut aufgetragen, einen erwachsenen Menschen töten können.2

Aus der Sicht der Pflanze dient das Nikotin vor allem der Abwehr räuberischer Insekten. Diese Rolle ist so effizient, dass die Menschen Nikotin seit Jahrhunderten als starkes Insektizid einsetzen.3

Bei einigen Sorten von Nicotiana rustica erreicht der Nikotingehalt in den Blättern bis zu zwanzig Prozent – während der blonde Tabak, der in Industriezigaretten verwendet wird, zwischen ein und zwei Prozent Nikotin aufweist. Da ein paar Tropfen reines Nikotin eine tödliche Dosis darstellen, kann der Konsum des starken schwarzen Tabaks ein riskantes Unterfangen sein.4

Die Toxizität des Nikotins hängt davon ab, wie es in den Körper gelangt. Wenn es über die Haut aufgenommen wird, wirkt es etwa hundertmal stärker, als wenn es gegessen oder geraucht wird. Die Magensäuren bauen das Nikotinmolekül bis zu einem gewissen Grad ab. Und wenn man Tabak raucht, verwandeln die hohen Temperaturen der Verbrennung einen großen Teil des Nikotins in weniger tödliche Produkte. Die Chemiker Penny Cameron Le Couteur und Jay Burreson merken an: »Das bedeutet nicht, dass Tabakrauchen harmlos ist, sondern nur, dass schon das Rauchen weniger Zigaretten tödlich wäre, würde diese Oxidation des größten Teils des Nikotins und anderer Tabakalkaloide nicht stattfinden«.5

Die Tatsache, dass Industriezigaretten Hunderte von chemischen Zusatzstoffen enthalten, die sich beim Verbrennen in neue und wesentlich giftigere Substanzen verwandeln, ist etwas anderes. Die Verbrennung ist nur insofern eine gute Nachricht für Raucher, als sie die Tödlichkeit des im Tabak enthaltenen Nikotins reduziert.6

Rauchen ist ein schneller Weg, um Nikotin ins Blut und ins Gehirn zu bekommen, bei relativ geringem Risiko einer Überdosierung – das übermäßige Rauchen von zu starkem Tabak erzeugt bei Menschen eher Übelkeit oder sogar Bewusstlosigkeit. Sie hören also meistens mit dem Rauchen auf, bevor sie den tödlichen Grad einer Nikotinvergiftung erreichen. Es hat sich herausgestellt, dass das Rauchen bei weitem die häufigste Art des Tabakkonsums bei Amazonas-Schamanen ist – obwohl sie ihn auch kauen, trinken, lecken und schnupfen sowie, in seltenen Fällen, durch rektale Aufnahme konsumieren.7

Der Ethnobotaniker Dale Pendell meint zu den Gefahren der Tabakeinnahme in flüssiger Form oder durch das Rektum: »Das Trinken kann, falls der Eingeweihte den Tabak nicht ausspuckt, nachdem er das Bewusstsein verloren hat, zum Tod oder zu dauerhafter Schädigung führen. Die gefährlichste Technik der Tabakaufnahme ist die rektale Injektion, bei der die Gefahr der Überdosierung extrem ist«.8


Um die ganze Macht des Tabaks zu begreifen, hilft es, die Funktionsweise von Nikotin im menschlichen Körper zu verstehen.

Nikotin hat eine tiefgreifende Wirkung auf den Menschen, weil das Nikotinmolekül einem wichtigen chemischen Stoff ähnelt, der von unserem Körper und unserem Gehirn produziert wird, dem Acetylcholin. Dieses ermöglicht es dem Nikotin, sich an die für diese Substanz vorgesehenen Rezeptoren auf der Oberfläche der Neuronen und vieler anderer Zellen im Körper anzupassen. Diese Rezeptoren sind allgemein als »Nikotinrezeptoren« bekannt, weil sie im frühen 20. Jahrhundert von Wissenschaftlern entdeckt wurden, die verstehen wollten, wie Nikotin im Körper funktioniert. Wenn sich Nikotin an unsere Neuronen bindet, veranlasst es diese, eine Flut chemischer Stoffe im Gehirn freizusetzen, wie zum Beispiel Dopamin, Glutamat und Noradrenalin, Acetylcholin selbst und Endorphine. Diese Substanzen entfalten eine breite Palette an Wirkungen.9

Strukturformeln von Nikotin (oben) und Acetylcholin (unten)

Zum Beispiel verstärkt erhöhtes Glutamat die Verbindungen zwischen den Neuronen, was das Lernen und Erinnern erleichtert; erhöhtes Acetylcholin gibt den Menschen das Gefühl, wach und energiegeladen zu sein; erhöhtes Dopamin aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, wodurch Menschen sich zufrieden fühlen und zudem den Wunsch hegen, die Erfahrung zu wiederholen – daher das Suchtpotenzial des Nikotins. Erhöhte Werte bei den Endorphinen – kleinen, als Schmerzmittel fungierenden Proteinen – können zu Gefühlen der Euphorie führen. Nikotin kann durch seine Wirkung auf die für Acetylcholin ausgelegten Rezeptoren im Gehirn alle diese Effekte gleichzeitig auslösen.10

Aber Acetylcholin ist nicht bloß ein chemischer Stoff im Gehirn. Es wird von vielen gehirnlosen Organismen in der gesamten Natur produziert, darunter Bakterien, Einzeller, Moose, Algen und primitive Pflanzen. Das deutet darauf hin, dass es sehr früh im Evolutionsprozess auftrat. Acetylcholin ist ein ausgesprochen »altes« Molekül, das an der Regulation grundlegender Zellfunktionen wie Genexpression, Zellproliferation und -differenzierung, Zell-Zell-Kontakten, Immunfunktionen, elektrischer Aktivität, Fortbewegung, Ausscheidung und Absorption beteiligt ist.

Die große Mehrheit der menschlichen Zellen produziert Acetylcholin und hat auf ihrer Oberfläche die entsprechenden Rezeptoren. Es gibt Nikotinrezeptoren auf den Zellen der Muskeln, der Haut, der Bauchspeicheldrüse, der Lungen, der Hypophyse, der Nebennieren, des Immunsystems, des Verdauungssystems, des Blutes, der Eierstöcke und der Hoden. Dadurch kann Nikotin im ganzen Körper wirken, einschließlich des Herzkreislauf-, Atmungs-, Nieren- und Fortpflanzungssystems.11

Gewisse Wirkungen des Nikotins werden von Menschen, die Tabak konsumieren, wahrgenommen. Wenn Nikotin beispielsweise die Nebennieren zur Ausschüttung von Adrenalin anregt, einem Hormon, das die Herzfrequenz und den Blutdruck erhöht, können Konsumenten einen »Rush« verspüren. Doch Nikotin hat zahlreiche subtile Wirkungen auf den Körper, die dem Bewusstsein der Tabakkonsumenten entgehen. Es fördert beispielsweise das Wachstum neuer Blutgefäße, und es beruhigt Entzündungen, wenn das Immunsystem überreagiert.12

Gemäß dem Kardiologen John P. Cooke ist Nikotin »ähnlich wie Feuer – es kann sehr schädlich sein, und doch kann es nützlich sein, wenn man weiß, wie man es kontrollieren kann«. Zum Beispiel lässt die Förderung des Wachstums neuer Blutgefäße Tumore schneller wachsen, und deshalb ist der Konsum von Nikotin keine gute Idee, wenn man Krebs hat; wenn man aber Diabetes hat und die Extremitäten unter schlechter Blutzirkulation leiden, kann die lokale Anwendung eines Nikotingels helfen, diese Tendenz umzukehren.13

Die regelmäßige Einnahme von Nikotin schwächt das Immunsystem – was teilweise erklärt, warum Zigarettenraucher häufiger erkranken als Nichtraucher –, aber wenn das Immunsystem überreagiert, wie zum Beispiel in schweren Fällen von Covid-19, scheint Nikotin eine schützende Wirkung zu haben. Anfängliche Berichte – die inzwischen Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen sind –, dass Zigarettenraucher weniger schwere Formen dieser Viruserkrankung zu entwickeln schienen, ließen ein Forscherteam vermuten, dass Covid-19 Nikotinrezeptoren beeinträchtigen könnte. Sie identifizierten daraufhin eine toxinähnliche Aminosäuresequenz in einem der Virusproteine, die einer Sequenz ähnelt, die in Schlangengiftproteinen zu finden ist, welche die Nikotinrezeptoren blockiert und die Wirkung von Acetylcholin verhindert.

Eine der vielen Rollen, die Acetylcholin spielt, ist die eines entzündungshemmenden Moleküls, insbesondere in Fällen, in denen das Immunsystem überreagiert und den Körper mit entzündungsfördernden Molekülen überschwemmt. Normalerweise neutralisiert Acetylcholin in solchen Fällen diese pro-inflammatorischen Moleküle. Sind die Nikotinrezeptoren jedoch blockiert, wird kein Acetylcholin freigesetzt, und die entzündungsfördernden Moleküle greifen weiterhin gesunde Zellen im ganzen Körper an. Das führt schließlich dazu, dass sich die Lunge mit Flüssigkeit füllt und die Organe versagen. Die Patienten sterben am Ende also an ihrer Immunantwort auf das Virus und nicht an dem Virus selbst.

Obwohl die Beweise noch umstritten und nicht schlüssig sind, ist es möglich, dass Covid-19 in seiner schwersten Form eine Erkrankung des Nikotinsystems und insbesondere des auf Acetylcholin basierenden entzündungshemmenden Systems ist; und Nikotin könnte die Funktion dieses Systems wiederherstellen, indem es Acetylcholin erlaubt, die Überreaktion des Immunsystems zu unterdrücken.14

Die mit der Untersuchung dieser These beschäftigten Wissenschaftler arbeiten mit »medizinischem Nikotin« in Form von Nikotinpflastern oder Nikotinkaugummi und warnen einhellig, dass das Rauchen von Zigaretten oder das Dampfen von Nikotinprodukten keinen Schutz gegen diese aggressive Viruserkrankung gewährleisten.15

Nikotinrezeptoren spielen auch eine Rolle beim Entstehen der Parkinson-Erkrankung, der Alzheimer-Erkrankung, der Schizophrenie und der Epilepsie. Die vorliegenden Daten lassen vermuten, dass Nikotin bei Parkinson, einer Krankheit, bei der die Dopamin produzierenden Neuronen abgetötet werden, von therapeutischem Wert sein könnte, weil Nikotin die Dopaminproduktion im Gehirn anregt.

Nikotin hilft auch bei Alzheimer, einer Krankheit, bei der es zu Plaque-Ablagerungen zwischen den Neuronen kommt, weil Nikotin die Proteine, die diese Ablagerungen bilden, daran hindert, sich miteinander zu verbinden. Nikotin kann auch Menschen helfen, die an Schizophrenie leiden, doch der genaue Mechanismus bleibt in diesem Fall unklar. Schließlich sollten Menschen, die an Epilepsie leiden, den Konsum von Nikotin vermeiden, weil es Anfälle auslösen kann.16


Es gibt weitreichende Beweise, dass Tabak schmerzlindernd wirken kann und, wie Rafael Chanchari sagt, bei der Linderung von Schlangenbissen und Bissen von stechenden Ameisen hilft. Die Menschen im Amazonasgebiet behandeln seit langem kranke und schmerzende Körperteile mit feuchten Tabakblättern oder Tabakpulverpflastern, die wie organische Nikotinpflaster funktionieren.

Wissenschaftler haben erkannt, dass Nikotin Schmerzen lindert, indem es auf die Nikotinrezeptoren der Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark wirkt. Morphium selbst wirkt, zumindest teilweise, durch die Ausschüttung von Acetylcholin, das auf dieselben Rezeptoren wirkt. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass geringe Dosierungen von Nikotin, die Nichtrauchern in Form von Pflastern oder Nasenspray verabreicht werden, deren Bedarf an Morphium nach einem chirurgischen Eingriff verringern. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Menschen, die regelmäßig Tabak rauchen oder Nikotin konsumieren, ihre Nikotinrezeptoren desensibilisieren und eine Toleranz gegenüber der Wirkung von Nikotin entwickeln; aus diesem Grund profitieren sie nicht so stark wie unregelmäßige Konsumenten von der schmerzstillenden Wirkung.17

Es gibt außerdem handfeste Beweise dafür, dass Tabak, wie Rafael Chanchari bemerkte, Menschen beim Lernen helfen kann. Wissenschaftler bestätigen, dass Nikotin die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis verbessern kann. Es erhöht die Hirndurchblutung; es setzt Glutamat frei, das die Verbindungen zwischen den Neuronen stärkt; es setzt xNoradrenalin frei, das die Aufmerksamkeit fokussiert; und es aktiviert Bereiche im Vorderhirn, von denen angenommen wird, dass sie der Kognition zugrunde liegen. Gemäß den Worten des Psychologen Marcello Spinella: »Nikotin, das wichtigste psychoaktive Alkaloid im Tabak, hat kognitionssteigernde Effekte.«18

Die Forschung bestätigt auch die Behauptung von Rafael Chanchari, dass Tabak »die männlichen und weiblichen Hormone stärkt« – allerdings hängt dieser Effekt davon ab, wie man die Pflanze verwendet.

Der Urologe Wei Wang und sein Team untersuchten eine große Gruppe von Männern und fanden heraus, dass Raucher mehr Gesamttestosteron und freies Testosteron haben als Nichtraucher. Sie fanden zudem heraus, dass die Art des Effekts von der Regelmäßigkeit des Konsums abhängt: »Rauchen kann zu einem akuten Anstieg des Testosteronspiegels führen, der jedoch bei chronischer Belastung durch Tabak durch Langzeitrauchen abnehmen kann. Daher hängen die Auswirkungen des Rauchens auf den Testosteronspiegel von der persönlichen Rauchgeschichte ab.« Eine andere Studie fand höhere Testosteron- und Östrogenspiegel bei Männern, die rauchen, im Vergleich zu denen, die nicht rauchen.19

Die Epidemiologin Judith S. Brand und ihrTeam untersuchten eine große Gruppe postmenopausaler Frauen und fanden heraus, dass Zigarettenrauchen sowohl deren Östrogenspiegel und auch Testosteronspiegel erhöhte, »wobei die höchsten Werte bei denjenigen beobachtet wurden, die die meisten Zigaretten rauchten«.20 Sie stellten jedoch fest, dass die Östrogenspiegel bei starken Raucherinnen am höchsten waren, aber Frauen, die weniger als zehn Zigaretten pro Tag rauchten, niedrigere Östrogenspiegel aufwiesen als Nichtraucherinnen.

Die Forschung zeigt, dass Frauen größere Schwierigkeiten haben, mit dem Rauchen aufzuhören als Männer und ein intensiveres Verlangen verspüren; sie reagieren auch empfindlicher als Männer auf die belohnende Wirkung von Nikotin.

2017 schrieben die Neurobiologin Sara Cross und ihr Team: »Die präklinische Forschung hat sich überwiegend auf erwachsene Männer konzentriert […]. Daher werden die genauen Mechanismen, die der einzigartigen Empfindlichkeit von Frauen gegenüber der Wirkung von Nikotin zugrunde liegen, kaum verstanden.« Sie schlagen jedoch eine mögliche Erklärung vor: »Es gibt einige Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen zirkulierenden Hormonen oder der Phase des Menstruationszyklus mit dem Rauchverhalten und dem Erfolg der Raucherentwöhnung. Bei Frauen scheint Östrogen das Rauchverhalten zu fördern.«21 Konkret neigen Frauen dazu, zu Beginn ihres Menstruationszyklus mehr zu rauchen als am Ende.

Es sind weitere Forschungen über die einzigartige Empfindlichkeit von Frauen gegenüber der Wirkung von Nikotin erforderlich.


Rafael Chanchari spricht davon, dass Tabak eine »natürliche chemische Substanz zum Sehen von Visionen« enthält. Bis vor kurzem hielten Wissenschaftler Nikotin oder Tabak nicht für ein Halluzinogen. Aber diejenigen, die sich mit den hohen Dosen von starkem, dunklem Tabak auskennen, die von Schamanen im Amazonasgebiet konsumiert werden, erkennen das Potenzial der Pflanze, Halluzinationen oder Visionen zu erzeugen. Wie der Anthropologe Johannes Wilbert es ausdrückte: »Es besteht kein Zweifel daran, dass Nikotin durch seine Wirkung auf das zentrale Nervensystem in der Lage ist, halluzinatorische eschatologische Szenarien kosmischen Ausmaßes zu erzeugen, und es bleibt die Frage, ob diese Wirkungen durch das Nikotinalkaloid direkt und/oder indirekt durch die Interaktion mit anderen Neurotransmittern als Acetylcholin verursacht werden.«22

Nikotin könnte durch seine Fähigkeit, chemische Stoffe im Gehirn wie Noradrenalin und Serotonin freizusetzen, die beide chemisch mit Halluzinogenen (Meskalin beziehungsweise Psilocybin) verwandt sind, einige der halluzinatorischen Wirkungen des Tabaks verursachen.

Außerdem wurden in mehreren Studien geringe Mengen der Alkaloide Harman und Norharman im Tabakrauch, aber nicht im Tabak selbst gefunden, was darauf hindeutet, dass diese Verbindungen bei der Verbrennung entstehen. Da beide eng mit den halluzinogenen Harmala-Alkaloiden verwandt sind, die in der Ayahuasca-Liane vorkommen, könnten sie zu den halluzinatorischen Wirkungen des Tabaks beitragen. Dennoch bleiben die neurologischen Mechanismen, die an der Fähigkeit des Schamanentabaks zur Erzeugung von Halluzinationen beteiligt sind, unklar. Derzeit betrachten die meisten Wissenschaftler, die mit dem Thema vertraut sind, Nikotin als die Verbindung, die Tabakvisionen auslöst.23

Gemäß den Worten des Anthropologen Christian Rätsch: »Die Wirkungen des Tabaks sind in erster Linie das Ergebnis des Nikotins. Niedrige Dosierungen des Tabaks erzeugen belebende und anregende Effekte, die das Hungergefühl unterdrücken. Bei mäßiger Dosierung kann es leicht zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blutarmut und Schwindelgefühlen kommen. Hohe Dosierungen können zum Delirium mit Halluzinationen (vgl. Nicotiana rustica) und zum Tod durch Atemlähmung führen.«24

Der Anthropologe Martin Fortier kategorisierte kürzlich Halluzinogene, die im rituellen Kontext verwendet werden, nach den Gehirnrezeptoren, die sie beeinflussen. In die erste Kategorie ordnete er Psilocybin-Pilze, Ayahuasca, Peyote und den San-Pedro-Kaktus ein, welche die Serotonin-Rezeptoren stimulieren. In einer zweiten Kategorie platzierte er Datura, Tollkirsche, Alraune und Brugmansia, die Nikotinrezeptoren blockieren und dadurch Delirien und intensive Halluzinationen verursachen. Einer dritten Kategorie ordnete er den Tabak zu: »Mehrere Klassen von Substanzen sind sowohl atypisch als auch schwach halluzinogen (d. h. nur in sehr hohen Dosen halluzinogen). Die wichtigste dieser Substanzen ist der Tabak, der seine halluzinogenen Wirkungen durch die Stimulierung von Nikotin-Acetylcholin-Rezeptoren erhält. Verschiedene Arten von Nicotiana, die besonders viel Nikotin enthalten – und deshalb Visionen hervorrufen –, haben in den indigenen amerikanischen Kulturen einen zentralen Platz eingenommen.«25

Die Forscher sind sich zunehmend einig, dass starker dunkler Tabak als Halluzinogen wirken und bei denjenigen, die ihn konsumieren, Visionen hervorrufen kann.


Wie Rafael Chanchari neigen auch die Menschen im Amazonasgebiet dazu, Tabak als Medizin zu betrachten. Die anthropologische Literatur ist voll von Aussagen in diesem Sinne.

Für die Huni Kuin in Brasilien ist Tabak »die heilende Substanz überhaupt«. Für die Matsigenka in Peru ist »Tabak eine Medizin im wahrsten Sinne des Wortes«. Ganz allgemein gesprochen ist Tabak »die schamanische Pflanze schlechthin in Südamerika […], ohne die keine schamanische Aktivität stattfinden kann«. Das Anblasen eines Patienten mit Tabakrauch oder das Auftragen von Tabaksaft auf den Körperteil, der zu leiden scheint, ist »die häufigste und am weitesten verbreitete Heilpraxis im gesamten Amazonasgebiet«.26

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Menschen im Amazonasgebiet dazu neigen, nicht radikal zwischen »Medizin« und »Gift« zu unterscheiden. Einige Sprachen im Amazonasgebiet verwenden ein und dasselbe Wort, um sich auf beide Konzepte zu beziehen. Die Menschen dort suchen üblicherweise nach bitteren, scharfen oder giftigen Pflanzen, um sie als Medizin zu verwenden. Aus ihrer Sicht ist der Tabak sowohl Gift- als auch Heilpflanze; wie Rafael Chanchari sagt, hat Tabak zwei Seelen, eine für die Medizin, die andere für die Bosheit.27

Dies deckt sich mit der Zweideutigkeit der ersten bekannten Verwendungen des Begriffs pharmakon, von dem wir die Wörter Pharmazie, Pharmazeutik und Pharmakologie ableiten.

Im Altgriechischen kann pharmakon gleichzeitig ein Heilmittel und ein Gift sein. Paracelsus machte dies später berühmt, indem er Gift und Heilmittel durch die Dosis unterschied. »Die Dosis macht das Gift«, so das Sprichwort.28

Die aktuelle wissenschaftliche Forschung bestätigt diese Ambivalenz und zeigt, dass Tabak und Nikotin Heilungspotenzial besitzen, aber auch Schaden und Tod verursachen können. Sie sind Medizin/Gift.


Viele von Rafael Chancharis Behauptungen über Tabak sind wissenschaftlich untermauert. Aber einige davon scheinen einer wissenschaftlichen Lesart weniger zugänglich zu sein, zumindest auf den ersten Blick.

Betrachten wir zum Beispiel das Konzept der Meisterpflanzen. Der Anthropologe Luis Eduardo Luna machte erstmals 1984 in seiner Studie über Mestizen-Schamanen im peruanischen Amazonasgebiet auf diesen Begriff aufmerksam und schrieb: »Unter ihnen gibt es diejenigen, die vegetalistas oder Pflanzenspezialisten genannt werden und die eine Reihe von Pflanzen verwenden, die Ärzte- oder Meisterpflanzen genannt werden. Sie sind der Überzeugung, dass – wenn sie bestimmte Bedingungen der Isolation erfüllen und einer vorgeschriebenen Diät folgen – diese Pflanzen ›lehren‹ können, wie man Krankheiten diagnostiziert und heilt, wie man andere schamanische Aufgaben ausführt, gewöhnlich durch magische Melodien oder icaros, und wie man medizinische Pflanzen benutzt«.29

Meisterpflanzen sind jene, die den Menschen, die sie verzehren, Wissen übermitteln. Im Jahr 2011 identifizierte ein internationales Team von Wissenschaftlern 55 Arten, die als »Meisterpflanzen« und bei schamanischen Initiationen im peruanischen Amazonas verwendet wurden, darunter Tabak, Ayahuasca, Brugmansia, Stechapfel und Coca sowie mehrere nicht-psychotrope Pflanzenarten mit abführenden, stärkenden oder schützenden Eigenschaften.30

Viele Wissenschaftler schätzen das Konzept der »Meisterpflanzen« als zu radikal ein, wegen seiner »impliziten animistischen Wurzeln«, welche »die Grenzen der akademischen Orthodoxie verschieben«.31 Aber im Falle des Tabaks genügt es, die kognitionsfördernden Wirkungen des Nikotins zu betrachten, um diese Ansicht zu überdenken. Angesichts der Tatsache, dass Nikotin den Menschen hilft, sich zu konzentrieren, sich zu erinnern und zu lernen, rückt die Idee, dass stark nikotinhaltiger Tabak als »Meisterpflanze« agieren kann, in den Fokus. Das Konzept mag immer noch eine Metapher sein, aber es beschreibt zuverlässig, was in unseren Köpfen vor sich geht, wenn wir die Pflanze konsumieren.

Während man sich zwischen dem Wissen des Amazonas und der Wissenschaft hin- und herbewegt, gibt es Momente, in denen man feststellt, dass korrepondierende Begriffe fehlen. Zum Beispiel spricht Rafael Chanchari von »Seelen« und »Geistern«, während die Wissenschaft keinen Platz für solche Begriffe hat. Doch wenn die Menschen im Amazonasgebiet von »Seelen« und »Geistern« sprechen, haben diese Wörter nicht genau die gleiche Bedeutung wie im Westen. Beide Begriffe sind westliche Konzepte, die auf einem fundamentalen Gegensatz zwischen Körper und Seele und zwischen Materie und Geist beruhen. Aber auch wenn die Menschen im Amazonasgebiet die unsichtbaren Entitäten, welche die lebenden Wesen beseelen, als »Geister« bezeichnen, betrachten sie diese nicht als grundlegend immateriell. Im Gegenteil, sie sind wesentlich für den Organismus, den sie beseelen, und wenn sie diesen verlassen, stirbt er. In der amazonischen Sichtweise ist das, was diese Wesenheiten ausmacht, nicht ihre Immaterialität, sondern ihre Unsichtbarkeit.32

Blüten von Nicotiana rustica

Als er gebeten wurde, dies zu kommentieren, antwortete Never Tuesta Cerrón, der Awajún-Leiter des Lehrerausbildungsprogramms, bei dem Rafael Chanchari angestellt ist: »Seit vielen Jahren denke ich darüber nach, wie ich die Vorstellungen, die wir Indigenen über die Seele oder den Geist der Pflanzen und Tiere haben, die in der Vergangenheit Personen waren, ins Spanische übersetzen kann. Wenn wir als Awajún-Volk den Mestizen unsere Vorstellungen erklären wollen, benutzen wir spanische Begriffe wie alma (Seele) oder espíritu (Geist). Auf Awajún sagen wir wakani. Wenn wir zum Beispiel erklären, dass es sich bei dem Foto um ein Bild von Dora handelt, sagen wir Dora wakani. Wenn wir davon sprechen, dass Doras Schatten von der Sonne erzeugt wurde, sagen wir Dora wakani. Um zu erklären, dass wir die Seele der vor einiger Zeit gestorbenen Dora gesehen haben, sagen wir Dora wakani. Ebenso verwenden wir den Begriff wakani, wenn wir uns auf die Meisterpflanzen beziehen, die in der Vergangenheit Menschen waren, zum Beispiel datema wakani, was die Seele oder den Geist der Ayahuasca-Pflanze meint. Für mich liegt das Problem darin, dass unsere Gesprächspartner Seele oder Geist im religiösen Sinn verstehen. Für uns Awajún ist klar, dass eine Pflanze oder ein Tier, die in der Vergangenheit Menschen waren, wakani haben.«

Blüte von Nicotiana tabacum

Als Antwort auf diese Aussage meinte Rafael Chanchari: »Für uns Shawi ist es genauso, nur dass wir wa’yan sagen statt wakani

Die Anthropologen Lewis Daly und Glenn H. Shepard diskutierten kürzlich das Konzept der »Seele« der Matsingenka-Ethnie in Peru mit folgenden Worten: »Das Matsingenka-Wort für Geist oder Seele, suretsi, bezieht sich auch auf das Kernholz oder Mark einer Pflanze […]. Suretsi kann sich auf die pharmakologischen Prinzipien von medizinischen und giftigen Pflanzen beziehen. Wenn eine Pflanze in Wasser erhitzt wird, ›verunreinigt‹ oder ›infundiert‹ ihre Seele den Sud. Wenn eine Person den Sud trinkt, ›infundiert‹ die Seele der Pflanze, die sich in ihrem Geschmack, ihrem Geruch und ihrer Färbung manifestiert, den Körper mit dieser ganzheitlichen Substanz/Seele.«33

Wenn die Menschen im Amazonasgebiet Seele und Substanz als Synonyme betrachten, während Wissenschaftler eine absolute Unterscheidung zwischen den beiden machen, kann es schwierig werden, zwischen Wissenschaft und indigenem Wissen hin und her zu wechseln.34

Wie viele Menschen im Amazonasgebiet bezieht sich Rafael Chanchari auf die Mütter oder Besitzerinnen der Pflanzen – unsichtbare Wesenheiten, die für jede Art spezifisch sind und wie eine Persönlichkeit wirken. Wissenschaftler haben wenig Zeit für diese Art der Personifizierung, da ihre Hauptmethode darin besteht, das Gegenteil zu tun und zu objektivieren, was sie untersuchen. Für die Wissenschaft heißt »zu wissen, zu entsubjektivieren«35, wie es der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro ausdrückte. Das bedeutet, dass eine wissenschaftliche Perspektive auf die »Mutter des Tabaks« wahrscheinlich nicht so bald verfügbar sein wird.

Tasuta katkend on lõppenud.