Loe raamatut: «Parsifal»
Joachim Stahl
Sternenlicht 5
Parsifal
Saphir im Stahl
Bereits erschienen:
Horst Hoffmann - Insel im Nichts
Johannes Anders - Rücksturz nach Tyros
Johannes Anders - Storm
Peter R. Krüger - Der Fehler im System
Joachim Stahl - Parsifal
In Vorbereitung:
Erik Schreiber - Wanderer
Sternenlicht 5
e-book 094
Erste Auflage 01.06.2021
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Joachim Stahl
Vertrieb: neobooks
Inhaltsverzeichnis
Overtüre
1. Akt - Einsatz auf Torr
2. Akt - Vaterliebe
3. Akt - Virenwahn
4. Akt - Wertvolle Kisten
Coda
Hauptpersonen
Besatzung des moranischen Kreuzers GB-I/
DIANA:
Petrus Taunsend – Kommandant
Jon Entwissel – Astrogation
Ronja Darlfrey – Ortung
Kio Mun – Bordingenieur
Toni Walker – Armierung
Amadeus Buffon – Kommunikation
Weitere Moraner:
Omar Hoffmann – Kommandant des Expeditionsschiffes GIORDANO BRUNO
Pamina Neyd – Leiterin der Obersten Raumbehörde
Zaltan Rimski – Kommandant des Kreuzers GB-II/MARS
Ben Nabuko – Großunternehmer
Parsifal Nabuko – Bens Sohn
Raumpiraten:
Jago – Bandenanführer
Carmen – Jagos Nichte
Otello – ein junger Pirat
Ouvertüre
Sauerstoff-Restanzeige: 5 %.
Rot leuchtete die Zahl auf dem digitalen Armband. Vor einigen Minuten war die Anzeige orange gewesen, aber da war die Zahl auch noch höher. Sauerstoff entsteht im Vakuum des Alls eben nicht, er wird von Lungenatmern wie dem Menschen nur verbraucht. Mit jedem Atemzug verschwand ein kleiner Vorrat des lebenswichtigen Gases aus dem Rückentornister ihres Raumanzugs. Jeder Atemzug, der zum Sauerstofftransport des Blutes und damit zum Funktionieren der Organe notwendig war, brachte den Tod ein Stückchen näher. Wir leben, um zu sterben.
Doch war sie nicht viel zu jung zum Sterben? Gerade einmal 19 Jahre. Es kam ihr vor, als wäre sie neulich erst noch ein Mädchen gewesen, keine Frau. Ihre Brust noch flach, verspielte Gedanken im Kopf unter den dichten, dunklen Haaren, die sie damals schulterlang trug.
Ihre Mutter war nicht viel älter als 19 gewesen, als sie ihre erste und einzige Tochter auf die Welt gebracht hatte. Die Welt war ein Wüstenplanet namens Kharak, von Menschen erst seit wenigen Jahrhunderten besiedelt. Etwas kleiner als Terra, die Stammheimat der Menschheit, die inzwischen vom Krieg erschöpft und kaum noch bewohnbar war. Und sehr viel wärmer, weil der Blaue Riese des Systems den zweiten Planeten mit seinen Strahlen flutete.
Erinnerungen an ihre Kindheit entstanden in ihrem Kopf und sie klammerte sich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring. Das schöne Gesicht ihrer Mutter, die stets liebevoll für sie gesorgt hatte. Grünbraune Augen, die das quirlige Treiben ihrer Tochter beobachteten. Wie sorglos und leicht das Leben erschienen war, als sie ein kleines Mädchen gewesen war.
Sauerstoff-Restanzeige: 4 %.
Schwarz und kalt war das Weltall. Darin verstreut standen zahllose winzige Lichter, jedes eine Sonne, die Planeten wie Kharak Leben spenden mochten oder aber ihre Energie sinnlos ins Nichts des Alls streuten. Andererseits, gab es überhaupt einen Sinn? Als ihre Mutter sie unter qualvollen Schmerzen geboren hatte, war sie sicherlich voller Hoffnung gewesen, ihrer Tochter wäre ein langes und erfülltes Leben beschieden. Denn das Leben trägt seinen Sinn in sich, und es weiterzugeben ist daher sinngebend. Weshalb sonst ist der Liebesakt das befriedigendste aller Gefühle? Und der ursprüngliche Zweck dieses Aktes ist die Zeugung neuen Lebens. Unsere Natur selbst verrät uns also, warum wir leben: um das Leben weiterzutragen.
Das Gesicht Ollos tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Seit sie mit ihm zusammenarbeiten musste, fixierten seine dunklen Augen sie bei jeder Gelegenheit, und wann immer sich die Gelegenheit bot, berührte er sie scheinbar beiläufig. Auch eine sexuell kaum erfahrene junge Frau wie sie konnte deutlich erkennen, dass sie ihm gefiel. Warum auch nicht? Sie war nicht eitel oder gar selbstverliebt, aber wenn sie in einen Spiegel blickte, gefiel ihr, was sie sah. Ihr Körper war schlank, ihr samtbraunes Gesicht ebenmäßig. Aber gefiel ihr Ollo?
Der Gedanke daran, mit ihm erneut arbeiten zu müssen, ein Schlaflager zu teilen oder seine ebenholzfarbige Haut an ihrer zu spüren, entfachte in ihr keinerlei Vorfreude. Otello, wie sein Name eigentlich lautete, war weder hässlich noch gemein, nie hatte er sie im Gegensatz zu vielen anderen schlecht behandelt, aber er war langweilig. Sprach er mit ihr, ahnte sie meist schon, welchen Satz er als nächsten formulieren würde. Häufig versuchte er zu scherzen, doch es fehlte dabei das Überraschende, welches das Lachen erst hervorlockt. Die Rolle, die Ollo in ihrer Gemeinschaft einnahm, befriedigte ihn offenbar, nie wäre ihm der Gedanke in den Sinn gekommen, dass es auch etwas anderes und womöglich viel Schöneres geben könnte.
Sauerstoff-Restanzeige: 3 %.
Näher rückte das Ende, Atemzug um Atemzug, unausweichlich wie das Vergehen eines Planetoiden in der Nähe eines Schwarzen Loches. In ihrem Geist entstand nun das Bild ihrer Mutter, die in der Küche ihrer Wohnung am Rand der kharakischen Hauptstadt nach Atem gerungen hatte und dann jäh auf den Fliesenboden gefallen war. Ein Virus war es, das sie die Gesundheit gekostet hatte, vermutlich eingeschleppt von Besuchern aus dem All, die auf dem Raumhafen östlich der Stadt gelandet waren. Zwar mussten sich Einreisende medizinisch untersuchen lassen, aber die Sicherheitskräfte Kharaks waren einer mildtätigen Spende gegenüber niemals abgeneigt und nahmen dann ihre Kontrollen etwas weniger genau als behördlich vorgeschrieben.
Ihre Mutter hatte in einer Kneipe nahe des Raumhafens Getränke ausgeschenkt. Eine der Arbeiten, die Roboter den Menschen wohl niemals abnehmen würden, auch wenn sie viel schneller und ermüdungsfrei bedienen könnten. Doch welcher Raumfahrer will das Geld für seine den Geist und Körper erfrischenden oder auch betäubenden Getränke lieber von einem digitalen Bezahlsystem abbuchen lassen, wenn er es auch einer schönen Frau in die Hand drücken kann, die ihm zu seinem gefüllten Glas ein Lächeln schenkt und sich dazu seine mehr oder minder wahren Geschichten aus dem Weltall anhört?
Carmen war beim Tod ihrer Mutter dreizehn Jahre alt gewesen. Ein viel zu früher Tod, dachte sie damals. Doch in Wahrheit würde sie wohl in noch jüngerem Alter als ihre Mutter sterben müssen.
Sauerstoff-Restanzeige: 2 %.
Carmen hatte nach dem Zusammenbruch ihrer Mutter um Hilfe geschrien. Nachbarn hatten daraufhin den medizinischen Notdienst gerufen, der nach qualvoller Wartezeit endlich das schäbige Stadtviertel erreicht hatte und die ohnmächtige und schweratmende Frau ins Krankenhaus fuhr. Die Tochter durfte mit in den Medogleiter steigen. Sie erinnerte sich an das Betreten des Krankenhauses, das sie an jenem Tag zum ersten Mal in ihrem Leben sah, an die Vielzahl von Menschen dort, die meisten hilfebedürftig, die anderen in ihren himmelblauen Kleidern hilfegebend. Eine Ärztin hatte sich der Mutter angenommen, eine schlanke Frau mit mandelförmigen Augen, die von ersten Falten umkränzt wurden, und am Hinterkopf zusammengebundenen schwarzen Kraushaaren.
Verzweifelt hatte die Tochter die Ärztin angeblickt und gefragt, ob sie ihrer Mutter helfen könne, ob diese wieder gesund werde und wie lange das dauere. Die Ärztin hatte sie unverbindlich angelächelt und dabei gemustert. Ob sie wisse, ob ihre Mutter Geld habe, hatte sie statt einer Antwort erwidert. Das Mädchen hatte die Ärztin daraufhin angeblickt, als wäre es soeben von ihr geohrfeigt worden. Nein, hatte es geflüstert.
Ohne ein weiteres Wort an die Tochter zu richten, gab die Ärztin einem Medorobot den Befehl, die Mutter wegzubringen. Das Mädchen solle im Wartezimmer Platz nehmen, es werde dort bald erfahren, wie es weitergehe. Daraufhin hatte Carmen sich auf einen der wenigen freien Stühle gesetzt und mit bangem Herzen gewartet.
Kaum jemand der anderen Wartenden beachtete sie. Nur eine ältere, dicke Frau, die mit leicht gespreizten Beinen auf der gegenüberliegenden Seite saß, warf ihr gelegentlich einen Blick zu. Doch fand Carmen darin weder Mitgefühl noch auch nur Interesse.
Schließlich kam ein junger Mann in himmelblauen Kleidern auf sie zu und bat sie, ihn zu begleiten. Die Ärztin ließ sich nicht mehr blicken. Der dunkelhäutige Pfleger gab sich erkennbar Mühe, eine Spur von Kummer zu zeigen, als er ihr mit ernster Stimme mitteilte, dass ihre Mutter soeben gestorben sei. Man habe ihr leider nicht mehr helfen können, das Virus habe sie erstickt. Und ob sie andere Verwandte in der Stadt habe.
Sauerstoff-Restanzeige: 1 %
Bald würde auch sie ersticken.
Der einzige lebende Verwandte, von dem ihre Mutter jemals erzählt hatte, war ihr Bruder Jago, der Raumfahrer. Ihre Großeltern mütterlicherseits waren schon lange tot, gestorben bei dem Bombardement, das im letzten Krieg über Kharaks Städte niedergegangen war. Ihren Vater hatte sie niemals kennengelernt, ihre Mutter wusste nicht einmal seinen Namen. Es war wohl irgendein Raumfahrer, der auf der Suche nach Spaß und Abwechslung beim Landgang ihre Mutter, die attraktive und arme Kellnerin, kennengelernt hatte und ihr dafür anschließend ein paar Kredits in die Tasche steckte. War schön mit dir, vielleicht sehen wir uns mal wieder, du Hübsche. Leb wohl. Andere Frauen hätten ihr ungeborenes Kind abgetrieben, doch Carmens Mutter war davon überzeugt, dass das Leben mit der Empfängnis beginnt und töten ein Verbrechen ist, auch wenn die gerade geltenden Gesetze etwas anderes besagen.
Onkel Jago kam, so schnell er konnte. Es brauchte gut eine Woche. In der Zwischenzeit halfen einige Nachbarn dem Waisenmädchen, das zwar kein Kind mehr war, aber auch nicht allein für sich sorgen konnte, schon gar nicht ohne Geld. Die Nachbarn ließen sie bei sich essen, dafür half sie ihnen nach der Schule im Haushalt und versuchte sich nützlich zu machen. Das Arbeiten lenkte auch ab und sie war froh, dass sie dabei nicht viel über ihre Lage nachdenken konnte. Nur abends im Bett vor dem Einschlafen überfielen sie die Sorgen um ihre Zukunft wie ein Schwarm bösartiger Fluginsekten.
Und eines Tages stand Onkel Jago vor dem Haus, zum ersten Mal seit Jahren sah sie wieder sein hageres Gesicht, das von schwarzen, struppigen Haaren und einem schütteren Vollbart umrahmt war. Er streckte die Arme aus und versprach ihr, sie mit ins All zu nehmen. Er habe bald sein eigenes Schiff und könne darauf schalten und walten, wie er wolle.
Und hier war sie also, im All. Damit beauftragt, einen Notruf zu senden. Vor etlichen Stunden schon hatte sie damit begonnen, eingepfercht in dieses Wrack. Doch was, wenn der Notruf seinen Adressaten wider Erwarten nicht erreichte? Würde Jago dann aus seinem Versteck herbeieilen, um sie zu retten? Wusste er überhaupt, dass seiner einzigen Nichte gerade der Atem ausging?
Tränen traten in ihre Augen. Seltsam, dass sie erst jetzt kamen, wo ihr doch schon so lange zum Heulen zumute war. Und sie konnte sie nicht einmal unter dem Helm ihres Raumanzugs wegwischen. So werde ich also den Weg meiner Mutter gehen, wenn auch etliche Lebensjahre früher als sie. Sie musste ersticken, weil sie kein Geld für wirksame Medikamente hatte, ich muss ersticken, weil mein lieber Onkel ein geldgieriger Raumpirat ist, der mich als Lockvogel einsetzt.
Aber das Leben ist zwar meist ein eintöniger, ermüdender und berechenbarer Ablauf lauwarmen Wassers, manchmal aber verwandelt es sich wie durch den Zauberklang sinfonischer Melodien zum mitreißenden Strom einer dramatischen Oper. Während die junge Frau in dem wracken Beiboot die letzten Reserven ihres Sauerstoffes in die Lungen sog, tauchte ein Lichtpunkt in der Schwärze des Alls auf, genau wie erhofft und geplant.
Parsifal flog in die Falle.
1. Akt: Einsatz auf Torr IV
1. Szene
„Bitte setzen Sie sich.“ Admiral Omar Hoffmann lächelte die vier Kreuzer-Kommandanten in dem Besprechungsraum müde an.
Major Petrus Taunsend, Befehlshaber des Forschungsraumschiffs GIORDANO BRUNO-I, das den inoffiziellen Namen DIANA trug, folgte der Aufforderung ebenso wie seine drei Kollegen und nahm auf einem der gepolsterten Stühle an dem runden Tisch Platz. Gedankenverloren strich er sich sein kragenlanges braunes Haar hinter die Ohren.
Hoffmann setzte sich ebenfalls und warf dabei einen Blick auf das Multikomgerät an seinem linken Handgelenk. Der Admiral war keine eindrucksvolle Erscheinung. Er stand kurz vor der Pensionierung, sein kurzes Haar war bereits stark ergraut und licht. Falten durchzogen sein rundliches braunes Gesicht, in dem die dunklen Augen unter buschigen Brauen lagen. Doch Taunsend empfand großen Respekt gegenüber dem Admiral, der seine Untergebenen niemals von oben herab behandelte. Man hatte stets das Gefühl, dass er sich nicht nur für das ihm anvertraute Expeditionsschiff GIORDANO BRUNO, sondern für jedes einzelne der etwa 330 Besatzungsmitglieder verantwortlich fühlte. Und diese Verantwortung bedeutete sicherlich eine stete Last. Kein Wunder, dass der Admiral auch heute wieder etwas erschöpft wirkte.
Hoffmann räusperte sich kurz. „Sie ahnen, dass ich Sie nicht hierhergebeten hätte, wenn ich nichts für Sie zu tun hätte.“ Diesmal wirkte sein Lächeln wieder so verschmitzt, wie man es bei ihm oft an guten Tagen sehen konnte. „Aber keine Bange, meine Dame, meine Herren, es gibt keinen großen Anlass zur Sorge.“
„Sprach der Hirte kurz vor dem Festtag zu seinen gemästeten Zöglingen.“ Zaltan Rimski, der stämmig gebaute Kommandant der GB-II, genannt MARS, grinste keck. „Verzeihen Sie, Chef, ich wollte Sie nicht unterbrechen.“
Hoffmann runzelte die Stirn, die daraufhin noch faltiger als zuvor wurde, und hob mit gespieltem Ernst drohend den Zeigefinger. „Major Rimski, Sie werden keine Karriere im gehobenen Raumdienst machen, wenn Sie Ihren notorischen Sarkasmus nicht etwas besser zügeln.“
Rimski versuchte, sein stark zernarbtes Gesicht unter den sorgsam gescheitelten hellbraunen Haaren zerknirscht wirken zu lassen, doch der Schalk stand nach wie vor in seinen grauen Augen. „Ich werde tun, was ich kann. Wie jeder der hier Anwesenden weiß, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als jeden Tag in ein wohltemperiertes Büro zu gehen und dort eine Datei voller hochinteressanter Informationen nach der anderen zu öffnen.“
„Ja, wir kennen dich alle, Zaltan.“ Die Lippen unter Taunsends großen, langen Nase verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Und du wirst es vermutlich nur schwer glauben können, aber wir mögen dich trotzdem.“
Die Runde brach in Gelächter aus, Rimski inklusive.
„Weiter im Text!“ Hoffmann ließ seinen Blick über die vier Raummajore gleiten. „Wie Sie wissen, haben wir soeben die ehemalige Außenbasis Torr IV erreicht. Was Ihnen noch nicht bekannt sein dürfte, ist der Grund unserer Fahrt hierher. Sagt Ihnen der Name Vlock etwas?“
Jonna Cossy, Kommandantin der GB-III, genannt VICTORIA, hob kurz die Hand. „Eine neuentdeckte Rasse Außerirdischer, die offenbar auf Tyros für allerlei Unruhe gesorgt haben“, antwortete sie.
Hoffmann nickte bedächtig. „Das ist leicht untertrieben. Sie haben dort die Reihen höchster Amtsträger auf eine Weise gelichtet, die auch mir altem Schlachtross Unbehagen bereitet. Diese Wesen sind zwar körperlich äußerst schwach, sie ähneln gefüllten Luftsäcken, aber sie verfügen über mentale Kräfte, die unter Umständen verheerender als so manche Strahlenwaffe sind. Die Vlock können Menschen manipulieren und dazu zwingen, in ihrem Sinne zu handeln.“
„Das kommt mir bekannt vor“, warf Amir Xu ein, der das Kommando über die GB-IV, genannt MINERVA, innehatte. „Die Frogs waren doch auch dazu imstande, nicht wahr?“
„Völlig richtig“, bestätigte Hoffmann. „Und damit schließt sich der Kreis. Nach den von den Vlock initiierten Mordanschlägen auf Tyros herrscht in den Führungskreisen unseres Planetenbundes verständlicherweise große Unruhe. Man will unbedingt und so schnell wie möglich verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Und bei der Suche nach einer Lösung des Problems stieß man auf einen Wissenschaftler namens Valan. Dieser beschäftigte sich während des Frog-Krieges mit der Untersuchung der sogenannten Telenose, mit der diese rätselhaften Außerirdischen uns Menschen ihren Willen aufzwingen konnten. Hier auf Torr IV steht eine ehemalige Forschungsstation Valans. Unser Expeditionsschiff befand sich zufälligerweise näher daran als alle anderen Raumer der Sternenlicht Vereinigung, daher hat uns die Oberste Raumfahrtbehörde damit beauftragt, diese Anlage zu untersuchen. Sämtliche Datenträger, die wir dort finden, sind anschließend zur Auswertung unverzüglich nach Moran zu bringen.“
„Und weil das ein reiner Routineauftrag ist, werden sämtliche vier Raumkreuzer ausgeschleust“, warf Rimski in beiläufigem Ton ein.
„Wie Ihr berühmter Spürsinn wieder einmal ganz richtig erahnt hat, mein lieber Rimski, gibt es in der Tat eine kleine Komplikation“, erwiderte Hoffmann. „Ein fremdes Raumschiff befindet sich mit uns im Torr-System. Unsere Funksprüche hat es nicht beantwortet, was leider nichts Gutes erwarten lässt. Wir konnten es nicht genau identifizieren, weil es sich im Ortungsschatten der Sonne befindet, aber ersten Messdaten zufolge könnte es sich um einen Schlachtkreuzer der Fraktalkonföderation handeln.“
„Ein Schlachtkreuzer? Kein leichter Gegner, aber damit wird die GIORDANO BRUNO schon noch fertig, oder?“ Majorin Cossy blickte Hoffmann aus ihren großen, dunklen Augen fragend an.
„Normalerweise schon“, erwiderte der Admiral. „Doch schadet es nichts, Vorsicht walten zu lassen und die Raumkreuzer in Kampfbereitschaft zu versetzen.“ Er fixierte Taunsend. „Die GB-I bekommt den Auftrag, die Daten zu bergen. Lassen Sie Ihre Phönix bei der Forschungsbasis landen. Die GIORDANO BRUNO und die drei anderen Kreuzer sorgen dafür, dass Sie dabei nicht gestört werden. Und nun an die Arbeit, meine Dame, meine Herren. Wie ich schon erwähnt habe, die Zeit drängt, daher werden wir unsere Befehle so schnell wie möglich ausführen. Danke für Ihr Kommen.“ Er nickte den vier Kreuzer-Kommandanten zu, bevor er sich von seinem Stuhl erhob.
Taunsend strich sich nachdenklich über den kurzen Vollbart, dann stand auch er auf. Dabei bemerkte er, dass Rimski ihm einen verstohlenen Blick zuwarf, der gar nicht zu seinem üblichen burschikosen Gehabe passte. Ihm war, als könnte er in Rimskis Augen Sorge, wenn nicht gar Angst lesen.
2. Szene
Als Taunsend die Landekammer I betrat, empfand er wie immer ein Gefühl tiefer Zuneigung für das diskusförmige Schiff darin, das auf einem Magnetkissen ruhte. Er fragte sich, ob er seine Frau, die in der ORB-Verwaltung auf Moran arbeitete und gerade ihr erstes gemeinsames Kind im Bauch trug, wohl auch so häufig anhimmelte. Vermutlich nicht.
Fast zärtlich ließ er den Blick über die in tiefdunklem Grauton schimmernde Metallhülle gleiten. „GIORDANO BRUNO I“ stand in metergroßen roten Lettern als offizielle Bezeichnung nahe des Schiffsäquators, der einen Durchmesser von rund 170 Metern hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite prangte in ebenso großen Buchstaben der Eigenname „DIANA“ neben dem Hoheitssymbol Morans, das aus einem goldenen Sternenkranz in einem scharlachroten Quadrat bestand. Dreieckig aus dem Äquator ragten die Projektoren der Kaskadenschutzschilde. Die verheerenden Lichtwerfer, Angriffswaffen auf Laserbasis, waren hinter ihren Luken verborgen, ebenso das Abschussrohr des sogenannten Overkills, der ganze Planeten zerstören konnte.
Über 30 Meter hoch war der Raumkreuzer, dessen Kommandant Taunsend seit nunmehr gut einem Jahr war. Davor war er drei Jahre Astrogator auf einer Fregatte der moranischen Kriegsflotte gewesen, ehe er auf der Raumakademie den Ausbildungslehrgang zum Kreuzerkommandanten erfolgreich abgeschlossen hatte und zugleich zum Major befördert worden war.
Mit federnden Schritten seiner langen, dünnen Beine betrat er den Einstieg des Teleskoplifts, der den Bauch des Kreuzers mit dem Hangarboden verband, drückte auf den mittleren der drei Schaltknöpfe an der metallenen Seitenwand und ließ sich emportragen. Die DIANA war in sechs Decks untergliedert, doch vom Zentrallift aus waren nur drei davon direkt erreichbar. Die übrigen Decks enthielten Maschinenräume, die durch andere Aufzüge angesteuert werden mussten.
Leutnant Jon Entwissel und Fähnrich Amadeus Buffon hoben synchron die Köpfe, als Taunsend die Kommandozentrale des Raumkreuzers betrat. Beide trugen die im Dienst vorgeschriebenen grüngrauen Bordkombinationen der moranischen Raumflotte, an deren linker Brustseite Name und Rangbezeichnung des Trägers zu lesen waren.
Taunsend nickte ihnen grüßend zu. „Kio, Ronja und Toni sind an ihren Plätzen?“
Der Kommunikationsspezialist Buffon betätigte in seiner etwas fahrigen Art die Kontrollen seines Leitpultes. „Ja, unsere drei Muskeltiere sind alle startklar.“ Seine Stimme klang wie üblich leicht krächzend.
Entwissel, Astrogator des Raumkreuzers, runzelte missbilligend die Stirn, die von schulterlangen schwarzen Haaren eng umrahmt wurde. „Kannst du deine Kalauer vielleicht mal auf die dienstfreie Zeit beschränken, Amadeus?“
Buffon warf ihm einen verwirrten Blick aus seinen braunen Knopfaugen zu. „Kalauer? Was meinst du damit?“
Taunsend seufzte. „Amadeus merkt das gar nicht, Jon. Du kennst ihn doch mittlerweile auch schon ein paar Monate. Er kann nicht anders reden. Es muss sich um irgendeine psychische Störung handeln.“
Er warf einen prüfenden Blick auf den für die Kommunikation zuständigen Fähnrich mit den kragenlangen braunen Haaren und dem schmalen Gesicht, der sich verlegen lächelnd wieder seinem Schaltpult widmete.
Buffon und die Armierungsspezialistin Toni Walker waren als Letzte zur Mannschaft gestos-sen. Ihre Vorgänger, beides langgediente Leutnants, waren den Weg gegangen, den auch Taunsend vor einigen Jahren eingeschlagen hatte, und hatten sich zu Weiterbildungskursen in der Raumakademie eingeschrieben. Mit Bedauern dachte Taunsend an sie zurück. Die sehr tüchtige Kommunikationsoffizierin und der herausragende Waffenexperte hatten leider nur etwa ein dreiviertel Jahr unter seinem Kommando gedient. Ihre Nachfolger waren noch sehr jung und entsprechend unerfahren. Walker, eine zierliche Frau mit kurzen dunklen Haaren und grünbraunen Augen, wirkte seltsam distanziert und nach wie vor wie ein Fremdkörper in der Mannschaft. Buffon hingegen bemühte sich zwar spürbar um seine Integration, aber mit einigen Marotten strapazierte er zugleich regelmäßig die Nerven der vier älteren Besatzungsmitglieder.
Taunsend wandte sich an Buffon und musterte ihn streng. „Bereite eine Durchsage an die Besatzung durch, Amadeus.“
Eifrig flogen Buffons feingliedrige Hände über die Steuerungsempfänger seines Schaltpultes. Untüchtig war der junge Bursche nicht, vielleicht würde aus ihm irgendwann tatsächlich ein brauchbares Mitglied der moranischen Expeditionsflotte. „Alles breit, Chef, du kannst Lose legen.“
Taunsend strich sich eine lange Strähne aus der Stirn und blickte in das Aufnahmegerät des Kommandantenpultes. Mit einem kurzen Räuspern klärte er seine Stimme. Auf dem Visiophon vor ihm sah er als Hologramme die fünf gespannten Gesichter seiner Besatzung. Auch Entwissel und Buffon blickten ihn über ihre Aufnahmegeräte an, obwohl sie sich im selben Raum wie er befanden. „Meine Damen, meine Herren, gleich wird der Startbefehl von der BRUNO kommen, dann legen wir ab. Amadeus wird kurz darauf unsere genauen Zielkoordinaten empfangen. Jon steuert unsere DIANA zu dem Planetoiden Torr IV, landet aber nicht. Stattdessen schleusen wir die Phönix aus. Kio und Ronja gehen damit runter.“
Der Bordingenieur Kio Mun verdrehte in seinem engen Maschinenleitstand drei Decks unterhalb der Zentrale die Augen und fuhr sich theatralisch durch die struppigen schwarzen Haare. „Ronja wird die Gelegenheit sicher nutzen und mich in irgendwelche Büsche zerren.“
Aus den Hologrammen erklang mehrstimmiges Gelächter, nur die zierliche Ortungsoffizierin Ronja Darlfrey verzog in gespieltem Grimm das hübsche, wenngleich bereits etwas faltige Gesicht. Mit über 50 Jahren war sie das älteste Besatzungsmitglied. „Kio, du bist sogar mir viel zu dick und hässlich. Außerdem bin ich grundsätzlich nicht an Familienvätern interessiert, mach dir also nur keine falschen Hoffnungen.“ Kokett zwinkerte sie mit ihren großen blauen Augen in das Aufnahmegerät.
„Schön, dass ihr immer so guter Laune seid“, meldete sich Taunsend wieder zu Wort. „Ich hoffe, eure Stimmung steigt sogar noch höher, wenn ihr erst dort unten in der Station seid und das fröhliche Datenträgersammeln losgeht. Keine Sorge, allzu groß scheint die Anlage nicht zu sein. Innerhalb etwa einer halben Stunde müsstet ihr sie durchforstet haben. Mannschaftsquartiere und dergleichen übergeht ihr einfach, fündig werdet ihr eher in den Arbeitsräumen. Ihr seid lange genug in der Flotte, um zu wissen, wie die aussehen. Die Raumbehörde hat riesiges Interesse an diesen Datenträgern. Ihr dürft euch also einbilden, etwas Bedeutendes für die moranische Sicherheit zu tun. Ihr steigt dann mit den Fundstücken wieder in eure Phönix, bitte ohne Abstecher in die übrigens vegetationslose Oberfläche von Torr IV, und kommt schnurstracks zurück zu Papa Petrus. Nähere Einzelheiten über die ganze Angelegenheit verrate ich euch bei Interesse nach Abschluss eurer Mission.“ Er legte eine kurze Atempause ein. „Und damit uns vieren hier an Bord der DIANA in der Zwischenzeit nicht langweilig wird, hat sich ein unbekanntes Raumschiff in diesem System vor der BRUNO versteckt und weigert sich, auf unsere Funkrufe zu antworten. Man kann daraus messerscharf schlussfolgern, dass die Kameraden dort an Bord nichts Gutes im Sinn haben. Man munkelt, es könne ein Schiff der Konföderation sein. Aber mit der BRUNO und den drei anderen Kreuzern als Leibwache sollten wir in Ruhe unsere Arbeit machen können. Nur weiß man eben nie. Das Weltall ist bekanntlich wie das Leben und steckt voller Überraschungen. Also, packen wir es an und hoffen auf ein gutes Gelingen!“