Hereinspaziert!

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Sari: Edition IGW #6
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Hereinspaziert!
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Johannes Reimer

Hereinspaziert!

Willkommenskultur und Evangelisation


Zu diesem Buch

„Ich komme gerne in diese Gemeinde – hier fühle ich mich willkommen.“

Johannes Reimer weiß: Dieser Satz wird gerne gehört, aber selten gesagt. Denn die christliche Gemeinde hat an vielen Stellen den Kontakt zu den Menschen in ihrem Umfeld verloren. Sicher, an evangelistischen Bemühungen und Aufwand fehlt es nicht, doch der Ertrag ist mager. Gottes außergewöhnliche Botschaft kommt ungewöhnlich schlecht an. Wieso? Stimmt etwas nicht mit unserer Theologie? Sind unsere Methoden verkehrt? Oder hat der moderne Mensch einfach kein Interesse mehr an Religion?

Reimer stellt (noch) eine ganz andere Frage: Könnte es sein, dass Christen und ihre Gemeinden als Fremdkörper in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden? Dann kann Evangelisation nicht gelingen. Denn die gute Nachricht von Hoffnung und Gnade gehört mitten hinein in das Leben der Menschen. Sie muss die Menschen erreichen, sie buchstäblich berühren.

Deshalb fordert der Autor die christliche Gemeinde heraus: Heißt die Menschen endlich willkommen, mit Wort und Tat, mit Raum und Zeit. Lasst euch ein auf die Kultur der Menschen, mit denen ihr unterwegs sein möchtet. Folgt Jesus.

Dieses Buch bietet eine Fülle von Ideen und praktischen Hilfen, um die eigene Gemeindekultur zu entdecken und zu entwickeln. Johannes Reimer ist überzeugt: Unsere Gemeinden können etwas bewirken, wenn sie das Potenzial ihrer Glieder erwecken und Gottes Reich mit einer Kultur der Liebe, der Annahme und der Teilhabe bauen. Herzlich willkommen auf diesem Weg!

Über den Autor

Johannes Reimer, Jahrgang 1955, ist Professor für Missionswissenschaften an der University of South Africa in Johannesburg und Dozent für Missiologie am Theologischen Seminar Ewersbach sowie am Institut für Gemeindebau und Weltmission.

Er ist Autor zahlreicher Bücher; im Neufeld Verlag ist auch sein Buch Gott in der Welt feiern – Auf dem Weg zum missionalen Gottesdienst lieferbar.

Johannes Reimer ist verheiratet mit Cornelia, die beiden haben drei erwachsene Kinder und leben in Bergneustadt.

www.reimer-ministries.com

Impressum

Dieses Buch als E-Book:

ISBN 978-3-86256-761-4, Bestell-Nummer 590 034E

Dieses Buch in gedruckter Form:

ISBN 978-3-86256-034-9, Bestell-Nummer 590 034

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar

Bibelzitate, sofern nicht anders angegeben, wurden der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift entnommen. © 1980 Katholisches Bibelwerk, Stuttgart

Lektorat:Roland Nickel, Altdorf/Böblingen Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson Umschlagbilder:LitDenis/© ShutterStock® Satz: Neufeld Media, Weißenburg in Bayern

© 2013 Neufeld Verlag Schwarzenfeld

Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des Verlages

www.neufeld-verlag.de / www.neufeld-verlag.ch

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Inhalt

Zu diesem Buch

Über den Autor

Impressum

Vorwort

1 Wenn Evangelisation nicht gelingen will

1.1 Wir laden ein, aber sie kommen nicht

1.2 Wir machen Fehler, aber welche?

1.3 Liegt es an der evangelistischen Kultur der Gemeinde?

1.4 Flexicurity – Herausforderung und Chance

1.5 GWA als Grundstruktur des modernen Gemeindebaus

2 Evangelisation – die ganze Gemeinde für den ganzen Menschen

2.1 Auf das rechte Verständnis kommt es an

2.2 Das Evangelium – Gute Nachricht vom Leben in der Kraft Gottes

2.3 Gemeinde Jesu – Gottes erwählter Evangelist

2.4 Kultur der Hingabe

2.5 Evangelisation vor Ort

2.6 Liebeswerke als Grundlage

2.7 Dialogisches Dasein

2.8 Transformation als Ziel der Evangelisation

2.9 Evangelisation und Leiden

2.10 Evangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes

3 Auf die Gemeindekultur kommt es an

3.1 Gemeinde – was ist gemeint?

3.2 Gemeinde und Kultur

3.3 Gemeinde und ihre Kultur

3.3.1 Materielle Voraussetzungen

3.3.2 Soziale Voraussetzungen

3.3.3 Kognitive Voraussetzungen

3.3.4 Spirituelle Voraussetzungen

3.4 Von der Voraussetzung zum Charakter

3.4.1 Potenzial und Charakter

3.4.2 Was ist Charakter?

3.4.3 Individueller Charakter der Gemeinde

3.4.4 Sozialcharakter der Gemeinde

3.4.5 Spiritueller Charakter der Gemeinde

3.5 Gemeindekultur – begabt, erzogen und gesegnet

3.6 Der Blick in den Spiegel

3.6.1 Die kulturellen Voraussetzungen in der Gemeinde

4.6.2 Unser Gemeindecharakter

3.6.3 Was uns auszeichnet – die Frage nach der Kernkompetenz

4 Gemeindekultur und Evangelisation

4.1 Gemeindedienste als Kulturangebote

4.2 Evangelisation als Kulturlandschaft

4.3 Präsentische Evangelisation

 

4.4 Proklamative Evangelisation

4.5 Integrative Evangelisation

4.6 Evangelisation als Prozess

4.7 Zyklus evangelistischer Verkündigung (ZEV)

4.8 Willkommen – der Weg zum Glauben

5 Gastfreundschaft und Glaube

5.1 Gastfreundschaft kommt nur am Rande vor

5.2 Das hohe Gut der Gemeinde Jesu

5.3 Gastfreundschaft, weil wir Gäste sind

5.4 Gesetze der Gastfreundschaft beachten

5.5 Gemeinsames Mahl

5.6 Gespräch im Kreis der Freunde

5.7 Durch Gastfreundschaft und Glauben

6 Willkommenskultur – die offene Tür der Gemeinde

6.1 Was zeichnet eine Willkommenskultur aus?

6.2 Die Prioritäten stimmen

6.3 Partizipation – das Herz der Willkommenskultur

6.4 Die Sprache der Räume

7 Den Juden ein Jude – das Geheimnis der Inkulturation

7.1 Wir sind anders – ohne Anpassung geht es nicht

7.2 Akkulturation – wie wir die Kultur des Willkommens erlernen

7.3 Allen alles geworden und doch unangepasst

7.4 Gastgeber Gottes in der Welt des Unglaubens

7.5 Missionale Spiritualität als Fundament der Gemeindekultur

7.6 Chancenwerk: Gnade als Grundgesinnung der Hoffnung

7.7 Gemeinde als lernende Organisation

Nachwort: Evangelisation im Kraftfeld der Liebe

Anmerkungen

Register

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Personenregister

Sachregister

Bibelstellenregister

Bibliografie

Die Edition IGW

Band 1 der Edition IGW

Peter R. Müller

Columbans Revolution

Wie irische Mönche Mitteleuropa mit dem Evangelium erreichten – und was wir von ihnen lernen können

Band 2 der Edition IGW

Roland Hardmeier

Kirche ist Mission

Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis

Band 3 der Edition IGW

Johannes Reimer

Gott in der Welt feiern

Auf dem Weg zum missionalen Gottesdienst

Band 4 der Edition IGW

Roland Hardmeier

Geliebte Welt

Auf dem Weg zu einem neuen missionarischen Paradigma

Band 5 der Edition IGW

Heinrich Christian Rust

Geist Gottes – Quelle des Lebens

Grundlagen einer missionalen Pneumatologie

Band 6 der Edition IGW

Johannes Reimer

Hereinspaziert!

Willkommenskultur und Evangelisation

Über den Verlag

Vorwort

„Ich komme gerne in diese Gemeinde. Irgendwie sind die hier so ganz anders. Nein, es sind weniger die Gottesdienste, auch nicht die Predigt, am wenigsten ist es der Gesang. All das kann ich in den anderen Kirchen auch haben und zum Teil in weit besserer Qualität. Hier ist es irgendwie der Gesamteindruck. Ich fühle mich hier willkommen, angenommen und ernst genommen.“ Helges Worte über die Gemeinde meines guten Freundes Jens-Peter liegen mir immer noch im Ohr. Nein, er sei noch kein Gemeindeglied und er würde sich auch noch nicht als Christ verstehen. Aber er habe schon den Eindruck, dass sein Interesse am Glauben immer größer werde. Und gebetet habe er auch schon öfter. „Die Menschen hier ermutigen mich, verstehen Sie, und Mut zum Leben braucht man heutzutage, wissen sie“, sagte er mir.

Was Helge da an der besagten Gemeinde so schätzt, ist die gelebte Kultur dieser Gemeinde. Offensichtlich herrscht in ihr so etwas wie eine Atmosphäre des Willkommens, die dem Gast das Gefühl vermittelt, richtig angekommen zu sein. Um den Aufbau einer solchen Kultur des Willkommens und ihrer Bedeutung für die Evangelisation der christlichen Gemeinde geht es in diesem Buch. Meine Grundthese ist, dass effektive Evangelisation der Gemeinde nicht nur von der Intensität der missionarischen Verkündigung, sondern auch von den Rahmenbedingungen abhängt, in denen die evangelistische Verkündigung stattfindet. Mit anderen Worten: Das rechte Wort am falschen Ort wird mit großer Wahrscheinlichkeit kein Gehör finden. Große Kompetenz gepaart mit einem schlechten Charakter führt in den seltensten Fällen zu den gewünschten Ergebnissen. Und eine Gemeindekultur, die auf ihre Gäste abstoßend wirkt, ist wenig geeignet, Menschen einzuladen, Gott in ihrer Mitte kennenzulernen.

Das sind eigentlich allgemein bekannte Wahrheiten. Sieht man sich aber die Praxis des Gemeindebaus und der Evangelisation näher an, dann fällt auf, wie wenig die meisten Gemeinden in ihre wahrgenommene Identität investieren. Nicht nur in einer Gemeinde wurde ich den Eindruck nicht mehr los, dass man sich um alles Mögliche kümmere, nur nicht um die Atmosphäre, die man verbreitet. Weil diese aber überall da, wo Menschen leben, automatisch entsteht, entstehen auch jene selten bewusst von den Beteiligten wahrgenommenen Faktoren, die dem Fremden als positiv oder negativ auffallen und damit über Interesse an der Gemeinde oder Desinteresse entscheiden. Dabei muss eine Gemeinde nicht tatenlos zusehen, wie ihre Kultur ihre Besucher abstößt. Alles Angelernte und unbewusst über Jahre Praktizierte kann auch wieder abgelegt werden. Gemeindekulturen sind nicht in Stein gemeißelt. Doch wer sie verändern will, der wird sich vorher dessen bewusst werden müssen, wie die Gemeindekultur im Augenblick aussieht. Nur wer den Ist-Zustand erkannt hat, kann den Prozess der Veränderung einleiten.

Damit sind die Absichten dieses Buches recht deutlich formuliert worden. Ich will das Phänomen der Gemeindekultur, hier auch Gemeindecharakter genannt, beschreiben und seine Bedeutung für den Gemeindebau und die Gemeindeevangelisation unterstreichen. Weiter geht es mir um Verfahren, wie man den Gemeindecharakter ermittelt. Und schließlich geht es um den positiven Aufbau einer evangelistischen Kultur der Gemeinde – einer Kultur, die den Fremden abholt, annimmt und zum Glauben an Jesus Christus führt. Ich bin überzeugt, dass der Aufbau einer solchen Kultur des Glaubens wesentlich zur Erneuerung der evangelistischen Kraft der Gemeinden in der gelebten Postmoderne beitragen kann. Die Erfahrung von Helge und mit ihm manch anderer mir gut bekannter Freunde, die anfangs Kirche und Glauben radikal ablehnten und heute zu eifrigen Nachfolgern Jesu Christi geworden sind, bestätigen meine Annahme.

Johannes Reimer,

Bergneustadt, im Herbst 2012


1 Wenn Evangelisation nicht gelingen will

1.1Wir laden ein, aber sie kommen nicht

Seit Jahren wollen die Lamenti über die Unfähigkeit der Gemeinde Jesu im Westen, ihre zunehmend ungläubigen Nachbarn mit dem Evangelium zu erreichen, nicht abreißen. Fredrick Catherwood beklagte bereits Anfang der 1970er-Jahre den Bruch zwischen Kirche und Gesellschaft und den fast totalen Verlust der Beziehungen der Christen zu ihren Zeitgenossen.1 George Hunter trauert, dass die wenigsten seiner amerikanischen Mitbrüder wissen, wie man sich mit einem säkularen Menschen befreundet und ihn zum Glauben führt.2 Tory K. Baucum spricht gar von einer pathologischen Unfähigkeit der westlichen Christen, Menschen für Jesus zu gewinnen.3 Und in Deutschland sucht man sowohl im Westen als auch im Osten nach Wegen, Menschen zum Glauben und in die Gemeinde zu führen.4 Freilich, Gemeindeglieder werden vor Großevangelisationen geschult, Menschen in die Evangelisation einzuladen. Doch der Appell „Jeder bringt einen Ungläubigen mit“ verhallt schnell und wenn man dann in einer solchen Veranstaltung sitzt, sind es wieder einmal 99 % „unsere Christen“. Auch dann, wenn man auf die Menschen zugegangen ist, auch dann, wenn der Ort mit entsprechenden Einladungen zugepflastert wurde, und sogar dann, wenn die eigenen Arbeitskollegen zum wiederholten Mal versprechen, am Abend mitzukommen. Irgendetwas scheint die Eingeladenen immer zu stören.

 

Woran liegt das? Was bremst die Evangelisation unserer Gemeinden aus? Gibt es Themen, die wir übersehen? Akzente, die wir falsch setzen? Methoden, denen wir uns verschreiben und die möglicherweise nicht mehr ziehen? Fehlen uns die wortgewaltigen Evangelisten, die in der Vergangenheit ganze Gesellschaften zur Umkehr bewegten? Man denke da nur an Namen wie John Wesley (1703–1791) und George Whitefield (1714–1770) in England, Dwight L. Moody (1837–1899) in Amerika oder auch Elias Schrenk (1831–1913) in Deutschland. Sie haben Tausenden den Weg zum Glauben gewiesen.5 Ihr Wort hatte Kraft. Unsere Verkündigung – um ein Vielfaches verstärkt durch moderne mediale Hilfsmittel und begleitet von einer nie da gewesenen Hochglanzwerbung – verblasst regelrecht vor dem Lebenswerk dieser Männer. Haben wir keine Kraft des Geistes oder ist gar die Zeit der Billy Grahams vorbei? Oder liegt es vielleicht an der Gemeinde, die als eigentlicher Träger der Evangelisation ihren Auftrag falsch versteht? Solche und ähnliche Fragen müssen gestellt werden, wenn wir aus der pathologischen Unfähigkeit, unsere Zeitgenossen mit dem Evangelium zu erreichen, herauskommen wollen.

Abb. 1: John Wesley Statue in Wilmore, Kentucky 6

1.2Wir machen Fehler, aber welche?

Menschen werden grundsätzlich von folgenden Faktoren zu Inhalten gezogen, die ihnen so noch nicht vertraut sind: (a) die Darstellung des Inhalts, (b) die Darsteller des Inhalts, (c) der Ort, an dem die Darstellung stattfindet, (d) die gesellschaftlichen Möglichkeiten, die eine solche Darstellung eröffnet. Entsprechend werden die evangelistischen Programme der Gemeinden in der Öffentlichkeit beworben. Die Werbung unterstreicht das Thema, den Redner, den Ort oder auch das Ereignis als solches.

Je nach Werbung wird dann der eine oder andere Aspekt stärker betont. Man sucht sich interessante Themen, die nicht direkt religiös anmuten, lädt bekannte Persönlichkeiten ein und wirbt mit ihren akademischen Titeln und Verdiensten, mietet sich in Räume ein, die sonst Welten vom religiösen Leben entfernt sind – z. B. Fußballstadien oder Konzerthallen –, und gestaltet ein buntes Programm um die eigentliche Verkündigung herum. Zuweilen hat man den Eindruck, dass man zu einer Zirkusveranstaltung eingeladen wird und nicht zur Evangelisation. Immer wieder erlebe ich, dass Menschen, die man zu einem Glaubensabend eingeladen hat, den Saal verlassen, weil sie sich hinters Licht geführt sehen. „Ich kam zu einem Vortrag über ein wissenschaftliches Thema und fand einen schlecht gemachten Gottesdienst vor“, beschwerte sich neulich eine ältere Dame bei mir über unseren evangelistischen Abend.

An Mühen mangelt es uns nun offensichtlich nicht. Aber Erfolge können wir ebenso wenig verzeichnen. Hat sich unser Werben um den Menschen zu stark von einer einseitigen und deshalb falschen Kommunikationsart gefangen nehmen lassen? Oder ist es gar nicht mehr zeitgemäß, so für den Glauben zu werben, wie wir es tun? Und wenn ja, wie sollte es die Gemeinde Jesu denn tun?

Abb. 2: Gemeindeevangelisation im Koordinatensystem der Werbung

Man hat in den letzten Jahren eine Reihe von denkbaren und ermittelten Ursachen evangelistischer Lethargie der Gemeinde Jesu in der westlichen Welt benannt. Sie reichen vom falschen Gemeinde- und Evangelisationsverständnis der jeweiligen Gemeinde über die Unfähigkeit, verständlich das Evangelium zu kommunizieren, bis hin zu einer evangelisationsfeindlichen Kultur der Gemeinde.

So prangern eine Reihe von Autoren das nach innen gekehrte Gemeindeverständnis vieler evangelikaler Gemeinden als Hauptursache ihrer Fruchtlosigkeit an. In einer solchen Gemeindekonstruktion geht es zuallererst darum, den Glaubensgeschwistern zu dienen. Menschen außerhalb der Gemeinde sind eher eine Randerscheinung im Programm solcher Gemeinden. Wie aber will man evangelisieren, wenn diejenigen, die man evangelisieren soll, gar nicht erst im Blickpunkt des Interesses liegen? Eine evangelistische Gemeinde zeichnet sich durch eine deutliche Priorisierung der Programme für Nicht-Gläubige aus.

Andere weisen auf das jeweilige Evangelisationsverständnis und die gewählten Methoden hin, die zeitlich überholt und deshalb denkbar uneffektiv geworden sind. Hunter sieht eine der Ursachen der evangelistischen Unfähigkeit der Gemeinde in der Vorstellung der Christen, dass Evangelisation ein attend, sit and listen-Event ist.7 Evangelisation ist somit ein einmaliges Programm, das bestimmte liturgische Elemente enthält und das man besucht und dem man in der Regel zuhört und zusieht. Die meisten Gemeindeglieder sind in diesem Modell zu Zuschauern degradiert. Und das Programm selbst appelliert in der Regel an den aufgeweckten Verstand, da die übermittelten Inhalte eher abstrakt-theologischer Natur sind. Konsequenterweise lädt man die Teilnehmer solcher Events dann zu einer Entscheidung ein, als wäre Evangelisation ein Diskurs, in dem man den anderen intellektuell zu überzeugen versucht. Evangelisation in diesem klassisch-evangelikalen Verständnis ist reduziert auf das individuelle Erlebnis des Einzelnen. Es ist in der Überzeugung begründet, „dass man ohne das persönliche Erlebnis der Wiedergeburt nichts Wirkliches vollbringen kann.“8 Diese Vorstellung passt recht gut in eine vom Individualismus durchtränkte Kultur. Wenn die Religion allem anderen voran eine private Angelegenheit ist, dann ist es auch verständlich, dass man das Individuum im Prozess der Aneignung der Religion möglichst privat belassen möchte. So kreiert man zwar Massenveranstaltungen, die aber in ihrem Wesen nur auf die Bekehrung des Individuums aus sind.9

Wiederum andere sehen den Mangel an religiöser Erziehung in der Gesellschaft als den Hauptgrund für das abnehmende Interesse am christlichen Glauben. Sie begründen ihre Meinung mit den neuesten Erkenntnissen aus der Psychologie der Religion. Hier hat man sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Prozess des Gläubigwerdens beschäftigt. Man spricht dabei von Encapsulation, einem Prozess der Sozialisierung des potenziellen Konvertiten in die Glaubensgemeinschaft hinein.10 Eine solche Sozialisierung verläuft im Prozess und setzt bei der materiellen, sozialen oder auch ideologischen Integration des Betroffenen in die Glaubensgemeinschaft an.11 Encapsulation als Prozess der Evangelisation setzt eine Gemeinde voraus, die bereit ist, den Menschen zu dienen. Und eine solche dienende Gemeinde wird sich nach Rene Padilla durch offene Türen für Sünder, die Annahme der Geringen, Inklusion und Solidarität auszeichnen.12 Der Mangel an einer solchen Kultur der Annahme ist dann auch die Hauptursache an der abnehmenden evangelistischen Kraft der Gemeinde.