Der kommende Mensch

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An unserer Stelle ist es nun ein wenig anders. Jesus möchte nicht, dass die Dämonen ihn bekannt machen. Denn sie kennen ihn. Sie wissen, wer er ist. Sie schreien auf, wenn er kommt, und bangen um ihr Leben. Doch ihr Wissen um ihn, das sie, sobald sie es mit ihm zu tun bekommen, herausschreien (vgl. auch Mk 3,11 f), soll ihnen im Hals stecken bleiben. Sie sollen niemand damit kommen. Weshalb? Könnte es die Menschen nur verwirren, sie nur in Angst und Schrecken versetzen, sie aber nie und nimmer befreien? Würde es Jesus selbst auf seinem Weg im Wege stehen und ihn behindern? Wird nur einer ihn bekannt machen, wie er will, und wann er will, und wem er es entdecken will, aber kein Dämon, kein unreiner, kein unheiliger Geist? Es ist wohl so gemeint.

Dann brach die Nacht herein. Jesus beendete sein Tagewerk, und alles verlief sich. Die Menschen begaben sich nach Hause. Morgen ist auch noch ein Tag. Dass Jesus nachts wie alle anderen ruhte, wird vorausgesetzt, aber nicht erzählt.

Jesu Kommen in die Umgebung
von Kapharnaum
Markus 1, 35–45

35–38 Aufbruch am Morgen

39 Der Besuch der Lehrhäuser in Galiläa

40–45 Die Heilung des Aussätzigen

35 In der Frühe, als es noch völlig Nacht (war),

erhob er sich und ging aus,

und er ging hin an einen einsamen Ort

(und) begann dort zu beten.

36 Simon aber eilte ihm nach mit seinen Begleitern.

37 Und sie fanden ihn

und sagen zu ihm:

»Alle suchen dich!«

38 Da sagt er zu ihnen:

»Lasst uns anderswohin gehen,

in die angrenzenden Marktflecken,

damit ich auch dort verkündige.

Denn dazu bin ich ausgegangen.«

39 Und er kam,

verkündigend in ihren Synagogen in ganz Galiläa

und die Dämonen austreibend.

40 Da kommt zu ihm ein Aussätziger,

bittet ihn,

[fällt auf die Knie]

und sagt zu ihm:

»Wenn du willst,

kannst du mich reinigen.«

41 Und er erbarmte sich,

streckte seine Hand aus,

berührte (ihn)

und spricht zu ihm:

»Ich will,

werde rein!«

42 Und sogleich ging weg von ihm der Aussatz,

und er wurde rein

(2 Kön 5,14).

43 Doch er (Jesus) fuhr ihn an

und trieb ihn sogleich fort

44 und sagt zu ihm:

»Pass auf,

sage niemandem etwas,

sondern geh hin,

stelle dich selbst dem Priester vor

(Lev 13, 49; vgl. 13,1ff)

und bringe für deine Reinigung dar,

was Mose angeordnet hat

(vgl. 14,1ff),

zum Zeugnis ihnen!«

45 Der aber ging fort,

begann viel zu verkündigen

und die Sache auszubreiten,

so dass er (Jesus) nicht mehr öffentlich

in eine Stadt hineingehen konnte,

sondern sich außerhalb an einsamen Orten aufhielt.

Doch ständig kamen sie zu ihm von überallher.

In der Frühe, als es noch völlig Nacht war, erhob er sich und ging aus, und er ging hin an einen einsamen Ort und begann dort zu beten. Mit einer Überraschung beginnt der neue Tag. Jesus knüpft am Morgen nicht dort an, womit er zum Abend hin nicht fertig wurde. Vor Anbruch des Tages erhob er sich und war auf den Beinen, bevor sich der Platz vor Simons Haus wieder füllte. Vor allen anderen, auch vor seinen Jüngern war er aufgestanden, aber nicht, um die Hilfsbedürftigen zu erwarten und für ihr Kommen gerüstet zu sein. Er wartete ihr Kommen nicht ab, sondern begab sich an einen anderen, einen einsamen, einen menschenleeren Ort (vgl. Mk 1, 45; 6, 31f.35) und begann dort zu beten. Ein merkwürdiger Wundertäter. An einem einsamen Ort einsam und allein im Finstern betend, zu beten beginnend – dazu war er aufgestanden und ausgegangen, dorthin unterwegs.6

Simon aber eilte ihm nach mit seinen Begleitern. Und sie fanden ihn und sagen zu ihm: »Alle suchen dich!« Als Simon aufsteht, ist Jesus fort. Wo ist er geblieben? Mit seinen Begleitern, gemeint sind wohl Andreas, Jakobus und Johannes, schwärmt Simon aus. Sie finden ihn, finden ihn in der Einsamkeit. »Alle suchen dich«, sagen sie erstaunt und nicht ohne Vorwurf. Hätte Jesus ihnen nicht Bescheid sagen, ihnen einen Zettel hinterlegen können? Auf die Suche mussten sie sich nach ihm begeben und ihm nacheilen. War das nötig? Die Bedürftigen in Kapharnaum erwarten ihn bereits, und mit Recht, hatte er vor nicht zu langer Zeit doch sehnsüchtigste Erwartungen in ihnen geweckt. Was sollen die von ihm halten? Was sollen sie selbst von ihm halten? Alle suchen ihn! Zum Glück haben sie ihn gefunden. Sie können gehen.

Da sagt er zu ihnen: »Lasst uns anderswohin gehen, in die angrenzenden Marktflecken, damit ich auch dort verkündige. Denn dazu bin ich ausgegangen.« Jesus will nicht zurückgehen, er muss weiter, weiter in die Orte der näheren Umgebung, damit er auch dort verkündige. Dieses Werk, nicht jenes, möchte er bei Tagesanbruch wieder aufnehmen und fortsetzen: die Verkündigung der Gottesherrschaft. Nicht ihr Gekommensein, sondern ihr Kommen, ihre Nähe, ihr sich Nahen, von der die Menschen in der Nachbarschaft Kapharnaums und darüber hinaus ebenfalls erfahren sollen. Und das geht vor. Dazu war er in aller Frühe ausgegangen. Um ihr Kommen hatte er da wohl – einsam und allein, als es noch Nacht war – gebetet.

Die Jünger widersprechen nicht. Keiner von ihnen eilt zurück und sagt den vor Simons Haus Wartenden, sie würden hier und jetzt vergeblich auf ihren Wundertäter warten. Sie werden es merken. Sie werden sich in Geduld fassen müssen. Nicht einsam und allein. So werden sie mit ihm warten und um das Kommen der alles mit Heil erfüllenden Herrschaft Gottes, die sich ihnen so vielversprechend genaht, bitten müssen, aber auch bitten dürfen wie er. Jesus ließ die in Kapharnaum auf ihn Wartenden also nicht links liegen, wie sie, wie die Jünger und wie wir selber meinen könnten, sondern lehrte sie auch so – in Vollmacht. Nicht rücksichtslos, wirklich nicht, aber ohne zurückzusehen, setzte er seine Absicht ins Werk. Und seine Jünger gingen wortlos mit ihm mit.

Der Mensch Gottes ist sowohl der Künder als auch die Verkündigung der kommenden, der alles, wirklich alles mit Heil erfüllenden Herrschaft Gottes. Mit seinem Kommen haben wir die Hilfe, die wir nötig haben, nicht hinter, sondern, wenn auch vorläufig, bereits vor der Tür – und zwar vor dem Einbruch der Dunkelheit, vor dem Kommen der Nacht und selbst der letzten Nacht. Wenn wir von seinen Taten hören, uns über ihn freuen, ihn erwarten, sind wir aber auch dann nicht einsam und allein, wenn wir seine Hilfe einmal vermissen, vielleicht sehr schmerzlich vermissen müssen. Es hat keinen Sinn, sich darüber aufzuregen oder das ungerecht zu finden oder sich selbst zu bemitleiden. Da macht er uns das andere klar: an einem solchen Ort oder in einer solchen Lage hat auch er gewartet, einsam, wachend, betend, lange bevor wir aufgestanden sind. Und da wartet er, dass wir ihn suchen – nicht uns selbst zuerst und zuletzt – und mit ihm Wartende oder vielleicht auch einmal für ihn Wartende der nahegekommenen Herrschaft Gottes werden und um deren Kommen bitten. Und sofern wir seine Jünger sind, auch zu anderen Menschen anderswohin mit ihm mitgehen.

Und er kam, verkündigend in ihren Synagogen in ganz Galiläa und die Dämonen austreibend. Die Ausführung seiner Absicht, das Kommen der Herrschaft Gottes – und nicht das Kommen der Hilfsbedürftigen! – auch in Kapharnaums Umgebung zu verkünden, wird uns nicht als Jesu Gehen, sondern betont als Jesu Kommen erzählt. Jesus ist der Künder als auch die Verkündigung dieses Kommens, des Wartens und Bittens darum inbegriffen. Auf dieselbe Weise ging er später auch in die Umgebungen der Umgebung Kapharnaums aus: er kam, verkündigend in ihren Synagogen in ganz Galiläa. Ihre Lehrund Bethäuser suchte er da fleißig auf im Land und trieb die Dämonen aus. Dass sich böse Geister dort mit Vorliebe ein Stelldichein gaben, ist nicht gesagt. Gesagt ist nur, dass sie in ihren gottesdienstlichen Versammlungen, gerade dort nichts zu suchen und nichts verloren haben sollten.

Aussatz, auch Lepra genannt, ist eine Erkrankung der Haut.7 Da bilden sich Flecken, Knoten, Geschwüre, insbesondere an Armen und Beinen sowie im Gesicht, die zur Zerstörung der Haut, der Nerven, selbst der Muskeln und Knochen führen können, je nachdem wie der Erreger der Lepra, ein Bakterium, sich ausbreitet. Wird die Haut verletzt, können leicht weitere Infektionen dazukommen. Die Krankheit ist ansteckend und galt früher als nahezu unheilbar. Von Aussatz befallene Menschen wurden nicht selten von den anderen abgesondert. In Israel galten sie als unrein, das heißt, als aus der Gemeinschaft Auszuschließende. Es war ihnen verboten, sich den Gesunden zu nahen, geschweige sie anzurühren, solange sie nicht genesen waren.

Die Wundergeschichten im Markusevangelium fingen bisher damit an, dass Jesus irgendwohin kam und dort etwas tat.8 So auch hier (vgl. 1, 39). Ein Novum aber ist es nun, dass man Jesus nicht auf jemand aufmerksam macht (vgl. 1, 30) oder die Bedürftigen zu ihm bringt (vgl. 1, 32), sondern dass ein Mensch von selber und selbstständig zu ihm kommt. Über den Ort, die Zeit und die Umstände seines Kommens erfahren wir nichts. Von Jesus und seinem Wirken wird er gehört haben. Auch über ihn selbst erfahren wir nichts. Genauere Angaben zur Art und Schwere seiner Erkrankung werden nicht gemacht. Da kommt einer, gezeichnet von und bezeichnet mit seiner Krankheit, ein Aussätziger, ein unreiner Mensch.

 

Wie ist es möglich, dass so einer zu Jesus kommen kann und kommt? Der Mann tut etwas Verbotenes. Er überschreitet ein strenges Verbot, indem er sich Jesus naht. Und der weist ihn nicht etwa zurück, sondern lässt ihn gewähren.

Was will der Mann? Er kommt mit einer Bitte. Er selbst ist ganz und gar Bitte, reine Bitte, er fällt auf die Knie und sagt zu ihm: »Wenn du willst, kannst du mich reinigen.« Merkwürdig, er sagt nicht, ich möchte gern wieder gesund sein, Jesus, wenn du kannst, hilf mir bitte. Nein, er ist sich sicher, dass sein Gegenüber ihn heilen kann, und zwar ohne die geringsten Schwierigkeiten, wie eigentlich nur Gott Menschen von ihrem Aussatz reinigen und Tote lebendig machen kann (vgl. 2 Kön 5, 7; Röm 4,17). Es hängt lediglich an seinem Wollen. Der Mann verlangt nicht, dass Jesus es wollen sollte oder wollen müsste, wie er selber will, und besteht auch nicht darauf: ›Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Unter der Bedingung, dass du es willst, von dir aus und aus freien Stücken, kannst du es. Deinem Wollen steht nichts im Weg, was du willst, wird zur Tat. Wenn du willst, kannst du mich rein machen.‹

Und er erbarmte sich, streckte seine Hand aus, berührte ihn und spricht zu ihm: »Ich will, werde rein!« Und sogleich ging weg von ihm der Aussatz, und er wurde rein. Auch Jesus überschreitet eine Grenze. Er streckt seine Hand aus und berührt den Unberührbaren, sucht direkten Kontakt zu ihm und bekundet ihm sein Wollen: »Ich will.« Sein Erbarmen ist sein Wollen und sein Wollen sein Erbarmen. Ihm folgt das Tun und sein Befehl: »Werde rein!« Darauf wird die Wirkung seines Befehls in doppelter Hinsicht beschrieben: gleich ging der Aussatz fort von ihm, und der Mensch wurde rein. Nicht nur die Krankheit verschwand, auch der Mensch wurde etwas, er wurde, seiner Bitte gemäß, (ein) reiner Mensch.

An dieser Stelle nimmt die Geschichte eine erstaunliche Wendung. Denn Jesus fuhr ihn an und trieb ihn sogleich fort und sagt zu ihm: »Pass auf, sage niemandem etwas, sondern geh hin, stelle dich selbst dem Priester vor und bringe für deine Reinigung dar, was Mose angeordnet hat, zum Zeugnis ihnen!« Noch bevor der Geheilte irgendetwas wollen, tun oder sagen kann, fährt Jesus ihn hart an. Man kann das Wort, das hier mit anfahren wiedergegeben wird, auch mit anschnauben, seinen Unwillen äußern oder vergattern übersetzen (vgl. Mk 14, 5). Jesus will nun auch etwas von ihm, woran er sich unbedingt halten soll. Er soll niemand berichten, was ihm widerfuhr. Der Grund wird ihm nicht genannt – außer dass Jesus es will. Er soll gehen und sich stumm dem Priester vorstellen, der ihn nach den Vorschriften begutachten und danach das Reinigungszeremoniell an ihm vollziehen soll, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Man soll seine Heilung amtlicherseits zur Kenntnis nehmen und alles Weitere veranlassen, damit er sich unter den Menschen frei bewegen und ein normales Leben führen könne, aber nicht mehr. – Mit diesen Worten trieb er ihn davon, wie wenn er mit ihm und seiner Heilung nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte.

In antiken Zauberpapyri begegnen uns ebenfalls Geheimhaltungsgebote, etwa wo ein Zauberspruch nicht weitergegeben bzw. nicht um seine Wirkung gebracht werden sollte. Der Eingeweihte musste sogar einen Eid ablegen, von den Formeln, deren Ohrenzeuge er werden würde, nichts verlauten zu lassen. Nur bei Miteingeweihten, sofern sie als verlässlich erschienen, sollten Ausnahmen von der Regel möglich sein. In Sagen und Märchen spielt das Motiv übrigens auch eine Rolle.

Anders hier. Jesus will nicht, dass der von seiner Krankheit geheilte Mensch bekannt macht, wer er ihm geholfen habe. Er soll es für sich behalten und keinen Wirbel darum machen. Doch da hatte Jesus sich in ihm wohl getäuscht. Der tat, was er immer tat und auch am Anfang unserer Geschichte getan hatte: ein Gebot übertreten. Der Mensch, auch der reine Mensch, ist eben der Mensch. Was er tun soll, tut er nicht, oder er tut es bloß teilweise, aber was er nicht tun soll, das tut er. Es war zu keiner Zeit anders. Der Mensch ging fort, begann viel zu verkündigen und die Sache auszubreiten, so dass Jesus nicht mehr öffentlich in eine Stadt hineingehen konnte, sondern sich außerhalb an einsamen Orten aufhielt. Doch ständig kamen sie zu ihm von überallher. Der reingewordene Mensch geht, wie ihm geheißen. So weit, so gut. Doch schon seine Selbstvorstellung beim Priester und das darauf an ihm zu vollziehende Zeremoniell samt Dankopfer fallen aus. Stattdessen breitet er die Sache aus, nicht wenig, sondern viel, und bringt seinen Helfer damit in Schwierigkeiten. Der kann sich nirgends mehr öffentlich blicken lassen, ohne von Menschenscharen belagert zu werden. Selbst außerhalb der Ortschaften an einsamen Orten ist er vor ihnen nicht mehr sicher. Ständig stöbern sie ihn auf, ständig kommen sie zu ihm von überallher.

Nirgendwo steht geschrieben, dass Jesus sich darüber beklagt oder dass es ihm leidgetan hätte, jenen windigen Burschen geheilt zu haben. Er nahm es hin und machte seine Heilung nicht etwa rückgängig. Auch den Mund verschloss er ihm nicht, wie er den unreinen Geistern in Kapharnaum das Mundwerk verschlossen hatte (vgl. 1, 25f.34). Er ließ ihn gewähren und trug ohne ein Wort des Zorns oder der Bitterkeit die Konsequenzen seines Tuns. Auch der reine Mensch ist eben der Mensch. Man kann sich auf ihn nicht verlassen. Man könnte Jesus allenfalls vorhalten, dass er es hätte wissen müssen. Aber wahrscheinlich wollte er, dessen Wollen sein Erbarmen und dessen Erbarmen sein Wollen ist, nicht einmal das.

6 Dass Jesus hinging, um zu beten, berichtet Markus dreimal. Hier an unserer Stelle, nach der Speisung der Fünftausend, als er seine Jünger drängte, ohne ihn an das andere Ufer vorauszufahren (6, 45ff), und im Garten Gethsemane dreifach (14, 32ff).

7 Manchmal wurden auch andere Hautkrankheiten mit diesem Namen versehen.

8 Genauso verhält es sich auch sonst: Mk 1, 7.9 (Ankündigung seines Kommens und Jesu Kommen zur Taufe) und 1,14 (Jesu Verkündigung in Galiläa). Bei der Berufung der Jünger 1,16.19 heißt es: Jesus sah sie, als er vorüber- bzw. ein wenig vorwärts- oder vorausging.

Rückkehr nach Kapharnaum
Markus 2,1–12

1–12 Die Heilung des Gelähmten

1 Als er nach Tagen wiederum nach Kapharnaum kam,

wurde bekannt,

dass er im Hause ist.

2 Und es versammelten sich viele,

so dass kein Platz mehr zu finden ist,

auch nicht vor der Tür,

und er begann ihnen das Wort zu sagen.

3 Da kommen sie

(und) bringen einen Gelähmten zu ihm,

getragen von vier (Leuten).

4 Doch weil sie ihn nicht zu ihm bringen konnten

wegen der Volksmenge,

deckten sie das Dach ab, wo er war,

und ließen, nachdem sie (es) aufgegraben hatten,

die Trage, auf der der Gelähmte lag, herab.

5 Als Jesus ihren Glauben sah,

sagt er zu dem Gelähmten:

»Kind,

deine Sünden werden erlassen!«

6 Es waren aber einige der Schriftgelehrten dort,

sitzend und erwägend in ihren Herzen:

7 »Was redet dieser so?«

»Er lästert!«

»Wer kann Sünden erlassen

außer der eine Gott?«

8 Doch Jesus durchschaute sogleich mit seinem Geist,

dass sie so bei sich erwägen,

und sagt zu ihnen:

»Wieso denkt ihr dies in euren Herzen?

9 Was ist leichter,

zu dem Gelähmten zu sagen,

›Deine Sünden werden erlassen‹,

oder zu sagen,

›Steh auf,

nimm auf deine Trage

und wandle‹?

10 Damit ihr aber wisst,

dass der Menschensohn Vollmacht hat,

Sünden zu erlassen auf Erden«,

sagt er zu dem Gelähmten:

11 »Dir sage ich:

Steh auf,

nimm auf deine Trage

und geh in dein Haus!«

12 Da wurde er aufgerichtet,

und gleich,

nachdem er aufgenommen die Trage,

ging er vor allen hinaus,

so dass sich entsetzen alle

und Gott rühmen,

sagend:

»Derartiges sahen wir noch nie!«

Nach mehreren Tagen seiner Lehrtätigkeit in Galiläa war Jesus wieder nach Kapharnaum am (Galiläischen) See zurückgekehrt, wo seine Jünger Simon (Petrus) und Andreas ein Haus besaßen. Als bekannt wurde, dass der berühmte Wundertäter, welcher böse Geister vertrieb und Kranke heilte, Jesus von Nazareth, wiedergekommen sei und im Haus der Jünger weilte, versammelten sich viele, so dass kein Platz mehr zu finden war, auch nicht vor der Tür, und er begann ihnen das Wort zu sagen. Nur vorläufig hatte Jesus sich aus Kapharnaum entfernt, so dass man nach ihm fragen, ihn suchen oder auf ihn warten musste. Das alles aber nicht vergeblich. Nun war er also wieder da, und die Leute strömten zahlreich seinem Aufenthaltsort zu und drangen sogar ins Haus ein. Jesus aber begann nicht etwa Wunder zu tun, sondern ihnen das Wort zu sagen, das freilich wunderliche Wort vom Kommen der alles mit Heil erfüllenden Herrschaft Gottes. Nicht ihr Gekommensein sagte er ihnen an, sondern ihr Kommen, ihre Nähe, ihr sich Nahen.

Da kommen sie und bringen einen Gelähmten zu ihm, getragen von vier Leuten. Die Menschen, die in Kapharnaum ins Haus der Jünger eindrangen, blockieren den Weg. Da war kein Durchkommen mehr, schon gar nicht für einen Gelähmten auf einer Trage. Weil seine Freunde ihn wegen des Gedränges nicht vor Jesus absetzen konnten, deckten sie, ohne um Erlaubnis zu fragen, das Dach an der Stelle ab, wo er war, gruben es auf und ließen die Trage, auf der der Gelähmte lag, an Seilen oder Stricken hinab. Man stelle sich das bildlich vor! Was sind das für Freunde, Freunde, die nicht eher Ruhe geben, bis sie ihren gelähmten Freund nicht irgendwo, etwa in einem berühmten Heiltempel oder in einem gut geführten Pflegeheim, sondern unmittelbar vor Jesus abgesetzt haben!

Und nun wird großer Wert darauf gelegt, zu berichten, was Jesus sah. Herabstürzende Dachteile, das mehr oder weniger gefährlich große Loch in der Decke, Bauart und Baujahr der sich herabsenkenden Trage, das entsetzte Gesicht der Eigentümer, denen das Haus beschädigt wurde, die Wirkung auf die Leute – all das scheint der Erwähnung nicht zu bedürfen. Auch eine Beschreibung der Art der Lähmung des Gelähmten unterbleibt. Jesus sieht, worum es geht, und vor allem, worauf es ankommt. Er sieht, wie jene Vier das Unmögliche möglich machen und ihrem gelähmten Freund trotz des Gedränges Zugang verschaffen, er sieht ihr unbeirrtes, erwartungsvolles Kommen mit ihm zu ihm. Er sieht ihren zwar nicht Berge versetzenden, aber immerhin Dächer abdeckenden Glauben. Dieser ihr Glaube lässt sich sehen, und Jesus sieht ihn. Es ist ihm nicht fremd, was er bei ihnen sieht. Es entspricht dem sogar ziemlich genau, was er selbst sagt und tut. Nachdem er gesehen hat, was es da zu sehen gab, wendet er sich – ohne dass jene vier Männer und Jesus ein Wort miteinander gewechselt hätten – dem Gelähmten zu: »Kind, deine Sünden werden erlassen!« Nicht irgendwann einmal, sondern jetzt. Sie werden jetzt erlassen.

War schon erstaunlich, was Jesus sah und anerkannte, so ist es umso erstaunlicher, was er zu dem Kranken sagt: »Kind, deine Sünden werden erlassen!« Auf diese Zusage ist man nicht gefasst. Denn von seinen Sünden war bis jetzt keine Rede, und Jesus war von niemand um ihren Erlass gebeten worden, auch von dem auf der Trage vor ihm liegenden Gelähmten nicht. Aber auch auf seine Anrede ist man nicht gefasst. Sie will ja nicht sagen, dass es sich bei jenem Gelähmten um ein Kind gehandelt habe. Kind – das ist der Mensch im Blick auf seine Beziehung zu Gott, die jetzt in Ordnung gebracht wird.

»Kind, deine Sünden werden erlassen!« Jesus sagt es von sich aus dem Gelähmten zu. Er ist der Künder als auch die Verkündigung dieser Zusage, die Erledigung seines Beziehungsproblems. Da werden nicht nur ein paar freundlich unverbindliche Worte gesprochen, sondern da wird das Leben eines Menschen auf eine neue Grundlage gestellt, auf die Grundlage erlassener Sünden. Wie könnte Gottes Herrschaft denn auch kommen, ohne dass Sünden erlassen und gestrichen würden? ›Kind, deine Sünden werden erlassen! Du bleibst nicht mit ihnen liegen, sie werden dich nicht länger niederstrecken und lähmen, du gehörst woanders hin!‹

 

Nun könnte in jenem Haus jemand gesessen haben, der bei sich dachte: ›Was soll das? Das bringt doch nichts. Bei dem ist sowieso Hopfen und Malz verloren, der wird nicht wieder. Vergebung der Sünden, neue Lebensgrundlage – dass ich nicht lache!‹ Tatsächlich erwähnt werden einige Gelehrte, die sich in der Bibel auskennen und von Gott ein wenig Ahnung haben. Die nahmen Jesus beim Wort und dachten: ›Das geht zu weit! Wie kann der so reden? Was bildet er sich ein? Gott wird schon wissen, warum jener da gelähmt liegt. Es wird seine Richtigkeit damit haben. Im Übrigen ist es Gottes Sache allein, wann und wem er die Sünden erlassen will und wirksam erlassen kann. Wie kommt dieser Mensch dazu, Gottes Sache in die eigene Hand zu nehmen und hier und jetzt in seinem Namen Sündenerlass zuzusprechen? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Anmaßung! Kompetenzüberschreitung! Gotteslästerung!‹

So wie jene Bibelgelehrten kann man mit Jesus leider auch umgehen. Kein dringliches, kein erwartungsvolles, kein zugunsten eines gelähmten Freundes alle Hindernisse überwindendes Zutrauen in ihn, sondern ein grundlos distanziertes, lauter Hindernisse aufrichtendes Misstrauen ihm gegenüber. Zum Glück aber ändert das nichts daran, was Jesus dem Gelähmten zusprach. Aber musste es sein?

Auch hier sieht Jesus sofort, was los ist, obwohl es gar nichts zu sehen gibt. Er sieht, er durchschaut ihre Gedanken. Darum fragt er sie, was ihrer Meinung nach leichter wäre: »zu dem Gelähmten zu sagen, ›Deine Sünden werden erlassen‹, oder zu sagen, ›Steh auf, nimm auf deine Trage und wandle‹?« Jesus wartet ihre Antwort auf seine Frage nicht ab, sondern gebietet. Die ganze Unanschaulichkeit seines Wortes an den Gelähmten macht er nun anschaulich, mit dem scheinbar Schwereren das scheinbar Leichtere. Er macht die Kraft seines belebenden, des Menschen Beziehungsprobleme ausräumenden Wortes sichtbar. Er macht sichtbar, dass er Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu erlassen und sie zur Vergangenheit zu machen. Sünden, die ein Kind Gottes behindern, beschweren, einsam machen, niederstrecken, lähmen. Nicht morgen oder übermorgen, sondern hier und jetzt! Es verhält sich mit seinem Zuspruch – »Kind, deine Sünden werden erlassen!« – so ähnlich, als wenn er sagen würde: »Steh auf, nimm auf deine Trage und geh in dein Haus!« Da geschieht es, dass ein Gelähmter loswird, was ihn lahm machte und niederstreckte. Da geschieht es, dass er aufstehen und als freier Mensch wandeln kann, weil Jesus sich ihm zusprach und ihn aufrichtete. Da vermag der Betreffende dasjenige, worauf er festgelegt und niedergestreckt war, zu schultern und vor aller Augen sogleich frei auszugehen. Und da kehrt er auch nicht in irgendeine Beziehungslosigkeit zurück, sondern in sein Haus zu den Seinen. Die Anwesenden aber, die zwei Augen im Kopf haben und von ihren eigenen Beziehungsproblemen nicht völlig in Anspruch genommen sind, werden sich entsetzen und Gott rühmen. Das wäre auch eine Möglichkeit und nicht die schlechteste.

Wie gesagt, solche Vollmacht hat der Träger des göttlichen Geistes. Darum herrscht, man täusche sich nicht, wo er sich gerade aufhält, großer Andrang, dass nicht einmal vor der Tür des Hauses der Platz ausreicht, und man ihm womöglich aufs Dach steigen muss, um einen ganz bestimmten Menschen, einen armen Gelähmten, seinen Freund, unter nicht geringem Aufwand vor ihm abzusetzen und ihm ans Herz zu legen. Jener Gelähmte brauchte solche Freunde, und auch Jesus möchte offensichtlich solche Freunde haben, die ihn, ohne sich vom Gedränge der Menschen kopfscheu machen zu lassen, für jemand bitten. Er wird hinter ihnen nicht zurückstehen, sondern ihnen ihre Bitte, selbst wenn sie unausgesprochen blieb, herzlich gern erfüllen. Wie der Erlass der Sünden zum Kommen der Herrschaft Gottes gehört, so das Kommen solcher Freunde mit ihrem armen Freund zu ihm zur Erneuerung rechter Beziehungen.

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