Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 13»

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© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-151-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

Ben Brighton starrte mißmutig in die flackernde Kerze, die vor ihm und Philip Hasard Killigrew auf dem runden Holztisch stand. Mit einem Ruck schob er sein Weinglas von sich weg. Seine harten Seemannsfäuste verkrampften sich in ohnmächtigem Zorn, als er Hasard ansah.

„Verdammter Mist, daß Burton, dieses Schwein, ausgerechnet jetzt in Sevilla auftauchen und uns entdecken mußte!“ sagte er wütend. „Ich halte jede Wette: Kein anderer als er hat Estoban Rizzio umgebracht. Feige von hinten erstochen. Diesem verfluchten Bastard schlage ich den Schädel ein, wenn er mir noch einmal in die Finger läuft!“

Er ließ seine Fäuste schwer auf die Tischplatte fallen.

„Wir werden noch eine Menge Schwierigkeiten durch die Ermordung Estoban Rizzios haben, Hasard, darauf kannst du Gift nehmen!“ fügte er ein paar Sekunden später hinzu.

Hasard sah seinen Bootsmann an. Dann nahm er einen langen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Dabei zog ein verwegenes Lächeln über seine braungebrannten Züge. Seine eisblauen Augen blitzten den Gefährten an.

„Ich werde mich lieber an Wein halten, Ben. Gift soll der Gesundheit höchst abträglich sein. Was aber diesen Burton angeht – eines Tages ist er fällig. Die Rechnung für den Mord an Rizzio wird ihm präsentiert – auch wenn es noch eine Weile dauern sollte.“

Abermals nahm er einen Schluck. Im stillen gab er seinem Bootsmann recht. Es würde Schwierigkeiten geben, wenn sie nicht auf der Hut waren. Den Mord an Rizzio hatte die spanische Polizei bereits entdeckt, und sie beide, er und Ben Brighton, waren immerhin die letzten gewesen, die nach Rizzio gefragt hatten und bei ihm gewesen waren. Daß sie Rizzio bereits sterbend vorgefunden hatten, mit einem Messer im Rücken, das war zweifellos eine andere Sache.

Mit einem Blick musterte Hasard seine Umgebung. Ganz bewußt hatte er sich mit Ben unter die Steintreppe in eine dunkle Nische der Kneipe zurückgezogen. Sie saßen unmittelbar hinter einem dicken Pfeiler aus Stein, vor allem aber in der Nähe der Treppe, über die sie blitzschnell in ihr Zimmer entweichen konnten, sofern dies aus irgendeinem Grunde erforderlich werden sollte.

„El Pescado“ – der Fisch – war eine Kellerkneipe in den engen Gassen des Hafenviertels. Sie lag in der Callejon Circo – unmittelbar dem Torre del Oro gegenüber, dem Goldenen Turm, der wegen seiner kostbaren Verkleidung mit Platten aus purem Gold so hieß. Gegenüber vom Torre del Oro, auf der anderen Seite des Guadalquivir, stand ein zweiter Turm, zu dem schwere Ketten hinüberführten. Mit diesen Ketten konnten die Spanier den Fluß für den gesamten Schiffsverkehr innerhalb kürzester Frist sperren, sobald sie die Ketten mittels der schweren, spillartigen Winden straff zogen.

Hasard hatte den „Fisch“ als Domizil gewählt, weil die Kneipe in einem Viertel Sevillas lag, in dem Seeleute, Fischer, Hafenhaie und allerhand lichtscheues Gesindel verkehrten. Dort fielen er und Ben am wenigsten auf – und, was noch weitaus wichtiger war, dort wurde getrunken, gewürfelt, gemogelt, geflucht und getuschelt in allen Tonarten, man konnte im „Fisch“ an Informationen aller Art gelangen, sofern man zahlungskräftig genug war.

Informationen aber waren genau das, was er und Ben Brighton dringend brauchten. Estoban Rizzio, ihr Verbindungsmann in Spanien, war tot. Er hatte ihnen nur noch sagen können, daß sich Ferris Tucker, Batuti, Dan O’Flynn, der Kutscher, Smoky, Blacky, Stenmark, Gary Andrews, Al Conroy, Pete Ballie und Matt Davies an Bord einer Galeere befanden, die „Tortuga“ hieß. Wo sich jedoch jene Galeere befand, das mußten sie nun selber herausfinden, und zwar so schnell wie möglich.

Abermals ließ Hasard seine Blicke durch die Kellerkneipe wandern – wüstes Gebrüll, das von noch wüsteren spanischen Flüchen begleitet wurde, hatte seine Aufmerksamkeit erregt.

Einer der schweren Tische kippte polternd um, Gläser und Flaschen zerklirrten auf dem steinernen Boden. Entermesser blitzten auf – und unwillkürlich griffen auch Hasard und Ben Brighton zu ihren Messern. Aus Erfahrung wußten sie, wie rasch solche Streitigkeiten zu blutigen Massakern jeder gegen jeden ausarteten.

Ben und Hasard sprangen auf. Sie hatten nicht die geringste Absicht, sich in derartige Geschichten verwickeln zu lassen, das wäre das allerletzte gewesen, was sie hätten brauchen können.

Doch dann geschah etwas, was die ganze Situation blitzartig änderte und die beiden Männer, die schon im Begriff gewesen waren, über die Steintreppe in ihr Zimmer zu verschwinden, veranlaßte, schleunigst wieder auf ihre Hokker zu sinken und sich so weit wie möglich zusammenzukauern.

Auf der Treppe, die von der Gasse herunter in die Kneipe führte, erschallten Kommandos. Schritte polterten die Treppe hinunter, gleich darauf drangen spanische Soldaten in die Kneipe ein. Mit ein paar Streichen fegten sie die Kampfhähne unsanft auseinander. Und dann trauten Hasard und Ben ihren Augen nicht: Ein spanischer Offizier, in Begleitung von Isaac Henry Burton, betrat die Kneipe. Suchend blickten sie sich um. Aber das schwache, flackernde Licht der Kerzen verbreitete nicht genügend Helligkeit, als daß sie die Kneipe hätten überblicken können.

„Verdammt, Hasard, das gilt uns!“ flüsterte Ben Brighton dem Seewolf zu. „Dieser Hundesohn, dieser dreimal verfluchte Burton hat herausgefunden, daß wir uns hier eingemietet haben. Und jetzt will er uns den Spaniern als die Mörder von Estoban Rizzio ausliefern. Wenn der Kerl das schafft …“

Ben Brighton sprach gar nicht erst weiter. Es war klar, was ihnen dann blühen würde. Statt dessen knirschte er vor Wut mit den Zähnen.

Auch Hasard spürte, wie sich sein Magen unwillkürlich zusammenkrampfte. Ben hatte recht, die Aktion galt ihnen. Er sah, wie zwei Soldaten den Wirt packten und ihn zu dem spanischen Offizier und dem neben ihm stehenden Burton schleppten.

In der Kneipe herrschte Totenstille. Hasard und Ben konnten jedes Wort verstehen.

„Wo sind die beiden Mörder, die sich bei dir eingemietet haben?“ hörten sie den Spanier fragen.

Der Wirt krümmte sich vor Schreck zusammen. Sein schwerer, fetter Körper schien in sich zusammenzuschrumpfen.

„Aber Senor Capitan – Mörder? Mörder sollen sich bei mir eingemietet haben? Senor Capitan, ich bin zu Tode erschrokken, ich weiß gar nicht, was ich …“

Burton schlug zu. Blitzschnell und brutal. Der Schlag war mit solcher Kraft geführt worden, daß er den Wirt zu Boden fegte.

„Rede, du verdammte Ratte, oder ich lasse dir dein räudiges Fell in Streifen abziehen!“ brüllte Burton. Gleichzeitig gab der Capitan zwei Soldaten einen Wink. Sie packten den Wirt, zerrten ihn vom Boden hoch und schleppten ihn zu Burton und dem spanischen Offizier.

Hasard spürte, wie seine Nackenhaare sich aufzustellen begannen. Die nächsten Sekunden mußten über Tod und Leben entscheiden. Hasards Rechte glitt zum Entermesser, das er im Gürtel trug.

Ben Brightons Rechte ebenfalls. Und dann sprach er aus, wozu auch Hasard felsenfest entschlossen war:

„Ehe die Dons mich kriegen, bringe ich diese elende Kakerlake von Burton um. Er wird den Triumph unserer Verhaftung nicht erleben!“

Der Wirt hatte sich unterdessen stöhnend aufgerichtet. Und doch schien es Hasard, als habe er absichtlich Zeit herausgeschunden.

„Rede endlich, oder ich stopf dir deine Zähne in den Hals!“ Burton hob die Faust abermals zum Schlag.

„Das sieht diesem erbärmlichen Feigling ähnlich“, flüsterte Ben Brighton. „Wenn die Kugeln pfeifen und die Kanonen donnern, dann scheißt sich dieser Wicht in die Hosen, daß es noch bis in den Topp des Großmastes stinkt. Aber Wehrlose schlagen und quälen – oh, dieser Schinder!“

Ben Brightons Rechte zuckte zum Messer, aber Hasard packte blitzschnell zu und hielt sie fest.

Die Antwort des Wirtes unterbrach sie.

„… sind oben in ihrem Zimmer. Gleich die zweite Tür nach der Treppe. Wenn sie wirklich Mörder sind, Senor Capitan, dann will ich mit den Kerlen nichts zu tun haben. Im Gegenteil, ich werde zusehen, wenn sie aufgeknüpft werden. Jawohl, baumeln sollen sie!“

Der Capitan gab den Soldaten einen Wink. Sie ließen den Wirt los und stürmten zusammen mit dem Capitan und Burton die Treppe hoch.

Hasard atmete auf. Er hatte zwar keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, aber eins war sonnenklar, der Wirt wollte ihnen helfen.

Alles starrte zur Treppe hinüber, den drei Spaniern und Burton nach, die mit gezogenen Degen und schußbereiten Musketen die Stufen hinaufstürzten.

Plötzlich zischte neben Hasard und Ben Brighton eine Stimme: „Durch den Hinterausgang, Senores, schnell! Niemand schlägt Pedro Overo Hernandes ungestraft! Beeilen Sie sich, Senores, ich muß da sein, wenn diese Bastarde zurückkehren.“

Hasard und Ben Brighton liefen geduckt hinter dem Wirt her. Die Treppe, der Pfeiler und ein Teil der Theke verschafften ihnen Deckung. Sie gelangten in einen flurähnlichen Gang und passierten eine dicke Holztür. Dann standen sie plötzlich im Hinterhof der Kneipe, nachdem sie noch ein paar Stufen hinaufgestürmt waren.

Hasard drehte sich um. Impulsiv drückte er dem Wirt fünf Golddublonen in die Hand.

„Du bist ein Ehrenmann und ein Freund, Pedro Overo Hernandes“, sagte er. Er sah gerade noch, wie der Wirt verschwand. Er verneigte sich, dann schloß sich die schwere Bohlentür, und ein Riegel wurde vorgelegt.

Der Seewolf grinste.

„Diesmal hat Burton sich verrechnet – er hat einmal zuviel zugeschlagen!“

Oben, dort, wo ihre Kammer lag, zersplitterte in diesem Augenblick die Tür des Zimmers, das sie noch nicht einmal einen halben Tag bewohnt hatten, unter den Kolbenhieben der Soldaten.

Durch Stapel von Kisten, Brettern, durch Gerümpel und leere Flaschen hasteten der Seewolf und Ben Brighton zu der Umfassungsmauer, die den Hinterhof abschloß. Hasard erreichte sie als erster. Er, sprang, packte die Mauerkrone und zog sich blitzschnell hinauf. Er überzeugte sich nur noch, daß Ben es ebenfalls im ersten Anlauf schaffte, dann ließ er sich von der Mauer einfach in die dahinterliegende Gasse fallen.

„Weg, Ben!“ keuchte er. „Die werden gleich merken, daß die Vögel ausgeflogen sind. Dann werden sie das ganze Viertel durchkämmen. Wir müssen die Stadt so schnell wie möglich verlassen, wir dürfen nicht warten, bis sie die Tore schließen!“

Ben Brighton nickte nur kurz. Durch die Calle de Adriano eilten sie davon. Die Dunkelheit schützte sie. Hinter ihnen ragte drohend und wuchtig die Silhouette des Torre del Oro in den Nachthimmel. Irgendwo marschierte ein Trupp spanischer Soldaten durch eine der Gassen. Laut durchdrangen die Schritte ihrer Stiefel die Stille der Nacht, Kommandos erschallten. Die beiden Engländer drückten sich in eine pechrabenschwarze Tornische und verharrten dort regungslos.

Isaac Henry Burton stampfte mit dem Fuß auf.

„Sie sind uns entwischt!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Dieser verfluchte Seewolf ist uns entwischt!“ Seine feisten, fleischigen Wangen wabbelten bei jedem Wort, sein Gesicht war hochrot angelaufen.

Er trat auf einen der Soldaten zu und stieß ihn vor die Brust, daß der Soldat etliche Schritte zurückgeworfen wurde.

„Was steht ihr Idioten da und haltet Maulaffen feil? Bringt mir den Wirt, dieser Kerl steckt mit den Mördern unter einer Decke. Holt den Kerl – und wenn er nicht redet, dann wird er gefoltert, bis er alle Teufel der Hölle heulen hört!“

Der spanische Capitan hatte das unbeherrschte Gebrüll Burtons mit steigendem Mißbehagen verfolgt. Was bildete sich dieser Engländer, den er aus tiefstem Herzen verachtete, weil er sein Vaterland verriet, eigentlich ein? Zwar ahnte der Capitan, daß dieser Mann über gefährliche Verbindungen verfügen mußte, aber er wußte nichts Genaues. Trotzdem paßte es dem Capitan ganz und gar nicht, daß dieser Mann nun auch noch begann, seine Soldaten herumzukommandieren.

Er sah, daß der eine seiner Soldaten sich anschickte, in die Kneipe zu gehen, um den Wirt herbeizuholen. Das war der Moment, in dem er eingriff, weil sein Stolz ihm verbot, dem Treiben Burtons noch länger untätig zuzusehen.

„Halt!“ kommandierte er. Dann drehte er sich zu Burton herum und sah ihn aus seinen dunklen Augen an.

„Senor, ich gebe meinen Soldaten hier die Befehle. Nur ich ganz allein. Ich möchte Sie bitten, sich künftig nicht in meine Angelegenheiten zu mischen, oder ich müßte geeignete Maßnahmen ergreifen, um das zu verhindern.“

Burton glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Seine wäßrigen, blaßblauen Augen verengten sich.

„Capitan – Sie wagen es, mir zu drohen?“ fragte er und trat einen Schritt auf den Spanier zu. Burton neigte zum Jähzorn, zur Gewalttätigkeit, und auch jetzt überwältigte ihn die Wut. „Ausgerechnet Sie, der Sie zwei gefährliche Feinde Spaniens durch Ihre Unfähigkeit entwischen ließen, Sie wagen es, sich meinen Anordnungen zu widersetzen?“ brüllte er. „Sie wollen Ihre Soldaten, die mir zugeteilt wurden, um diese beiden Mörder zu fangen, gegen mich aufwiegeln?“ Burton ballte die Hände, und es sah aus, als wolle er sich jeden Moment auf den Spanier stürzen.

Der Capitan wich einen Schritt zurück. Mit einer raschen Bewegung zog er seinen Degen. Im nächsten Moment spürte Burton die scharfe Spitze auf seinem Leib – und im plötzlichen Entsetzen über diese Wandlung quiekte er wie ein Schwein.

Der Capitan sah ihn aus starren Augen an und beobachtete ungerührt, wie Burton plötzlich alle Farbe verlor und sein Gesicht aschgrau wurde.

„Noch eine Beleidigung, Senor, dann werde ich meine Ehre so zu verteidigen wissen, wie es einem Offizier der spanischen Krone und Ihrer Katholischen Majestät ansteht. Nehmen Sie sich in acht, Senor!“

Er zog seinen Degen zurück und ließ ihn wieder in das Wehrgehänge an seiner Hüfte gleiten. Dann wandte er sich an seine Soldaten.

„Holt den Wirt! Beeilt euch!“

Die beiden Soldaten polterten die Treppe hinunter. Minuten später brachten sie den heftig protestierenden Wirt. Sie schleppten ihn mehr, als daß er ging.

„Senor Capitan – ich protestiere. Ihre beiden Soldaten schleppten mich aus meiner Kneipe. Wer ersetzt mir den Schaden, he? Was glauben Sie, Senor Capitan, was diese Bande von Halunken und Halsabschneidern dort unten tun wird, während ich hier oben mit Ihnen rede? Sie werden mich berauben, sie werden meine Kasse aufbrechen, sie werden …“

„Ruhe!“ donnerte der Capitan. Dann wandte er sich an einen der Soldaten. „Runter mit dir. Du paßt auf, daß dort unten alles seine Richtigkeit hat, verstanden?“

Der Soldat sauste los.

„Und jetzt zu Ihnen, Senor“, fuhr der Capitan ungerührt fort. „Wer waren die beiden Männer, die diese Kammer hier gemietet hatten?“

Der Wirt kniff die Augen zusammen, dann hob er die Schultern.

„Sie bezahlten bar, Senor Capitan. Für eine Woche im voraus. Das passiert nicht alle Tage. Ich hatte deshalb auch keinerlei Grund, überflüssige Fragen zu stellen.“

Burton fuhr herum wie eine Natter.

„Da haben Sie es, Capitan!“ schrie er. „Für eine Woche im voraus. Woher sollten diese Halunken, diese Säufer und Nichtstuer, die da unten die Kneipe mit ihrem Geschrei erfüllen, soviel Geld haben, um für eine Woche im voraus zu zahlen? Sie würden, selbst wenn sie das Geld hätten, lieber die letzten Peseten versaufen oder verhuren. Aber dieser Killigrew, ausgeschickt von Francis Drake, der hat natürlich Mittel genug, um für eine Woche im voraus zu bezahlen.“

Der Wirt erkannte die Gefahr, die ihm plötzlich drohte.

„Senor Capitan – dieser Mann da redet als Fremder, er kennt unser Land nicht. Er kennt nicht den Stolz, den selbst der Ärmste der Armen in unserem Land in seiner Brust trägt. Er beleidigt uns alle, ich brauche mich von diesem Mann nicht beleidigen zu lassen. Sogar geschlagen hat er mich vorhin – madre de dios, zu Boden geschlagen!“

Sein Gejammer hatte Erfolg, der Capitan warf Burton einen finsteren Blick zu.

„Beantworten Sie mir jetzt bitte noch folgende Fragen, Senor“, fuhr er betont höflich fort. Voll Freude sah er, wie Burton vor Wut rot anlief.

„Wieso glaubten Sie, daß die beiden Männer hier oben seien?“

Der Wirt hob abermals die Schultern.

„Ich sah sie nicht fortgehen. Und ich hätte sie von der Theke aus, von wo ich mein Lokal gut überblicken kann, eigentlich sehen müssen. Aber das Lokal war gerade heute abend sehr voll, und dann der Kerzenschein, nicht hell genug, um wirklich alles genau überblicken zu können, tut mir wirklich leid, Senor Capitan. Denn wenn die beiden wirklich Mörder und Verbrecher sind, dann wäre ich der letzte gewesen, der sie der gerechten Strafe entzogen hätte.“

Er verneigte sich unterwürfig vor dem Capitan.

Aber wieder fuhr Burton dazwischen.

„Lassen Sie sich von diesem Kerl nicht einwickeln, Capitan. Er hat die beiden versteckt oder gewarnt. Wie könnte es sonst sein, daß sich in dieser Kammer auch nicht mehr die geringste Habe findet, nichts, was überhaupt darauf hindeuten könnte, daß diese Kammer je an die beiden Gesuchten vermietet wurde?“

Er merkte, wie der Capitan stutzte, und ein triumphierendes Grinsen zog über seine fleischigen Lippen.

Aber auch der Wirt war auf der Hut.

„Ich weiß gar nicht, was dieser fremde Senor dort ständig will. Wer sagt denn überhaupt, daß die beiden geflohen sind? Vielleicht sind sie nur unterwegs, um von einem der Schiffe ihre Sachen zu holen? Sie haben das Zimmer erst heute mittag gemietet. Und noch etwas, bei allem Respekt, Capitan: Wer würde denn wohl für eine ganze Woche im voraus zahlen, wenn er damit rechnen müßte, jeden Moment verhaftet zu werden, wenn er genau wüßte, daß er wegen Mordes gesucht wird? Solche Halunken würden den armen Wirt betrügen, sie würden vielleicht nur jeden Tag bezahlen – oder aber den Wirt totschlagen und ebenfalls ausrauben, wenn sie herausfänden, daß er ein paar schwerverdiente Peseten in seiner Schatulle hat.“

Das Argument gab den Ausschlag. Der Capitan sah den Wirt an. Seine dunklen Augen loderten.

„Ich werde diese beiden Männer in der ganzen Stadt suchen lassen, Senor. Gnade Ihnen Gott, wenn ich herausfinden sollte, daß Sie es gewagt haben, mich in irgendeinem Punkt zu belügen. Wehe, wenn sich herausstellen sollte, daß Sie zwei Verbrechern zur Flucht verholfen haben!“

Der Capitan wandte sich um.

„Vorwärts – es müssen alle Stadttore benachrichtigt werden. Genaue Beschreibung an alle Wachen. Wo auch immer die beiden gesehen werden, sie sind sofort festzunehmen und mir vorzuführen.“

Burton nickte. Er warf dem Wirt einen triumphierenden Blick zu, während der Capitan bereits dem noch in der Kammer befindlichen Soldaten die notwendigen Befehle erteilte.

Noch im Gehen blieb Burton bei dem Wirt stehen.

„Ich komme wieder, Freundchen“, sagte er leise, aber in seiner Stimme lag eine so eiskalte Drohung, daß dem Wirt eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Du hast die beiden auf irgendeine Weise gewarnt und ihnen zur Flucht verholfen. Sie waren noch hier, als wir dein Rattenloch betraten. Ich werde dich baumeln sehen, oder ich werde dir zu ein paar netten Jährchen auf einer Galeere verhelfen. Ich kenne Galeeren – dort stirbst du tausend Tode. Jeden Tag einen neuen!“

Isaac Henry Burton versetzte dem Wirt einen derben Stoß in den Rücken, dann verließ er die Szene. Und zum erstenmal verspürte der Wirt so etwas wie Panik in sich aufsteigen. Instinktiv spürte er, wie verschlagen und gefährlich dieser Fremde war.

Der Capitan und seine Soldaten rückten ab. Auch die Wachen, die der Capitan an der Treppe zur Kellerkneipe in der Callejon Circo aufgestellt hatte, wurden abgezogen.

In der Kneipe wurde wieder gewürfelt. Rauhe Kehlen schrien nach Wein, Hafenhaie tuschelten mit Seeleuten und finsteren Gestalten, die kamen und gingen. Der Zwischenfall schien vergessen – aber nur in der Kneipe.

In Sevilla selbst entwickelte sich eine geradezu hektische Betriebsamkeit. Der Capitan gehörte zu den höchst energischen und umsichtigen Offizieren, die jede nur erdenkliche Möglichkeit ausschöpften, ehe sie sich mit einem Mißerfolg oder einer Niederlage abfanden. Melder liefen oder ritten durch die Stadt. Jedes Stadttor wurde innerhalb der nächsten Stunde verständigt, den Wachen wurde das genaue Signalement von Hasard Killigrew und Ben Brighton durchgegeben. Nach menschlichem Ermessen waren ihre Chancen äußerst schlecht, unerkannt aus Sevilla zu entwischen. Und Isaac Henry Burton rieb sich schon in der Vorfreude auf den Augenblick die Hände, in dem er den verhaßten Seewolf endgültig in der Falle haben würde. Dann sollte dieser Killigrew für alles bezahlen, was er ihm und seinem Bruder, Samuel Taylor Burton, dem Friedensrichter von Plymouth, an Schmach und Niederlagen zugefügt hatte.

„So schaffen wir es nicht“, flüsterte Hasard Ben Brighton zu, nachdem sie nun schon das vierte Tor in der Hafengegend minutenlang aus dem Schutz eines dunklen Torweges beobachtet hatten. Den beiden war das hektische Treiben innerhalb der Ringmauer Sevillas, das mit ihrer Flucht eingesetzt hatte, nicht entgangen. An allen Toren waren die Wachen verstärkt worden. Und wenn zu dieser nachtschlafenden Zeit überhaupt ein Mann oder ein Wagen passieren wollte, dann wurde er auf eine Weise kontrolliert, wie weder Hasard noch Ben das bisher irgendwo erlebt hatten.

Der Seewolf überlegte, während er beobachtete, wie die Torwachen einen Wagen, der offenbar Getreide geladen hatte, von dem Fahrer und seinem Begleiter vollständig entladen ließen. In jeden der Säcke stießen sie ihre Lanzen. Sie hörten deutlich das laute Protestieren der Betroffenen, die erregt auf das herausrinnende Korn zeigten, und die zornigen Antworten der Wachen, die darüber ergrimmt waren, statt wie sonst bei Wein und Würfelspiel die Nacht auf diese Weise verbringen zu müssen.

Hasard biß sich auf die Lippen, als er an Burton dachte. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, diesen auf schmachvolle Weise degradierten Captain hier in Sevilla wiederzutreffen. Er begriff auch sofort, daß Burton auf die spanische Seite übergewechselt sein mußte. Er kannte seine Verbindungen am englischen Hof, er wußte um jene Clique, die den Spaniern nicht nur freundlich gesinnt war, sondern auch nicht davor zurückschreckte, um ihrer eigenen Interessen willen die englische Krone zu verraten, der Königin und ihrer Sache schweren Schaden zuzufügen.

Er ahnte, daß auch dieser aalglatte Sir Thomas Doughty zu dieser Clique gehörte. Vielleicht war er es sogar, der Burton nach Spanien in Marsch gesetzt hatte, um den lästigen Estoban Rizzio auszuschalten – sei es auch durch meuchlerischen Mord. Kreaturen wie dieser Burton, der sich in England ohnehin nicht mehr sehen lassen konnte, waren für solche Aufträge wie geschaffen. Und wer außer Doughty konnte schon so genaue Kenntnisse von allem haben, was sich hinter den Kulissen abspielte?

Hatte Burton vielleicht mit der Ermordung Rizzios sozusagen sein Gesellenstück geliefert – seine Aufnahmeprüfung in der Verschwörerclique auf diese Weise bestanden? Wie dem auch war, eines schien Philip Hasard Killigrew von Minute zu Minute sicherer, je länger er darüber nachgrübelte: Burton verfügte auch hier in Spanien über gute Verbindungen und einflußreiche Hintermänner, die ihn zu ihrem Werkzeug bestimmt hatten. Dabei spielte keine Rolle, ob sie ihn eines Tages beseitigen würden oder nicht.

Für den Moment jedenfalls war dieser Burton ein nicht zu unterschätzender Gegner, mit dem sie rechnen mußten und der vielleicht sogar den Auftrag hatte, ihn, Hasard Killigrew, und Ben Brighton den Spaniern ans Messer zu liefern. Damit aber wurde die Befreiung seiner in spanische Gefangenschaft verschleppten Männer noch schwieriger und noch dringender als zuvor. Der Seewolf war sich absolut im klaren darüber, daß Drake jeden dieser Männer brauchte, dringend brauchte.

Hasard straffte sich. Es war jetzt weiß der Himmel nicht die Zeit, solche Überlegungen anzustellen. Es mußte ihnen gelingen, noch während der Nacht die Stadt zu verlassen. Denn sobald es wieder hell wurde, verschlechterten sich ihre Chancen beträchtlich, ihren Häschern zu entkommen.

Genau wie der Seewolf hatte auch Ben Brighton das Stadttor nicht aus den Augen gelassen. Auch ihm war klargeworden, daß es für sie so gut wie keine Möglichkeit gab, durch eins der Tore nach draußen zu gelangen. Und nicht nur das, es war sogar dringend nötig, daß sie Sevilla ohne jedes Aufsehen verließen. Ihr Plan, die auf der spanischen Galeere „Tortuga“ gefangengehaltenen Männer der „Isabella“ zu befreien, hatte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie unerkannt und vor allen Dingen ohne Verfolger im Nacken ans Werk gehen konnten.

Ben Brighton stieß einen Seufzer aus. Es gab wahrhaftig nur eine einzige Möglichkeit, die Stadt zu verlassen.

Hasard war der Seufzer nicht entgangen. Aus Erfahrung wußte er, daß solche Laute, von Ben Brighton ausgestoßen, nichts Gutes bedeuteten.

„Rede schon, Ben, was hast du für eine Idee? Wie stellst du dir unsere Flucht vor?“

Ben Brighton sah den Seewolf an.

„Also lieber würde ich nur mit einem Enterhaken bewaffnet gegen zehn spanische Kriegsgaleonen kämpfen. Aber es hilft alles nichts: Wir müssen über die Mauer. Und zwar im Südwesten der Stadt, damit vermeiden wir, daß wir im Anschluß an unsere Flucht erst noch an der ganzen Stadt vorbei müssen. Und wir sollten es schnell tun, solange es dunkel ist.“

Hasard hielt den Atem an. Er kannte Ben Brighton gut genug. Wenn sein Bootsmann so etwas vorschlug, dann hatte er auch schon einen Plan. Dennoch konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Die nötigen Flügel dazu hast du sicher schon besorgt, oder?“ fragte er in die Dunkelheit hinein. „Über die Mauer, Ben – einfach so! Was glaubst du wohl, warum haben die Dons so sorgfältig angelegte Wehrgänge auf ihren Mauern zwischen den Türmen? Und wozu, meinst du, patrouillieren dort oben Doppelwachen bei Tag und bei Nacht?“

Ben Brighton hatte sich umgedreht. Er starrte den Seewolf an.

„Alles richtig, Hasard. Trotzdem bleibt die Mauer unsere einzige Möglichkeit. Schon weil die Dons damit ganz bestimmt nicht rechnen! Und dieser dreimal verfluchte Bastard von Burton auch nicht!“

Hasard nickte. Aber Ben Brighton ließ ihm gar keine Zeit, irgendwelche Überlegungen anzustellen.

„Ich denke mir die Sache etwa so …“ Und dann setzte er Hasard seinen Plan in allen Einzelheiten auseinander.

Der Seewolf hörte ihm zu. Zum Schluß versetzte er Ben Brighton einen leichten Schlag auf die Schulter.

„Ho, Ben, ich glaube, mit dir kann man wirklich den Teufel persönlich aus der Hölle holen. Ans Werk, beeilen wir uns!“

Die beiden Männer verließen die schützende Toreinfahrt. Durch das Gewirr der Gassen huschten sie davon.

Tasuta katkend on lõppenud.

Žanrid ja sildid

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9783954391516
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