Seewölfe - Piraten der Weltmeere 17

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 17
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-200-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

Der Kopf Sir Thomas Doughtys rollte über die Planken der Kuhl. Auf der „Pelican“, dem Flagschiff John Drakes, herrschte entsetztes Schweigen. Noch dröhnten allen die Worte Drakes in den Ohren, die er mit schneidender Stimme allen zugerufen hatte, die Zeuge der Hinrichtung geworden waren.

„Seht, so enden alle Verräter!“

John Doughty, der Bruder des Hingerichteten, schlug die Hände vors Gesicht, als Dan O’Flynn den dahinrollenden Kopf stoppte, an den Haaren packte und dann hochhielt.

Zwar war Dan, der Jüngste aus Hasard Killigrews Crew, leichenblaß, aber seine Augen funkelten. Langsam ging er mit dem abgeschlagenen Haupt zu Carberry hinüber, der als Profos der „Pelican“ das Urteil vollstreckt hatte.

„Da hast du ihn, diesen Bastard, Carberry. Möge er in der Hölle schmoren, dieser Hundesohn hat Hasard und uns allen ständig nach dem Leben getrachtet. Wäre es nach ihm gegangen, dann wären wir alle längst tot, und die große Fahrt hätte nie stattgefunden.“

Carberry, das Narbengesicht mit dem Rammkinn, trat auf Dan zu.

„Gib her, Dan“, sagte er und streckte seine Rechte vor. Als Dan zögerte. während ihm das Blut vor die Füße auf die Decksplanken tropfte, griff er zu. Auf der Stirn Carberrys stand eine steile Falte, seine Lippen bildeten nur noch einen schmalen Strich.

„Laß endlich los, Junge“, sagte er, und seine Stimme klang so rauh und drohend, daß selbst dem vorlauten Bürschchen Dan O’Flynn ein eisiger Schauer über den Rücken rann.

„Was immer dieser Mann getan haben mag, Dan, er hat gesühnt. Der Tod löscht alles aus, du wirst das in deinem Leben noch oft zu spüren kriegen. Ruf jetzt den Segelmacher, er soll den Toten einnähen.“

Als Dan immer noch zögerte, versetzte Carberry ihm einen blitzschnellen Hieb auf die Kehrseite.

„Verdammt noch mal, du sollst den Segelmacher holen. Wird’s bald? Sonst zieh ich dir die Haut von deinem Affenarsch ...“

Das letzte Wort hörte Dan schon nicht mehr. Er hatte sich längst außer Reichweite gebracht, denn er wußte, daß mit Carberry nicht zu spaßen war. Und in diesem Moment, nachdem er gerade einem Mann den Kopf abgeschlagen hatte, schon gar nicht. Denn so brutal Carberry auch rein äußerlich wirken mochte – er haßte es, Seeleute zu bestrafen oder gar Hinrichtungen zu vollziehen. Unter seiner rauhen Schale verbarg sich bei Carberry ein gutes Herz, ein Kerl, der sich in Stücke schießen ließ, wenn es galt, einem Kameraden zu helfen oder ihn herauszuhauen.

Es war völlig unnötig, daß Dan den Segelmacher holte – Patrick Evarts stieg mit seinem Gehilfen bereits die Kuhl hinunter. Die beiden Männer hatten auf Drakes Befehl bereits alles vorbereitet, so daß der Segeltuchsack nur noch am Kopfende zuzunähen war.

Schweigend schoben die beiden Männer den Leichnam Sir Doughtys in den Segeltuchsack, zuletzt den abgetrennten Kopf. Dann nähte Evarts das steife Segeltuch am Kopfende mit großen festen Stichen zu, nachdem sein Gehilfe zuvor noch den notwendigen Ballast in Form einiger Kanonenkugeln hineingetan hatte.

Noch immer standen die Seeleute schweigend an Deck – einige von ihnen, unter ihnen Matt Davies und Smoky, grinsten schadenfroh. Die Gentlemen auf dem Achterkastell hingegen, der Kaplan Francis Fletcher, Kapitän Thomas, der die „Marygold“ befehligte, und Kapitän Winter von der „Elizabeth“, hatten die Hände auf die Reling des Achterkastells gestützt und starrten aus schmalen Augen auf die makabre Szenerie zu ihren Füßen.

Auch John Doughty hatte die Hände wieder vom Gesicht genommen – in seinen Zügen zuckte es unkontrolliert, als der Segelmacher sich schließlich erhob und den nunmehr eingenähten Toten zur Steuerbordreling hinüberschleppte.

Drake, neben dem Hasard Killigrew stand, schritt langsam zum Niedergang hinüber, der vom Achterkastell zur Kuhl hinunterführte. Stufe für Stufe stieg er hinunter, ging über das Deck und blieb neben dem Toten stehen.

Eine Weile blickte er auf das weiße Segeltuch, dann klappte er die Bibel auf, die er in der Rechten gehalten hatte.

„Wir hören aus der Heiligen Schrift, aus den Briefen des Paulus an die Römer vom 13. Kapitel den ersten und den zweiten Vers: Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.

Wer sich nun der Obrigkeit widersetzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.“

Drake richtete sich etwas auf. Der Wind zerrte an seinen braunen Haaren und sang in den Pardunen der „Pelican“, als er abermals die Stimme erhob.

„Und wir hören aus den Römerbriefen aus dem 9. Kapital Vers 15 und 16: Der Herr spricht zu Moses: Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich.

So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“

Drake klappte die Bibel zu und wandte sich ruckartig um. Seine Blicke wanderten über die Seeleute und dann hinauf zu den Gentlemen auf dem Achterkastell.

„Hier wurde ein Mann gerichtet, der schwere Schuld auf sich geladen hatte. Die schwerste, die jemand von uns auf sich laden kann: Verrat an unserem Land, an unserer Sache. Wer das aber tut, der darf nicht bei mir und bei keinem Gericht, daß ich dann einberufe, auf Gnade rechnen. Ich werde auch künftig jedes Vergehen dieser Art auf das Allerstrengste bestrafen.“

Wieder schwieg Drake einen Moment Dann drehte er sich langsam um.

„Sir Thomas Doughty, wir übergeben deinen Leib jetzt der See. Gott sei deiner Seele gnädig!“

Er gab dem Segelmacher und seinem Gehilfen ein Zeichen. Sie schoben den Toten an und ließen ihn über die Reling gleiten. Mit einem dumpfen Klatschen verschwand der Leichnam Sir Thomas Doughtys gleich darauf in dem dunklen Wasser Port St. Julians.

Drake sprach ein kurzes Gebet, dann wandte er sich abermals um und sah die Männer an Bord der „Pelican“ an. Seine Augen begannen zu funkeln.

„Hier auf den Schiffen streiten sich die Seeleute mit den Herren und die Herren mit den Seeleuten derart, daß es mich wild macht, auch nur davon zu hören. Aber, Männer, das muß aufhören, denn ich befehle, daß die Herren mit den Seeleuten und die Seeleute mit den Herren an einem Strang ziehen. Wir müssen als ein einiges Schiffsvolk auftreten!“

Die Stimme Drakes dröhnte über die Decks der „Pelican“, und die Männer starrten ihn aus großen Augen an. Sogar Dan O’Flynn war das Grinsen endgültig vergangen.

„Wenn wir unsere Aufgabe lösen wollen, dann werden wir alle Kraft, die wir haben, dazu brauchen, um weiterzusegeln, um den Stürmen zu trotzen, die auf uns warten. Auf uns alle lauern Gefahren, von denen wir jetzt noch keine Vorstellung haben. Ich verlange von diesem Moment an an Bord aller Schiffe eiserne Disziplin, ich erwarte von jedem einzelnen, daß er seine Pflicht für England tut, solange auch nur noch ein Funken Leben in ihm ist. Ich werde bei keinem, der gegen dieses Gebot verstößt, eine Entschuldigung gelten lassen, Kapitäne und Offiziere sind von diesem Moment an nichts anderes als die ersten Seeleute meiner Schiffe, jeder hat mit dem anderen Hand in Hand zu arbeiten und zuzupacken, wo die Situation das erfordert.“

Drake trat einen Schritt vor und sah die Gentlemen auf dem Achterkastell an.

„Und damit alle begreifen, wie ernst es mir mit dieser Anordnung ist, enthebe ich hier und jetzt alle Offiziere, Kapitäne und alle Ränge ihres Amtes.“

Er sah, wie die Gesichter auf dem Achterkastell erstarrten, wie Zornesröte die Züge Kapitän Thomas’ überzog, wie Kapitän Winter ihn anstarrte, als verstünde er plötzlich die Welt nicht mehr.

Philip Hasard Killigrew hingegen, der Seewolf, grinste. Seine schwarzen Haare flatterten im Wind, während er sich leicht gegen Drake verneigte. Nur der Schiffskaplan an seiner Seite, Francis Fletcher, war totenbleich geworden. Er sah Drake an, seine Lippen zuckten und seine dicken Finger krampften sich um die Bibel, die er mit beiden Händen umfaßt hielt.

„Aber Kapitän“, stotterte er, „Sie selbst haben soeben noch gesagt, daß jede Obrigkeit von Gott ist, niemand kann mich meines Amtes entheben, niemand kann mich so einfach zum Gemeinen degradieren, ich habe mein Amt von ...“

„Schweigen Sie, Fletcher. Gehören Sie zu meiner Besatzun oder nicht? Unterstehen Sie meinem Befehl oder nicht? Wenn ich alle sage, ohne jede Ausnahme, dann sind auch Sie gemeint. Ich warne Sie, Fletcher, ich werde ab sofort keinerlei Widersetzlichkeit mehr dulden, gleichgültig von wem.“

Er trat abermals einen Schritt vor.

„Sie alle sind von diesem Tag an genau das, wofür ich Sie einsetze. Ich ganz allein und niemand, anders. Sie, Mr. Thomas, werden weiterhin die Führung der ‚Marygold‘ übernehmen. Und Sie, Mr. Winter, die der ‚Elizabeth‘. Mr. Killigrew wird weiterhin die Dienste des Piloten der ‚Pelican‘ versehen, gleichzeitig wird er für alle seemännischen Belange dieses Schiffes verantwortlich sein. Mir persönlich und niemand anderem. Carberry fungiert als Profos, als oberster Zuchtmeister des Verbandes. Alle anderen Ränge werden von diesen Herren nach Eignung besetzt – aber ich bin sicher, daß sich da keine nennenswerten Änderungen ergeben werden. Nur: Sollte es notwendig sein, werde ich es jederzeit andern. Und zwar so, wie es die Interessen unseres Unternehmens erfordern.“

Er wandte sich dem Kaplan zu, der immer noch bleich und völlig fassungslos an der Reling des Achterkastells stand.

 

„Auch Sie, Mr. Fletcher, werden weiterhin die geistliche Betreuung der Besatzungen meiner Schiffe besorgen – aber denken Sie bei Römer 13 an den zweiten Vers!“

Francis Fletcher wurde noch bleicher. Er rang die Hände, dann zischelte er etwas, was aber selbst der Seewolf neben ihm nicht verstand. Trotzdem war Hasard sofort klar, wie ernst diese Warnung Drakes gemeint war, denn Fletcher war ein Intrigant, und von dort bis zum Aufwiegler war es nicht mehr weit.

Er grinste Ben Brighton an, der neben ihm stand. Dann wandte er sich dem Kaplan zu.

„Wenn ich Sie wäre, Mr. Fletcher, würde ich diese Warnung des Kapitäns beherzigen. Es ist bestimmt seine allerletzte! Ich hoffe, wir verstehen uns!“

Fletcher zuckte zusammen.

„Mr. Killigrew, wollen Sie damit etwa sagen, daß ich ...“

Der Seewolf unterbrach ihn hart.

„Ja, genau das will ich sagen, und zwar zu Ihrem Besten. Glauben Sie etwa, ich wüßte nicht um ihre Konspiration mit Sir Thomas Doughty? Sie hätten Ihre Gespräche eben nicht führen dürfen, während ich Wache ging! Seien Sie froh, daß Sie mit so heiler Haut davongekommen sind. Ich bin nicht sicher, daß Sie Ihr geistliches Gewand schützen würde!“

Dem Seewolf und Ben Brighton war sofort klargewesen, warum Drake diese ganze Farce der „Amtsenthebungen“ durchgespielt hatte. Er hatte damit seine uneingeschränkte Befehlsgewalt demonstrieren wollen und keinen der Herren auf den gefährlichen Gedanken bringen wollen, ihm irgendwann bei irgendeiner Situation Widerstand leisten zu können und sich dabei etwa darauf zu berufen, daß ihm sein Rang von der Königin von England verliehen worden sei.

An diesem Punkt allerdings stoppte die laute Stimme Drakes die Überlegungen des Seewolfs. Denn Drake hatte inzwischen dem rothaarigen Hünen Ferris Tucker, dem einstigen Schiffszimmermann der „Isabella“, ein Zeichen gegeben.

Hasard sah gerade noch, wie Tukker aufs Vorkastell lief und dabei seine riesige Zimmermannsaxt schwang. Gleich darauf hallten schwere Schläge über das Schiff. Hasard hatte den Eindruck, als würde die ganze „Pelican“ unter den gewaltigen Streichen des Hünen erbeben.

Fragend starrte er Ben Brighton an – aber auch der hob nur die Schultern.

Der Seewolf und Ben Brighton setzten sich in Bewegung. Sie turnten die Stufen zur Kuhl hinunter und bahnten sich einen Weg durch die Seeleute. Dabei schoben sich der Kutscher und Smoky an sie heran.

„Jetzt ist Ferris total übergeschnappt, Hasard!“ flüsterte der Kutscher mit beschwörender Stimme. Gleichzeitig warf er einen scheuen Blick zu den Rauchwolken hinüber, die auch an diesem Tag über den Bergen jenseits der Bucht standen und nichts Gutes verhießen. Denn dort – so wußten sie, hausten die Patagonier. Wilde, in graues Leder gekleidete Gestalten, die ihren Feinden die Köpfe mit ihren Steinbeilen zerschmetterten.

„Ferris zerschlägt die Galionsfigur, Hasard“, flüsterte der Kutscher erregt. „Das ist ein Frevel, das bringt Unglück über das Schiff. Ich weiß gar nicht, was ...“

Dan zwängte sich zwischen ihn und den Seewolf. Und im nächsten Augenblick hatte er sich auch schon vorbeigedrängelt und starrte Sekunden später ebenfalls fassungslos auf den wie ein Irrsinniger wütenden Ferris Tucker, unter dessen Hieben der Pelikan am Bug des Schiffes zersplitterte.

„He, Ferris!“ rief das Bürschchen mit sich überschlagender Stimme. „Du rothaariger Affe bist wohl total übergeschnappt, wie kommst du dreimal vom Teufel besessener Hammel dazu, unser Schiff in Grund und Boden zu ruinieren?“

In diesem Momant spaltete die Axt des Hünen mit einem letzten gewaltigen Streich die Galionsfigur entgültig mitten durch. Ein weiterer Hieb, und die beiden Hälften klatschten ins Wasser. Dann richtete sich Ferris Tucker auf. Mit einem blitzschnellen Griff packte er Dan und schwang ihn über die Brüstung des Vorkastells über die dunkle Wasserfläche hinaus. Er hielt Dan dabei nur mit dem linken Arm fest, und Dan zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen und schäumte vor Wut.

„Wenn du abgebrochener Riese mich noch einmal einen rothaarigen Affen nennst, denn gerbe ich dir das Fell, bis deine schwarze Seele wieder makellos weiß geworden ist und du endgültig vergessen hast, daß du das vorlauteste Bürschchen bist, das je auf einem Schiff Ihrer Majestät vor dem Mast gefahren ist. So, und jetzt kühl deine Wut mal ein wenig ab!“

Ferris Tucker ließ den zappelnden und tobenden Dan einfach los. Er klatschte in das eiskalte Wasser der Bucht, und über ihm erdröhnte Gelächter von rauhen Seemannskehlen.

Hasard grinste. Er wußte, wie sehr gerade Ferris Tucker das Bürschchen ins Herz geschlossen hatte, aber diese Zurechtweisung war schon längst fällig gewesen.

Ferris Tucker richtete sich zu seiner vollen, imponierenden Größe auf. Dann warf er Drake einen fragenden Blick zu, und der nickte.

Wie der Blitz verschwand der Hüne vom Achterkastell und tauchte ins Innere der „Pelican“ hinab.

Nur Augenblicke später tauchte er wieder auf. Genau in dem Moment, als Dan zornbebend und zähneklappernd wieder an Deck enterte. Ferris Tucker registrierte eben noch, daß Dan ihn anstarrte wie eine Erscheinung. Dann war er auch schon vorbei – und mit sich schleppte er eine in goldene Farbe weithin leuchtende Hirschkuh, die er auf Anordnung von Drake in vielen Stunden mühsamer Arbeit heimlich und in aller Stille unter Deck geschnitzt hatte.

Die Männer auf der Pelican rissen die Augen auf, während der Schiffszimmermann die goldene Hirschkuh auf dem Vorderkastell abstellte.

In diesem Moment betrat auch Drake das Vorderkastell. Sofort verstummten die Stimmen der Männer, und auch auf dem Hauptdeck unterhalb des Vorderkastells drängten sich die Seeleute. Viele enterten in die Takelage auf – keiner wollte sich das entgehen lassen, was nun geschehen würde.

Drake trat zu Ferris Tucker und legte seine beiden Hände auf die goldene Hirschkuh, die der Riese zwischen seinen Pranken hielt.

„Hiermit taufe ich unser Schiff, die einstige ‚Pelican‘ auf den Namen ‚Golden Hind‘. Möge der ‚Golden Hind‘ Glück beschieden sein in allen Stürmen und in allen Gefahren. Möge die goldene Hirschkuh unser Schiff zu dem Goldland jenseits des Atlantik führen, möge diese neue Galionsfigur, die zugleich das Wappentier eines der tapfersten Männer unseres Landes ist, der zudem noch in der Gunst unserer Königin steht, England und der Krone zu Ruhm und Ehre gereichen. Und möge der neue Name unseres Schiffes, ‚Golden Hind‘, für jeden von uns neue, unwiderrufliche Verpflichtung sein, für England und unsere Königin das Letzte, und wenn es sein muß, auch das eigene Leben mit Freuden dahinzugeben.“

Er sah den hünenhaften Ferris Tucker an.

„Schiffszimmermann, walten Sie Ihres Amtes!“

Ferris Tucker riß die goldene Hirschkuh vom Deck hoch, und Ben Brighton und Hasard packten mit zu. Dann bolzte er sie mit wuchtigen Schlägen unter dem Jubel der Männer am Schiffsbug fest.

Drake trat zu Carberry.

„Profos – Rum für alle. Aber ich will kein sinnloses Besaufnis, verstanden?“

Carberry grinste über beide Bakken, die Narben seines Gesichtes begannen zu tanzen.

„Aye, aye, Sir! Ich werde jedem, der besoffen an Deck liegenbleibt, eigenhändig die Haut von seinem Affen ... ich meine, äh, Sir, eben abziehen.“

Carberry sah, wie ein Lächeln über die Züge Drakes huschte. Er berührte den Profos mit seiner Rechten leicht am Arm.

„Recht so, Profos. Andernfalls müßte ich Ihnen die Haut von Ihrem Affen ... äh, ich meine, Ihnen die Haut eben persönlich abziehen. Verstanden?“

Drake ließ den verblüfften Carberry einfach stehen. Dann enterte er zum Achterkastell auf und bat die Herren zu einer Besprechung in seine Kammer.

2.

Kapitän Drake blickte von der Karte, die auf dem schweren Eichentisch in der Kapitänskammer ausgebreitet lag, hoch. Aus seinen braunen Augen sah er die Kapitäne seiner drei Schiffe an.

„Meine Herren, wir sollten uns keinerlei Täuschungen hingeben. Uns steht eine höllische Reise bevor. Obwohl Magellan die nach ihm benannte Straße durchsegelte, bevor er auf der Mactan-Insel im Kampf gegen die Eingeborenen den Tod fand, wissen wir über die Magellanstraße nur wenig. An ihrem Ende soll der sagenumwobene Kontinent Terra Australis liegen, den aber bisher keines Menschenauge je erblickte. Niemand von uns weiß, was uns dort erwartet. In der Magellanstraße selbst haben wir gegen heftige Gezeitenströmungen zu kämpfen, plötzliche Stürme werden unser ganzes Können erfordern, scharfe Klippen und Sandbänke werden eine ständige Bedrohung für unsere Schiffe sein. Von allen anderen Gefahren, die uns möglicherweise begegnen werden, ganz zu schweigen.“

Drake sah den Seewolf an, der vor einem der achterlichen Fenster der Kammer stand, die Arme über der Brust gekreuzt.

„Sie, Mr. Killigrew, werden neben Ihren seemännischen Pflichten bei der Durchfahrt der Magellanstraße und auf der gesamten weiteren Reise zusammen mit Senor Silva als Lotse und Pfadfinder fungieren. Die ‚Golden Hind‘ wird den beiden anderen Schiffen stets voraussegeln. Sie also tragen für unseren Verband die volle Verantwortung. Sie erhalten von mir jede nur erdenkliche Unterstützung. Suchen Sie sich für Ihre schwere Aufgabe aus den Besatzungen die Männer, die Ihnen am geeignetsten erscheinen. Aber ich nehme an, daß Sie auf Ihre alte Isabella-Crew zurückgreifen werden?“

Der Seewolf nickte. Er wußte, daß er keine besseren Männer finden konnte. Ganz davon abgesehen konnte er sich auf jeden einzelnen Mann seiner Crew hundertprozentig verlassen.

„Gut“, fuhr Drake fort, „das wäre geklärt. Ab sofort wird auf allen Schiffen mit einer gründlichen Überholung begonnen, mit genauer Durchsicht der Takelage, des Rumpfes, der Geschütze, einer strengen Überprüfung der Handfeuerwaffen. Das ist eine Menge Arbeit – sorgen Sie dafür, meine Herren, daß unverzüglich begonnen wird. Und richten Sie sich mit Ihrer Arbeit so ein, daß Sie auf allen Schiffen bis spätestens morgen früh fertig sind. Beim ersten günstigen Wind nach diesem Termin geht unser Verband ankerauf, Kurs Süd. Meine Herren, ich danke Ihnen!“

Die Gentlemen erhoben sich, soweit sie am langen Konferenztisch der Kapitänskammer Platz genommen hatten. Kapitän Thomas und Kapitän Winter eilten an Deck, um an Bord ihrer Schiffe zurückzukehren. Der portugiesische Lotse, Nuno da Silva, ein dünner, schwarzhaariger Mann mit Knebelbart und stechenden schwarzen Augen ging ebenfalls an Deck der „Golden Hind“. Lediglich Hasard blieb noch mit gekreuzten Armen am Fenster stehen.

Drake warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Was gibt es, Killigrew?“ fragte er schließlich, und ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um seine Lippen.

„Sir, Sie sollten darauf achten, daß John Doughty sich grundsätzlich am Bord der ‚Golden Hind‘ befindet. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn er nicht Arges gegen Sie ausbrütet. Desgleichen sollten Sie ein wachsames Auge auf den Kaplan behalten. Diese beiden Männer stecken mir zu oft die Köpfe zusammen, und intrigant sind sie beide.“

Der Seewolf machte eine Pause, seine eisblauen Augen funkelten.

„Ich habe ein paar meiner Männer beauftragt, die beiden nicht aus den Augen zu lassen. Unter anderem Ben Brighton, der als mein Bootsmann fast immer an Bord der ‚Golden Hind‘ sein wird. Das war das eine, was ich Ihnen sagen wollte, Sir. Das andere, das ich absichtlich nicht vorhin während der Besprechung erwähnt habe, betrifft die ‚Marygold‘.“

Drake hob unwillkürlich die Augenbrauen.

„Wollen Sie etwa andeuten, daß John Thomas sich ebenfalls an Konspirationen gegen mich beteiligt hat?“

Drake trat unwillkürlich auf Hasard zu. Doch der schüttelte den Kopf.

„Nein, um Himmels willen, nein!“ wehrte er ab. „John Thomas – der würde sich eher in Stücke schlagen lassen, als auch nur einen einzigen Finger gegen Sie zu erheben, Sir. Nein – es betrifft sein Schiff. Die ‚Marygold‘ befindet sich in einem schlechten Zustand. Sie hat zu viele Schäden erlitten, die sich hier in der Bucht nicht ausreichend beheben lassen. Hinzu kommt, daß dieses Schiff zwar von einem hervorragenden Kapitän gesegelt wird, aber die Besatzung von John Thomas ist nicht mit der unseren zu vergleichen. Um es ganz klipp und klar auszusprechen, Sir: Ich weiß nicht, ob die ‚Marygold‘ den Anforderungen der bevorstehenden Reise noch gewachsen ist.“

Drake stand nur knapp zwei Schritte vor dem Seewolf. Er sah den nochgewachsenen Mann mit den schwarzen Haaren, dem braungebrannten und von Wind und Wetter gegerbten Gesicht aufmerksam an. Er wußte ganz genau, daß gerade der Seewolf eine solche Behauptung niemals aufstellen würde, wenn er sich nicht zuvor genau von ihrer Richtigkeit überzeugt hätte. Und darum war das für Drake eine üble, eine schlimme Nachricht, nachdem sein Verband bereits auf drei Schiffe zusammengeschmolzen war.

 

„Haben Sie mit Thomas darüber gesprochen, Mr. Killigrew?“ fragte er schließlich.

Hasard nickte.

„Thomas ist über den Zustand der ‚Marygold‘ völlig im Bilde. Er tut, was er kann. Aber er würde sich eher die Zunge abbeißen, als Ihnen etwas zu sagen.“

Drake nickte nachdenklich.

„Sei es, wie es sei“, sagte er dann leise. „Ich kann die ‚Marygold‘ weder hier zurücklassen noch nach England schicken. Ich kann die ‚Marygold‘ und einen Mann wie John Thomas nicht entbehren. Aber ich werde darüber nachdenken, ob wir nicht nach der Durchsegelung der Magellanstraße an einem geeigneten Platz versuchen sollten, die ‚Marygold‘ einer gründlichen Überholung zu unterziehen. Die Durchsegelung der Magellanstraße jetzt abermals zu verschieben, daß hieße dem Aberglauben der Mannschaften neue Nahrung zu geben, den Miesmachern und Schwarzsehern unter den Leuten Wasser auf ihre Mühlen zu gießen. Das hieße auch Leuten wie John Doughty den Boden für ihre Intrigen zu bereiten. Nein – es bleibt bei meinem Entschluß: Wir segeln von morgen früh an gerechnet beim ersten günstigen Wind. Aber es war gut, daß Sie mich informiert haben.“

Der Seewolf sah Drake einen Moment an. Drake hatte recht – sie mußten segeln, mußten Port St. Julian verlassen, und zwar so schnell wie möglich. Diese Bucht war bestimmt kein guter Platz. Zuviel hatte sich hier ereignet. Vor achtundfünfzig Jahren hatte Magellan hier eine Meuterei blutig niedergeschlagen und die Meuterer an einem weithin sichtbaren Galgen am Strand der Bucht unverzüglich hängen lassen. Bei ihrer Landung hatten Hasard und seine Männer die Schädel der Toten und Überreste des Galgens vorgefunden. Dann der überraschende Angriff der Patagonier, die plötzlich hinter den Felsen hervorgestürmt waren. Und schließlich das Bordgericht und die Hinrichtung Sir Doughtys – nein, es wurde wirklich Zeit, daß den Besatzungen der Schiffe wieder ein ordentlicher Wind um die Ohren blies.

Der Seewolf nickte Drake zu, dann verließ er die Kammer und befand sich wenige Augenblicke später schon an Deck. Er sah, wie die beiden Boote, mit denen Kapitän Thomas und Kapitän Winter längsseits gegangen waren, zur „Marygold“ und zur „Elizabeth“ zurückgepullt wurden. Sein Blick wanderte zur Kuhl, auch dort waren inzwischen die letzten Blutflecken beseitigt worden. Wie von Drake angeordnet, wurde an die Seeleute Rum ausgegeben. Hasard beschloß, ihnen die Zeit zum Trinken zu lassen, aber danach würde er sie durch Ben Brighton und Carberry gehörig anlüften lassen. Denn die Zeit drängte.

Hasard stieg zum Achterkastell empor. Dort stieß er auf Francis Fletcher, den Kaplan, und John Doughty, den Bruder des Hingerichteten. Sofort verstummte das Gespräch der beiden.

Hasard bedachte sie mit einem scharfen Blick, unter dem besonders der Kaplan zusammenzuckte. Sein gerötetes, rundes Gesicht verfärbte sich, als der Seewolf untermittelbar vor ihm stehenblieb.

„Sie haben es vorhin gehört – meine Herren. Ich bin dem Kapitän für das Schiff verantwortlich. Nachdem Sie – wie ich hoffe – eine angenehme und fruchtbare Unterhaltung miteinander hatten, teile ich Sie beide ab sofort mit zu den Überholungsarbeiten an Bord ein. Sie werden sich bei Ferris Tucker, dem Schiffszimmermann, melden. Die Geschütze müssen überprüft und festgenagelt werden. Mißverstehen Sie mich nicht, meine Herren, Sie werden diese Arbeit ausnahmsweise übernehmen, weil jede Hand an Bord gebraucht wird. Aber wahrscheinlich wird dieser Ausnahmezustand – was das Zupacken eines jeden ohne jede Rücksicht auf seine Herkunft und Stellung betrifft – für die ganze restliche Dauer der Reise gelten. Sie befinden sich auf einem Schiff Ihrer Majestät, der Königin von England, und es wird allerhöchste Zeit, daß Sie mit diesem Schiff vertraut werden. Auch Sie, Mr. Fletcher, werden der Mannschaft gewiß einen sehr viel besseren geistlichen Beistand geben können, wenn Sie die Sorgen und Nöte der Männer an der Quelle kennenlernen.“

John Doughty war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. Sein eben noch kreidebleiches Gesicht rötete sich vor Zorn.

„Mr. Killigrew – ich werde den Teufel tun!“ zischte er. „Ich gehöre zu den Gentlemen dieses Schiffes. Mein Ansehen und meine Stellung würden untergraben, würde ich derartig gewöhnliche Arbeit verrichten. Ich werde mich bei Mr. Drake über Sie beschweren, Mr. Killigrew, ich werde ...“

Mit einem Schritt war der Seewolf bei ihm und packte ihn am Arm.

„Sie können sich beschweren, Mr. Doughty. Wenn Sie meinen Befehl ausgeführt haben. Und ich rate Ihnen dringend, sich die Ansprache des Kapitäns ins Gedächtnis zu rufen. Er hat da etwas gesagt, was die Zusammenarbeit der Herren und der Seeleute betrifft. Ich, Mr. Doughty, nehme solche Äußerungen des Kapitäns wörtlich. Ab jetzt mit Ihnen aufs Hauptdeck. Der Schiffszimmermann wartet, verstanden?“

Er versetzte John Doughty einen Stoß, der ihn über das Achterkastell in Richtung Niedergang katapultierte.

„Und jetzt zu Ihnen, Mr. Fletcher. Haben auch Sie irgendwelche Einwände gegen meine Anordnungen?“

Fletcher hob die Arme und streckte dem Seewolf die Innenflächen seiner Hände entgegen.

„Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch auf die Übeltäter. Denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken!“ murmelte er und zog sich in Richtung Niedergang zurück. „Aus dem 37. Psalm, Mr. Killigrew. Vers eins und zwei!“ Und damit verschwand er.

Der Seewolf starrte ihm nach. Aber dann huschte ein Grinsen über seine Züge. Dieser Fletcher war ein gerissener Bursche. Und verdammt noch mal, er verstand es meisterhaft, einem seine Bibelsprüche um die Ohren zu schlagen! Trotzdem würde er auf diesen Mann ein wachsames Auge haben, das nahm sich der Seewolf fest vor. Fletcher war bestimmt kein Held – im Gegenteil. Aber er war gerissen, intelligent, eine schillernde Persönlichkeit, deren Einfluß an Bord nicht unterschätzt werden durfte.

Hasard trat an die Brüstung des Achterkastells Seine Blicke suchten das Hauptdeck nach Ben Brighton ab. Dann hatte er ihn entdeckt.

„Ben!“ brüllte er mit Stentorstimme, und sofort wandte Ben Brighton ihm sein grinsendes Gesicht zu. Er hatte soeben einen kräftigen Schluck aus der Rumbuddel genommen, die auf Anordnung von Drake unter den Männern die Runde machte.

Er winkte ihn zu sich herauf, und Ben Brighton enterte wie der Blitz die paar Stufen zum Achterkastell empor. Dann erteilte ihm der Seewolf die notwendigen Befehle.

Ben Brighton leckte sich die Lippen.

„Und die beiden Figuren da auf dem Hauptdeck, Hasard, was haben die zu bedeuten?“ Er wies auf Doughty und Fletcher.

Hasard erklärte es ihm. Ben Brighton wiegte den Kopf.

„Hm.“ Sein Gesicht war ernst geworden. „Du gibst die Befehle. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich ein guter Einfall war. Du hast die beiden tödlich beleidigt. Aber andererseits – ein wenig Arbeit kann den beiden auch nicht schaden. Nun gut, ich werde dafür sorgen, daß Ferris die beiden in Trab bringt.“

Dann grinste er plötzlich.

„Vielleicht hätte diese Kur bei Sir Doughty auch geholfen. Vielleicht war deine Idee doch ganz gut. Wenn dieser Kerl, statt seine Intrigen zu spinnen, gearbeitet hätte, dann säße ihm der Kopf wahrscheinlich noch recht fest auf den Schultern. Könnte es sein, daß du diesen Doughty vor sich selber schützen willst?“

Hasard starrte seinen Bootsmann an. Von dieser Warte aus hatte er die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Aber er ließ es sich nicht merken.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?