Seewölfe - Piraten der Weltmeere 26

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 26
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-260-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

Philip Hasard Killigrew spürte die Spannung fast körperlich, die bei den Männern seiner Crew herrschte. Die meisten zuckten zusammen, als der schwere Stockanker am Bug der Zweimast-Galeone ins Wasser klatschte. Der Laut hatte etwas Endgültiges an sich.

Dem Seewolf selbst war auch nicht recht wohl in seiner Haut, aber er versuchte, das Gefühl mit einem verwegenen Lächeln zu überspielen.

Sein Blick glitt über die weite Bucht, in der mehr als zwei Dutzend, Galeonen aller Größen vor Anker lagen. Die grelle Nachmittagssonne beschien die roten Dächer der großen, befestigten Stadt, die die Bucht beherrschte, und ließ sie glänzen wie pures Gold.

Panama.

Der Goldene Becher. So wurde diese Perle der Spanischen Krone genannt.

Dieser Becher nahm sie auf, die unermeßlichen Schätze Mexicos, Perus und Chiles. Das Silber der Azteken und Mayas, das Gold der Inkas und die Perlen von den Ufern Dariens.

Der Seewolf war sich darüber im klaren, welch gefährliches Spiel er trieb, indem er hier in der Bucht von Panama seinen Anker zu Wasser rauschen ließ. Der Anblick der tiefliegenden Galeonen schien ihm jedes Risiko wert, aber was nutzten ihnen alle Schätze dieser Welt, wenn er und seine Männer im Würgeeisen der Spanier starben?

Der Seewolf verdrängte die Gedanken an die Gefahr. Sie fuhren in diesen Gewässern, um dem Feind Schaden zuzufügen und gleichzeitig reiche Beute zu erkämpfen. Er wußte, daß das Risiko kleiner war, als die Männer der „Isabella“ annahmen.

Am verschnörkelten Heck der kleinen Galeone prangte in Goldbuchstaben der alte Name „Valparaiso“. Na also. Sie waren ein spanisches Schiff aus dem chilenischen Hafen Valparaiso. Mit dem Seewolf, Ben Brighton, Karl von Hutten und dem Franzosen Jean Ribault hatten sie vier Männer an Bord, die fließend Spanisch sprachen.

Wer sollte schon Verdacht schöpfen?

Sicher war die Nachricht, daß der gefürchtete El Draque plündernd an der Westküste der Neuen Welt nach Norden segelte, auch schon bis Panama gelangt, aber was konnte der verfluchte Engländer einer Stadt wie Panama schon antun?

Die Beherrscher Panamas waren nicht mehr die grausamen und gierigen Eroberer der ersten Jahre. Die fettleibigen Kaufleute, die sich ihre Taschen mit dem Gold der alten Völker vollstopften, schwangen jetzt das Zepter. Sie hatten die Stadt zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut. Dabei hatte ihnen die geographische Lage Panamas geholfen. Auf der Ostseite lag ein riesiges Sumpfgebiet, das als undurchdringlich galt. Der einzige Pfad hinüber an die Karibische See führte über schmale Pässe, die von wenigen Soldaten gehalten werden konnten. Auf der Westseite schützte sie das Meer – und auf diesem Meer fuhren keine feindlichen Schiffe.

Der Seewolf hatte die Ahnungslosigkeit der Spanier mit einkalkuliert. Wer würde schon beim Anblick seiner kleinen Galeone, die den Namen „Valparaiso“ führte, auf den Gedanken verfallen, ein Feind hätte sich wie ein Wolf zwischen die Schafsherde geschlichen?

Die Männer in der Kuhl teilten Hasards Optimismus nicht. Nur wenige Männer befanden sich an Deck. Unter der Back saßen der Kutscher, Batuti und Smoky. Am Spillgang standen Blacky, Sam Roskill und Karl von Hutten, der sich seine Haare dunkel gefärbt hatte und die Befehle weitergeben sollte, falls Hasard oder Ben Brighton den Männern in der Kuhl Anweisungen geben mußten, während ein Spanier an Bord der „Isabella“ war.

Gardon Watts, der dürre, verschlagene Engländer, lehnte an der einen Steuerbordkanone und starrte zur Stadt hinüber.

Hasard beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Er wußte nicht, woran es lag, aber er traute dem Mann nicht über den Weg. Wenn er eine Gefahr bei diesem gewaltigen Unternehmen sah, so nicht bei den Spaniern, sondern bei diesem undurchschaubaren kleinen Mann, dem Hasard ohne weiteres zutraute, daß er sie für ein paar Silberlinge an die Spanier verriet.

Hasard hätte Watts am liebsten zu den anderen unter Deck geschickt, aber er hatte nun mal befohlen, daß sich die Dunkelhaarigen an Deck zeigen sollten. Er konnte schlecht Watts davon ausschließen, ohne dessen und das Mißtrauen der anderen Männer zu erwecken.

Neben Hasard stand Ben Brighton. Er trug eine Perücke über seinem dunkelblonden Haar.

Der Franzose Jean Ribault stand ihnen gegenüber an der Backbordreling und starrte zur Stadt hinüber, wo sich eine Schaluppe von der Hafenmauer gelöst hatte und auf die „Valparaiso“ zugepullt wurde.

Ein leiser Pfiff schallte vom Großmars herunter. Das pfiffige Gesicht von Dan O’Flynn erschien über dem Rand des Mars.

Hasard blickte hoch.

„Was ist los, Arwenack?“ rief er. „Ach, du bist’s, Dan! Ich hab dich im ersten Moment gar nicht erkannt.“

Das Bürschchen fluchte unterdrückt. Er wagte nicht, laut zum Deck zu rufen. Er wies zur Stadt hinüber, und nun sah auch Hasard die Schaluppe.

Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander und fuhr nervös mit dem Zeigefinger der rechten Hand unter die Perücke.

„Deine verdammten Einfälle“, murmelte er. „Kannst du nicht wie jeder vernünftige Korsar ein Schiff auf See überfallen? Immer muß es etwas Besonderes sein, sonst bist du nicht zufrieden.“

Der Seewolf grinste verwegen.

„Kannst du mir sagen, wie du draußen auf See so viele vollgestopfte Schiffe auf einem Haufen finden willst?“ erwiderte er. „Hier brauchen wir nicht lange zu suchen. Wir schnappen uns die dicksten Fische und segeln einfach davon, wenn wir genug haben.“

Ben Brighton stöhnte.

„Das hört sich an, als würdest du in Nachbars Garten Äpfel klauen wollen“ sagte er.

„Du kannst mir glauben, daß ich dabei damals mehr Angst hatte als heute.“ Hasard wandte sich von Ben ab und gab Karl von Hutten einen Wink, daß die Männer in der Kuhl sich auf den Besuch der Spanier vorbereiten sollten. Die Kanonen und Drehbassen der „Isabella“ waren geladen. Die Galeone des Seewolfs war praktisch gefechtsbereit. Man konnte schließlich nicht wissen, ob nicht gerade der Hafenkommandant von Panama ein außergewöhnlich schlauer Fuchs war.

Als der Bug der Schaluppe mit einem dumpfen Laut gegen den Rumpf der „Isabella“ stieß, wußte der Seewolf, daß sie von dem Hafenkommandanten nichts zu befürchten hatten. Er kannte diesen Typ zur Genüge. Ein pomadiger, fetter Kerl, der nach oben buckelte und nach unten trat.

Die grobporige Haut des Spaniers war von der Anstrengung gerötet, als er über das Schanzkleid an Deck stieg. Die Hängebacken und das Doppelkinn wabbelten im Gleichklang.

Ben Brightons Mundwinkel zogen sich nach oben. Er stand abwartend an der Quarterdeckgalerie und beobachtete, wie der Seewolf den Spanier begrüßte und mit einer Handbewegung zur Kapitänskammer geleitete.

Ben Brighton begrüßte den Begleiter des Hafenkommandanten, einen blaßgesichtigen, dürren Jungen, der als Schreiber fungierte, mit einem leichten Kopfnicken. Sie folgten dem Hafenkommandanten und dem Seewolf, der angeregt mit dem fetten Spanier plauderte. Hinter sich hörte Hasard Ben Brighton etwas zu dem dürren Jungen sagen. Bens Stimme zitterte etwas, aber das nahm nur Hasard wahr. Er lächelte. Er wußte, daß Ben Situationen wie diese haßte. Lieber hing er mit einem Entermesser quer im Mund an einer Brasse und ließ sich zu einem feindlichen Schiff hinüberschwingen.

„Wir haben keinerlei Botschaft erhalten, daß Sie mit Ihrem Schiff auf dem Weg nach Panama sind, Senor“, sagte der Hafenkommandant mit quengeliger Stimme. „Wer sind Sie, und welche Fracht bringt Ihr Schiff nach Panama?“

Hasard verbeugte sich leicht. Ben Brighton sah, wie es in Hasards Augen aufblitzte. Wahrscheinlich trieb das überhebliche Auftreten des Hafenkommandanten die Galle in Hasard hoch. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich, ohne dem Spanier einen Stuhl anzubieten.

„Sie konnten auch keine Benachrichtigung erhalten, Senor“, sagte Hasard scharf. „Denn die ‚Valparaiso‘ ist mit einem geheimen Auftrag des Gouverneurs von Chile unterwegs.“

Der Mund des fetten Spaniers öffnete und schloß sich wie der eines Frosches. Auf eine Handbewegung von Hasard hin ließ er sich auf den Stuhl fallen, der vor dem Schreibtisch stand.

Hasard öffnete die Schublade des Schreibtisches und holte ein Papier heraus, das er dem Hafenkommandanten reichte.

„Mein Name ist Diaz de Veloso“, sagte er. „Sie sehen anhand des Dokumentes, daß die ‚Valparaiso‘ im Geheimauftrag des Gouverneurs von Chile ein englisches Kaperschiff jagt, das im Südmeer gesichtet wurde.“

„El Draque?“ flüsterte der Spanier.

Der Seewolf hob die Schultern.

„Ich halte das für ein Gerücht“, sagte er und versuchte den blasierten Gesichtsausdruck eines spanischen Adligen nachzuahmen, was ihm blendend gelang, wie Ben Brighton erstaunt feststellen mußte. „Falls es dieser Drake sein sollte, so müßte er mit seinem Schiff die Magalhäes-Straße durchfahren haben. Trauen Sie das einem Engländer zu?“

„Nie!“ antwortete der fette Spanier voller Überzeugung.

„Ich nehme vielmehr an, daß es sich um Piraten handelt, die auf dem Landwege an diese Küste gelangt sind und sich irgendwo ein Schiff besorgten. Damit sind sie dann die Küste hinuntergefahren und haben unsere Schatzschiffe geplündert. Sie stießen nirgends auf großen Widerstand, weil kein Kapitän damit rechnete, in diesem Meer einem Feind zu begegnen.“

Der fette Spanier nickte heftig.

„So wird es sein, Captain de Veloso“, sagte er schnaufend.

 

„Darf ich Ihren Namen auch erfahren?“ fragte Hasard mit hochgezogenen Brauen.

Der fette Spanier blickte Havard von unten herauf an, als ob es ein Sakrileg sei, seinen Namen nicht zu kennen.

„Ich bin Alfonso de Roja, Hafenkommandant Seiner Majestät edler und höchst treuer Stadt Panama.“ Er sagte es, als deklamiere er die Ode eines großen römischen Dichters.

Der Seewolf ließ sich nicht beeindrucken. Er nahm dem Hafenkommandant das Dokument aus der Hand, das er im Schreibtisch seines spanischen Vorgängers gefunden hatte und auf dem sich sein ganzer Plan aufbaute, und stopfte es zurück in die Schublade.

„Es ist zwar völlig unwahrscheinlich, daß es sich um El Draque handelt, den wir jagen, aber ganz auszuschließen ist es nicht“, sagte Hasard.

De Roja zuckte regelrecht zusammen.

„Besteht die Gefahr, daß er Panama angreift?“ fragte er erschrocken, und seine Fettpolster im Gesicht begannen vor Aufregung zu wabbeln.

„Wer weiß“, sagte Hasard. „Wir haben nur erfahren, daß er nach Norden segelt. Wir werden in den nächsten Tagen vor dieser Bucht kreuzen und einen Angriff zu verhindern wissen, falls ein solcher geplant ist. Außerdem haben wir die Aufgabe, die Silbergaleone ‚Nuestra Senora de la Conceptión‘ vor einem Angriff zu schützen. Leider haben wir sie nicht mehr einholen können. Liegt sie vielleicht schon hier in der Bucht vor Anker?“

Ben Brighton hielt den Atem an. Er sah, wie die anfängliche Vorsicht aus Hasards Gesicht gewichen war. Nun wurde er frech. Er wußte, daß die Silbergaleone niemals Panama mit ihrer Silberladung anlaufen würde. Sie war nach der Kaperung durch die „Golden Hind“ und die „Isabella“ geradewegs auf die Küste von Peru zugelaufen. Wußte de Roja vielleicht schon von dem Überfall?

Zum Glück war die Kunde noch nicht bis Panama gedrungen.

De Roja saß bleich und zitternd vor dem Schreibtisch.

„Die ‚Cacafuego‘ ist schon seit einer Woche überfällig“, sagte er tonlos. „Sie glauben doch nicht, daß ...“

Hasard hob die Schultern und blickte de Roja ernst an.

„Es ist natürlich möglich, daß Capitan Don Juan de Anton durch den fürchterlichen Sturm, in den auch wir geraten sind, weit hinaus aufs Meer getrieben wurde“, sagte er.

De Roja nickte hastig. Er war froh, daß er eine Erklärung für die Verspätung des Silberschiffes gefunden hatte.

„Im letzten Jahr war sie auch eine Woche zu spät“, sagte er beruhigt. „Don Juan läßt sich immer Zeit, aber bisher hat er Panama noch immer unversehrt erreicht“

„Ich glaube auch nicht, daß wir uns um ihn zu sorgen brauchen“, sagte Hasard. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Engländer den ‚Feuerkacker‘ mit ihrem kleinen Schiff angreifen werden. Don Juan würde sie mit seinen Kanonen auf den Grund des Meeres schicken.“

De Roja wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Er lächelte den Seewolf an.

„Ich bin froh, Sie in Panama zu wissen, Capitan de Veloso“, sagte er. „Sie haben selbstverständlich die Erlaubnis, in den Hafen einzulaufen, wann Sie wollen. Ich werde dafür sorgen, daß Trinkwasser, Proviant und Munition jederzeit für Sie bereit stehen. Haben Sie Papier und Tinte zur Hand? Ich werde Ihnen einen Revers ausschreiben, in dem ich Ihnen alles bestätige. Leider bin ich nicht immer zugegen, und meine Leute haben Anweisung, sehr streng zu sein. Mit dem Revers werden Sie überall Unterstützung finden.“

Der Seewolf erhob sich und verbeugte sich vor dem Hafenkommandanten, nachdem dieser den Revers verfaßt hatte und ihn über den Schreibtisch reichte.

„Ich bin Ihnen für Ihre Unterstützung Dank schuldig, Senor de Roja“, sagte er.

„Ich werde dem Gouverneur von Chile berichten, wie zuvorkommend Sie seine Untergebenen behandelt haben.“

De Rojas schweißglänzendes Gesicht rötete sich vor Freude. Fast hätte er Ben Brighton mit seinem dicken Hintern umgestoßen, als er sich rückwärts zur niedrigen Tür bewegte.

Hasard begleitete den ehrenwerten Don Alfonso bis zum Schanzkleid, das er schnaufend überstieg, um wieder in seine Schaluppe zu gelangen. Nicht einen einzigen Moment las Hasard so etwas wie Mißtrauen in den Augen des schwitzenden Spaniers. Er hatte die Geschichte mit dem Geheimauftrag geschluckt wie ein Fisch den Köder. Nur Don Alfonso de Roja merkte nicht, daß er schon am Angelhaken hing.

2.

Der Seewolf wartete, bis de Rojas Schaluppe hinter einer anderen Galeone verschwand, die querab etwa zwei Kabellängen von der „Isabella“ entfernt lag.

Er bemerkte die Blicke seiner Männer, sah das Glitzern in ihren Augen und wußte, daß sie ihn für seinen tollkühnen Plan bewunderten. Er selbst fühlte sich nicht gerade als großartiger Held, hatten ihn doch die Zweifel, ob er mit dem Besuch des feindlichen Hafens Panama nicht einen tödlichen Fehler beging, nie verlassen.

Jetzt schien alles ausgestanden. Sie hatten einen Revers des Hafenkommandanten, der ihnen einen uneingeschränkten Handlungsspielraum gab.

Der Seewolf hörte leise Schritte. Der Franzose trat auf ihn zu. Er schien der einzige zu sein, der nicht vor Ehrfurcht und Bewunderung erstarrte.

„Und nun?“ fragte er. „Wir sitzen mitten im Goldenen Becher. Mich würde interessieren, was du jetzt planst. Wenn wir eine der ankernden Galeonen angreifen, haben uns die anderen zusammengeschossen, bevor wir auch nur einen Goldbarren auf die ‚Isabella‘ herüberschaffen können.“

„Laß dir etwas einfallen“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Inzwischen instruiere Tucker und Garberry, daß am Abend alle Mann für eine Aktion bereit sein sollen.“

Er drehte sich einfach um, winkte Ben Brighton und verschwand mit ihm in der Kapitänskammer.

Der Franzose kratzte sich am Kopf. Wahrscheinlich hatte er den Seewolf wieder einmal unterschätzt.

Die Nacht war rabenschwarz. Fast zu schwarz. Hasard sah die Silhouette der dickbäuchigen Dreimastgaleone erst im letzten Augenblick. Zischend gab er den Befehl, das Boot abzustoppen und die Riemen an Steuerbord einzuholen. Die sechs Bootsgasten reagierten blitzschnell, aber sie konnten nicht verhindern, daß das Boot leicht gegen den Rumpf der Galeone schlug.

Für Hasard und seine zehn Männer hörte sich das dumpfe Geräusch wie die Explosion einer Neunpfünderkanone an. Bewegungslos hockten sie im Boot und starrten zum Schanzkleid der Galeone hoch. Nichts bewegte sich dort.

Der Seewolf blickte seine Männer an. Er sah nur das Weiße in ihren Augen.

„Sie haben nichts gehört“, flüsterte er. „Wahrscheinlich haben sie sich aus lauter Wut, daß sie Wache gehen müssen, während sich die anderen an Land vergnügen, einen angesoffen.“

Der Seewolf drehte sich um, griff nach dem breiten Bergholz, das aus dem glatten Rumpf der Galeone hervorragte, und zog sich zum Schanzkleid hinauf. Er wußte, daß er seinen Männern keine Befehle mehr zu geben brauchte. Sie hatten alles bis in die Einzelheiten abgesprochen. Nach Dan O’Flynns Beobachtungen hatten am späten Nachmittag etwa fünfundzwanzig Männer diese Galeone mit einer Segelpinasse verlassen. Viel mehr als fünf Männer konnten nicht zurückgeblieben sein.

Lautlos enterten die Männer der „Isabella“ die Galeone. Sie verschmolzen sofort mit den Schatten an Deck. Jeder kannte seine Aufgabe. Hasard, der Franzose, Dan O’Flynn, Buck Buchanan und Batuti schlichen zum Achterdeck, um den wachhabenden Offizier und vielleicht den Kapitän auszuschalten, falls dieser sein Schiff nicht verlassen hatte.

Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, Jeff Bowie und der Ire Patrick O’Driscoll hatten die Aufgabe, unter Führung von Ferris Tucker die Wache, die wahrscheinlich unter der Back hockte, außer Gefecht zu setzen.

Ferris Tucker und seine Männer hörten das Schnarchen der Wachen, als sie an dem Beiboot, das kieloben auf der Kuhlgräting festgezurrt war, vorbeischlichen.

Sie richteten sich auf. Hier war keine Vorsicht mehr nötig. Mit wenigen Schritten waren Ferris Tucker und Stenmark unter der Back. In dem Steinofen glühte noch der Rest des Feuers. Die Jungs waren verdammt leichtsinnig. Wie leicht konnte ein Schiff in Brand geraten!

Stenmark sah einen Schatten neben dem steinernen Herd. Seine mächtige Faust packte zu und riß den schnarchenden Mann hoch. Mit der Rechten holte Stenmark aus, doch er brauchte nicht zuzuschlagen. Der Mann wachte von der rauhen Behandlung nicht auf. Stenmark zog die Nase kraus, als er den säuerlichen Geruch wahrnahm, der aus dem Mund des Schnarchenden strömte.

Der Mann war stockbesoffen.

Die anderen schienen nicht weniger getrunken zu haben. In weniger als drei Minuten waren die vier Männer unter der Back wie Pakete verschnürt. Einer von ihnen war aufgewacht und hatte lallend gefragt, was denn los sei, doch Matt Davies hatte ihm blitzschnell einen Knebel verpaßt und ihn mit der Ledermanschette seines Eisenhakens ins Land der Träume geschickt.

Hasard und seine Männer hatten inzwischen das gesamte Achterdeck der Galeone nach dem wachhabenden Offizier abgesucht, ihn jedoch nirgends entdeckt. Hasard fluchte unterdrückt. Verdammt, das gab es doch nicht! Der Kapitän würde doch sein Schiff nicht zurücklassen ohne Offizier! Oder befand sich der Mann vielleicht bei der Mannschaft unter der Back?

Dan O’Flynn tauchte an Hasards Seite auf.

„Ich habe Geräusche in der Kapitänskammer gehört“, flüsterte er. „Ich war auf der Heckgalerie. Es sieht so aus, als brenne in der Kammer Licht. Jemand hat wahrscheinlich die Fenster verhängt.“

Der Seewolf zog die Stirn kraus.

Was konnte das nun schon wieder bedeuten?

Er gab Dan und dem Franzosen einen Wink, ihm zu folgen. Batuti und Buck Buchanan sollten auf dem Quarterdeck bleiben und sofort zupacken, wenn von irgendwoher ein Spanier auftauchte.

Die Tür, die vom Quarterdeck in den Gang führte, ließ sich lautlos öffnen. Im Gang war es nicht so dunkel wie draußen auf dem Deck. Hasard drückte sich sofort an die Wand, um nicht in den Lichtschein zu geraten, der aus der offenstehenen Tür am Ende des Ganges fiel. Sie hörten ein leises Rumoren.

Der Seewolf wunderte sich. Es hörte sich fast so an, als sei der Kapitän der Galeone dabei, seine Kammer umzuräumen.

Langsam schlich sich Hasard näher. Vorsichtig schob er den Kopf vor und warf einen Blick in die große Kapitänskammer. Er sah, daß seine Vorsicht überflüssig gewesen war. Der Mann in der Kammer hockte auf den Knien vor einer bemalten Seemannskiste und durchstöberte sie.

Ein Grinsen schlich sich in Hasards Gesicht. Er wollte einen Besen fressen, wenn das der Kapitän dieser Galeone war.

Er trat in die Kammer, baute sich breitbeinig hinter dem knienden Mann auf und räusperte sich.

Der Spanier fuhr herum. Seine Augen waren vor Überraschung weit aufgerissen. Angst schoß in ihm hoch, als er die drei Männer erblickte, die ihre Hände auf den Waffen liegen hatten.

Der Spanier zuckte zusammen, als Hasard seinen Degen hervorzog. Fast bedächtig richtete der Seewolf die Spitze der Klinge auf die Nase des Spaniers, die sehr bleich war.

„Was wohl dein Capitan dazu sagen wird, daß du hier in seinen Sachen herumwühlst“, sagte Hasard in Spanisch.

Der Spanier hob abwehrend die linke Hand. Die rechte lag noch auf dem Rand der Seemannskiste, deren Deckel hochgeklappt war. Der Mann wollte sich erheben. Dabei verschob er die Kiste, der Deckel fiel, und dann jaulte der Spanier auf und hielt sich die gequetschte Hand.

Tränen standen in seinen Augen. Er starrte Hasard, Jean Ribault und Dan O’Flynn angstvoll an.

„Wer seid ihr?“ fragte er gequält.

„Ich stelle hier die Fragen“, gab Hasard kalt zurück. „Was hast du in der Kiste deines Capitans zu suchen?“

„Ich – ich ...“ Der Spanier stotterte. An seinen Augen las Hasard ab, daß der Mann krampfhaft nachdachte. Vielleicht ahnte er schon, daß hier viel mehr auf dem Spiel stand als nur seine Karriere, weil er seine Neugier nicht hatte bezwingen können.

„Ich – ich habe eine Karte gesucht, auf der der Capitan eingezeichnet hat, wo er seine Schätze verborgen hat, die er schon seit zwei Jahren unterschlägt“, sagte er hastig. „Ich arbeite im Auftrag des Vizekönigs von Peru.“

Seine Stimme hatte ihren festen Klang wiedergefunden. Er richtete sich auf und beachtete Hasards Degen, dessen Spitze immer noch auf seine Nase zeigte, nicht mehr.

„Du kannst uns viel erzählen“, erwiderte Hasard.

Der Spanier nestelte an seiner Jacke herum. Er holte ein Dokument hervor, das er Hasard reichte. Hasard las es. Der Mann hatte die Wahrheit gesagt. Er war ein Spitzel. Aber das half ihm in diesem Fall herzlich wenig. Hasard gab Dan ein kurzes Zeichen mit den Augen, und als der Spanier aufatmen wollte, weil Hasard seinen Degen zurückzog, pfiff der kurze Stiel von Dan O’Flynns Pike durch die Luft und schickte den spanischen Spitzel zu Boden. Das Bewußtsein des Mannes war so schnell erlöscht, daß er nicht einmal mehr Zeit fand, sich beim Fallen mit den Händen abzustützen. Er fiel mit der Nase auf die Planken.

 

„Fessel ihn“, sagte der Seewolf zu Dan, nachdem er sich gebückt und dem Spanier das Dokument abgenommen hatte. „Jean, du schaust nach, ob es draußen noch Schwierigkeiten gibt. Wenn alles klar ist, dann setzt die Segel. Wir müssen uns beeilen. Bereitet während der Fahrt alles vor, damit wir nachher beim Umladen nicht zuviel Zeit verlieren.“

„Aye, aye“, sagte Jean Ribault und verschwand in den Gang.

Der Seewolf bückte sich und schaute in die Kiste des Kapitäns. Er sah die braune Mappe aus Schweinsleder, nahm sie heraus und öffnete sie. Der Spitzel war nahe daran gewesen, die Wahrheit zu erfahren. Hasard blickte auf eine Karte, die eine kleine Bucht etwas südlich von Callao, dem Hafen der peruanischen Hauptstadt Lima, zeigte. An der Stelle, an der er seinen Schatz verborgen hatte, war ein Kreuz eingezeichnet.

Hasard wußte nicht, ob diese Karte ihm jemals von Nutzen sein würde, denn seine Fahrt würde ihn wahrscheinlich nicht wieder nach Peru hinunterführen, aber dennoch steckte er sie ein – zusammen mit dem Ausweis des Spitzels.

Dann lief Hasard mit Dan hinaus aufs Quarterdeck. An den Bewegungen der Galeone hatte Hasard schon gespürt, daß die Männer der „Isabella“ den Anker der Galeone gelichtet hatten. Das Fock- und das Großsegel hatten sich bereits mit Wind gefüllt. Langsam nahm die Galeone Fahrt auf.

Hasard gab ein paar Befehle, als er das kurze Blinken sah, das ihm mitteilte, daß Ben Brighton auf der „Isabella“ ebenfalls Kurs aufs offene Meer genommen hatte.

Jean Ribault stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen neben Hasard. Seine Augen strahlten.

„Mann, weißt du, was die Galeone geladen hat?“ fragte er keuchend. „Kisten, voll bis obenhin mit den herrlichsten Perlen, die ich je gesehen habe! Ich hätte nie für möglich gehalten, daß es überhaupt auf der ganzen Welt so viele Perlen gibt! Das Zeug muß ein ungeheures Vermögen wert sein!“

„Wie lange werden wir brauchen, umzuladen?“ fragte Hasard kühl.

Der Franzose starrte ihn einen Augenblick entgeistert an. Dann huschte ein Grinsen über seine Züge.

„Dich bringt aber auch nichts aus der Ruhe, wie?“ fragte er. „Mon Dieu, solange ich auf Piratenschiffen gefahren bin, habe ich nie erleben dürfen, daß wir eine solche Beute erobert hätten. Und auf der ‚Isabella‘ ist so etwas schon alltäglich.“

Der Seewolf verzog seine Lippen.

„Du hast dir eben bisher immer die falschen Schiffe ausgesucht“, erwiderte er.

„Und die falschen Kapitäne“, fügte Ribault hinzu. Dann beantwortete er Hasards Frage. „Wenn alle Mann mit anpacken, sind wir in knapp einer Stunde mit dem Umladen fertig.“

„In Ordnung“, sagte Hasard. „Wir segeln noch ein paar Meilen weiter hinaus. Gib Ben Blinkzeichen, damit er sich dichter an uns hält. Ferris soll alles vorbereiten, damit die Galeone absäuft, nachdem sie ein paar Meilen an Taboga vorbeigelaufen ist.“

„Aye, aye.“ Der Franzose flitzte los, um seine Befehle an den Mann zu bringen. Nach knapp anderthalb Stunden war alles erledigt. Die Kisten mit den Perlen befanden sich an Bord der „Isabella“, die jetzt wieder unter ihrem alten Namen „Valparaiso“ segelte. Hasard hatte wieder auf ein paar Pulverfässer verzichten müssen, um Platz für die Perlen zu schaffen.

Jean Ribault tauchte mit den anderen Männern und der Pinasse wieder auf. Sie hatten die fünf Spanier am Strand der Insel Taboga ausgesetzt. Die geplünderte Galeone segelte mit festgezurrtem Ruder weiter. Sie würde vielleicht noch zwei Seemeilen auf See hinaus laufen, dann waren ihre Laderäume voll Wasser, und die Galeone würde auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Die Pinasse und das Boot, mit dem Hasard zur Galeone hinübergepullt war, wurden wieder an Deck geholt. Dann kreuzte die „Isabella“ gegen den ablandigen Wind zurück auf die Reede vor Panama, wo niemand bemerkt hatte, daß der Wolf, der sich zwischen die fetten Schafe geschlichen hatte, zur reißenden Bestie geworden war.

Kurz nach Mitternacht hatten sie ihren Liegeplatz erreicht, aber zum Erstaunen der Männer befahl der Seewolf nicht, den Anker fallen zu lassen, sondern das zweite Unternehmen vorzubereiten.

Ben Brighton führte die „Isabella“ etwas dichter an die Galeone heran, die sich Hasard als zweites Opfer ausgesucht hatte, und die Kaperung erwies sich auch diesmal als völlig problemlos. Eine Stunde später ging die „Isabella“ längsseits der gekaperten Galeone. Ben Brighton wunderte sich über die langen Gesichter der Männer, die diesmal mit Hasard auf der spanischen Galeone gefahren waren. Die Beute war nicht annähernd so wertvoll wie die der „Victoria“, der ersten Galeone. Ben Brighton rümpfte die Nase, als er hörte, was die Männer an Bord der „Isabella“ schleppten.

Tabak!

Was, verdammt noch mal, sollten sie mit dem widerlich stinkenden Zeug, das die Indianer in merkwürdigen länglichen Behältern genossen, die sie aus Holz, Ton oder Knochen herstellten? Von diesen Dingen, die Karl von Hutten Pfeifen nannte, waren auch allerhand in den Laderäumen der Galeone gewesen.

Hasard stimmte Ben Brighton zwar zu, daß sich dieser zweite Fischzug nicht gelohnt hatte, aber er war der Meinung, daß sich auch für diese Ladung ein guter Preis in London würde erzielen lassen, hatte er doch gehört, daß es schon einige Etablissements geben sollte, in denen Tabak geraucht wurde. Und das Zeug, das die Spanier oder die Holländer nach England importierten, sollte nicht gerade billig sein.

Die Spanier dieser Galeone wurden auf der kleinen Insel Vinda abgesetzt, dann trat auch dieses Schiff seine Reise auf den Meeresgrund an.

Mit dem ersten grauen Streifen, der über den Bergen Dariens erschien, lag die „Isabella“ wieder vor Anker auf der Reede von Panama, als sei in der Nacht nicht das geringste geschehen.

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