Loe raamatut: «Prozesspsychologie»
EHP – ORGANISATION
Hrsg. von Gerhard Fatzer
in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss und Sonja A. Sackmann
Autoren und Autorin
Jörg Heidig, Jg. 1974; nach dem Abitur Ausbildung zum Vermessungstechniker; anschließend mehrere Jahre im Wiederaufbau und in der Friedensarbeit in Bosnien-Herzegowina tätig; danach Studium der Kommunikationspsychologie; anschließend Projektleiter bei der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land; seither als beratender Organisationspsychologe tätig; Lehraufträge für wirtschaftspsychologische Praxisfächer an verschiedenen Hochschulen; Forschungsvorhaben zur Machbarkeit von Veränderungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung am Internationalen Hochschulinstitut Zittau.
Kim Oliver Kleinert, Jg. 1976; Offiziersausbildung bei der Deutschen Marine; Studium der Volkswirtschaft an der Helmut-Schmidt-Universität und der Kommunikationspsychologie an der Dresden International University; verschiedene Fach- und Führungsverwendungen in der Deutschen Marine und beim Bundesministerium der Verteidigung; danach Bereichsleiter Prozessmanagement in einer Unternehmensberatung; im Jahr 2010 Gründung des Beratungsunternehmens »Prozesspsychologen« gemeinsam mit Jörg Heidig.
Thorsten Dralle, Jg. 1983; nach dem Abitur duales Bachelorstudium im Bereich Business Administration an der Leibniz-Akademie Hannover in Kooperation mit Johnson Controls; während der Ausbildung innerbetriebliche Trainertätigkeiten zu den Themen Kommunikation, Präsentation und Moderation; bei Johnson Controls zunächst in den Bereichen Sales und Brand Management tätig, später im Produktmanagement auch als Projektleiter eingesetzt; seit 2010 berufsbegleitendes Masterstudium im Fach Kommunikationspsychologie an der Dresden International University.
Marianne Vogt, Jg. 1988; nach dem Abitur Bachelorstudium Philosophy & Economics in Bayreuth; anschließend Masterstudium Business Ethics & CSR-Management in Zittau; zur Zeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema »Ethik in der Beratung«.
© 2012 EHP - Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach www.ehp-koeln.com
Inhalt
Zur Reihe EHP-Organisation (Gerhard Fatzer)
Zum Geleit: Das dauerhaft wirksame Unternehmen (Peter Halek)
Einführung
Die aktuellen Modelle und ihre Grenzen
Was verstehen wir unter Prozesspsychologie?
Drei mögliche Wege zur Gestaltung von Veränderungen
Erstes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Generalisierte Modelle
Zweites Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Fundierte Diagnosen und beteiligtenorientierte Interventionen
Drittes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Nachhaltigkeit durch die Anerkennung nichtrationaler Faktoren und den Aufbau einer helfenden Beziehung
Psychologie
Ebene 1: Individuum – das Ich und die Abwehrmechanismen
Ebene 2: Wie sich Gruppenmentalität und Grundannahmen auf den Wandel auswirken
Ebene 3: Organisationskultur und die »Rückzugslinien« in Veränderungsprozessen
Was bedeutet das praktisch?
Organisationsprozesse als Grundlage von Veränderungen
Die klassische Sicht des Prozessmanagements und notwendige Erweiterungen
Erweiterte Prozessaufnahme – formale und informelle Bereiche verstehen
Prozessvisualisierung – beachte Aufwand und Nutzen
Prozesssystematisierung – die Bedeutung von Wertschöpfung und Zielen
Prozessmessung – weniger Statistik und mehr Steuerungsrelevanz
Prozessoptimierung – durch eigene Befähigung
Prozesseinführung – Prozesse brauchen Psychologie
Prozessbewertung – mehr als nur eine Kennzahlenauswertung
Der psychologische Zusammenhang zwischen Menschen und ihrem Wissen in Organisationsprozessen
Entstehung und Bedeutung von Wissen
Motivation als Erfolgsfaktor des effizienten Einsatzes von Wissen – Die Rolle der Führungskraft
Ethik als Baustein in der Beratungspraxis
Aber was genau kann Ethik im Beratungskontext bedeuten?
Was bedeutet das für die Ethik der Prozesspsychologie?
Literatur
Zur Reihe EHP-Organisation
Seit 1988 Ed Nevis’ Organisationsberatung erschien, stellt die Reihe erfolgreich wichtige Basistexte zum Bereich der Organisationsentwicklung und des Change Managements sowie neue, grundlegende Texte und Übersetzungen für den deutschsprachigen Leser vor. Dabei werden unterschiedliche Interventionsformen ausführlich dargestellt, um zur Entwicklung einer Beratungswissenschaft jenseits der reinen Technikorientierung beizutragen. Die Reihe widmet sich besonders dem interkulturellen Austausch zwischen Europa, Amerika und anderen Kulturräumen.
EHP-Organisation stellt sowohl Diskussionsgrundlagen und Denkfiguren im Bereich der OE für das 3. Jahrtausend als auch historische Grundlagen der OE in ihrer Aktualität bereit. Anliegen war es stets, eine Reihe mit sorgfältig ausgewählten Titeln zu entwickeln, inspiriert durch amerikanische Kollegen und die langjährigen Wegbegleiter Chris Argyris, Edgar H. Schein, Fred Massarik (†), Ed Nevis (†), Warren Bennis und die Kollegen um Peter Senge am M.I.T. und Claus Otto Scharmer, aus deren Kreis sich auch die Consulting Editors von EHP-Organisation rekrutieren.
Der verantwortliche Herausgeber der Reihe stellte mit Supervision und Beratung die Grundlagen von Supervision und Organisationsberatung umfassend dar, und mit der mittlerweile 11. Aufl age ist es eines der erfolgreichsten Handbücher des Feldes. Ergänzend dazu erschien Gute Beratung von Organisationen – Supervision und Beratung 2.
Die Trias-Kompasse bilden Trends und Diskussionslinien ab und ermöglichen eine Orientierung im Feld der Organisationen und unterschiedlicher Beratungsformen (Bd. 1: Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen, Bd. 2: Schulentwicklung als Organisationsentwicklung, Bd. 3: Zur Bedeutung von Kurt Lewin, Bd. 4: Nachhaltige Transformation in Organisationen).
Organisationsentwicklung für die Zukunft stellte ausführlich die Grundlagen der lernenden Organisation von Peter Senge u.a. vor und machte zum ersten Mal im deutschen Sprachraum die grundlegenden Arbeiten von Chris Argyris zur »eingeübten Inkompetenz« und zu »defensiven Routinen« bekannt. Außerdem liegt eine Neuauflage eines Standardwerks zur Lernenden Organisation und zur Schulentwicklung vor (Gerhard Fatzer: Ganzheitliches Lernen).
Neben internationalen Autoren publizieren wichtige deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Reihe wie zum Beispiel eine Autorengruppe um die VW-Coaching-Abteilung (Der Beginn von Coachingprozessen): Billmeier, Kaul, Kramer, Krapoth, Lauterbach und Rappe-Giesecke. Wolfgang Looss stellte als erster kritische Fragen an den Coaching-Begriff, als der große Hype um den Begriff im deutschsprachigen Raum noch gar nicht richtig gestartet war: Zusammen mit Kornelia Rappe-Giesecke und Gerhard Fatzer untersuchte Looss in dem Band Qualität und Leistung von Beratung die drei Beratungsmethoden Supervision, Organisationsentwicklung und Coaching. Looss’ Klassiker Unter vier Augen: Coaching für Manager ist bis heute eines der wichtigsten Bücher zum Thema geblieben. Die Reihe orientiert sich nicht an Trends, und dort, wo die Professional Community der Berater, Coaches und Supervisoren ihre eigenen Grundlagen und Methoden nicht ausreichend berücksichtigt, ist es Ziel von EHP-Organisation, Einbahnstraßen der Wahrnehmung und kulturelle Ignoranz zu unterlaufen. Es kommen die Autorinnen und Autoren zu Wort, die diesen interkulturellen Dialog praktizieren und konzeptionell untermauern. So wird mit dem Band von Fatzer/Jansen (Die Gruppe als Methode) die oft fehlende gruppendynamische Grundlage für die Beratung von Gruppen, Teams und Organisationen wieder zugänglich gemacht. Ein weiteres Beispiel ist die Monographie von Albert Koopman (Transcultural Management), die als erste ein erfolgreiches interkulturelles OE-Projekt dokumentierte und daraus ein breit anwendbares Modell der interkulturellen Beratung entwickelte. Das Buch von Barbara Heimannsberg und Christoph Schmidt-Lellek (Interkulturelle Beratung und Mediation) wendet die Grundlagen der Mediation auf den interkulturellen Bereich und auf die Organisationsentwicklung an. Zuletzt erschien dazu ein Buch, das dem Lebenswerk von Burkard Sievers gewidmet ist: Ahlers-Niemann / Beumer / Redding Mersky / Sievers: Organisationslandschaften mit einer breiten internationalen und multiprofessionellen Perspektive auf das wichtige Thema der destruktiven Prozesse in Organisationen. Arndt Ahlers-Niemann hat zusammen mit Edeltrud Freitag-Becker einen Band zu Netzwerken in die Reihe eingebracht, der ein breites Spektrum an Themen erschließt (Netzwerke – Begegnungen auf Zeit. Zwischen Uns und Ich).
Eine der wichtigen Interventionsformen, die EHP-Organisation (wie übrigens auch andere Veröffentlichungen im selben Verlag) besonders berücksichtigt, ist ›Dialog‹ als Methode: William Isaacs (Dialog als Kunst gemeinsam zu denken) und der Band von Christoph Mandl, Markus Hauser und Hanna Mandl (Die schöpferische Besprechung) haben hier im deutschsprachigen Raum Qualitätsstandards gesetzt. Die Autoren sind gleichzeitig Beiträger der Zeitschrift Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog / International Journal for Change, Learning, Dialogue, die mit ihrem Anliegen, das Verständnis von Menschen, Teams und Organisationen zu fördern, die Reihe EHP-Organisation ergänzt.
Die Arbeit von Ed Schein stand von Anfang an im Zentrum des publizistischen Auftrags von EHP-Organisation. Zahlreiche seiner Aufsätze erschienen früh in den Sammelbänden der Reihe und hier liegen seine Grundlagentexte in Übersetzungen vor. Sein Klassiker Prozessberatung für die Organisation der Zukunft ist einer der erfolgreichsten Bände der Reihe. Der Referenzcharakter von Scheins Büchern wird auch im provozierenden Buch Organisationskultur (›The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide‹) unter Beweis gestellt. Seine Fähigkeit, auf lesbare Art komplexe Organisationszusammenhänge zu vermitteln, macht die Lerngeschichte von Digital Equipment Corporation auch zu einem Lektüregenuss (Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation. DEC ist tot, lang lebe DEC). Scheins Führung und Veränderungsmanagement fasst zum ersten Mal seine Gedanken zu Führung in Unternehmen zusammen und wird durch eine Video-DVD mit einer Rede von Schein ergänzt. Zuletzt erschien Ed Scheins Prozess und Philosophie des Helfens, das ausführlich eine der Grundkompetenzen von Managern und Beratern vorstellt.
An Scheins Prozessberatung knüpfen die Autoren des vorliegenden Bandes an: Prozesse brauchen Psychologie. Hier ist ein Ansatz entwickelt, mit dem Unternehmen in entscheidenden Phasen von Veränderung begleitet werden: Prozesspsychologie. Zahlreiche Praxisbeispiele verdeutlichen Faktoren des Gelingens oder des Misslingens.
Herausgeber, Autoren und Verlag möchten Sie als Leser einladen, den neuen Band zusammen mit der gesamten Reihe als Möglichkeit zum Dialog innerhalb der globalen Professional Community zu verstehen.
Gerhard Fatzer
Zum Geleit: Das dauerhaft wirksame Unternehmen
Wir leben in instabilen Zeiten. Wandel, Komplexität, Unvorhersehbarkeit. Immer wieder Krisen. Immer wieder neue Risiken, neue Chancen. Immer wieder neue »Spielregeln«.
Wie schaffen Unternehmen unter diesen Bedingungen Überleben und Weiterentwicklung? Was macht eigentlich die Lebenskraft eines Unternehmens aus? Die Kraftquelle ist das in der Unternehmenskultur verankerte Wissen, wie unternehmerische Wirksamkeit funktioniert. Wie Wertschöpfung, Wettbewerbsüberlegenheit, Wachstum gelingt. Die große Ambition: Entwicklung zum dauerhaft wirksamen Unternehmen. Die wichtigste Fähigkeit: diszipliniertes und kreatives Umgehen mit Chancen. Die strategische Herausforderung: Der gewohnte Qualitätsund Preiswettbewerb spitzt sich zu einem globalen Chancenwettbewerb zu. Gewinner sind die Unternehmen, die es besser und schneller verstehen, eine verteidigbare Chancen-Leadership aufzubauen. Professionelles Chancenmanagement liefert dafür die strukturierten Vorgehensweisen. Professionelles Chancenmanagement – natürlich kombiniert mit dem notwendigen Risikomanagement – ist die Kernkompetenz des dauerhaft wirksamen Unternehmens.
Hier hakt dieses neue Buch ein. Der wertvolle Beitrag der Autoren besteht im Bewusstmachen der schicksalhaften Bedeutung der Prozesspsychologie. Die spezifische Prozesslogik der Vorgehensweisen des Chancenmanagement kann ihre Wirksamkeit nur entfalten, wenn die Prozesslogik mit einer fördernden Prozesspsychologie verschränkt ist. Wir – die Leser – erhalten tiefe Einblicke in die »Anatomie« der Prozesspsychologie. Da sind die beiden »Bühnen«, auf denen die unternehmerischen Aktivitäten ablaufen. Die eine Bühne: die Welt der offiziellen Ansagen. Die andere Bühne: die Welt der inoffiziellen Vorgänge. Der Einfluss des menschlichen Faktors. Die Führung in der Klemme. Das unternehmerische Geschehen nur auf der offiziellen Bühne organisieren? Wird nicht gelingen. Das Geschehen nur auf der inoffiziellen Ebene ansiedeln? Wird nicht die Wirksamkeit bringen, die es für den globalen Chancenwettbewerb braucht. Also? Ich lese das Anliegen der Autoren als ein Plädoyer für eine dritte Bühne. Eine Bühne, auf der ein interdisziplinäres Zusammenspiel aller erfolgskritischen Faktoren stattfindet. Mit Routinen, die die sachlogischen und psychologischen Aspekte verbinden. Mit integralen Interventionen sowohl auf der Ebene der Gesamtorganisation, als auch auf der Ebene der Gruppen/Teams, als auch auf der Ebene der Individuen. Mit Stabilität und Dynamik. Zukunftsoffen. Klar: Das ist ein permanenter Entwicklungsprozess. Das ist jedenfalls der Punkt: Für eine Entwicklung zum dauerhaft wirksamen Unternehmen gibt es nur einen Ort, wo diese gestaltet werden muss. Die dritte Bühne. Ein wichtiges Buch.
Peter H. Halek,
Stratema Unternehmensentwicklung / Kaltenleutgeben b. Wien
Einführung
Analysiert man das Geschehen in Unternehmen und Organisationen, so wird man zunächst zwei ›Bühnen‹ vorfinden. Auf der ersten, sichtbaren Bühne findet das beobachtbare, quasi offizielle Geschehen statt. Auf der zweiten, unsichtbaren Bühne findet der informelle, deshalb aber nicht weniger wirksame Teil des Geschehens statt. So mag zum Beispiel ›Sagen‹ und ›Tun‹ bei einigen Personen weit auseinander liegen, aber es ist nicht möglich oder statthaft, dies anzusprechen. Geschieht es – wie zuweilen im Falle neuer, noch nicht an die Routinen und ungeschriebenen Gesetze der unsichtbaren Bühne gewöhnten Mitarbeiter – dennoch, so lernen die Betreffenden schnell, was man sagen darf und was nicht.
An sich ist das ganz normal: Sobald Menschen zusammenkommen und miteinander arbeiten, bilden sich Verhaltensmuster und Regeln heraus, die sich mit der Zeit festigen und zur Gewohnheit werden. Die zwangsläufigen Diskrepanzen zwischen individuellem Wollen und den Routinen und Gesetzen der Gemeinschaft führen zur Existenz der beiden Bühnen. Grob gesagt: Das (Arbeits-)Leben ist ein Rollenspiel.
Im regulären Arbeitsalltag ist es weder sinnvoll noch notwendig, die strategischen Verhaltensweisen und etablierten Rollenspiele der ersten Bühne stören oder gar verändern zu wollen. Anders ist das jedoch, wenn sich mit den Jahren die Rollen so verfestigen, dass mit externen Veränderungserfordernissen (neue Produkte, veränderte Kundenwünsche) oder internen Impulsen (Vorschläge, Lernen aus Fehlern) nicht mehr adäquat umgegangen werden kann.
Ein beinahe klassisches Beispiel
Die Produktentwicklungsabteilung eines mittelständischen Unternehmens wird im Zuge starken Wachstums vergrößert und erhält einen neuen Chef. In den ersten Jahren entwickelt die Abteilung immer wieder neue Konzepte und trägt wesentlich zum Wachstum bei. Dann festigen sich die Kundenbeziehungen und man beginnt, mehr auf Kundenwünsche zu reagieren als aktiv den Markt mit neuen Ideen zu gestalten. Nach einigen weiteren Jahren verändert sich der Markt, und Wachstumspotenziale sind nicht mehr bei den etablierten Kunden, sondern in einer Branche zu erkennen, mit der das Unternehmen noch keine Erfahrungen hat. Der Geschäftsführer weist in strategischen Runden immer wieder auf das neue Potenzial hin, doch es passiert wenig. Nach einem weiteren Jahr wird eine Person angestellt und als Stabsstelle direkt an der Geschäftsleitung angebunden, die sich mit der avisierten Wachstumsbranche auskennt und die entsprechenden Aktivitäten nun als ›Projekt‹ aufbaut. Die Schwierigkeiten mit der etablierten Abteilung und insbesondere mit dem Leiter sind zwar vorprogrammiert, werden aber vom Geschäftsführer wissend in Kauf genommen.
Ein solcher Ansatz, im Problemfall ›Bypässe‹ zu legen, kann funktionieren; oft genug tut er das jedoch nicht. In jedem Fall kommt es zu einer Vergrößerung der Diskrepanzen zwischen der ersten Bühne (was ist erlaubt zu sagen) und der zweiten Bühne (was möchte man eigentlich erreichen). Und an solchen Stellen ist es notwendig, das Geschehen auf der zweiten Bühne – zumeist geht es da um Ängste oder die Folgen von Angst, also um Gewinnen oder Verlieren – ansprechbar zu machen. Werden Interventionen notwendig, müssen also ›Tun‹ und ›Sagen‹, zumindest vorübergehend, zusammenfinden.
In der Realität von Unternehmensveränderungen wird die zweite (verdeckte oder informelle) Bühne häufig ausgeblendet oder ihre Existenz wird schlicht verneint. Darin liegt die Ursache, warum viele Veränderungsvorhaben an den menschlichen Faktoren scheitern. Doch ganz gleich, ob der Veränderungsimpuls durch – was weit häufiger der Fall ist – technische oder – was die selteneren Anlässe sind – zwischenmenschliche Probleme ausgelöst wurde: Beide Faktoren beeinflussen sich gegenseitig.
Wird beispielsweise eine neue Software eingeführt, so ist dies nicht nur eine technische Herausforderung. Nach unserer Erfahrung ist die technische Seite die leichter umsetzbare. Komplizierter wird es bereits bei der Analyse der Auswirkungen der neuen Software auf die unternehmensinternen und -externen Prozesse bzw. beim Design der entsprechenden Prozessanpassungen. Die dritte und höchste Hürde bilden erfahrungsgemäß die menschlichen Faktoren: Die individuelle Motivation, die neue Software zu benutzen oder die Dynamik von Widerständen, etwa in Form kollektiver Ablehnung der Software in Teams oder ganzen Abteilungen, haben entscheidenden Einfluss auf den Erfolg eines solchen Projekts.
Unsere Schlussfolgerung aus den bisherigen Darstellungen lautet deshalb: Technische, betriebswirtschaftliche und menschliche Belange stehen in unmittelbarer Wechselwirkung und müssen integriert betrachtet werden. Veränderungsvorhaben sind, so technisch oder ›zahlenlastig‹ ihr Anlass auch sein mag, immer auch Organisationsentwicklungsprojekte. Und Organisationsentwicklungsprojekte haben immer auch einen Einfluss auf die technischen und betriebswirtschaftlichen Kenngrößen. In der Regel sind die Abläufe und die menschlichen Faktoren zusammenhängend betroffen. Eine Trennung der Dimensionen in Abhängigkeit vom Auslöser gibt es nicht. Es braucht Menschen, die als Führungskräfte in der Lage sind, die beschriebene ›Nichttrennbarkeit‹ zu erkennen und ethisch bzw. vorbildhaft zu führen. Diese Sichtweise ist im Grunde nicht neu – es sei stellvertretend auf den soziotechnischen Ansatz verwiesen –, jedoch haben sich die Lösungsansätze für betriebswirtschaftliche und technische Fragestellungen einerseits und für die menschlichen Facetten organisationaler Veränderungen andererseits in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend getrennt voneinander entwickelt und sich dementsprechend immer weiter voneinander entfernt. Angesichts der Komplexität heutiger Unternehmenslagen erscheinen integrierte bzw. interdisziplinäre Betrachtungen zwar dringend geboten, ein Blick in die Fachdisziplinen legt jedoch die Vermutung nahe, dass dies derzeit kaum versucht wird (vgl. Halek 2012; Heidig 2012). Das möchten wir ändern, indem wir die zu bearbeitenden fachlichen Belange mit den Arbeitsabläufen, den menschlichen Faktoren sowie den Führungshaltungen und Wertvorstellungen im Zusammenhang betrachten.