Loe raamatut: «Ekkehard», lehekülg 2
Und dann, wenn die Sonne niedergestiegen und über flimmernden Meereswellen die Nacht aufgeht, der Königsbraut zu Ehren alles im blaufahlen Glanz griechischen Feuers, – jetzt fahren wir in Hafen ein, die große Kette, die ihn sonst absperrt, löst sich dem Brautschiff, Fackeln sprühen am Ufer, dort steht des Kaisers Leibwache, die Waräger mit ihren zweischneidigen Streitäxten, und die blauäugigen Normänner, dort der Patriarch mit zahllosen Priestern, überall Musik und Jubelruf, und der Königssohn im Schmucke der Jugend empfängt die Verlobte; nach dem Palast von Blacharnae wallt der Festzug...
Und all diese Herrlichkeit habe ich versäumt, spottete Frau Hadwig. Praxedis, dein Bild ist nicht vollständig. Und schon des andern Tages kommt der Patriarch und erteilt der abendländischen Christin einen scharfen Glaubensunterricht, was von all den Ketzereien zu halten, die auf eurem verstandesdürren Erdreich aufsprießen wie Stechapfel und Bilsenkraut, – und was von den Bildern der Mönche und dem Konzilschluss zu Chalcedon und Nicaea; dann kommt die Großhofmeisterin und lehrt die Gesetze der Sitte und Bewegung: so die Stirn gefaltet und so die Schleppe getragen, diesen Fußfall vor dem Kaiser und jene Umarmung der Frau Schwiegermutter und diese Höflichkeit gegen jenen Günstling und jene gigantische Redensart gegen dieses Untier: Eure Gravität, Eure Eminenz, Eure erhabene und wunderbare Größe! – was am Menschen Lebenslust und Kraft heißt, wird abgetötet, und der Herr Gemahl gibt sich auch als gefirnisstes Püppchen zu erkennen, eines Tages steht der Feind vor den Toren oder der Thronfolger ist den Blauen und Grünen des Zirkus nicht genehm, der Aufstand tobt durch die Straßen, und die deutsche Herzogstochter wird geblendet ins Kloster gesteckt... Was frommt's ihr dann, dass ihre Kinder schon in der Wiege mit dem Titel Alleredelster begrüßt wurden? Praxedis, ich weiß, warum ich nicht nach Konstantinopolis ging.
Der Kaiser ist der Herr der Welt, sprach die Griechin; was der Wille seiner Ewigkeit ordnet, ist wohlgetan; so hat man mich gelehrt.
Hast du auch schon darüber nachgedacht, dass es dem Menschen ein kostbares Gut ist, sein eigener Herr zu sein?
Nein, sprach Praxedis.
Das angeregte Gespräch behagte der Herzogin.
Was hat denn, fuhr sie fort, Euer Byzantiner Maler für einen Bescheid heimgebracht, da er mein Konterfei fertigen sollte?
Die Griechin schien die Frage überhört zu haben. Sie hatte sich erhoben und stand am Fenster.
Praxedis, sprach Frau Hadwig scharf, antworte!
Da lächelte die Gefragte mild und sagte: Das ist schon eine lange Zeit her, aber Herr Michael Thallelaios hat wenig Gutes von Euch gesprochen. Die schönsten Farben habe er bereit gehalten, so erzählt' er uns, und die feinsten Goldblättchen, Ihr seiet ein reizend Kind gewesen, wie man Euch zum Gemalt werden vor ihn führte, und es hab' ihn feierlich angemutet, als sollt' er seine ganze Kunst zusammennehmen, wie damals, als er die Mutter Gottes fürs Athoskloster malte. Aber die Prinzessin Hadwig hätten geruht, die Augen zu verdrehen, und wie er eine bescheidene Einwendung erhoben, hätten Eure Gnaden die Zunge gewiesen und beide Hände mit gestreckten Fingern an die Nase gehalten und in anmutig gebrochenem Griechisch gesagt, das sei die rechte Stellung.
Der Herr Hofmaler nahm Veranlassung, vieles über den Mangel an deutschen Landen dran zu knüpfen, und hat einen hohen Schwur getan, dass er zeitlebens dort kein Fräulein mehr malen wolle. Und der Kaiser Basilius hat auf den Bericht hin grimmig in seinen Bart gebrummt...
Lass seine Majestät brummen, sprach die Herzogin. Und flehe zum Himmel, dass er jeder andern die Geduld verleihen möge, die mir damals ausging. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, einen Affen zu sehen, aber allem zufolge, was glaubwürdige Männer erzählen, reicht Herrn Michaels Ahnentafel zu jenen Mitgliedern der Schöpfung hinauf.
Sie hatte inzwischen die Armspange angelegt, es waren zwei ineinander verstrickte Schlangen, die sich küssen, jede trug ein Krönlein auf dem Haupt... Da ihr unter dem vielen Geschmeiden jetzt ein schwerer silberner Pfeil unter die Hände geraten war, so musste auch er seinen Aufenthalt im Gefängnis des Schreins mit anderem Platze vertauschen. Er ward in die Maschen des goldfadigen Haarnetzes gezogen.
Als wollte sie des Schmuckes Wirkung prüfen, ging Frau Hadwig mit großen Schritten durchs Gemach. Ihr Gang war herausfordernd. Aber der Saal war leer: selbst die Burgkatze war von dannen geschlichen. Spiegel waren keine an den Wänden. Der Zustand wohnlicher Einrichtung überhaupt ließ damals manches zu wünschen übrig.
Praxedis' Gedanken waren noch bei der vorigen Geschichte. Gnädige Gebieterin, sprach sie, er hat mich doch gedauert.
Wer?
Des Kaisers Sohn. Ihr seid ihm im Traum erschienen, sagt er, und all sein Glück hab' er von Euch erhofft. Er hat auch geweint...
Lass die Toten ruhen, sprach Frau Hadwig ärgerlich. Nimm lieber die Laute und sing mir das griechische Liedlein:
Konstantin, du armer Knabe, Konstantin, und lass das Weinen! |
Sie ist zersprungen, war die Antwort, und alle Saiten zu Grund gerichtet, seit die Frau Herzogin geruhten, sie...
Sie dem Grafen Boso von Burgund an den Kopf zu werfen, ergänzte Hadwig. Dem ist nicht zu viel geschehen, 's war gar nicht notwendig, dass er uneingeladen zur Leichenfeier Herrn Burkhards kam und mir Trost zusprechen wollte, als wär' er ein Heiliger. Lass die Laute flicken.
Sag mir indes, du griechische Goldblume, warum hab' ich heut den festlichen Schmuck angelegt?
Gott ist allwissend, sprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie schwieg. Frau Hadwig schwieg auch. Da trat eine jener schwülen inhaltsvollen Pausen ein, wie sie der Selbsterkenntnis vorangehen. Endlich sprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!
Sie schlug missmutig die Augen nieder: Ich glaube, es geschah aus Langerweile. Der Gipfel unseres Hohentwiel ist aber auch ein gar zu betrübtes Nest – zumal für eine Witwe. Praxedis, weisst du ein Mittel gegen die Langeweile?
Ich habe einmal von einem weisen Prediger gehört, sprach Praxedis, es gäb' mannigfaltige Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reisen – das Beste sei Fasten und Beten.
Da stützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, sah die dienstbereite Griechin scharf an und sprach: Morgen reisen wir!
Zweites Kapitel: Die Jünger des heiligen Gallus
Des anderen Tages fuhr die Herzogin samt Praxedis und großer Gefolgschaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodensee. Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten lustig, und war viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer sollt' auch traurig sein, wenn er über die kristallklare Wasserfläche dahinschwebt, die baumumsäumten Gestade mit Mauern und Türmen ziehen im bunten Wechsel an ihm vorbei, fern dämmern die schneeigen Firnen und der Widerschein des weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?
Keines wusste, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber so gewohnt.
Wie sie an der Bucht von Rorschach anfuhren, hieß die Herzogin einlenken. Zum Ufer steuerte das Schiff, übers schwanke Brett stieg sie ans Land. Und der Wasserzoller kam herbei, der dort den Welschlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des Marktes und wer immer am jungen Hafenplatz sesshaft war, sie riefen der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!.. zu und schwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend schritt sie durch die Reihen und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber es galt kein langes Verweilen. Schon standen die Rosse bereit, die waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeschickt worden; wie alle im Sattel saßen, sprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da schauten sich die Dienstleute verwundert an! Was soll uns die Wallfahrt? Zum Antworten war's nicht Zeit, schon ging's im Trab das hügelige Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.
Sankt Benedikt und seine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer Klöster wohl verstanden. Land ab, Land auf, so irgendwo eine Ansiedelung steht, die gleich einer Festung einen ganzen Strich beherrscht, als Schlüssel zu einem Tal, als Mittelpunkt sich kreuzender Heerstraßen, als Hort des feinsten Weinwuchses: so mag der Vorüberwandernde bis auf weitere Widerlegung die Vermutung aussprechen, dass sotanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zugehört habe, denn heutigentages sind die Klöster seltener und die Wirtshäuser häufiger, was mit steigender Bildung zusammenhängt.
Auch der irische Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er, nach Waldluft gierig, in helvetischer Einöde sich festsetzte: ein hochgelegenes Tal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Gestaden des Sees gesondert, steinige Waldbäche brausen vorüber, und die riesigen Wände des Alpsteins, dessen Spitzen mit ewigem Schnee umhüllt im Gewölke verschwinden, erheben sich als schirmende Mauer zur Seite.
Es war ein sonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion und Erin aufs germanische Festland führte. Genau besehen ist's ihnen kaum zu allzu hohem Verdienst anzurechnen. »Die Gewohnheit, in die Fremde zu ziehen, ist den Briten so in die Natur gewachsen, dass sie nicht anders können, « schrieb schon in Karls des Großen Tagen ein unbefangener schwäbischer Mann. Sie kamen als Vorfahren der heutigen Touristen, man kannte sie schon von weitem am fremdartig zugeschnittenen Felleisen. Und ein mancher blieb haften und ging nimmer heim, wiewohl die ehrsamen Landesbewohner ihn für sehr unnötig halten mochten. Aber die grössere Zähigkeit, das Erbteil des britischen Wesens, lebensgewandte Kunst, sich einzurichten, und beim Volk die mystische Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im Dienst der Kirche Bestand.
Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Heiligen den Schweizern für gutes eidgenössisches Geld die Eisenbahn.
»Die scotice mit altem Bardenfleiss Die Bücher schrieben und bewahreten.« |
Aus der schmucklosen Zelle an der Steinach, wo der irische Einsiedel seine Abenteuer mit Dornen, Bären und gespenstigen Wasserweibern bestand, war ein umfangreich Kloster emporgewachsen. Stattlich ragte der achteckige Turm der Kirche aus schindelgedeckten Dächern der Wohngebäude; Schulhäuser und Kornspeicher, Kellerei und Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ sich hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muss in des Klosters nächster Nähe bereitet werden, auf dass es den Mönchen nicht notwendig falle, in die Ferne zu schweifen, was ihrem Seelenheil undiensam. Eine feste Ringmauer mit Turm und Tor umschloss das Ganze, minder des Zierats als der Sicherheit halber, maßen mancher Gewaltige im Land das Gebot: Lass dich nicht gelüsten deines Nachbars Gut! dazumal nicht allzustrenge einhielt.
Es war Mittagszeit vorüber, schweigende Ruhe lag über dem Tal. Des heiligen Benedikt Regel ordnet für diese Stunde, dass ein jeder sich still auf seinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlösenden Glut italischer Mittagssonne, die Menschen und Tier in des Schlummers Arme treibt, diesseits der Alpen wenig zu verspüren, folgten sie im Kloster doch pflichtgemäss dem Gebot. Nur der Wächter auf dem Torturm stand, wie immer, treulich und aufrecht im mückendurchsummten Stüblein.
Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er durch den nahen Tannwald ein Rossgetrabe; er spitzte sein Ohr nach der Richtung. Acht oder zehn Berittene! sprach er nach prüfendem Lauschen; er ließ das Fallgatter vom Tor herniederrasseln, zog das Brücklein, was über den Wassergraben führte, auf und langte sein Horn vom Nagel. Und weil sich einiges Spinnweb drin festgesetzt hatte, reinigte er dasselbe.
Jetzt kamen die Vordersten des Zuges am Waldsaum zum Vorschein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn und tat einen sonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebnis seines Blickes war ein Wort: Weibervölker!? – er sprach's halb fragend, halb als Ausruf, und lag weder Freudigkeit noch Auferbauung in seinem Worte. Er griff sein Horn und blies dreimal hinein. Es war ein ungefüger stiermäßiger Ton, den er hervorlockte, und war dem Hornblasen deutlich zu entnehmen, dass weder Musen noch Grazien die Wiege des Romeias zu Villingen im Schwarzwald umstanden hatten.
Wenn einer im Wald sich umgeschaut hat, so hat er sicher schon das Getriebe eines Ameisenhaufens angesehen. Da ist alles wohlgeordnet und geht seinen gemeinsamen Gang und freut sich der Ruhe und der Bewegung: jetzt fährst du mit deinem Stab darein und scheuchest die vordersten: da bricht Verwirrung aus, Rennen und wimmelnder Zusammenlauf – alles hat der eine Stoss verstört. Also und nicht anders fuhr der Stoss aus Romeias' Horn aufjagend ins stille Kloster.
Da füllten sich die Fenster am Saal der Klosterschulen mit neugierigen jungen Gesichtern, manch lieblicher Traum in einsamer Zelle entschwebte, ohne seinen Schluss zu finden, manch tiefsinnige Meditation halbwachender Denker desgleichen; der böse Sindolt, der in dieser Stunde auf seinem Schragen des Ovidius verboten Büchlein »Von der Kunst, zu lieben« zu ergründen pflegte, rollte eiligst die pergamentnen Blätter zusammen und barg sie im schützenden Versteck seines Strohsacks.
Der Abt Cralo sprang aus seinem Lehnstuhl und reckte seine Arme der Decke seines Gemaches entgegen, ein schlaftrunkener Mann; auf schwerem Steintisch stund ein prachtvoll silbern Wasserbecken darein tauchte er den Zeigefinger und netzte die Augen, des Schlummers Rest zu vertreiben. Dann hinkte er zum offenen Söller seines Erkers und schaute hinab.
Und er ward betrüblich überrascht, als wär' ihm eine Walnuss aufs Haupt gefallen: Heiliger Benedikt, sei mir gnädig, meine Base, die Herzogin!
Sofort schürzte er seine Kutte, strich den schmalen Büschel Haare zurecht, der ihm inmitten des kahlen Scheitels noch stattlich emporwuchs gleich einer Fichte im öden Sandfeld, hing das goldene Kettlein mit dem Klostersigill um, nahm seinen Abtsstab von Apfelbaumholz, dran der reichverzierte Elfenbeingriff erglänzte, und stieg in den Hof hernieder.
Wird's bald? rief einer der Berittenen draußen. Da gebot er dem Wächter, dass er die Angekommenen nach ihrem Begehr frage. Romeias tat's.
Jetzt ward draußen ins Horn gestoßen, der Kämmerer Spazzo ritt als Herold ans Tor und rief mit tiefer Stimme:
Die Herzogin und Verweserin des Reichs in Schwabenland entbeut dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlass.
Der Abt seufzte leise auf. Er stieg auf Romeias' Warte; an seinen Stab gelehnt gab er denen vor dem Tor den Segen und sprach:
Im Namen des heiligen Gallus dankt der unwürdigste seiner Jünger für den erlauchten Gruß. Aber sein Kloster ist keine Arche, drin jegliche Gattung von Lebendigem, Reines und Unreines, Männlein und Weiblein Eingang findet. Darum – ob auch das Herz von Betrübnis erfüllt wird – ist Einlass schaffen ein unmögliches Ding. Der Abt muss am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen über die seiner Hut vertrauten Seelen. Die Nähe einer Frau, und wär' sie auch die erlauchteste im Lande, und der hinfällige Scherz der Kinder dieser Welt wär' allzu große Versuchung für die, so zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten müssen. Beschweret das Gewissen des Hirten nicht, der um seine Lämmer Sorge trägt. Die kanonische Satzung sperrt das Tor.
Die gnädige Herzogin wird in Trogen oder Rorschach des Klosters Villa zu ihrer Verfügung finden...
Frau Hadwig saß schon lange ungeduldig im Sattel; jetzt schlug sie mit der Reitgerte ihren weißen Zelter, dass er sich mäßig bäumte, und rief lachenden Mundes:
Spart die Umschweife, Vetter Cralo; ich will das Kloster sehen!
Wehmütig hub der Abt an: Wehe dem, durch welchen Ärgernis in die Welt kommt. Ihm wäre heilsamer, dass an seinem Hals ein Mühlstein...
Aber seine Warnung kam nicht zu Ende. Frau Hadwig änderte den Ton ihrer Stimme. Herr Abt, die Herzogin in Schwaben muss das Kloster sehen! sprach sie scharf.
Da ward es dem Schwergeprüften klar, dass weiterer Widerspruch kaum möglich ohne große Gefahr für des Gotteshauses Zukunft. Noch sträubte sich sein Gewissen. Wenn einer in zweifelhafter Lage aus sich selber keine Auskunft zu schöpfen weiß, ist's dem schwanken Gemüt wohltätig, andere zu gutem Rat beizuziehen, das nimmt die Verantwortung und deckt den Rücken.
Darum rief Cralo jetzt hinunter: Da Ihr hartnäckig darauf besteht, muss ich's der Ratsversammlung der Brüder vortragen. Bis dahin geduldet Euch!
Er schritt zurück über den Hof, im Herzen den stillen Wunsch, dass eine Sündflut vom Himmel die Heerstraße zerstören möge, die so leichtlich unberufenen Besuch herbeiführe. Sein hinkender Gang war eilig und aufgeregt, und es ist nicht zu verwundern, dass berichtet wird, er sei in selber Zeit in dem Klostergang auf- und abgeflattert wie ein Schwälblein vor dem Gewitter.
Fünfmal erklang jetzt das Glöcklein von des heiligen Othmar Kapelle neben der Hauptkirche und rief die Brüder zum Kapitelsaal. Und der einsame Kreuzgang belebte sich mit einherwandelnden Gestalten; gegenüber vom sechseckigen Ausbau, wo unter säulengetragenen Rundbogen der Springquell anmutig in die metallene Schale niederplätscherte, war der Ort der Versammlung, eine einfache graue Halle; auf erhöhtem Ziegelsteinboden hob sich des Abtes Marmorstuhl, dran zwei rohe Löwenköpfe ausgehauen, Stufen führten hinauf. Vergnüglich streifte das Auge von dort an den dunkeln Pfeilern und Säulen vorüber ins Grün des Gärtleins im innern Hofe; Rosen und Malven blühten drin empor; die Natur sucht gütig auch die heim, die sich ihr abgekehrt.
In scharfem Gegensatz der Farbe hoben sich die weißen Kutten und dunkelfarbigen Oberkleider vom Steingrau der Wände; lautlos traten die Berufenen ein, flüchtig Nicken des Hauptes war der gegenseitige Gruß; wärmender Sonnenstrahl fiel durchs schmale Fenster auf ihre Reihen.
Es waren erprobte Männer, ein heiliger und Gott wohlgefälliger Senat. Der mit dem schmächtigen Körper und dem scharfen, von Fasten und Nachtwachen geblassten Antlitz war Notker, der Stammler; ein wehmütig Zucken spielte um seine Lippen, lange Übung der Askesis hatte seinen Geist der Gegenwart entrückt. Früher hatte er gar schöne Singweisen erdacht, jetzt war er verdüstert und ging in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngst den Teufel erreicht und so darniedergeschlagen, dass er mit lautem Auwehschrei in einen Winkel sich barg; und seine Neider sagten, auch sein schwermütiges Lied media vita sei unheimlichen Ursprungs und vom bösen Feind geoffenbart als Lösegeld, da er ihn in seiner Zelle siegreich zusammengetreten unter starkem Fuße festhielt.
Aber neben ihm lächelte ein gutmütig ehrenfest Gesicht aus eisgrauem Bart herfür; der starke Tutilo war's, der saß am liebsten vor der Schnitzbank und schnitze die wunderfeinen Bildwerke in Elfenbein; noch gibt das Diptychon mit Marias Himmelfahrt und dem Bären des heiligen Gallus Zeugnis von seiner Kunst. Aber wenn ihm der Rücken sich krümmen wollte von der Arbeit Last, zog er singend hinab auf die Wolfsjagd oder suchte einen ehrlichen Faustkampf zur Erholung; er focht lieber mit bösen Menschen als mit nächtlichem Spuk und sagte oft im Vertrauen zu seinem Freunde Notker: Wer so manchem in Christenheit und Heidenschaft ein blaues Denkzeichen verabreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren.
Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule, der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von seinen Geschichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt; er und die beiden andern waren ein Herz und eine Seele, ein dreiblättriger Klosterklee, so verschieden auch ihr Wesen. Weil er unter den letzten in den Saal trat, kam Ratpert neben seinen Widersacher zu stehen, den bösen Sindolt, der tat, als sähe er ihn nicht, und flüsterte seinem Nachbar etwas zu; der war ein klein Männlein mit einem Gesicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zusammen, denn Sindolt hatte ihm soeben zugeraunt, im grossen Wörterbuch des Bischofs Salomo.
Grimoald, fällt es dir bei, aus diesem Kruge zu schöpfen, Möge sein Inhalt sofort sich in Säure des Essigs verwandeln Und ein unendlicher Husten samt brennendem Durst dir beschert sein zu der Glosse: |
»Rabulista bedeutet einen, der über jeglich Ding der Welt disputieren will,« von unbekannter Hand zugeschrieben worden: »Wie Radolt, unser Denkmann.«
Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der unermüdliche Schönschreiber, dessen Schriftzüge die ganze cisalpinische Welt bewunderte; die grössten von Sankt Gallus Jüngern an Maß des Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen, Fortegian und Failan, Dubslan und Brendan und wie sie alle hießen, eine untrennbare Landsmannschaft, aber missvergnügt über Zurücksetzung; auch der rotbärtige Dabduin stand dabei, der trotz der schweren eisernen Bußkette nicht zum Probst gewählt ward und zur Strafe für seine beißenden Schmähverse auf die deutschen Mitbrüder drei Jahre lang den dürren Pfirsichbaum im Klostergarten begießen musste.
Und Notker, der Arzt, stund unter den Versammelten, der erst jüngst des Abts hinkendem Fuß die große Heilkur verordnet hatte mit Einreibung von Fischgehirn und Umschlag einer frisch abgezogenen Wolfshaut, auf dass die Wärme des Pelzes die gekrümmten Sehnen gerad biege: sie hießen ihn das Pfefferkorn ob seiner Strenge in Handhabung der Klosterzucht; – und Wolo, der keine Frau ansehen konnte und keine reifen Äpfel, und Engelbert, der Einrichter des Tiergartens, und Gerhard, der Prediger, und Folkard, der Maler: Wer kennt sie alle, die löblichen Meister, bei deren Aufzählung schon das nächstfolgende Klostergeschlecht wehmütig bekannte, dass solche Männer von Tag zu Tag seltener würden?
Jetzt bestieg der Abt seinen ragenden Steinsitz, und sie beratschlagten, was zu tun sei. Der Fall war schwierig. Ratpert trat auf und wies aus den Aufzeichnungen vergangener Zeit nach, auf welche Art einst dem großen Kaiser Karl ermöglicht worden, in des Klosters Inneres zu kommen. Damals, sprach er, ward angenommen, er sei ein Ordensbruder, solang er in unsern Räumen weile, und alle taten, als ob sie ihn nicht kenneten; kein Wort ward gesprochen von kaiserlicher Würde und Kriegstaten oder demütiger Huldigung, er musste einherwandeln wie ein anderer auch, und dass er des nicht beleidigt war, ist der Schutzbrief, den er beim Abzug über die Mauern hineinwarf, Zeuge.
Aber damit war das große Bedenken, dass jetzt eine Frau Einlass begehrte, nicht gelöst. Die strengeren Brüder murrten, und Notker, das Pfefferkorn, sprach: Sie ist die Witwe jenes Landverwüsters und Klosterschädigers, der den kostbaren Kelch bei uns als Kriegssteuer erhob und höhnend dazu sagte: Gott isst nicht und trinkt nicht, was nützen ihm die goldenen Gefäße? Lasst ihr das Tor geschlossen!
Das war jedoch dem Abt nicht recht. Er suchte einen Ausweg. Die Beratung war stürmisch, sie sprachen hin und her. Der Bruder Wolo, da er hörte, dass von einer Frau die Rede, schlich leis von dannen und schloss sich in seine Zelle.
Da hob sich unter den Jüngeren einer und erbat das Wort.
Sprechet, Bruder Ekkehard, rief der Abt.
Und das wogende Gemurmel verstummte; alle hörten den Ekkehard gern. Er war jung an Jahren, von schöner Gestalt und fesselte jeden, der ihn schaute, durch sittige Anmut, dabei weise und beredt, von klugverständigem Rat und ein scharfer Gelehrter. An der Klosterschule lehrte er den Virgilius, und wiewohl in der Ordensregel geschrieben stand: zum Pörtner soll ein weiser Greis erwählt werden, dem gesetztes Alter das Irrlichtelieren unmöglich macht, damit die Ankommenden mit gutem Bescheid empfangen seien, so waren die Brüder eins, dass er die erforderlichen Eigenschaften besitze, und hatten ihm auch das Pörtneramt übertragen.
Ein kaum sichtbares Lächeln war über seinen Lippen gelegen, dieweil die Alten sich stritten. Jetzt erhob er seine Stimme und sprach:
Die Herzogin in Schwaben ist des Klosters Schirmvogt und gilt in solcher Eigenschaft als wie ein Mann. Und wenn in unserer Satzung streng geboten ist, dass kein Weib den Fuß über des Klosters Schwelle setze: man kann sie ja darüber tragen.
Da heiterten sich die Stirnen der Alten, als wäre jedem ein Stein vom Herzen gefallen, beifällig nickten die Kapuzen, auch der Abt war des verständigen Wortes nicht unbewegt und sprach:
Fürwahr, oftmals offenbart der Herr einem Jüngeren das Dienstlichste, Bruder Ekkehard, Ihr seid sanft wie die Taube, aber klug wie die Schlange, so sollt Ihr des eigenen Rats Vollstrecker sein. Wir geben Euch Dispens.
Dem Pörtner schoss das Blut in die Wangen, er verbeugte sich, seinen Gehorsam anzudeuten.
Und der Herzogin weibliche Begleitung? frug der Abt weiter. Da wurde der Konvent eins, dass für diese auch die freimütigste Gesetzesauslegung keine Möglichkeit des Eintritts eröffne. Der böse Sindolt aber sprach: Die mögen indessen zu den Klausnerinnen auf den Irenhügel gehen; wenn des heiligen Gallus Herde von einer Landplage heimgesucht wird, soll die fromme Wiborad auch ein Teil daran leiden.
Der Abt pflog noch eine lange flüsternde Verhandlung mit Gerold, dem Schaffner, wegen des Vesperimbisses; dann stieg er von seinem Steinsitz und zog mit der Brüder Schar den Gästen entgegen. Die waren draußen schon dreimal um des Klosters Umfriedung herumgeritten und hatten sich mit Glimpf und Scherz des Wartens Ungeduld vertrieben.
In der Tonweise: justus germinavit kamen jetzt die eintönigen schweren Klänge des Lobliedes auf den heiligen Benedictus aus dem Klosterhof zu den Wartenden gezogen, das schwere Tor knarrte auf, heraus schritt der Abt, paarweise langsamen Ganges der Zug der Brüder, die beiden Reihen erwiderten sich die Strophen des Hymnus.
Dann gab der Abt ein Zeichen, dass der Gesang verstumme. Wie geht's Euch, Vetter Cralo, rief die Herzogin leichtfertig vom Ross, hab' Euch lange nicht gesehen. Hinket Ihr noch?
Cralo aber sprach ernst: Es ist besser, der Hirt hinke, als die Herde. Vernehmet des Klosters Beschluss.
Und er eröffnete die Bedingung, die auf den Eintritt gesetzt. Da sprach Frau Hadwig lächelnd: Solang ich den Zepter führe in Schwabenland, ist mir ein solcher Vorschlag nicht gemacht worden. Aber Eures Ordens Vorschrift soll von uns kein Leides geschehen; welchem der Brüder habt Ihr's zugewiesen, die Landesherrin über die Schwelle zu tragen?
Sie ließ ihr funkelnd Auge über die geistliche Heerschar streifen. Wie sie auf Notker, des Stammlers, unheimlich Schwärmerantlitz traf, flüsterte sie leise der Griechin zu: Möglich, dass wir gleich wieder umkehren!
Da sprach der Abt: Das ist des Pörtners Amt, dort steht er.
Frau Hadwig wandte den Blick in der Richtung, die des Abts Zeigefinger wies; gesenkten Auges stund Ekkehard; sie erschaute die sinnige Gestalt im rotwangigen Schimmer der Jugend, es war ein langer Blick, mit dem sie über die gedankenbewegten Züge und das wallende gelbliche Haupthaar und die breite Tonsur streifte.
Wir kehren nicht um! nickte sie zu ihrer Begleiterin, und bevor der kurzhalsige Kämmerer, der meistenteils den guten Willen und das Zuspätkommen hatte, vom Gaul herab und ihrem Schimmel genaht war, sprang sie anmutig aus dem Bügel, trat auf den Pörtner zu und sprach: – So tut, was Eures Amtes!
Ekkehard hatte sich auf eine Anrede besonnen und gedachte mit Anwendung tadellosen Lateins die sonderbare Freiheit zu rechtfertigen, aber wie sie stolz und gebietend vor ihm stand, versagte ihm die Stimme, und die Rede blieb, wo sie entstanden – in seinen Gedanken.
Aber er war unverzagten Mutes und umfasste mit starkem Arm die Herzogin, die schmiegte sich vergnüglich an ihren Träger und lehnte den rechten Arm auf seine Schulter. Fröhlich schritt er unter seiner Bürde über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm zur Seite, Kämmerer und Dienstmannen folgten, hoch schwangen die dienenden Knaben ihre Weihrauchfässer, und die Mönche wandelten in gedoppelter Reihe, wie sie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen ihres Loblieds singend.
Es war ein wundersam Bild, wie es vor und nachmals in des Klosters Geschichte nicht wieder vorkam, und ließen sich von Freunden unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, ersprießliche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältnis der Kirche zum Staat in damaligen Zeiten und dessen Änderung in der Gegenwart...
Die Naturverständigen sagen, dass durch Annäherung lebender Körper unsichtbar wirkende Kräfte tätig werden, ausströmen, ineinander übergehen und seltsamliche Beziehungen herstellen. Das mochte sich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil sie sich in seinen Armen wiegte, gedachte sie leise: »Fürwahr, noch keinem hat Sankt Benedikts Kapuze anmutiger gesessen als diesem«, und wie er im kühlen Klostergang seine Bürde mit schüchternem Anstand absetzte, fiel ihm nichts auf, als dass ihm die Strecke vom Tor bis hierher noch niemals so kurz vorgekommen.
Ich bin Euch wohl schwer gefallen? sprach die Herzogin sanft.
Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich sagen, wie da geschrieben steht: mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht, war seine Erwiderung.
Ich hätte nicht gedacht, sprach sie darauf, dass Ihr die Worte der Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr? Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard.
Ekkehard! ich danke Euch! sagte die Herzogin mit anmutvoller Handbewegung.
Er trat zurück an ein Bogenfenster im Kreuzgang und schaute hinaus ins Gärtlein. War's ein Zufall, dass ihm jetzt der heilige Christopherus vor die Gedanken trat?
Dem deuchte seine Bürde auch leicht, da er anhub, das fremde Kindlein auf starker Schulter über den Strom zu tragen, aber schwer und schwerer senkte sich die Last auf seinen Nacken und presste ihn hinab in die brausende Flut, tief, tief, dass sein Mut sich neigen wollt zu verzweifeln...