Loe raamatut: «Ekkehard», lehekülg 4
Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geschenk eines Dankes wert.
Zu selber Zeit hob sich die Dachluke an Wiborads Zelle, die hagere Gestalt ward zur Hälfte sichtbar, ein mäßiger Feldstein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Hasen.
Man ersieht daraus, dass die Formen geselligen Verkehrs mannigfach von den heutigen verschieden waren.
Praxedis sprach ihr Befremden aus.
So etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiderte Romeias. Mäßiger Geifer und Zorn schafft alten Einsiedlerinnen neue Lebenskraft; es ist ein gutes Werk, zu Erregung derselben beizutragen.
Aber sie ist eine Heilige, sagte Praxedis scheu.
Da brummte Romeias in den Bart. Sie soll froh sein, sprach er, wenn sie's ist. Ich will ihr das Fell ihrer Heiligkeit nicht abziehen.. Aber seit ich in Konstanz meiner Mutter Schwester besucht, hab' ich allerhand erfahren, was mir nicht grün aussieht. Es ist dort noch nicht vergessen, wie sie vor des Bischofs Gericht sich verantworten musste wegen dem und jenem was mich nichts angeht, und die Konstanzer Kaufleute erzählen, ohne dass man sie fragt, wie ihnen die Klausnerinnen am Münster das Almosengeld, das fromme Pilgrime zutrugen, gegen Wucherzins ausgeliehen. Was kann ich dafür, dass mir schon in Knabenzeit im Steinbruch ein seltsam großer Kiesel in die Hände kam? Wie ich den aufgehämmert, saß eine Kröte drin und machte verwunderte Augen. Seitdem weiß ich, was eine Klausnerin ist. Schnipp, schnapp – trari, trara!
Romeias geleitete seine neue Freundin zur Pforte des außer Klosterbann gelegenen Hauses, das zu ihrer Herbergung bestimmt war. Dort standen die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den sie gepflückt, lag auf dem Steintisch am Eingang.
Wir müssen Abschied nehmen, sagte der Wächter.
Lebt wohl, sprach Praxedis.
Da ging er. Nach dreißig Schritten schaute er scharf zurück. Aber zweimal geht die Sonne an einem Tage nicht auf, am wenigstens für einen Wächter am Klostertor. Es ward ihm keine Kusshand mehr zugeworfen, Praxedis war ins Haus gegangen.
Da wandelte Romeias langsam zurück, griff, ohne anzufragen, den Blumenstrauß vom Steintisch und zog ab. Den Hirsch und die vier Hasen lieferte er der Klosterküche. Dann bezog er seine Wächterstube, nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Nase und einen Querstrich als Mund.
Der Klosterschüler Burkard kam herauf, mit ihm zu spielen. Den fasste er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, stellte ihn vor die Wand und sprach: Schreib den Namen drunter!
Was für einen Namen? frug der Knabe.
Ihren! sprach Romeias.
Was weiß ich von ihr und ihrem Namen, sagte der Klosterschüler verdrießlich.
Da sieht man's wieder, brummte Romeias, wozu das Studieren gut ist! Sitzt der Bub' jeden Tag acht Stunden hinter seinen Eselshäuten und weiß nicht einmal, wie ein fremdes Frauenzimmer heißt!...
Viertes Kapitel: Im Kloster
Frau Hadwig hatte inzwischen am Grab des heiligen Gallus ihre Andacht verrichtet. Dann gedachte der Abt, ihr einen Gang im schattigen Klostergarten vorzuschlagen; aber sie bat, ihr zuvörderst den Kirchenschatz zu zeigen. Der Frauen Gemüt, wie hoch es auch genaturt sein mag, erfreut sich allzeit an Schmuck, Zierrat und prächtiger Gewandung. Da wollte der Abt mit einiger Ausrede ihren Sinn ablenken, vermeinend, sie seien nur ein arm Klösterlein und seine Base werde auf ihren Fahrten im Reich und am Kaiserhof schon Preiswürdigeres erschaut haben: es half ihm nicht. Sie traten in die Sakristei ein.
Er ließ die gebräunten Schränke öffnen, da war viel zu bewundern an purpurnen Messgewändern, an Priesterkleidern mit Stickerei und gewirkten Darstellungen aus heiliger Geschichte. War auch manches darauf abgebildet, was noch nahe an römisches Heidentum anstreifte, zum Beispiel die Hochzeit des Merkurius mit der Philologie.
Hernach wurden die Truhen aufgeschlossen, da glänzte es vom Schein edler Metalle, silberne Ampeln gleißten herfür und Kronen, Streifen getriebenen Goldes zur Einfassung der Evangelienbücher und der Altarverzierung; Mönche des Klosters hatten sie, ums Knie gebunden, aus welschen Landen über unsichere Alpenpfade sicher eingebracht; – köstliche Gefäße in seltsamen Formen, Leuchter in Delphinengestalt, säulengetragene Schalen, Leuchttürmen gleich, Weihrauchbehälter und viel anderes – ein reicher Schatz. Auch ein Kelch von Bernstein war dabei, der schimmerte lieblich, so man ihn ans Licht hielt; am Rand war ein Stück ausgebrochen.
Als mein Vorgänger Hartmuth am Sterben lag, sprach der Abt, ward's gepulvert und ihm mit Wein und Honig eingegeben, das Fieber zu stillen.
Mitten im Bernstein saß ein Mücklein, so fein erhalten, als wär's erst neulich hineingeflogen, und hat sich dies Insekt, wie es in vorgeschichtlichen Zeiten vergnüglich auf seinem Grashalm saß und vom zähflüssigen Erdharz überströmt ward, auch nicht träumen lassen, dass es in solcher Weise auf die Nachwelt übergehen werde.
Auf derlei stummes Zeugnis wirkender Naturkraft ward aber damals kein aufmerkendes Auge gerichtet; wenigstens war der Kämmerer Spazzo, der ebenfalls mit Sorgfalt alles musterte, mit andern Dingen beschäftigt. Er dachte, um wie viel ergötzlicher es sein möcht', mit diesen frommen Männern in Fehde zu liegen und, statt als Gastfreund einzureiten, Platz und Schatz mit stürmender Hand zu nehmen. Und weil er schon manchen Umschlag vornehmer Freundschaft erlebt, bereitet er sein Gemüt auf diese Möglichkeit, fasste den Eingang der Sakristei genau ins Aug' und murmelte: Also vom Chor die erste Pforte zur Rechten!
Der Abt mochte auch der Ansicht sein, dass lang fortgesetzter Anblick von Gold und Silber Hunger nach Besitz errege; er ließ die letzte Truhe, welche der Kostbarkeiten barg, nicht mehr weiter betrachtdn und drängte, dass sie ins Freie kamen.
Sie lenkten ihre Schritte zum Klostergarten. Der war weitschichtig angelegt und trug an Kraut und Gemüse viel nach Bedarf der Küche, zudem auch nützliches Arzneigewächs und heilbringende Wurzeln.
Beim Baumgarten war ein großer Raum abgeteilt für wild Getier und Gevögel, wie solches teils in den nahen Alpen hauste, teils als Geschenk fremder Gäste dem Garten verehrt war.
Da erfreute sich Frau Hadwig am ungeschlachten Wesen der Bären: in närrischen Sprüngen kletterten sie am Baum ihres Twingers auf und nieder; daneben erging sich ein kurznasiger Affe, der mit einer Meerkatze zusammen an einer Kette durchs Leben tollte, – zwei Geschöpfe, von denen ein Dichter damaliger Zeit sagt, dass weder das eine noch das andere eine Spur nutzbringender Anlage als Berechtigungsgrund seines Vorhandenseins aufzuweisen vermöge.
Simia nare brevi, nate nuda murcaque cauda, Voceque milvina, cute crisa catta marina, In quibus ambabus nil cernitur utilitatis. |
Ruodlieb fragm. III. u. ff. |
Ein alter Steinbock stand im engen Raum, der Sohn der Hochalpe senkte sein Haupt, still und geduckt; seit er die schneidige Luft der Gletscher entbehren musste, war er blind geworden, denn nicht jeder gedeiht in den Niederungen der Menschen.
In anderem Behältnis waren dickhäutige Dachse angebaut; der böse Sindolt lachte, wie sie vorüberkamen. Sei gegrüßt, du kleines, niederträchtig Getier, sprach er, du erlesen Wildbret der Klosterknechte!
Wieder anderswo pfiff es durchdringend. Ein Rudel Murmeltiere lief den Ritzen zwischen den künstlich geschichteten Felsen zu. Frau Hadwig hatte solch kurzweilig Geschöpf noch nicht erschaut. Da erklärte ihr der Abt deren Lebensart.
Die schlafen mehr als jede andere Kreatur, sprach er; auch wenn sie wachen, mögen sie ohne Phantasieren nicht sein, und so der Winter herzustreicht, lesen sie allenthalben Halm und Heu zusammen, und eines von ihnen legt sich auf den Rücken, richtet die vier Füße ob sich, die andern legen auf es alles, so sie zusammengeraspelt haben, nehmen es danach beim Schweif und ziehen's wie einen geladenen Frachtwagen zu ihrer Höhle. Da sprach Sindolt zum dicken Kämmerer Spazzo: Wie schade, dass Ihr keine Bergmaus geworden, das wär' eine anmutige Verrichtung für Euch!
Wie der Abt sich abgewendet, hub der böse Sindolt eine neue Art der Erklärung an: Das ist unser Tutilo! sprach er und deutete auf einen Bären, der soeben seinen Nebenbär rücklings zu Boden geworfen, – das der blinde Thieto! er deutete auf den Steinbock; eben wollte er auch seinem Abt die Ehre einer nicht schmeichelhaften Vergleichung erweisen, da fiel ihm die Herzogin in die Rede: Wenn Ihr alles zu vergleichen wisset, habt Ihr auch für mich ein Sinnbild?
Sindolt war verlegen. Zum guten Glück stand bei den Kranichen und Reihern ein schmuckes Silberfasan und wiegte sein perlgrau glänzend Gefieder im Sonnenschein.
Dort! sprach Sindolt.
Aber die Herzogin wandte sich zu Ekkehard, der träumerisch in das Gewimmel der Tierwelt schaute. Einverstanden? frug sie. Er fuhr auf. O Herrin, sprach er mit weicher Stimme, wer ist so vermessen, unter dem, was da kreucht und fleucht, ein Sinnbild für Euch zu suchen?
Wenn Wir's aber verlangen...
Dann weiß ich nur einen Vogel, sprach Ekkehard, wir haben ihn nicht und niemand hat ihn; in klaren Mitternächten fliegt er hoch zu unsern Häuptern und streift mit den Schwingen den Himmel. Der Vogel heißt Caradrion; wenn seine Fittiche sich zur Erde senken, soll ein siecher Mann genesen: da kehret sich der Vogel zu dem Manne und tut seinen Schnabel auf des Mannes Mund, nimmt des Mannes Unkraft an sich und fährt auf zur Sonne und läutert sich im ew'gen Licht: da ist der Mann gerettet.
Der Abt kam wieder herbei und unterbrach weitere Sinnreden. Auf einem Apfelbaum saß ein dienender Bruder, pflückte die Äpfel und sammelte sie in Körbe. Wie sich die Herzogin zum Schatten der Bäume wandte, wollte er herniedersteigen, aber sie winkte ihm, zu bleiben. Jetzt ertönte es wie Gesang zarter Knabenstimmen in des Gartens Niederung: Die Zöglinge der inneren Klosterschule kamen heran, der Herzogin ihre Huldigung zu bringen; blutjunge Bürschlein, trugen sie bereits die Kutte, und mancher hatte die Tonsur aufs ellfjährige Haupt geschoren. Wie sie aber in Prozession daherzogen, die rotbackigen Äbtlein der Zukunft, geführt von ihren Lehrern, den Blick zur Erde niedergeschlagen, und wie sie so ernst und langsam ihre Sequenzen sangen, da flog ein leiser Spott über Frau Hadwigs Antlitz, mit starkem Fuß stieß sie den nahestehenden Korb um, dass die Äpfel lustig unter den Zug der Schüler rollten und an ihren Kapuzen emporsprangen. Aber unbeirrt zogen sie des Weges; nur der kleinsten einer wollte sich bücken nach der verlockenden Frucht, doch streng hielt ihn sein Nebenmännlein am Gürtel. Wohlgefällig sah der Abt die Haltung des jungen Volkes und sprach: Disziplin unterscheidet den Menschen vom Tier! und wenn Ihr der Hesperiden Äpfel unter sie werfen wolltet, sie blieben fest.
Frau Hadwig war gerührt. Sind alle Eure Schüler so gut erzogen? fragte sie.
So Ihr Euch überzeugen wollt, sprach der Abt, die großen in der äußeren Schule wissen nicht minder, was Zucht und Gehorsam ist.
Die Herzogin nickte. Da führte sie der Abt zur äußeren Klosterschule, wo zumeist vornehmer Laien Söhne und diejenigen erzogen wurden, die sich weltgeistlichem Stand widmen wollten. Sie traten in die Klasse der Ältesten ein. Auf der Lehrkanzel stand Ratpert, der Vielgelehrte, und unterwies seine Jugend im Verständnis von Aristoteles' Logica. Geduckt saßen die Schüler über ihren Pergamenten, kaum wandten sich die Häupter nach den Eingetretenen. Der Lehrmeister gedachte Ehre einzulegen. Notker Labeo! rief er. Der war die Perle seiner Schüler, die Hoffnung der Wissenschaft; auf schmächtigem Körper ein mächtiges Haupt, dran eine gewaltige Unterlippe kritisch in die Welt hervorragte, das Wahrzeichen strenger Ausdauer auf den steinigen Pfaden des Forschens und Ursache seines Übernamens.
Der wird brav, flüsterte der Abt, die ganze Welt sei ein Buch, hat er schon im zwölften Jahre gesagt, und die Klöster die klassischen Stellen drin.
Der Aufgerufene ließ seine klugen Äuglein über den griechischen Text hingleiten und übersetzte mit gewichtigem Ernst den stagiritischen Tiefsinn:
.... »Findest du an einem Holze oder Steine einen als Linie laufenden Strich, der ist der eben liegenden Teile gemeine March. Spaltet sich an dem Striche der Stein oder das Holz entzwei, so sehen wir strichweise zwei Durchschnitte an dem sichtbaren Spalte, die vorher nur ein Strich und Linie waren. Und überdies sehen wir zwo neue Oberflächen, die also breit sind, als dick der Körper war, da man vor die neue Oberfläche nicht sah. Darum erhellet, dass dieser Körper vorhin zusammenhängend war..«
Aber wie dieser Begriff des Zusammenhängenden glücklich herausgeklaubt war, streckten etlich der jungen Logiker die Köpfe zusammen und flüsterten und flüsterten lauter, – selbst der Klosterschüler Hepidan, der unbeirrt von Notkers trefflicher Verdeutschung seine ganze Mühe aufwandte, einen Teufel mit doppeltem Flügelpaar und Ringelschwanz in die Bank einzuschneiden, stellte seine Arbeit ein... jetzt wandte der Lehrmeister sich an den Folgenden: Wie wird aber die Oberfläche eine gemeine March? Da las der seinen griechischen Text, aber die Bewegung in den Schulbänken ward stärker, es summte und brummte wie ferne Sturmglocken, zur Übersetzung kam's nicht mehr, plötzlich stürmten die Zöglinge Ratperts lärmend vor, sie stürmten auf die Herzogin ein, rissen sie von des Abts und des Kämmerers Seite: gefangen! gefangen! schrie die holde Jugend und begann sich mit den Schulbänken zu verschanzen: gefangen! wir haben die Herzogin in Schwaben gefangen! Was soll ihr Lösegeld sein?
Frau Hadwig hatte sich schon in mancherlei Lebenslagen befunden. Dass sie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte sie Reiz für sie; sie fügte sich.
Ratpert, der Lehrmeister, holte aus seinem Holzverschlag eine mächtige Rute hervor, schwang sie dräuend zur Umkehr und rief, ein zweiter Neptunus, die virgilischen Verse ins Getümmel:
»So weit hat das Vertrauen auf euer Geschlecht euch verleitet? Himmel und Erde sogar, ohn' alles Geheiß von mir selber, Wagt ihr zu mischen, ihr Winde, und solchen Tumult zu erheben?! Quos ego!!« |
Erneuter Halloruf war die Antwort. Schon war der Saal durch Schulbänke und Schemel abgesperrt. Herr Spazzo überlegte den Gedanken eines Sturms und kräftiger Faustschläge an die Haupträdelsführer. Der Abt war sprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in die Glieder gefahren.
Die hohe Gefangene stand am unteren Ende des Hörsaals in einer Fensternische, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern.
Was soll das alles, ihr schlimmen Knaben? frug sie lächelnd.
Da trat einer der Anführer vor, beugte sein Knie und sprach demütig: Wer als Fremder kommt, ist sonder Schutz und Friede, und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen.
Lernt ihr das auch aus euern griechischen Büchern?
Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch.
So will ich mich denn auslösen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den rotwangigen Logiker und zog ihn zu sich heran, ihn zu küssen; der aber riss sich von ihr los, sprang in den Kreis der lärmenden Genossen und rief:
Die Münze kennen wir nicht!
Was wollt ihr denn für ein Lösegeld? fragte die Herzogin. Sie war der Ungeduld nahe.
Der Bischof Salomo von Konstanz war auch unser Gefangener, sprach der Schüler, der hat uns drei weitere Vakanztage erwirkt im Jahre und eine Rekreation an Fleisch und Brot, und hat's in seinem Testament gebrieft und angewiesen. O nimmersatte Jugend! sprach Frau Hadwig, so muss ich's zum mindesten dem Bischof gleichtun. Habt ihr schon Felchen aus dem Bodensee verspeist?
Nein! riefen die Jungen.
So sollt ihr jährlich sechs Felchen zum Angedenken an mich erhalten. Der Fisch ist gut für junge Schnäbel.
Gebt Ihr's mit Brief und Siegel?
Wenn's sein muss!
Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr! rief's von allen Seiten, Heil, sie ist frei! Die Schulbänke wurden in Ordnung gestellt, der Ausgang gelichtet, springend und jubelnd geleiteten sie die Gefangene zurück. Im Hintergrund flogen die Pergamentblätter der Logica als Freudenzeichen in die Höhe, selbst Notker Labeos Mundwinkel neigten sich zu einem gröblichen Lachen, und Frau Hadwig sprach: Sie waren recht huldvoll, die jungen Herren; wollt ihr die Rute wieder in den Verschlag tun, Herr Professor!
An ein Weitererklären des Aristoteles war heut nicht mehr zu denken. Ob die Ausgelassenheit der Schüler nicht in nahem Zusammenhang mit ihrem Studium der Logik stand? Der Ernst ist oftmals ein gar zu dürrer blattloser hohler Stamm, sonst hätt' die Torheit nicht Raum, ihn üppig grün zu umranken...
Wie die Herzogin mit dem Abt den Hörsaal verlassen, sprach dieser: Es erübrigt noch, Euch des Klosters Bücherei zu zeigen, die Arzneikammer lernbegieriger Seelen, das Zeughaus für die Waffen des Wissens. Aber Frau Hadwig war ermüdet, sie dankte. Ich muss mein Wort halten, sprach sie, und die Schenkung an Eure Schulknaben urkundlich machen. Wollt ihr die Handfeste aufsetzen lassen, dass wir sie mit Unterschrift und Siegel versehen.
Herr Cralo führte seinen Gast nach seinen Gemächern. Den Kreuzgang entlang wandelnd, kamen sie an einem Gelass vorüber, deß Türe war offen. An kahler Wand stand eine niedere Säule, von der in halber Mannshöhe eine Kette niederhing. Über dem Portal war in verblaßten Farben eine Gestalt gemalt, sie hielt in magern Fingern eine Rute. Wen der Herr lieb hat, züchtigt er; er stäupet einen jeglichen, den er zum Sohne annimmt (Hebr. XII. 6), war in großen Buchstaben darunter geschrieben.
Frau Hadwig warf dem Abt einen fragenden Blick zu.
Die Geißelkammer! sprach er.
Ist keiner der Brüder zur Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein...
Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, rückte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: Ich komme sogleich, und enteilte ins Dunkel des Ganges.
Er wusste warum.
Notker, der Stammler, hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuchs vollendet und es mit zierlich feinen Federzeichnungen geziert; das hatte der neidische Sindolt nächtlicherweile zerschnitten und die Weinkanne darüber geschüttet. Drob war er zu dreimaliger Geißelstrafe verdammt, der letzten Vollzug stand noch aus: er kannte das Örtlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach an der Wand hingen, vom neunfältigen »Skorpion« herab bis zur einfachen »Wespe«.
Der Abt drängte, dass sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den einfachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte in wenig Stunden viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum Abendimbiss.
Wer zu dieser Frist einen Rundgang durch des Klosters Zellen gemacht, der hätte sich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Besuches geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüter fühlten, dass einer Frau Huldigung gebührt.
Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz gefallen, dass der linke Ärmel seiner Kutte mit einem Loch geschmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag ungeflickt geblieben, aber jetzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn bewaffnet saß er auf dem Schragen und besserte den Schaden aus.
Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und befestigte sie mit Nägeln. Er summte eine Melodie, dass die Arbeit besser gedieh.
Radolt, das Denkmännlein, ging mit gerunzelter Stirn auf seiner Zelle auf und nieder, vermeinend, es werde sich eine Gelegenheit ergeben, in frei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm zu preisen. Den Eindruck unmittelbaren Ergusses zu erhöhen, studierte er sie vorher. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen zu Grund legen: »Sie glauben auch, dass den Frauen etwas Heiliges und Zukunftvoraussehendes inwohne, darum verschmähen sie niemals ihren Rat und fügen sich ihren Bescheiden.« Es war dies fast das Einzige, was er aus Hörensagen von den Frauen wusste, aber er zwinkte mit den Eichhörnleinsaugen und war sicher, von dort unter etlichen bissigen Ausfällen auf seine Mitbrüder einen Übergang zum Lob der Herzogin zu finden. Leider blieb die Gelegenheit zur Anbringung einer Rede aus, weil er sie nicht zu finden verstand.
In anderer Zelle saßen der Brüder sechs unter dem riesigen Elfenbeinkamm, der an eiserner Kette von der Decke herabhing, – Abt Hartmuths nützliche Stiftung – die vorgeschriebenen Gebete murmelnd erwies einer dem andern den Dienst sorglicher Glättung des Haupthaares. Ward auch manch überwachsene Tonsur in jener Zeit zu strahlendem Glanze erneut.
In der Küche aber ward unter Gerold, des Schaffners, Leitung eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.
Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch keiner unwillig gehört: der Ruf zur Abendmahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben Säulen teilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, Priester und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine sonderliche Aufmerksamkeit.
Das Amt des Vorlesers vor der Imbissstunde in dieser Woche lag bei Ekkehard, dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den vierundvierzigsten Psalm erkoren, er trat auf und sprach einleitend: »Herr öffne meine Lippen, auf dass mein Mund dein Lob verkünde,« und alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung.
Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die Schrift selber einen lieblichen Gesang nennt:
Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Gedicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers.
Der Schönste bist du von den Söhnen des Menschen. Anmut ist gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig.
Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts.
Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien geschärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des Königs sind.
Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Zepter ist der Zepter deines Reichs.
Du liebest das Recht und hassest das Unrecht, drum hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit dem Öl der Freude, mehr denn alle Genossen; Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeinernen Palästen erfreuen Saiten dich...«
Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen, und der Psalm blieb unbeendet, als sich zu Tisch setzte.
Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, dass Frau Hadwig dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Dekan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Mute, als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau Hadwigs seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel gepflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig gestimmt, – kaum merkte er die Absicht, so rückte er sich vergnüglich seitwärts und schob den Pörtner auf den Dekanssitz. Neben Ekkehard kam der Herzogin Kämmerer Spazzo zu sitzen, dem zur Seite der Mönch Sindolt.
Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeister, wohl wissend, wie bei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet sei, hatte es nicht beim üblichen Mus mit Hülsenfrüchten bewenden lassen. Auch der strenge Küchenzettel des seligen Abts Hartmuth ward nicht eingehalten.
Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf dass, wer gewissenhaft bei der Regel bleiben wollte, sich daran ersättige; aber Schüssel auf Schüssel folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht, sogar der Biber vom obern Fischteich hatte sein Leben lassen müssen; Fasanen, Rebhühner, Turteltauben und des Vogelherds kleinere Ausbeute folgten, der Fische aber eine unendliche Auswahl, so dass schließlich ein jeglich Getier, watendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes auf der Klostertafel seine Vertretung fand.
Und mancher der Brüder kämpfte damals einen schweren Kampf in seines Gemüts Tiefe; selbst Gozbert, der alte Dekan... des Hirsebreis war er gesättigt und hatte mit mächtigem Stirnrunzeln des Hirsches Braten und des Bären Schinken weggeschoben, als wär's eine Versuchung des bösen Feindes; aber wie auch ein schön bräunlich gebraten Birkhuhn in seine Nähe gestellt ward, da schlug der Bratenduft träumerisch an seine Nase, mit dem Duft hielten die Geschichten seiner Jugend bei ihm Rückkehr: wie er selber vor vierzig Jahren dem Weidwerk oblag und in frühem Morgennebel dem balzenden Auerhahn nachstellte, und die Geschichte von des Försters Töchterlein, die ihm damals begegnet, und... zweimal noch kämpfte er des Arms Bewegung zurück, das drittemal hielt's nimmer, des Birkhuhns Hälfte lag vor ihm und ward in Eile verzehrt.
Der Kämmerer Spazzo hatte Beifall nickend der Schüsseln mannigfache Zahl erscheinen sehen, ein großer Rheinlank, der Fische besten einer, war schier unter seinen Händen verschwunden, fragend schaute er sich nach einem Getränk um, da zog Sindolt, sein Nachbar, ein steinern Krüglein herbei, schenkte ihm den metallenen Becher voll, stieß mit ihm an und sprach: Des Klosterweins Auslese! Herr Spazzo gedachte einen mächtigen Zug zu tun, aber es schüttelte ihn wie Fieberfrost, und den Becher absetzend sagte er: Da möchte der Teufel Klosterbruder sein! Der böse Sindolt hatte ihm ein saures Apfelweinlein mit dem Saft von Brombeeren gemischt vorgesetzt. Wie aber Herr Spazzo ihm schier mit einem Faustschlag gelohnt hätte, holte er, ihn zu sänftigen, des dunkelroten Valtelliners einen Henkelkrug. Der Valtelliner ist ein wackerer Wein, in dem schon der Kaiser Augustus seinen Schmerz über die Varusschlacht niedergetrunken; und allmählich versöhnte sich Herr Spazzo, trank auch auf das Wohlergehen des Bischofs von Chur, dem das Kloster diesen Wein verdankte, ohne dass er ihm sonst näher bekannt war, seinen Becher leer, und Sindolt tat wacker Bescheid.
Was sagt euer Patron zu solchem Trinken? fragte der Kämmerer.
Sankt Benedikt war ein weiser Mann, sprach Sindolt. Darum schrieb er in sein Gesetz: Wiewohl zu lesen steht, dass der Wein überhaupt kein Trunk für Mönche sei, so mag dies doch heutigentags keinem einzigen mehr mit Überzeugung eingeredet werden. Darum, und schwächlicheren Gemütes Hinfälligkeit erwägend, ordnen wir dem einzelnen eine halbe Maß für den Tag zu. Keiner aber soll trinken bis zur Sättigkeit, denn der Wein macht auch den Weisesten abtrünnig vom Pfade der Weisheit...
Gut! sprach Spazzo und trank seinen Becher aus.
Wisst Ihr aber auch, frug Sindolt, was den Brüdern zu tun vorgeschrieben steht, in deren Gegend wenig oder gar kein Rebensaft gedeihen mag? Die sollen Gott loben und preisen und nicht murren.
Auch gut! sprach Spazzo und trank wiederholt seinen Becher aus.
Der Abt suchte inzwischen seine vornehme Base nach Kräften zu unterhalten. Er fing an, Herrn Burkhards trefflichen Eigenschaften einen Nachruf zu halten. Aber Frau Hadwigs Antworten waren karg und einsilbig. Da merkte der Abt, dass alles seine Zeit habe, namentlich die Liebe einer Witwe zum verstorbenen Ehemann. Er wechselte das Gesprächsthema und fragte, wie ihr des Klosters Schulen gefallen.
Mich dauert das junge Völklein, sprach die Herzogin, dass es in jungen Tagen so vieles erlernen muss. Ist das nicht wie eine Last, die Ihr ihnen aufbürdet, an der sie zeitlebens keuchend schleppen müssen?
Erlaubet, edle Base, erwiderte der Abt, dass ich Euch als Freund und Blutsverwandter gemahne, weniger in den Tag hinein zu reden. Das Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein lästiger Zwang, es ist wie Erdbeeren; je mehr er genießt, desto größer der Hunger.
Was aber hat die heidnische Kunst Logica mit der Gottesgelehrtheit zu schaffen? frug Frau Hadwig.
Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu schützen, sprach der Abt. Mit ihren Künsten haben der Ketzer viele die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüstzeug wider sie, und glaubet mir, ein sauber Griechisch oder Latein ist eine feinere Waffe als unsere einheimische Sprach, die sich auch in des Gewandtesten Hand nur wie eine Keule schwingt.
Ei, sprach die Herzogin, müssen wir noch bei Euch lernen, was fein sei? Ich habe seither gelebt, ohne Latein zu sprechen, Herr Vetter.
»Es möcht' Euch nicht schaden, wenn Ihr's noch lerntet, sprach der Abt. Und wenn die ersten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör erquickt haben, werdet Ihr zugeben, dass unsere Muttersprache ein junger Bär ist, der nicht stehen und ehen lernt, wenn ihn nicht klassische Zunge beleckt. Zudem lehrt alter Römer Mund Weisheit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken. Ist's wahr? wandte sich Frau Hadwig an Ekkehard, der schweigend dem Zwiesprach gelauscht hatte.
Es wäre wahr, hohe Herrin! sprach er mit Feuer, so es Euch vonnöten wäre, Weisheit zu lernen.
Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr selber denn Erquickung aus den alten Pergamenten geschöpft?
Erquickung und Glück! sprach Ekkehard, und seine Augen leuchteten. Glaubet mir, Herrin, es tut in allen Lebenslagen wohl, sich bei den Klassikern Rats zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den verschlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln? Schöpfen wir nicht aus Sallust und Livius Anweisung zu Mannesmut und Stärke, aus Virgils Gesängen die Ahnung unvergänglicher Schönheit? Die Schrift ist uns Leitstern des Glaubens, die Alten aber leuchten zu uns herüber wie das Spätrot einer Sonne, die auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerschein in des Menschen Gemüt strahlt...