Loe raamatut: «Der Weg in den Himmel»

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Der Weg in den Himmel

Julie Burow

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Erstes Kapitel.

An der äußersten nordöstlichen Grenze Preußens liegt, gleichsam einen Markstein bildend, gegen das ungeheure Russland, ein Landstrich von rauer Natur, das Fürstentum Litauen. – Die Bewohner desselben haben sich im Laufe der Jahrhunderte, die alle andern Völkerstämme jener Gegend germanisierten, ihre Nationalität, ihre Sprache, ja sogar ihre uralte, schöne Tracht bewahrt, und mit Erstaunen und Interesse sehen die englischen, französischen und deutschen Schiffer, welche der Handel nach Memel führt, in dieser Stadt deutscher Zunge und nordischer Art, auf dem Markte die schlanken, hohen Gestalten der litauischen Bauern in ihren Bastschuhen und blauen Tuchkitteln, und die meist sehr hübschen Mädchen mit dem kurzen, gewürfelten Rock, den drei bis vier saubern, rot gestickten Schürzen, dem Silber geschnürten Mieder und den reichen, blonden, mit bunten Bändern umwundenen Zöpfen, die von einigen rings um den Kopf gewickelt, von andern nach Art der drusischen Frauen in zwei dicken Knoten an den Seiten der Stirn befestigt werden. Ein Schleier von weißem Linnen, ebenfalls rot gestickt, ist auf dem Haupte befestigt und die Trägerinnen verstehen es nicht selten sich mit demselben in wahrhaft plastischer Weise zu drapieren. – Die Sprache dieser Kinder einer rauen Natur ist von einer solchen Weichheit und Süße, dass sie unter einem südlicheren Himmel entstanden zu sein scheint, und in der Tat versichern die Philologen Königsbergs, dass das Litauische eine Stammverwandtschaft mit dem Griechischen habe. Die Sanftheit und Biegsamkeit der litauischen Sprache begünstigt die Poesie, und in der Tat besitzt das litauische Völkchen einen Schatz von Dichtungen, welchen der Vergessenheit zu entreißen und der Welt bekannt zu machen, das Bestreben einiger wackeren Gelehrten Königsbergs schon am Ende des vorigen Jahrhunderts war.

An einem Junitage, jener und nun schon längst vergangenen Zeit, saßen zwei litauische Kinder auf dem Dünensande im Sonnenschein und spielten mit Muscheln. Es waren Geschwister, ein Mädchen und ein Knabe, und sie waren Waisen, wenigstens Waisen von einer Seite, denn die Mutter, eine hübsche, fein aussehende Frau von etwa dreißig Jahren, saß nicht weit von ihnen auf dem grauen Kiel eines alten Bootes und flocht oder webte vielmehr aus gedrehter Seide, ohne anderes Werkzeug als einige kleine Holzspäne, ein schönes, buntes Band, das sie in Memel zu verkaufen pflegte, und sah von Zeit zu Zeit mit einem Blicke der tiefsten Mutterliebe auf ihre fröhlichen, rosigen Kinder. –

»Juragis«, sagte das kleine, etwa achtjährige Mädchen, »sieh Dir einmal den Himmel an, Gold, lauter Gold und roter Flimmer, wie das Hochzeit band von der Tochter des reichen Donaleitis.«

»Pah«, entgegnete der neunjährige Knabe, »was sprichst Du, Margeita, ein Band, was ist ein Band? Da unten weit hinter dem Meere, wo die Sonne untergeht, da müssen ganze Ströme von Gold und rotem Flitter sein, und wer dahin käme, müsste darin baden und untertauchen können, und die goldenen und roten Wellen schlügen zusammen über seinem Kopf.«

»Ja, wer da hinkommen könnte«, sagte Margeita, »aber hier ist das weite, weite Meer und hinter dem ist die Welt zu Ende.«

»Unser Vater ist dort«, flüsterte Juragis, die großen, hellen Kinderaugen nachdenkend auf den flammenden Sonnenuntergang heftend.

»Du weißt, unser Vater, der so prächtig aussah in den bunten Kleidern, als er uns zuletzt küsste. ›Ich geh’ von Euch, Kinder‹, sagte er, ›aber im Himmel kommen wir wieder zusammen.‹«

»Unser Vater ist tot«, sagte das Mädchen und wischte sich die feucht werdenden Augen mit der gestickten Ecke des Schürzchens.

»Sie nahmen ihn unter die Soldaten und da haben sie ihn totgeschossen, eine Kugel hat in seiner Brust gesessen und eine hat seinen Arm zerschmettert, so hat es der Herr Prediger der Mutter gesagt.«

Der Knabe schauderte leise, dann aber hob er stolz und kühn den schönen Kopf empor und rief mit einem Anflug von Begeisterung:

»Ja, aber er ist doch im Himmel, und wenn man über das Meer fährt, weit, immer weiter, so muss man zuletzt auch in den Himmel kommen. Liegt doch da, wo das rote Gold flammt, der Himmel auf der Erde fest, und wo die Sonne untergeht oder der Mond, da muss eine Tür sein, durch die sie in den Himmel zurückkehren, und ich sage Dir, Margeita, ich werde in den Himmel geh’n, den Vater zurückholen, ich kann die Mutter nicht immer und immer weinen sehen.«

»Ja, aber Du musst erst groß und alt werden, Juragis«, erwiderte die Schwester, »erst wenn man alt geworden ist, kann man in den Himmel kommen, und bis dahin ist’s noch sehr, sehr lange hin.«

»Ich bin alt genug in den Himmel zu gehen, Margeita. Was willst Du, ich habe Arme, schau‘nur wie lang, und ich kann des Donaleitis großes Boot regieren und ich brauche ja nur das kleinste Boot zu nehmen, und werde doch in den Himmel kommen, je kleiner das Boot ist, in dem ich fahre, desto leichter kann ich durch die kleine Tür schlüpfen, durch welche die Sonne hineingeht. Lass’ mich nur machen, Margeita.«

»Aber wer in den Himmel gegangen ist, kehrt nicht wieder, Juragis.«

»Ich werde wiederkehren, Margeita, und werde den Vater mitbringen. Verlass’ Dich darauf. Ich werde vor den Herrn Gott hintreten, er kann nicht böser aussehen, als der raue Apotheker in Kleipeda, und der schenkte mir die Medizin, wie die Mutter krank war, und ich werde sagen: Herr Gott, lass’ meinen Vater zur Mutter zurückkehren, und behalte mich hier, und müsste ich auch in der Hölle bleiben; die Mutter weint gar zu sehr.«

»Aber, wenn Du nicht bei uns wärest, würde sie auch weinen, Juragis.«

»Lass’ gut sein, Margeita«, sagte der Knabe mit einem schlauen Blick, »ich sage nur so, unser Herr Gott ist viel zu gut, der lässt uns beide zu Euch zurück, wenn ich’s ihm nur recht vorstelle.«

»Ach Juragis, wenn das wäre«, seufzte das Mädchen – »die Mutter weint Tag und Nacht und kann gar nicht so viel arbeiten, uns Brot und Kleidung zu schaffen.«

In diesem Augenblicke erhob die Mutter ihre Stimme und rief ihre Lieblinge:

»Juragis, Margeita!«

Sie liefen zu ihr, hängten sich in ihre Kleider und baten:

»Mutter sing’ uns ein Lied beim nach Hause gehen.«

Sie heftete die schönen zärtlichen Augen wechselsweise auf die Kinder und jedes an einer Hand führend, sang sie beim Gehen in ihrer weichen Muttersprache ein Lied, das in Chamissos trefflicher Übersetzung also lautet:

»Her zogen drei Schwäne mit Kriegsgesang

Zu Ross, zu Ross es dröhnend erklang

Es reiten aus allen Höfen daher

Die jüngern Söhne zu Kriegesheer.

Es ist mit uns gar schlimm bestellt

Und keiner bleibt, wenn einer sich stellt.

Du ziehst, mein Bruder, mein Bräutigam, mein Sohn,

Du ziehst in den Krieg, das wissen wir schon.

Wann kehrst Du, mein Bruder, mein Bräutigam, mein Kind.

Wann kehrst Du zurücke, das sag’ mir geschwind?

Sind Luft und Wasser und Land erst frei,

Dann säum’ ich nicht länger, dann eil’ ich herbei.«

Während noch die Mutter sang, hatten die drei das kleine Häuschen erreicht, das einzige Besitztum der Familie.

Das niedrige, mit Stroh gedeckte Dach war grün vom langbärtigen Moose, das darauf wuchs. Eine hohe weißstämmige Birke stand unweit der Haustür und ihre feinen Zweige regten sich und flüsterten im Abendwinde. Neben ihrem Stamm stand ein mit wahrhafter Kunst geflochtener Binsenstuhl und darauf saß ein schon ältlicher Mann von würdigem Aussehen. Es war der Geistliche des Orts, Herr Pfarrer Ostermeier und er reichte der Witwe mit dem Gruß Laps waker manumetis (Guten Abend Frau) die Hand, die sie ehrerbietig an die Lippen zog. Dann aber griff er in die weiten Taschen seines langen schwarzen, keiner Mode der Welt angehörenden Rockes, und holte daraus Brot, Wurst, Käse und noch einige andere Nahrungsmittel hervor, die er liebreich unter die Kinder verteilte.

Es war ein wackrer und ein wohlhabender Mann, der Pfarrer Ostermeier.

Die Pfarrstellen in Litauen sind alle einträglich und von großem Um fange. Denn da es ein unerlässliches Erfordernis ist, dass der Geistliche die Landessprache geläufig spricht, so finden sich unter der zahllosen Menge der Kandidaten der Theologie, welche die Universität Königsberg hervorbringt, immer nur wenige, welche für eine litauische Predigerstelle geeignet sind. Ostermeier aber war von Geburt ein Litauer, d. h. sein Vater, Groß- und Elternvater waren schon Prediger in Litauen gewesen, und er hatte die Sprache seiner Pfarrkinder mit seiner Muttersprache zu gleich von seiner litauischen Wärterin erlernt. So saß er denn auch bald im heitersten Geplauder mit den Kindern und der Mutter und die weichen Sprachlaute klangen süß und melodisch durch die stille Nachtluft.

Juragis saß gedankenvoll im Grase zu den Füßen des Geistlichen und blickte noch immer hinaus in das Abendrot.

»Woran denkst Du, Knabe?« fragte Ostermeier endlich, dem Träumenden freundlich die Hand auf die Schulter legend.

»Ob ich zu meinem Vater in den Himmel kommen kann, Herr Pfarrer.«

»Das kannst Du, das wirst Du, Juragis, sei nur Dein Leben lang so brav, so fleißig, ehrlich und wahrliebend als jetzt.«

»Fängt der Himmel da an, Herr, wo die Erde und das Meer zu Ende sind?«

»Ja, Juragis, wo das Erdenleben zu Ende ist, fängt der Himmel an.«

»Kann man hinkommen, wenn man immer gerade übers Meer fährt?«

»Ob über Meer oder Land, Juragis, der gerade Weg führt stets in den Himmel.«

»Aber übers Meer geht’s rascher?«

Der Pfarrer lächelte.

»Das mag wohl mancher Matrose gefunden haben, den der Sturmwind auf seinen Flügeln in den Himmel führte.«

»Und mein Vater ist im Himmel?«

»Ja mein Sohn, gewiss; einen bessern Mann als Deinen Vater hat’s nicht gegeben, und Herzen, wie dem seinigen, ist der Himmel gewiss.«


Zweites Kapitel.

Das Meer war seit Wochen ruhig. Ein stattliches Schiff, in Bauart und Takelage als ein französischer Kauffahrer kenntlich, glitt vor dem Winde dahin. Die lustigen, schwarzbärtigen Matrosen hingen wie kletternde Affen im Segelwerk oder saßen plaudernd am Steuerruder.

Am Bugspriet stand ein schlanker, schöner Mann in der Kleidung eines Obristen der französischen Republik und sah durch ein Fernglas bald auf den wolkenlosen Himmel, bald auf das spiegelglatte Meer. Neben ihm lehnte ein blonder großer Mann mit den ernsten Zügen und dem kräftigen Bau des Nordländers.

Es war ein Lotse von Bornholm, Lars Anderson, von Geburt ein Schwede. Die Wetter aller Zonen hatten seiner hellen Stirn einen rötlich braunen Schimmer mitgeteilt und sein blondes Haar weiß gebleicht.

»Gibt es Walfische in der Ostsee?« fragte der Obrist Dufour Französisch den Lotsen, der schon seit geraumer Zeit auf einen Punkt hinstarrte, der sich mit den leichten Wellen gleichmäßig hob und senkte.

»Das ist kein Walfisch«, antwortete der in derselben Sprache, »aber geben Sie mir einmal Ihr Glas, Colonel, es ist besser als meines, ich halte das Ding da drüben für ein leeres Boot.«

Der Lotse fasste jetzt den schwimmenden Gegenstand, der sich offenbar dem Schiffe näherte, fest ins Auge und sagte dann in seiner Muttersprache:

»Das ist ein Boot und ein Mensch ist darin.« –

Capitain Macleen, ein Schotte und Führer des guten Schiffs l’aigle, von der Marseiller Reederei, kam jetzt auch hinzu und befahl eilig das Schiff so zu richten, dass es dem treibenden Boote sich nähere, und bald war der größte Teil der Mannschaft auf dem Deck versammelt und starrte neugierig und teilnehmend auf den Gegenstand, der sich mit jeder Minute mehr als ein Boot auswies, in dem ein schöner blondhaariger Knabe ausgestreckt und totenbleich, ein Bild der tiefsten Abspannung, am Boden lag. Einige tüchtige Matrosen waren in Boote gesprungen und hatten sich des treibenden Fahrzeuges bemächtigt. Das Kind in demselben war, wahrscheinlich aus Mangel an Nahrungsmitteln, ohnmächtig, aber sein Puls schlug noch, obgleich matt und schwach genug. Der Knabe konnte seiner Größe nach neun bis eilf Jahre alt sein. Lange goldene Locken ringelten sich um eine zarte Stirn, dunkle Wimpern kränzten das geschloss’ne Augenlid und auf dem feinen rosigen Kindermunde spielte ein engelhaftes Lächeln.

Die ganze Schiffsmannschaft sammelte sich auf dem Vordeck um den Geborgenen, den man auf eine Matratze gelegt hatte, vorsichtig flößte der junge Schiffsarzt, ein Deutscher, ihm ein wenig Tee und sodann etwas Brühe ein. Der Untersteuermann, ein Pole aus der Gegend von Krakau, der auch sehr gut russisch sprach, redete zuerst das Kind an, das sich rasch erholte, aber es verstand die Sprache nicht und vergebens bemühte sich der Schotte, der Schwede, der Deutsche und die anwesenden Franzosen sich dem Findling, für den alle sich interessierten, verständlich zu machen. Der Knabe sprach. Er sprach bald sogar sehr lebhaft. Seine feinen Wangen röteten sich während des Sprechens, seine Augen glänzten. Weich und mild wie Töne einer Äolsharfe klangen seine fliegenden Worte, die lebhafte Gestikulationen begleiteten, aber niemand verstand ihn. Man redete ihn in allen bekannten Sprachen Europas an, denn auch ein Baske war unter den Franzosen, und der Schotte sprach ziemlich geläufig italienisch, in keiner aber vermochte er zu antworten, und als er noch einige leichte Nahrungsmittel zu sich genommen, versank er, die Augen nach dem Himmel gerichtet, den die Abendröte mit Gold und Purpur malte, in einen sanften Schlaf.

Oberst Dufour stand lange neben dem schlummernden Kinde.–

Welch ein schönes Geschöpf, sagte er zu sich selbst, und welch’ eine seltsame Kleidung! Das Hemd von grober aber weißer Leinwand war auf den Schultern mit roten Blumen gestickt. Die Beinkleider, von einem festen, grauen Drell, die, weit und kurz nur bis an die Knie gehend, die tadellos geformte Wade des Knaben nackt ließen, waren ebenfalls mit Stickerei und blanken Knöpfen verziert, ein blauer, langer Kittel hatte neben ihm im Boote gelegen und die Füßchen des Kindes steckten in Bastschuhen vom feinsten Geflechte. Welch einem Geschlechte, welch einem Volke kann das junge, reizende Geschöpf angehören, das eine so wohlklingende Sprache spricht und eine so eigentümliche Tracht trägt? – Mag eine Mutter den Knaben beweinen? Ein Vater ängstlich nach dem Liebling ausschauen? Welch’ eine Verkettung von Umständen hat das Kind einsam aufs Meer geführt? Hat es sich unvorsichtig in ein unbefestigtes Boot gewagt? Ist vielleicht ein Verbrechen an ihm verübt worden? Der Gegenstand dieser verschiedenen Vermutungen schlief indes und träumte süß, denn er lächelte im Traum und alsdann drangen glänzende Tränentropfen unter seinen langen, seidenen Wimpern her vor, und endlich erwachte er mit einem lauten Jubelrufe.

Obrist Dufour stand noch neben seinem Lager und der Knabe sprang rasch von demselben empor, umklammerte die Knie des Offiziers, bedeckte seine Hände mit Küssen und gab, eifrig in seiner melodischen Sprache redend, alle Zeichen, dass er um etwas für ihn Hochwichtiges bitte. –

Dufour tätschelte liebevoll sein lockiges Blondhaar, hob ihn auf, küsste ihn sogar und sagte endlich zu den Umstehenden:

»Er bittet mich gewiss, mich seiner anzunehmen und ihn nicht zu verlassen, und bei meinem Degen, das will ich auch tun, ich will einen ordentlichen Soldaten aus dem Burschen machen, und er soll bei mir bleiben, bis er das geworden ist.«

Allerdings war diese Vermutung eine ganz irrige, aber sie bestimmte das Schicksal des Knaben, der eben niemand anderer war, als unser Bekannter, der kleine Litauer Juragis. Fest entschlossen in den Himmel zu gehen und den Vater zurückzuholen, hatte er in der Nacht, die jener Unterredung mit dem Pfarrer Ostermeier folgte, das kleine Boot des reichen Donaleitis von der Kette gelöst, sich in dasselbe gelegt und das kleine Segel gehisst, mit dem der Fischersohn sehr wohl umzugehen verstand. Ein frischer Landwind führte den schnell Entschlummernden noch während der Nacht auf das hohe Meer, und als der Morgen goldig am Himmel hinaufstieg, sah Juragis die Küste seiner Heimat nur wie einen gelblich grünen, dämmernden Streifen am östlichen Horizonte. Drei Tage waren unterdes verflossen, in denen der Knabe keine andere Nahrung zu sich genommen, als einige Bissen Brot, die er in die Tasche seines blauen Kittels gesteckt hatte. Es war dies ein Glück für ihn; das säuerliche Schwarzbrot, dem der litauische Bauer dadurch, dass er das Mehl mit kochendem Wasser anrührt, lange die frische Feuchtigkeit zu bewahren versteht, hatte ihn nicht nur als Nahrungsmittel am Leben erhalten, sondern ihn auch vor der brennenden Qual des Durstes geschützt. Stunde um Stunde verrann für den kleinen einsamen Schiffer in heißer Sehnsucht nach dem Pförtchen im Himmel, durch das Sonne und Mond hineinschlüpfen, aber die Ströme von Gold und rotem Flimmer blieben ihm immer gleich ferne, obgleich die Sonne vor seinen Augen zweimal schon abends hineintauchte und die rot und goldenen Wellen über ihr zusammenschlugen. –

Als der dritte Abend herabsank, da wähnte er der goldenen Pforte nahe, ganz nahe zu sein. Er fühlte, dass tausend goldene Funken um ihn tanzten, dass purpurne Ströme über ihm wegrieselten. Das große Zelt des Himmels, mit tausend goldenen Steinen gestickt, öffnete sich vor seinen geblendeten Kinderaugen und in dem Lichte, das ihm daraus entgegen strömte, sah er Blumen sich wiegen, größer als die Birke vor seiner väterlichen Hütte und auf ihren funkelnden Blättern hüpften Vögel umher, die ihn bei seinem Namen riefen mit den lieben Stimmen seiner Mutter und Schwester, und dazwischen sang einer das Lied von den drei Schwänen, und Juragis nickte ihm zu, denn das Lied klang noch viel schöner als seine Mutter es ihm abends zu singen pflegte, und es war nicht traurig, sondern der Sohn, der in den Krieg gezogen, kehrte heim auf seinem schönen Rappen, ein stolzer, stattlicher Offizier und schüttete der alten Mutter goldene Sterne in den Schoß und befestigte Blumen aus dem Himmelsgarten im Haare der Schwester und gab der Braut, die nur drei Wochen um ihn getrauert, Kleider von Himmelblau mit Abendrotsäumen daran, und Juragis war selbst der Heimkehrende und lag am Herzen seiner Mutter, und der Vater stand daneben und Margeita hatte Flügel wie ein Schwan und fächelte ihm damit Kühlung zu, und die Mutter reichte ihm Milch von ihrer Ziege, die er begierig trank, und dennoch ward’s plötzlich stille um ihn, nur ein leises Rauschen, wie von den Schwanenflügeln seiner Schwester, konnte er vernehmen, und ihm war unsäglich wohl, so wohl, wie noch nie in seinem Leben und er wusste ganz deutlich, dass er aus dem Himmel, wo er nun war, heimkehren und den Vater mitbringen würde.

Als er aus diesem Zustande – halb war er Schlaf, halb Ohnmacht – erwachte, sah er vor sich einen stattlichen, schönen Herrn in glänzenden Kleidern, der ihn mit freundlichen, liebevollen Augen ansah. Ob das wohl unser Herrgott ist? dachte Juragis einen Augenblick. Aber er besann sich bald. Es ist ein Mensch! Vielleicht ein vornehmer Schiffer – er hatte dergleichen in Kleipeda manchmal gesehen – und Du bist auf einem schönen, großen Schiffe, das lustig vorwärts segelt, gerade dem Himmel entgegen. Jetzt wird es nicht allzu lange dauern, und wir alle kommen an die goldene Pforte und ich werde hineinschlüpfen und meinen Vater herausholen. –

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