Loe raamatut: «Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus»
ibidem-Verlag, Stuttgart
Vorwort
Waren das Zeiten: Im kalten Winter Deutschlands kletterten wir die Gangway hinauf, wurden von uniformierten Damen freundlich begrüßt, setzten uns in einen fliegenden Bus, bekamen warme Speisen, Säfte und alkoholische Getränke serviert, nickten ein und schritten Stunden später in Bangkok die Gangway wieder hinunter. Wir befanden uns nun im tropischen Thailand! Und wenn wir beispielsweise nach Sydney wollten, flogen wir eben dahin: „Down under“: Kein Problem!
Reisen war schließlich ein Wirtschaftszweig geworden. Eine „Tourismusindustrie“ war entstanden. Reisebüros, Veranstalter, Beförderungsunternehmen, Hotels und Versicherungen arbeiteten Hand in Hand und umsorgten uns Kunden, die bei ihnen „Touristen“ hießen. Wir Arbeiter in Fabriken, wir Angestellte in Büros, wir Beamte in Verwaltungen, wir großen und kleinen Selbständige – wir alle waren auch Touristen – erst einmal im Jahr und dann immer öfter. Rentner und Pensionäre kamen hinzu – auch sie wurden „Touristen“.
Plumpsklos auf dem Lande wurden Vergangenheit; jetzt kamen schwimmende Hochhäuser auf, die über die Weltmeere schipperten. Tausende von Menschen aßen, tranken, tanzten und schliefen über den Ozeanen. Dort genossen sie „Shows“, Theater und Kinos. Kam Land in Sicht, strömten sie mit Bussen in die Küstenregionen und kamen bald wieder zurück in die Riesenschiffe, denn dort ging „Freizeitleben“ weiter.
War das herrlich, war das schrecklich! – Den Touristen gefiel das „Produkt“: Ägypten, Griechenland, Italien und Spanien nahmen sie bei ihren „Rundreisen“ mit. Sie kamen herum. – Die Einheimischen hingegen schlugen die Hände über den Köpfen zusammen. Ankerten die Riesenschiffe in ihren Häfen, zerstörten sie als fahrende Hochhäuser jede Kulisse. Die Häfen wurden abgeriegelt, und Fremde strömten in Hundertschaften durch Straßen und Gassen.
Die Bürgermeister aber freuten sich, dass die „Pötte“ erhebliche Liegegebühren einfuhren. Endlich kam Geld in die Stadtsäckel.
Dann kam Corona, und plötzlich war Schluss.
Ferienziele erschienen den Touristen als Horrororte, Traumschiffe mutierten zu schwimmenden Gefängnissen, Flugzeugflotten blieben auf der Erde, Reisebüros verödeten, und Reiseveranstalter feilschten mit ihren Kunden ums Geld.
War nun alles vorbei?
Wer weiß das schon?
Einmal war es aber doch schön gewesen. Die ganze Welt lag den Reisenden zu Füßen, und sie konnten dabei so viel lernen.
Im Sommer 2020 unternahmen manche wieder die gewohnten Schritte in den Urlaub, oder sie statteten ihrer alten Heimat die üblichen jährlichen Besuche ab. Aber es war alles anders als zuvor: Bei Aus- oder Einreisen drohten Tests oder Quarantänen, Flugzeuge verkehrten spärlich, und Fahrpläne wurden unberechenbar. Die allgemeine Akzeptanz der Sommerreisen sank.
Der Wunsch, so etwas wieder zu erleben, bleibt. Es ist offen, auf welchem Wege sich das Bahn bricht. Wird es gute Kompromisse geben zwischen Einheimischen und Touristen der Zukunft?
Wie es war, wissen wir immerhin. Wie es wird, nicht. Es lohnt sich, an das Vergangene zu erinnern. Vielleicht vernichtet Corona nicht alles.
Meiner lieben Frau Elke danke ich für mannigfache Hilfe und Unterstützung. Allen Mitreisenden von einst danke ich für die gewährte Gesellschaft. Frau Valerie Lange vom ibidem-Verlag danke ich für die Hilfen beim Erstellen dieses Werkes.
Berlin 2020, Jürgen Dittberner
Inhalt
Vorwort
I. Vom Reisen
1. Mobilität
2. Immobilität
3. Kommerzialisierung
4. CO2-Bilanz
5. Tabula Rasa durch Corona
6. Zwangsreisen
7. „Grenzüberschreitende“ Reisen
8. Erholung
9. Massentourismus
10. Ende des Reisens?
II. Alte Heimat
III. Vor Ort
1. Minister in der Lüneburger Heide
2. Dackel zwischen Hamburg und Bremen
3. Ins Schulhaus
4. Besamer auf der Alm
IV.In den Hauptstrom
1. Spitze Buben am Vesuv
2. Kalimera: Der Hase Augustin
3. „It’s for you boys!” auf Teneriffa
4. Sandalen auf Lanzarote
5. Mit „Buffke“ nach Gran Canaria
V.Offizielle Reisen
1. Israel
2. USA
3. Türkei: Der Imam ist fort
4. Japan: „Plost!“
VI. Europäische Regionen
1. Athen: Küsschen für die deutsche Regierung
2.Kos: Kein Kloster!
3. Kreta: Der kleine Zeus
4. Zypern: Wie in der DDR?
5. Malta: Gottes Wille?
6. Rom: Wo ist der „Heilige Geist“?
7. Apulien: „Nationale Schande“ in Matera
8.Apulien da Capo, weil es so schön war
9.Kastilien-León, Extremadura und ein wenig Andalusien: „Wie bei Aldi“?
10. Andalusien: Wo sind die Mauren geblieben?
11. Lissabon: Sturm im Süden
12. Douro: Nur schiffbar in Portugal
13. Paris und Loire: Vive la France!
14. Aquitanien: Frankreich oder England?
15. Burgund und Provence: Das wahre Frankreich
16. Holland und Belgien: Geizig oder doof?
17. Irland: Whiskey in alten Wein- und Sherryfässern
18. Rumänien: Land der vielen Kirchen
19. Ukraine: U-Boote und Maschinengewehre
20. Baltikum: Sängerland
21. Kroatien: Wo der Kaiser Urlaub machte
22. Norwegen: Eine Flasche Wein für siebzig Euro
23. Island: Trolle, Zwerge und Engel
24. Passau: Wien – Bratislava – Budapest
VII. Weltweite Regionen
1. Die Weltreise: Berlin – Singapur – Sydney – Neuseeland – Rarotonga – Los Angeles – Frankfurt/M. – Berlin
2.Ägypten
3.Cuba
4.Indien
5. Arabische Tage
6. Oman
7. Sri Lanka
8. Vietnam und Kambodscha
VIII. Mythische Staaten
1. USA 1
2. USA 2
3. Russland: Arm und Reich
4. China: Schlappi, Schlappi
IX. Favoriten
1. Die Schweiz
2. Samos
3. Bad Reichenhall
X. Alltagsreisen
1. An der Ostsee
2. Holm-Seppensen
3. Leipzig
4.Oberwiesenthal
5. Warmensteinach
6. Rheinsberg und Weber B
XI. Reisen ohne Zukunft?
I. Vom Reisen
1. Mobilität
Warum wechseln Menschen ihre Standorte? Warum reisen sie?
Oft ist es Neugier auf Unbekanntes: Alexander von Humboldt reiste nach Südamerika, um eine fremde Welt auszumessen.
Oder es ist Gier? Christoph Columbus wollte Spanien den vermuteten Reichtum aus Indien zugänglich machen. Und er gab das Startsignal zur Ausplünderung Südamerikas.
Immer wieder treibt pure Lust Menschen an: „Das Wandern ist des Müllers Lust.“
Für bestimmte Berufsgruppen gehört die Mobilität zur Pflicht: Fahrende Gesellen zogen von Ort zu Ort, Geschäftsreisende drängt es zu ihren Kunden, und wer Professor werden will, wird seine Alma Mater verlassen müssen, wenn er eine „Hausberufung“ umschiffen muss.
Manchmal ist es ist Forscherdrang: Ferdinand Magellan wollte im Auftrag des Königs von Portugal aus einen Seeweg nach Westen finden, da man erkannt hatte, dass die Erde eine Kugel war.
Auch Herrschsucht ist ein Motiv: Napoleon zog nach Osten, weil er ganz Europa beherrschen wollte.
Nicht selten steckt Gewinnstreben dahinter: Englands führende Klasse erschloss sich ein Weltreich, um auf Kosten fremder Völker reich zu werden.
Gerne zieht Romantik Menschen hinaus in die Welt: Johann Wolfgang von Goethe tourte durch Italien, um das Land zu sehen, „wo die Zitronen blühen“.
Auch das Verbrechen bewirkt oft Mobilität: Adolf Hitler fiel in fremde Länder ein, um seine Schreckensherrschaft auszuweiten.
Mobilität kann unfreiwillig erfolgen: Viel zu oft werden Menschen verbannt – manchmal in Lager, manchmal in ein vermeintliches Nirwana wie nach Australien oder Grönland.
Religion kann zum Motiv werden: Hugenotten verließen die Heimat, um ihren Glauben zu leben.
Nach Kriegen werden Verlierer nicht selten aus ihrer Heimat vertrieben: Diese Menschen hätten sich andernfalls niemals „auf die Reise“ begeben.
Gegen ihren Willen verändern auch diejenigen ihren Ort, die verschleppt werden: So erging es den „Sklaven“, die von Afrika nach Amerika gebracht wurden; so kann es noch heute politisch Missliebigen geschehen, wenn sie widerrechtlich entführt werden.
Ständig treibt tatsächliche oder empfundene Not daheim Menschen in die Ferne: Sie werden so zu Flüchtlingen.
Künstler (auch Sportler, Schriftsteller und andere) müssen in der Regel „auf Tournee“, um ihre Leistungen überall zu verkaufen.
Politiker reisen hin und her, um die Interessen ihrer Länder (und auch ihre eigenen) zu vertreten.
Das scheinbar Edelste zu Schluss: Wissenschaftler, Propheten, Freigeister und Missionare überschreiten Grenzen, um ihre Ideen zu verbreiten. Oder wollen sie Andersdenkende unterdrücken?
2. Immobilität
Warum bleiben andere Menschen wiederum dort, wo sie sind? Warum reisen sie nicht?
Sie kennen sich in ihrem Umfeld aus. Alles ist ihnen vertraut. Warum sollten sie das aufgeben? Ihre Freunde und Verwandten sind vor Ort. Sie haben ihr Auskommen und wissen nicht, was sie anderswo erwartet. Dort herrschen womöglich Sodom und Gomorra. Sie bleiben lieber. Alle Ahnen haben es vor Ort ausgehalten; also gehören auch sie hierher.
„Heimische Krisen muss man durchstehen, ‚Fahnenflucht‘ wäre feige“, denken die Sesshaften. Viele von ihnen haben zudem Angst vor dem Fremden, vor den anderen Speisen, Bräuchen, Sitten, Dialekten oder gar Sprachen. Wer weiß außerdem, was reisen oder gar auswandern kostet: Wer soll das bezahlen? – Viele sind sich sicher: „Ob Ost, ob West: To Hus is‘ am best!“
Aus China hörte man einst, dass die Menschen stolz waren, im „Reich der Mitte“ zu leben. Wer in der Mitte ist, glaubt sich am Ziel. Doch in neuerer Zeit wurden immer mehr Schichten des Riesenvolkes neugierig auf das, was an den Rändern dieser Erde geschieht: Globalisierung aus Fernost!
3. Kommerzialisierung
Das industrielle Zeitalter hat das Reisen kommerzialisiert: Der „Tourismus“ wurde erfunden.
Vorsichtig schnupperten die ersten Reisenden ganz früh an einem beliebigen Dorf, etwa in der „Lüneburger Heide“. Dann entdeckten sie Gegenden wie den „Westerwald“, „Büsum“, „Oberbayern“ oder „Amrum“. Sie reisten in Bussen an. Später fuhren die meisten Deutschen ins Sehnsuchtsland Italien, – im „VW“ über den „Brenner“. Es folgten „Paris“, „London“ oder „Kopenhagen“. Manchmal brachte sie auch die Bahn ans Ziel. Dann wechselten sie die Automarken. Im „Opel“ ging es womöglich nach Spanien und im „Daimler“ vielleicht sogar nach Griechenland. Schließlich wurden Inseln modern: „Lesbos“, „Mallorca“ oder die „Kanaren“. Das ging natürlich nur mit dem Flieger.
Geschäftsleute machten sich jetzt über die Sache her. Es entstanden Firmen wie „TUI“, „Neckermann Reisen“ oder „Studiosus“. Die Pauschalreise wurde erfunden. Anfangs galt das Fliegen als elitär, dann schossen Billigflieger wie Pilze aus dem Boden. Die ganze Welt lag vor der Haustür, bis hin nach Neuseeland. Autos mietete man mittlerweile vor Ort.
Früher galt die Regel: „Einmal im Jahr machen wir Urlaub.“: Die ganze Familie zog los. Drei Wochen dauerte der Spaß. Die ersten vierzehn Tage dienten der Regeneration, die letzten sieben der puren Freude. Dafür gab es den „Jahresurlaub“, dafür wurde gespart.
Später kam der „Zweiturlaub“ hinzu: „Nur weg hier!“, lautete die neue Devise.
Die Flugzeuge flogen in die ganze Welt. Unterschiedliche „Terroristen“ aber fingen an zu stänkern. Seitdem gab es Sicherheitskontrollen auf allen Flughäfen. Das dauerte: Zwei Stunden vor Abflug mussten sich die Reisenden – (nun allgemein „Touristen“ genannt) - einfinden. Es wurde immer voller – auf den Flughäfen und auch an den Reisezielen.
Das war die schöne neue Welt: Von Süd nach Nord kamen immer mehr Flüchtlinge. Junge Menschen wollten ihr Elend verlassen. Immer mehr Touristen aber flogen unbeeindruckt nach Süden. Sie hatten ihre von den Flüchtlingen so angehimmelten Wohlstandsgesellschaften satt, wollten ‘mal „Ursprüngliches“ sehen. Wohlgenährte „Touris“ aus dem Norden kamen in den Süden, und Elendsgestalten aus dem Süden landeten zur gleichen Zeit im Norden.
Doch damit nicht genug: Nach dem Auto und dem Flieger kam das Schiff. Es gab Flussfahrtschiffe, die schippern auf dem Rhein oder auf der Wolga.
Es kamen aber auch Ozeanriesen auf (schwimmende Hotels); die fuhren über die Weltmeere bis nach Fernost oder bis in die Karibik. Wenn so ein Schiffsriese in den Hafen von Venedig fuhr, überragte er jeden Palazzo, brachte Menschenmassen herbei, die schnell weiterzogen.
Auf so ein „Schiff“ aber gingen viele nicht rauf: Der Tourismus war schon ein mächtiger und rücksichtsloser Wirtschaftszweig geworden, überall auf der Erde.
4. CO2-Bilanz
Da traten Umweltschützer auf. Sie sagten, Flugzeuge und Schiffe stießen zu viel CO2 aus und versauten das Klima. Es werde immer wärmer auf der Erde. Die Polkappen würden abschmelzen, Eisbären hopsten von einer verbliebenen Eisscholle zur nächsten, die Malediven und Holland würden bald im Meer versinken, und Brandenburg würde zur Wüste.
Das sei „menschengemacht“, und es müsse gegengesteuert werden: Der Flugverkehr sollte eingeschränkt werden. Inlandsflüge gehörten verboten. Wer dennoch über Landesgrenzen hinweg flöge, sollte Ablass an Umweltorganisationen leisten müssen. Die Ozeanriesen sollten umweltfreundlicheren Treibstoff verwenden oder am besten überhaupt nicht mehr gebaut werden.
Nahte das Ende des Massentourismus?
Es sah nicht so aus. Die Zahl wohlhabender Rentner im Norden dieser Erde nahm zu. Ihre Arbeitgeber und die Zentralbanken versorgen sie reichlich mit Geld. Wenn auch die Welt zu Scherben brach: Sehr, sehr viele wollten sie vorher noch sehen. Also flogen sie möglichst nicht im Inland; bis zur Landesgrenze schaffte es ja der Bus allemal. Einige zahlten sogar den Umweltablass; das machte ein gutes Gewissen. Und wenn die Reedereien weiterhin große Schiffe vom Stapel lassen: Wer konnte das schon beeinflussen?
5. Tabula Rasa durch Corona
Plötzlich setzte ein bislang vollkommen unbekannter „Gegentourismus“ ein. Neuartige und unerforschte „Wesen“ eroberten ihrerseits die Erde. Für ihre „Reisen“ benutzten sie Schiffe, Bahnen, Flugzeuge. Doch diese „Wesen“ zogen nicht von West nach Ost, sondern in die entgegengesetzte Richtung von Ost nach West. Sie waren Viren, und bildeten eine tödliche Gefahr für die Menschen. Ihr Name war „Corona“, und sie lösten eine Pandemie aus. Gekommen waren sie aus dem Tierreich.
Die Welt der Menschen zerfiel in die alten Nationalstaaten. Die meisten dieser Staaten verordneten einen „Lockdown“. Fast alle Menschen gingen in Quarantäne und fanden den staatlich angeordneten Stillstand richtig.
Da war die Blase des Massentourismus jäh geplatzt. „Urlaubsländer“ wie Italien waren plötzlich dicht. Airlines (gestern noch mit stolzen „Vögeln“) starben wie die Fliegen. Veranstalter und Agenturen des Tourismus brachen zusammen, Hotels schlossen, Reisebüros machten zu, „Einheimische“ Helfer des Tourismus wurden arbeitslos, Traumstrände verwaisten.
Ein bis dahin stets wachsender Industriezweig brach zusammen. Niemand reiste mehr: Wie gewonnen, so zerronnen.
Geschädigte forderten, der jeweilige Staat sollte für die Einbußen einstehen. Können die das leisten? Es ging um Milliarden, Millionen waren nur noch Peanuts.
Schon nach wenigen Wochen holte sich die Natur einiges von dem zurück, was der Tourismus ihnen genommen hatte: Delphine tobten wieder am Strand, Rehe kamen in die Städte, sogar die Lagunen in Venedig erholten sich, und leere Strände wurden sauber.
Niemand wusste, wie es weiter gehen würde.
6. Zwangsreisen
Im Zweiten Weltkrieg wurde lieber „verlegt“ als verreist. Truppen der Wehrmacht wurden von der Ost- zur Westfront geschoben. Die Soldaten (meist blutjunge Männer) wurden von zu Hause „eingezogen“. Viele kamen dabei früh ums Leben, starben den „Heldentod“ und liegen seitdem begraben, oft in fremder Erde.
Kindern ging es in dieser Zeit etwas besser. Viele, die in bombengefährdeten Städten wohnten, wurden aufs Land „verschickt“ oder „evakuiert“. Andere fuhren zu ihren Verwandten, meist zu den Großeltern. Transportmittel war fast immer die Bahn. Am Zielort atmeten Großstadtkinder zum ersten Mal den Duft frischen Brotes, wenn der zentrale Backofen angefeuert war. Oder sie vernahmen ihnen bis dahin fremde Laute, wenn im Dorf ein anderer Dialekt als daheim gesprochen wurde.
Später waren abertausende „Prisoners of War“ („PW“) von Amerikanern, Russen, Engländern, Franzosen und anderen in „Kriegsgefangenenlager“ transportiert worden. Die lagen in Neapel, am Rhein, in Sibirien und waren sehr unterschiedlich. In der „Heimat“ hatten derweil Sieger das Kommando übernommen, und Fortbewegungen Deutscher erfolgten meist per Pedes oder mithilfe von Pferden. Tauchten Trupps fremder Soldaten auf, schienen die Kinder gefährdet zu sein. Doch wenn man Glück hatte, entpuppten sich die „Fremden“ als Einheit, die deutsche Kinder mit Bonbons beglückte.
Transporte, Flucht, Vertreibung: Zwangsreisen waren das.
7. „Grenzüberschreitende“ Reisen
Lange hielt sich das nicht. Wer in Städten wohnte, schaute vorsichtig im Nachbarbezirk nach. Auf dem Lande wurden Kreisgrenzen überschritten. Hauptsächliche Transportmittel waren Fahrräder, auch U-, S- und Straßenbahnen waren im Einsatz. Dann kamen Busse wieder, und für längere Strecken gab es noch immer die „Reichsbahn“.
Als sich zwei deutsche Staaten entwickelten, kam es zu „innerdeutschen“ Reisen, erst zaghaft, dann immer heftiger. Bis zum Bau der Mauer 1961 in „Berlin“ flüchteten viele Ostdeutsche in den „Westen“. Dann machte die DDR die Grenzen dicht, und die Wege in den Westen waren versperrt. Spätere Passierscheinabkommen durchlöcherten diese Grenzen nach Osten ein wenig. Bürokratisch registriert von Ost-Behörden durften „Wessis“ in die DDR „einreisen“. West-Berliner und „Bürger der BRD“ wurden dabei sorgfältig getrennt.
Kuriositäten taten sich auf: „Hier ist eine BRD-Mutter mit einem WB-Kind!“, schallte es durch die „Übergangsstelle“ am Bahnhof Friedrichstraße in „Berlin“. Eine Mutter aus (vielleicht) Hamburg wollte mit ihrem Berliner Kind „in den Osten“ fahren. Das störte den Ordnungssinn der „Staatsorgane“ der DDR.
Reisevehikel im anwachsenden „innerdeutschen Verkehr“ wurde mehr und mehr das Auto („‘s heiligs Blechle“ der westdeutschen Familien): „Sollen die Zonis ruhig sehen, wie gut es uns im Westen geht!“ Im Kofferraum lagen Schokolade, Bananen und „Jacobs-Kaffee“ – Mitbringsel für die „Brüder und Schwestern von drüben“. Die nahmen es gerne und revanchierten sich mit „Bückware“, speziell „organisiertes“ Rindfleisch beispielsweise. Bei der Rückreise („Achtung: Geschwindigkeitsbegrenzung!“) in die „BRD“ hieß es dann: „Machen Sie mal den Kofferraum auf!“ Aber da war nichts drin.
8. Erholung
Allmählich wurde die DDR als alleiniges Reiseziel zu poplig. Dort machte man mehr und mehr nur noch Verwandtenbesuche. Auch in die nun leider zum „Ostblock“ gehörende alte Heimat zog es manche
Erholt jedoch hatte man sich woanders. Zuerst ging es in die Lüneburger Heide, nach Bayern oder schon nach Sylt. „Hotelkästen“ gab es noch nicht. Man logierte während der Ferien in Schulgebäuden oder bei „privaten“ Vermietern. Das Auto musste Unmengen von Gepäck transportieren. Am Zielort ging es wacker zu: Am Meer lechzten nun aufkommende „Touristen“ tagelang nach Sonne, um zu „bräunen“, damit die Nachbarn neidisch wurden.
Oft ging’s auf die Wanderschaft mit Hut, Rucksack und Stock. Die „Sommerfrischler“ freuten sich, zu einer privilegierten Schicht zu gehören, und bedauerten Daheimgebliebene. Urlaub wurde zum Wohlstandssymbol.
Da der Druck groß, die Möglichkeiten aber manchmal begrenzt waren, kam eine neue Art des Reisens auf: Das „Trampen“. Das war freilich nicht jedermanns Sache, aber besonders für Schüler und Studenten ideal. Trampend lernten sie Deutschland, Länder Europas, ja sogar die USA, kennen. Klar war dabei: Mädchen sollten nicht alleine trampen, und Luxus war nicht unbedingt zu erwarten. Man konnte auf Last- oder Viehwagen landen, aber auch in Edellimousinen. Unter Kennern galten die USA als gutes Tramperland. Den Ostblock aber mieden die meisten Tramper lieber.
Als die Tramper älter geworden waren, mutierten einige von ihnen zu „Campern“. Das Rustikale und die Illusion der Naturnähe wollten sie nicht missen. Außerdem ersparte man sich das Hotel. Dafür musste ein geeignetes Vehikel her. Die Automobilindustrie half: Auf gängige PKW-Modelle wurden Blechkästen montiert. Man bestückte diese mit Betten, Tischen, Schränkchen und Stühlen, alles festmontiert, und fertig waren die „Camper“.
Pfiffige richteten „Campingplätze“ mit „Stellplätzen“ zum Übernachten ein: Eine spezielle Variante des Tourismus war entstanden. Natürlich konnte man bald auch Camper mieten, um vorübergehend zum fahrenden Volk zu gehören.
Wem der „Camper“ schon zu zivilisatorisch war, konnte das „Zelt“ als Alternative wählen, naturverbunden, meist mit PKW daneben.
Deutschland war mittlerweile touristisch gerüstet: In- und Ausland öffneten sich bis zum Ende der Welt. Ein Begriff machte die Runde: Die Deutschen wären nicht nur Fußball-, sondern auch „Reiseweltmeister“! Sie hatten alle anderen überholt. Engländer beispielsweise kannten Pauschalreisen schon aus dem 19. Jahrhundert. Da hatten Abenteurer mit dem weltweit ersten Platzhirschen „Thomas Cook“ die Schweizer Alpen mühsam erschlossen. Doch nun, zur Zeit des Wirtschaftswunders, kamen die Deutschen, nicht unbedingt mit Qualität, dafür aber mit immer erdrückenderer Quantität.